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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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MERRY CHRISTMAS MR. LAWRENCE (Nagisa Ôshima/UK, J 1983)


"Today, I am Father Christmas."

Merry Christmas Mr. Lawrence ~ UK/J 1983
Directed By: Nagisa Ôshima


Java, 1942. Captain Yunoi (Ryûichi Sakamoto), ein pathologisch-gradliniger Perfektionist, befehligt ein japanisches Lager für aliierte Gefangene. Yunoi und sein oberster Sergeant Hara (Takeshi Kitano) halten die weißen Gefangenen für Schwächlinge, weil sie, anstatt rituellen Selbstmord zu begehen, ihre Gefangenschaft erdulden. Seine Mentalitäts- und Kraftduelle mit dem japanophilen britischen Offizier Lawrence (Tom Conti) gehen zumeist glimpflich aus, weil Lawrence in beiden Geisteswelten, der europäischen und der ostasiatischen, heimisch ist und Yunois Wesen somit zu nehmen weiß. Als dann jedoch der verurteilte Partisanenausbilder Cellier (David Bowie) ins Lager kommt, ist Yunoi mit seiner Weisheit am Ende. Cellier ist ein Musterbeispiel an Aufsässigkeit, Sturheit und Willenskraft, aber ebenso auch an Vernunft und Integrität - dass er dabei gleichfalls "nur" ein barbarischer Abendländer und Feind ist, kann Yunoi nicht verkraften.

Weniger ein Kriegsfilm denn eine Parabel über den gewaltsamen Aufprall zweier sich grundlegend unterscheidender Geisteshaltungen. Für die sittlich extrem gestrafften japanischen Soldaten sind Beugsamkeit und Gefangennahme schlimmer als Tod und Verdammnis, die vornehmlich britischen Soldaten interessiert vielmehr ein voller Magen und die verbleibende Zeitspanne bis zu ihrer Befreiung. Was die eine Front als völlig irrational empfindet, ist für die andere existenziell - durch die situationsgegebene Feindschaft vergrößern sich die Kommunikationsstörungen indes noch. Ausgerechnet der ohnehin stets seltsam ätherisch wirkende Bowie (dessen Rolleninitialen als Jack Cellier nicht von ungefähr die Christi sind) tritt schließlich als opferungswilliger Heiland auf, der eine Massenhinrichtung in letzter Sekunde verhindert, indem er die unfassbarste, aber einzig probate Reaktion gegenüber Yunois homoerotisch gefärbter Hassfaszination ihm gegenüber demonstriert. Ein wunderbarer Moment, einer der stärksten im Kino der achtziger Jahre. Was übrigens für den gesamten Film gilt. "Merry Christmas Mr. Lawrence" zeigt sich als meditative Abhandlung über die wesentliche Unmöglichkeit, würdevoll gegeneinander kämpfen zu können, wenn man noch nichtmal die Beweggründe seines Rivalen zu begreifen in der Lage ist. Ein sehr differenter, nichtsdestotrotz überaus kluger Ansatz für einen Film dieses Sujets.

9/10

WWII Nagisa Ôshima POW Pazifikkrieg


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IN THE ELECTRIC MIST (Bertrand Tavernier/USA, F 2009)


"You been drunk a long time. Pretty soon all the trees and alligators will be talking to you."

In The Electric Mist ~ USA/F 2009
Directed By: Bertrand Tavernier


Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones), trockener Alkoholiker, Experte für Fischerei im Bayou und außerdem noch bodenständiger, durch fast nichts aus der Ruhe zu bringender Polizist in Louisiana, wird in einem Fall um Prostituiertenmord nicht nur mit dem ihn umgebenden, bedrohlich schwelenden Sumpf aus Korruption und Kriminalität konfrontiert, sondern auch mit seiner eigenen Vergangenheit.

Auch wenn Tommy Lee Jones als knorriger Südstaatenermittler in jüngerer Zeit alles andere als eine Seltenheit darstellt und sich die eine oder andere böse Zunge fragen mag, ob er denn überhaupt noch jemals eine andere Rolle geben wird - "In The Electric Mist", dessen Titel sich ein wenig nach dem eines betagten Gary-Numan-Songs anhört, markiert zumindest nach meiner Einschätzung einen der Höhepunkte des vorverganenen Filmjahres. Der Film strahlt von der ersten bis zur letzten Einstellung eine knochentrockene Poesie und Gelassenheit aus und scheint selbst durch innere beziehungsweise inhaltliche Stürme nicht aus der Ruhe gebracht werden zu können. Alles wird zu einem großen, diesig-schwülen Amalgam - das Land, seine Menschen (selbst die unsympathischeren, hier gespielt von John Goodman und Ned Beatty), Robicheaux, seine liebenswerte Familie (Mary Steenburgen, Alana Locke) und in vorderster Front seine durch einen unfreiwilligen Acidtrip induzierten Illusionen vom Sezessionskrieg, dessen Auswirkungen das Areal bis heute in ihren unausweichlichen Klauen halten sowie seinem künftigen "Berater", dem Konföderiertengeneral Hood (Levon Helm), der freilich nur in Robicheaux' Geist lustwandelt. Es muss wohl Taverniers europäisch gefärbte, lässige Arbeitsweise sein, die "In The Electric Mist" so gleichermaßen mysteriös wie entspannt dastehen und ihn andererseits für das lokale Publikum eher unverständlich, um nicht zu sagen: ungeliebt werden lässt. Ich für meinen Teil hätte gern mehr davon. Viel mehr.

9/10

Sumpf New Orleans Bertrand Tavernier Louisiana Film im Film Suedstaaten


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4 LUNI, 3 SAPTAMÂNI SI 2 ZILE (Cristian Mungiu/RO 2007)


Zitat entfällt.

4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile (4 Wochen, 3 Monate und 2 Tage) ~ RO 2007
Directed By: Cristian Mungiu


Rumänien, 1987. Das Land weiß noch nicht, dass die erlösende Revolution und damit die lang ersehnte Befreiung von der Ceauşescu-Autokratie nurmehr zwei Jahre auf sich warten lassen wird. Für die Studentin Gabita (Laura Vasiliu) jedenfalls kommt die Nachricht ihrer ungewollten Schwangerschaft einer Hiobsbotschaft gleich. Gabitas ängstliche und lethargische Persönlichkeit verhindert eine rechtzeitige Reaktion und so muss ihre Freundin und Zimmergenossin Otilia (Anamaria Marinca) den viel zu späten Schwangerschaftsabbruch organisieren. Dieser und seine unmittelbaren Folgen sind besonders für Otilia von ungeahnter Tragweite.

Von der repressiven Menschenrechtssituation jenseits des Eisernen Vorhangs erzählt Mungiu in seinem erschütternden Vier-Personen-Drama "4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile". Die titelspendende Zeitangabe bezieht sich auf die Spanne, die Gabita bereits ihr werdendes Kind mit sich herumträgt. Entsprechend unverantwortlich erscheint ihr spätes Insistieren, entsprechend fürchterlich erwirkt sich das Resultat. Mungiu bezieht sein Publikum ohne zu Zögern in die Schonungslosigkeit der folgenden, quälenden Minuten ein. Auch zuvor bleibt er der bis zur Selbstaufgabe aufopferungsvollen Otilia fast permanent auf den Fersen, einzig für die Zigarettenlänge ihres notdürftig gestifteten Beischlafs mit dem opportunistischen Abtreibungsarzt Bebe (Vlad Ivanov) verlässt sie die Kamera länger als eine Einstellung. Überhaupt operiert "4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile" in der Hauptsache mit Zeit und Zeitbegriffen. Quälend lang die unsäglichen Minuten, die Otilia an der Geburtstagstafel der Mutter (Luminita Gheorghiu) ihres Freundes Adi (Alexandru Potocean) zubringen muss - in der Schraubzwinge zwischen der altklugen Larmoyanz und der angesoffenen Großkotzigkeit der übrigen Gäste. Als einmal das Telefon klingelt, spürt man förmlich Otilias zum Sitzenbleiben nötige Willenskraft.
"4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile" ist starkes, spannendes Frauenkino von Weltformat mitsamt einem Armageddon im Hotelzimmerformat. Für Freunde berückend-bedrückender, unbequemer Kammerspiele unerlässlich.

9/10


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JOHNNY HANDSOME (Walter Hill/USA 1989)


"We both know what and who you are, Johnny Handsome."

Johnny Handsome ~ USA 1989
Directed by: Walter Hill


Der durch einen Geburtsdeffekt gesichtsentstellte John Sedley (Mickey Rourke), den seine Bekannten aus der Unterwelt von New Orleans nur spöttisch 'Johnny Handsome' nennen, nimmt an einem Überfall auf einen Juwelier teil, der helfen soll, Johnnys einzigen, väterlichen Freund Mickey (Scott Wilson) zu sanieren. Das Verbrecherpärchen Rafe (Lance Henriksen) und Sunny (Ellen Barkin), die ebenfalls dabei sind, hauen die anderen übers Ohr, erschießen alle bis auf Johnny und setzen sich danach ab. Johnny kommt ins Gefängnis, wird dort jedoch zum Opfer eines von Rafe befehligten Mordanschlags. Sein behandelnder Arzt (Forest Whitaker) bietet Johnny an, an einem Resozialisierungsprogramm teilzunehmen, das Johnnys Gesicht glätten und ihm eine neue Identität verschaffen soll. Johnny willigt ein, mit nur einem Gedanken im Kopf: Rache.

Zwischen den recht lauten und schussintensiven "Extreme Prejudice" und "Another 48 Hrs." kam von Walter Hill dieses kleine Gangsterkammerspiel, eine so seltsame wie faszinierende Melange unterschiedlichster Elemente. Seine Keimzelle findet "Johnny Handsome" zweifelsohne im film noir. Die Charaktere erscheinen eher grob skizziert und stark archetypenbeeinflusst, Figuren, wir wie sie bereits hundertmal gesehen zu haben glauben. Die Konstellation Gangster - Bulle, zwischen gegenseitiger Feindschaft und innerer Sympathie, ist ganz ähnlich wie im elf Jahre älteren "The Driver" angelegt; wirklich neu indes ist das "Elephant Man" - Mosaikstück - ein physisch gezeichnetes, an sich sanftmütiges Individuum, das den grausamen Zynismus seiner sensibilitätsentledigten Umwelt zu ertragen hat. Dass es dann unerkannt, mit anderem Gesicht zurückkehrt, um die Karten neu zu mischen, hat wiederum etwas von Delmer Daves' wunderbarem "Dark Passage". Da schließt sich dann auch der Kreis der Einflüsse.

8/10

New Orleans film noir Walter Hill Rache neo noir


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CROSSROADS (Walter Hill/USA 1986)


"I'm the bluesman, he's from Long Island."

Crossroads ~ USA 1986
Directed By: Walter Hill


Als Eugene Martone (Ralph Macchio), siebzehn Jahre junger Student klassischer Musik, in der Zeitung liest, dass die Blueslegende Willie "Blind Dog" Brown in einem Gefängnis für Geriatriepatienten einsitzt, ist er sofort Feuer und Flamme. Als Gitarrenspieler gehört Eugeneswahre Leidenschaft nämlich dem Blues und er ist sich sicher, dass Willie Brown noch einen uninterpretierten, von Robert Johnson (Tim Russ) geschriebenen Song in der Hinterhand hat. Nachdem Blind Dog sich zu erkennen gegeben hat, fordert er Eugene dazu auf, ihn aus dem Knast zu holen und mit ihm nach Mississippi zu reisen. Dort hat Blind Dog einst einen verhängnisvollen Vertrag unterschrieben, den er gern rückgängig machen würde...

Man könnte "Crossroads" auch als Ehrerbietung oder Geschenk an Hills langjährigen Komponisten Ry Cooder auffassen, jener immerhin einer der weltbesten Bluesgitarristen. Selbstverständlich hatte Cooder auch die wunderbaren Musiksequenzen in "Crossroads" zu vertonen. Der Film müht sich erfolgreich, ohne inflationären Einsatz von Schießprügeln und neonglänzender urbaner Oberfläche, dicht an Hills Lieblingsmotiven zu bleiben: Die zögerlich entstehende Freundschaft zweier ungleicher, dabei seelenverwandter Individuen zueinander, Tramps auf der Reise (die - es lässt sich erahnen - zugleich in ihr Inneres führt), der Staub der Straße. Flotte Einfälle wie der Einsatz des Saitengottes Steve Vai als Teufelsklampfer, den Eugene am Ende in einem Gitarrenduell besiegen muss, gestalten sich da als höchst erfreuliche bonmots. Jami Gertz als Macchios love interest indes ist zwar hübsch anzuschauen, in ihrer Rolle als Straßenmädchen allerdings offensichtlich fehlbesetzt. Macht aber nichts, "Crossroads" mitsamt seiner eigentümlich-sympathischen Stimmung findet sich dadurch keineswegs gefährdet.

8/10

Suedstaaten Blues Satan Mississippi Hommage New York Musik Coming of Age Walter Hill Road Movie


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HACHIKO: A DOG'S STORY (Lasse Hallström/USA, UK 2009)


"Life cannot be captured. Human heart cannot be captured. The moment of creation itself is fleeting."

Hachiko: A Dog's Story (Hachiko - Eine wunderbare Freundschaft) ~ USA/UK 2009
Directed By: Lasse Hallström


Eines Abends entdeckt der Musikprofessor Parker Wilson (Richard Gere) einen Akita-Welpen am Bahnhof und nimmt sich seiner an. Von seinem Kollegen Ken (Cary-Hiroyuki Tagawa), der ein Zeichen am Halsband des Kleinen entziffert, erfährt Parker, dass der Hund Hachiko heißt, nach dem japanischen Wort für die Zahl Acht. Trotz anfänglichen Widerspruchs seiner Frau Cate (Joan Allen) behalten die Wilsons Hachi. Zwischen Hund und Herrn scheint eine tiefe Seelenverwandtschaft zu entstehen. Jeden Morgen bringt Hachi sein Herrchen zum Bahnhof und jeden Nachmittag holt er ihn dort wieder ab. Als Parker während eines Seminars einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, hält das Hachi nicht davon ab, bis an sein eigenes Lebensende weiterhin jeden Nachmittag an derselben Stelle auf die Rückkehr seines Herrn zu warten.

Hallströms Film hat mir das Herz gebrochen. Rotz und Wasser habe ich geheult, und wenn ich jetzt an ihn denke, kommen mir gleich wieder die Tränen. Aber jeder wahre Hundeliebhaber muss wohl auf die tiefe, fast spirituelle Emotionalität von "Hachiko" anspringen. Ich habe auch noch nie zuvor einen Film gesehen, der die Beziehung zwischen einem Menschen und seinem Hund zugleich so erwachsen, rührend und unverkitscht darzustellen vermag und unerschütterlich lobpreist, was es auszeichnet, die Gegenwart eines Hundes als Lebensbegleiter zu genießen. Wahre Freundschaft, kompromisslose Treue über alle Grenzen hinweg. "Nicht du hast Hachi gefunden, Hachi hat dich gefunden" sagt Tagawa einmal und wie ich es sehe, dürfte das eine universell gültige Weisheit sein. Und damit nicht genug, "Hachiko" bildet zugleich eine unglaublich starke Reflexion über die Möglichkeit (bzw. Unmöglichkeit), mit persönlichen Verlust umzugehen. Natürlich wird Hachi am Ende, nach vielen Tagen und Jahren des Wartens, als er selbst zum letzten Mal die Augen schließt, doch noch für seine Beharrlichkeit belohnt: Sein Herrchen kommt nämlich, diesmal allerdings, um seinen Hachi abzuholen...
Verdammt. Sie kullern schon wieder.

10/10

Hund Lasse Hallström Biopic Freundschaft


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HEAVEN'S GATE (Michael Cimino/USA 1980)


"It's getting dangerous to be poor in this country."

Heaven's Gate ~ USA 1980
Directed By: Michael Cimino


Wyoming, 1890: Die wohlhabenden Großrancher von Johnson County beschließen, nachdrücklich gegen den Strom der sich in der Gegend niederlassenden, osteuropäischen Einwanderer vorzugehen, die, mittelos wie sie sind, versuchen, sich dort eine kärgliche Neuexistenz aufzubauen. Als Marshal Averill (Kris Kristofferson), dessen früherer Harvard-Kommilitone Irvine (John Hurt) mit den Ranchern paktiert, von der Sache Wind bekommt, warnt er die slawischstämmigen Bewohner des Städtchens Sweetwater, in dem auch Averills Geliebte, die Hure Ella Watson (Isabelle Huppert), lebt, eindringlich vor den Plänen der Rancher. Jene haben sich nicht nur eine gesetzliche Legitimation ihrer Aktion durch den Präsidenten besorgt, sondern mittlerweile auch eine umfassende Todesliste erstellt und eine fünfzigköpfige Gruppe von Auftragskillern engagiert. Doch die Migranten sind aller Ängste zum Trotz des Flüchtens müde und stellen sich gegen die Rancher und ihre Killerbrigade.

Der "Heaven's Gate" zueigene, filmhistorische Status als eines der größten Kassendebakel überhaupt ist ja legendär. Die Verschwendungssucht und besessene Detailgenauigkeit, mit der Cimino sein Projekt versah, wuchs seinerzeit ins Astronomische, das veranschlagte Budget von sieben Millionen Dollar schnellte im Laufe der Zeit um das sechsfache in die Höhe. Die US-Kritik geleitete die Premiere dann mit Rufmord und -totschlag, was zu einem prompten kommerziellen Absturz führte, der United Artists auf lange Sicht in den Ruin trieb. Selbst später aufgeführte, von Cimino selbst gekürzte Versionen schafften keine Abhilfe. Erst das europäische Feuilleton bescherte "Heaven's Gate" eine kleine Amnestie. Hier erkannte man, dass das selbstgefällige, inszenatorische Gewichse des Regisseurs tatsächlich pure filmische Poesie in der Tradition der Kinoelegien von Lean, Leone, Visconti oder Coppola ist und war auch durchaus nicht gekränkt von der antipatriotischen und zudem von einer stark antikapitalistischen Mentalität geprägten Nestbeschmutzung, die der Film in kompromissloser Weise praktiziert.
Natürlich hatten die Europäer - wie meistens - völlig Recht. Hätte Visconti seinen "Il Gattopardo" auf amerikanischem Boden gemacht, wären ihm wahrscheinlich ganz ähnliche Vorwürfe zuteil worden, wie sie Cimino zu erdulden hatte. Barbarisches Banausentum, Arroganz, Ignoranz, Pack! Gut, dass "Heaven's Gate" kein großflächiger Erfolg werden konnte, hätte den executives von UA eben etwas früher auffallen sollen. Weder betreibt der Film auch nur die geringste Publikumsanbiederung, noch dürfte ihn ein Gros der unbedarfteren Rezipientenschaft überhaupt als zuschauerfreundlich, geschweige denn unterhaltsam empfinden. Cimino und sein dp Vilmos Zsigmond filmen in engelsgeduldig langen Einstellungen Landschaften bei ausschließlich besonderem Tageslicht, lassen gleich zwei große Tanzszenen (davon eine auf Rollschuhen) sich ihren Platz verschaffen und choreographieren waghalsige Massenszenen, die tatsächlich so wirken, als seien sie dokumentarischen Ursprungs. Für "Heaven's Gate" muss man sich freilich Muße und Zeit nehmen, wer aber Kino in seiner pursten Form genießen und nicht bloß zwischenzeitlich ordinärem Eskapismus frönen will, der wird sich von diesem großen Meisterwerk reichhaltig belohnt finden.

10/10

Ethnics Historie period piece Michael Cimino Wyoming Megaflop Cattle War


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RUMBLE FISH (Francis Ford Coppola/USA 1983)


"Even the most primitive of societies have an innate respect for the insane."

Rumble Fish ~ USA 1983
Directed By: Francis Ford Coppola


Der junge Schläger Rusty James (Matt Dillon) steht im ewigen Schatten seines lokal legendären Bruders, des Motorcycle Boy (Mickey Rourke). Dieser, ein ebenso körperlich schlagkräftiger, wie intellektuell befähigter Mann Mitte zwanzig hat einst sämtliche Gangs von Tulsa vereint und so die Bandenkriege gestoppt. Doch gehören jene Zeiten mittlerweile der Vergangenheit an. Alles geht wieder seinen alten Gang, seit der Motorcycle Boy vor längerer Zeit verschwunden ist. Als er eines Tages zurückkehrt, nach eigener Aussage aus Kalifornien, wo er seine und Rusty James' Mutter besucht habe, scheint er verändert. In sich gekehrt, wehmütig und still interessiert er sich in erster Linie für die im Fenster der Tierhandlung ausgestellten Kampffische, die er wegen seiner Farbenblindheit äußerlich nicht unterscheiden kann.

In direkter Folge zu den "Outsiders" inszenierte Coppola vor Ort in Oklahoma noch einen weiteren Jugendroman von Susan E. Hinton, diesmal nach deren eigenem Script. "Rumble Fish", der das kaum zu erwartende Kunststück bewältigt, mit seinen betont artifiziell gehaltenen Schwarzweißbildern seinen "Vorgänger" nicht nur ästhetisch, sondern auch an Symbolkraft zu überragen, erweist sich als eine der experimentellsten, intensivsten und zugleich intimsten Arbeiten Coppolas.
Man darf allerdings vermuten, dass ohne den allseitigen, großartigen Support kein solches Meisterwerk hätte entstehen können. Stephen Burum als dp, der mit der Kamera eine Vielzahl beeindruckender Kunststücke vollzieht, Stewart Copeland als Composer und die durchweg phantastische Besetzung, allen voran Mickey Rourke in einer der allerschönsten Rollen seiner gesamten Laufbahn, veredeln diesen wunderbar poetischen Film auch bis aufs letzte i-Tüpfelchen. Vollkommene Brillanz. Zum Quadrat!

10/10

Coming of Age Teenager Francis Ford Coppola Gangs Subkultur


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L'AMOUR BRAQUE (Andrzej Żuławski/F 1985)


Zitat entfällt.

L'Amour Braque (Liebe und Gewalt) ~ F 1985
Directed By: Andrzej Żuławski


Der ungarische Adelssprössling Léon (Francis Huster) begibt sich nach einem langwierigen Psychiatrie-Aufenthalt nach Paris, um dort eine Zeitlang bei Bekannten unterzukommen. Im Zug begegnet er dem Gangster-Anarcho Micky (Tchéky Karyo) und seinen Kumpanen, die soeben von einem Banküberfall kommen. Micky drängt sich Leon auf und schwärmt ihm von seiner heißgeliebten Mary (Sophie Marceau) vor, die er in Paris aus den Fängen der Venin-Familie befreien will. Die gemeingefährlichen Venins lassen Marie sich prostituieren und haben auch deren Mutter auf dem Gewissen, zugleich sind sie dafür verantwortlich, dass Mickys Vater lange Jahre im Gefängnis verbracht hat. Léon, der sich gleich bei der ersten Begegnung mit ihr in die so schöne wie labile Mary verliebt, gerät zwischen die Fronten dieses bizarren Gangsterkriegs.

"Eine", so Żuławski, der Kompromisslose, "Transponierung von Dostojewskis "Der Idiot" in die Gegenwart von 1985", in das Pariser Gangstermilieu, um inhaltlich etwas eloquenter zu sein (dafür, dass dabei keine Rede von einer wie auch immer gearteten Anbindung an die Realität sein kann, bürgt das permanent irrationale Verhalten fast sämtlicher Charaktere). Vielmehr noch eine Transponierung in Żuławskis filmischen Kosmos zwischen Wahn und Tod, Geisteskrankheit und blanker Emotion. Das Kinopendant zum gelebten Laissez-faire, zur totalen Anarchie. 'Seelenstriptease', wie es sich so schön tradiert, aber immer wieder treffend anbringen lässt. Erster Film mit seiner Muse und späteren Ehefrau Sophie Marceau, damals gerade neunzehn Jahre jung. Ebenso wie von Huster, Karyo und all den anderen Darstellern verlangt der Filmemacher von ihr ein Entblößen aufs Äußerste, die Entledigung jedweder Hemmnisse und Schranken. In einer Szene stellt Sophie/Mary eine Szene aus Tschechows "Möwe" dar und schafft für Nanosekunden das nahezu Unmögliche: Ein Einreißen sämtlicher Barrieren zwischen ihr selbst, ihrer Rolle und der äußeren Realität - Transzendenz. Hernach wird niemand mehr ein hübsches Teenie-Starlet in der Marceau sehen. "La Boum" ist kaum kalt und schon wieder vergessen. Huster veranstaltet, analog zum Vorlagen-Fürst Myschkin, einen manisch-depressiven Affentanz mitsamt epileptischen Anwandlungen; Karyo, ansonsten ja ein eher ruhiger Vertreter, hat man selten, wahrscheinlich gar noch nie derart ausgelassen erlebt. Wenn man Żuławski schätzt, ist diese "verdrehte Liebe" zwischen Idiotenprinz und Jungfrauenhure - man könnte sie auch als extremes, mentales Wechselduschen bezeichnen - so gottgleich wie jeder seiner Filme. Wer es erstmals mit ihm versucht, sollte sich jedoch vielleicht woanders umschauen...

9/10

Rache Parabel Paris Andrzej Zulawski Groteske


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ROUNDERS (John Dahl/USA 1998)


"Want a cookie?"

Rounders ~ USA 1998
Directed By: John Dahl


Nachdem der Jura-Student und Pokerprofi Mike McDermott (Matt Damon) am Spieltisch eine gigantische Summe verloren hat, versucht er, dem Zocken abzuschwören - bis sein bester Kumpel Worm (Edward Norton) aus dem Knast entlassen wird. Dieser trägt seinen Spitznamen nicht zu Unrecht: Er ist genau der Typ Mensch, mit dem man besser nicht befreundet ist, weil er das dumme Talent hat, einen garantiert in die Jauchegrube zu reiten. Mike geht es nicht anders. Eine kurzerhand gewährte Bürgschaft hat zur Folge, dass Worm einen Riesenberg Schulden am Hacken hat, für den Mike aufkommen muss. Da bleibt nur die Rückkehr ins große Spiel...

Auch wenn "Rounders" sicher nicht so schön ist wie Jewisons großer Pokerklassiker "Cincinnati Kid", eine respektable Vorstellung über Wohl und Wehe des Karten- und Glückspiels bekommt man mit Dahls Film durchaus verabreicht. Nach seinen ersten Filmen wurden die Weinsteins auf den Regisseur aufmerksam und jener konnte so ein mit ordentlichem monetären Rückhalt gestaltetes sowie darüberhinaus bis in die Nebenbrollen edel besetztes Spielerdrama in guter Genretradition auf die Beine stellen. Jenes geriet den Kompetenzen und Fertigkeiten Dahls entsprechend sauber und flüssig. Mit Milchgesicht Damon in der Hauptrolle musste ich mich wie immer geflissentlich arrangieren und gönnte ihm fast sein blaues Auge, dass er durch Nortons einmal mehr unverantwortliches Verhalten kassiert. Umso erfreulicher, die Größen Malkovich (in einem leider auf spärliche screentime beschränkten, nichtsdestotrotz aber formidablen Part), Turturro und Landau bei bester Form anzutreffen.

7/10

John Dahl Poker Gluecksspiel Spieler Freundschaft New York





Filmtagebuch von...

Funxton

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