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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE INNKEEPERS (Ti West/USA 2011)


"Let's find out about that basement secret."

The Innkeepers ~ USA 2011
Directed By: Ti West

Die zwei orientierungslosen Ex-Studis Claire (Sara Paxton) und Luke (Pat Healy) schieben ihre letzten Schicht im "Yankee Pedlar Inn", das nach diesem Wochenende seine Pforten für immer schließen wird. Wie jeder ordentliche viktorianische Bau hat auch das "Inn" seine Gruselanekdoten, die sich besonders im angeblich hier umgehenden Geist der Madeline O'Malley, einer Dame, die sich im vorletzten Jahrhundert während ihrer Hochzeitsnacht erhängt hat und deren im Keller des Hauses unruhende Seele auf Rache sinnt. Sara und Luke spüren bereits seit längerem dieser phantastischen Geschichte nach, doch erst an diesem letzten Wochenende scheint das Hotel mit seinen letzten zwei seltsamen Gästen (Kelly McGillis, George Riddle) sein Geheimnis lüften zu wollen...

Drei Zitate schossen mir während der gesamten Betrachtung von "The Innkeepers" in permanenter Rotation durch den Kopf: "All good movies have been made" (Peter Bogdanovich), "Die Nerds haben das Kino übernommen" (Dominik Graf) und "Don't believe the hype!" (Chuck D). Am Ende, nachdem mir die letzten dreißig Minuten wie ein Countdown erschienen waren, welcher endlich den ersehnten, sich aber kontinuierlich versteckenden Knacks herbeiführen sollte, war ich dann ziemlich aufgebracht. Als 'schrecklich' und 'furchterregend' lässt sich "The Innkeepers" jedenfalls nur in einer Hinsicht attribuieren: Bezüglich seiner Vorhersehbarkeit und Konstruiertheit nämlich. Möglicherweise locken die sorgsam vorbereiteten und somit auch völlig erwartbaren "Schocks" noch zehnjährige Mädchen während einer Pyjama-Party hinter den Ofen, wer auch nur ein bisschen Genrekenntnis besitzt, kann sich derweil bestenfalls über Wests Gruselambitionen amüsieren. Jeder Gespensterfilm der letzten Jahre bot Analoges, wenn nicht Besseres, von "Paranormal Activity" über "Insidious" bis hin zu "Livide". Um die in Ehren ergraute Kelly McGillis tut es einem nurmehr Leid. Immerhin: Sara Paxtons in einer Szene zu sehende, schöne Beine ließen mich spekulieren, wie interessant "The Innkeepers" wohl gewesen wäre, hätte die rehäugige Actrice sämtliche Szenen unbekleidet gespielt.
Und zumindest eine elementare Funktion erfüllen solch luftleere Streifen: Sie beweisen, wie dankbar man für wirklich gute Filme sein muss.

3/10

Connecticut Hotel Spuk Geister Ti West


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SUNSET BLVD. (Billy Wilder/USA 1950)


"I am big. It's the pictures that got small!"

Sunset Blvd. (Boulevard der Dämmerung) ~ USA 1950
Directed By: Billy Wilder

Durch einen Zufall gerät der arbeitslose Scriptautor Joe Gillis (William Holden) in das äußerlich verfallene Haus der vergessenen Stummfilmdiva Norma Desmond (Gloria Swanson). Die fünfzigjährige Frau, die seit dem Aufkommen der talkies vor rund zwanzig Jahren keinen Film mehr gemacht hat, lebt hier einsam mit ihrem Butler Max (Erich von Stroheim) und träumt von ihrer "Rückkehr", die sie, basierend auf einem selbstgeschriebenen Script über die verruchte Prinzessin Salome, bereits konkret plant. Joe soll ihr Drehbuch nach modernen Standards überarbeiten, dann soll es von DeMille verfilmt werden. Norma ahnt nicht, dass ihr schwülstiges Script von vornherein als unverfilmbar eingestuft werden wird, dass DeMille sich kaum mehr für sie interessiert und dass ihre rege Fanpost von Max geschrieben und abgesendet wird. Während ihrer folgenden Geschäftsbeziehung verliebt sich Norma in den deutlich jüngeren Joe, veranlasst ihn zum Einzug und behandelt ihn wie einen Gigolo. Jedweden Versuche Joes, den Klauen der zunehmend psychotisch auftretenden Frau zu entkommen, quittiert diese mit glamourös inszenierten Selbstmordversuchen, dramatisch gespielten Szenen und Intrigen.

Wilders ebenso berühmte wie bittere Abrechnung mit Hollywood und der anthropophagen Filmindustrie, eine Reminiszenz an die vermeintlich besseren Zeiten des glamourösen Stummfilms, in denen Menschen wie Hauptdarstellerin Swanson, Rudolph Valentino oder die in "Sunset Blvd." als sie selbst auftretenden Cecil B. DeMille, Buster Keaton und Hedda Hopper noch als Halbgötter behandelt und gefeiert wurden. Dass die Eigenschaft, seine Protagonisten in höchste Höhen zu hieven, nur, um sie dann aus ebendiesen wieder unsanft zu Boden fallen zu lassen, zu Hollywoods ureigenen zählt, davon handelt die Geschichte um Norma Desmond und Joe Gillis. Zudem ist sie auch so etwas wie der Beginn des Hag-Horror-Subgenres, in dem verstörte, betagtere Damen, zumeist von echten Ex-Diven porträtiert, durch innere oder äußere Umstände noch mehr der Verstörung anheim fallen, bis am Ende, im Gefolge der plotinternen Katastrophe, die letzte Quittung in Form völliger Umnachtung auf sie wartet.
Nach der Film-Premiere soll Louis B. Mayer, selbst ein altes Schlachtross frühester Studio-Triumphestage, Billy Wilder wutentbrannt als "Bastard" beschimpft haben. Eine solch bezaubernde Anekdote kann einem Film wie "Sunset Blvd." nur formvollendet bewerben, denn Legende und Realität, Realität und Fiktion vermischen sich hier nochmal auf einer ganz anderen Ebene als auf der Leinwand.

9/10

Billy Wilder Hollywood Kalifornien film noir femme fatale Madness Satire


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THE LOST WEEKEND (Billy Wilder/USA 1945)


"Pour it, Nat!"

The Lost Weekend (Das verlorene Wochenende) ~ USA 1945
Directed By: Billy Wilder

Der erfolglose Autor Don Birnam (Ray Milland) ist Alkoholiker. Die Sucht nach billigem Fusel bestimmen sein Leben und sein Tagesgeschäft, derweil sein Bruder Wick (Phillip Terry) und seine Freundin Helen (Jane Wyman) alles probieren, ihm zu helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Nach einem hart durchzechten Sommerwochenende, an dem Dons letzte moralische Schranken fallen, er zum Bettler wird, zum Dieb, zum Ausgestoßenen, auf der Suchtstation landet und schließlich ein hartes Delirium durchmacht, fasst er den Plan, alles zu einem sauberen Abschluss zu bringen.

Mit "The Lost Weekend" habe man angefangen, ihn wirklich ernstzunehmen, konstatierte Billy Wilder einst angesichts des ungeplanten, gloriosen Erfolges seines Meisterwerks. Dass der gleichermaßen früher wie später für seinen spritzigen Humor bekannte Regisseur auch Arbeiten abzuliefern wusste, die harten Alltagshorror beinhalteten, mag sich ein eher unbedarfter Zuschauer kaum ausmalen. Und doch ist "The Lost Weekend" von einer geradezu lehrbuchhaften Gültigkeit, was die Zeichnung von Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit anbetrifft, das völlig zeitentrückte Chargieren zwischen Wohnung und Kneipe, der verderbliche Zustand während des akuten Entzugs und später dann wieder die lallende Großkotzigkeit, wenn der Whiskey das Serotonin auf Trab gebracht hat. Gut, dass ein Alkoholiker irgendwann den abrupten Suizid plant, mag vielleicht mehr der filmdramaturgischen Schlüssigkeit denn realer Suchtpathologie geschuldet sein, im Falle Don Birnam jedoch macht es durchaus Sinn. Millands zwingende Darbietung bietet schauspielerische Schwergewichtsklasse, seine mit leerem Blick vorgetragene Säufervita, sein verdurstendes Taumeln über die Third Avenue, vorbei an all den jüdischen Pfandleihhäusern, die geschlossen haben, weil Yom Kippur ist und all die vielen anderen grandiosen Szenen, deren Aufzählung müßig wäre, weil man sie unbedingt selbst gesehen haben und sehen muss, wieder und wieder.

10/10

Billy Wilder New York Alkohol Sucht Brüder Literatur film noir


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THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (Tay Garnett/USA 1946)


"With my brains and your looks, we could go places."

The Postman Always Rings Twice (Im Netz der Leidenschaft) ~ USA 1946
Directed By: Tay Garnett

Der Tagelöhner und Vagabund Frank (John Garfield) kommt eines Tages zum kleinen Highway-Diner "Twin Oaks", das von dem alternden Nick (Cecil Kellaway) und seiner schönen jungen Frau Cora (Lana Turner) bewirtschaftet wird. Frank verfällt Cora gleich, als er sie zum ersten Mal erblickt. Fortan kommen die beiden nicht mehr voneinander los und scheint Nick nicht schon blind für ihre Liaison, forciert er diese sogar regelrecht. Irgendwann erwächst aus einer unbedachten Bemerkung Franks der Plan, Nick zu ermorden, um freie Bahn zu haben und sein Restaurant zu erben. Erst der zweite Mordversuch gelingt, aber schon nach dem ersten heftet sich der karrieresüchtige Staatsanwalt Sackett (Leon Ames) an Franks und Coras Fersen. Nur die Verschlagenheit des Anwalts Keats (Hume Cronyn) rettet das Paar vor der Verurteilung; am Ende jedoch erwartet es die göttliche Gerechtigkeit.

Nachdem Luchino Visconti Cains Roman mit seinem "Ossessione" bereits zwei Jahre zuvor adaptiert hatte, allerdings ohne sich aus Übersee die Genehmigung von Verlag und Autor einzuholen, erfolgte mit "The Postman Always Rings Twice" die erste offizielle Verfilmung vor der eigenen Haustür. Für alle Beteiligten bildete der schwitzig-schwüle Film den jeweils größten Karrierehöhepunkt, für Tay Garnett, John Garfield und Lana Turner, deren Rollenimage hernach komplett festgelagt war auf den rauen Outlaw respektive die ebenso erotische wie berechnende Blondine. Cains Geschichte schließlich besitzt als archetypischer, ikonographischer film noir bis heute Gültigkeit und Bestand: Das amoralische Paar, getrieben von triebhafter Verlotterung, blanker Körperlichkeit und der bloßen Gier auf- und nacheinander, das sich am Ende liebt und hasst und misstraut - vor allem aber verdient, die harten Kontrast Kaliforniens vom lichten Wüstentag bis hin zur finstersten Nacht, in der die bösen Pläne unerkannt im Schatten reifen können. Dann der obligatorische, schmierige Erpresser, der am lüsternen Leid des armen Betrügerpaars seinen Schnitt zu machen versucht, schließlich das von Korruption durchsetzte Rechtssystem, in dem noch jeder Klüngel erfolgreich ist und sich für irgendwen rentiert.
Garnetss Film hat all das und mehr.

9/10

Tay Garnett James M. Cain Kalifornien amour fou femme fatale film noir Courtroom


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MILDRED PIERCE (Michael Curtiz/USA 1945)


"Oh boy! I'm so smart it's a disease!"

Mildred Pierce (Solange ein Herz schlägt) ~ USA 1945
Directed By: Michael Curtiz

Aus eher einfachen Verhältnissen stammend, ist ihre ältere Tochter Veda (Ann Blyth) der Hausfrau Mildred Pierce (Joan Crawford) einfach alles. Dass Veda ein verwöhntes, hochnäsiges und boshaftes Mädchen ist, schiebt Mildred beiseite; sie versucht, Veda jeden noch so kostspieligen Wunsch zu erfüllen. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann Bert (Bruce Bennett) und dem Krankheitstod ihrer jüngeren Tochter Kay (Jo Ann Marlowe) beginnt sie eine Liaison mit dem wohlhabenden Playboy Monte Beragon (Zachary Scott) kennen, der das Geld mit vollen Händen zum Fenster rauswirft. Mildred wird zur ehrgeizigen Gastronomin, die ihr sauer verdientes Geld im Prinzip jedoch nur dazu benutzt, um es wahlweise Veda oder Beragon in den Rachen zu schieben. Als Mildred feststellt, dass hinter dem stiefväterlichen Geturtel der beiden mehr steckt, kommt es zur Katastrophe.

Für die Diva Joan Crawford bedeutete die Rolle der Mildred Pierce in dieser Adaption von James M. Cains gleichnamigem Roman eine glorreiche Rückkehr in die vordersten Studionlinien, nachdem man sie, die mittlerweile stramm auf die 40 zuging, zuvor schon fast abzuschreiben geneigt war. Die Crawford jedoch wusste nachweislich zu demonstrieren, dass es in Hollywood auch ernstzunehmende Frauenrollen jenseits von Starlet und Heldenliebchen zu finden gab, erntete dafür gewaltigen Zuspruch und einen Oscar. Nicht unähnlich ihrer eigenen Vita, die vom Revuemädchen über den schillernden Star zurück zur Prä-Bedeutungslosigkeit bereits einigen Wellen hatte standhalten müssen, passte die kantige Kühle auch wirklich ganz hervorragend in dieses inbrünstig formulierte Frauenporträt. Der Autor James M. Cain indes zeigte sich als einmal mehr unerlässlich für das vom film noir transportierte, neue Weltbild zwischen Zusammenbruch und privatem Inferno. Auch in "Mildred Pierce" lässt er mehrere miteinander verwobene Einzelschicksale naturgewaltig gegeneinanderprallen wie gigantische Eisschollen. Am Ende bleiben nurmehr Verlierer und manche Rückblicke auf teils lange zurückliegende Fehler.

9/10

Michael Curtiz James M. Cain Film noir Mutter & Tochter Scheidung Familie Los Angeles


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FROM HELL TO VICTORY (Umberto Lenzi/I, E, F 1979)


"To Jürgen!"

From Hell To Victory (Nur Drei kamen durch) ~ I/E/F 1979
Directed By: Umberto Lenzi

Der heraufziehende Zweite Weltkrieg durchkreuzt die so hochgelobte Freundschaft der aus unterschiedlichen Ländern stammenden, sechsköpfigen, kleinen Pariser Clique: Brett Rosson (George Peppard) plant und leitet Geheimoperationen für das US-Militär, Maurice Bernard (George Hamilton) kämpft für De Gaulle und hilft den Alliierten bei Sabotageaktionen, Jürgen Dietrich (Horst Buchholz) wird Wehrmachtsoffizier, Dick Sanders (Jean-Pierre Cassel) fliegt halsbrecherische Einsätze für die R.A.F., Ray MacDonald (Sam Wanamaker) arbeitet in London als Kriegskorrespondent und die schöne Fabienne (Anny Duperey), einzige Dame unter den Herzbuben, geht in die Résistance. Immer wieder kreuzen sich in den folgenden fünf Jahren ihre Wege, im Kampf und dazwischen - doch nur die Hälfte wird sich am 25 August 44 in jenem kleinen Café in Montmartre wiedersehen.

Die Lenzis Großproduktion zur Verfügung stehenden Ressourcen waren offenbar nicht zu verachten: Eine solche Akribie im Umgang mit Mensch und Material und im Vorzeigen seiner Mittel mutet innerhalb des Gesamtwerks des Exploitation-Wizard durchaus rar an. Ähnlich wie für den ein Jahr zuvor entstandenen "Il Grande Attacco" stand Lenzi hier eine internationale Starbesetzung zur Verfügung, die sich durch einen reichhaltigen Ausstattungsfundus und eine ganze Reihe pittoresker Originalschauplätze durchaus bestärkt gefühlt haben dürfte. Das potenziell kitschbehaftete Thema "Freundschaft in Zeiten des Krieges" eignet sich denn auch geradezu perfekt für eine Aufbereitung als mehrteilige TV-Miniserie, als welche "From Hell To Victory" möglicherweise deutlich gewinnender bestanden haben sollte. Ein Problem Lenzis liegt nämlich in der - durch wenn auch immer so rigoros reglementierten - erzählzeitlichen Korsettierung. 95 Minuten sind für ein sich über fünf Jahre erstreckendes und sechs (eigentlich sogar acht, zählt man Capucine als wehrhafte Baroness und Ray Lovelock als verlorenen Sohn hinzu) Geschichten umfassendes Kriegspanoptikum schlicht ein Witz. Da Lenzi großen Wert auf seine mitunter ausladenden Actionszenen legt, bleibt noch weniger Zeit fürs storytelling und so wirkt der Film abgehackt, da wo Epik gefragt wäre, gedrungen, wo er hätte ausladend sein müssen, silhouettiert, wo es langer Einstellungen bedarf. Hinzu kommt, dass Lenzis Stars im Schnitt zehn bis fünfzehn Jahre zu alt für ihre Rollen sind. Angesichts "From Hell To Victory" könnte man glatt dem Glauben anheim fallen, der Zweite Weltkrieg wäre ausschließlich von graumelierten Frühfünfzigern ausgefochten worden. Dennoch ist der Film ansätzlich durchaus schön, extrem unterhaltsam, macht viel Freude und nimmt in Lenzis Œuvre eine echte Sonderstellung ein.

7/10

Umberto Lenzi WWII Freundschaft Paris Résistance


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BLACK NARCISSUS (Michael Powell, Emeric Pressburger/UK 1947)


"How do I know what nuns eat?"

Black Narcissus (Die schwarze Narzisse) ~ UK 1947
Directed By: Michael Powell/Emeric Presburger

Die junge Ordensschwester Clodagh (Deborah Kerr) soll in Mopu im indischen Teil des Himalaya eine Klosterschule für die einheimischen Mädchen leiten, sie das Wort Gottes, die englische Sprache und ein Mindestmaß gepflegter, abendländischer Zivilisiertheit lehren. Zusammen mit vier weiteren Nonnen nimmt sie die schwierige Arbei in Angriff. Doch das Kloster, ehemals ein lokaler Herrscherpalast, übt auf die fünf Neuankömmlinge teils höchst unterschiedliche, in jedem Fall allerdings eine prägende Wirkung aus: Sie alle besinnen sich ihrer lange verdrängten, weltlichen Wurzeln, trauern ihrem früheren Leben und lange verflossenen Liebschaften hinterher oder verlieben sich, wie im Falle der zunehmend psychotischen Schwester Ruth (Kathlee Bryon), sogar neu - in den britischen Verwalter Dean (James Farrar). Jener indes ahnt, dass der Berggipfel mit missionarischer Geisteshaltung nicht zu bezwingen ist und prognostiziert bereits früh die heraufziehende Katastrophe...

Ein Hochgenuss in jeder Hinsicht, demonstriert dieses große Kunstwerk von Powell und Pressburger, was Kino einst zu leisten im Stande war: Die Erschafung von Mythen, Geheimnissen und Exotik, nicht minder den zielgerichteten, klugen Einsatz von Technicolor, der dem Gesamwerk dienlich war und den mittlerweile völlig verbrauchten Begriff "Farbdramaturgie" greifbar erläutert. Dazu die fein pronocierte antiimperialistische Gesinnung des Ganzen, die am Ende nichts anderes herausprustet als ein beleibtes "Wir haben euch nicht gerufen, wir wollen und brauchen euch und euresgleichen nicht! Verschwindet hier oder bleibt und verderbt!". Eine bittere Erfahrung für die darbenden, dem erotischen Vertrocknen nahen Bräute Jesu, die denn auch nicht durchweg dem von Mystik und primitiver Wollust geschwängerten Klima und den in der Luft zu liegen scheinenden Verlockungen jenes gleichermaßen so kontemplativen und beflügelnden Ortes widerstehen können. Cardiffs Bilder sind voll von symbolischer Schönheit, seine Gesichter, jedes aus anderer Perspektive und Beleuchtung aufgenommen, von ebenmäßiger Kraft. Der Moment, als die zuvor nur im weißen Gewand zu sehende Ruth plötzlich als "normale" Frau dasteht, rothaarig, schön, und doch den fiebrigen Irrsinn im Blick, wirkt auf verstörende Art berühend und kann es in seiner Wirkung mit jedem Horrorfilm-Schockmoment aufnehmen.

10/10

Michael Powell Emeric Pressburger Jack Cardiff Kloster Indien Nonnen Madness Himalaya


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THE LOST MOMENT (Martin Gabel/USA 1947)


"I never sleep. I hear every sound in this house."

The Lost Moment (Briefe aus dem Jenseits) ~ USA 1947
Directed By: Martin Gabel

Der New Yorker Verleger Lewis Venable (Robert Cummings) bemüht sich um das literarische Erbe des romantischen Dichters Jeffrey Ashton, der Mitte des 19. Jahrhunderts unter ungeklärten Umständen verschwunden ist. Jener Poet hatte offenbar einen regen Briefwechsel mit seiner damaligen Geliebten, der venezianischen Edeldame Juliana Bodereau (Agnes Moorehead). Mittlerweile steinalt lebt diese mitsamt ihrer jungen Nichte Tina (Susan Hayward) noch immer in dem einst prächtigen, zusehends verfallendem Herrenhaus in der Lagunenstadt. Um an die Briefe Ashtons zu gelangen, gibt sich Venable als Autor aus, der die Atmosphäre des Hauses benötige, um sein neuestes Werk zu vollenden. Dabei macht er sowohl die Bekanntschaft der uralten Juliana als auch die Tinas, die, eigentlich eine reservierte und kühle Frau, nächtens bizarre Regressionen durchlebt, während derer sie sich als ihre eigene, Jeffrey Ashton hinterherschmachtende Tante in jungen Jahren wähnt. Zunehmend von Tina fasziniert, sieht sich Venable bald mit der Entscheidung konfrontiert, seiner Liebe zu der hilfebedürftigen Schönheit stattzugeben, oder mit Ashtons Briefen das Weite zu suchen...

Ein vergessenes, kleines Kunstwerk der Schauerromantik, einst vom Produzenten Walter Wanger als Vehikel für seine von ihm heißbegehrte Muse Susan Hayward vom Stapel gelassen, die mit dem Ergebnis jedoch wohl nicht ganz zufrieden war. Der Publikumsandrang hielt sich denn auch in überschaubaren Grenzen, "The Lost Moment", eine der ersten Henry James-Adaptionen, stieß auf weitflächige Ablehnung und Unverständnis. Für Martin Gabel, der hier und da immer wieder als Film- und TV-Schauspieler in Erscheinung getreten ist, blieb es die einzige Regiearbeit. Ein Jammer, denn seine Fähigkeit zu gezielter Evokation von Atmosphäre ist nicht von der Hand zu weisen. Venedig als Schauplatz der Handlung ist angesichts der zumeist im und um das Haus Bodereau angesiedelten Atelier-Aufnahmen reine Makulatur und lediglich der Konstruktion der Vorlage geschuldet; die Ahnung allerdings, dass Venedig hinter und vor allem unter seinen alten Mauern längst vergessene Mysterien und Geheimnisse birgt, ist und bleibt omnipräsent. An der Beleuchtung hätte man hier und da feilen können, ein nächtlicher Erkundungsgang Venables durch das unüberschaubare Haus, der dazu dient, den Ursprung ferner Pianoklänge ausfindig zu machen, verschenkt Wanger indem er ihn von der Dunkelheit verschlucken lässt. Dennoch bleibt ein beachtliches Werk, an dem James-Anhänger trotz mancher Änderungen ihre Freude haben werden.

8/10

Martin Gabel Venedig Literatur Henry James


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IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN (Franz Josef Gottlieb/BRD, E 1965)


"Allah sei mit dir, Effendi." - "Und Gott mit dir."

Im Reiche des silbernen Löwen ~ BRD/E 1965
Directed By: Franz Josef Gottlieb

Der Machredsch von Mossul (Djordje Nenadovic) konnte sich retten und plant, neben der Rache an Kara Ben Nemsi (Lex Barker) und seinen Verbündeten, des von der weisen Mara Durimeh (Anne-Marie Blanc) behüteten Chaldäerschatzes habhaft zu werden. Zu diesem Zweck verbündet sich der Machredsch mit dem gefürchteten Banditenboss Abu Seif (Sieghardt Rupp), entführt die schöne Ingdscha (Marie Versini), die sich mittlerweile in Karas Freund Ahmed El Corda (Gustavo Rojo) verliebt hat und erwirkt beim Padischah (Fernando Sancho) eine Komplett-Amnestierung. Dieser, gegen Kara und Halef (Ralf Wolter) aufgehetzt, lässt die Freunde eine gefährliche Prüfung bestehen, bevor sie der Mara Durimeh zur Hilfe eilen können.

Chris Howland, der auch in "Im Reiche des silbernen Löwen" wieder als Sir Davids (Dieter Borsche) Butler Archie zu sehen ist, wusste bis vor wenigen Jahren angeblich noch nichteinmal von der Existenz dieses Films. So haben Regisseur und Hauptdarsteller ebenfalls erst vor Ort in Almería und per Zufall erfahren, dass sie hier eigentlich zwei Filme herstellen, anstatt, wie allgemein angekündigt, nur einen. Artur Brauner, für diese windige Art der Geschäftspraxis zuständig und verantwortlich, hatte sich in der Folge mit mehreren Klagen durch die gerichtlichen Instanzen zu prügeln, unter anderem mit einer von Lex Barker, die dieser erst Jahre später gewinnen konnte. Für Brauner wurde "Im Reiche des silbernen Löwen" somit zum Abschreibeobjekt degradiert: Der Film ist bei aller sonstigen, dem Vorgänger "Durchs wilde Kurdistan" immerhin in punkto Ausstattung und Inszenierung absolut ebenbürtigen Qualität, sehr nachlässig und hastig montiert worden, was seinem Rhythmus zumindest geflissentlich schadet. Zudem ließ Brauner den Film nicht über seine übliche Verleihfirma Gloria, sondern über die Münchener Nora ins Kino bringen, um einen älteren Vertrag erfüllen zu können. Die bis heute komplizierte Rechtelage verhinderte somit auch eine Restauration von "Im Reiche des silbernen Löwen", der als einziger May-Film der Sechziger selbst auf DVD nur in minderwertiger Qualität und im falschen Format vorliegt. Dieses unflätigen Missstandes könnte und sollte sich einmal endlich jemand annehmen.

6/10

Franz Josef Gottlieb Karl May Kara Ben Nemsi Naher Osten Orient Sequel period piece


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DURCHS WILDE KURDISTAN (Franz Josef Gottlieb/BRD, E 1965)


"Die Hände hoch, du unglückselige Hauptfigur eines furchtbaren Trinkeralbtraums!"

Durchs wilde Kurdistan ~ BRD/E 1965
Directed By: Franz Josef Gottlieb

Nachdem Kara Ben Nemsi (Lex Barker) und sein Freund Hdschi Halef Omar (Ralf Wolter) den Schut zur Strecke gebracht haben, feiert ganz Nahost sie als Helden. Doch es naht schon die nächste Schweinerei: Der böse Machredsch von Mossul (Djordje Nenadovic) will Ahmed (Gustavo Rojo), den Sohn des Scheichs Emin (Charles Fawcett), öffentlich hinrichten lassen und marodiert sich auch sonst ungestraft durchs kurdische Hinterland. Kara, Halef und der Scheich befreien Ahmed aus der Gewalt des versoffenen Mütesselin (Werner Peters) und überzeugen den Scheich Kadir Bei (Charles Fawcett) von der Schuld des Machredsch, der nach einem Zweikampf mit Kara von einem hohen Felsen stürzt.

Nach einem knappen Jahr Pause war Kara Ben Nemsi wieder da, in einer allerdings nicht mehr ganz so wertigen Fortsetzung, wie man hinzusetzen darf. Bei "Durchs wilde Kurdistan", der von dem routinierten Allesfilmer Franz Josef Gottlieb back to back mit der direkten Fortsetzung "Im Reiche des silbernen Löwen" hergestellt wurde, kam Brauners berühmt-berüchtigte Sparpolitik zum Tragen: Statt von dem in "May-Kompositionen" mittlerweile erfahrenen Martin Böttcher stammt die weitaus weniger schöne Musik diesmal von gleich drei gelisteten Komponisten, allen voran Raimund Rosenberger (Brauners ursprüngliche Idee, den Score bei Maurice Jarre in Auftrag zu geben, dürfte ihm angesichts dessen Honorarforderungen rasch die Dollarzeichen aus den Augen gewischt haben); das als Drehort herhaltende, zerklüftete Almería taugt als Kulisse für Western, nicht jedoch als solche für ausladende Abenteuerfilme und dass Charles Fawcett gleich in zwei Rollen als unterschiedliche Scheichs zu sehen ist, mutet auch nicht eben kostenfreigiebig an. Ferner fallen die Tricks um Sir David Lindsays (Dieter Borsche) fliegende "Geheimwaffe RS-1", einen hübsch bunten Fesselballon, der, von Borsche, Chris Howland, Marie Versini als Prinzessin Ingdscha und ihrer Zofe (Gloria Cámara) besetzt, eine überdeutliche Eminiszenz an Vernes Phileas-Fogg-Luftfahrzeug darstellt, mit Verlaub höchst bescheiden aus. Immerhin: witzig, besonders wegen des großartigen Werner Peters, ist dieser "Para-May" an allen Ecken und Enden; er macht Spaß und bringt bei aller sonstigen Bescheidenheit viel Herz mit.

6/10

Karl May Kara Ben Nemsi Türkei period piece Franz Josef Gottlieb





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