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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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COMPULSION (Richard Fleischer/USA 1959)


"Please, Artie - I'll do anything you say."

Compulsion (Der Zwang zum Bösen) ~ USA 1959
Directed By: Richard Fleischer

Chicago in den Zwanzigern. Den beiden jungen Studenten Artie Straus (Bradford Dillman) und Judd Steiner (Dean Stockwell) ist ihre materiell-verwöhnende und zugleich emotional vernachlässigende Erziehung zu Kopf gestiegen: Artie ist ein eitler, selbsträsonistischer Narziss, Judd hat eine dependente Persönlichkeitsstörung. Was sie eint, ist der mitunter sadistische Hang zu maß- und vor allem sinnloser Gewalt. Als sie einen kleinen Jungen aus der Nachbarschaft entführen und töten, werden sie durch einige missgünstige Zufälle überführt und landen bald vor Gericht. Als Verteidiger engagieren ihre Eltern Anwalt Wilk (Orson Welles), einen engagierten Gegner der Todesstrafe...

Beachtliches Kriminaldrama, das ebenso wie Hitchcocks "Rope" auf dem realen Fall um die beiden Gewaltverbrecher 'Leopold & Loeb' basiert, die 1924 das perfekte Verbrechen planen und durchführen wollten und dabei einen vierzehnjährigen Jungen aus der Nachbarschaft umbrachten. Der zum Entstehungszeitpunkt von "Compulsion" noch lebende, wieder entlassene Leopold versuchte, den Film zu torpedieren, jedoch erfolglos.
Bei Fleischers kinohistorisch vergleichsweise wenig beachteten Film handelt es sich um ein erfreulich wenig tendenziöses und dennoch sicher formuliertes Plädoyer gegen die Todesstrafe. Der an vorderster Stelle genannte Orson Welles taucht zwar erst im letzten Drittel der Geschichte auf, beherrscht diese jedoch vollkommen durch seine darstellerische Präsenz, an deren Finale - wie könnte es anders sein - ein flammendes, ausgedehntes Plädoyer wider den populistisch-rachsüchtigen Justizblutdurst seiner Zeitgenossen steht; auch dieses freilich authentisch. Die ersten beiden Akte dienen indes der sorgfältigen Ausgestaltung der beiden Charaktere Straus und Steiner und ihrer verhängnisvoll maßgeschneiderten Beziehung zueinander. Die Zwei lassen sich genealogisch als Urahnen von Ellis' Patrick Bateman einordnen, denen der familiäre Wohlstand einen psychischen Strick dreht und die, wenngleich von ganz unterschiedlicher diagnostischer Provenienz, ein fatales Duo bilden, an deren Negierung jedweder sozialen Werte schließlich jenes unfassliche Verbrechen steht. Fleischers Interesse an der differenzierten Darstellung brüchiger Täter-Personae, die sich später wieder in "The Boston Strangler" und "10 Rillington Place" manifestieren sollte, steht hier bereits deutlich im Vordergrund.
Zukunftsweisendes Qualitätskino von ungebrochener Aktualität kam dabei heraus.

9/10

period piece Chicago Courtroom Madness Richard Fleischer Todesstrafe


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THE DARK CORNER (Henry Hathaway/USA 1946)


"How I detest the dawn. The grass always looks like it's been left out all night."

The Dark Corner (Der Feind im Dunkel) ~ USA 1946
Directed By: Henry Hathaway

Der Kunstgalerist Cathcart (Clifton Webb) plant, seinen Nebenbuhler Jardine (Kurt Kreuger) aus dem Weg zu räumen, einen schmierigen Hallodri, der mit Cathcarts wesentlich jüngerer Frau (Cathy Downs) eine Affäre pflegt. Um selbst unbehelligt zu bleiben, wählt Cathcart als Sündenbock Jardines früheren Kompagnon, den Privatdetektiv Galt (Mark Stevens). Jener hat nämlich seinerseits auch mit Jardine noch eine alte Rechnung offen und somit ein vortreffliches Motiv. Der Auftragskiller Stauffer (William Bendix) soll Jardine nun so um die Ecke bringen, dass Galt als Schuldiger dasteht. Doch er und seine fixe Sekretärin Kathleen (Lucille Ball) kommen Cathcart auf die Schliche.

Zusammen mit dem feinen "Kiss Of Death" eine schöne Film-Noir/New York-Dublette von Henry Hathaway, weg von der stets artifiziell anmutenden Studioatmosphäre der meisten Hollywood-Streifen jener Zeit hin auf die Straße und zu Originalschauplätzen. Natürlich sind diverse Szenen immer noch im Atelier entstanden, aber man hat auch vor Ort gearbeitet, was "The Dark Corner" eine kräftige Vitalität verleiht. Clifton Webb gibt mal wieder den bösen, schmalschultrigen Schnösel, der am Ende über seine eigene Arroganz stolpert und seinen perfekt eingefädelten Plan dadurch verrät. Bendix muss eine frühere Inkarnation von James Gandolfini gewesen sein, Lucille Ball, die immerhin die Besetzungsliste anführt, fand ich indes eher leidlich beklatschenswert. Hauptdarsteller ist aber wie erwähnt die Stadt mitsamt all ihrer wunderbaren cinegenen Ausstrahlung.

8/10

Henry Hathaway film noir New York Kunst


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HODEJEGERNE (Morten Tyldum/NO, D 2011)


Zitat entfällt.

Hodejegerne (Headhunters) ~ NO/D 2011
Directed By: Morten Tyldum

Roger Brown (Aksel Hennie) arbeitet als Headhunter, was seinen großzügigen Lebensstil jedoch längst nicht ausreichend finanziert. Also hat er nebenbei einen kleinen Ring von Kunsträubern gegründet, der, mit Roger als Hauptakteur, echte Gemälde gegen Kopien austauscht. Als Roger erfährt, dass seine Frau Diana (Synnøve Macody Lund) ihn mit dem aalglatten Clas Greve (Nikolaj Coster-Waldau) betrügt, ist es ihm ein umso größeres Vergnügen, selbigem einen millionschweren Rubens zu stehlen. Doch Greve entpuppt sich als verrückter Ex-Elitesoldat, der Roger von nun an nachstellt und ihn unbedingt töten will.

Nicht meine Art Menschen, nicht meine Welt, nicht meine Art Film. Für geleckte Anzugträger, die in unserer Zeit des grotesken ökonomischen Ungleichgewichts auf hohem Niveau jammern, weil sie ihrer Frau keine diamantenen Ohrringe mehr kaufen können, sehe ich mich leider außer Stande, das für "Hodejegerne" wohl zwangsläufig notwendige Empathiemaß aufzubringen; folglich war es mir auch vollkommen egal, was mit Roger Brown oder den anderen Figuren im Film passiert. Headhunter, Manager, Wirtschaftsfatzkes und sonstige Zeitgenossen gehören nicht zu meiner Welt, und auch, wenn die sich anschließende Satire Roger als moralische Sühne für seine gesetzlichen Entgleisungen buchstäblich kopfüber in die Scheiße tauchen lässt, war für mich leider kaum mehr denn ein Mindestamüsement herstellbar. Auf diese filmische Erfahrung hätte ich auch gut und gern verzichten können.

4/10

Morten Tyldum Jo Nesbø Norwegen Stockholm Heist Rache


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RAMPART (Oren Moverman/USA 2011)


"You know what I think? I think you were a dirty cop from day one."

Rampart ~ USA 2011
Directed By: Oren Moverman

L.A. 1999: Der Streifenpolizist Dave Brown (Woody Harrelson) ist vermutlich der meistgehasste Cop der Stadt. Permanent lässt sich sein Name mit Gewalttaten in Verbindung bringen, was die Medien populistisch fachgerecht auzuschlachten verstehen und auch sein Privatleben, geprägt von Promiskuität, Nikotin, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch gleicht einer Katastrophe. Dennoch weigert sich Brown strikt, sein Berufsideal zugunsten einer aus seiner sicht verweichlichten öffentlichen Meinung aufzugeben.

Sehenswerter, grandios montierter und inszenierter Polizeifilm, dem man James Ellroys kreativen Input recht umschweifelos anmerkt. Getragen von einem großartigen Ensemble, das unter anderem Ned Beatty in einer schönen Altersrolle aufbietet, ist "Rampart" vor allem ein Film über Anachronismen. Diverse Zitate verdeutlichen, dass Dave Brown ein legitimer Erbe der Dinosaurier-Polizisten vom Schlage eines Harry Callahan, freilich gemixt mit einem Viertel Bad Lieutenant ist, ein Misanthrop, der die Uniform benutzt, um möglichst unkompliziert seiner eigenen, herrischen Natur frönen zu können. Brown weiß Menschen für sich "einzunehmen"; diverse Personen schulden ihm einen Gefallen. Sei es der Apotheker, von dem Brown seine Benzos rezeptfrei bezieht oder der Hotelrezeptionist, der ihm für lau eine Notunterkunft gewährt. Vor den Stadtoberen, Staatsanwälten und Anzugträgern, hat Dave keine Angst. Er weiß, wie das Spiel gespielt wird und ist schlau genug, im Sanktionsfalle zurückschlagen zu können. Dass er auf der anderen Seite verantwortlich ist für zahlreiche ungerechtfertigte Gewaltakte, bekommt der kleine, demonstrationsbereite Mann auf der Straße mit. Allein es interessiert Dave nicht. Er lässt sich nicht ändern. Und warum auch? Schließlich ist er nichts weiter als das konsequente Echo der Straßenschluchten.

8/10

Los Angeles Korruption Oren Moverman James Ellroy


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SECRET WINDOW (David Koepp/USA 2004)


"Oh, I'm in trouble."

Secret Window (Das geheime Fenster) ~ USA 2004
Directed By: David Koepp

Die Ehe des erfolgreichen Romanautors Mort Rainey (Johnny Depp) liegt in den letzten Zügen. Seine Frau Amy (Maria Bello) hat sich einen neuen Freund (Timothy Hutton) zugelegt und wohnt mit diesem in einem Vorort von New York, derweil Mort mit Hund Chico das rustikale Landhaus in der tiefsten neuenglischen Provinz bevölkert. Als urplötzlich ein Fremder (John Turturro) auftaucht, der sich als 'John Shooter' vorstellt und behauptet, Mort habe ihm einst seine Kurzgeschichte "The Secret Window" gestohlen und zusätzlich deren Ende aufgeweicht, gibt Mort sich zunächst lediglich genervt. Shooter jedoch, der von Mort wahlweise verlangt, zu beweisen, dass seine Story kein Plagiat ist oder sie andernfalls neu und adäquat zu veröffentlichen, stellt sich nicht nur als extrem beharrlich heraus, sondern darüberhinaus auch als höchst nachdrücklich. Seine Methoden, denen nacheinander der arme Chico und Morts Stadthaus zum Opfer fallen, werden zunehmend aggressiver...

Ich kann auch nach der Zweitbeschau von "Secret Window" im Grunde nur unterschreiben, was sowieso die Meisten - auch die alten FTB-Einträge in unserem Board - über ihn sagen: Dass er nett, unterhaltsam und grundsolide daherkommt, ansonsten jedoch wenig zu überraschen und schon gar nicht zu begeistern vermag. Die Gründe dafür sind multipel: trotz einer sicheren inszenatorischen Hand kann David Koepp sich etwa nicht zwischen den zwei Hauptsträngen der humorigen Satire auf die schaffenskriselnden Nöte eines amerikanischen Allerwelt-Romanciers einerseits und der saftigen Psychose-Studie eines vom Wege der Stabilität Abdriftenden andererseits entscheiden und beschreitet daher kompromissbereit den vagen Mittelweg. Johnny Depp in der Rolle des Geisteskranken ist unpassend, wenn nicht gar fehlbesetzt. In "Secret Window" versucht er, seine übliche Marotte des linkischen Kauzes mit der im Kino nicht minder etablierten Charaktermatrix des irren Gewaltverbrechers zu kreuzen, was erwartungsgemäß schiefgehen muss. Mort Rainey ist trotz seiner Aktionen am Ende nicht die große Bedrohung, die er eigentlich symbolisieren sollte, sondern bloß eine weitere Nummer in der großen Ahnenreihe von Depp gespielter, nebenspuriger Antihelden. Dennoch ist Koepps Film wohl nicht wirklich schlecht - er hat zwei, drei veritable Nägelkauerszenen, eine gemeinhin ordentliche Besetzung und schließt mit dem Auftritt von Timothy Hutton gewissermaßen sogar den Kreis zur ersten fürs Kino umgesetzten, king'schen 'Autorenspaltungsgeschichte' "The Dark Half". Nur, dass dieser mir trotz seiner bekannten Entstehungsprobleme nicht unwesentlich ambitionierter und formvollendeter erscheint.

7/10

David Koepp Stephen King New York Literatur Madness Ehe


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GASLIGHT (George Cukor/USA 1944)


"Because I am mad, I hate you!"

Gaslight (Das Haus der Lady Alquist) ~ USA 1944
Directed By: George Cukor

In Italien lernt die junge Sängerin Paula Alquist (Ingrid Bergman), die zuvor bei ihrer Tante in London lebte, die grausam ermordet wurde, den Pianisten Gregory Anton (Charles Boyer) kennen und lieben. Mit ihm verheiratet kehrt Paula zurück in die englische Metropole und in das leerstehende Haus ihrer Tante. Mit dem Wiedereinzug scheint sich jedoch Paulas psychischer Zustand zu verschlechtern: Urplötzlich vergisst sie alles Mögliche, verliert Dinge und scheint zu halluzinieren. Gregory erweist sich dabei nur als minderwertiger Anker; tatsächlich schirmt er Paula sogar vor der Öffentlichkeit ab und redet ihr noch zusätzlich ein, nicht bei Sinnen zu sein. Derweil wird der umtriebige Detektiv Brian Cameron (Joseph Cotten) auf das Ehepaar Anton aufmerksam...

Cukors eleganter gothic thriller ist die schönste und berühmteste von diversen Verfilmungen des Kriminalstücks "Angel Street", das wohl als eine der elementaren Kulturarchetypen angesehen werden kann für das in der Trivialliteratur oftmals verwendete Thema des zutiefst bösen Ehepartners, der sein Gegenüber mittels mehr oder weniger subtiler Methoden in den Wahnsinn zu treiben versucht. Oftmals stehen dahinter eigennützige Motive oder gar eine sich pathologisch gestaltende Form der Gier. So ist es auch in "Gaslight", der Charles Boyer in ebenjener wunderbaren Studie grundböser Charakteristika vorzeigt. Der Film selbst ist vorbildlich gealtert. Er demonstriert die Studio-Manierismen des alten Hollywood. Dem Vorspann kann man entnehmen, dass Cotten und die Bergman erst von David Selznick ausgeliehen werden mussten, um für die MGM spielen zu dürfen - eine heutzutage kaum mehr nachvollziehbare Praxis, die damals jedoch Alltagsgeschäft bildete. "Gaslight" ist komplett im Atelier entstanden, was ihm einen hochartifiziellen und zugleich muffigen, fast wurmstichigen Touch verleiht, ganz so, als handele es sich bei ihm selbst um eine der hierin vielfach vorgeführten, antiquarischen Kostbarkeiten.
Vorzüglich auch die alte deutsche Vertonung, die nur wenig jünger sein dürfte als der Film selbst und glücklicherweise - dies ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr - für die DVD aufgetrieben und konserviert werden konnte. Man hört unter anderem Harald Leipnitz und Peter Pasetti, der Charles Boyer diabolische Vorstellung nicht nur perfekt einfängt, sondern sie sogar noch intensiviert. Ein prächtiges Stück klassischen Hollywoods.

9/10

George Cukor period piece London Ehe Victorian Age Madness


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GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI (Jim Jarmusch/USA, D, J, F 1999)


"It's the fucking birdman!"

Ghost Dog: The Way Of The Samurai (Ghost Dog - Der Weg des Samurai) ~ USA/D/J/F 1999
Directed By: Jim Jarmusch

Für den einsamen, in kultischer Weise einem Samurai-Idealismus frönende Profikiller Ghost Dog (Forest Whitaker) sind seine Tauben und sein Ehrenkodex das Ein und Alles. Sein "bester Freund" ist ein haitianischer Eismann (Isaach De Bankolé), der nur französisch spricht. Als bei einem seiner Aufträge die Tochter (Tricia Vessey) des Mafiabosses Ray Vargo (Henry Fonda) als unvorhergesehene Zeugin zugegen ist, soll Ghost Dog selbst sterben. Doch gegen seine stoische Zielsicherheit haben selbst die alteingesessenen "Familienmitglieder" von Jersey nicht die geringste Chance.

Jarmuschs zweiter Kinoheld der Neunziger in seiner zweiten Hommage an das klassische Exploitationkino nach "Dead Man". Diesmal unterzieht er die ruppigen italienischen Gangsterfilme der Siebziger einer Re-Inventarisierung, nimmt deren einstigen Helden Henry Silva und andere Altvordere wie Cliff Gorman mit auf seine Zeitlupen-Karusselfahrt und setzt wiederum auf harte, schnell ausgeführte Gewalt. Freilich darf wiederum das philosophisch-poetische Erklärungsalibi nicht zu kurz kommen. Jenes stammt diesmal nicht aus dem nativen Amerika, sondern aus dem altertümlichen Japan, das der als eine höchst eigenwillige Kulturmischung auftretende Ghost Dog in Form der entsprechenden Fibelbibel "Harakure" praktisch permanent zitiert. Erst die Konterkarierung mit den dicken alten padroni lässt das Ganze jedoch so wunderbar funktionieren. Noch mehr als "Dead Man" ist "Ghost Dog" auch ein komischer, reserviert-ironischer Film, der den Tod als vermeintlich beiläufige Erscheinungsform jedweden Lebenszyklus entzaubert.

8/10

Jim Jarmusch Profikiller Mafia New Jersey Samurai Freundschaft Independent


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FARGO (Joel Coen/USA 1996)


"Yah?" - "Yah."

Fargo ~ USA 1996
Directed By: Joel Coen

Für den armen Jerry Lundegaard (William H. Macy), Autoverkäufer und Familienvater aus Minneapolis, geht finanziell alles schief. Dazu lässt sein reicher Schwiegervater Wade (Harve Presnell) ihn am ausgestreckten arm verhungern. Also kommt Jerry auf die Idee, eine Scheinentführung seiner Frau Jean (Kristin Rudrüd) zu inszenieren und sich mit dem von Wade gezahlten Lösegeld zu sanieren. Dummerweise engagiert er für den Job die zwei ebenso gewalttätigen Soziopathen Showalter (Steve Buscemi) und Grimsrud (Peter Stormare), die schon kurz nach Jeans "Inempfangnahme" anfangen, Leichen aufzutürmen. Die schwangere Kleinstadtpolizistin Marge Gunderson (Frances McDormand) löst den obskuren Fall mittels ihrer ebenso offenen wie aufdringlichen Art.

"Fargo" dürfte der Film sein, der den Coens ihre noch letzten unerschlossenen Publikumssegmente eingefahren hat, dabei ist er nicht mehr oder weniger anbiedernd als ihre vorhergehenden Werke, sondern ein ebenso verschrobener Glücksspender wie man es von ihrem bisherigen Œuvre eben kennt. Die winterliche Atmosphäre Minnesotas unterdrückt sämtliche Schallwellen, noch unterstützt durch Carter Burwells unheilschwangere Musik. Höchstens Carl Showalters manchmal aufbrausende Art oder die diversen Pistolenschüsse lassen einen aus jener befremdlich angespannten Lethargie hervorschrecken, die die Coens so wie kein anderer gegenwärtig aktiver Filmemacher zu evozieren verstehen. Dazu ist der Film urkomisch, indem er den Mittleren Nordwesten mit seinen schwedischen Immigranten in der x-ten Generation so urig wie sonderbar porträtiert, ohne sie jedoch zu denunzieren. Schließlich stammt man selbst aus der Gegend und pisst sich nicht ins heimische Wohnzimmer. Sein Leben bezieht "Fargo" aus der jeweils freundlichen als auch unnachgiebigen Natur seiner Figuren. Niemand gibt auf, in allen schlummert hinter ihrer lächelnden Fassade ein Wolf, seien es die liebenswerte Chief Gunderson oder auch der Superloser Jerry Lundegaard. Und dann sind da freilich die wie Fremdkörper auftretenden Nebencharaktere, nach deren Auftreten man sich am Kopf zu kratzen geneigt ist, um dann erst zu verstehen, dass der Film ohne sie unvollständig wäre - der Indianer Chep Proudfoot (Steven Reevis) etwa, Marges alter Schulfreund Mike Yanagita (Steve Park) oder die beiden Huren (Larissa Kookernot, Melissa Peterman), mit denen sich Carl und Gaear im Motel vergnügen. Ein leidenschaftlich-verhalten vorgetragenes Kaleidoskop der US-Provinz entspinnt sich da, das ausnahms- und glücklicherweise einmal nicht im Süden angesiedelt ist.

10/10

Coen Bros. Winter Ensemblefilm Minnesota Minneapolis


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FEMME FATALE (Brian De Palma/F 2002)


"Isn't sugar better than vinegar?"

Femme Fatale ~ F 2002
Directed By: Brian De Palma

Nach einem aus dem Ruder gelaufenen Juwelendiebstahl bei den Filmfestspielen von Cannes verschwindet die durchtriebene Laure (Rebecca Romijn) mit der Beute. Unter ständiger Angst, von einem ihrer beiden Partner (Eriq Ebouaney, Thierry Frémont) gefunden und entdeckt zu werden, gelingt ihr schließlich über eine Kette unglaublichster Zufälle die Flucht in die Staaten. Sieben Jahre später kommt Laure, die sich jetzt Lily nennt, zusammen mit ihrem Gatten, dem US-Botschafter Watts (Peter Coyote) zurück nach Paris. Dort schießt der windige Paparazzo Bardo (Antonio Banderas) ein Foto von ihr, das in Windeseile die Titelblätter der Klatschjournaille belegt. Für die nunmehr enttarnte, jedoch nach wie vor durchtriebene Laure gilt es nun, in Windeseile einen Plan für die Flucht nach vorn auszutüfteln...

Nach "Mission To Mars" pendelt De Palma mit "Femme Fatale" nochmal lustvoll zwischen Absurdität und Kunst, diesmal jedoch auf deutlich vertrautrem, um nicht zu sagen 'irdischem' Terrain. Er lässt seine Geschichte die obskursten Haken schlagen und inszeniert dabei wieder so lustvoll wie vor zwanzig Jahren, als er seine Thriller-Hochphase mit "Dressed To Kill" und "Body Double" durchlebte. Allein die in Cannes spielende Anfangssequenz, die einen denkwürdigen Bogen zur Realität schlägt, indem eine echte Filmpremiere mit einem echten Film ("Est-Ouest") als Hintergrund für den Diebstahl des Trios dient, unterlegt mit einer musikalischen "Bolero"-Abwandlung, ist von höchsten künstlerischen Weihen. De Palma scheint wieder in alte Formalia hineinzufinden; möglicherweise erinnert ihn die europäische Location an "Obession" und lässt schlummernde artistische Sensoren wieder erwachen. Über den theatralischen Fortlauf der Geschichte, die dem Zuschauer gegen Ende ein paar Wendungen um den Latz haut, dass dieser schon eine Menge goodwill aufbringen muss, so er nicht gerade weiß, mit welchem Filmemacher man es hier zu tun hat, lohnt es kaum zu diskutieren. Dieser passt sich vielmehr einer Art Traumlogik des Kinos an, innerhalb deren wabernden Grenzen sowieso alles möglich ist und die zu Anfang des Films noch so vehement behauptete Realität bloß eine von vielen Wahrnehmungskonstanten. Ein kleines Meisterwerk, vielleicht nicht ganz so monumental wie frühere Ausläufer De-Palma'schen Schaffens, aber immer noch brillanter als 95 Prozent von allem Anderen.

9/10

Brian De Palma Paris Heist Traum Femme Fatale neo noir Cannes


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CARLITO'S WAY (Brian De Palma/USA 1993)


"A favor's gonna kill you faster than a bullet."

Carlito's Way ~ USA 1993
Directed By: Brian De Palma

1975 kommt die puertoricanische Gangsterlegende Carlito Brigante (Al Pacino) wegen unlauterer Verfahrensmethoden frühzeitig aus dem Gefängnis. Dabei ist seine etwas weitschweifig anmutende Ansage an den Richter (Paul Mazursky) sogar ernst gemeint: Carlito will raus aus dem Milieu, mit Drogen nichts mehr zu tun haben und zusammen mit seiner großen Liebe Gail (Penelope Ann Miller) eine Autovermietung auf den Bahamas eröffnen. Das Startkapital dafür will Carlito sich als Geschäftsführer eines maroden Clubs in der Bronx zusammenklauben. Kaum jedoch ist der Mann zurück in Spanish Harlem sitzt er schon wieder mittendrin in der Gewaltspirale, der Überhand nehmende Kokainkonsum seines Anwalts und Freundes Dave Kleinfeld (Sean Penn) und Verrat allerorten machen ihm einen dicken Strich durch die Rechnung.

Das bislang letzte von De Palmas großen Gangsterepen nach "Scarface" und "The Untouchables", wobei natürlich insbesondere die Verwandtschaft zu ersterem unübersehbar ist. Beide Filme wurden von Marty Bregman produziert und mit Al Pacino in der Hauptrolle besetzt; beide Filme drehen sich um den Werdegang eines Latino-Gangsters. Soweit die offenkundigen Parallelen, die ein direkter Vergleich jedoch rasch Lügen straft. "Carlito's Way" ist ein deutlich gelassener Film als "Scarface", ebenso wie der Charakter Carlito Brigantes ganz immens zu dem Tony Montanas differiert. Hier geht es nicht um Auf-, sondern um Ausstieg, um das verzweifelte Anstrampeln gegen die unweigerliche Spirale abwärts. Mit einer konsequenteren Abkehr wider den Moloch hätte Carlito noch eine Option gehabt, hier in uptown New York jedoch gibt es großkotzige Emporkömmlinge wie den aufbrausenden Benny Blanco (John Leguizamo), geldgierige Schmeißfliegen wie Carlitos Anhängsel Pachanga (Luis Guzmán) oder eben Carlitos koksbenebelten Advokaten und vermeintlichen "Bruder" Dave Kleinfeld (Sean Penn), der die Italiener um eine Million Dollar erleichtert und glaubt, damit durchzukommen. Einmal drin im Morast, gibt es kein Entkommen mehr und trotz der Prophezeiungen der wohlmeinenden Gail endet Carlito genauso wie von ihr vorhergesagt. No escape to Paradise.
Nach eigenem Bekunden wollte De Palma zunächst keinen weiteren Film über Chicano-Bandidos mehr machen, ließ sich jedoch von der Qualität von David Koepps Script umstimmen. Ein weiser Schachzug, wie die Rezeptionsgeschichte des Films zeigt, gilt "Carlito's Way" doch, den Vorwurf inszenatorischer Risikoarmut einmal beiseite lassend, gemeinhin als einer der "gelungeneren" späteren Arbeiten des Regisseurs. Diese Einstufung ist paradoxerweise ebenso kurzsichtig wie zutreffend. In einem filmischen Metier, dem De Palma bereits wesentliche Eckpunkte beschert hatte, konnte er sich nämlich zugleich auf sicherer Seite bewegen wie er ihm einen weiteres Glanzlicht hinzuzusetzen vermochte.

9/10

Brian De Palma Edwin Torres Freundschaft New York Ethnics period piece Kokain





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