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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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WALL STREET: MONEY NEVER SLEEPS (Oliver Stone/USA 2010)


"Why don't you start calling me Gordon?"

Wall Street: Money Never Sleeps (Wall Street - Geld schläft nicht) ~ USA 2010
Directed By: Oliver Stone


Sieben Jahre nachdem er aus einer langwierigen Haftstrafe wegen Wirtschaftskriminalität entlassen wurde, promotet der scheinbar geläuterte Ex-Börsenhai Gordon Gekko (Michael Douglas) sein Buch "Is Greed Good?". Derweil hat sich seine Tochter Winnie (Carey Mulligan) sich nach dem Drogentod ihres Bruders vollends von Gekko abgewand, ist ironischerweise nunmehr jedoch mit einem jungen Broker namens Jake Moore (Shia LaBoeuf) verlobt. Moore ist fasziniert von seinem ihm noch unbekannten Schwiegervater in spe und entschließt sich, sich ihm zu erkennen zu geben, zumal er einen Weg sucht, sich an dem Rezessions-Piranha Bretton James (Josh Brolin) zu rächen. Jener hat letzlich den durch Ruinierung verursachten Selbstmord von Moores Mentor (Frank Langella) zu verantworten und Moore hält Gekko für den richtigen Alliierten für seine kleine Privatvendetta. Zudem hat auch Gekko noch eine alte Rechnung mit James offen. Doch hat sich der frühere Groteskkapitalist wirklich in ein braves Lämmchen verwandelt...?

"Wall Street" muss wohl als einer der nomothetischen Filme seines Jahrzehnts gelten. Wie kein anderes popkulturelles Artefakt, mit Ausnahme von Ellis' "American Psycho" natürlich, öffnete Stones Film Tür und Tor zu der traurigen, seelenentledigten Welt der Yuppies, Geldscheffler, Gierhälse, Koksnasen und Armani-Träger; zum Kongress der Egomanen, zum Fegefeuer der Oberflächlichkeiten. Zwanzig Jahre später sehen die Dinge geflissentlich anders aus; die Ära eines Bud Fox scheint unwiederbringlich verloren und die Finanzwelt steuert mit Volldampf auf ihren Abgrund zu. Zeit für einen Oliver Stone, erneut Bilanz zu ziehen. Die großen Haie der Wall Street können es sich nun, in Zeiten des Internet und der globalen Informationsvernetzung nicht mehr leisten, ihren schäbigen Charaktere nach außen zu tragen und so geschieht alles hinter vorgehaltener Hand und unter dem Deckmäntelchen wöhltätigen Engagements. Dabei ist ein Mann wie Bretton James, der Goyas vielsagendes Schreckensgemälde "Saturn Devorando A Un Hijo" stolz zu seinem privaten Leitbild erklärt, wahrscheinlich noch viel unangenehmer und wesentlich böser als ein Bud Fox oder als ein Gordon Gekko gar: Familie hat er nicht, er geht rigoros über Leichen und, am Schlimmsten, ist nicht an der Herausforderung des "Spiels" interessiert, sondern allein an der Vergrößerung seines Reichtums.
Mit Stone ist wohl immer noch zu rechnen, denn sein Sequel glänzt vor formalem Stil und Schauspielkunst. Stone konnte David Byrne, der bereits die Songs für den Erstling komponiert hat, erneut für sich gewinnen, Charlie Sheen gibt sich die Ehre zu einem kurzen, bald selbstdenunzierendem Cameo, der steinalte Eli Wallach spielt quasi nochmal die selbe Rolle wie bereits vor zwanzig Jahren in Coppolas "The Godfather Part III". Und ich, ich war glücklich mit und nach dem Film. Zwar steht außer Frage, dass die Fortsetzung nicht am ikonischen Charakter des Originals kratzen kann, aber sie bietet mehr als ordentliches Kino. Und was zählt? Eben.

8/10

Sequel Oliver Stone Wall Street New York Hochfinanz Börse


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THE WOMAN IN THE WINDOW (Fritz Lang/USA 1944)


"The streets were dark with something more than night..."

The Woman In the Window (Gefährliche Begegnung) ~ USA 1944
Directed By: Fritz Lang


Nachdem der erfolgreiche Kriminalpsychologe Professor Wanley (Edward G. Robinson) seine Frau und Kinder in die Ferien geschickt hat, findet er sich kurzfristig als Strohwitwer wieder. Nach einem geselligen Abend in seinem Klub verharrt er vor dem Schaufensterporträt einer Kunstgallerie, das das Ölgemälde einer schönen jungen Frau zeigt. Urplötzlich steht das entsprechende Modell, Alice Reed (Joan Bennett), neben Wanley. Ein folgender, rein platonischer Besuch bei der Dame daheim endet tödlich: Ihr eifersüchtiger Liebhaber, der Großindustrielle Claude Mazard (Arthur Loft) stürmt das Appartement und kann nur notdürftig von Wanley überwältigt werden. Um sich gesellschaftlicher Ressentiments zu enthalten, entscheiden Wanley und Alice sich, die Leiche verschwinden zu lassen. Doch Wanleys Freund, der findige Staatsanwalt Lalor (Raymond Massey), ist den partners in crime bereits auf den Fersen. Hinzu kommt unerwartet ein finsterer Erpresser (Dan Duryea), der um die Tat weiß...

Meisterlicher Kriminalfilm von Lang, der wohl weitgehend der Strömung des film noir zugezählt werden kann. Gleichwohl "Woman In The Window" sich wie viele Filme Langs aus seiner Hollywood-Periode durch die atelier-geprägten set pieces kennzeichnet, macht der Regisseur sich ebenjene Artifizialität zunutze, um die, wie sich epilogisch manifestieren wird, narrativ bedingte Unwirklichkeit seiner Geschichte zu akzentuieren. Der stets besonnene, ausgeglichene Universitätsprofessor, von Robinson als totaler Gegenentwurf zu seinen ruppigen Gangsterbossen aus dem vorigen Jahrzehnt angelegt, findet sich urplötzlich und fast gänzlich unverschuldet in einer ihn gesellschaftlich unmöglich machenden Situation wieder. Dabei ist es weniger das moralisch höchst diffizile Moment des Totschlags an einem Menschen als vielmehr die Angst davor, infolge der Tat seine Position als geachteteter Bürger und Familienvater zu verlieren. Zumal alldies bloß das - oberflächlich unschuldige - Interesse an einer schönen, jungen Frau verschuldet. "The Woman In The Window" präsentiert neben seiner spannend erzählten Kriminalgeschichte folglich auch ein immens komplexes Geflecht von Schuld, Sühne, verbotenen Emotionen und ethischen Diskursen.
Das relativierende Ende ist übrigens einmal nicht einer Produzentenvorgabe zu verdanken sondern wurde von Lang selbst verbrieft so arrangiert.

9/10

Fritz Lang film noir femme fatale Nunnally Johnson Traum


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IL PORTIERE DI NOTTE (Liliana Cavani/I 1974)


"She was my little girl."

Il Portiere Di Notte (Der Nachtportier) ~ I 1974
Directed By: Liliana Cavani


Genau dreizehn Jahre nach ihrem Aufenthalt in einem deutschen KZ begegnet die Dirigentengattin Lucia (Charlotte Rampling) ihrem ehemaligen Hauptaufseher im Wiener "Hotel Zur Oper" wieder, dem SS-Offizier Max Aldorfer (Dirk Bogarde). Aldorfer arbeitet dort unerkannt als Nachtportier. Mit ihm verband Lucia einst eine zunächst von Todesangst und später von gegenseitiger, paraphiler Erotik geprägte Abhängigkeitsbeziehung. Als Lucia Aldorfer wiedererkennt, wandelt sich das Entsetzen des Moments rasch wieder in unstillbares Verlangen. Aldorfers frühere Mittäter (u.a Philippe Leroy, Gabrile Ferzetti), die sich unliebsamer Zeugen und Indizienbeweise ihrer früheren Gräuel im Regelfall rasch auf ihre Weise zu entledigen pflegen, gefällt diese sie im Höchstmaß gefährdende Romanze überhaupt nicht.

Emotional wie intellektuell höchst komplexe Studie einer eigentlich unmöglich scheinenden, aus der historischen Sekunde des vervollkommneten Grauens heraus geborenen Liebe. Todesmaschinist und Opfer entdecken angesichts ihrer jeweiligen Ausnahmesituation, was sie sich gegenseitig geben und nehmen können und entwickeln daraus nach und nach eine zunächst sprachlos machende, auf perverse Weise jedoch zugleich sinnstiftende Beziehung. Geboren aus tiefer Körperlichkeit heraus avanciert das unerwartete Wiedertreffen so nach einer anfänglichen Rekapitulation des Lagerschreckens zu einer nach normierten Maßstäben abseitigen Amour fou, die nach einer Phase des Aushungerns und Darbens schließlich ihre einzig mögliche Erfüllung findet.
Cavani findet für diese einst nicht ganz zu Unrecht mit skandalträchtigem Impetus rezipierte Romanze nicht nur verführerisch schöne, freilich dunkelbraune Bilder; sie schafft zugleich das vermeintlich Unmögliche: Verständnis für ihre beiden Protagonisten zu evozieren, eine Form der Empathie für sie zu schüren gar, und schließlich, als sie in ihren alten "Uniformen" den erwarteten, von außen herbeigeführten Freitod finden, ein winziges Moment der Rührung aufflammen zu lassen. Die Brücke der Komplizenschaft errichtet sich damit sogar bis vor die Leinwand. Beängstigend. Dass "Il Portiere Di Notte" dennoch nie in Sphären der Verworfenheit oder Geschmacklosigkeit abdriftet, verdankt der Film neben seiner inneren Brillanz auch dem grandiosen Doppel Bogarde-Rampling und seiner kaum fassbaren, intensiven Darbietung. Unvergesslich.

9/10

Wien Skandalfilm Liliana Cavani Konzentrationslager Mozart Nationalsozialismus Paraphilie Amour fou


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BLACK DEATH (Christopher Smith/UK, D 2010)


"I expected some little grace, not a full Lord's Prayer."

Black Death ~ UK/D 2010
Directed By: Christopher Smith


England, 1348: Eine Gruppe bischöflich entsandter Inquisitionssoldaten unter dem Ritter Ulric (Sean Bean) soll die seltsamen Vorgänge in einem kleinen Moordorf untersuchen. Hier hat die Beulenpest offensichtlich noch kein Opfer gefunden und es soll dort von Hexen und Teufelsanbetern wimmeln. Auch wenn es sich bei den Dorfbewohnern und ihrer Chefin Langiva (Carice van Houten) lediglich um höchst irdische Antichristen handelt, stecken Ulric und seine Mannen bald bös in der Klemme.

Filme über mittelalterliche Hexenverfolgung und Inquisition gab es schon länger keine mehr. Da ich den exploitativen Charakter dieses Horror-Unterfachs immer sehr geschätzt habe, freute ich mich schon auf "Black Death". Nicht zu Unrecht, denn Smith gelingt es, die dem Thema innewohnende, finstere mediävistische Atmosphäre adäquat zu transportieren. Zudem befasst sich "Black Death" mit der Engstirnigkeit und dem Fanatismus der Kirche, repräsentiert durch den von Sean Bean großartig interpretierten Gotteskrieger Ulric. Der kleine narrative Schlenker, die bereits prinzipiell als Todessöldner erachteten Inquisitoren kurzzeitig doch auf die Heldenseite zu stellen, ist darüberhinaus nicht zu verachten. Schade fand ich bloß, dass die spätere Karriere des Novizen Osmund (Eddie Redmayne) als Großinquisitor bloß gestriffen wird. Das hätte nochmal einen eigenen Film ergeben oder "Black Death" gar auf die doppelte Länge ausdehnen können.

7/10

Inquisition Pest England Mittelalter Christopher Smith Historie period piece Virus


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FLATLINERS (Joel Schumacher/USA 1990)


"Hookahey."

Flatliners ~ USA 1990
Directed By: Joel Schumacher


Der angehende Chicagoer Mediziner Nelson (Kiefer Sutherland) will erforschen, was nach seinem Tod auf den Menschen wartet. Zusammen mit vier nicht minder neugierigen Kollegen (Julia Roberts, Kevin Bacon, William Baldwin, Oliver Platt) führt Nelson ein berufsethisch fragwürdiges Selbstexperiment durch, bei dem er nach einminütigem Hirntod wieder zu Leben erweckt werden soll, um dann über seine Erfahrungen berichten zu können. Nach und nach folgen auch die anderem seinem Beispiel und müssen mit Erschrecken feststellen, dass sie nach ihrem Ableben von ihren Kindheitstraumata eingeholt werden. Als noch schlimmer erweist sich allerdings, dass ebenjene Erinnerungen sich hernach auch im Diesseits manifestieren und nach Sühne verlangen.

"Flatliners" ist mir vor allem deshalb in wohliger Erinnerung, weil es der erste ab 16 Jahren freigegebene Film war, in den ich mich trotz zweier fehlender Jahre ohne elterliche Begleitung ins Kino schmuggeln konnte, was mich seinerzeit stolz wie Oskar gemacht hat. Ich erinnere mich allerdings, auch darüberhinaus immens fasziniert gewesen zu sein von den Nahtoderlebnissen der fünf "Post-Brat-Packler", zumal ich damals vermutlich noch weitaus empfänglicher war für sakrale Jenseits-Diskurse als es heute der Fall ist.
Was von Schumachers Film bleibt, ist sein mit Fug und Recht durchaus als solcher zu bezeichnender auteurism, der zahlreiche inszenatorische Parallelen zu "The Lost Boys" aufweist und eine zum Schneiden dicke Atmosphäre kredenzt. "Flatliners" spielt, überdeutlich prononciert, im Herbst; permanent herrscht der Gegensatz von diffusem Dämmerlicht und hater Neonbeleuchtung, die Protagonisten werden unentwegt im Schatten sich wiegenden Laubes gefilmt und halsbrecherische Kamerafahrten heben das Gewicht der Mise-en-scène wesentlich weiter über den Geschichtsfluss als es üblich ist. Mir gefällt diese sehr egozentrische Regiearbeit zugegebenermaßen außerordentlich gut, weil sie mein persönliches ästhetisches Empfinden sehr anzusprechen versteht. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass Menschen, bei denen das nicht der Fall ist, in "Flatliners" wenig mehr als ein aufgeblähtes Stück Schmierentheaters sehen werden. Hinzu kommt auf der Soll-Seite, dass der Regisseur, respektive sein Scriptautor Peter Filardi, zahlreiche inhaltliche Fragen aufwerfen, deren Beantwortung sie schuldig bleiben - ob bewusst oder unbewusst lässt der Film offen. Dennoch: Mit Ausnahme von "Falling Down" hat Schumacher danach bis heute keinen so reichhaltigen Film mehr inszenieren können.

8/10

Nahtoderfahrung Medizin Brat Pack Tod Joel Schumacher Chicago


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THE SERPENT'S EGG (Ingmar Bergman/BRD, USA 1977)


"Through the thin membranes, you can clearly discern the already perfect reptile."

The Serpent's Egg (Das Schlangenei) ~ BRD/USA 1977
Directed By: Ingmar Bergman


Berlin, November 1923: Inflation und politische Orientierungslosigkeit machen das Leben in der Republik-Hauptstadt kaum angenehmer. Als sich sein Bruder umbringt, fällt der dem Alkohol zugeneigte Zirkusartist Abel Rosenberg (David Carradine) in tiefe Depression. Seine Schwägerin Manuela (Liv Ullmann) nimmt Abel bei sich auf. Zusammen ziehen die beiden in ein der Klinik des Professor Vergerus (Heinz Bennent) angegliedertes Appartment. Abel hat bald den Eindruck, dass im Krankenhaus nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Hinzu kommt, dass Kommissar Bauer (Gert Fröbe) Abel eröffnet, dass einige weitere gewaltsame Todesfälle aus seinem privaten Umfeld zu beklagen sind.

Bergman, damals steuerflüchtig, inszenierte unter den Produzenten Dino De Laurentiis und Horst Wendlandt diese bis heute unangemessen kritisch bewertete, faszinierend morbide Faschismus-Parabel. Angesiedelt im Berlin und in der Zeit von Döblin, Lang und Dix, in schummrigen Cabarets und absinthgetränkten Hurenhäusern lässt Bergman einen eigentlich stadtfremden, kafkaesken Protagonisten, ausgerechnet gespielt von David Carradine, durch die Szenerie stolpern und der zeitweisen Irrlichterei anheim fallen. Dass ebenjener Abel Rosenberg schlussendlich einer Verschwörung auf die Spur kommt, die in Umfang, Konsequenz und moralischer Verworfenheit an die Untaten eines Dr. Mabuse (an den ohnehin vielerlei Reminiszenzen vorhanden sind), erscheint nicht unbedingt Bergman-typisch, wie überhaupt der ganze Film eine leicht exotische Position im Schaffen des Filmemachers bekleidet. Das heißt jedoch nicht, dass man ihn hier nicht wiederfände, den großen Psycho-Tragöden. Verlorenheit, Angst, zerfließende Realitsgrenzen, das gibt es alles (auch) im "Schlangenei". Und dazu einen mad scientist. Wahrscheinlich mag ich persönlich "The Serpent's Egg" deswegen so gern.

8/10

Ingmar Bergman Weimarer Republik Berlin Madness Mad Scientist Cabaret Alkohol period piece


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RIVER'S EDGE (Tim Hunter/USA 1986)


"Check's in the mail!"

River's Edge (Das Messer am Ufer) ~ USA 1986
Directed By: Tim Hunter


Dass der psychotische Jugendliche Samson Tollet (John Roebuck) eine Mitschülerin tötet, enthebt seine Gleichaltrigen nicht ihrer alltäglichen Lethagie; tatsächlich interessiert sich niemand so recht weder für das Ableben des Mädchens noch für Samsons weiteren Werdegang. Für Layne (Crispin Glover) ist momentan das Wichtigste, Samson vor den Behörden zu schützen; der wie die meisten aus der Clique aus einer zerstörten Familie stammende Matt (Keanu Reeves) müht sich indes, erstmals in seinem leben richtig zu handeln. Als Layne seinen Kumpel Samson bei dem nicht minder verrückten, alten Potdealer Feck (Dennis Hopper) versteckt, wartet schon die nächste Katastrophe.

Ein nicht leicht greifbarer, rauer und unbequemer Film ist das, den der spätere TV-Impesario Tim Hunter da um die späte Dekadenmitte den bourgeoisen Traumwelten eines John Hughes entgegensetzte. Die luxuriösen Un-Probleme der missverstandenen Vorstadtteens finden in der nordkalifonischen Provinz keinen Platz; hier geht es darum, den Tag möglichst heavily stoned zu Ende zu bringen, um zu vergessen. Um zu vergessen, dass die Mutter eine unfähige Heulboje ist und der Stiefvater - sofern vorhanden - ein gefühlloser Idiot; dass der zwölfjährige Bruder ein misanthropischer Soziopath ist und die kleine Schwester inmitten all diesen emotionalen Elends eine freudlose Kindheit durchmachen muss. Den besten Freund markiert ein perspektivenloser Komplettversager und, am Schlimmsten,an der nächsten Straßenecke bietet sich schon wieder exakt dasselbe Bild. Was macht da schon eine versehentliche Strangulation aus verschmähtem Liebeskummer?
Hunter macht es dem Zuschauer alles andere als leicht, als Teilhaber in seinen juvenilen Mikrokosmos einzusteigen, da bietet Dennis Hopper, der seinen Part aus "Out Of The Blue" quasi-repetiert, erwartungsgemäß auch keine große Unterstützung. Doch am Ende lohnt das Erlebnis alle Mühe und Auseinandersetzung, denn man durfte einem tollen, wenn auch abgründigen Teenager-Film beiwohnen.

8/10

Teenager Madness Marihuana Tim Hunter Coming of Age Leiche


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THE GRISSOM GANG (Robert Aldrich/USA 1971)


"Could this have been love?"

The Grissom Gang (Die Grissom Bande) ~ USA 1971
Directed By: Robert Aldrich


Während der späten Tage der Prohibitionszeit in den frühen dreißiger Jahren landet die Grissom-Gang unter Vorsitz der drahtigen Ma Grissom (Irene Dailey) ihren dicksten Coup. Man jagt einer konkurrierenden Bande die gekidnappte Millionärstochter Barbara Blandish (Kim Darby) ab und versteckt sie im eigenen Haus. Nach der widerstandslos gezahlten Lösegeldsumme soll Barbara jedoch nicht freigelassen, sondern fachgerecht "entsorgt" werden. Der zurückgebliebene Slim Grissom (Scott Wilson), der sich in Barbara verliebt hat, ist damit jedoch gar nicht einverstanden. Aufgrund seiner psychotischen Aussetzer respektiert der Rest der Gang Slims Wunsch zähneknirschend und Barbara bleibt mehrere Monate in der Gewalt der Gangster, bis ein findiger Polizist (Eddie Hagan) sie endlich ausfindig macht.

Die Liebe und ihre verschlungenen Pfade.
Aldrichs berüchtigter, brettharter Inszenierungsstil, der weder vor dem Einsatz kurzentschlossenen Mordes noch vor dem brutaler Dunkelmänner kuscht, findet auch in dem ansonsten bald zärtlichen "The Grissom Gang" seine Entsprechung. Bereits vor der Zeit von New Hollywood hatte Aldrich sich mit einer eigenen Produktionsgesellschaft kurzfristig selbstständig gemacht und einige seiner mitunter recht finsteren Spätwerke unter eigener Ägide angefertigt. Sehr gut in diese Zeit passte zudem das retrospektiv während der Depression angesiedelte Gangsterdrama, da spätestens mit Penns "Bonnie And Clyde" praktisch jeder etablierte und/oder aufstrebende Filmemacher in Hollywood die immanent blutige Poesie jener staubigen Tage für sich entdeckt hatte. Aldrich und "The Grissom Gang" befinden sich demnach in illustrer Gesellschaft. Beeindruckend und beängstigend Wilsons intensives Spiel, noch beeindruckender die Charakterentwicklung des den Löwenanteil der Geschichte bestimmenden Paars. Zwei völlige gesellschaftliche Antipoden, ihre zufällige Begegnung, ihr langer, von einem der beiden erzwungener Weg zueinander, schließlich eine verzweifelte Nacht und dann Schluss. Die für den Gangsterfilm dieser Couleur obligatorischen, grellen Tommy-Gun-Aspekte erscheinen da geradezu verschwindend und am Ende bleibt nurmehr Kim Darbys verzweifelte, hoffnungslos entwurzelte Mimesis.

9/10

Kidnapping Kansas Robert Aldrich Great Depression Prohibition


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DER ROTE KAKADU (Dominik Graf/D 2006)


"'N land, in dem die Polizei auf 'n Unbewaffneten schießt, is nicht mehr meins."

Der Rote Kakadu ~ D 2006
Directed By: Dominik Graf


Dresden, 1961: Wenige Wochen vor der Errichtung der Berliner Mauer trifft sich die systemtreue, aber staatskritische Jugend im "Roten Kakadu", einer Szenekneipe, in der man, unter dem äußersten Widerwillen der Stasi, zu "Jailhouse Rock" tanzt. Hier lernt der junge Maler Siggi (Max Riemelt) das Paar Luise (Jessica Schwarz) und Wolle (Ronald Zehrfeld) kennen. Als Wolle es mit seinen derben Späßen aufs Konto eines Staatsfunktionärs (Lutz Teschner) zu weit treibt, bricht die "Kakadu"-Clique auseinander. Doch da hat sich Siggi schon längst in Luise verliebt.

Nicht der beste Graf, aber immer noch sehr anschaubar. Im Gefolge von "Sonnenallee" und "Good Bye Lenin!", die ja eine etwas seltsame "Ostalgie" hervorriefen, nimmt sich dieses eher un- oder auch abgeschminkt agierende Werk wenigstens halbwegs ernsthaft aus. Die Geschichte um die drei Hauptfiguren entwickelt sich allerdings recht träge und führt dazu, dass "Der Rote Kakadu" erst im letzten Drittel die Fahrt gewinnt, derer er eigentlich von Anfang an bedurft hätte. Die repressive Willkür des vorgeblich sozialistischen, dabei jedoch schlicht antidemokratisch arbeitenden Systems wird erst gegen Ende in ihrer ganzen traurigen Konsequenz geschildert. Man fängt gerade an, sich aus dem zuvor emsig um einen herum errichteten Emotionalitätskokon freugraben, da ist Grafs Film dann auch schon wieder vorbei. Schade drum. Im Gegenzug dazu fand ich die Wiederbegegnung mit dem Duo Riemelt/Zehrfeld, mir noch aus "Im Angesicht des Verbrechens" in bester Erinnerung, wirklich erfreulich.

6/10

Dominik Graf DDR Kneipe period piece Republikflucht Historie Systemkritik


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DER FELSEN (Dominik Graf/D 2002)


"Sowas hören Frauen gerne."

Der Felsen ~ D 2002
Directed By: Domink Graf


Im Urlaub auf Korsika wird die Büroangestellte Katrin (Karoline Eichhorn) von ihrem Liebhaber Jürgen (Ralph Herforth) verlassen. Katrin stürzt sich zunächst in ein sexuelles Abenteuer mit zwei Einheimischen und lernt dann den jugendlichen Straftäter Malte (Antonio Wannek) kennen, der auf der Insel in einem Resozialisierungscamp wohnt. Eine seltsame Affäre entbrennt zwischen der frustrierten Frau und dem delinquenten Jungen, die ein blutiges, zugleich aber hoffnungsreiches Ende birgt.

Hier wurde Graf dann mal etwas kunstgewerblicher, missachtet vorsätzlich ein paar narrative Traditionsdogmen wie das der chronologischen Erzählung, flechtet erläuternde, im Präsens formulierte Off-Kommentare einer weiblichen und einer männlichen auktorialen Erzählstimme ein und filmt seine feministische Erweckungsgeschichte mit grobkörniger DV-Kamera. Dem gegebenen naturellen Zauber Korsikas schadet dieses Stilmittel erstaunlicherweise nicht; im Gegenteil entwickelt "Der Felsen" eine zum Schneiden dicke Atmosphäre, die sich selbst vor dem Einsatz transzendentaler Szenen nicht scheut. Am Ende hat man dann eine wirklich berührende, der langen Ahnenreihe flüchtender Kino-Pärchen ausnahmsweise mal einen deutschsprachigen Beitrag hinzusetzende Liebesgeschichte.

8/10

Dominik Graf Korsika Amour fou Teenager





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