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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE LONELINESS OF THE LONG DISTANCE RUNNER (Tony Richardson/UK 1962)


"That's five bob up the spout."

The Loneliness Of the Long Distance Runner (Die Einsamkeit des Langstreckenläufers) ~ UK 1962
Directed By: Tony Richardson


Nachdem der aus einem Arbeiterviertel in Nottingham stammende Colin (Tom Courtenay) wegen Einbruchs in eine Bäckerei in den Borstal 'Ruxton Towers' verfachtet wurde, lernt er rasch, wie man sich dort die Sympathien der Direktion sichern kann; durch sportliche Leistung nämlich. Der Anstaltsleiter (Michael Redgrave) gibt sich vordergründig progressiv und liberal, ist tatsächlich aber primär am Gewinn von institutionellen Konkurrenzkämpfen zur Reputationssteigerungszwecken interessiert. Als er um Colins Qualitäten als Langstreckenläufer zu ahnen beginnt, glaubt er einen Gewinner auf seiner Seite. Doch die tief verwurzelte Rebellion gegen Autoritäten in Colins Herz bleibt stärker...

Richardsons Film gilt nicht nur als einer der wichtigsten Filme des British Free Cinema, sondern zudem als wegweisendes antiautoritäres Coming-of-Age-Drama. Ohne die Schilderung bahnbrechender Ereignisse oder Tragödien im Leben seiner Protagonisten zu zeigen bewerkstelligt es der Regisseur, die klassenkämpferische, juvenile Wut des betrogenen Arbeitersohns in den harten, kantigen Gesichtszügen Courtenays sicht- und spürbar zu machen und ihn schließlich, als er den für sich idealen Weg des passiven Widerstands entdeckt und eingeschlagen hat, sogar zum moralischen Sieger zu machen. Das Credo des Films, dass manchmal gerade das, was man vielleicht nicht von sich preiszugeben oder zu demonstrieren bereit ist, die wahren Qualitäten eines Individuums ausmachen kann, gehört zu den jenen umfassenden Weisheiten, die sich das Leben umweglos von der Leinwand abschauen sollte.
Brillant, exzellent, großartig, Meisterwerk und was weiß ich noch. Passt sowieso alles.

10/10

Working Class Independent Free Cinema Nottingham Coming of Age Borstal England Tony Richardson


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ROLLERCOASTER (James Goldstone/USA 1977)


"Do I have your full attention?" - "Screw you."

Rollercoaster (Achterbahn) ~ USA 1977
Directed By: James Goldstone


Ein offenbar geistesgestörter Verbrecher (Timothy Bottoms) installiert willkürlich kleine Bömbchen an Achterbahnen im Land, die die Wagons zum Entgleisen bringen und einige Todesopfer fordern. Soll er damit aufhören, muss die Vergnügungspark-Industrie eine Million springen lassen. Der Bauaufsichtsbeamte Harry Caulder (George Segal) und auch das FBI sind ratlos und haben der gewieften Raffinesse des Erpressers nichts entgegenzusetzen. Einzig Caulders Intuition ist es zu verdanken, dass der Gesuchte am Ende entdeckt und unschädlich gemacht werden kann.

Durchschnittliche Melange aus Thriller und Katastrophenfilm, wie es um diese Periode der einfallslosen Studio-Groß-Produktionen diverse gab. Sowohl das Plot-Arrangement als auch die Inszenierung bewegen sich kaum über dem Niveau einer beliebigen TV-Serien-Episode und einzig die kurzen Auftritte der Kino-Ikonen Henry Fonda und Richard Widmark verleihen "Rollercoaster" neben Lalo Schifrins wie stets ordentlicher Musik etwas aufwertenden Glanz. Wobei der ja immer sehr melancholisch wirkende Timothy Bottoms in einer Rolle als abgründiger Verrückter durchaus auch etwas für sich hat. Ansonsten bedient "Rollercoaster" einen verkaterten Sonntag hinreichend gut, bleibt inmitten der großen Irrsinnsspektakel jener Tage aber doch bloß eine Fußnote - mit einem Sonderpreis für den mit Abstand allerenervierendsten Filmsong des Jahrzehnts ("Big Boy" von Sparks). Und wer Steve Guttenberg und Craig Wasson findet, kann sie behalten oder sich bei mir 'ne Stange Zuckerwatte abholen.

5/10

James Goldstone Terrorismus


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THE REEF (Andrew Traucki/AU 2010)


"I'll stay."

The Reef ~ AU 2010
Directed By: Andrew Traucki


Für fünf junge Leute (Damian Walshe-Howling, Gyton Grantley, Adrienne Pickering, Zoe Naylor, Kieran Darcy-Smith) wird ein lustiger Bootstörn zu einer kleinen Insel vor der nordaustralischen Küste zu einer Reise in den Tod: Nachdem ihre Yacht gekentert ist, bewegen sich vier von ihnen schwimmend zum bereits zwölf Meilen entfernten Festland zurück, mitten durch das Jagdrevier eines weißen Hais, der schon die Serviette umgebunden hat...

Der vermutlich einzige, kombinierte Grund sich "The Reef" anzuschauen besteht in der notwendigen Vorliebe für 1.) Tierhorror- bzw. Haihorror-Filme und/oder 2.) maritime Terrorszenerien. Entsprechende Liebhaber werden sich wohlfeil unterhalten finden von Trauckis permanent kribbelig und unangenehm gehaltener Atmosphäre. Filmisch geriert sich "The Reef" als ein recht unverhohlen plagiierter Mix aus "Open Water" (von dem sogar das Kinoplakat schamlos geklaut wurde) und "Jaws 2" sowie all den anderen Hai-, Krokodil- und Sonstwas-Filmen der letzten Jahre, die die Belagerungs-, Einkesselungs- und Isolierungstaktiken der - wie man mittlerweile weiß - hochintelligenten Menschenfresser aus Mutter Naturs alter Hexenküche in der Regel recht spannend aufs Tapet brachten und bringen. Wer also sowohl mit dergleichen als auch mit mit vorsätzlich reduzierten Mitteln arrangierten Thrillern etwas anfangen kann, mag gern auch bei dem ansonsten ziemlich unoriginellen "The Reef" einen Blick riskieren. Alle anderen können's lassen und verpassen letzten Endes auch nicht viel.

6/10

Andrew Traucki Australien Hai Tierhorror Pazifik Seenot


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KING KONG (John Guillermin/USA 1976)


"Lights! Camera! Kong!"

King Kong ~ USA 1976
Directed By: John Guillermin


Der Paläontologe Jack Prescott (Jeff Bridges) schleicht sich als blinder Passagier auf einen Tanker der Firma Petrox, der von Surabaya aus Kurs auf eine bislang unentdeckte Insel im Indischen Ozean nimmt, unter der womöglich riesige Ölvorkommen lagern. Prescott interessiert sich jedoch mehr für den Wahrheitsgehalt der Sagen, die um die Insel kreisen und sich um einen gigantischen Tiergott drehen. Während der Fahrt nimmt die Schiffsbesatzung, der Jack sich mittlerweile zu erkennen gegeben hat, die schiffbrüchige Dwan (Jessica Lange) an Bord, ein junges Hollywood-Starlet. Auf der Insel angekommen findet die erste Landexpedition einen Eingeborenenstamm vor, der sich soeben auf eine bizarre Hochzeitszeremonie vorbereitet. In der folgenden Nacht wird Dwan entführt und zur Braut eines wie sich herausstellt haushohen Gorillas auserkoren. Nach einigen Abenteuern kann Dwan aus dessen Klauen befreit werden. Der raffgierige Petrox-Manager Wilson (Charles Grodin) fängt derweil das Monster ein und transportiert es als Schauattraktion nach New York, wo es ausbricht, ein Riesenchaos anrichtet und schließlich vom World Trade Center heruntergeschossen wird.

Guillermins respektive Dino De Laurentiis' erstes offizielles Remake des Ur-"King Kong" von 1933 hat es zeitlebens bei Publikum und Kritik nicht leicht gehabt. Allzu durchsichtig schienen die Spezialeffekte, die sich an den japanischen Kaijū orientierten und im Wesentlichen einen Rick Baker im Affenkostüm respektive dessen animatronische Riesenhand zeigten sowie Rückprojektionen, Modelllandschaften und den ganzen dazugehörigen Schnickschnack. Dann wird gern bemängelt, dass die überbordernde Phantasie, die eine im prähistorischer Zeit verharrende Insel zutage fördert, in der 76er-Version überhaupt nicht hinreichend berücksichtigt wird. Im Klartext: Es fehlt an Nebenmonstern. Lediglich eine Riesenschlange (möglicherweise dieselbe, die später in "Conan The Barbarian" zum Einsatz kommt) darf es für ein fix entschiedenes Kurzduell mit King Kong aufnehmen. Außerdem belächelte man die noch junge Jessica Lange und ihre exponiert-naive Interpretation des blonden Dummchens. Soviel zu den allerorten gemachten Vorwürfen, denen ich im Großen und Ganzen nichts entgegensetzen kann oder will. Dennoch bedeutet "King Kong" '76 für mich seit jeher sehr viel, ich habe ihn bereits als Kind sehr häufig gesehen und liebe noch heute viele Aspekte des Films, der in dieser Form nur 1976 entstehen konnte. Die Romanze zwischen Riesenaffe und Menschenfrau, die seltsam deutlich umschriebene Erotik zwischen ihnen, die die entsprechenden Motive des Originals mit deutlich gewichtigerer Darstellung herauskehren, funktioniert für mich noch immer tadellos. Herzzerreißend etwa die Szene, in der die Lange an Bord des Schiffes ihren duftigen Schal verliert, der dann in Kongs Verlies hineinweht, was ihn zu einer einzig durch die Intervention der Schönen wieder zu besänftigenden Weißglut treibt. Und dann natürlich das blutige Ende Kongs, das hier kommentarlos bleibt und wie eh und je zu hemmungslosem Weinen anstiftet. Dann war es stets die faktisch viel zu lange Exposition des Films, mit Bridges' beschwörenden Schauerfabeln und John Barrys absolut herrlicher Musik, die mir feuchte Hände bescherte, dazu die obligatorische Szene auf dem phallischen Baumstamm über der Schlucht und Grodins verdientes Ende.
"King Kong" liefert nachgerade nicht viel mehr als dickes, aufgebauschtes Plastikkino aus der Katastrophenfilm-Ecke, mit aufgesetzter Zivilisations- und Kapitaklismuskritik sowie einem modisch-schicken Kommentar zur damaligen Energiekrise. Für mich ist er jedoch viel mehr als bloß oberflächlicher Kunststoffkintopp, nämlich ein noch immer zum Träumen einladendes Stück konservierter Kindheit.

8/10

Monster John Guillermin Tierhorror King Kong New York Affen


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WALL STREET: MONEY NEVER SLEEPS (Oliver Stone/USA 2010)


"Why don't you start calling me Gordon?"

Wall Street: Money Never Sleeps (Wall Street - Geld schläft nicht) ~ USA 2010
Directed By: Oliver Stone


Sieben Jahre nachdem er aus einer langwierigen Haftstrafe wegen Wirtschaftskriminalität entlassen wurde, promotet der scheinbar geläuterte Ex-Börsenhai Gordon Gekko (Michael Douglas) sein Buch "Is Greed Good?". Derweil hat sich seine Tochter Winnie (Carey Mulligan) sich nach dem Drogentod ihres Bruders vollends von Gekko abgewand, ist ironischerweise nunmehr jedoch mit einem jungen Broker namens Jake Moore (Shia LaBoeuf) verlobt. Moore ist fasziniert von seinem ihm noch unbekannten Schwiegervater in spe und entschließt sich, sich ihm zu erkennen zu geben, zumal er einen Weg sucht, sich an dem Rezessions-Piranha Bretton James (Josh Brolin) zu rächen. Jener hat letzlich den durch Ruinierung verursachten Selbstmord von Moores Mentor (Frank Langella) zu verantworten und Moore hält Gekko für den richtigen Alliierten für seine kleine Privatvendetta. Zudem hat auch Gekko noch eine alte Rechnung mit James offen. Doch hat sich der frühere Groteskkapitalist wirklich in ein braves Lämmchen verwandelt...?

"Wall Street" muss wohl als einer der nomothetischen Filme seines Jahrzehnts gelten. Wie kein anderes popkulturelles Artefakt, mit Ausnahme von Ellis' "American Psycho" natürlich, öffnete Stones Film Tür und Tor zu der traurigen, seelenentledigten Welt der Yuppies, Geldscheffler, Gierhälse, Koksnasen und Armani-Träger; zum Kongress der Egomanen, zum Fegefeuer der Oberflächlichkeiten. Zwanzig Jahre später sehen die Dinge geflissentlich anders aus; die Ära eines Bud Fox scheint unwiederbringlich verloren und die Finanzwelt steuert mit Volldampf auf ihren Abgrund zu. Zeit für einen Oliver Stone, erneut Bilanz zu ziehen. Die großen Haie der Wall Street können es sich nun, in Zeiten des Internet und der globalen Informationsvernetzung nicht mehr leisten, ihren schäbigen Charaktere nach außen zu tragen und so geschieht alles hinter vorgehaltener Hand und unter dem Deckmäntelchen wöhltätigen Engagements. Dabei ist ein Mann wie Bretton James, der Goyas vielsagendes Schreckensgemälde "Saturn Devorando A Un Hijo" stolz zu seinem privaten Leitbild erklärt, wahrscheinlich noch viel unangenehmer und wesentlich böser als ein Bud Fox oder als ein Gordon Gekko gar: Familie hat er nicht, er geht rigoros über Leichen und, am Schlimmsten, ist nicht an der Herausforderung des "Spiels" interessiert, sondern allein an der Vergrößerung seines Reichtums.
Mit Stone ist wohl immer noch zu rechnen, denn sein Sequel glänzt vor formalem Stil und Schauspielkunst. Stone konnte David Byrne, der bereits die Songs für den Erstling komponiert hat, erneut für sich gewinnen, Charlie Sheen gibt sich die Ehre zu einem kurzen, bald selbstdenunzierendem Cameo, der steinalte Eli Wallach spielt quasi nochmal die selbe Rolle wie bereits vor zwanzig Jahren in Coppolas "The Godfather Part III". Und ich, ich war glücklich mit und nach dem Film. Zwar steht außer Frage, dass die Fortsetzung nicht am ikonischen Charakter des Originals kratzen kann, aber sie bietet mehr als ordentliches Kino. Und was zählt? Eben.

8/10

Sequel Oliver Stone Wall Street New York Hochfinanz Börse


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THE WOMAN IN THE WINDOW (Fritz Lang/USA 1944)


"The streets were dark with something more than night..."

The Woman In the Window (Gefährliche Begegnung) ~ USA 1944
Directed By: Fritz Lang


Nachdem der erfolgreiche Kriminalpsychologe Professor Wanley (Edward G. Robinson) seine Frau und Kinder in die Ferien geschickt hat, findet er sich kurzfristig als Strohwitwer wieder. Nach einem geselligen Abend in seinem Klub verharrt er vor dem Schaufensterporträt einer Kunstgallerie, das das Ölgemälde einer schönen jungen Frau zeigt. Urplötzlich steht das entsprechende Modell, Alice Reed (Joan Bennett), neben Wanley. Ein folgender, rein platonischer Besuch bei der Dame daheim endet tödlich: Ihr eifersüchtiger Liebhaber, der Großindustrielle Claude Mazard (Arthur Loft) stürmt das Appartement und kann nur notdürftig von Wanley überwältigt werden. Um sich gesellschaftlicher Ressentiments zu enthalten, entscheiden Wanley und Alice sich, die Leiche verschwinden zu lassen. Doch Wanleys Freund, der findige Staatsanwalt Lalor (Raymond Massey), ist den partners in crime bereits auf den Fersen. Hinzu kommt unerwartet ein finsterer Erpresser (Dan Duryea), der um die Tat weiß...

Meisterlicher Kriminalfilm von Lang, der wohl weitgehend der Strömung des film noir zugezählt werden kann. Gleichwohl "Woman In The Window" sich wie viele Filme Langs aus seiner Hollywood-Periode durch die atelier-geprägten set pieces kennzeichnet, macht der Regisseur sich ebenjene Artifizialität zunutze, um die, wie sich epilogisch manifestieren wird, narrativ bedingte Unwirklichkeit seiner Geschichte zu akzentuieren. Der stets besonnene, ausgeglichene Universitätsprofessor, von Robinson als totaler Gegenentwurf zu seinen ruppigen Gangsterbossen aus dem vorigen Jahrzehnt angelegt, findet sich urplötzlich und fast gänzlich unverschuldet in einer ihn gesellschaftlich unmöglich machenden Situation wieder. Dabei ist es weniger das moralisch höchst diffizile Moment des Totschlags an einem Menschen als vielmehr die Angst davor, infolge der Tat seine Position als geachteteter Bürger und Familienvater zu verlieren. Zumal alldies bloß das - oberflächlich unschuldige - Interesse an einer schönen, jungen Frau verschuldet. "The Woman In The Window" präsentiert neben seiner spannend erzählten Kriminalgeschichte folglich auch ein immens komplexes Geflecht von Schuld, Sühne, verbotenen Emotionen und ethischen Diskursen.
Das relativierende Ende ist übrigens einmal nicht einer Produzentenvorgabe zu verdanken sondern wurde von Lang selbst verbrieft so arrangiert.

9/10

Fritz Lang film noir femme fatale Nunnally Johnson Traum


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IL PORTIERE DI NOTTE (Liliana Cavani/I 1974)


"She was my little girl."

Il Portiere Di Notte (Der Nachtportier) ~ I 1974
Directed By: Liliana Cavani


Genau dreizehn Jahre nach ihrem Aufenthalt in einem deutschen KZ begegnet die Dirigentengattin Lucia (Charlotte Rampling) ihrem ehemaligen Hauptaufseher im Wiener "Hotel Zur Oper" wieder, dem SS-Offizier Max Aldorfer (Dirk Bogarde). Aldorfer arbeitet dort unerkannt als Nachtportier. Mit ihm verband Lucia einst eine zunächst von Todesangst und später von gegenseitiger, paraphiler Erotik geprägte Abhängigkeitsbeziehung. Als Lucia Aldorfer wiedererkennt, wandelt sich das Entsetzen des Moments rasch wieder in unstillbares Verlangen. Aldorfers frühere Mittäter (u.a Philippe Leroy, Gabrile Ferzetti), die sich unliebsamer Zeugen und Indizienbeweise ihrer früheren Gräuel im Regelfall rasch auf ihre Weise zu entledigen pflegen, gefällt diese sie im Höchstmaß gefährdende Romanze überhaupt nicht.

Emotional wie intellektuell höchst komplexe Studie einer eigentlich unmöglich scheinenden, aus der historischen Sekunde des vervollkommneten Grauens heraus geborenen Liebe. Todesmaschinist und Opfer entdecken angesichts ihrer jeweiligen Ausnahmesituation, was sie sich gegenseitig geben und nehmen können und entwickeln daraus nach und nach eine zunächst sprachlos machende, auf perverse Weise jedoch zugleich sinnstiftende Beziehung. Geboren aus tiefer Körperlichkeit heraus avanciert das unerwartete Wiedertreffen so nach einer anfänglichen Rekapitulation des Lagerschreckens zu einer nach normierten Maßstäben abseitigen Amour fou, die nach einer Phase des Aushungerns und Darbens schließlich ihre einzig mögliche Erfüllung findet.
Cavani findet für diese einst nicht ganz zu Unrecht mit skandalträchtigem Impetus rezipierte Romanze nicht nur verführerisch schöne, freilich dunkelbraune Bilder; sie schafft zugleich das vermeintlich Unmögliche: Verständnis für ihre beiden Protagonisten zu evozieren, eine Form der Empathie für sie zu schüren gar, und schließlich, als sie in ihren alten "Uniformen" den erwarteten, von außen herbeigeführten Freitod finden, ein winziges Moment der Rührung aufflammen zu lassen. Die Brücke der Komplizenschaft errichtet sich damit sogar bis vor die Leinwand. Beängstigend. Dass "Il Portiere Di Notte" dennoch nie in Sphären der Verworfenheit oder Geschmacklosigkeit abdriftet, verdankt der Film neben seiner inneren Brillanz auch dem grandiosen Doppel Bogarde-Rampling und seiner kaum fassbaren, intensiven Darbietung. Unvergesslich.

9/10

Wien Skandalfilm Liliana Cavani Konzentrationslager Mozart Nationalsozialismus Paraphilie Amour fou


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LADY IN WHITE (Frank LaLoggia/USA 1988)


"I won't harm you. Open the door!"

Lady In White (Die phantastische Reise ins Jenseits) ~ USA 1988
Directed By: Frank LaLoggia


Der erfolgreiche Gruselautor Frankie Scarlatti (Frank LaLoggia) erinnert sich an das prägende Erlebnis seiner Kindheit vor 25 Jahren: In dem verträumten Ostküstennest Willowpoint Falls treibt ein Kindermörder ein Unwesen, der bereits zehn Opfer auf dem Gewissen hat und bislang nicht gefasst werden konnte. Als Frankie (Lukas Haas) im Zuge eines Dumme-Jungen-Streichs am Vorabend von Halloween in der Klassengarderobe eingeschlossen wird, wird er Zeuge eines geisterhaften Schauspiels. Ein kleines Mädchen (Joelle Jacobi) wird ermordet und der höchst reale Täter vergreift sich hernach auch an Frankie, der jedoch rechtzeitig gerettet werden kann. Als Frankie herausfindet, um wen es sich bei dem Mädchen sowie bei einer die Klippen entlang weißen Geisterfrau (Karen Powell) handelt, ist es beinahe zu spät, denn auch der Mörder gibt sich unfreiwillig zu erkennen...

Nach der "Luzifer"-Pleite von neulich bin ich von diesem zweiten LaLoggia-Film regelrecht begeistert. All die Fehler und Anlasserprobleme seines Erstlings überantwortet der Regisseur und Autor mit "Lady In White" der Vergessenheit und schafft einen visuell überwältigenden, vor optischer Finesse aus allen Nähten platzenden Kleinstadt- und Kindheitsgruselfilm. Zwar mangelt es noch immer an inhaltlicher Ausgegorenheit, dafür ist LaLoggias Zweitling formal betrachtet deutlich konziser und überhaupt ein absolutes Gedicht. Zuweilen scheint es, als würde inmitten der gotisch angehauchten set pieces das dem Zeitkolorit geschuldete, alte Sechziger-Jahre-Technicolor wieder lebendig; die Herbstbäume leuchten vor azurblauem Himmel in knalligen Bonbon-Farben, der Nachthimmel funkelt wie eine Discokugel. Und die von LaLoggia selbst komponierte Musik mit all den Frauenchorälen und ihrem tonalen Bombast dürfte auch einen Danny Elfman mehr als zufriedenstellen. Darüber schert es sogar kaum, dass die offenbar autobiographisch gefärbte und insofern leicht übergebührlich stolz vorgetragene Story unwesentlich mehr bietet als ein romantisches Potpourri aus spielberg'schem Familienkonsens, "Poltergeist", "Ghost Story", "The Changeling", "Stand By Me" und der TV-Serie "The Wonder Years" (incl. Norbert Langer als Geschichtenerzähler in der deutschen Synchronfassung). Immerhin antizipiert "Lady In White" gewissermaßen auch spätere Genreklassiker von Burton bis Shyamalan. Somit lohnt sich der Film für jeden Freund des Genannten und wird mit seiner herrlichen Farbgebung vielleicht sogar Bava- und Argento-Fans berauschen. Mir jedenfalls ging es so. Und vielleicht sehe ich ja auch "Luzifer" beim nächsten Mal mit anderen Augen...

8/10

Frank LaLoggia period piece Kind Serienmord Familie Autor Geister


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LA GUERRA DEL FERRO - IRONMASTER (Umberto Lenzi/I, F 1983)


Zitat entfällt.

La Guerra Del Ferro - Ironmaster (Er - Stärker als Feuer und Eisen) ~ I/F 1983
Directed By: Umberto Lenzi


In grauer Vorzeit entdeckt der böse Urmensch Vood (George Eastman) nach einem Vulkanausbruch ein schwertgleich geformtes Stück Eisen. Mit der neuen Waffe verscheucht er seinen Nebenbuhler Ela (Sam Pasco) und führt künftig den Rest seines Stammes als Eroberer an. Ela freundet sich derweil mit der flotten Isa (Elvire Audray) an, deren Vater Mogo (William Berger) Häuptling eines pazifistisch lebenden Vegetarierstammes archaischer Hippies ist. Vood unterjocht auch Mogos Dorf und es kommt zum finalen Duell zwischen ihm und Ela.

Putziger Rip-Off-Mix nach "La Guerre Du Feu" und "Conan The Barbarian", wobei die Einflüsse von ersterem - der Originaltitel verrät es schon - deutlich überwiegen. Auch bei Lenzi geht es - attenzione, interpretazione - darum, dass die Annalen der schrittweisen Zivilisierung der Welt stets mit dem infolge der Entdeckung neuer Waffen vergossenen Blut geschrieben wurden. Der etwas doofe Held Ela wird dabei von einem leicht stieläugigen Bodybuilder namens Sam Pasco, welcher durchaus physiognomische Ähnlichkeiten mit einer gewissen "steirischen Eiche" aufweist, in dessen einzigem Filmauftritt verkörpert. Der wahre Jakob aber ist und bleibt natürlich Signore Montefiori, der mit seinem um den Kopf gewickelten Löwenfell aus dem Hause Steiff ungefähr so bescheuert aussieht wie selten, ohne den der Film jedoch auch nur halb so gut (oder schlecht, je nach Augenmaß) wäre.
Die meiste Freude fand Lenzi wohl daran, eine wo auch immer herstammende Bisonherde zu fotografieren, inmitten derer wahlweise Pasco oder Montefiori mit erhobenen Armen umherrennen und so tun als wären sie in höchster Lebensgefahr. Eine Gruppe Mammuts sieht bzw. hört man ganz zu Beginn nur in der Ferne trompeten. Wohl auch besser so, denn die Tierchen wirken auch so schon ziemlich traurig animiert. Dann hat es noch eine Horde Affenmenschen, einige lepröse Zombies, ein paar schicke matte paintings und einen satten, zufriedenen Löwen in einer Doppelrolle. Dass man aus solchen Ingredienzien große Kinokirmes für Gummigourmets machen kann, führt uns Lenzi in einem Film vor, der den Niedergang des italienischen Plagiatfilmens wenn schon nicht einläutet, so doch offenkundig macht.

4/10

Trash Umberto Lenzi Europloitation Vorzeit


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QUELLI DELLA CALIBRO 38 (Massimo Dallamano/I 1976)


Zitat entfällt.

Quelli Della Calibro 38 (Kaliber 38 - Genau zwischen die Augen) ~ I 1976
Directed By: Massimo Dallamano

Der Turiner Inspector Vanni (Marcel Bozzuffi) muss erst seine Frau durch einen Racheanschlag des Killers Marseille (Ivan Rassimov) verlieren, bevor ihm der Polizeipräsident die langerbetene Einrichtung einer Spezialeinheit gestattet. Als diese, auf den subtilen Namen "Kaliber 38" hörend, von Vanni installiert und trainiert wird, meldet sich auch der zwischenzeitlich untergetauchte Marseille wieder zu Bord. Mit einer Serie von Bombenanschlägen will er die Stadtoberen zur Zahlung einer hohen Lösegeldsumme zwingen - Vanni, der im entscheidenden Moment von dem Fall abgezogen werden soll, lässt sich das nicht gefallen.

Dallamanos letzter Film, bevor noch er im selben Jahr an den Folgen eines Autounfalls starb - ein Unglücksfall auch und insbesondere für das italienische Genrekino. "Calibro 38" per esempio ist mit deutlich mehr Sorgfalt und Könnerschaft im Nacken entstanden als viele andere Vertreter des Poliziottesco. Mit dem bärbeißigen Bozzuffi, der im internationalen Kino sonst vornehmlich als Bösewicht benutzt wurde und seine wohl ekligste Rolle in Costa-Gavras' "Z" zu verzeichnen hat, ist hier ausnahmsweise ein durchaus glaubwürdiger Held am Abzug, den südländischen Schönlingen von Testi über Gasparri bis hin zu Merli ziemlich über. Ivan Rassimov als sein Gegenspieler entledigt sich mit kalter Brutalität jeden Hindernisses, was ja wiederum recht gut zu seinem vorveranschlagten Profil passt. Dazu gibt es knallige Action und Ballereien, eine sehr fiese Szene mit 'ner Autotür und einen gar wunderbaren Score von Stelvio Cipriani.

8/10

Turin Poliziottesco Massimo Dallamano Terrorismus





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