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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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TARZAN FINDS A SON! (Richard Thorpe/USA 1939)


"Go!"

Tarzan Finds A Son! (Tarzan und sein Sohn) ~ USA 1939
Directed By: Richard Thorpe

Tarzan (Johnny Weissmuller) und Jane (Maureen O'Sullivan) ziehen ein von ihren Schimpansenfreunden aus einem abgestürzten Flugzeug geborgenes Findlingsbaby groß. Mit sechs Jahren ist aus "Boy" (Johnny Sheffield) bereits ein stattlicher Bursche geworden, der genau wie sein Ziehvater keine Angst kennt und jeder Urwaldgefahr spöttisch ins Gesicht lacht. Doch ewig schleichen die Erben: Boys englische Verwandte geben die Suche nach dem Erben des Familienvermögens derer von Greystoke nämlich nicht auf und stoßen irgendwann bis zu der kleinen Patchwork-Familie im tiefsten Dschungel vor. Tarzan, der die unangenehmen Charaktereigenschaften zivilisierter Weißer zur Genüge kennt, wird sogleich misstrauisch. Und zu Recht: Austin Lancing (Ian Hunter) und Etepetete-Gattin (Frieda Inescort) wollen als finanzielle Vormünder für den kleinen Mann ordentlich Penunze abschöpfen und gehen dafür sogar über Leichen.

Die "wilde Ehe" weitet sich aus: Zur ordentlichen funktionalen Familie gehört natürlich auch ein Stammhalter, der aber eben leider nicht auf den Bäumen wächst und auch nicht vom Klapperstrauß gebracht wird. In Zentralafrika landet sowas als Waise und per abgestürzten Flugzeug. Plötzlich findet in "Tarzan Finds A Son!" auch der Familienname 'Greystoke' Erwähnung, dem fachkundigen Kenner als englisches Adelsgeschlecht geläufig, dem laut E.R. Burroughs' Vorlage eigentlich Tarzan selbst entstammt. Und der putzige Boy, dessen Prä-Stimmbruch-Dschungelschrei etwas kieksig daherkommt, bringt, kaum dass er richtig (und vor allem deutlich besser als sein lernfauler Adoptivpapa, der selbst nach so vielen Jahren Zusammenleben mit seiner Jane immer noch reine Imperativsätze absondert) sprechen gelernt hat, die traute Dschungelharmonie zum Wackeln: Jane, bei aller zivilsatorischen Vorbildung naiv wie Süßstuten, verrät sogar ihren Geliebten: Sie lässt ihn in einer tiefen Schlucht sitzen, damit die Fremdlinge Boy problemlos mitnehmen können. Erst danach erkennt die Gute das wahre Antlitz ihrer Gäste; denen stehen nämlich längst die Dollarzeichen in den Augen.
Es wird viel recycelt aus den Vorgängerfilmen, aber das kennt man nun. Cheetah vollzieht den immergleichen Standsalto und auch Nashörner, Löwen und Flusspferde komen einem mitunter seltsam vertraut vor. Aber das gehört wie erwähnt zum Konzpt der Reihe und muss nicht weiter bemängelt werden. Bleibt alles anders.

7/10

Tarzan Richard Thorpe Afrika Sequel Familie


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TARZAN ESCAPES (Richard Thorpe/USA 1936)


"Food? Clothes? Money?"

Tarzan Escapes (Tarzans Rache) ~ USA 1936
Directed By: Richard Thorpe

Um ihr ihren just zugesprochenen Erbteil zu offenbaren, reisen Janes (Maureen O'Sullivan) Cousine Rita (Benita Hume) und Cousin Eric (William Henry) zum Mutia-Berg, auf den sie von dem undurchsichtigen Aussteiger und Tierfänger Captain Fry (John Buckler) geführt werden. Tarzan (Johnny Weissmuller) reagiert auf die Nachricht, dass seine Jane - wenn auch nur befristet - in die Zivilisation zurückkehren soll, traurig und unverständig. Zudem entpuppt sich Fry als echter Halunke - er will nämlich den Dschungelkönig einfangen und als exotische Attraktion nach England verscherbeln.

Immer, wenn Weiße auftauchen, gerät das urweltliche Idyll in Gefahr: Die "Tarzan"-Reihe entdeckt peu-à-peu ihre zivilisationskritischen Ausläufer. Nachdem er bereits mehrfach schlechte Erfahrungen mit der Gier der weißhäutigen Tropenhelmträger gemacht hat, ist Tarzan zu Recht misstrauisch, als das Gefolge um Rita und Eric bei seinem und Janes mittlerweile schmuck herausgeputztem Dschungel-Appartment aufkreuzt. Dabei sind eigentlich alle bis auf den schurkischen Captain Fry ganz nett. Der trottelige Rawlins (Herbert Mundlin) etwa, ein dümmlicher, aber herzensguter Patron, bringt mit seiner tolpatschigen Art sogar Cheetah zum Lachen. Am Ende jedoch stehen Habgier und Gewissenlosigkeit einmal mehr kurz vor ihrem Triumph, als Tarzan mithilfe seiner tierischen Freunde doich noch den Tag retten und Fry seiner gerechten Strafe zuführen kann: Der Unselige versinkt symbolträchtig im Morast und wird von den dort hausenden Leguanen vertilgt. Jane darf natürlich im Urwald bleiben und Rita und Eric sind um eine wichtige Lebenserfahrung reicher: Materielle Güter sind zwar schön, aber nicht existenziell.
Von der in "Tarzan And His Mate" kultivierten, hitzigen Zeigefreudigkeit ist leider nicht mehr viel übrig. Maureen O'Sullivan trägt jetzt einen züchtigen Ganzkörper-Schurz, der weder Bein noch Hüfte noch Bauch zu Bewunderungszwecken durchblitzen lässt. Kurz vor einer dräuenden Liebesszene zwischen den im doppelten Wortsinne 'wilden Eheleuten' wird züchtig weggeschwenkt. Überhaupt zeigt sich Vieles deutlich familienfreundlicher: Keine Massaker von und an Löwen mehr; die Eingeborenenstämme wirken um Einiges weniger blutgierig und damit einhergehend ungefährlicher. Der moralische Überbau indes präsentiert sich zunehmend griffig, um nicht zu sagen: simplifiziert. Das ist dann in etwa schon der klassische Film-Tarzan, wie er im kulturellen Gedächtnis verankert ist.

7/10

Richard Thorpe Tarzan Afrika John Farrow James C. McKay George B. Seitz William A. Wellman


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TARZAN AND HIS MATE (Cedric Gibbons/USA 1934)


"Good morning, I love you."

Tarzan And His Mate (Tarzans Vergeltung) ~ USA 1934
Directed By: Cedric Gibbons

Zusammen mit seinem alten Kumpel Arlington (Paul Cavanagh) startet Harry Holt (Neil Hamilton) eine neuerliche Safari zum Elefantenfriedhof jenseits des Mutia-Felsens. Er hofft zugleich, seine heimliche Liebe Jane (Maureen O'Sullivan) dort wiederzufinden, die mittlerweile seit über einem Jahr fern der Zivilisation mit ihrem Tarzan (Johnny Weissmuller) lebt. Um diverse eingeborene Boys dezimiert erreichen Arlington und Holt schließlich das Dschungelpaar. Leider entscheidet sich Tarzan gegen eine Wegweisung zum Elefantenfriedhof als er erfährt, dass Holt und Arlington die Kultstätte entweihen wollen, indem sie die Stoßzähne mitnehmen. Arlington ist jedoch zu gierig, als dass er so kurz vorm Ziel aufzugeben bereit ist und schießt Tarzan hinterrücks nieder. Dieser kommt gerade noch zur rechten Zeit, als Arlington, Holt und Jane in eine Falle eingeborener Kopfjäger geraten, die ihre Feinde am Liebsten den Löwen zum Fraß vorwerfen...

Echtes Sleazekino alleroriginärster Machart mitsamt zermatschten Gesichtern von Eingeborenenopfern und einem splitternackten Maureen O'Sullivan-Body-Double auf Tauchtour. Das Hays Office für Anstand und Sitte stieg seinerzeit auf die Barrikaden und "Tarzan And His Mate" wurde zu einem der Auslöser für den im selben Jahr eingeführten Production Code. Hundsföttische Zivilisationssnobs, stets erkennbar durch Tropenhelm, kniehohe Socken, Pfeife und spitzen Schnauzbart, schlaue Schimpansen, eherne Elefanten, lüsterne Löwen - alles drin! Und Jane kultiviert ihren persönlichen Dschungeljodler, der etwas, nun ja, gewöhnungsbedürftig daherkommt.
Die herrlich beknackten Affenkostüme gibt es auch hier wieder zu bestaunen, derweil der Titelheld gegen eine Vielzahl tödlicher Urwaldbewohner antritt, darunter ein tolles, freilich erkennbar unechtes Riesenkrokodil, das sich durchs Wasser schraubt wie ein unerbittlicher Drillbohrer etc. Man kann davon ausgehen, dass die Rückprojektionen Abschüsse echter Löwen zeigen, gestellt sind die entsprechenden Einstellungen jedenfalls nicht. Soweit, so gut - "Tarzan And His Mate" ist deutlich actionlastiger, auregender und vor allem Aufsehen erregender als sein Vorgänger, macht eine Höllenlaune und ist als früher Exploiter für den enbtsprechenden Chronisten von unschätzbarem Wert. Zudem der wahrscheinlich beste Weissmuller-"Tarzan", weil so bestechend aufrichtig bezüglich seines Sujets.

9/10

Tarzan Afrika Affen Kolonialismus Cedric Gibbons Jack Conway James C. McKay Exploitation


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TARZAN THE APE MAN (W.S. Van Dyke/USA 1932)


"Tarzan... Jane."

Tarzan The Ape Man (Tarzan, der Herr des Urwalds) ~ USA 1932
Directed By: W.S. Van Dyke

Der Großwildjäger James Parker (C. Aubrey Smith) und sein Kompagnon Harry Holt (Neil Hamilton) suchen in Zentralafrika nach einem legendären Elefantenfriedhof, um die dort lagernden Elfenbeinvorräte für sich abschöpfen zu können. Begleitet werden sie von Parkers soeben angekommener Tochter Jane (Maureen O'Sullivan). Um zu ihrem Ziel zu gelangen, müssen die Schatzsucher die gigantische Mutia-Wand, auch "Mauer des Schweigens" genannt, überwinden und gegen mörderische Eingeborenenstämme kämpfen. Im Dschungel begegnen sie Tarzan (Johnny Weissmuller), einem bei den Affen aufgewachsenen Weißen, der ihnen im Kampf gegen zwergenwüchsige Kannibalen und einen Riesenaffen beisteht. Jane verliebt sich in den Wilden Muskelmann und bleibt mit ihm im Urwald zurück.

Hundert Jahre Tarzan im Print, achtzig Jahre Tarzan bei MGM - ein vortrefflicher Anlass zur neuerlichen Bilanzierung des erfolgreichen und aus dem abendländischen Pop nicht mehr wegzudenkenden Weissmuller-Serials, zugleich ein Triumph der Vulgärkultur. Auf den Tag genau heute vor einem Centennium erschien Edgar Rice Burroughs' erste "Tarzan"-Kurzgeschichte im All Story Magazine, einem legendären New Yorker Pulp-Journal. Bald darauf kam die erste Filmadaption mit dem noch etwas klobigen Elmo Lincoln; genau zwanzig Jahre nach Tarzans literarischem Debüt startete das Löwenstudio sein Kino-Franchise - lautes Primatengebrüll in schönsten Tonlagen inklusive. Der erste "Tazan"-Film mit dem ungarischstämmigen Ex-Olympia-Schwimmer Johnny Weissmuller gab noch einen feuchten Kehrricht auf politische Korrektheit:; vielmehr steht er ganz im zeitgenössischen Chic putziger imperialistisch-rassistischer Herrenmenschen-Fantasien. Da diese sich durch ihr einfältiges Selbsverständnis vollkommen autark ad absurdum führen, braucht man darüber nunmehr nicht zu diskutieren. Das Lokalkolorit wird über sagenhafte Rückprojektionen veräußert, deren fehlende Authentizität schon damaligen Kinogängern aufgefallen sein dürfte (und die eine längere Tradition in der Filmreihe begründeten und zu einer Art trademark avancierten), ansonsten stapfen die Darsteller durch irgendwelche Fünf-Quadratmeter-Kulissen oder den Tümpel hinterm Atelier. Ganz wild wird es dann angesichts der stupenden Affenkostüme, die allen Ernstes echte Schimpansen markieren sollen (wirkliche Schimpansen werden im Film ausschließlich als Baby-Äffchen verkauft). Den Vogel schießt dann der bei den Zwergeingeborenen hausende Riesenaffe ab. Grandios.
Dem gegenüber stehen ein paar noch immer waghalsig aussehende Kampfnummern mit echten Tieren, für deren Aufnahmen heute wohl keine Versicherungsgesellschaft mehr gerade stünde. Die atemberaubende Maureen O'Sullivan brachte derweil eine gehörige Portion Sex mit ein, die man ihr angesichts des animalischen Habitus ihres stets glattrasierten und frischgefönten Dschungelmannes nur allzu gern abzunehmen bereit ist.
Tarzan, unser Dschungelheld, der niemals auf die Schnauze fällt.

7/10

Tarzan Afrika Affen W.S. Van Dyke Kolonialismus


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TIAN XIA DI YI QUAN (Cheng Chang Ho/HK 1972)


Zitat entfällt.

Tian Xia Di Yi Quan (Zhao - Der Unbesiegbare) ~ Hong Kong 1972
Directed By: Cheng Chang Ho

Der Boxkämpfer Chi-Hao Chao (Lo Lieh) soll als Repräsentant der Kampfsportschule des Meisters Hsin-Pei Sun (Mien Fang Mien) an einem Turnier teilnehmen, dessen Sieger vor allem für das Renommee seiner jeweiligen Schule von enormem Wert ist. Zunächst wird Chi-Hao auf Herz und Nieren geprüft, erweist sich dann jedoch als einzig wahrer Vertreter für Hsin-Pei, ganz zum Leidwesen von Chi-Haos eifersüchtigem Konkurrenten Han-Lung (James Nam), der Chi-Hao an die Erzgegner aus der Schule des rücksichtslosen Tung-Shun Meng (Tien Feng) verrät. Man überfällt Chi-Hao, bricht ihm seine Finger und Hände. Dennoch rappelt der zunächst Verzweifelte sich wieder hoch und lernt autodidaktisch die Technik der "Eisernen Faust", die ihn praktisch unbesiegbar macht.

"Tian Xia Di Yi Quan" war einer der ersten HK-Filme, die auch in okzidentalen Breiten enorme kommerzielle Erfolge verbuchen konnten und dem Kino der Shaw Brothers zu ihrem globalen Siegeszug verhalfen. Dazu trugen vornehmlich einige besonders einprägsame Szenen bei, wie die, in der der Verräter Han Lung den Lohn für seine Charakterschwäche erntet: Er wird von Mengs Sohn (Chan Shen) geblendet, indem dieser ihm kurzerhand die Augäpfel aus dem Schädel pflückt. Als Chi-Hao später die "Iron-Palm"-Technik erlernt, fangen bei inniger Konzentration seine Hände orangefarben zu glühen klan und es erklingt das hektische "Ironside"-Thema. Gerade diese kleinen, aber unvergesslichen Leitmotive dürften es sein, die Hos Film gegenüber der zeitgenössischen Konkurrenz insbesondere durch Bruce Lee einen festen Platz im klassischen Martial-Arts-Genre verschafft haben. Von der edlen Motivation des jungfräulich-unbefleckten und moralisch durch nichts korrumpierbaren Titelhelden Lo Lieh war man derweil im unter der Schirmherrschaft des Spaghetti-Western und New Hollywood stehenden Westen vermutlich eher ungerührt. So ist "Tian Xia Di Yi Quan" von einem einnehmend naiven ethischen Überbau geprägt, der ihn auch heute noch besonders für jüngere Zuschauer zu einem nachhaltigen Erlebnis machen dürfte.

8/10

Shaw Bros. Hong Kong China Martial Arts Cheng Chang Ho Rache


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CHEYENNE (Raoul Walsh/USA 1947)


"Cheyenne or Carson City - you decide."

Cheyenne (Schmutzige Dollars) ~ USA 1947
Directed By: Raoul Walsh

Nicht ganz freiwillig wird der Spieler James Wylie (Dennis Morgan) von der Pinkerton-Agentur als Juniormitarbeiter angeheuert: Er soll einem bis dato gesichtslosen Postkutschenräuber genannt "Der Poet" auf die Schliche kommen, der passend zu seinen Verbrechen stets einen frechen schriftlichen Vers hinterlässt und sich gegenwärtig mutmaßlich im Grenzstädtchen Cheyenne aufhält. Bereits auf der Fahrt dorthin lernt Wylie die beiden Damen Ann Kincaid (Jane Wyman) und Emily Carson (Janis Paige) kennen. Zudem wird man von der Bande von Sundance Kid (Arthur Kennedy) ausgenommen, der seinerseits gern eine Partnerschaft mit dem Poeten eingänge. Derweil ist Wylie dem Gesuchten bereits näher als vermutet - denn Ann ist dessen Gattin...

Kleiner Makulaturwestern vom Regie-Tausendsassa Walsh mit der üblichen fachmännischen Hand, jedoch ohne große Ambition und Leidenschaft inszeniert. Die späten Vierziger waren von wenigen Ausnahmen abgesehen ohnehin keine besonders reichhaltige Zeit für das Genre, das während dieser Phase eher von kleineren Studios wie Republic oder eben in Form von günstig produzierten Abschreibungsobjekten bei RKO oder, wie im Falle "Cheyenne", von Warner befeuert wurde, die dann auch gern im Doppelpack gezeigt wurden. Walsh ist jedoch erwartungsgemäß kein Vorwurf zu machen, der holt das Beste aus seinen Maßgaben heraus. Dennis Morgan in der Hauptrolle wirkt wie eine in jeder Hinsicht miniaturisierte Version des Duke, wozu auch eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit beiträgt. So sind es vor allem die Schurken Arthur Kennedy und Bruce Bennett, die "Cheyenne" Leben einhauchen.

7/10

Raoul Walsh Wyoming Duell


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RAY (Taylor Hackford/USA 2004)


"Don't jive me, man."

Ray ~ USA 2004
Directed By: Taylor Hackford

Der bereits in früher Kindheit erblindete Ray Charles Robinson (Jamie Foxx) lernt rasch, sich auf eigene Faust durchs Leben zu beißen und anderen gegenüber ein gesundes Misstrauen zu wahren. Als virtuoser Pianist und Musiker, der verschiedenste Stile wie Blues, Gospel, Soul, Country & Western vermengt und daraus einen ganz speziellen Sound kreiert, ist Ray Charles, wie er sich nunmehr nennt, um Verwechslungen mit dem schwarzen Boxer Sugar Ray Robinson vorzubeugen, so erfolgreich wie kaum ein Zweiter. Dennoch ist er über viele Jahre hinweg heroinsüchtig, betrügt seine Frau Della (Kerry Washington) und kämpft mit tiefverankerten Neurosen.

Eine der mustergültigen Musiker-Spielfilmbiographien der letzten Jahre, zusammen mit "Walk The Line" vermutlich sogar an deren Spitze. Hier wie dort wird das wechselvolle Leben eines ebenso widersprüchlichen wie genialen Künstlers, der für seine jeweilige Art von Musik als unantastbare Ikone gilt, in einer speziellen Mischung aus tiefer Bewunderung, Ehrerbietung und Schonungslosigkeit dargelegt. Taylor Hackford, der die Rechte an einem Biopic über Ray Charles bereits seit 1987 in der Hinterhand hatte, wiedervereint dabei - Zufall oder nicht - nach fast zehn Jahren allein vier Darsteller des Ensembles aus "Dead Presidents" von den Hughes Brothers und findet mit Jamie Foxx einen Interpreten für Ray Charles, der eine fast beängstigende Metamorphose durchlebt. Eine solche Verschmelzung von realer Person und Darsteller dürfte einen Sonderfall markieren. Doch auch Hackfords inszenatorische Einfälle sind von großer Kraft. Rays Kindheitserinnerungen an jene Tage in Georgia, als er noch sehen konnte, werden mit kräftigen Farben akzentuiert, einführende Stadtbilder werden als zeitgenössische Super-8-Aufnahmen dargestellt. Schließlich bekommt "Trainspotting" ernsthafte Konkurrenz in seiner filmischen Präsentation eines kalten Heroinentzugs. Man kann nur mutmaßen, welche Visionen sich vor den Augen eines blinden Mannes unter Nadelentwöhnung abspielen, aber Hackfords diesbezügiche Bilder erreichen da schon eine recht eingängige Qualität.

9/10

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NIGHT ON EARTH (Jim Jarmusch/USA, F, D, UK, J 1991)


"Fuck you, fuck you... nette Familie."

Night On Earth ~ USA/F/D/UK/J 1991
Directed By: Jim Jarmusch

Zur gleichen Abend- bzw. Nachtstunde fahren fünf TaxifahrerInnen einen besonderen Fahrgast durch ihre jeweilige Weltmetropole: Die rustikale Corky (Winona Ryder) transportiert die Casting-Agentin Victoria (Gena Rowlands) in L.A., der ostdeutsche Exilant Helmut (Armin Mueller-Stahl) fährt in New York den aufgdrehten Yoyo (Giancarlo Esposito) bzw. lässt sich von ihm fahren, in Paris sitzt eine hübsche blinde Frau (Béatrice Dalle) im Taxi eines Elfenbeinküste-Auswanderers (Isaach De Bankolé), in Rom quatscht ein hyperaktiver Fahrer (Roberto Benigni) mit einer umfassenden Beichte über sein leicht perverses libidinöses Geheimleben einen Priester (Paolo Bonacelli) zu Tode und in Helsinki lehrt der traurige Mika (Matti Pellonpää) drei jammernde Fahrgäste (Kari Väänänen, Sakari Kuosmanen, Tomi Salmela), was wahrer Lebensschmerz ist.

Jarmuschs in meinen Augen schönster Film schildert in fünf Episoden, die man wohl treffend als 'city-wise' bezeichnen möchte, ein paar von zig Milliarden Einzelschicksalen, zufällige Begegnungen, große Lernprozesse, mögliche Freundschaften und schlicht und einfach Absurdes. Es wird massig gequalmt und geredet und so, wie jede Geschichte sich von ihrem Grad an emotionaler Involvierung, an Poesie, Humor oder Traurigkeit von den anderen abhebt, so rund ist am Ende auch der Gesamteindruck, eine Zeitrafferreise mit Beamtransport über den halben Globus und dabei eine ganz andere Form von filmischer Observierung, nämlich waschechten Seelenvoyeurismus, absolviert zu haben.

10/10

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MYSTERY TRAIN (Jim Jarmusch/USA, J 1989)


"Don't call me Elvis!"

Mystery Train ~ USA/J 1989
Directed By: Jim Jarmusch

Drei sich in einer Nacht abspielende Episoden ranken sich um das Arcade Hotel in Memphis, Tennessee: Das aus Yokohama stammende Teenage-Rockabilly-Pärchen Jun (Masatoshi Nagase) und Mitsuko (Youki Kudoh) tourt durch die Staaten, um sich die Lebens- und Wirkungsstätten der großen Rock'n'Roll-Musiker anzusehen. Dazu gehören natürlich auch Graceland und das Sun Studio, sowie eine Nacht im Arcade mitsamt dem elften Beischlaf der beiden.
Die frisch verwitwete Luisa (Nicoletta Braschi) will ihren toten Gatten in die alte Heimat zurückeskortieren und verbringt die Nacht zuvor im Arcade. Dabei begegnen ihr die just von ihrem Freund Johnny (Joe Strummer) getrennte Dee-Dee (Elizabeth Bracco) und der Geist von Elvis (Stephen Jones).
Der verlassene Johnny hat nicht nur seine Freundin, sondern auch seinen Job eingebüßt und säuft sich bis obenhin zu. Zusammen mit seinem Kumpel Will (Rick Aviles) und Dee-Dees Bruder Charlie (Steve Buscemi) landet er nach einer nächtlichen Fluchtfahrt durch Memphis infolge der Verwundung eines rassistischen Schnapsverkäufers (Rockets Redglare) im Arcade, das Wills Schwager (Screamin' Jay Hawkins) leitet.

Ein Schuss und Elvis' "Blue Moon"-Version verbinden die drei Episoden um ein paar Menschen in der Krise, die in Memphis ohnehin keine Möglichkeit haben, dem King nicht zu begegnen, selbst zwölf Jahre nach dessen Tod. Jarmusch verabreicht in diesem seinem ersten Episodenfilm ein prächtiges Kaleidoskop angeknackster und/oder fertiger Charaktere, die sich in einer allnächtlichen Nacht in Memphis örtlich näher kommen als sie ahnen und dabei doch meilenweit voneinander entfernt sind. Besonders die kurzen Einstellungen mit Screamin' Jay Hawkins und Cinqué Lee sind dabei von gewinnender Lakonie beseelt; ansonsten ist "Mystery Train", der glücklicherweise nicht den eigentlich viel offensichtlicheren Titel "Heartbreak Hotel" verabreicht bekam, ein Jarmusch-Standard par excellence. Lange Einstellungen, ausnahmsweise nicht von Robby Müller, poetischer Allerweltsdialog, dünne Komik. Und der große Joe Strummer ist an Bord.

9/10

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DOWN BY LAW (Jim Jarmusch/USA, BRD 1986)


"It is a sad and beautiful world."

Down By Law ~ USA/BRD 1986
Directed By: Jim Jarmusch

Der Radio-DJ Zack (Tom Waits) und der Zuhälter Jack (John Lurie) landen gemeinsam in einer Gefängniszelle in New Orleans, nachdem sie jeweils von einer anderen Partei übervorteilt und der Polizei in die Hände gespielt wurden. Bald darauf kommt noch der kaum ein Wort Englisch sprechende Italiener Robert hinzu, der einen Gegner in Notwehr mit einer Billardkugel totgeworfen hat. Gemeinsam türmt das Trio in die Bayous, aus dem man sich nur mit Mühe und Not kurz vor der Staatsgrenze zu Texas wieder herausarbeiten kann. Just hier findet Roberto sein privates Glück, während die beiden Individualisten Jack und Zack auch in Zukunft lieber getrennte Wege gehen wollen.

Nichts dazugelernt: Ohne das Zutun des offenherzigen Roberto, Verehrer von Walt Whitman und Robert Frost in italienischer Übersetzung, würden sich die beiden Macho-Dickköpfe Zack und Jack vermutlich heute noch in ihrer kleinen Zelle prügeln, wären zumindest im Sumpf verhungert oder von den Alligatoren aufgefressen worden. Zwei obercoole Männer, nur mit sich selbst befasst und zu verbohrt, um mit der Lebenslektion, dass Freundschaft und menschliche Wärme einen immer weiterbringen, etwas anfangen zu können.
Obgleich der Sumpf Louisianas förmlich nach imposanter Kolorierung schreit, wählen Jarmusch und sein dp Robby Müller ein kontrastreiches Schwarzweiß für ihre spröde Ausbrecherfabel, wie Jarmusch ohnehin erst im nächsten Film erstmals zur Farbe übergehen wird. Mitte der Achtziger war das ikonisches Kunstkino für eine gewisse elitäre Rezipientenschaft, in den frühen Neunzigern für Zuschauernachwuchs wie mich, die wir im arrogantesten Teenager-Überschwang den gegenwärtigen Hollywood-Mainstream mit einem kulturellen Incubus gleichzusetzen pflegten, eine Maßgabe filmischer Dinge. Heute ist "Jockey Full Of Bourbon" nach wie vor ein Lieblingssong, Jim Jarmusch nicht dort, wo ihn manchereiner vor zwanzig Jahren künftig wähnte und "Down By Law" ein kostbares, kleines Kuriosum. Und genau so ist es ja eigentlich auch richtig.

9/10

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