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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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FRANKENSTEIN (Kenneth Branagh/USA, J 1994)


"I keep my promises."

Frankenstein ~ USA/J 1994
Directed By: Kenneth Branagh

Frühes 19. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung kulminiert. Der junge Schweizer Medizinstudent Victor von Frankenstein (Kenneth Branagh) ist von der Idee besessen, das menschliche Leben zu konservieren, den Tod zu besiegen. Eine von ihm im Zuge eines schöpfungsgleichen Aktes geschaffene Kreatur (Robert De Niro) präsentiert sich jedoch als äußerlich groteskes Monstrum, das vor den Menschen fliehen muss. Für die Unbill, die das Monster im Laufe der nächsten Zeit zu erfahren hat, rächt es sich fürchterlich an Frankenstein, indem es seine gesamte Familie und schließlich ihn persönlich in den Abgrund reißt.

Im Zuge von Coppolas "Dracula"-Relaunch brachten Columbia und TriStar noch einige weitere der klassischen Hollywood-Monster-Mären neu heraus. Neben Frears' Jekyll-/Hyde-Adaption "Mary Reilly" und Nichols' "Wolf" durfte sich ergo auch "Frankenstein" seines Status' einer Neu-Adaption erfreuen. Der Brite Branagh, zur damaligen Zeit noch eher für seine ausufernden Shakespeare-Verfilmungen bekannt, machte sich daran, Mary Shelleys Roman zum ersten Mal für die Leinwand in adäquater Form zu bearbeiten, erwies jedoch mittels zahlreicher Anspielungen auch der klassischen Karloff-Trilogie seinen Respekt. Ganz bewusst scheut Brannagh keinerlei große Gesten, inszeniert sein Horror-Drama pompös und operesk, als handele es sich um einen Beitrag der Wagner-Festspiele. Und wie beiläufig gemahnt er mit der Verpflichtung von Tom Hulce noch an Formans grandiosen "Amadeus". Kino der Reminszenzen also, hier und da die Grenzen zum camp deutlich überschreitend, aber immer noch spannend und aufregend genug, um als so beeindruckendes wie eigenständiges Werk bestehen zu können. Außerdem natürlich Robert De Niro: als seinem Schöpfer intellektuell mindestens ebenbürtiger Hybrid aus bemitleidenswerter Kreatur, die das Gute sucht und das Böse findet und teuflischem Rachemonster ist der Mann trotz dicker Latex-Maske einmal mehr großartigst.

8/10

Aufklärung Rache Madness Mad Scientist Cholera Kunstmensch Ingolstadt Kenneth Branagh Monster Genf Mary Shelley Schweiz Medizin


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VAN DIEMEN'S LAND (Jonathan auf der Heide/AU 2009)


"Hunger is a strange silece."

Van Diemen's Land ~ AU 2009
Directed By: Jonathan auf der Heide


Tasmanien, 1822: Eine achtköpfige Gruppe britisch-/irisch-stämmiger Strafgefangener unter Robert Greenhill (Arthur Angel) flieht durch den Busch, einer schwammigen Zukunft vom Hörensagen entgegen. Angeblich sollen sich irgendwo auf der Insel kleine Siedlungen befinden. Schon nach wenigen Tagen geht den Männern das Essen aus und bald sieht man keine andere Möglichkeit mehr, als zum Kannibalismus überzugehen. Der anfangs nur höchst widerwillig dazu bereite Alexander Pearce (Oscar Redding) bleibt schließlich als letzter übrig.

Weniger ein existenzialistischer Film über die ethischen Weggabelungen des Kannibalismus in Extremsituationen als einer über die Unbarmherzigkeit der Natur. Der Name 'Van Diemen's Land' geht auf den Namen eines niederländischen Gouverneurs zurück und bezeichnet die australische Insel Tasmanien, die einst als Hort für kriminelle Fronarbeiter aus Großbritannien fungierte. Der zum Kannibalen gewordene und später gehängte Alexander Pearce hat es dabei in die Annalen der noch jungen australischen Geschichte geschafft als eine Art historisches Schreckgespenst. Vor dem Hintergrund der gewaltigen, urwüchsigen Wälder Tasmaniens verblassen jedoch selbst die schreckenerregenden Ereignisse um Pearce und seine Gruppe; stattdessen starrt man wie gebannt auf das blasse, archaische Grün der scheinbaren Unendlichkeit und würde sich auch nicht weiter wundern, wenn ein Saurier aus dem Wald hervorgeprescht käme. Der junge Regisseur auf der Heide orientiert sich in seinem Langfilmdebüt deutlich an dem naturphilosophischen Œuvre von Terrence Malick und macht gleich von Beginn an den Schauplätz zum Symbolträger der psychischen Befindlichkeiten seiner Figuren. Dem wohnt eine morbide Magie inne, der man sich nur schwer entziehen kann.

8/10

period piece Kannibalismus Madness Kolonialismus Independent Jonathan auf der Heide Tasmanien Australien Historie


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NOBODY'S FOOL (Robert Benton/USA 1994)


"You're a man among men."

Nobody's Fool ~ USA 1994
Directed By: Robert Benton


North Bath, Upstate New York. In dem kleinen, eingeschneiten Städtchen geht alles seinen idyllischen Gang, auch wenn manche der Einwohner dies vermutlich ganz anders sehen. Besonders der alternde Filou Donald 'Sully' Sullivan (Paul Newman) blickt mit Bedauern auf die meisten seiner Lebensentscheidungen zurück. Und während die meisten seiner Nachbarn ihn für einen Verlierer und Tagedieb halten, ist er doch unentbehrlich für North Bath. In diesem Winter bekommt er die von ihm dann auch wohlfeil genutzte Gelegenheit, auch für sich persönlich Einiges an Vermasseltem wieder gut zu machen.

Wunderbare Altersrolle für Paul Newman; wahrscheinlich sogar die schönste, die er nach 90 noch spielen durfte. "Nobody's Fool" ist das betont realitätsverbundene, warmherzige Porträt einer typischen US-Kleinstadt, in der selbst ein steifer Winter gar nichts mehr verlangsamen kann, weil sowieso alles stets im Zeitlupentempo geschieht. Im Laufe der Jahre hat das Granteln und gegenseitige Beschimpfen in North Bath Methode bekommen und auch, wenn niemand es zugeben würde: Die Leute bilden eine felsebfeste Gemeinschaft und lieben und ehren sich insgeheim alle. Selbst Sully und sein Intimfeind Carl Roebuck (Bruce Willis) sind im Prinzip die besten Freunde und können privat nicht voneinander lassen. Benton profiliert seine Figuren mit unsagbar viel Feingefühl und Sensibilität und räumt selbst Nebencharakteren noch gebührend viel Platz ein, um nicht zu bloßen Schießbudenfiguren degradiert zu werden. Zusammen mit Newmans in so gut wie jeder Szene zu bewundernden, überstrahlend-rührenden Performance summiert sich das zu einem Vorzeigefilm seines Jahrzehnts, der, im besten Sinne, leider zu klein ist, um je für weitflächige Popularität gesorgt zu haben.

9/10

Schnee Richard Russo Working Class Kleinstadt Robert Benton New York


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THE CHASE (Arthur Penn/USA 1966)


"Did you hear...? Bubber Reeves escaped!"

The Chase (Ein Mann wird gejagt) ~ USA 1966
Directed By: Arthur Penn


Eine kleine Stadt irgendwo im Süden. Der Filz der Jahrhunderte lässt sich, diverser Strampeleien der Einwohner zum Trotze, nicht abschütteln. Der reiche Bankier Val Rogers (E.G. Marshall) ist der ungekrönte König der Gegend und hat, auch wenn dieser es nie zugeben würde, selbst den ansonsten vorbildlichen Sheriff Calder (Marlon Brando) in der Tasche. Der hiesige, traditionelle Rassismus schwankt zwischen latent und offensiv, die Idee der sexuellen Revolution wird derweil brutal missverstanden und die Zeit vertreibt man sich mit feucht-fröhlichen Wochenend-Gelagen. In diese explosive Stimmung platzt die Nachricht, dass der junge Tunichtgut Bubber Reeves (Robert Redford) mal wieder aus dem Gefängnis ausgebrochen und möglicherweise auf dem Wege Richtung Heimat ist. Und eine kleine Lynch-Party ist genau das, was den Stadtbewohnern zum ultimativen Amüsement noch fehlt...

Eines der trefflichsten und zugleich erschütterndsten filmischen Porträts über den Süden der USA, auf Augenhöhe mit den Gesellschaftsdramen von Williams. Dekadenz und Neureichtum übermannen hier jede menschliche Regung, die Menschen sind fast durchweg hassens-, um nicht zu sagen verabscheuenswert in ihrer bequemen Kleingeistigkeit. Penn entwickelt für seine zwischen Burleske und bierernstem Drama angesiedelte Theateradaption eine rein ästhetisch betrachtet verführerische Bildsprache mit Scope und leuchtenden Farben, die den oberflächlichen Glanz jener mittelalterlichen Gesellschaft perfekt einfängt und es dem Rezipienten zumindest zu Beginn ein wenig erschwert, sich einen Begriff von jenem sozialen Mikrokosmos zu machen. Auf topographische Angaben verzichtet "The Chase" bewusst, um seine kritische Allgemeingültigkeit nicht zu verspielen. Dem US-Publikum und auch der Kritik ist Penns Film wie viele selbstkritische Werke der Kinogeschichte (ewiges Musterbeispiel: "Heaven's Gate") bis heute verhasst, dabei handelt es sich um eine seiner brillantesten Arbeiten.

9/10

based on play Menschenjagd Arthur Penn Lynchjustiz Suedstaaten Rassismus


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THE HEIRESS (William Wyler/USA 1949)


"I can be very cruel. I have been taught by masters."

The Heiress (Die Erbin) ~ USA 1949
Directed By: William Wyler

New York, um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Catherine (Olivia de Havilland), die Tochter des wohlhabenden Arztes Dr. Sloper (Ralph Richardson), entwickelt sich zusehends zu einer alten Jungfer. Schüchtern und unbehende wie sie sich gibt wird sie weder von ihrem Vater noch vom Rest der Männerwelt als die durchaus zartfühlende und treuherzige Person wahrgenommen, die sie tatsächlich ist. Daher verdächtigt Dr. Sloper ihren aus heiterem Himmel auftauchenden Verehrer, den mondänen, aber schluckarmen Bonvivant Morris Townsend (Montgomery Clift), der bloßen Mitgiftjägerei. Wie richtig er damit liegt, will die vor Verliebtheit blinde Catherine nicht einsehen, bis es zu spät ist - ihre Rache ist dafür umso kühler.

William Wyler entwickelt sich mehr und mehr zu einem Lieblingsregisseur. "The Heiress", ein sowohl auf dem Roman "Washington Square" von Henry James als auch auf einem Stück von Ruith und Augustus Goetz basierendes New Yorker Gesellschaftsporträt, ist jedenfalls wieder einmal von einer ungeheuren inneren Kraft. Es berichtet von der zivilisatorisch unumgänglichen Zwangsläufigkeit feministischer Emanzipationsbestrebungen, so das weibliche Geschlecht sich nicht an seinen häuslichen Schwächen messen lassen will. Die in "Gone With The Wind" noch als bieder-brave Cousine Melanie zu sehende de Havilland hat somit nun endlich Gelegenheit, sich ihrer wahren Stärke zu besinnen. Der von ihr vortrefflich ausgefüllte Part (seltsamerweise erinnert sie mich in zahlreichen Einstellungen an die alternde Ingrid Bergman) des armen Mauerblümchens Catherine Sloper, das am Ende, mit doppelt gebrochenem Herzen, doch noch wie Phoenix aus der Asche emporsteigen darf, ist jedenfalls die späte Quittung dafür. Später, in Aldrichs "Hush...Hush, Sweet Charlotte", durfte sie es dann ja sogar mit der Davis aufnehmen (wobei man gegen diese natürlich nur den Kürzeren ziehen kann). Doch auch Richardson und Monty Clift bieten Sternstunden ihres Könnens, offenbar von Wyler zu selbigen getrieben.
Ein höchst brillanter, scharf geschriebener Film ist das für Kinofreunde wohl kaum verzichtbare Resultat.

10/10

New York based on play William Wyler Emanzipation Bonvivant Henry James Rache period piece


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SPLICE (Vincenzo Natali/CAN, USA, F 2009)


"Eek, eek."

Splice ~ CAN/USA/F 2009
Directed By: Vincenzo Natali


Die für den Pharmakonzern N.E.R.D. tätigen Jungwissenschaftler Clive (Adrien Brody) und Elsa (Sarah Polley) züchten aus einem ganzen Pool unterschiedlicher animalischer Gene die beiden amorphen Tierchen Ginger und Fred, die dann, unter Zugabe menschlicher DNA unter strengster Geheimhaltung das seltsame, weibliche Wesen Dren zeugen. Elsa und Clive verstecken die sich rasend entwickelnde Dren vor ihren Kollegen und Bossen und entwickeln zunächst elterliche (Elsa) und dann erotische (Clive) Gefühle für ihren Zögling. Als Dren dann, zu voller Blüte gereift, das Geschlecht wechselt, wird sie bzw. er zu einer tödlichen Gefahr für die Adoptiveltern.

Das geringfügige Problem mit Natalis immerhin erstem Spielfilm seit dem 03er "Nothing" scheint mir seine mangelnde Eigenständigkeit zu sein. "Splice" geriert sich, um in der biologischen Terminierung des Films zu verharren, wie ein mehr als offenkundiger Hybrid aus dem frühen Cronenberg und Donaldsons "Species". Besonders die thematischen Parallelen zu letzterem erweisen sich als augenfällig bis akut. Immerhin geht Natali in der zweiten Hälfte seines bis dahin eher possierlichen Films auf recht gewagte Art und Weise in medias res, wenn er seine zwischen Science Fiction und latentem Horror pendelnde Geschichte zu einem Eltern- und Quasi-Inzestdrama überhöht, das schließlich mittels einer Art "ödipaler Konklusion" sogar freudianische Züge erhält. Die pharmaziekritischen Aspekte habe ich indes so empfunden, als kämens sie selten über ein recht flaches Behauptungsniveau hinaus, obgleich der entsprechende Ansatz sicherlich gut gemeint und zumindest in der Planungsphase auch kompetent durchdacht worden sein mag. Dennoch, die Bosse von Elsa und Clive bzw. von Ginger und Fred sind mir - für einen phantastischen Film zumindest - am Ende schlicht nicht bösartig genug.

7/10

Paraphilie Genforschung Vincenzo Natali Kanada Mutant Monster Frankenstein Pharmaindustrie


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SOLOMON AND SHEBA (King Vidor/USA 1959)


"Nothing must come between us." - "Not even our gods?"

Solomon And Sheba (Salomon und die Königin von Saba) ~ USA 1959
Directed By: King Vidor


Salomon (Yul Brynner) erbt von seinem sterbenden Vater König David (Finlay Currie) die Regentschaft über das gelobte Land Israel, obschon Salomons älterer Bruder Adonijah (George Sanders) fest mit dieser Würde gerechnet hatte. Die zahlreichen Feinde Israels, darunter Ägypten und Saba, beobachten mit Argwohn, dass der weise und friedliebende Salomon nun zum Monarchen ausgerufen wird. Die Königin von Saba (Gina Lollobrigida) plant, Salomon zu becircen, um ihm dann seine intimsten Geheimnisse zu entlocken und Israel so zu schwächen. Tatsächlich sind die Hohepriester und Untertanen Salomons alles andere als erbaut darüber, dass die dem Vielgötterglauben frönende "Heidin" hier so herzlich willkommen geheißen wird. Mit Salomons wachsender Leidenschaft für die Königin von Saba beginnt daher auch seine Macht zu bröckeln.

Für seinen letzten Film holte der ähnlich wie Cecil B. DeMille von großen Gesten faszinierte King Vidor nochmal alles aus dem Lumpensack, was das kitscherfüllte Bibel- und Mounmentalkino jener Tage zu bieten hatte: Prunk und Plastik allerorten, eine dralle Titelheldin beim Bauchtanz, eine deftige Orgienszene und bigottes Bibelgeschwafel bis dorthinaus. Am Ende gibt es dann sogar die berühmte Schlachtenszene, bei der es dem in der Unterzahl befindlichen Salomon und seiner Armee gelingt, mittels ihrer Schilde die heranstürmenden Ägypter zu blenden und deren Streitwagen dann geradewegs in eine Schlucht stürzen zu lassen. Das ist wieder mal Camp allererster Kajüte und genau der Grund, warum ich dieses alte Monumentalzeug so schätze: Hier wird unter dem ohnehin bereits hauchdünnen Deckmäntelchen der Frömmelei im Prinzip nichts anderes denn reinste Exploitation geboten, die, wenn man für dergleichen offen ist, mit ihrer explosiven Farbgebung und ihrem epischen Aufzug größten Spaß zu bereiten vermag. They don't make 'em like this anymore - und genau das ist der Grund, warum dieser ganze, kostbare Kram in eine dicke Schatztruhe und in alle Ewigkeit gehortet gehört.

7/10

Israel Bibel King Vidor Aegypten Historie period piece


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ON THE WATERFRONT (Elia Kazan/USA 1954)


"You wanna hear my philosophy of life? Do it to him before he does it to you."

On The Waterfront (Die Faust im Nacken) ~ USA 1954
Directed By: Elia Kazan


Hoboken, New Jersey: Der Ex-Boxer Terry Malloy (Marlon Brando) arbeitet als Schläger für den korrupten Hafengewerkschaftsboss Johnny Friendly (Lee J.Cobb). Terrys älterer Bruder Charley (Rod Steiger) ist Friendlys rechte Hand und Advokat. Als mit seiner unbewussten Hilfe eines Tages einer von Friendlys Klienten zu Tode kommt, beginnt der bis dahin erstarrte Terry erstmals aufzuhorchen. Mit der Unterstützung eines couragierten Paters (Karl Malden) und Edie (Eva Marie Saint), der Schwester des Ermordeten, beginnt er, gegen Johnny Friendly und seine Gangsterbande aufzubegehren.

Ein Meilenstein im amerikanischen Kino ist "On The Waterfront", da er als eine der ersten Studioproduktionen nahezu völlig auf Romantisierung und althergebrachte Klischees verzichtet und stattdessen trotz mancher expressionistischer Stilisierung ganz bewusst wie on location gedrehtes cinéma verité daherkommt. Kazan scheut sich nicht, pausenlos Dreck, Armut und Unbehagen abzubilden. Seine Figuren sehen mit Ausnahme der, besonders inmitten von Ruß unjd Kälte ätherisch anmutenden (und im Film freilich jungfräulichen) Eva Marie Saint aus wie vom Leben geschundene Individuen; vernarbt, unrasiert, desillusioniert, traurig. Brando, dessen Darstellung später als archetypisces method acting gelten sollte, spielt seinen Terry Malloy nicht, er lebt ihn - und scheint die anderen, kaum minder großartigen Schauspieler gleich mit in seinen Realismusstrudel zu reißen. Dass "On The Waterfront" permanent seinen nachdrücklichen Ruf nach sozialer Gerechtigkeit lauthals und als allgemeingültiges Credo herausposaunt, wirkt hier nebenbei ausnahmsweise nicht geheuchelt, sondern in höchstem Maße glaubhaft.

10/10

New Jersey Armut Hafen Elia Kazan Gewerkschaft


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THE EGYPTIAN (Michael Curtiz/USA 1954)


"Why?"

The Egyptian (Sinuhe, der Ägypter) ~ USA 1954
Directed by: Michael Curtiz


Theben, 1200 v. Chr.: Der als Baby ausgesetzte Sinuhe (Edmund Purdom) verdingt sich wie sein Adoptivvater (Carl Benton Reid) als Arzt der Armen, begleitet von seinem besten Freund Horemheb (Victor Mature) und der ihn liebenden Schankwirtin Merit (Jean Simmons). Dann jedoch verfällt Sinuhe den unguten Reizen der Babylonierin Nefer (Bella Darvi), die ihn vollends in Selbstverrat und Ruin treibt. Zusammen mit seinem Diener Kaptah (Peter Ustinov) verlässt Sinuhe Ägypten und kehrt erst Jahre später als reicher Arzt wieder. Horemheb giert mittlerweile nach der Macht im Staate und plant, den pazifistischen Pharaoh (Michael Wilding) zu entmachten. Angewidert von dem allgemeinen moralischen Verfall wendet sich Sinuhe einer höheren Instanz zu...

Ganz ähnlich Hawks' "Land Of The Pharaohs" ist "The Egyptian" nichts anderes als großformatiger camp; eine aufwändig gestaltete, dabei jedoch von unleugbar kleinem Geiste beseelte Hollywood-Mär der frühen CinemaScope-Tage. Sogar ein wenig film noir steckt drin in Curtiz' Ägypten-Soap, es gibt die verführerische Femme fatale und das brave Liebchen, den intelligenten, aber nicht minder naiven Helden, der wegen seiner Unkontrolliertheit am Ende mit leeren Händen dasteht und dessen egomanischen Freund, der, einmal am brodelnden Kessel der Macht geschnuppert, alles hinter sich lässt. Selbst die Besetzung mit Mature, Simmons und Tierney ist durchaus noir-kompatibel. Natürlich bereiten in erster Linie die in der damals üblichen Epik eingefangenen spektakulären Kostüme, Bauten und set pieces Vergnügen, an denen man sich durchweg ergötzt. Wunderbar wie immer auch Peter Ustinov als schlitzohriger Gauner mit goldenem Herzen und der leider nur kurz auftretende John Carradine als nicht minder sympathischer Grabräuber. Überhaupt ist es das, was "The Egyptian" dann doch ein wenig bleibenden sittlichen Wert verleiht: Dass er die Kleinen, die Loser und die vermeintlich Geisteskranken zu Helden erklärt und die Großen und Starken zu den wahren Übeltätern.

7/10

Historie Biographie Aegypten Michael Curtiz period piece


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MRS. MINIVER (William Wyler/USA 1942)


"I think it's lovely having flowers named after you."

Mrs. Miniver ~ USA 1942
Directed By: William Wyler


Die fünfköpfige Familie Miniver lebt ein glückliches, wenngleich ereignisarmes Leben im beschaulichen Londoner Vorort Belham. Als die ersten Wehrmachtsbomber über die Insel fliegen, übt man sich in typisch britischem Stoizismus, doch bald schon lässt sich das unaufhörlich nahende Kriegsgrauen nicht mehr leugnen. Auch das stolze Domizil der Minivers fält einer Fliegerbombe zum Opfer Vin (Richard Ney), der älteste Sohn, tritt freiwillig der Luftwaffe bei. Mrs. Miniver (Greer Garson) hilft derweil mittels unbeugsamer Courage, den Krieg gegen die Deutschen auf heimischem Boden zu gewinnen.

Meisterliches von William Wyler. Zwar lässt sich nicht ableugnen, dass "Mrs. Miniver" "auch nur" einer der vielen Propagandafilme seiner Zeit ist, ebensowenig jedoch, dass er sein Heil jedoch für eine gute Sache einlöst - dafür nämlich, angesichts grausiger Zeiten das persönliche Rückgrat zu stärken. Das macht ihn als Zeitdokument wertvoll, als cineastisches Bravourstück jedoch noch umso wahrhaftiger. Spätestens wenn das hässliche Antlitz des Krieges die Zivilbevölkerung erreicht, wird seine ganze philosophische Absurdität greifbar; wenn kleine Kinder angstvoll unter nächtlichen Bombenblitzen zittern und weinen müssen und Jungverheiratete gleich wieder durch den Tod getrennt werden. Wyler beherrscht die Emotionsklaviatur, die nötig ist, um eine Geschichte wie "Mrs. Miniver" zeitlos und kitschbefreit zu erzählen, geradezu perfekt. Die Menschen, die zwanghaft vom Kriege gezeichnet werden, müssen in Erzählungen wie dieser durchweg liebenswert und aufrecht sein, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Dass "Mrs. Miniver" nebenbei voll ist von inszenatorischen Kabinettstückchen und einige große Darstellervorstellungen in sich vereint, scheint angesichts seiner sonstigen Größe beinahe zum angenehmen Nebeneffekt degradiert. So mag es sich auch erklären lassen, dass die womöglich bewegendste Szene in diesem mutmaßlichen Kriegsfilm vor dem scheinbar unspektakulären Hintergrund einer Preisverleihung der Blumenzüchter spielt.

9/10

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Funxton

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