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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE ROOTS OF HEAVEN (John Huston/USA 1958)


"Where do we go from here?"

The Roots Of Heaven (Die Wurzeln des Himmels) ~ USA 1958
Directed By: John Huston

Der im Tschad lebende Morel (Trevor Howard) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das rüchsichtslose Dezimieren der hiesigen Elefantenpopulation verbieten zu lassen. Zu diesem Zweck ruft er eine Petition ins Leben, die bei den höher gestellten Herrschaften wie dem gesetzten Gouverneur (André Luguet) jedoch alles andere als aufrichtige Begeisterung hervorruft. Da beginnt Morel, auf deutlich militantere Weise gegen die Kurzsicht der Menschen vorzugehen und versetzt diversen Möchtegernjägern einen Pfefferschuss in den Allerwertesten. Morel wird zu einer At Öko-Guerillero. Vorübergehende Unterstützung erhält er durch internationale Medien swie den Nationalisten Waitari (Edric Connor), der sich einstweilen jedoch wieder auf der Gegenseite positioniert. Dafür stehen die Kneipenwirtin Minna (Juliette Gréco) und der versoffene britische Ex-Offizier Forsythe (Errol Flynn) fest an Morels Seite.

Einer von Hustons schönsten Filmen, der sich im Laufe der Jahrzehnte leider irgendwo in den Wirren der Enzyklopädien verloren zu haben scheint und heute nurmehr selten hervorgekramt wird. Auch Huston selbst war nicht sonderlich begeistert von seinem Werk und hätte sich nach eigemem Bekunden gern an ein spätere Neuverfilmung gewagt, zumal er den Roman von Romain Gary sehr schätzte. Ähnlich wie "The African Queen" sind die Dreharbeiten zu "The Roots Of Heaven" von diversen schönen, in Hustons Autobiographie nachzulesenden Anekdoten umrankt, die tatsächlich die wahren Gefühle des Regisseurs bezüglich seines Films entlarven. Errol Flynn und Trevor Howard haben bei etwa 40 Grad Durchschnittstemperatur um die Wette gesoffen, wobei Flynn, dem seine derangierte Konstitution sogar deutlich anzusehen ist, es doch stark übetrieben und neben schmerzstillenden und sonstigen Pharmaka Unmengen von Wodka verkonsumiert haben muss. Obgleich er die Besetzungsliste anführt, spielt er denn tatsächlich auch lediglich einen unentwegt an der Scotch-Flasche nippenden Nebencharakter, der einen spektakulären Heldentod stirbt. Trevor Howard in der Hauptrolle ist im Vergleich dazu ein ungewöhnlicher Held, besonders, wenn es zu romantischen Emotionen kommt. Mit "Brief Encounter" hatte er einst zwar an einem der schönsten Liebesfilme überhaupt mitgewirkt, hier, um Einiges gealtert, wirkt es jedoch zuweilen, als wäre Captain Bligh plötzlich erotisch rührig geworden. Der Film ist mit seiner wertvollen ökologischen Botschaft - die Elefantenjagd gerät zur Metapher für den allgemeinen Zustand der Erde und den humanen Umgang damit - mindestens zehn Jahre im Vortreffen und enthält einige höchst wunderbare Szenen, wie etwa jene, in der Friedrich von Ledebur (noch bestens bekannt als Queequeg in "Moby Dick") als Morels Adjutant Peer Qvist einer großkotzigen Spinatwachtel von Elefantenkillerin vor versammelter Soiree als Strafe für ihre Respektlosigkeit gegenüber der Natur den nackten Hintern versohlt. Ein großer, liebenswerter, weltliterarischer und vor allem erwachsener Film ist "The Roots Of Heaven", zudem eines der schönsten Hollywood-Vehikel über Afrika.

9/10

John Huston Afrika Romain Gary Großwildjagd Alkohol


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THE LADYKILLERS (Joel Coen, Ethan Coen/USA 2004)


"There's no 'I' in 'team'."

The Ladykillers ~ USA 2004
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen

Um die Gewinne eines auf dem Mississippi liegenden Casino-Boots zu rauben, heuert der belesene Professor G.H. Dorr (Tom Hanks) vier ihm intellektuell unterlegene Mistreiter (Marlon Wayans, J.K. Simmons, Tzi Ma, Ryan Hurst) an und mietet sich der örtlichen Nähe wegen - sein Plan sieht nämlich vor, mittels eines unterirdischen Tunnels in den Tresorraum vorzudringen - bei der resoluten, gottesfürchtigen Witwe Munson (Irma P. Hall) ein. Jener erzählt Door, dass er mit seinen Partnern als "Renaissance-Ensemble" in ihrem Keller musikalische Proben abzuhalten wünscht. Trotz einiger Pannen gelingt der Coup - vorerst, denn Witwe Munson bekommt durch die chaotische Durchführung des Ganzen Wind von der Sache, was dazu führt, dass die fünf Männer sich gegenseitig an die Gurgel gehen.

Wenn auch noch nicht der erhoffte, große neue Wurf, ist "The Ladykillers" nach "Intolerable Cruelty" doch so etwas wie zumindest der Versuch einer kleinen Reparation der Coens am Zuschauerstamm. Für das Mackendrick-Remake, die erste von bislang zwei Neuverfilmungen, nähern sich die Coens wieder ihrem etablierten Schusterleisten an, halten sich jedoch in Bezug auf ein potenzielles Publikum noch immer etwas konventioneller als es bei den nächsten, wieder deutlich beseelteren Werken der Fall sein wird. Ähnlich wie im ebenfalls in Mississippi angesiedelten "O Brother Where Art Thou" spielt fokloristische Musik eine elementarte Rolle; nunmehr geht es weg vom Bluegrass hin zum Gospel, wobei dieser sich vornehmlich in einer weiß getünchten Kirche auf einem idyllisch gelegenen Grashügel zuträgt, die sich vornehmlich von älteren, farbigen Mitswingern besucht findet. Ansonsten ist Professor Dorrs Ensemble eine solch wunderbare Schau, dass es schwerfällt, sich einen Liebling herauszupicken: Tom Hanks, tadellos bis aufs i-Tüpfelchen, ist in einer seiner allerbesten performances zu bewundern, Marlon Wayans als Karikatur des rotzigen Gangsta-Nigga von brachialer Komik, die freilich von dem stets mit halber Zigarette im Mund anzutreffenden Tzi Ma nochmal überboten wird. J.K. Simmons und Ryan Hurst komplettieren das wirre Quintett.
Roger Deakins und Carter Burwell leisten jeweils erneut Fabulöses, die schicksalsbestimmenden Gargoyles auf der Brücke, unter der das alles entsorgende Mülltransporterschiff jeweils zur paradiesisch ins Bild gesetzten Deponieinsel fährt, sind coen'sche Surrealitätsverweise in gewohnter Reinkultur. Zudem hat man hier einen der wenigen Fälle, in denen eine Neuverfilmung dem Original durchaus das Wasser reichen kann, was es ja nicht eben oft gibt. "True Grit" wäre da auch noch ein mir spontan in den Sinn kommendes Beispiel...

8/10

Coen Bros. Remake Südstaaten Gospel Mississippi Heist Schwarze Komödie


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INTOLERABLE CRUELTY (Joel Coen/USA 2003)


"I'm sentimental."

Intolerable Cruelty (Ein (un)möglicher Härtefall) ~ USA 2003
Directed By: Joel Coen

Der als absolut sichere Bank geltende Scheidungs-Staranwalt Miles Massey (George Clooney) verliebt sich in Marilyn Rexroth (Catherine Zeta-Jones), die geschiedene Frau eines seiner Klienten (Edward Herrman). Diese jedoch ist nicht nur eine mit allen Wassern gewaschene Abzockerin, sondern auch enorm rachsüchtig. Das bekommt Massey zu spüren, als Marilyn ihn mittels eines geschickt eingefädelten Gaunerstücks selbst in den Ehe- und dann in den ruinösen Scheidungshafen lockt. Ist da am Ende aber nicht doch so etwas wie Liebe?

Der Titel ist Programm bei diesem erschreckend mediokren Kettenglied im coen'schen Gesamtwerk, das vermutlich bereits durch den originären Fremdursprung der Geschichte im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war. Von den doppelbödigen Regieeinfällen des Bruderpaars ist hier faktisch nichts mehr übrig, stattdessen gibt es eine fast schon als ordinär zu bezeichnende Star-RomCom, die gern die Chuzpe klassischer Screwball-Romanzen oder stilvoller Komödien wie "Designing Woman" vorweisen würde, in der jedoch bestenfalls die wie immer überragende, diesmal bonbonfarbene Kamerarbeit Roger Deakins' überzeugen kann. Ansonsten ist der Film von Grundauf unsympathisch, wirkt in seiner Botschaft vom Sieg der wahren Liebe über den schnöden Materialismus völlig gestelzt und ist bis auf ein paar wenige Ausnahmen hoffnungslos unkomisch. Wo sind die Verlierer, die Charakterköpfe, die dicken Choleriker? Wo die Buscemis, Turturros, Goodmans, Politos, Shalhoubs? Dennoch: Um wirklich durch die Bank schlecht zu sein fehlt es wiederum am völligen Versagertum; einen rundum beschissenen Film bekommen die Coens wahrscheinlich selbst mit "Fremdunterstützung" nicht auf die Reihe. Sieht man sich den Film, wie ich jetzt, im Zuge einer Werkschau an, wirkt er wie eine erzwungene Atempause, wie das gescheiterte Experiment, den artistischen Aktionsradius auf andere, gemäßigtere Sehgewohnheiten hin zuzuspitzen oder auch nur kurzfristig mal dorthin auszuweichen. Am Ende bleibt jedoch nicht viel reell Verwertbares.

4/10

Coen Bros. Ehe Scheidung Femme fatale


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THE MAN WHO WASN'T THERE (Joel Coen/USA 2001)


"Sooner or later everyone needs a haircut."

The Man Who Wasn't There ~ USA 2001
Directed By: Joel Coen

Santa Rosa Ende der Vierziger: Der Kette rauchende Frisör Ed Crane (Billy Bob Thornton) hat die fixe Idee, sich auf eino obskure Geschäftspartnerschaft mit einem seiner Kunden (Jon Polito) einzulassen: Es geht um Trockenreinigung, ein angeblich zukunftsweisendes Konzept. Um dabei als Teilhaber einzusteigen benötigt Ed 10.000 $, die er kurzerhand von Big Dave Brewster (James Gandolfini), Chef und Liebhaber seiner Frau Doris (Frances McDormand) erpresst. Als Big Dave herausfindet, dass Ed der Empfänger der Geldsumme ist, geht er wie ein Berserker auf ihn los. In Notwehr tötet er Big Dave und ist anderntags bereits reif für seine Verhaftung, da erfährt er, dass Doris bereits der Tat verdächtig ist...

Nach dem vergleichsweise pompösen "O Brother, Where Art Thou" gönnten sich die Coens mit "The Man Who Wasn't There" wieder einen vorbildlich lakonischen Film, eine erneut runde Hommage an eine vergangene Ära, in der rückblickend Frisuren und Bekleidungen tadellos scheinen und nirgends ein Staubkörnchen zu finden war. Die Coens lieben ja diese vordergründig-verlogene Sauberkeit der Post-Depressions-Ära der Spätdreißiger bis Mittfünfziger, deren Abgründe hinter den Fassaden sich jeweils umso tiefer in die bourgeoise Sittlichkeit frästen. So auch in "The Man", der einen unglaublichen Billy Bob Thornton vorzeigt und gewissermaßen ein weiteres, archetypisches Coen-Werk markiert, indem er eine ganze Menagerie mehr oder weniger liebenswerter Wirrköpfe nebst spektakulär eingefangenen Szenen - anzuführen wäre da insbesondere die italoamerikanische Hochzeitsfeier mitsamt Schweinerodeo und Blaubeerkuchen-Wettessen - vorführt. Zudem liefern die Coens hier mit James Gandolfini, Jon Polito, Michael Badalucco und Adam Alexi-Malle wohl eine ihre beeindruckendsten Sammlungen dicker Männer mit Hosenträgern. Ein Wunder, dass John Goodman nirgends auftaucht. Von den Anwesenden darf sich jedenfalls ein jeder im höchsten Maße abseitig betragen. Aber genauso mögen wir's ja. Die Photographie des Coen-Standards Roger Deakins ist hier, gerade durch den Einsatz von edlem Schwarzweiß (es gibt jawohl auch eine Farbversion, ich weiß aber nicht, ob ich die brauche), so exzellent und stilvoll wie selten. Wenngleich der gallige Humor der Herren sich hier noch etwas verhaltener zeigt als gewohnt und am Ende nurmehr die Verdammnis wartet, ist "The Man Who Wasn't There" ein immer wieder aufs Neue fantastischer Film.

9/10

Coen Bros. Kalifornien Ehe film noir


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O BROTHER, WHERE ART THOU? (Joel Coen/USA 2000)


"Damn! We're in a tight spot!"

O Brother, Where Art Thou? ~ USA 2000
Directed By: Joel Coen

Irgendwann während der Depressionszeit bricht der ölige Kettensträfling Ulysses Everett McGill (George Clooney) zusammen mit seinen beiden grenzdebilen Mitgefangenen Pete Hogwallop (John Turturro) und Delmar O'Donnell (Tim Blake Nelson) aus dem Knast in Mississippi aus. Seinen beiden Kompagnons erzählt er, es gäbe dringend noch einen vergrabenen Schatz zu bergen, bevor das entsprechende Stück Land sich in einen Stausee verwandele; tatsächlich will McGill jedoch die Hochzeit seiner gewschiedenen Frau (Holly Hunter) mit einem schmierigen Wahlhelfer (Ray McKinnon) verhindern. Die Reise durch den Magnolienstaat gestaltet sich für das Ausbrechertrio wie eine Odyssee, auf der man zunehmend seltsamen Typen begegnet...

Nach einem Umweg über Kalifornien mit "The Big Lebowski" landeten die Coens pünktlich zum Jahrtausendwechsel im (buchstäblich) Goldenen Süden. Wie sich zeigt, gibt es auch dort eine großzügige Anzahl hinreichend eigenwilliger Persönlichkeiten, die es lohnenswert machen, auch über diesen Teil Amerikas eine Coen-Geschichte zu erzählen, dazu erstmals in Scope. Titel und Idee des Films haben dabei berewits einen ganz langen Bart; tatsächlich geht "O Brother, Where Art Thou?" auf Preston Sturges' Meisterwerk "Sullivan's Travels" zurück, in dem ein Regisseur für die Verfilmung eines sozialkritischen Stoffs selbst zum Hobo wird. Für das Trio Everett, Pete und Delmar gestaltet sich die Reise über das sommerliche Land auch wie eine Reise durch die Ära: Berühmte Persönlichkeiten wie der Bluesmusiker Tommy (Robert) Johnson (Chris Thomas King) oder der Bankräuber George "Babyface" Nelson (Michgael Badalucco) werden zu kurzfristigen Weggefährten, ergänzend finden sich reanimierte Figuren aus Homers "Odyssee" ein, wie die Sirenen (Mia Tate, Musetta Vander, Christy Taylor) oder der Zyklop Polyphem (John Goodman), die sich bei den Coens allerdings zu realen Missetätern der Gegenwart umgemodelt finden. Ein Film über den alten Süden wäre natürlich nicht komplett ohne brennende Kreuze und grand wizards, geschweige denn ohne Banjo und Bluegrass. Und weil es in Mississippi so wenig Berge gibt, werden aus den 'Foggy Mountain Boys' eben kurzerhand die 'Soggy Bottom Boys'.
Der Film ist schon formvollendet auf seine Weise, nur, dass er mich etwas weniger anspricht als andere Coen-Odysseen. Möglicherweise trägt daran der unübersehbare Wunsch nach inszenatorischer und erzählerischer Epik ein gewisses Schuldmaß. Allerdings lehrte mich die jüngst gemachte "Hudsucker-Proxy"-Erfahrung, künftig weitsichtiger zu urteilen. Wer weiß, beim nächsten Mal wird "O Brother" vielleicht zu meinem Lieblings-Coen. Diesmal hielt sich das Vergnügen bei aller Bewunderung für die Stilsicherheit der Brüder jedoch in Grenzen.

8/10

Coen Bros. Südstaaten Great Depression Mississippi Flucht Bluegrass Musik Hommage Road Movie


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FARGO (Joel Coen/USA 1996)


"Yah?" - "Yah."

Fargo ~ USA 1996
Directed By: Joel Coen

Für den armen Jerry Lundegaard (William H. Macy), Autoverkäufer und Familienvater aus Minneapolis, geht finanziell alles schief. Dazu lässt sein reicher Schwiegervater Wade (Harve Presnell) ihn am ausgestreckten arm verhungern. Also kommt Jerry auf die Idee, eine Scheinentführung seiner Frau Jean (Kristin Rudrüd) zu inszenieren und sich mit dem von Wade gezahlten Lösegeld zu sanieren. Dummerweise engagiert er für den Job die zwei ebenso gewalttätigen Soziopathen Showalter (Steve Buscemi) und Grimsrud (Peter Stormare), die schon kurz nach Jeans "Inempfangnahme" anfangen, Leichen aufzutürmen. Die schwangere Kleinstadtpolizistin Marge Gunderson (Frances McDormand) löst den obskuren Fall mittels ihrer ebenso offenen wie aufdringlichen Art.

"Fargo" dürfte der Film sein, der den Coens ihre noch letzten unerschlossenen Publikumssegmente eingefahren hat, dabei ist er nicht mehr oder weniger anbiedernd als ihre vorhergehenden Werke, sondern ein ebenso verschrobener Glücksspender wie man es von ihrem bisherigen Œuvre eben kennt. Die winterliche Atmosphäre Minnesotas unterdrückt sämtliche Schallwellen, noch unterstützt durch Carter Burwells unheilschwangere Musik. Höchstens Carl Showalters manchmal aufbrausende Art oder die diversen Pistolenschüsse lassen einen aus jener befremdlich angespannten Lethargie hervorschrecken, die die Coens so wie kein anderer gegenwärtig aktiver Filmemacher zu evozieren verstehen. Dazu ist der Film urkomisch, indem er den Mittleren Nordwesten mit seinen schwedischen Immigranten in der x-ten Generation so urig wie sonderbar porträtiert, ohne sie jedoch zu denunzieren. Schließlich stammt man selbst aus der Gegend und pisst sich nicht ins heimische Wohnzimmer. Sein Leben bezieht "Fargo" aus der jeweils freundlichen als auch unnachgiebigen Natur seiner Figuren. Niemand gibt auf, in allen schlummert hinter ihrer lächelnden Fassade ein Wolf, seien es die liebenswerte Chief Gunderson oder auch der Superloser Jerry Lundegaard. Und dann sind da freilich die wie Fremdkörper auftretenden Nebencharaktere, nach deren Auftreten man sich am Kopf zu kratzen geneigt ist, um dann erst zu verstehen, dass der Film ohne sie unvollständig wäre - der Indianer Chep Proudfoot (Steven Reevis) etwa, Marges alter Schulfreund Mike Yanagita (Steve Park) oder die beiden Huren (Larissa Kookernot, Melissa Peterman), mit denen sich Carl und Gaear im Motel vergnügen. Ein leidenschaftlich-verhalten vorgetragenes Kaleidoskop der US-Provinz entspinnt sich da, das ausnahms- und glücklicherweise einmal nicht im Süden angesiedelt ist.

10/10

Coen Bros. Winter Ensemblefilm Minnesota Minneapolis


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THE HUDSUCKER PROXY (Joel Coen/USA 1994)


"What if you tire before it's done?"

The Hudsucker Proxy (Hudsucker - Der große Sprung) ~ USA 1994
Directed By: Joel Coen

Gegen Ende der fünfziger Jahre kommt der just graduierte Provinzbursche Norville Barnes (Tim Robbins) nah New York, um dort sein Glück zu suchen. Er wird Postangestellter bei 'Hudsucker Industries', deren einstiger Chef und Inhaber Waring Hudsucker (Charles Durning) sich kurz zuvor unversehens aus dem Fenster gestürzt hat. Dessen Stellvertreter, der über Leichen gehende Sidney J. Mussburger (Paul Newman) sucht nun einen Strohmann als vorübergehende Firmenleitung, um die Aufsplittung des Unternehmens in eine freie Aktiengesellschaft zu verhindern. Der naive Norville scheint dafür genau der Richtige. Als jedoch seine Erfindung, der Hula-Hoop-Reifen, einschlägt wie eine Bombe, muss sich Mussburger etwas unkoschere Mittel und Wege suchen, um Norville wieder zu entmachten

Ich habe "The Hudsucker Proxy" schon mehrfach gesehen, doch erst jetzt konnte er bei mir endlich zünden. Bis dato empfand ich die tatsächlich etwas grobmaschig gewobene Melange des Films, die ein lautes Potpourri aus screwball comedy, Frank Capra, George Orwell, Terry Gilliam und natürlich dem hauseigenen Mikrokosmos der Coens bildet, stets als allzu überdreht und übers Ziel hinausschießend. Die furiose bis irrwitzige Form der Montage habe ich dabei wohl geflissentlich übersehen, wie mir auch die liebevolle Gestaltung des Ganzen überhaupt nicht mehr präsent war oder ich sie bis dato schlicht nicht wahrgenommen habe respektive wahrnehmen wollte. Mir zeigt das vor allem, dass sich auch die wiederholte Beschäftigung mit dem einen oder anderen Film als überaus lohnenswert herausstellen kann, selbst, wenn man längst geneigt war, ihn abzuschreiben. Natürlich ist die Hommage an Capras Gutmenschenkino, speziell an "Mr. Deeds Goes To Town", der praktisch permanent zitiert wird, an die aufreibende Ära der späten Fünfziger (wobei sich die Geschichte bis auf ein paar Details ebensogut auch ein, zwei Jahrzehnte früher hätte einfinden können). "The Hudsucker Proxy" ist natürlich supervitales, coen'sches Kino in Reinkultur, vielleicht sogar nochmals überführt in ein spezielles Essenz-Stadium.
Und für mich gilt: Besser eine späte Erleuchtung als gar keine.

9/10

Coen Bros. New York period piece Hommage Satire Erwachsenenmärchen Groteske


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TINKER TAILOR SOLDIER SPY (Tomas Alfredson/UK, F, D 2011)


"Who can spy on the spies?"

Tinker Tailor Soldier Spy (Dame, König, As, Spion) ~ UK/F/D 2011
Directed By; Tomas Alfredson

London, 1973: Der bereits retirierte Geheimdienstmitarbeiter George Smiley (Gary Oldman) wird reaktiviert, um einen offensichtlich in der Führungsspitze des 'Circus' (so der Spitzname einer britischen Spionage-Abteilung) niedergelassenen Maulwurf zu identifizieren. Dafür kommen vier Männer in Frage, die allesamt in das kostenintensive 'Project Witchcraft' involviert sind, das dazu dient, einen einseitigen Informationsaustausch mit den Russen aufrecht zu erhalten.

Eine recht trockene, nichtsdestotrotz jedoch sehenswerte le-Carré-Adaption ist Alfredsons jüngster Film, ein zwischen dem britischen Graubraun der frühen Siebziger und postmoderner Monochromie angesiedeltes, überaus kompliziert erzähltes Spionagedrama. "Tinker Tailor Soldier Spy" ist kein Film, der sich anbiedert; tatsächlich scheint er eher das Gegenteil einer harmonischen Beziehung zum Publikum zu verfolgen: Schwer durchschau- und sortierbar wickelt er seine Geschichte ab, legt ein komplexes Netz aus falschen und heißen Fährten und gibt sich alle Mühe, den Zuschauer in eine Welt der Desorientierung und Unbehaglichkeit zu drängen. Da dies auch wunderbar funktioniert, ist "Tinker Tailor Soldier Spy" gleichsam so gelungen. Er erfordert auf allen Ebenen höchste Konzentration sowie ungeteilte Aufmerksamkeit, ist so schweigsam wie seine Geschichte es ihm gerade noch gestattet und dazu von einer vorsätzlich antiaktionistischen Stimmung beseelt.
Alfredsons Film könnte von den Universen eines Jason Bourne oder Ethan Hunt gar nicht weiter entfernt sein; er bildet sozusagen den verstohlen aus seiner finsteren Ecke herausblinzelnden Gegenpol zum ADHS-Kino der letzten Jahre und versteht sich damit gleichermaßen als Futter für gesetzte Filmliebhaber wie als Folter für den jugendlichen Actionfilmfan.

8/10

Tomas Alfredson John le Carré period piece Spionage London Istanbul


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THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (Martin Ritt/UK 1965)


"I reserve the right to be ignorant. That's the Western way of life."

The Spy Who Came In From The Cold (Der Spion, der aus der Kälte kam) ~ UK 1965
Directed By: Martin Ritt

Alec Leamas (Richard Burton) arbeitet als Koordinator für den britischen Geheimdienst in Berlin. Nachdem nach und nach sein gesamtes Agentennetz von einem gegnerischen Mann namens Mundt (Peter van Eyck) liquidiert worden ist, erhält er in London einen neuen Auftrag: Er soll nach außen hin aus dem aktiven Dienst ausscheiden und sich das Image eines heil- und mittellosen Trinkers auf der Rolltreppe abwärts zulegen, so den Feind auf sich aufmerksam machen, sich dann von diesem abwerben lassen und über Umwege ein Komplott gegen Mundt einfädeln, um ihn so ausschalten zu können. Erst als Leamas sich bereits hinter dem Eisernen Vorhang befindet, wird ihm bewusst, dass er nur über einen Bruchteil seiner tatsächlichen Mission informiert wurde und dass er und vor allem sein Seelenheil im internationalen Spiel der Gewalten eine vollkommen entbehrliche Größe darstellen.

Bedrückendes Drama, das wie ein empörter Gegenentwurf zu der schönen, bunten Oberflächenwelt eines James Bond und seiner Epigonen auftritt. Zum kargen Schwarzweiß des New British Cinema bewewht sich ein fetthaariger Richard Burton mit zerbeultem Parka und einer nahezu riechbaren Whiskey-Fahne durch eine graue Realität der Depression. Einsam und nicht besonders erfolgreich in seinem Job entpuppt sich Alec Leamas, nachdem er selbst sich im Inneren bereits über seine systemische Dysfunktionalität im Klaren ist, als Bausteinchen einer gewissenlosen Maschinerie, die nicht etwa leidenschaftlich, sondern mit kalter Präzision zu Werke geht und jeder Menschlichkeit abgeschworen hat, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Am Ende scheint Leamas' Weltbild infolge eines internen Verrats gegen ihn zumindest teilweise zurechtgerückt, denn es spielt keine Rolle mehr, ob Ost oder West, ob Kommunismus oder Kapitalismus. Es gewinnt nicht etwa der Systemtreueste, sondern derjenige, der am durchtriebensten und gewissenlosesten agiert. Nicht von ungefähr ist Mundt zugleich auch ein Altnazi.
Ritts Film war und ist ein Triumph und gilt, natürlich auch infolge seiner adaptiven Akkuratesse bezogen auf le Carrés kurz zuvor erschienenen Roman, bis heute als einer der wenigen aufrichtigen Spionagefilme. Vom eleganten product placement und den ausschweifenden Männerträumen eines 007 geradezu angewidert, spuckt "The Spy Who Came In From The Cold" dem Kalten Krieg verächtlich ins Gesicht. Nicht etwa aufgrund der Angst vor Dritten Weltkriegen und atomaren Erstschlägen, sondern weil er seine Schachfiguren einfach um ihr Glück betrügt und gewissenlos auffrisst.

9/10

Martin Ritt Spionage Kalter Krieg London Berlin DDR Niederlande John le Carré


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THE LONG, HOT SUMMER (Martin Ritt/USA 1958)


"Miss Clara, you slam the door in a man's face before he even knocks on it."

The Long, Hot Summer (Der lange, heiße Sommer) ~ USA 1958
Directed By: Martin Ritt

Der allerorten als Brandstifter verschriene Tagelöhner Ben Quick (Paul Newman) kommt in das Kleinstädtchen Frenchman's Bend. Hier ist der alternde Gutsbesitzer Will Varner (Orson Welles) die Ton angebende Persönlichkeit. Varner ist von Quicks fordernder und umwegloser Art beeindruckt und räumt ihm zunehmend gewichtigere Positionen in seinem Familienbetrieb ein - ganz zum Unwillen von Varners Sohn Jody (Anthony Franciosa), einem notorischen Taugenichts und Versager, der von der herrischen Art seines Vaters bereits schwer neurotisiert ist. Jodys Schwester Clara (Joanne Woodward) derweil, Mitte 20, Lehrerin und noch immer unverheiratet, gebärdet sich als alternde Jungfer. Dabei fände der alte Varner in Ben Quick den idealen Schwiegersohn.

Eines der großen Südstaatenepen der fünfziger und sechziger Jahre, in einer Reihe mit dem kurz darauf entstandenen "Cat On A Hot Tin Roof", "Home From The Hill" oder "The Fugitive Kind", die allesamt die vordergründige Lebensweise und die patriarchalischen Strukturen der Gegend observieren und ihre jeweiligen Lehren daraus ziehen. Im Gegensatz zu vielen anderen hier ansässigen Dramen basiert "The Long, Hot Summer" jedoch nicht auf einem Stück von Tennesse Williams, sondern auf einigen Kurzgeschichten sowie einem Roman William Faulkners. Die unweigerliche Katharsis am Ende zieht hier ausnahmsweise keine tiefen Brüche nach sich, sondern beschert sämtlichen ProtagonistInnen das erlösende Glück. Alte Beziehungen werden neu überdacht und neue, stabile, geknüpft. Damit nimmt sich "The Long, Hot Summer" durchaus wie ein Heimatfilm aus; geprägt von einer unübersehbaren Liebe zu Land und Menschen. Selbst der bärbeißige Patriarch Will Varner ist kein intriganter Knochen, sondern ein sympathisch gezeichneter, zu Zugeständnissen fähiger, und sogar liebenswerter Provinzkönig. Am Schluss des Films ist also alles geregelt und in Butter, was sich wiederum, in Kenntnis all der anderen, "lokalen" Dramen um Standesdünkel, Rassismus, sowie intra- und interfamiliären Hass geradezu befremdlich ausnimmt. Aber warum nicht - eine unverhohlene Liebeserklärung an den Süden und seine Bewohner ist auch mal ganz schön anzuschauen.

7/10

Martin Ritt William Faulkner Mississippi Südstaaten Familie





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Funxton

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