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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ALI (Michael Mann/USA 2001)


"Ain't no Vietcong ever called me 'nigger'."

Ali ~ USA 2001
Directed By: Michael Mann


Die zehn maßgeblichen Jahre in der Karriere des legendären Schwergewichtsboxers Cassius Clay (Will Smith), der sich infolge seiner Konvertierung zum Islam den Namen Muhammad Ali gibt. Von seinem ersten Titelkampf 1964 gegen Sonny Liston (Michael Bentt) über seine erfolgreiche Kriegsdienstverweigerung, zwei Ehen, seine Freundschaften mit prominenten Zeit- und Gesinnungsgenossen wie Malcolm X (Mario von Peebles) und dem Sportreporter Howard Cosell (Jon Voight) bis hin zu dem legendären, von Don King (Mykelti Williamson) medienwirksam als "Rumble in the Jungle" organisierten Fight gegen George Forman (Charles Shufford) in Kinshasa, bei dem Ali sich nach einer staatlich verordneten Zwangspause den Weltmeistertitel zurückerobert.

Heldenverehrung vermittels allerhöchster filmischer Brillanz. Michael Mann muss Muhammad Ali lieben, mitsamt dessen wesenhaft großer Klappe und seinem ungebrochen großem Selbstbewusstsein - dafür bürgt schon die biographische Periode, in der "Ali" seinen Platz einnimmt. Aus der Phase zwischen 64 und 74 gibt es wohl tatsächlich nur Glorioses von diesem Charakter zu berichten, einem Mann, der den Mythos des amerikanischen Traums mit einem geradezu fanatischen Siegeswillen in seine Realität transferiert, der den Mumm hat, als eine der prominentesten Landespersönlichkeiten dem Vietnamkrieg eine öffentliche Absage zu erteilen, der seine ethnischen Wurzeln wiederentdeckt und sie in sein Kräftekonzept integriert, der sich selbst zum unwiderstehlichen Womanizer und Superhelden stilisiert. Diese extreme Respektshaltung atmet "Ali" aus jeder Pore und schafft damit glücklicherweise einen eigenen Rhythmus, der, und damit komme ich erneut zu einer Einschätzung, die ich bereits einige Filme zuvor mit Mann in Verbindung brachte, den allermeisten anderen Filmemachern entglitten oder gar nicht erst gelungen wäre. Denn so großmäulig die Person Ali sein mag, der Film ist es zu keinem Zeitpunkt.
Ausgehend vom formalen Standpunkt gehört "Ali" zum Höchsten, was Michael Mann bis dato bewerkstelligt hat; dass er dabei eine - augenscheinlich vor allem ihm selbst wichtige - Geschichte erzählt, darf man als akzeptable Begleiterscheinung in Kauf nehmen.

7/10

Boxen Michael Mann period piece Biopic Black Consciousness


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THE INSIDER (Michael Mann/USA 1999)


"Fame has a fifteen minute half-life. Infamy lasts a little longer."

The Insider ~ USA 1999
Directed By: Michael Mann


Kaum dass Dr. Jeffrey Wigand (Russell Crowe) aus seinem Posten als Laborant für den Zigarettenfabrikanten 'Brown & Williamson' herausgekündigt wurde, beginnt die Firmenleitung umgehend, ihn unsanft an seine vertraglich fixierte Verschwiegenheitsklausel zu erinnern. Als Lowell Bergman (Al Pacino), Chefredakteur der renommierten CBS-Polittalkshow "60 Minutes", wegen einer beiläufigen Recherchefrage an Wigand herantritt, ahnt er sofort, dass sein Gesprächspartner das deutliche Bedürfnis hat, noch viel mehr preiszugeben. Tatsächlich hat Wigand den wissenschaftlichen Nachweis dafür erbracht, dass Nikotin süchtig macht - ein Faktum, dass die Tabakindustrie wegen nachhatiger Rufschädigung geheimhalten will. Nachdem Wigand die Verschwiegenheitsklausel durch eine Gerichtsaussage juristisch unbrauchbar gemacht und das prekäre Interview geführt hat, bricht aufgrund des pausenlosen Drucks durch seinen früheren Arbeitgeber seine Familie auseinander und noch schlimmer: Die CBS weigert sich nach Androhung einer kostspieligen Klage durch Brown & Williamson, die Sendung auszustrahlen. Bergman geht in die Offensive.

Nach dem relativ aktionsbetonten "Heat" nahm sich Mann eines eher subtilen, menschlichen, nichtsdestotrotz sehr spannenden Dramas auf den Spuren der großen investigativen Journalismus-Thriller aus den Siebzigern an. Das auf Tatsachen basierende Script präsentiert eine Kette von Ungeheuerlichkeiten, die besonders in Zusamenhang mit einem sich selbst als freiheitlich preisenden Land empfindliche strukturelle Einbußen zeigt. Die Macht der Multis, ganz gleich, um welche es sich handelt, ist die größte im Staate. Unter ihnen beugt sich nicht nur die persönliche, sondern sogar die Pressefreiheit und die der freien Meinungsäußerung, wenn nur der ausgeübte Druck von einer ausreichenden monetären Kraft bestimmt wird. Mann liefert im Zuge einer erneut meisterlichen Inszenierung seine gewohnt präzise und scharfe Bildsprache dazu, macht hier bereits wesentlich häufiger als bislang üblich Gebrauch von der Handicam und stützt somit die allseitige Unruhe, die zunehmend die Handlungen des von Crowe beängstigend real wirkend verkörperten Wigand bestimmt. Pacino nimmt sich nach seiner etwas hyperaktiven Performance in "Heat" angenehm zurück. Außerdem muss diversen Nebendarstellern ein gesondertes Augenmerk zuteil werden: Ganz exzellent etwa Christopher Plummer und Bruce McGill, und für alte 80s-Aficionados gibt es einen aufgedunsenen, mittlerweile offenbar stark unter Hypertonie leidenden Wings Hauser in einem leider zu kurzen Auftritt als Teufelsadvokat.

9/10

Michael Mann Journalismus FBI Zigaretten


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HEAT (Michael Mann/ USA 1995)


"I don't know how to do anything else." - "Neither do I."

Heat ~ USA 1995
Directed By: Michael Mann


Lt. Vincent Hanna (Al Pacino) vom LAPD gilt als besonders verbissener Ermittler, worunter auch seine Ehe - bereits die dritte - stark zu leiden hat. Als er auf den Profiräuber Neil McCauley (Robert De Niro), Kopf einer straff organisierten Gang, aufmerksam wird, enspinnt sich zwischen den beiden sehr ähnlichen Männern ein Duell, dessen tosende Auswirkungen die Stadt bis in ihre Grundfesten erschüttern.

"Police & thieves in the streets..." falsettierte Junior Murvin in seinem berühmten, von Lee "Scratch" Perry produzierten Reggae-Dub-Klassiker von 1976 und lieferte damit eine eigentlich großartige, textliche Vorlage für Michael Manns opus magnum. Schade, dass das Stück im fertigen Film gar nicht zum Einsatz kommt, es hätte einen zentralen Platz verdient gehabt.
Dieses Remake seines eigenen, sechs Jahre älteren Fernsehfilms "L.A. Takeover" demonstriert wiederum Manns große Könnerschaft: Nicht nur, dass er sich rühmen konnte, die beiden italoamerikanischen Schauspiel-Giganten Pacino und De Niro gemeinsam auf die Leinwand gebracht zu haben, bleibt von "Heat" rückblickend vor allem seine allseitige Perfektion, das minutiöse Vermeiden von schwachen Momenten, ganz so, als sei es darum gegangen, ultimatives Kino zu erschaffen. Dabei steht der Titel des Films im Kontrast zu seinem Wesen. Das wäre nämlich besser mit "Cool" tituliert worden.
Was an "Heat" so gefällt, ist sein blindes Vertrauen in Bilder und Stimmungen; Worte, Dialoge, Verbales erscheinen fast unwichtig angesichts seiner alles überwältigenden Visualität. Auch hängt der Film noch deutlich an der Vordekade und führt vor Augen, dass Mann eigentlich ein ewiges Kind der Achtziger ist. Und was das Duell Pacino - De Niro anbelangt? Entscheidet nach meinem Dafürhalten klar zweiterer für sich. Nicht nur, dass McCauley durch seinen lauernden, schweigsamen und fast durchweg besonnenen, klar an klassischen Melville-Gestalten orientierter Charakter als klar Überlegener der Rivalen dasteht, geht mir Pacinos luzides, offensiv-bekokstes Gestikulieren und Fingergeschnippe zuweilen schon fast auf den Zeiger. Wenn, das Ende ist ja bekannt, in einer besseren Welt stets der Cop als Gewinner aus dem ewigen Spiel Gut gegen Böse hervorgehen muss, dann hätte ich mir zumindest dieses eine Mal eine schlechte herbeigewünscht. Wenn McCauley, die schöne Amy Brenneman an seiner Seite, am Ende doch noch die scharfe Kehre zugunsten seiner dummen Rache macht, rutscht mir jedesmal wieder das Herz in die Hose. Dieser... Idiot.

9/10

Los Angeles Michael Mann Remake Heist Duell


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OUT OF AFRICA (Sydney Pollack/USA 1985)


"I had a farm in Africa."

Out Of Africa (Jenseits von Afrika) ~ USA 1986
Directed By: Sydney Pollack


Im Jahre 1913 emigriegrt die abenteuerlustige Dänin Karen Dinesen (Meryl Streep) zusammen mit dem Lebemann Baron von Blixen (Klaus Maria Brandauer) nach Kenia, um ihn dort zu heiraten und mit ihm eine Manufaktur aufzuziehen. Das Leben in der Fremde erweist sich als gleichermaßen faszinierend und schwierig: Blixen überrumpelt Karen mit der Idee, eine Kaffeeplantage statt der geplanten Molkerei aufzuziehen und interessiert sich wesentlich mehr für Safaris und andere Frauen als für die Sesshaftwerdung. Später, die Folgen des Ersten Weltkriegs sind bis in Afrika spürbar, hängt er ihr als Folge seiner amourösen Abenteuer gar die Syphilis an. Dennoch verliebt sich die selbstbewusste Frau ungebrochen in Land, Leute und insbesondere in den Abenteurer Denys Finch-Hatton (Robert Redford).

Seit sage und schreibe viereinhalb Jahren der erste Film, den ich mir im Fernsehen angesehen habe (gerade nachgeschaut, der letzte war "Bad News Bears" im September 05 - auch dafür ist ein lückenlos geführtes FTB gut), und das noch dazu völlig ungeplant. Meine werte Frau Mutter, bei der ich gestern mittag gastierte, treuer Fan von Schmonzetten wie dieser, bestand kurzerhand auf der TV-Beschau und da ich eine Komplettbetrachtung von "Out Of Africa" bislang erfolgreich vermieden, dies jedoch zugleich stets als latente Bildungslücke erachtet hatte, fügte ich mich kurzentschlossen.
Und - was soll ich sagen - ich muss doch einräumen, dass Pollacks Frauenepos mich tatsächlich vereinnahmen konnte, zumindest für die Länge seiner immerhin stattlichen Spielzeit. "Out Of Africa" gibt ja noch immer ein treffliches Beispiel ab für den streng kalkulierten Oscar-Erfolg: Historizität, Biographisches, Meryl Streep (als starke und gebildete Frau selbstverständlich), epische Bilder, John-Barry-Musik. Ich lasse mich ja zugegebenermaßen manchmal ganz gern ein auf derlei kulturelle Bauernfängerei, so sie denn zumindest so gefällig-hübsch arrangiert ist wie in diesem Fall. Außerdem halte ich Brandauer für den verdammt noch mal größten lebenden österreichischen Schauspieler, Waltz hin oder her.

7/10

Biopic Plantage Kolonialismus Afrika WWI Sydney Pollack Historie Best Picture Großkatzen


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THE LAST OF THE MOHICANS (Michael Mann/USA 1992)


"No matter how long it takes, no matter how far, I will find you."

The Last Of The Mohicans (Der letzte Mohikaner) ~ USA 1992
Directed By: Michael Mann

Ostküste, 1757: Der französisch-indianische Krieg in den Kolonien befindet sich auf einem Höhepunkt. Die Engländer rufen die Grenzkolonisten auf, sich zu Milizen zusammenzuschließen und die Armee King Georges II zu unterstützen, darunter auch die Camerons, Freunde des Trappers Nathaniel Poe (Daniel Day-Lewis), genannt Hawkeye. Zusammen mit seinem indianischen Vater Chingachcook (Russell Means) und dessen Sohn Uncas (Eric Schweig) rettet Hawkeye, nachdem sie die Farm der Camerons dem Erdboden gleich vorgefunden haben, die beiden Offizierstöchter Cora (Madeleine Stowe) und Alice Munro (Jodhi May) vor dem rachsüchtigen, mit den Franzosen paktierenden Huronen Magua (Wes Studi), der um jeden Preis seinen Erzfeind Colonel Munro (Maurice Roëves) und dessen Familie tot sehen will. Obgleich Hawkeye Munro gegen die Franzosen beisteht, wird er von diesem der Aufwiegelung beschuldigt, da er den Siedlern rät, den Kampf aufzugeben und zu ihren Häusern zurückzukehren. Später, nachdem Munro sich der französischen Übermacht unter Général Montcalm (Patrice Chereau) gebeugt hat, gelingt Magua doch noch Coras und Alices Entführung, doch Hawkeye und seine Freunde schreiten erneut zur Rettung.

Eine weitere Adaption des legendären Cooper-Abenteuerromans "The Last Of The Mohicans", in dem der fabulierfreudige Autor die Geschichte seines Serienhelden, des von dem fiktiven Stamm der Mohikaner adoptierten Fallenstellers Hawkeye (eigentlich Natty Bumppo) fortschrieb. Mann orientierte sich wesentlich an dem bereits 1936 mit Randolph Scott verfilmten Balderston-Script. Dennoch nahm er auch gegenüber dieser Vorlage einige Änderungen vor, so verbendelte er Major Heyward (Steven Waddington) mit Cora Munro, obgleich dieser ursprünglich mit deren Schwester Alice liiert ist und verzichtete auf Coras tragisches Ende (dafür geht Alice in den Freitod). Zudem erweist sich der auteur hier erneut als Freund großer, bisweilen übermächtiger Stilisierung; manchmal überschreitet er dann auch ganz selbstsicher die Schwelle zum Kitsch, nämlich jeweils in den festlich zelebrierten Einstellungen, in denen Day-Lewis die Stowe, beide von windverwehtem Haar umkranzt, in seinen starken Armen hält und Richtung Westen blickt. Da wird's dann schlicht und ergreifend zuviel. Doch punktet "The Last Of The Mohicans" ebenfalls auf der Haben-Seite glücklicherweise nicht zu knapp: Die akribische Re-Kreierung des Zeitkolorits bereitet große Freude, die Inszenierung der Indianerkämpfe und Schlachten ist beispielhaft, die Bilder der satten, grünen Natur, verbunden mit ihrem unweigerlichen Öko-Symbolismus, hätten auch einen Terrence Malick befriedet. Ach, und der stoische Wes Studi ist toll, wie immer.

8/10

Siebenjähriger Krieg Lederstrumpf French-/Indian War Michael Mann J.F. Cooper Historie


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L.A. TAKEDOWN (Michael Mann/USA 1989)


"All I am is what I'm going after."

L.A. Takedown (Showdown In L.A.) ~ USA 1989
Directed By: Michael Mann


Der beinharte Cop Vincent Hanna (Scott Plank) wird auf eine straff organisierte Gang aufmerksam, die ihre minutiös geplanten Raubzüge in ganz L.A. abwickelt. Hannas beruflicher Fanatismus macht sich wiederum in seinem Privatleben bemerkbar. Derweil plant Patrick McLaren (Alex McArthur), der Kopf der Gangster, seinen letzten Coup durchzuziehen, um sich dann zur Ruhe setzen zu können. Da lernen sich die beiden Antagonisten per Zufall kennen...

Sechs Jahre vor "Heat" (demnächst in diesem Theater) entwickelte und realisierte Michael Mann bereits die Idee um zwei Widersacher auf entgegengesetzten Gesetzesseiten, die sich tatsächlich als sympathisch und ebenbürtig wahrnehmen und deren Duell daher umso tragischer wird. Die erste Variation entstand allerdings fürs Fernsehen und erweist sich schon aufgrund der korsettierten Lauflänge und der diversen anderen medialen Einschränkungen als dem großen Remake keinesfalls ebenbürtig. Dennoch lohnt "L.A. Takedown" den Blick, zumal als schicker Genrefilm seiner Zeit und insbesondere als jeweilige Zeitzeichen illustrierender Bestandteil der Mann'schen Filmographie. Diverse der ihm wichtigen, immer wieder bemühten Topoi werden hier gestriffen: Kriminelle Ehrenkodexe, professionelle Integrität, Freundschaft, Verrat. "Heat" brachte die formale Perfektion und trifft einige umwegsamere oder auch ganz andere Handlungsentscheidungen, im Großen und Ganzen aber bildet "L.A. Takedown" fraglos das entsprechende Saatgut. Dazu gibt's außerdem eine von Billy Idol eingesungene, flotte Coverversion von "L.A. Woman" (die sich in Wahrheit allerdings etwa ebensoweit vom Original bewegt wie der Film selbst von seiner Wiedererweckung).

7/10

Heist TV-Film Michael Mann Los Angeles Duell


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MANHUNTER (Michael Mann/USA 1986)


"Dream much... Will?"

Manhunter (Blutmond) ~ USA 1986
Directed By: Michael Mann


Um einen Serienmörder (Tom Noonan) zu fassen, der jeweils bei Vollmond ganze Familien abschlachtet und bereits zweimal zugeschlagen hat, reaktiviert der FBI-Beamte Jack Crawford (Dennis Farina) seinen ehemaligen Profiler Will Graham (William Petersen), der sich, nachdem ihn die Festsetzung des früheren Ziels Dr. Hannibal Lecktor (Brian Cox) beinahe Verstand und Leben gekostet hätte, im Ruhestand befindet. Graham nimmt zwecks Verhinderung weiterer Morde an und sieht sich erneut mit einem so brillanten wie gestörten Geist konfrontiert, der zudem in geheimem Informationsaustausch mit Grahams altem Widersacher Dr. Lecktor steht.

"Manhunter" gehört unbedingt in die Phalanx der repräsentativen Filme seines Jahrzehnts; von ästhetischer Warte aus betrachtet erzählt er mehr über seine Zeit und deren mentale Begleiterscheinungen als die meisten anderen um ihn herum entstandenen Kinostücke. Im Nachhinein wurde Manns Inszenierungsstil häufig als "kalt", "statisch" und "unnahbar" bezeichnet, was das Wesen seines Films freilich nur sehr unzureichend wiedergibt. Tatsächlich erreicht der Regisseur etwas, was seinen Zunftgenossen nur höchst selten gelingt: Die perfekte Fusion aus Oberfläche und Substanz nämlich, oder, metaphysisch-geschwollen formuliert, aus Materie und Geist. Um sein kriminalistisches Talent der Empathie voll zur Geltung zu bringen, muss Graham sich, und darin liegt zugleich die große Gefahr für ihn, völlig von sich selbst lösen und zunächst in eine gewaltige psychische Leere eintauchen. Dieser Prozess wird von Manns dp Dante Spinotti (der kurioserweise auch für die atmosphärisch ganz anders geartete Zweitverfilmung zuständig war) in brillante, in Verbindung mit den sphärischen Klängen unvergessliche Bilder gefasst. Der Film scheint angefüllt mit harten Formen und scharfen Kanten, die Innenarchitektur der von Dollarhyde entvölkerten, bereits für den Wiederverkauf renovierten Häuser wirkt stets genauso tot wie ihre vormaligen Bewohner. Eine schrecklich-logische, existenzielle Ordnung wohnt alldem inne, der Graham wiederum fast um seiner selbst Willen auf die Spur kommt. Dazwischen wirken Szenen wie etwa jene tolle mit Joan Allen und dem betäubten Tiger wiederum unglaublich vital.
All das ergibt ein in seiner Gesamtheit gleichsam morbides und auf seine ganz spezielle Weise bezaubernd schönes Werk von höchster Kunstfertigkeit.

10/10

Profiling Michael Mann Madness Hannibal Lecter Serienmord FBI Thomas Harris


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DEAD OF NIGHT (Basil Dearden, Alberto Cavalcanti, Robert Hamer, Charles Crichton/UK 1945)


"Just room for one inside, sir."

Dead Of Night (Traum ohne Ende) ~ UK 1945
Directed By: Basil Dearden/Alberto Cavalcanti/Robert Hamer/Charles Crichton


Der Architekt Walter Craig (Mervyn Johns) folgt einer Einladung aufs ländliche Gut der Familie Foley. Bereits als er dort ankommt, beschleicht ihn das unweigerliche Gefühl eines Déjà-vu, das sich kurz darauf zur bedrohlichen Gewissheit manifestiert: Genau dies ist das Szenario, das Craig allnächtlich in einem wiederkehrenden Albtraum verfolgt und von dem Craig nurmehr weiß, das es schrecklich endet. Im Salon der Foleys befinden sich sechs Personen, die angespornt von Walters Traumschilderung, jeweils eine Geschichte um ihnen widerfahrene, übernatürliche Ereignisse berichten: Ein Rennfahrer (Anthony Baird) entrinnt wegen einer Vision knapp dem Tode, ein junges Mädchen (Sally Ann Howes) begegnet dem Geist eines ermordeten Kindes, eine Dame (Googie Withers) schenkt ihrem Verlobten (Ralph Michael) einen von ihm Besitz ergreiffenden, verfluchten Spiegel, zwei Golfspieler (Basil Radford, Naunton Wayne) entscheiden ihre Rivalität um eine weibliches Begierdeobjekt (Peggy Bryan) per Rasenmatch übervorteiltem Rasenmatch, das in Selbstmord und Geisterspuk gipfelt, die Puppe eines Bauchredners (Michael Redgrave) entwickelt ein unheimliches Eigenleben.

"Dead Of Night" wird in den meisten Aufzählungen der großen klassischen Horrorfilme als der chronologisch letzte vor einer langen Pause genannt, die dann erst gegen Mitte der fünfziger Jahre ihr Ende fand. Der Grund dafür dürfte im Zweiten Weltkrieg zu finden sein, der bekanntermaßen auch eine kulturelle Schneise schlug und für das Publikum fordernde oder makabre Werke, darunter freilich das Horrorgenre, aufgrund der in der Realität gemachten Erfahrungen keinen Platz mehr ließ. Dieses Gemeinschaftsprojekt von vier englischen Regisseuren, deren Segmente auf Kurzgeschichten-Vorlagen beruhen, stellt insofern einen echten Genremarkstein dar, der sich aufgrund seiner zahlreichen Qualitäten umso prägnanter gestaltet. Nicht nur, dass "Dead Of Night" den wahrscheinlich den letzten denkwürdigen Episoden-Horrorfilm darstellte bis die Amicus den Faden wiederaufnehmen sollte, sein besonders in der Rahmenhandlung um George Craig illustriertes Spiel mit Realitätsbrüchen hinterlässt eine nach wie vor beunruhigende Wirkung. Hinzu kommen diverse gestalterische Aspekte, die sich wiederum besonders in den surrealen Momenten gegen Ende des Films als vorzüglich arrangiert erweisen.
Stets aufs Neue ein berückend schönes und geschlossenes Erlebnis.

9/10

Episodenfilm England Surrealismus Basil Dearden Alberto Cavalcanti Robert Hamer Charles Crichton Schwarze Komödie


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FLAMMEN & CITRONEN (Ole Christian Madsen/DK, D, CZ 2008)


Zitat entfällt.

Flammen & Citronen (Tage des Zorns) ~ DK/D/CZ 2008
Directed By: Ole Christian Madsen


Am 9. April 1940 wird Dänemark von deutschen Truppen besetzt. Doch regt sich auch dort bald der Widerstand: An vorderster Front kämpfen zwei Attentäter unter den Decknamen 'Flamme' (Thure Lindhardt) und 'Citron' (Mads Mikkelsen) gegen die Okkupanten. Dabei gehen sie im Zuge ihrer Aktionen zunehmend fanatisch und gewissenlos vor, was schließlich bei Citron zum Verlust der Familie und bei Flamme zu einer ins Neurotische abgleitenden Form des Misstrauens führt, besonders als dieser nicht mehr zur Gänze zu erkennen vermag, wem er noch vertrauen kann und wem nicht. Als Flamme es aus persönlichen Gründen mit dem Gestapochef Hoffmann (Christian Berkel) aufnimmt, ist sein Schicksal besiegelt. Vor Kriegsende kommen beide posthum zu Nationalhelden erklärten Widerständler ums Leben.

Mit dem klassischen, auf die besetzten Staaten bezogenen "Résistance"-Begriff bringt man als historischer Laie vor allem die französische Widerstandsbewegung in Verbindung, vielleicht noch die von England aus geleiteten Aktionen. Tatsächlich brachten jedoch auch andere Länder schlagkräftige Untergrundkämpfer hervor, darunter der skandinavische Raum und eben speziell Dänemark, wobei Flamme und Citron dort tatsächlich bis heute als Musterbeispiele für den antidiktatorischen Guerillakampf geführt werden. Madsens Film setzt ihnen ein Denkmal, begeht jedoch nicht den so verlockenden Fehler unkritischer Heldenverklärung. Seine beiden Titelfiguren entwickeln sich zu ausgebrannten Männern mit einem sich potenzierenden Hang zu gewissenloser Brutalität. Interessanterweise sind es hier, im Gegensatz zur üblichen filmischen Darstellung, weniger Gestapo und SS, die als Gräuelstifter charakterisiert werden als Flamme und Citron selbst. Ihre Hemmschwellen werden nach und nach geringer, ihre Machtdemonstrationen färben sich zunehmend persönlich. Schließlich klebt auch das Blut Unschuldiger an ihren Händen. "Flammen" & "Citronen" begibt sich somit auf einen durchaus ungewöhnlichen thetischen Pfad: Um das Böse im Namen humaner Gerechtigkeit effektiv bekämpfen zu können, muss man zuweilen selbst in Kauf nehmen, von der Licht- auf die Schattenseite zu wechseln.
Madsen inszeniert dabei bewusst an amerikanischen Vorbildern orientiert. Wenn seine Widerständler, gewandet in Trenchcoat und Stetson und bewaffnet mit Schmeisser und Thompson auf die Nazis feuern, könnte man sie glatt mit John Dillinger oder Pretty Boy Floyd verwechseln. Allerdings erweist sich dieses zunächst bizarr anmutende Gangster-Guerilla-Bild im Schulterschluss mit dem kritischen Beobachtungsvektor überraschenderweise als gar nicht mal unpassend.

7/10

Biopic Widerstand Nationalsozialismus Daenemark WWII period piece Ole Christian Madsen Historie


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LAKE PLACID (Steve Miner/USA 1999)


"It's impossible. Asia. How would he get here?" - "Obviously some asshole in Hong Kong flushed him down the toilet."

Lake Placid ~ USA 1999
Directed By: Steve Miner


Als ein Taucher von der Forstbehörde in einem namenlosen See (der ursprünglich Lake Placid getauft werden sollte, bis man feststellte, "dass der Name bereits vergeben" ist) in Maine in zwei Hälften zerrissen und in seinem Leib ein großer Reptilienzahn gefunden wird, sollen neben dem örtlichen Sheriff Keough (Brendan Gleeson) auch der Forstbeamte Jack Wells (Bill Pullman), die Paläontologin Kelly Scott (Bridget Fonda) und diverse Polizisten nach der Ursache für den Unfall fahnden. Zu der Gruppe gesellt sich noch der exzentrische Mythologieforscher und Krokodilexperte Hector Cyr (Oliver Platt). Tatsächlich entpuppt sich ein gigantisches Krokodil, das üblicherweise von einer älteren, am See wohnenden Dame (Betty White) mit frischen Rindern versorgt wird, als verantwortlich für den Tod des Tauchers. Nach weiteren Zwischenfällen ist man sich uneins, ob das Monster getötet oder gefangen werden soll, findet jedoch eine allseits befriedigende Lösung...

Herrliche Monsterkroko-Farce von Steve Miner, der gegen Ende der Neunziger eine Minirenaissance mit dem von Kevin Williamson gescripteten "Halloween"-Relaunch "H20" und dem vorliegenden Film erleben durfte, nachdem er in der Folge seiner ersten paar Genrefilme kurzzeitig im Sumpf der TV-Serials verschwunden war. Möglicherweise hat er dort aber auch etwas gelernt, denn sein in "Lake Placid" jederzeit spürbarer Enthusiasmus ist förmlich überwältigend. Der ganze Film kommt, rein strukturell betrachtet, unpassend fröhlich und aufgeweckt daher und wirkt im Kontrast zu seinen durchaus bedienten Gattungsmechanismen eher wie eine von lauter Charakterköpfen bevölkerte Screwball Comedy. Am Ende fügt sich das Ganze dann aber zu einem wunderbar experimentellen Unikat, das zudem reichhaltig die Zuschaueraugen belohnt mit gleißend bunten, von geradezu phantastischem Naturlicht bestrahlten Aufnahmen der kanadischen Wildnis. Tierhorror für cineastische Gourmets.
Außerdem gewinnt "Lake Placid" meinen persönlichen Preis für den am witzigsten eingeläuteten Abspann des Jahrzehnts: Nachdem der wunderhübsche und - natürlich - unvermeidliche und deshalb umso witzigere Abschluss-Cliffhanger mit Betty White abgespult ist, wird zu den Schlusscredits ein Truck eingeblendet, der das betäubte Zehn-Meter-Krokodil notdürftig zugedeckt und festgeschnallt über den Highway transportiert. Dazu läuft kein geringerer Song als Bob Marleys astronomisches "Is This Love". Olympiaklasse, sage ich da nur.

8/10

Tierhorror Monster Screwball Farce Krokodil Steve Miner





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