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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE PRINCESS BRIDE (Rob Reiner/USA 1987)


"This being our first try, I'll use the lowest setting."

The Princess Bride (Die Braut des Prinzen) ~ USA 1987
Directed By: Rob Reiner

Ein Junge (Fred Savage) bekommt von seinem Opa (Peter Falk) das Buch von der "Braut des Prinzen" am Krankenbett vorgelesen, obschon er Märchen eigentlich langweilig und blöd findet. In der Geschichte wird das Liebespaar Buttercup (Robin Wright) und Westley (Cary Elwes) getrennt. Während Buttercup, im Glauben, Westley sei tot, auf die Heirat mit dem schmierigen Prinzem Humperdinck (Chris Sarandon) wartet, wird sie von dem kriegstreibenden Gauner Vizzini (Wallace Shawn) und seinen Partnern Inigo Montoya (Mandy Patinkin) und Fezzik (André the Giant) entführt. Doch Westley lebt und kehrt als maskierter Korsar zurück, um Buttercup zu befreien und wieder zu der Seinen zu machen.

Rob Reiners Film erfreut sich ja ungebrochener Beliebtheit, wie seine konstante Listung in der imdb-Top-250 beweist. Wohl zu Recht, denn der Ansatz, einem potenziellen Kinderfilm eine Metaebene zu verleihen, die einerseits über Wesenhaftigkeit und Status klassischer Märchen und Sagen in der hedonistischen Yuppie-Ära der Achtziger Auskunft gibt und andererseits mit spitzfindiger Komik auch gesetzte Herrschaften zum Schmunzeln bringt, geht perfekt auf. Ohne die übertriebene Effekte-Zauberei eines George Lucas, der fast zeitgleich mit "Willow" einen nicht unähnlichen, jedoch wesentlich oberflächlicheren Film vom Stapel ließ, erfrischt "The Princess Bride" mit den ebenso luziden wie bewährten Mitteln des klassischen hollywood'schen Abenteuerkinos immer wieder aufs Neue Herz und Hirn.

9/10

Rob Reiner Märchen Magie Satire Kinderfilm Riese


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ALL THAT JAZZ (Bob Fosse/USA 1979)


"It's showtime, folks!"

All That Jazz (Hinter dem Rampenlicht) ~ USA 1979
Directed By: Bob Fosse

Joe Gideon (Roy Scheider), Arbeitstier, promisker Lebemann, Kettenraucher, Trinker und Ex-Familienvater ist in der Welt des Showbiz zu Hause, parallel inszeniert er eine gigantische neue Broadway-Show, schneidet seinen letzten Film und versucht, seiner Tochter (Erszebet Foldi) zumindest ein halbwegs guter Vater zu sein. Die Warnhinweise seines langsam streikenden Herzens nimmt er nicht ernst und so landet er mit einem Infarkt im Krankenhaus. Selbst der sich anschließende Bypass kann sein Temperament nicht zügeln. Als er mit letzter Kraft einräumt, dass er noch leben möchte, ist es jedoch zu spät. Seine finalen Momente spielen sich vor seinem Auge ab wie eine weitere von ihm choreographierte Revue.

"All That Jazz", dieses Monster von einem Film, habe ich nach fünfzehn Jahren Pause und immer wieder greifenden Aufschüben zum zweiten Mal gesehen, hat mich heuer völlig weggeblasen und ist prompt durchgestartet bis unter meine vorderen Lieblingsfilme. Ein definitives künstlerisches Statement seines Urhebers Bob Fosse, der Joe Gideon als alter ego seiner selbst auf der Leinwand abbildet. Roy Scheider in einem darstellerischen One-Man-Kraftakt ohnegleichen, eine reichhaltig-komplexe Erzählweise, in der das Innenleben des Protagonisten mittels perfekter Stilsierung zum Leben erwacht, ohne besondere Rücksicht auf Konventionen oder vorgebliche Anbindungen an die realis. Eine unbestechlichere, künstlerisch purere Studioproduktion dürfte es selbst in den vergleichsweise freien, frühen Siebzigern kaum gegeben haben; Fosse aber setzt sich und sein Werk mittels bewundernswert unbelasteter Stringenz durch. Wegen seiner stilistischen Kraft auf der einen Seite und seines thanatischen Themas auf der anderen zugleich erhebend und niederschmetternd. Eine universelle Bestandsaufnahme nicht zuletzt seines Milieus und dessen Funktionsmechanismen dürfte kaum möglich sein: selbst der Größte ist austauschbar; so etwas wie einen "König der Unterhaltungskunst" gibt es nicht, allerhöchstens in der Autosuggestion. Am Ende war ich vollkommen fertig, durch die Mangel gedreht und fühlte mich wie Joe Gideon kurz vorm Exitus. Ein Wahn-Sinn.

10*/10

Bob Fosse Vaudeville Broadway Tod Musik Tanz New York Zigaretten


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SERBUAN MAUT (Gareth Evans/ID, USA 2011)


Zitat entfällt.

Serbuan Maut (The Raid) ~ ID/USA 2011
Directed By: Gareth Evans

Ein offiziell unautorisierter Polizeieinsatz sieht vor, dass eine zwanzigköpfige Einheit unter dem Offizier Wayhu (Pierre Gruno) durch ein vom Druglord Tama (Ray Sahetapy) kontrolliertes Hochhaus mitten im Slum bis zur obersten Etage hochkämpft, wo von wo aus Tama relativ gut beschützt das gesamte Gebäude überwacht und kontrolliert. Auf seinen Aufruf hin setzen sich fast sämtliche Mieter im Haus gegen die Polizisten zur wehr, was eine rasche Dezimierung derer Gruppenstärke zur Folge hat. Einzig der perfekt trainierte Elitekämpfer Rama (Iko Uwais) kämpft sich behende durch die Stockwerke.

Ich mag keinen Zirkus. Mit Körperartistik kann ich nichts anfangen. Mit selbstzweckhafter Filmgewalt hingegen schon. Wie also reagieren, wenn beides zusammenfällt? Im Grunde begreiftt sich "Serbuan Maut" wohl als eine Art postmoderner Form des grand guignol ostasiatischer Prägung (ich weiß nicht, nennt man's Peking-Oper?), die vor allem auf Staunen und offene Münder abzielt, auf die forcierte Betäubung des Publikums durch möglichst pausenlose Kinetik. Der Handlungsschauplatz, ein grauer Betonklotz mit kargem Interieur, könnte dafür zweckdienlicher nicht sein; die Notwendigkeit der überschaubaren Raumkonstruktion hebt sich trotz des streng begrenzten set piece vollkommen auf und ermöglicht so eine anonyme Abfolge von Kampfszenen, in denen Stich- und Schusswaffen gleichrangig eingesetzt werden. In der Brachialität und Choreographie seiner unzähligen Duelle zählt Evans' Film mit Sicherheit zum Besten am Markt, eine Seele, und diese möchte der Film gern besitzen, das wird vor allem gegen Ende deutlich, versagt sich "Serbuan Maut" jedoch infolge seiner übereifrig verzierten Oberfläche auf ganzer Linie. Mir daher unsympathisch und bedeutungslos.

4/10

Gareth Evans Indonesien Hochhaus Martial Arts Brüder


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HOME MOVIES (Brian De Palma/USA 1980)


"Cut!"

Home Movies (Home Movies - Wie du mir, so ich dir) ~ USA 1980
Directed By: Brian De Palma

Der Filmdozent "The Maestro" (Kirk Douglas) erzählt seinen Studenten die Geschichte des schrulligen Denis Byrd (Keith Gordon), eines einst vielversprechenden Talents der Guerilla-Filmerei, das jedoch infolge diverser Familienkrisen, einer Kopfverletzung und unerfüllter Liebe zu einem bedauernswerten Idioten wurde - denkt der Maestro. Denn tatsächlich gibt es auch für Dennis das vielgeliebte Happy End mitsamt seiner Kristina (Nancy Allen) und abseits vom chaotischen Filmfach.

Unabhängige Produktion von De Palma, zwischen seine zwei Meisterwerke "The Fury" und "Dressed To Kill" eingeflochten und mit einer Schnittmengenbesetzung beider Filme realisiert. Metaleptisch pendelt De Palma zwischen den 16mm-Berichten des 'Maestro' (von Kirk Douglas unter kaum fassbarer Selbstnegierung wunderbar gekonnt interpretiert) und "seiner eigenen Erzählung" in 35mm umher, den künstlerischen und emotionalen Eulenspiegel Dennis Byrd stets im Zentrum des Geweses. Diese formale Konfusion nutzt De Palma zugleich für einen Rundum-Attacke gegen alles, was ihn derzeit so anpisst: verlogenes Spießertum, Männlichkeitswahn, Disziplinierungsirrsinn, New-Age-Idiotie, Rassismus, Polizeigewalt. Und vor allem: das Ende von New Hollywood, dessen einstige Gallionsfigur er immerhin zu sein pflegte. Oder zumindest eine davon. All das wird in den brodelnden Pott geworfen, verrührt und mit lustvoll eklektizistischer Hand serviert. Dabei schreckt De Palma, trotz gewohnter Verwendung seiner Spezialitäten wie etwa der ausführlichen, zentral angelegten Plansequenz, selbst vor Untypischem wie hemmungslosem, ins Surrealistische abgleitenden Slapstick nicht zurück. Für eine Retrospektive des Regisseurs schon aufgrund ihrer anarchistischen Ausprägung unerlässliche Arbeit; wer De Palmas berühmte Thriller jedoch nicht wegen ihm sondern ihrer Spannung wegen liebt, der sollte vielleicht besser einen großen Bogen um "Home Movies" machen.

7/10

Brian De Palma Independent New Hollywood Film im Film Metalepse Familie Satire Groteske Brüder Coming of Age


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LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE (Luciano Ercoli/E, I 1970)


Zitat entfällt.

Le Foto Proibite Di Una Signora Per Bene (Frauen bis zum Wahnsinn gequält) ~ E/I 1970
Directed By: Luciano Ercoli

Eines Abends nimmt ein mysteriöser Fremder (Simón Andreu) Kontakt zu Minou (Dagmar Lassander), Gattin des hoch verschuldeten Unternehmers Peter (Pier Palo Capponi), auf. Der Fremde behauptet, Peter habe einen Mord begangen und Minou müsse ihm nun zu Willen sein, wenn ihr Ehemann nicht an die Polizei verpfiffen werden solle. Der Erpresser nutzt Minous Angst schamlos aus und treibt sie zu auch psychisch grenzwertigen S/M-Spielchen. Zunächst offenbart Minou sich nur ihrer lockerlebigen Freundin Dominique (Susan Scott). Als sie später auch Peter von dem Erpresser berichtet, tut der ihre Geschichte, ebenso wie die ermittelnden Polizisten, als überspannte Fantasien ab. Doch der Dunkelmann lässt nicht locker...

Der in solcherlei Filmen geschulte Chronist (diverse Castle- und Hammer-Produktionen der vorvergangenen Dekade leisteten dazu ihr Übriges) weiß direkt von Beginn an, in welche Richtung der Hase läuft. Und tatsächlich behält man am Ende Recht, wenngleich ich die laszive, sich am Ende als Retterin entpuppende Susan Scott auch auf der dunklen Seite der Macht vermutet hätte, mehreren falsch gelegten Fährten Ercolis sei Dank. So kann man sich aber wenigstens auf das Spätsechziger-Ambiente des Films einlassen, das von Ennio Morricones groovender Musik getragen wird. Die Leute qualmen und saufen bei jeder Gelegenheit, als gäbe es kein Morgen. Man muss angesichts all des Whiskeyflusses (statt des obligatorischen Kulissendrinks JB gibt es hier ausnahmsweise mal Chivas) rückblickend vermuten, dass jedermann zu dieser Zeit permanent einen gepflegten Dauerpegel vor sich her schob. Die Damen tragen zu gesellschaftlichen Anlässen lustige Hochperrücken und in der Disco wurden auf Kommando die lustigsten Verrenkungen vollführt ohne sich zu schämen. Warum auch, machten ja schließlich alle. Der zwingende Ära-Chic des Films passt nun vielleicht nicht unbedingt zu seiner - zudem schwer unlogisch konstruierten - Kriminalgeschichte, aber was soll's. Die genannten Oberflächenfaktoren bieten leicht gehobenes, angenehm frivoles Entertainment, dessen Conclusio nichts weniger als ein erfrischendes Plädoyer für die freie Liebe bereithält. Na also doch.

7/10

Luciano Ercoli Ehe Madness Freundschaft Sleaze


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THE FRONT (Martin Ritt/USA 1976)


"A writer looks for trouble."- "No, wrong. A lunatic looks for trouble."

The Front (Der Strohmann) ~ USA 1976
Directed By: Martin Ritt

Weil er in den Fünfzigern auf der Schwarzen Liste des HUAC landet, bittet der TV-Autor Alfred Miller (Michael Murphy) seinen Kumpel Howard Prince (Woody Allen), einen stets kurz vor der Pleite stehenden, unbedarften Kneipier und Buchmacher, die von Miller geschrieben Scripts gegen einen fairen Obolus unter seinem Namen weiterzuleiten. Der Plan funktioniert und bald darauf lassen sich zwei weitere Berufsgenossen Millers (Lloyd Gough, David Margulies) von Howard repräsentieren. Howard wird ein Star der Branche, verdient gutes Geld, bekommt eine bezaubernde Freundin (Andrea Marcovicci) - und zieht prompt die Aufmerksamkeit des HUAC auf sich. Dieses bringt zugleich unbarmherzig die Karriere des einstmals beliebten TV-Darstellers Hecky Brown (Zero Mostel) zu Fall. Als Howard schließlich selbst vor dem HUAC aussagen soll, bleibt ihm nurmehr die Wahl zwischen Verrat und Integrität...

Jeder Film, der über die unfassbaren Praktiken des HUAC entstanden ist oder dereinst noch entstehen soll, ist a priori von eminenter Bedeutung. Wenn daraus noch eine so gallige, erstklassige Dramödie wie "The Front" entsteht, dann ergänzen sich Pflicht und Kür zu einer ebenso aufwühlenden wie hervorragenden Einheit. Etliche ehemals "schwarzgelistete" Künstler, darunter Martin Ritt, der Autor Walter Bernstein und der bewegend agierende Zero Mostel wirkten an der Entstehung dieses filmischen Sägemessers mit, ohne sich im Nachspann die verspätete Ehre zu versagen, ihre einstige Involvierung in "unamerikanische Umtriebe" schriftlich zu Protokoll bzw. das Datum ihrer Listung bekanntzugeben. Bernstein macht dabei keinen Hehl daraus, dass etliche der geschäftsverbannten Künstler tatsächlich Kommunisten oder zumindest Sympathisanten waren, derweil andere vielleicht einmal bei einer Demo oder Kundgebung aufkreuzten und deswegen zu Denunziationen gezwungen wurden. "The Front" beschönigt nichts und verschweigt ebensowenig. Manch einen Gelisteten trieb das unausgesprochene Berufsverbot in den verzweifelten Freitod, andere in Depression und Isolation. Wie hier unter Senator McCarthy das so fanfarisch herausposaunte "Recht auf freie Meinungsäußerung" mit Füßen getreten wurde in einem Land, dass sich seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung rühmt wie kein anderes, das ist noch immer von Schaudern machender Doppelmoral. Und selten so sehenswert wie in diesem Fall.

10/10

Martin Ritt McCarthy-Ära New York Freundschaft Satire period piece Fernsehen


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LENNY (Bob Fosse/USA 1974)


"l'm not anti-Christ or anti-religion, l just think it's encouraging that people are leaving the Church and going back to God."

Lenny ~ USA 1974
Directed By: Bob Fosse

In Rückblenden und via Interviews mit seiner Ex-Frau Honey (Valerie Perrine), seine Agenten Artie Silver (Stanley Beck) und seiner Mutter (Jan Miner) wird die kurze und wechselhafte Karriere des Stand-Up-Komikers Lenny Bruce (Dustin Hoffman) nachgezeichnet: Von seinen ersten bescheidenen Erfolgen als braver Schmalspurkomödiant über seine weitere Karriere als enfant terrible der Jazz- und Nachtclubs, das mit obszönen Worthülsen Zensur und Staat zu puterroten Zornesausbrüchen trieb bis hin zu Auftrittsverboten und der unvermeidlichen Überdosis Heroin, die sein Leben traurig besiegelte.

In meisterhaftem Schwarzweiß photographiert präsentierte sich "Lenny" seiner Zeit selbst für New-Hollywood-Verhältnisse als recht unbequemes Biopic. Immerhin ist sein Impact bis heute spürbar; spätere "Nachzügler" von Formans "Larry Flynt" bis Mangolds "Walk The Line" zeigten sich von seiner Spezifik, die Vita einer betont unbequemen Persönlichkeit mit seinen Höhen und Tiefen zu skizzieren, beeinflusst - wenngleich die Idee mit dem fiktiven Interviewer zunächst Fosse respektive dem Autor Julian Barry vorbehalten blieb. Im Falle Lenny Bruce war jene Biographisierung im Film jedoch ohnehin nicht bloß wichtig, sondern für sein kulturelles Ambiente nahezu obligatorisch. Der altehrwürdigen, oftmals jüdischstämmigen Komikerkaste rund um Henny Youngman und Milton Berle bedeutete Lenny Bruce Zäsur: Er brachte gefürchtete Vierbuchstaben-Wörter nicht nur bewusst in seinem Repertoire unter, sondern strickte ganze Shows um sie herum; bei ihm ging es bereits um 'tits' und 'cocksucking', als der prüde US-Puritaner solcherlei Vokabular noch nichtmal unter Androhung der Todesstrafe in den mund genommen hätte, freilich stets unter unsubtiler Verweisung darauf, dass die wahre humane Perversion in Rassismus, Bigotterie und Militärintervention zu suchen sei. Sein unermüdlicher Kampf gegen das Establishment kostete ihn schließlich seine Karriere und, über sich anschließende Pfade, auch sein Leben, nicht ohne Nachfahren wie Richard Pryor oder George Carlin ein reich- und nachhaltiges Erbe hinterlassen zu haben. Dustin Hoffman macht seine Interpretation dieses diffizilen Charakters zu einem darstellerischen Kraftakt, der eine seiner großartigsten Leistungen bereithält. Ebenso wie "Lenny" vielleicht Bob Fosses größter Film ist.

10/10

Bob Fosse Stand-Up-Comedian Biopic period piece Drogen Heroin Ehe Scheidung based on play New Hollywood Courtroom Jazz


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JOHNNY MNEMONIC (Robert Longo/USA, CAN 1995)


"I want a full restoration; I want it all back!"

Johnny Mnemonic (Vernetzt - Johnny Mnemonic) ~ USA/CAN 1995
Directed By: Robert Longo

Im Jahre 2021 ist die Welt in gigantische Megastädte aufgeteilt, die von wenigen mächtigen Wirtschaftskonzernen beherrst wird, darunter der von der Yakuza infiltrierte Meikamentenriese 'Pharma-Kon'. Dieser hält die Geheimformel für ein Heilmittel gegen die global grassierende Nervenseuche NAS in der Hinterhand, die von im Untergrund operierenden Partisanen, den 'Lo-Teks', geraubt wird. Der lebende Datenträger Johnny (Keanu Reeves), der Teile seines Gehirns für eine Festplatte geopfert hat, um darin Daten schmuggeln zu können, soll die entsprechenden Formeln unwissentlich von Peking nach Newark transportieren. Ihm ständig auf den Fersen sind die Killer des Pharma-Kon-Bosses Takahashi (Takeshi Kitano). Für Johnny ist dieser Job von entscheidender Bedeutung, denn mit dem Erlös erhofft er sich eine Hirnrestauration. Dummerweise reicht seine Speicherkapazität nicht aus, um sämtliche der implantierten Daten dauerhaft im Kopf zu behalten; in 24 Stunden droht eine neurale Implosion. Zusammen mit Verbündeten vom Widerstand, darunter Bodyguard Jane (Dina Meyer), dem Arzt Spider (Henry Rollins) und dem Guerillero J-Bone (Ice-T), versucht Johnny, die Formeln und sich selbst vor Pharma-Kon zu retten.

Einer der Filme, die nach Jahren der kanonischen Exklusion mal ruhig eine Neubewertung vertragen könnten. Sicher, "Johnny Mnemonic" ist hier und da bestimmt etwas einfältig, liebäugelt allzu sehr mit dem Trash, als dass seriöse Kritiker ihm eine Chance einräumen könnten und soll außerdem William Gibson zufolge von TriStar für den Westmarkt stark umeditiert worden sein, derweil die japanische Fassung noch halbwegs intakt geblieben sei. Dennoch ist der Grad an lustvollen Verrücktheiten, mit denen Gibson und Longo ihren Film spickten, auch in der hier bekannten Version immer noch deutlich spürbar. Das beginnt schon mit der famosen Besetzung, vielleicht die ungewöhnlichste, die für einen Film dieser Dekade vor der Kamera stand. Neben den oben erwähnten Damen und Herren gibt es noch Udo Kier in einer ihm wie allgemein üblich grandios stehenden Rolle als Hinterhoflump und Dolph Lundgren, einmal ganz abseits von allen Klischees als wahnsinniger Cyberprediger, der christliche Symbole in grotesker Weise pervertiert und seine Gegner mit einem frommen Spriuch auf den Lippen zur Hölle schickt. Als 'savior of the day' fungiert schließlich ein im Cyberspace heimischer, den Lo-Teks helfender Delfin namens "Jones". Dazu hat es einige nette, jedoch überaus comicesk präsentierte Splattereffekte. Diese bunte Mischung war und ist für manch einen - verständlicherweise - einfach zuviel des Guten (oder Schlechten, je nach Ausgangslage). Ich glaube nunmehr, nach langer Betrachtungspause, dass in "Johnny Mnemonic" mehr schlummert, als man vielleicht spontan wahrhaben möchte. Die japanische Fassung jedenfalls wandert hiermit auf meine Wunschliste.

7/10

Robert Longo William Gibson Cyberspace Internet Zukunft Dystopie Virus Satire


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THE WIZARD OF OZ (Victor Fleming/USA 1939)


"Lions and tigers and bears! Oh, my!"

The Wizard Of Oz (Das zauberhafte Land) ~ USA 1939
Directed By: Victor Fleming

Weil sie mit ihrem Hund Toto von zu Hause weggelaufen ist, hat die kleine Dorothy (Judy Garland) ein furchtbar schlechtes Gewissen. Als sie sich dann während eines Wirbelsturms den Kopf stößt, träumt sie sich in das sagenhafte Land Oz, in dem sie sich mit der bösen Hexe des Westens (Margaret Hamilton) anlegt und drei Freunde, der Vogelscheuche (Ray Bolger), dem Zinnmann (Jack Haley) und dem Löwen (Bert Lahr) zu ihren Wunschträumen verhilft. Am Ende aber weiß Dorothy: "'S ist nirgends besser als daheim."

Da ihre Verdienste um die klassische Weltkultur eher bescheiden sind, klammern die Amerikaner sich voller Inbrunst und Verzweiflung an die wenigen entsprechenden Beiträge, darunter L. F. Baums Märchen "The Wonderful Wizard Of Oz", das in punkto globaler Popularität längst von dieser 39 Jahre jüngeren Technicolor-Adaption von MGM abgelöst worden ist. Die Songs und Dialogzeilen haben sich über die Jahrzehnte längst in das Weltbewusstsein eingefräst und begleiten vermutlich noch immer Milliarden von Menschen von Kindesbeinen an. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt jemals irgendein anderer Film einen solchen Impact auf die Massenrezeption hatte wie "The Wizard Of Oz". Der Film ist aber auch herrlich trippy: Die tanzenden Zwerge, die jederzeit als Atelier-Kulisse erkennbare Sagenwelt in leuchtenden Farben, die scheußliche grünhäutige Hexe mitsamt ihren fliegenden Affenmonstern, der wunderbar witzige Löwenmann, der allgemein vorherrschende Schulaufführungs-Charakter. Und inmitten all diesen gepuderten Irrsinns die gar nicht mehr so kleine, sondern mit siebzehn Jahren durchaus "grenzerwachsene" Judy Garland, die, ist man mal ganz ehrlich, in ihrer Interpretation als, tja, vermutlich zehn- oder elfjähriges Mädchen ein klein wenig albern wirkt. Da Flemings Film, an dem, ebenso wie an "Gone With The Wind" noch diverse andere Hausregisseure herumgedoktert haben, sich durch seine ihm bereits wesentlich innewohnende Irrealis aber ohnehin alles gestatten darf, ohne weiter zu erstaunen, macht auch das überhaupt gar nichts.

9/10

Victor Fleming Hexen Kansas Kinderfilm Traum Mervyn LeRoy


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THE CRYING GAME (Neil Jordan/UK, J 1992)


"I'm tired and emotional."

The Crying Game ~ UK/J 1992
Directed By: Neil Jordan

Ausgerechnet sein jüngstes Entführungsopfer, der britische Soldat Jody (Forest Whitaker) weckt die verloren geglaubte Menschlichkeit im Herzen des IRA-Soldaten Fergus (Stephen Rea) zu neuem Leben. So bringt er es auch nicht übers Herz, Jody wie beauftragt zu erschießen - stattdessen wird er bei seiner Flucht von einem Panzer seiner eigenen Leute überfahren und getötet. Zuvor hat Jody Fergus noch das Versprechen abgenommen, sich in London um seine Freundin Dil (Jaye Davidson) zu kümmern. Fergus, betrübt von der Entwicklung der Ereignisse, schließt mit seiner Vergangenheit ab und geht nach London, wo er Dil kennenlernt und gleich von ihr verzaubert ist. Umso größer sein Schock, als er feststellen muss, dass Dil in Wahrheit gar keine Frau ist, sondern ein transsexueller Mann ist. Trotz allen Widerwillens kann er sein Beschützerethos jedoch nicht beilegen: Als seine ehemaligen Gesinnungsgenossen wieder bei ihm auftauchen und Dil bedrängen, wird es Zeit für die Offenlegung ein paar unbequemer Wahrheiten...

Wohl dem, der einst das Glück hatte, die Offenbarung des "maskulinen" Geheimnisses von Jaye Davidson nicht vorauszuahnen und vor dem nichtsahnend eine vermeintlich herkömmliche erotische Szene implodierte. Ich ahnte damals tatsächlich nichts von jener Enthüllung und war bis zu diesem Augenblick der Meinung, einem der gewohnten, von mir stets sehr geschätzten IRA-Dramen beizuwohnen. Mit 16 kann man von einem Film kaum mehr aus den Schuhen gekloppt werden und ich kann mich noch heute an den Faustschlag erinnern, den mir der Anblick von Jaye Davidson Gemächt in mein eigenes versetzte.
Später genoss ich dann die Reaktionen ebenso "jungfräulicher" Mitseher bei heimischen VHS-Vorführungen. Immer wieder ein formidabler Spaß. Bis heute dürfte dieser Knalleffekt wohl weithin verflogen sein, schon "Hot Shots! Part Deux" spoilerte ihn ja seinerzeit mit lustigem Vergnügen. In Kenntnis ebenjener Entwicklung ändert sich auch das diskursive Gewicht des Films; es lässt sich über eine latente Homosexualität seitens Fergus' spekulieren, die bei all seinem IRA-Wahnsinn nie zur Auslebung gekommen und deren Aktivierung sozusagen ein Abschiedsgeschenk Jodys ist. Möglicherweise empfindet Fergus auch tatsächlich nur das Mitleid für den Hinterbliebenen, indem er Dil am Ende vor dem Gefängnis bewahrt. Leider verliert der Beginn des Films durch den Einschlag in der zweiten Hälfte und die Entwicklungen im letzten Akt etwas an Intensität. Gerade die bizarre, aus terroristischer Willkür heraus entstehende Freundschaft zwischen Fergus und Jody, von Rea und besonders Whitaker mit grandioser Intensität dargeboten, verleiht "The Crying Game" seine besondere emotionale Zugkraft. Diese verflüchtigt sich gegen Ende unglücklicherweise etwas.

8/10

IRA Nordirland London Neil Jordan Independent Homosexualität Kidnapping Terrorismus





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Funxton

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