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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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AMADEUS (Miloš Forman/USA 1984)


"From now on we are enemies, you and I."

Amadeus ~ USA 1984
Directed By: Miloš Forman

Wien um 1820: Nach einem Suizidversuch landet Antonio Salieri (F. Murray Abraham), der frühere Hofkapellmeister Kaiser Josephs II (Jeffrey Jones), in einer geschlossenen Anstalt für Geisteskranke. Nach verbalen Äußerungen, denen zufolge Salieri sich die Schuld am Tode des rund drei Jahrzehnte zuvor verstorbenen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart (Tom Hulce) gibt, soll ihm ein Geistlicher (Richard Frank) die Beichte abnehmen. Salieri berichtet davon, wie er ein von scheinbar göttlichen Gnaden gesegnetes Genie kennen, schätzen und zugleich abgrundtief hassen gelernt und Mozart wegen seines unvergleichlichen Könnens respektive aus diesbezüglichem Neid stets Steine in den Weg geworfen hat. Am Ende bleibt Salieri eine ungenießbare Mischung aus Triumph und Schuldbewusstsein.

Man muss kein ausgesprochener Freund klassischer Musik oder auch nur der von Mozart sein, um "Amadeus" zu lieben. Ferner versagt sich der Film den herkömmlichen Aufzug einer Prominentenbiographie, vielmehr zeigt er das Duell zweier Widersacher, von denen sich einer gar nicht bewusst ist, dass und wie sehr der andere ihm seine Fähigkeiten neidet und ihm darüber hinaus permanent hinterrücks zu schaden versucht. Auch ist "Amadeus" eine Reflexion über die Differenz zwischen handwerklichem Können und wahrem Genie; wobei der jeweilige, zeitgenössische soziale Einflussfaktor davon betont unbeeinflusst bleibt. Im Gegenteil fließt seine Kreativität förmlich ohne Unterlass aus Mozart heraus, während Salieri hart arbeitet. Der Eine liebt den vulgären Müßiggang, Zoten, Suff und Weiber, derweil der Andere weder die höfische noch die sittliche Etikette nie verletzen würde und sich an verbotenen Genüssen allerhöchstens Wiener Zuckerbäckerspezialitäten munden lässt. Am Ende obsiegt dann, wie so oft auch im wahren Leben, der heimliche, versteckt ausgeführte Dolchstoß. Unabhängig von derlei Diskursivität verzaubert Formans großes Werk durch seine Detailtreue, seine geradezu versessenen Hang nach Sorgfalt und filmischer Kunstfertigkeit, die jedoch nie den erzählerische Qualität zu überflügeln droht. Alles fügt sich, lebt, atmet. "Amadeus" ist somit vor allem ein quicklebendiger Film.

10/10

Miloš Forman Wien period piece Mozart Rokoko Österreich Historie Musik Duell Peter Shaffer based on play D.C. Vater & Sohn Best Picture Biopic


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ONE FLEW OVER THE CUCKOO'S NEST (Miloš Forman/USA 1975)


"Jack Dumpey's full of shit!"

One Flew Over The Cuckoo's Nest (Einer flog über das Kuckucksnest) ~ USA 1975
Directed By: Miloš Forman

Um seine Haftstrafe wegen angeblicher Verführung einer Minderjährigen etwas abwechslungsreicher zu gestalten, spielt der Nonkonfirmist R.P. "Mac" McMurphy (Jack Nicholson) den Irren und landet in einer geschlossenen Psychiatrie. Den institutionalisierten Alltag seiner Mit-"Patienten" bläst er durch seine freche Art heftig durcheinander und rasch ist er der Stationsoberschwester Ratched (Louise Fletcher) ein gewaltiger Dorn im Auge. Als Macs unerwünschte Eskapaden zunächst in einem kurzerhand organisierten, ungenehmigten Angelausflug der Patienten und kurz darauf in einer Auseinandersetzung mit dem Pflegepersonal gipfeln, lernt der rebellische Insasse die ganze Unbarmherzigkeit des ihn festhaltenden Systems in Form einer Elektroschocktherapie kennen. Infolge des anschließenden Gesprächs beschließt man, Mac auf unbestimmte Zeit hierzubehalten. Die mit seinem Seelenverwandten, dem Indianer Bromden (Will Sampson) geplante Flucht gipfelt in einer nächtlichen Sauforgie mit zwei Huren. Am nächsten Morgen treibt die rachsüchtige Schwester Ratched den unter einem schweren Ödipuskomlex leidenden Billy (Brad Dourif) in einen urplötzlich vollzogenen Suizid, woraufhin Mac sie beinahe erwürgt. Beim nächsten Mal als Bromden seinen Freund Mac sieht, muss er entsetzt feststellen, dass man diesen einer Lobotomie unterzogen hat...

Immer wieder ein unglaublich fesselndes Erlebnis, Formans Film, dazu in jeder Hinsicht formvollendet, hochkomisch ohne zu denunzieren, todtraurig ohne je auch nur ansatzweise kitschig zu sein, mit einem der größten Gänsehautfinales der gesamten Kinogeschichte.
Ein guter Freund von mir, der schon seit Jahren Pfleger auf psychiatrischen und Suchtstationen des hiesigen Hospitals ist, hat mir mal erzählt, dass "On Flew Over The Cuckoo's Nest" dem auszubildenden Pflegepersonal jahrgangsweise als fest integriertes Element gezeigt wird, als kulturhistorisches "Negativbeispiel" sukzessiv misslingender Psychotherapie. Ich muss immer ein bisschen grinsen, wenn das Thema mal wieder darauf kommt, weil zumindest der Film (Roman und Stück sind mir unbekannt) das Thema 'Psychiatrie' ja bestenfalls als handfeste Analogie, als Parabel benutzt, um den persönlichkeitsbrechenden Einfluss repressiver Systeme auf Individuen zu zeigen. Forman selbst sagt, der Film spiegele im Prinzip exakt die Zustände innerhalb seines Heimatlandes (der Tschechoslowakei) wider vor seinem Gang ins US-Exil. In "Cuckoo's Nest" wird ein autoritäres Schäfchenspiel durchexerziert; Schwester Ratched, gerade wegen ihrer unerschütterlichen Selbsträson eine der diabolischsten und freilich meistgehassten Frauenfiguren des Kinos, buckelt nach oben und tritt nach unten. "Oben", das sind Chefärzte und Justiz, "unten", das sind die Patienten, die psychisch zerschmetterten Lämmer, die ausgerechnet den Wolf benötigen, um von ihm umsorgt und beschützt zu werden. Darin liegt zugleich die größte Heimtücke des Lebens in und mit der Anstalt: Sie bietet die Illusion von Sicherheit um den Preis der Aufgabe der persönlichen Freiheit. Erst McMurphy, der inoffizielle Sozialrebell, bietet dieser ausgebufften Hierarchie die Stirn, verliert, als er endgültig die Beherrschung verliert, jedoch das Duell gegen seine Antagonistin und wird "begradigt", indem man ihm seine Seele kurzerhand wegoperiert. Nur sein letzter Freund, der Indianer "Chief" Bromden (unglaublich würdevoll: Will Sampson), in dem sich schon lange ein bereits seit vielen Generationen schwelender Widerstand regt, entschließt sich nach dieser letzten großen Schweinerei zur Offensivität - nicht unmittelbar gegen die diktatorischen Handlanger, sondern gegen Mauern und Gitter - und zur Flucht. So findet Macs kleine Revolution des Individuums doch noch einen großen Nachhall. Und der wilde Gesichtsausdruck des weiteren Mitpatienten Taber (Christopher Lloyd) angesichts Bromdens Selbstbefreiungsaktion lässt darauf hoffen, dass dieser Ausbruch nicht der letzte war.

10/10

Psychiatrie Ensemblefilm Duell Rebellion Parabel Oregon period piece Miloš Forman Ken Kesey based on play Indianer New Hollywood Best Picture


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SAVAGES (Oliver Stone/USA 2012)


"Let me tell you something. Tijuana is coming here. It's chasing us."

Savages ~ USA 2012
Directed By: Oliver Stone

Der Kriegsveteran Chon (Taylor Kitsch), der Neohippie Ben (Aaron Johnson) und ihre Freundin O (Blake Lively) leben nicht nur eine funktionable Ménage-à-trois, sie haben von Kalifornien aus auch noch den größten und erfolgreichsten Marihuana-Handel der USA aufgezogen. Von jenseits der mexikanischen Grenze werden sie derweil schon länger eifersüchtig von der brutalen Drogen-Baroness Elena Sanchez (Salma Hayek) beäugt. Als sie eines Tages Chon und Ben nötigt, ihr ihre Zuchtgeheimnisse und ihre Vertriebswege zu übergeben, diese sich jedoch weigern, lässt Elena O entführen. Für den harten Chon eine unhaltbare Verhandlungsmethode. So greifen die einst pazifistischen, idealistischen Kiffer zu denselben Methoden wie Elena, um sich gegen sie zur Wehr zu setzen.

Den ganz großen, lässigen Wahnsinn früherer Arbeiten bringt Stone schon seit längerem nicht mehr auf, aber "Savages" ist nach all der Gepflegtheit der letzten Jahre zumindest wieder ein ordentlicher Schritt in die "richtige" Richtung. Ein Hauch von "Scarface", den Stone ja vor knapp dreißig Jahren gescriptet hat, durchweht "Savages", diesmal zwar ohne Yeyo, dafür jedoch mit Stones persönlichem, ewigem Leib-und Magen-Rauschmittel Nummer Eins: Cannabis. So zeichnet er seine Protagonistentrio denn auch tatsächlich als strahlende amerikanische Underground-Helden; ganz ohne Gewalt und voller Idealismus haben sie ihren großen, kleinen Haschvertrieb aufgezogen, verkloppen Traumgras mit 33 Prozent THC-Gehalt, lieben jede ihrer Pflanzen wie ein Baby und kiffen natürlich selbst weg, was das Lungenvolumen hergibt. Zu ihrem Kundenstamm gehören unter anderem diverse Krebskranke, denen ihr Stoff ein leidensfreieres Leben ermöglicht und einen Großteil des Erlöses stecken sie in eigens aufgezogene Entwicklungshilfeprojekte in Drittweltländern. Dazu sehen sie auch noch verdammt gut aus und vögeln sich mit Verve zu dritt durch ihren luxuriösen Alltag. Mitten in dieses paradiesische Pot-Utopia platzen dann die bösen Cholos unter Führung von Salma Hayek und Bencio Del Toro in seiner denkwürdigsten Rolle seit Langem als sadistischer Psychokiller Lado. Doch das, womit sie nicht rechnen, passiert: Ben und Chon erweisen sich als ebenso gewieft und, infolge von Bens Kriegstrauma, das den sonst so friedliebenden Ben rasch mitzieht, sogar ebenso gewaltbereit. Stone zieht diese im Prinzip simple Geschichte, die auch von Unschuldsverlust und Gewaltkausalitäten berichtet, als ebenso poppig-bunte wie blutige Gangsterstory mit kleinen Sleaze-Injektionen auf, nimmt sich durch einen großzügigen erzählzeitlichen Rahmen viel Zeit für charakterliche Ausarbeitung und hält am Ende sogar zwei mögliche Enden bereit, von denen sich paradoxerweise das dramatische erste als deutlich "happier" herausstellt. So ist "Savages" doch etwas unbequemer als es zunächst den Anschein macht und, wenngleich sich, wie bereits erwähnt, der frühere Stone nicht gänzlich reanimiert findet, eine recht erfreuliche Angelegenheit.

8/10

Oliver Stone Drogen Marihuana Kalifornien Mexiko Freundschaft Kidnapping Rache D.C.


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FANTASTIC VOYAGE (Richard Fleischer/USA 1966)


"When can I catch the next train back to town?"

Fantastic Voyage (Die phantastische Reise) ~ USA 1966
Directed By: Richard Fleischer

Der verdutzte Regierungsagent Grant (Stephen Boyd) erfährt nicht nur, dass eine geheime, unterirdische Abteilung existiert, in der seit längerem erfolgreich Miniaturisierungsexperimente durchgeführt werden, sondern auch, dass er selbst Teil einer entsprechenden Mission werden soll. Einer der leitenden Köpfe der Technologie, Dr. Benes (Jean De Val), ist zuvor mit Grants Hilfe durch den Eisernen Vorhang in den Westen entkommen, wird jedoch bei einem Anschlag schwer verletzt: Ein Thrombus in der Nähe des Gehirns versetzt ihn ins Koma. Zusammen mit vier Wissenschaftlern (Arthur Kennedy, Raquel Welch, Donald Pleasence, William Redfield) soll Grant nun mittels eines auf mikroskopische Größe verkleinerten U-Boots in Benes' Blutkreislauf geschossen werden, um den Thrombus per Laserstrahl aufzulösen. Die folgende Reise durch Benes' Körper erweist sich als komplizierter als zunächst angenommen...

Einer der einstmals seltenen Ausflüge Richard Fleischers in phantastische Gefilde, mit der üblichen Sorgfalt und Connaissance des heimlichen Meisters formal perfekt und spannend inszeniert. Ist man großmütig genug, die hier und da auftauchenden, kleinen Logikfallen, denen das Script aufsitzt, zu übersehen, wird man von eineinhalb Stunden blendend eingestieltem Genrekino verwöhnt, einem witzigen Ensemble, dessen heimlicher chef du cuisine natürlich der stets kurz vorm Durchdrehen stehende Donald Pleasence ist, vielleicht ohnehin der Mime des 20. Jahrhunderts, der am formidabelsten Wahnsinnige geben konnte. Ansonsten fügt sich alles der Erwartung gemäß: Die Welch drückt die Brust raus, Arthur Kennedy sieht man seine schweren Alkoholprobleme mittlerweile deutlich an und als die eigentlichen Obligata des Films erweisen sich einmal mehr die Ausstattungskünstler, die sich mit dem wabernden, von LSD-Erlebnissen beflügelten Design des Körperinneren selbst übertreffen. It's trippy.

8/10

Miniaturisierung Operation Richard Fleischer Kalter Krieg


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ROBINSON CRUSOE ON MARS (Byron Haskin/USA 1964)


"Mr. Echo, go to hell."

Robinson Crusoe On Mars (Notlandung im Weltraum) ~ USA 1964
Directed By: Byron Haskin

Die zwei US-Astronauten Draper (Paul Mantee) und McReady (Adam West) geraten in die Atmosphäre des Mars und müssen auf dem roten Planeten notlanden. McReady überlebt die Aktion nicht, Draper kann sich zusammen mit dem Versuchsäffchen Mona retten. Die folgenden Monate verbringt er damit, sein Überleben zu sichern, wobei ihm besonders die Instinkte des Tieres vonnutzen sind. Draper findet eine Möglichkeit, Sauerstoff aus porösem Gestein zu destillieren sowie Nahrung und Wasser. Schließlich entdeckt er, dass er nicht der einzige Mensch in der Einöde ist: Draper kann einen von hochtechnisierten außerirdischen Despoten zum Sklaven gemachten Einheimischen retten, seinen "Freitag" (Victor Lundin). Gemeinsam meistert man fortan die Widrigkeiten des Marslebens.

Eine sehr sympathische "Crusoe"-Adaption hat Byron Haskin, der bei seinen SciFi-Filmen trotz relativ beschränkter Mittel stets einen etwas ernsthafteren Ansatz darlegte als seine Kollegen, da geschaffen. Die günstige Produktion erweist sich hier sogar ausnahmsweise als vorteilhaft, da sie in besonderer Weise die Kreativität des Set Designs schürt. Gedreht im Death Valley, erscheint der "marsianische" Himmel hier durch entsprechende Nachbearbeitung in verschiedensten violettenen Tönen und macht die futuristische Robinsonade damit im visueller Hinsicht sogar zu einem kleinen trip movie. Die dreieckigen, nervös umherflitschenden Gleiter der Extraterrestrier, deren Motive dunkel bleiben, aber, soviel macht der Film bewusst, alles andere als ehrenhaft sein können, bestätigen diesen Eindruck noch. Doch auch sonst erweist sich "Robinson Crusoe On Mars", der sich jeder Form von Camp oder Trash strikt entgegenstellt, als erstaunlich geistesverwandt mit seiner Vorlage und zeigt, dass ernstzunehmendes, gescheites Genrekino bereits vor "2001" existierte.

8/10

Robinsonade Byron Haskin Daniel Defoe Mars Zukunft Affe Ib Melchior


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ADVISE & CONSENT (Otto Preminger/USA 1962)


"Fortunately, our country always manages to survive patriots like you."

Advise & Consent (Sturm über Washington) ~ USA 1962
Directed By: Otto Preminger

Der kurz vor seinem Tode stehende US-Präsident (Franchot Tone) hat für den vakanten Posten des Außenministers den friedliebenden Linksliberalen Leffingwell (Henry Fonda) fest im Blick. Zuvor muss dieser jedoch dem Kommitee für auswärtige Angelegenheiten Rede und Antwort stehen, was Leffingwells alter politischer Gegner Sea Cooley (Charles Laughton) für eine großangelegte Diffamierungskampagne nutzt: Er deckt längst verjährte Liebäugeleien Leffingwells mit kommunistischen Zellen auf, die er aus Angst vor der politischen Kastration leugnet. Doch auch auf Leffingwells Seite gibt es fanatische Kräfte: Der dem Kommitee vorsitzende Senator Anderson (Don Murray) wird seinerseits mit einer Jugendsünde erpresst, deren Aufdeckung seine Karriere und seine Familie gefährdet.

Der packendste und überzeugendste der drei von mir am Stück geschauten Preminger-Filme war "Advise & Consent", ein Drama rund um die schmutzigen Methoden, mit der im US-Kongress Einzelpersonen aufgebaut, abgesägt und zerstört werden; ein Politthriller, der zu einer Zeit der eher naiven Wundergläubigkeit in Amerika maßstäblich war und ist für alles, was auf diesem Sektor bis heute folgen sollte. Niemand ist ohne Schuld in Premingers intimem kleinen Hauptstadtkosmos, die Sympathien drehen sich wie die Windrichtung und der Gestank jenes großen Misthaufens, der sich so wohlklingend "Senat" schimpft, dreht sich mit. Ein großes Ensemble stand Preminger Gewehr bei Fuß, wobei es einen klaren Verzicht auf hervorstechende Protagonisten gibt. Die Besetzungsnennung erfolgt schlichterdings gemäß der politischen Hierarchie der interpretierten Rollen, eine vortrefflich-realistische Option. Trotz des Entstehungsjahrgangs verzichtet Preminger, wie bei den meisten seiner Filme, auf den modischen Einsatz von Farbe und demonstriert damit ein Stück weit künstlerischer Autarkie. Anders jedoch sein Herz, bezogen auf die Option der Empathierzeugung: Das weitet sich deutlich und verzichtet auf die kühle Distanziertheit früherer Werke. "Advise & Consent" ist verdammt nah dran am Puls von Intriganz und Machtgeschick.

9/10

Otto Preminger Washington D.C. Politik Korruption Ensemblefilm Courtroom Präsident


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SAINT JOAN (Otto Preminger/USA, UK 1957)


"That is how the messages of God come to us, through our imagination."

Saint Joan (Die heilige Johanna) ~ USA/UK 1957
Directed By: Otto Preminger

Paris, 1456: Des Nachts im Traume begegnet der alte König Charles VII (Richard Widmark) der ein Vierteljahrhundert zuvor auf dem Scheiterhaufen verbrannten, mittlerweile heilig gesprochenen Jeanne d'Arc (Jean Seberg), der er seine Krönung verdankt und deren Hinrichtung er später nicht vereitelt hat. Gemeinsam und ohne Groll sinniert man der alten Tage; später gesellen sich noch der Ritter Jean De Dunois (Richard Todd), der für Johannas Aburteilung verantwortliche Bischof von Beauvais (Anton Walbrook) sowie ein Soldat (Norman Rossington), der ihren letzten Wunsch erfüllt hat - allesamt in ihrer Traumgestalt oder als Geister.

Basierend auf George Bernard Shaws von sanfter Ironie durchsetztem Stück arbeitete Graham Greene die Geschichte Jeann d'Arcs filmtauglich auf, was eine gute Stunde an Kürzungen bedeutete. Die Inszenierung besorgte dann Preminger, der mit der von ihm persönlich gecasteten, neunzehnjährigen Jean Seberg eine seiner größten Entdeckungen vorweisen konnte. "Saint Joan" gibt sich eher kunstgewerblich und überrascht damit, dass er sein imposantes Staraufkommen vornehmlich gegen den Strich besetzt. Richard Widmark gibt seinen König als kriecherischen, schwachen Kindskopf, dem bereits die Last der Krone während der Krönungszeremonie zu schwer ist und der sich lieber albernen Spielchen in seinem Garten zuwendet, Felix Aylmer ist einmal nicht der liebenswürdige alte Apostel, sondern ein klerikaler Handlanger, Harry Andrews ist ein dummer englischer Besatzer, dem angesichts von Jeannes Verbrennung die Muffe geht. Gut, John Gielgud als undurchsichtiges Ekel, das geht noch gerade so als "gewohnheitsmäßig" durch. Was am Film reizt, ist seine leichthändig präsentierte Darbietung in bald satirischer Einbettung; andererseits führt genau dies zu einer merkwürdig amorphen Ziellosigkeit, die beim Zuschauer eine ziemlich unerwünschte, aber übermächtige Gleichgültigkeit hinterlässt.

6/10

Otto Preminger Mittelalter Frankreich Johanna von Orleans Inquisition George Bernard Shaw Graham Greene Parabel Historie period piece Hundertjähriger Krieg based on play


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THE MOON IS BLUE (Otto Preminger/USA 1953)


"Don't you find I have a certain weird charm?"

The Moon Is Blue (Wolken sind überall) ~ USA 1953
Directed By: Otto Preminger

Nach Büroschluss lernt der Architekt Don Gresham (William Holden) im Empire State Building die hübsche Patty (Maggie McNamara) kennen. Die extrovertierte, witzige junge Frau gefällt ihm sogleich und so legt er es darauf an, sie womöglich zu einer Liebesnacht zu bewegen. Doch Patty macht Don unmissverständlich klar, dass sie sich für ihren zukünftigen Ehemann auspart, dessen Typus Don zudem kaum entspräche. Dennoch kommt sie mit in sein Appartment, wo sie bald Bekanntschaft mit Dons benachbarter Ex-Verlobten Cynthia (Dawn Addams) und deren lebenslustigem Vater (David Niven) schließt. Der folgende, turbulente Abend setzt sich am Folgetag mit einem neuen Liebespaar fort.

Gemäß der aus der Mode geratenen Studiopraxis früherer Jahrzehnte inszenierte Preminger parallel eine amerikanische und eine deutschsprachige Version des Herbert-Stücks, zweitere unter dem Titel "Die Jungfrau auf dem Dach" mit Hardy Krüger und Johanna Marz, die sich in der Finalszene dann witzigerweise "begegnen". Leider ist gegenwärtig lediglich "The Moon Is Blue" verfügbar, der als eine weitgehend "typgerechte", romantische Komödie seiner Zeit etwas angestaubt wirkt. Das um selbstbestimmte, weibliche Sexualität kreisende Sujet, in dem von Verführung und Defloration die Rede ist, sorgte damals für einigen Wirbel, entpuppt sich jedoch als tatsächlich eher bieder. Maggie McNamara ist nämlich keinesfalls so autoritärfeministisch, wie es zunächst vielleicht den Anschein macht; sie reizt ihre zwei Galane vornehmlich deshalb, weil sie hervorragende hausfrauliche Qualitäten an den Tag legt, gut und gerne kocht, nähen, putzen und aufräumen kann und jedes leergetrunkene Glas sofort wieder auffüllt. Mit der vielerorts vernehmbaren, emanzipatorischen Launigkeit des Films ist es ergo nicht sonderlich weit gediehen. Dafür unterhält er nett, es wird viel Whiskey gesoffen und wer William Holden mag, ist bei "The Moon Is Blue" sowieso gut aufgehoben. Wesentlich mehr lässt sich zu dieser plüschigen Komödie meinerseits jedoch kaum festhalten.

7/10

Otto Preminger New York based on play F. Hugh Herbert Nacht Alkohol


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THE PROPHECY (Gregory Widen/USA 1995)


"Never trust a fucking angel."

The Prophecy (God's Army) ~ USA 1995
Directed By: Gregory Widen

Einst wurde im Himmel unter dem Erzengel Gabriel (Christopher Walken) ein gigantischer Krieg losgetreten, der mittlerweile bereits seit vielen Tausenden Jahren wütet. Anlass dafür war die Eifersucht der Engel auf etwas, das Gott seiner jüngsten Kreation, dem Menschen, im Gegensatz zu ihnen verehrte: Seelen. Nun scheint sich eine entscheidende Wende im Himmelskrieg einzustellen, herbeigeführt durch den Tod des unendlich bösen Korea-Veteranen Hawthorne, dessen Seele sich Gabriel unbedingt unter den Nagel reißen will. Der vom Glauben abgefallene Polizist Daggett (Elias Koteas) bekommt durch Gabriels Konkurrent Simon (Eric Stoltz) jedoch Wind von den himmlischen Geschicken und versucht, Hawthornes Seele, die sich mittlerweile im Körper eines kleinen Mädchens (Moriah Shining Dove Snyder) befindet, vor Gabriel in Sicherheit zu bringen.

Ein Film, reich an hübschen Ideen und überbordernder Phantasie, dem es auch ohne große Effektarbeit zu beträchtlicher Atmosphäre gereicht. Dafür verantwortlich ist neben Gregory Widens nonchalanter Schreiberei, die bereits "Highlander" auf dem Kerbholz hatte, natürlich die generöse Besetzung, die auch einen Tarantino glücklich gemacht hätte und besonders für Christopher Walken einen dankbaren Part bereithält. Ansonsten sind Adam Goldberg als Gabriels suizidaler Sklave und Viggo Mortensen als blumenfressender Luzifer die Attraktionen dieses Films, der sich nicht nur in punkto Besetzung sehr dem Zeitgeist verpflichtet fühlt. Knackige Oneliner und Dialoge halten selbst den an Fantasyhorror sonst eher uninteressierten Betrachter bei Laune und auch die Engel, die sich mit langen Mänteln, modischen Frisuren und Bärtchen eher wie Mafiabosse und Grungemusiker ausnehmen, passen hervorragend nach 1995. Doch vergesse man bei aller Ironie in Wort und Bild nicht, dass der Film sein Sujet insgesamt erfreulich ernst nimmt, mit Elias Koteas zumindest eine völlig unsarkastische Hauptfigur in sein Zentrum stellt und seine ungewöhnliche Geschichte plausibel und mit unablässiger Spannung darbringt.

8/10

Gregory Widen Engel Satan Arizona Indianer


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MODELS (Ulrich Seidl/AT 1999)


"Du, des issa voll leiwand."

Models ~ AT 1999
Directed By: Ulrich Seidl

Vivian Bartsch ist Foto-Model in Wien und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Karriereleiter emporzusteigen, ebenso wie ihre Freundinnen und Kolleginnen. Der Druck, der sich auf sie in Form ihres unbedingt makellosen Äußeren, ihrer einzigen Kapitalanlage also, niederschlägt, macht sich bemerkbar. Sie zieht durchs Wiener Nachtleben, sucht nach Zuwendung durch Promiskuität, säuft, kokst und ist auf dem Weg, ernstlich bulimisch zu werden.

Sehr viel mehr noch als beim letzten von mir geschauten Seidl-Film "Tierische Liebe" hatte ich große Schwierigkeiten damit, den dokumentarischen Charakter von "Models" zu akzeptieren. Ich meine, hier und da dann doch Inszenierung oder zumindest forcierte Situationen ausgemacht zu haben und habe im späteren verlauf des Films sogar gezielt danach gesucht. Gern würde ich einmal Statements der Beteiligten dazu hören oder lesen.
Selbstverständlich bezieht "Models" wiederum seinen spezifischen Sog, seine attraktive Hässlichkeit aus jener Gratwanderung, die eine, wiederum an sich in Frage zu stellende, Unterscheidung zwischen Direct Cinema und improvisiertem, szenischem Film so schwierig macht. Was die Funktion des Films als Milieustudie anbelangt, so erreicht er mich kaum. In die selbsterschaffenen Elendssphären, in denen Models und ihre Ablichter verkehren, mag ich mich aus grundsätzlich mangelndem Interesse daran kaum verirren; selbst als Spiegel nicht; auch meine Empathie reicht kaum dorthin. Interessanter war es, nach dem von Seidl gezielt evozierten Voyeurismus des Zuschauers bei mir selbst zu suchen, der einen natürlich dazu motiviert, sich "Models" überhaupt in Gänze anzusehen. Jene wechselseitige Wirksamkeit scheint es mir zu sein, die Seidls Kino so unikal und sehenswert macht.

8/10

Ulrich Seidl Wien Models Fotografie Drogen Kokain Nacht





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