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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE ICE STORM (Ang Lee/USA 1997)


"Mikey's been out of it since the day he was born."

The Ice Storm (Der Eissturm) ~ USA 1997
Directed By: Ang Lee

Das Städtchen New Canaan, Connecticut ist im ökonomisch florierenden Jahre 1973 zu einer Art Zufluchtsort für wohlsituierte Bürger avanciert, die ihrer spießigen Langeweile zu entkommen versuchen, indem sie die einstigen Ideale der freien Liebe für ihre Zwecke adaptieren. Echte Zuneigung und Wärme empfindet hier längst niemand mehr, einzig die Jugendlichen scheinen zumindest zu Teilen noch zu herzlichen Empfindungen fähig. Über diese allumfassende Krise drohen zwei benachbarte Familien auseinanderzubrechen: Die Hoods und die Carvers. Während Ben Hood (Kevin Kline) ein rein sexuelles Verhältnis mit Janey Carver (Sigourney Weaver) pflegt, pflegt Bens Frau Elena (Joan Allen) ihre Depression und Janeys Mann Jim (Jamey Sheridan) seine Styropor-Manufaktur. Die Kinder beider Familien pendeln orienmtierungslos durchs Leben, scheinen jedoch bereit, vor lauter Frust die unsäglichen Manierismen ihrer Alten zu übernehmen. Bis es in einer schockgefrorenen Nacht kurz nach Thanksgiving zur längst überfälligen Katstrophe kommt.

Rick Moodys wunderbaren, autobiographisch gefärbten Roman über eine verlorene Generation habe ich in den Neunzigern heiß und innig geliebt. Er vermochte auch, die sexuelle Orientierungslosigkeit sowohl der erwachsenen als auch der adoleszenten Protagonisten überaus plastisch zu beschreiben und darzustellen, ohne sich verbale Chaunivismen zu leisten. Der Film müht sich auch dazu, bleibt schon aus nachvollziehbaren Gründen der Ästhetik jedoch vergleichsweise gediegen. Dennoch fangen Lee und sein Schreiber James Schamus den diskursiven Kerngedanken Moodys derart unmissverständlich ein, dass "The Ice Storm" als Glücksfall einer Literaturadaption betrachtet werden kann. Es geht um das Zerbrechen von Familien, in einem Fall das drohende, im anderen das sich vollendende und die unmissverständliche Zuweisung der Schuld, denn auch diese existiert und muss gestattet sein. Hier, in dieser nicht nur symbolisch tief erkalteten Katerphase nach dem exzessiv durchtanzten, mehrjährigen 'Summer of Love', verweigert man sich der überfälligen Rückkehr zur Tagesordnung, hat noch nicht genug von seinem Recht auf Spaß eingefordert und vergisst darüber hinaus Verantwortung und Lebenstüchtigkeit. Die Leidtragenden sind die Kinder, die dieser Atmosphäre von materiellem Wohlstand und mentaler Leere kaum trotzen können und zudem sich selbst überlassen sind. Am Ende bleiben nurmehr Tränen, für alle Beteiligten. Aber diese verkünden zugleich auch Katharsis, Besserung und hoffnungsvolle Vorsätze.

8/10

Rick Moody period piece Coming of Age Connecticut Herbst Satire Sex Ang Lee New York


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ZACK AND MIRI MAKE A PORNO (Kevin Smith/USA 2008)


"I hate you ebony and ivory motherfuckers!"

Zack And Miri Make A Porno ~ USA 2008
Directed By: Kevin Smith

Zack (Seth Rogen ) und Miri (Elizabeth Banks) kennen sich schon eine Ewigkeit und wohnen auch jetzt als Endzwanziger gemeinsam in einer Partner-WG. Ein Paar jedoch sind sie nie geworden. Als ihnen wegen mal wieder unbezahlter Rechnungen Wasser- und E-Werk an Thanksgiving den jeweiligen Saft abdrehen, heißt es schnell Kohle auftreiben. Da entwickelt Zack die unschlagbare Idee, gemeinbsam einen Amateurporno zu drehen, der durch ein lustiges Youtube-Video der beiden noch zusätzliche Abnehmer finden dürfte. Als sie sich während des Drehs selbst zum Koitus daniederlegen, entdecken Zack und Miri, dass sie sich eigentlich schon immer geliebt haben. Doch dr Weg zum Glück ist steinig und mit gebrochenen Herzen gepflastert...

Auch, wenn man mir häufig erzählt, dass ich physiognomische Ähnlichkeit mit Schmitzens Kevin aufwiese - was ich selber nicht unbedingt so empfinde - muss ich den Kerl ja nicht gleich liebhaben wie einen Zwillingsbruder. Im Gegenteil empfinde ich seine Filme mit zunehmendem Alter eher als postpubertäres Beziehungs-Fantasy-Kino heimlich biederer Prägung. Sein einziger echter Genrefilm, "Dogma", symbolisiert für mich folglich sogar ein ganz besonders spezielles Hassobjekt. Smiths Ausflüge in die Comickunst, in der er als Autor den "Großen" mittlerweile via Daredvil, Spider-Man, Green Arrow und jüngst Batman (die Fortsetzung zu "The Wydening Gyre" steht mittlerweile seit mittlerweile zweieinhalb Jahren auf sich warten lässt und mutmaßlich bereits in Marihuanaschwaden aufgegangen ist) seinen geschwätzigen Dialogstempel aufgedrückt hat, finde ich manchmal anstrengend, aber zumindest abwechslungsreich und unterhaltsam.
"Zack And Miri Make A Porno" schlägt nun in eine ähnliche Kerbe wie "Chasing Amy" und "Jersey Girl", ziemlich erz-eastcoast-mäßige RomComs, die jeder echte Kerl sich guten Gewissens am Samstagabend zu Pizza und einem Fläschchen Beck's Gold zusammen mit seinem geliebten Wesen anschauen kann, ohne dass eine® der beiden Bauchschmerzen bekommen muss. Außer vom Mildbier vielleicht. Es gibt was zu Schmunzeln und was fürs Herz, alles schön famos und adrett und ungefährlich. Ein wirklich überaus ekelhafter Kopro-Gag sorgt für laute "Iiiihs" und die zwingend formulierte Tatsache, dass manchmal erst ein erzwungener Fick die wahre Liebe zum Vorschein bringt, für zustimmend gemurmelte "Oooohs". Von mir aus.
Daher reicht mir einmal angucken aber auch völlig.

5/10

Kevin Smith Pennsylvania Winter Pornographie


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TIMEBOMB (Avi Nesher/USA 1991)


"I know who I am!"

Timebomb (Nameless - Total Terminator) ~ USA 1991
Directed By: Avi Nesher

Eddie Kay (Michael Biehn) ist ein braver Uhrmachergeselle mit eher langweiliger Existenz: Er wohnt in einem von L.A.s blumenumsäumten Apartmenthäusern, fährt mit dem Rad zur Arbeit, lächelt unentwegt und grüßt jedermann freundlich, den er kennt. Doch Eddie Kay ist gar nicht Eddie Kay, sondern Oliver Dykstra, Relikt eines geheimen CIA-Programmes aus den Siebzigern, in dessen Zuge acht Agenten einem psychoedukativen Experiment unterzogen, danach mit einer neuen Identität - der eines im Vietnamkrieg gefallenen Soldaten - ausgestattet und bei Bedarf für "Spezialaufträge" aktiviert wurden. Bei Dykstra/Kay ist jedoch irgendwann eine Sicherung gerissen, er hat sich gegen seine Auftraggeber gewandt und durch eine Explosion sein Gedächtnis eingebüßt. Er weiß nicht, wer er ist. Anders als sein früherer Mentor Colonel Taylor (Richard Jordan), der Eddie nun, da er wieder aufgetaucht ist, zusammen mit dessen früheren Berufsgenossen aus dem Verkehr ziehen will und muss. Mithilfe der zunächst unfreiwilligen Hilfe der attraktiven Analytekerin Anna (Patsy Kensit) kommt Eddie seiner wahren Vergangenheit auf die Spur und durchkreuzt Taylors Pläne.

Dass die CIA ein ganz hundsföttischer Verein ist, ist nicht erst seit der Iran-Contra-Affäre bekannt. Wann immer der US-Geheim-Außendienst irgendwo im - zumeist entwicklungsbedürftigen - Ausland aufkreuzt, hat er Dreck am Stecken. John Frankenheimer hat bereits 1962 den Paranoiathriller um den großartigen "The Manchurian Candidate" bereichert, in dem allerdings die Kommis die Drahtzieher hinter einer Verschwörung um sogenannte 'Sleeper', Attentäter, die auf ein Schlüsselsignal hin aktiviert werden können, waren. In Neshers "Timebomb" sind die Meuchelmörder ein hauseigenes US-Gezücht, das bei Bedarf auch auf heimischem Boden operiert, etwa, wenn es darum geht, allzu liberale Politiker abzuberufen. Eddie Kay ist im Zuge dieser Handlungsprämisse ein Held klassischer hitchcockscher Prägung: Urplötzlich will man ihm ans Leder und er weiß nicht mal, warum; eine Gruppe Killer versucht ihn mehrfach kaltzustellen und niemand glaubt ihm, weder die Polizei noch Anna Nolmar, die er durch Zufall als Kundin in seinem Laden kennengelernt hat. Was ihn jedoch noch zusätzlich verunsichert und verstört, sind merkwürdige Flashbacks sowie die Tatsache, dass er sich gegen seine Gegner durchaus patent zur Wehr setzen kann, obwohl er sich für einen friedfertigen Menschen hält.
Als er später in ebenjene Klinik eindringt, in deren Labor einst er und die anderen Profikiller "gezüchtet" wurden, kommt auch die Erinnerung zurück: Er musste hier einst komplettverkabelt in einer Art Retorte dahindämmern, bis er seine falsche Identität und jedwede Renitenzerscheinung aufgegeben hatte. Doch sein gutmütiges Wesen war am Ende doch stärker und hat sich gegen die Falschheit seine Missionen zur Wehr gesetzt.
Nesher macht aus dieser durchaus traditionsverhafteten Story, die auch die genannten Regisseure, beide Meister des Verschwörungsthrillers, sicher gereizt haben dürfte, einen teils wilden Exploitationreißer, in dem Gewalt, Sex und Billy Blanks vorkommen. Kombiniert mit dem erneut sehr sehenswerten Michael Biehn ein lohnenswertes Paket.

7/10

Avi Nesher Amnesie CIA Kalter Krieg Profikiller Psychiatrie


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THE EXPENDABLES 2 (Simon West/USA 2012)


"Shoot something!"

The Expendables 2 ~ USA 2012
Directed By: Simon West

Zusammen mit ihrem jungen Neuzugang, dem Scharfschützen und Afghanistan-Veteranen Billy (Liam Hemsworth), werden die 'Expendables' um Barney Ross (Sylvester Stallone) von Mr. Church (Bruce Willis) genötigt, einen neuen, selbstmörderischen Auftrag anzunehmen: Sie sollen mithilfe der Spezialagentin Maggie (Nan Yu) in Osteuropa ein großes Plutoniumkontigent sicherstellen, an dem der böse Terrorist Jean Vilain (Jean-Claude Van Damme), Chef der Organisation der 'Sangs', ebenfalls in hohem Maße interessiert ist. Nachdem Vilain Billy ermordet hat, schwören Ross und die anderen Rache an den Sangs. Sie befreien eine Gruppe versklavter bulgarischer Dörfler aus Vilains Gewalt und machen ihm und seinen Leuten mit Unterstützung von Church, Trench Hauser (Arnold Schwarzenegger) und Barneys altem Kampfgefährten Booker (Chuck Norris) den Garaus.

Auch das Sequel fand ich noch ganz schön, wenngleich hierin die von mir als solche empfundenen Schwachstellen des Vorgängers im Prinzip intensiviert wurden. "The Expendables 2" muss sich beinahe schon gefallen lassen, als flaue Actionkomödie durchzugehen. Der postmodernistische Ansatz des Erstlings wurde hierfür nochmal potenziert, die Genrelegenden kommunizieren nurmehr über den Gebrauch müder In-Jokes, deren Einsatz so plump wie unsubtil, und deren Auffinden so simpel und so banal ist, dass es einem irgendwann wahlweise Schamesröte oder übersättigtes Gähnen ins Gesicht treibt. Die Szenen um Van Damme und seinen Filmhelfershelfer, den bereits rein physisch unglaublichen Scott Adkins, sind durchweg geglückt und erhebend anzuschauen, das Engagement von Willis, Schwarzenegger und Norris wirkte derweil recht gezwungen und wie ein notwendiges Obligatorium. Ob es notwendig war, dass etwa Norris' eigentlich ansehnliche Auftritte mit Morricone-Musik untermalt werden (die "Lone Wolf McQuade"-Titelmelodie wäre weitaus stärker gewesen, aber das hätte wahrscheinlich wieder keiner kapiert) und er mit diesen doofen Internetwitzkultur um seine Person kokettieren muss, mag der Altkonservative selbst am Besten beurteilen. Vielleicht gehört diese Art 'Glamour' aber auch einfach mit zu seinem selbstkonstruierten Gammelmythos und unsereinem, der ja eben keine zwölf mehr ist, fällt es schwer, das zu akzeptieren. Der arme Dolph Lundgren hingegen bekommt, was er überhaupt nicht verdient: Er wird zum schmückenden Beiwerk degradiert. Eine weitere Anbiederung an das etablierte Feuilleton ist die Unterbringung eines weiblichen Helden in der ansonsten strikt testosteronell geprägten Gemengelage. Kein Wunder, dass "Expendables 2" im Vergleich zum Original die besseren Kritiken erhielt, obwohl er doch eigentlich der schwächere Film ist.

5/10

Söldner Simon West Sequel Freundschaft Hommage Terrorismus Atombombe Richard Wenk


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THE EXPENDABLES - DIRECTOR'S CUT (Sylvester Stallone/USA 2011)


"Only thing you need to know is the job's real, and the money's real."

The Expendables - Director's Cut ~ USA 2011
Directed By: Sylvester Stallone

Die erste Beschau des D.C. von "The Expendables" brachte mir keine wesentlichen Neuerkentnisse, nachdem ich die Kinofassung bereits dreimal gesehen hatte. Ein paar Fragmente fielen mir als Neueinfügungen auf, nicht jedoch die umgeschnittenen Szenen und sonstige Details. Seinen Qualitätsstand hat Stallones Film seit der Kinobetrachtung bei mir jedoch weiterhin bewahren können, ebenso wie mir nach wie vor die - zum Glück eher marginalen - Kritikpunkte ins Auge sprangen: Der Film verliert, wenn er seine wunderschöne Brachialität mit humorigen Einsprengseln selbst zu brechen versucht, etwa in den dialogischen Schlagabtäuschen zwischen Stallone und Statham. Er gewinnt hingegen, wenn er den Mut zur Ernsthaftigkeit aufbringt; im Monolog von dem wie immer fabulösen Mickey Rourke etwa oder den Sequenzen mit und um Dolph Lundgren, ohnehin noch immer mein vorderster Dreh- und Angelpunkt des Films. Einige Momente dürften standardsetzend im Genre sein, etwa jener, als Barney nochmal mit seinem Wasserflugzeug umdreht, um die auf der Mole versammelten Streitkräfte von Vilena und von Agent Munroe mit einem gewaltigen Brandsatz zur Hölle zu schicken. Das erinnert schon angenehm an die unbekümmerte Feindeseuthanasie früherer, besserer Tage im Actionfilm.

8/10

Söldner Sylvester Stallone D.C. Freundschaft Hommage car chase


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NORMA RAE (Martin Ritt/USA 1979)


"UNION! UNION! UNION!"

Norma Rae ~ USA 1979
Directed By: Martin Ritt

Wie die meisten Menschen ihrer Kleinstadt in Alabama arbeitet auch Norma Rae (Sally Field) in der lokalen Baumwollweberei. Die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, denen sowohl sie selbst als auch ihre vielen Kolleginnen und Kollegen ausgeliefert sind, ist jedem ein Dorn im Auge - nur traut sich niemd, den Mund aufzumachen, weil man ohne Job auf der Straße stünde. Da taucht eines Tages der New Yorker Gewerkschaftsvertreter Reuben Warshowsky (Ron Leibman) auf, der die Leute unter größten Mühen waschzurütteln beginnt und Norma Rae als wichtige Mitstreiterin gewinnt. Darunter leidet jedoch nicht zuletzt die frischgebackene Ehe mit ihrem Mann Sonny Webster (Beau Bridges), sondern auch ihre Familie und nicht zuletzt die altbacken-verschlafene Harmonie im Ort...

Klassenkampf ist immer gut, Arbeitskampf auch. Dass es bei den Amis immer ein bisschen länger dauert, bis sie den Mund auftun - schließlich assoziiert speziell der gemeine Südstaaten-Bildungsferne den Gang in die Gewerkschaft schon unwillkürlich mit einer Mitgliedschaft im Negerschwuchtelitzigemanzenkommiclub - ist ein alter Hut. 1979 war es das noch nicht ganz so sehr, weshalb "Norma Rae" gemeinsam mit den anderen Gewerkschaftsporträts dieser Zeit (Jewisons "F.I.S.T." etwa zeigte parallel dazu die korrumpierenden Schattenseiten jenes Milieus) auch einen nach wie vor sehenswerten Film darstellt. Als einer der weit links außen platzierten Filmemacher Hollywoods packte Ritt des öfteren Themen von unbequemem Aroma an, unterminierte Vorurteile und machte seinen unbestechlichen Blick für Charakterstudien publik. Ja, und Sally Field ist wirklich mal 'ne tolle Schauspielerin (gewesen), wenngleich sie sich heute hier und da gern verheizt und naturgemäß alles andere als feurig daherkommt.

8/10

Martin Ritt Arbeitskampf Gewerkschaft Südstaaten Alabama Ehe Freundschaft


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THE STRANGER (Orson Welles/USA 1946)


"I watched them from here, like God looking at little ants."

The Stranger (Die Spur des Fremden) ~ USA 1946
Directed By: Orson Welles

Der Nazijäger Wilson (Edward G. Robinson) ist dem in Neuengland untergetauchten Franz Kindler (Orson Welles) auf der Spur, einem der schlimmsten Schergen Hitlers, der unter anderem entscheidenden operativen Anteil an der Vernichtungslogistik und der Endlösung hatte. In dem kleinen Städtchen Harper lebt Kindler nun unerkannt als Lehrer Charles Rankin, der kurz davor steht, die örtliche Richterstochter Mary (Loretta Young) zu ehelichen. Um den stets anonym gebliebenen Kindler identifizieren zu können, lässt Wilson Kindlers bereits inhaftierte, rechte Hand Meinike (Konstantin Shayne) laufen und überwachen. Doch Kindler bringt Meinike sofort kaltblütig um, kaum dass dieser ihn aufgesucht hat.
Als Wilson, getarnt als reisender Antiquitätenhändler, selbst nach Harper kommt und Kindler/Rankin kennenlernt, ahnt er bald um die wahre Identität des sich nach außen hin so integer gebenden Bürgers. Doch wie soll er Mary die furchtbare Wahrheit über ihren frisch Angetrauten beibringen?

Einer der weniger bekannten Filme Welles', in seiner frühen Noir-Phase entstanden und als Postkriegs-Paranoiakino konzipiert, dass sicherlich dazu angetan war, dem leichtgläubigen amerikaniswchen Lieschen Müller eine Heidenangst vor neu zugezogenen Nachbarn mittleren Alters mit eurpäischem Akzent zu machen. Immerhin wäre es möglich gewesen, dass es sich bei diesem um irgendeinen massenmordenden SS-Funktionär handelte, der den alliierten Kräften durch die Lappen gegangen war. Orson Welles selbst spielt die Hauptrolle in einer recht ansprechenden Mischung aus Diabolik und Größenwahn. Selbst, als seine Tarnung auf dem Spiel steht, kann er nicht umhin, während einer von Wilson forcierten, politischen Diskussion die bevorstehende Welt-Zäsur als Chance zur Dezimierung der kränkelnden Menschheit zu machen. So hätten es schließlich die Römer einst auch mit den Karthagern gemacht, erklärt Kindler, und von denen habe man seither selten wieder etwas gehört. Interessant in diesem Zusammenhang die obligatorischen Erklärungsversuche für die Vereinnahmung durch das Böse: "The Stranger" stellt die Nazi-Elite, repräsentiert durch die fiktive Hauptfigur als ebenso gescheite wie kalte Rechenmaschinen auf zwei Beinen dar, die mit Menschenleben herumkalkulieren wie mit Abakusperlen und somit jede moralische Bodenhaftung eingebüßt haben. Am Ende trägt Welles dann vielleicht ein wenig dick auf, als er Kindler symbolisch durch einen Wink göttlicher Gerechtigkeit dem Jenseits überantwortet: Er wird von einem Glockenturmengel aufgespießt.

8/10

film noir Orson Welles Nationalsozialismus WWII Victor Trivas


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TIERISCHE LIEBE (Ulrich Seidl/AT 1996)


"Du bis mein Ein un Ojs, mei Bubele, und krigs von mir au imma schön dein Pappi."

Tierische Liebe ~ AT 1996
Directed By: Ulrich Seidl

Mit der österreichischen Hauptstadt Wien assoziiert man als noch nie Dagewesener allen möglichen Kitsch; Sachertorten, den berühmten Schmäh, Kaffeehäuser, Kalbsschnitzel, Barock, Mozart, Walzer und Strauss, den Kongress und den Prater mit dem Riesenrad, Klimt, Hundertwasser und Schnitzler, Freud und Jung. Vielleicht noch den Dritten Mann und Georg Danzer. Dass es jedoch eine Großstadt ist wie alle, mit absolut fiesen, schmucklosen Ecken und Menschen, das verdrängt man leicht. Und plötzlich begegnet einem dieser Ulrich Seidl, von dem man schon so viel gehört und gelesen hat, der sich durch seine harte Art der stilisierten Dokumentation einen Namen gemacht hat. "Tierische Liebe" als erster Seidl-Film lag für mich nahe, weil ich selbst ein großer Hundeliebhaber bin und meine Beziehung zu meinem Hund manch einem, der mich weniger gut kennt, auch leicht ein Kopfschütteln abringen mag. Die sich freimütig und ausgiebig exponierenden Zeitgenossen in "Tierische Liebe" sind nicht a posteriori zoophil, ja nichtmal pervers. Es sind einfach arme, einsame, oft bildungsferne Typen; psychisch gestört und suchtkrank, allein und der Kommunikationslosigkeit überlassen. Ihre Tiere, meist Hunde, missbrauchen sie unbewusst als Ersatz für fehlende Zwischenmemschlichkeit, für plötzlich fehlende Lebenspartner, Kinderlosigkeit, selbst für Liebe und Körperkontakt. Einen Hund zu herzen und zu beschmusen, bis dieser nur noch wegwill, und das zeigt "Tierische Liebe", dazu gehört schon beinahe ein spezielles Talent. Aber bei Seidl gibt es solche Menschen; sie hängen auf ihrer Couch vor verschimmelten Tapeten, hören Bernhard Brink, trinken Vodka, ficken oder betreiben Telefonsex, die ärmsten Schweine Wiens. Ob das filmemacherische Ethos es zulassen sollte, solche offenbar doch schwer pathologischen Individuen vor die Kamera zu lassen und sich selbst zu denunzieren, muss Seidl mit sich selbst ausmachen. Dass er mit "Tierische Liebe" einen ebenso erschütternden wie bewegenden, nur schwer zu ertragenden Film gemacht hat, steht aber genauso außer Frage.

8/10

Ulrich Seidl Wien Madness Hund


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APOCALYPSE NOW (Francis Ford Coppola/USA 1979)


"They train young men to drop fire on people. But their commanders won't allow them to write 'fuck' on their airplanes because it is obscene."

Apocalypse Now ~ USA 1979
Directed By: Francis Ford Coppola

Der ausgebrannte Captain Willard (Martin Sheen) erfüllt während des Vietnamkrieges strenggeheime Aufträge für die CIA. Dazwischen sitzt er, desillusioniert und nutzlos, in seinem Hotelzimmer in Saigon und wartet. Seine aktuelle Mission führt ihn über die Grenze in das Dschungelbiet von Kambodscha. Hierher hat sich ein hochdekorierter Offizier namens Kurtz (Marlon Brando) abgesetzt und unter den Eingeborenen ein despotisches Regime errichtet, dem sich bereits andere G.I.s angeschlossen haben. Da die Kommandantur Kurtz für wahnsinnig hält, soll Willard ihn aufspüren und ermorden. Zuvor muss er mit einem kleinen, mit einer Gruppe durchgedrehter Jungsoldaten (Albert Hall, Frederic Forrest, Laurence Fishburne, Sam Bottoms) besetzten Patrouillenboot den Nung-Fluss hinauffahren. Die Erlebnisse auf Willards Reise, während der er ausgiebig Kurtz' Dossier studiert, werden zunehmend bizarrer: Eine Luftlandevision surft mitten im Kampfesgebiet auf den sich durch Bombenexplosionen türmenden Flusswellen, eine Gruppe Playmates soll einen Haufen sexuell ausgehungerter G.I.s bespaßen, im nächtlichen Urwald lauert ein Tiger, die Soldaten am letzten Grenzposten vor Kambodscha schießen orientierungslos ins Dschungeldickicht. Dazwischen immer wieder Drogenkonsum, Joints und LSD. Am Ende wartet Kurtz, der Willard mit seiner Sicht der Dinge konfrontiert, bevor er um seinen Tod bittet.

Noch so ein ungeheurer Auswuchs des sich seinem Ende zuneigenden New Hollywood. Während Spielberg und Lucas sich mit thematisch naiven Genrefilmen an die kommerzielle Spitze katapultierten, ging Coppola, als Regisseur der beiden ersten "The Godfather"-Filme großer Preis- und Hoffnungsträger seiner Künstlerdynastie, auf die Philippinen, um dort basierend auf Joseph Conrads kolonialismuskritischer Novelle "Heart Of Darkness" John Milius' und sein persönliches Vietnam nachzustellen. Die Produktionsgeschichte ist gemeinhin bekannt und ebenso legendär wie der Film selbst; Coppola und sein Team erlebten ein förmliches Weltuntergangsszenario, das alle Beteiligten bis an ihre Grenzen und darüberhinaus führte und dessen Strapazen man in jeder Minute des unglaublichen "Apocalypse Now" ablesen kann. Fest integriert in den Fundus popkultureller Zitate sind seine Szenen und Dialoge, und das ist kein Wunder, weil sie sich infolge ihrer nachdrücklichen Intensität gleich beim ersten Sehen unauslöschlich einbrennen. Die kräftigen Farben des Films scheinen selbst drogeninfiziert, gelbe und violettene Rauchwolken umschwirren ihn, Mörser- und Granatenbeschuss, der wie Feuerwerk aussieht und schließlich diese sich immer irrsinniger gestaltenden Begegnungen Willards mit der verzerrten Fratze des Krieges, der für die US-Intervenierer in Vietnam nochmal eine gesonderte Form der Sinnlosigkeit bereithalten musste. Die Idee, die urwüchsige Imperialismuskritik von Conrads Vorlage auf das damals noch hochbrisante Thema 'Vietnam' zu projizieren und Beides miteinander zu verweben erscheint im Nachhinein so zwingend wie genialisch; was einmal Irrsinn war, bleibt es auf ewig, insbesondere unter derart verschärften äußeren Umständen.
In "Apocalypse Now" gibt es keine einzige gesunde, freie Figur, jeder einzelne hat sich bereits mit der ihn umgebenden Hölle arrangiert und sich ihr angepasst oder ist auf dem Weg dorthin. Vom hohen Offizier, vom Regierungsagenten, bis hin zum kleinen Private bleibt keiner ungeschoren, und die zu Hause haben keine Ahnung von dem, was ihre Söhne und Ehemänner hier durchmachen. So hat Coppola auch nur wenig Zeit, sich mit den Folgen der US-Intervention für die südostasiatische Zivilbevölkerung direkt auseinanderzusetzen, das lässt der bereits in dieser Form großzügige, erzählerische Umfang schlichtweg nicht zu. Dass hier allerdings kein einziges weißes Gesicht schlussendlich am rechten Platze war, daran lässt dieses siebenköpfige und -schwänzige Monster von einem Film am Ende keinerlei Zweifel.
Bin mal wieder völlig plattgewalzt und fertig.

10*/10

Francis Ford Coppola John Milius New Hollywood Vietnam Kambodscha Vietnamkrieg Joseph Conrad period piece Marihuana LSD


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THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES (Billy Wilder/UK 1970)


"We all have occasional failures. Fortunately, Dr. Watson never writes about mine."

The Private Life Of Sherlock Holmes (Das Privatleben des Sherlock Holmes) ~ UK 1970
Directed By: Billy Wilder

Fünfzig Jahre nach Dr. Watsons (Colin Blakely) Tode wird eine Kiste mit geheimen Memorabilia von Sherlock Holmes' (Robert Stephens) Busenfreund geöffnet. Darin finden sich unter anderem Aufzeichnungen über zwei bislang unbekannte Fälle des Meisterdetektivs: Im ersten soll er als Vater für das geplante Baby einer russischen Ballettdiva (Tamara Tourmanova) herhalten, wiegelt jedoch ab mit der Begründung, er und Watson seien ein schwules Paar, im zweiten lässt sich Watson von einer kaiserlichen Spionin (Geneviève Page) hereinlegen, die zur großen, unerfüllten Liebe seines Lebens avanciert.

Einer der weniger beleumundeten Filme Billy Wilders, wohl nicht ganz zu Unrecht. Mit der kleinen Episode um Holmes' erotische Ausflucht stark und witzig beginnend, fällt er mit der zweiten, erzählzeitlich wesentlich ausführlicher dargebrachten Geschichte um die von Holmes' undurchsichtigem Bruder Mycroft (Christopher Lee) überwachte Konstruktion eines Unterseebootes jedoch etwas ab. Besonders Colin Blakely als Watson, in der deutschen Synchronfassung vorzüglich vertont von Harald Juhnke, macht den Film jedoch immer wieder sehenswert, da er das humorige Potenzial des gepflegt-grotesken Szenarios zu schüren versteht. Die Szenen, in denen er, als Hahn im Korb der schnieken russischen Tänzerinnenm Holmes' vorherigen "Verrat" am eigenen Leibe zu spüren bekommt und ihn später erbost zur Rede stellt, beinhalten große Wilder/Diamond-Eleganzia. Danach wird es vergleichsweise konventionell und ein im Grunde "typischer" Holmes-Fall mit eher zurückhaltender Komik steht an. Wilders visuelle Pflege der viktorianischen Ära ist erwartungsgemäß natürlich von größter Sorgfalt und höchst vergnüglich, Christopher Challis' weichzeichnende Kamera passt sich ihr zudem hervorragend an. So ist "The Private Life Of Sherlock Holmes" insgesamt betrachtet vor allem ein visueller Genuss; zu seinem völligen Gelingen hätte ich mir jedoch gewünscht, dass der Film das Versprechen der ersten dreißig Minuten weiter einhält.

7/10

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