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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CITIZEN KANE (Orson Welles/USA 1941)


"I don't think there's one word that can describe a man's life..."

Citizen Kane ~ USA 1941
Directed By: Orson Welles

Der Wochenschau-Reporter Jerry Thompson (William Alland) soll anlässlich des Todes von Amerikas großem Zeitungsmogul Charles Foster Kane (Orson Welles) herausfinden, was dessen letztes, auf dem Sterbebett gesprochenes Wort "Rosebud" für eine Bedeutung haben mag. Thompson interviewt Kanes noch lebende Weggefährten, seinen Bankier (Everett Sloane), seinen besten Freund (Joseph Cotten) und seine Ex-Frau (Dorothy Comingore). Dabei findet er manches an Mosaikteilchen über jenen mysteriösen Menschen heraus - nur die Bedeutung jenes einen Wortes bleibt ihm und der Welt bis zum Schluss verborgen.

Seltsame äußere Umstände bewirken oft, dass man längst auswendig gekannt geglaubte Filme urplötzlich in einem ganz anderen Licht sieht. "Citizen Kane", dem sein gewaltiger Ruf zwangsläufig vorauseilt und mir auch damals schon geläufig war, habe ich erstmals irgendwann in den frühen Neunzigern gesehen und nicht begriffen. Mir war schleierhaft, worin die angeblich ungeheuren Qualitäten liegen sollten, die offenbar jeder außer mir in diesem scheinbar so aktionsarmen und tempolosen Film zu finden glaubte und ich schob das alles auf eine von wenigen initiierte, hysterisch aufgenommene Massensuggestion. In den Folgejahren habe ich Welles' Film dann noch sehr oft gesehen, von einer zunehmend abgenudelten Videocassette, um, analog zu Lektüre und Filmbildung doch noch zu verstehen, was die Faszination dieses Werks ausmacht. Gut, die Parallelen zur Realität sowie die technisch fortschrittlichen Aspekte sind ja offensichtlich, ebenso der geschmackvolle Stil, dessen sich Welles befleißigt. Mehr sprang mir aber nie wirklich über. Es folgte eine wohl zehnjährige, jeweils zu gleichen Teilen bewusste und unbewusste Pause, die ich gestern Abend unversehens, gebeutelt von mehr oder weniger urplötzlich auftretendem Lumbago einerseits und starken Schmerzmitteln andererseits unterbrach. Plötzlich erstrahlt mir "Citizen Kane" nun in einem neuen, unbekannten Licht, erstmals habe ich den Eindruck, tatsächlich zur Seele des Films durchgedrungen zu sein und ihm im Wechselzug den Weg zu meiner Seele freigeräumt zu haben. Vermutlich muss man zuallererst mal trainiert sein, um ihn wirklich umfassend und befreit vom Ballast störender Außenfaktoren erschöpfend rezipieren zu können. Jetzt endlich jedenfalls konnte ich dieses wahrlich hochgepriesene Meisterwerk mitsamt all seinen Facetten wahrnehmen und finde mich nachhaltig illuminiert von seiner rundum monumentalen Gestalt. Insofern muss ich meinen angeknacksten Lenden wohl noch dankbar sein, fühle ich mich doch geradezu frisch beflügelt von der unverbrauchten Brillanz, Eleganz und Genialität dieser erhabenen Americana. Ab jetzt: Jedes Jahr mindestens einmal.

10*/10

Americana New York Journalismus Biopic Orson Welles


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FROM HERE TO ETERNITY (Fred Zinnemann/USA 1953)


"Nobody ever lies about being lonely."

From Here To Eternity (Verdammt in alle Ewigkeit) ~ USA 1953
Directed By: Fred Zinnemann

Hawaii, 1941: Private Prewitt (Montgomery Clift) lässt sich nach Oahu versetzen, weil er in seiner letzten Kompanie allzu sehr gemobbt wurde. Man hat dort versucht, ihn zum Boxen zu nötigen, obwohl Prewitt dem Faustkampf entsagt hat, seit er einem Gegner beim Sparring das Augenlicht nahm. Doch auch hier macht ihm aus denselben Gründen alle Welt das Leben schwer - bis auf den überaus fairen Sergeant Warden (Burt Lancaster) und Prewitts alten Kumpel Maggio (Frank Sinatra). Warden bändelt seinerseits mit der Frau (Deborah Kerr) des leichtlebigen Captain Holmes (Philip Ober) an und Maggio bekommt Ärger mit dem feisten Sergeant Judson (Ernest Borgnine). Da nehmen die japanischen Verbände Kurs auf Pearl Harbor...

Großes, legendäres Hollywoodkino, das vor allem mit seinem triumphal aufspielenden Ensemble protzen kann. Zinnemanns vergleichsweise zurückgenommene Inszenierung lässt sich kaum mehr mit der seines vorletzten Films "High Noon" vergleichen, so dass man nicht zwingend den Eindruck zurückbehält, dass beide Filme von ein- und demselben Regisseur stammen. Die sich hier abzeichnenden und zutragenden Konflikte sind deutlich romantischerer und weltlicherer Natur; es geht um Rache, Liebe, Leidenschaft, elementare dramatische Topoi also. Entsprechend weniger stilistischer Kniffe bedarf die Bebilderung der Geschichte. Stattdessen so weitschweifende wie kitschige Symbolismen; etwa um den klassischen, erotischen Clinch zwischen Lancaster und Kerr zu verbildlichen, zeigt die Kamera jene berühmten Bilder gewaltiger Meeresbrandung, die sich später so ikonographisch wie spöttisch betrachten ließen. Einen wirklich fiebrigen Hauch erhält "From Here To Eternity" dann gegen Ende, als der Angriff auf Pearl Harbor erfolgt. Die zuvor geschilderten, existenziellen Probleme der Protagonisten werden auf einen Schlag nichtig und klein. Jetzt geht es nurmehr ums nackte Überleben und die ängstlichen Spekulationen bezüglich weiterer Kriegsinvolvierung. Und unser Held, der wie immer Ehrfurcht gebietend traurige Monty Clift, fällt eher zufällig, ohne viel Aufhebens. Nur ein Unfallopfer, unter Vielen.

9/10

Freundschaft Militär James Jones Pazifikkrieg WWII Hawaii Pearl Harbor


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RICHARD III (Richard Loncraine/UK 1995)


"Plots have I laid..."

Richard III ~ UK 1995
Directed By: Richard Loncraine

Und regieren soll er im Zeichen des Keilers: In einem fiktiven Parallelengland des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts, in dem die konstitutionelle Monarchie sich durch diktatorische ersetzt findet, lebt der ebenso machthungrige wie skrupellose Richard III (Ian McKellen). Durch den bürgerkriegseingebundenen Sturz des amtierenden Herrschergeschlechts und die spätere Beseitigung sämtlicher potenzieller Nachfolger wird Richard selbst zum König Englands, dessen Schreckensherrschaft jedoch von Anbeginn auf wackligen Beinen steht.

Zeitgenössisch aufbereitete Shakespeare-Adaption, in der aus dem erbarmungslosen Emporkömmling Richard von York ein lupenreiner Faschist des vergangenen Centenniums wird; ein geradezu betörend verwerfliches Individuum in einer Studie des Bösen und des Machtmissbrauchs, dem samt und sonders die Eigenschaften des satanischen Despoten zukommen. Bucklig und linksseitig verkrüppelt, von einem natürlich-verschlagenen Gesichtsausdruck und ungepflegten Zähnen gebeutelt ist seine Physis; derweil sich hinter den Falten seiner Stirn Lug, Trug, Feigheit, Intriganz, Gier und gar Impotenz verbegen. Eine ganze Palette unangenehmer Eigenschaften entstellt also das Wesen der Titelgestalt, die von McKellen dennoch mit einer so verführerischen Diabolik personifiziert wird, dass man sie eigentlich nie zur verdienten Gänze verabscheuen lernt. Die Faszination des Bösen; auch sie kennzeichnet faschistische Systeme. Loncraines Inszenierung findet sich als geprägt von edelster Eleganz und dennoch stets in völliger Gleichmut mit der Seele des Stücks, dabei getragen von einer feinen ironischen Note, die besonders zum Tragen kommt, wenn Richard sich an uns, sein Publikum, wendet und uns hineinzuziehen sucht in seine humanen Abgründe.

9/10

William Shakespeare Richard Loncraine London England Biopic Dystopie


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DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE (Kurt Raab/BRD, PH 1983)


"Tja. Dann ist das wohl so."

Die Insel der blutigen Plantage ~ BRD/PH 1983
Directed By: Kurt Raab

Der böse Otto Globocnik (Karl-Otto Alberty) unterhält auf einer kleinen Philippinen-Insel eine Mini-Diktatur: Einheimische Frauen müssen auf einer Kokosnussplantage allerlei sinnlosen Tätigkeiten nachgehen. Werden sie bei irgendwelchen Regelübertretungen erwischt, drohen ihnen u.U. Folter oder gar Exekution. Als Globocniks Aufseher Hartmann (Udo Kier) sich in Cora (Karen Lopez), eine der Sklavinnen, verkuckt, werden seine Kollegen (Kurt Raab, Mike Monty, Hans Zander) alsbald misstrauisch und Globocniks Frau missbraucht Hartmann als persönlichen Sexsklaven. Irgendwann wagen die Philippininnen dann den Aufstand und Hartmann und Cora können einer glücklichen gemeinsamen Zukunft entgegensehen.

Fassbinders koksverseuchte Überreste waren noch nicht ganz kalt, da taten sich einige seiner früheren Weggefährten zusammen, um einen vorsätzlichen Schundfilm rauszuhauen, der gehörig Kasse machen sollte, um der produzierenden Luxor Film von Peter Kern und Kurt Raab wiederum Gelder für die Produktion sperrigen Autorenkinos einzutragen. Ob und inwieweit jener Plan aufgegangen ist, weiß ich nicht, was ich aber weiß, ist, dass "Die Insel der blutigen Plantage" ein mustergültiges Exempel lupenreinen Schwachsinns im Exploitationfach ist, so drogen- und alkoholgeschwängert und von völliger mentaler Maßlosigkeit beseelt, dass es schwer in Worte zu fassen ist. Das Ding lässt sich bestenfalls noch mit den beiden Anders-Vehikeln "Die Brut des Bösen" und "Todesgöttin des Liebescamps" vergleichen, wobei die Analogien zu letzterem sowie recht augenfällig sind. Dass hier allerdings einige gestandene Feuilleton-Lieblinge die Sau raus lassen, macht Raabs Film dann doch wieder zu was nachhaltig Besonderem. Zu berichten gibt's sonst, dass es eigentlich nicht viel zu berichten gibt - im Vergleich zu anderen Exloitation-Vehikeln der Sorte Exotischer Eiland-Despotismus nebst Zwangsfron hält sich "Insel" relativ zurück. Hier und da ein Tittenpaar, ansonsten eine eklige Spinnenszene mit unangenehmen Folgen - das war's auch schon. Die eigentliche Schau bieten Udo Kier, der permanent geistlos dreinschaut, als würde er sich existenzielle Fragen stellen "Was zur Hölle mache ich hier bloß?", Mike Monty in seiner besten Rolle, bevor er endgültig in die Niederungen italienischer B- und C-Action abtauchte, Kurt Raab als tuckiger Inselimpresario, der sich später nur noch als 'Tiberius' anreden lässt und die gute Barbara Valentin, die als "Blutige Olga" noch am Meisten Vergnügen an der Sache zu finden schien. Ach, und dann ist da noch der brillante Titelsong von Jürgen Marcus, "Island Of The Bloody Plantation". Kein Witz, der heißt wirklich so.

5/10

Philippinen Europloitation Kurt Raab Peter Kern Trash Insel W.I.P.


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RETURN TO PARADISE (Mark Robson/USA 1953)


"Okay. Who's gonna help me rebuild satan's nest?"

Return To Paradise (Rückkehr ins Paradies) ~ USA 1953
Directed By: Mark Robson

Gegen Ende der Zwanziger landet der Aussteiger Morgan (Gary Cooper) auf einem kleinen polynesischen Eiland westlich von Hawaii. Außer den Eingeborenen lebt dort noch der erzpuritanische Pater Corbett (Barry Jones), der über sein missionarisches Regiment etwas dem Despotismus verfallen ist. Nachdem Morgan Corbett wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat, gilt er für die Insulaner als ihr neuer "König". Mit der schönen Maeva (Roberta Haynes) erwartet Morgan bald ein Baby, doch seine Geliebte stirbt noch im Kindbett. Traurig verlässt Morgan die Insel und kehrt erst viele Jahre später, als die USA und Japan im Krieg stehen, zurück. Als Morgans mittlerweile erwachsene Tochter Tuira (Moira MacDonald) mit einem auf der Insel gestrandeten Air-Force-Piloten (John Hudson) anbandelt, bekennt er sich erstmals zu seinen väterlichen Pflichten.

Kein Klassiker, sondern ein kleines, oftmals übersehenes Inseldrama, das von Freud und Leid des Aussteigertums berichtet. Morgan ist zwar ein Michener-Held, könnte so ähnlich aber auch der Feder Hemingways entsprungen sein - ein kerniger Amerikaner, mit harter Schale und umso weicherem Kern; weltlich-patenter Praktiker mit Herz und Faust am jeweils rechten Fleck sowie eherner Agnostiker. Eine erstklassige Rolle für den späten Cooper, dessen "Gesichtszüge", ein gar vortreffliches (und vor allem glänzend zutreffendes) Godard-Zitat betreffs Manns "Man Of The West", "ins Reich der Mineralogie gehören". So ist denn der Konflikt mit dem zu Beginn noch psychisch irrlichternden Pater Corbett (ebenfalls grandios: Barry Jones), der sich später zu einem Sympahieträger entwickelt, das eigentliche Herz des Films. Die zeitlich abgetrennte Geschichte, in der Morgan zurückkehrt, um endlich sesshaft zu werden und seiner leicht wildwüchsigen Tochter der längst benötigte Vater zu sein, markiert da eher einen - wenn auch angenehmen - langgezogenen Epilog. Immerhin; ein Mann muss inneren Frieden finden und Morgan bekommt den seinen glücklicherweise von Robson spendiert.

7/10

WWII Insel Aussteiger Mark Robson Südpazifik James Michener


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THE KING'S SPEECH (Tom Hooper/UK 2010)


"Timing isn't my strong suit."

The King's Speech ~ UK 2010
Directed By: Tom Hooper

England in den Dreißigern: Nach dem Tode König George V (Michael Gambon) wird zunächst dessen älterer Sohn Edward (Guy Pearce) zum Monarchen der Nation; die Affäre und für später datierte Hochzeit mit einer noch verheirateten Frau (Eve Best) macht ihn jedoch unmöglich für seinen verantwortungsvollen Stand. Also übernimmt Edwards jüngerer Bruder Albert (Colin Firth) als König George VI den Thron. Dessen großes Handicap besteht jedoch in seiner Stotterei. Erst der Sprachtherapeut Lionel Logue (Geoffrey Rush) vermag es, "Berti", wie Albert von seinen Freunden gerufen wird, aus seiner royalen Misere herauszuhelfen Georges über Funk ausgestrahlte Reden während der Kriegsjahre werden schließlich zu legendären rhetorischen Kabinettstücken.

Die allgemeine Faszination, die "The King's Speech" auf die meisten seiner Zuschauer auszuüben scheint, entzieht sich mir leider. Sicherlich kein schlechter Film, eben gehobenes "Qualitätskino", aber nicht umsonst gilt jene Bezeichnung in mancherlei Kreisen bereits als Schimpfwort. Wenn es tatsächlich so etwas wie den "typischen Instant-Oscarfilm" gibt, dann dürfte Hoopers Werk jedenfalls genau ein solcher sein. Die Initiationsgeschichte eines liebenswerten Dickkopfes, der zum König der Herzen avanciert, knackte schon je die Nüsse des gepflegten Kinobesucher-Establishments (am liebsten pärchenweise, bitt'scheen) und dass jener König in diesem Falle gleich auch mal auf dem Papier ein König ist, kann natürlich als besonders neckischer Schachzug seiner authentischen Geschichte gewertet werden. Ansonsten erweist sich der Zweite Weltkrieg einmal mehr als dramaturgisch gewinnbringender historischer Hintergrund, besonders, da er als Projektionsfläche für das Charisma seines Protagonisten herhalten muss.
Die Oscar-Geschichte hat, unabhängig davon, was man von ihr oder dem Verleihprocedere halten mag, wahrhaft schöne, große, einmalige, prachtvolle Filme hervorgebracht. Dieser, ein netter, jedoch durchaus verzichtbarer Gewinner, gehört nicht dazu.

5/10

Biopic London Tom Hooper WWII period piece England Historie Freundschaft Best Picture


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WITHNAIL & I (Bruce Robinson/UK 1987)


"Free to those that can afford it, very expensive to those that can't."

Withnail & I ~ UK 1987
Directed By: Bruce Robinson

London, Ende 1969: Die swingende Dekade geht zur Neige und suhlt sich in Katerstimmung, während die beiden arbeits- und mittellosen, in einer Zweier-WG hausenden Schauspieler Marwood (Paul McGann) und Withnail (Richard E. Grant) den Absprung nicht bewältigen können. In ihrer zugemüllten Bude kreist alles um einen möglichst ungesunden Lebensstil, der nun, in der kalten Jahreszeit, einer zumindest mittelfristigen Veränderung bedarf. Raus aufs Land heißt die Devise und den buchstäblichen Schlüssel dazu hält Withnails so exzentrischer wie stockschwuler, reicher Onkel Monty (Richard Griffiths) in Händen. Nachdem Withnail Onkel Monty also die Erlaubnis zum Aufenthalt in seinem Landhaus aus den wohlbeleibten Rippen geleiert hat, geht es ab ins Blaue, pardon, Graue. Schlechtes Wetter und die argwöhnische Landbevölkerung stellen sich auch nicht al das Gelbe vom Ei heraus und als noch Monty hinterherkommt und Marwood zu verführen versucht, ist Schluss mit Lustig: Zurück nach London, wo Marwood endlich die Chance, Mitglied des Establishments zu werden, winkt.

Da habe ich so ganz mirnichts-dirnichts und ohne damit zu rechnen doch tatsächlich einen neuen Lieblingsfilm entdeckt. Eigentlich wollte ich mich "nur mal schnell" mit dem überschaubaren Regiewerk von Bruce Robinson vertraut machen, bevor in Kürze seine Thompson-Adaption "The Rum Diary" anläuft, und dann sowas: Kaputte Typen vor heimeliger Kulisse, garantiert nicht pharmazeutikainteressenlos. Dachte immer, mir ist längst alles Wesentliche aus dieser von mir heißgeliebten Sparte Film bekannt, aber nein; der wahrhaft große "Withnail & I" war mir bis dato schändlicherweise völlig durchgegangen. Mit wunderbarstem, zynischem Weltverstehen nimmt sich Robinson seiner kleinen, unspektakulären Coming-of-Age-Story an, die im besten Sinne eigenwillig daherkommt, sich jedweden erhobenen Zeigefinger verkneift und die Verschrobeheit zum obersten Daseinsprinzip erklärt. Ohne ethische Dogmen, allerhöchstens denkanstoßend, zeichnet Robinson das Ende einer Ära, den Umsturz einer Dekade der Sorglosigkeit. Dass der Kater umso schlimmer ist, je rauschender sich die Party gestaltete, ist ein Existensprinzip, das Marwood und besonders Withnail (noch) nicht ganz verinnerlicht haben. Nach der Devise "fight fire with fire" hören sie nicht auf, sondern machen einfach weiter. Dass das Ganze nichtmal didaktisch, sondern ungeheuer witzig gestaltet wurde, macht "Withnail & I" erst zu diesem Meisterwerk des Slackertums, "all along the watchtower" eingerahmt von "vodoo chile" Hendrix.
Cheech und Chong in der bildungsbürgerlichen Version, von jetzt an häusliches Pflichtprogramm bei mir.

10/10

Coming of Age Bruce Robinson Provinz London Freundschaft Herbst Homosexualität Drogen Alkohol Marihuana


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THE YOUNG LIONS (Edward Dmytryk/USA 1958)


"You're in a splendid constitution for a man of your age. Are you a vegetarian?" - "No, alcoholic."

The Young Lions (Die jungen Löwen) ~ USA 1958
Directed By: Edward Dmytryk

Drei sehr unterschiedliche Männer erleben den Zweiten Weltkrieg auf ebenso unterschiedliche Art: Der bayrische Skilehrer Christian Diestl (Marlon Brando) gibt sich betont unpolitisch, fällt jedoch auf die großen Reden der Nazis herein und lässt sich bereitwillig als Wehrmachtsoffizier instrumentalisieren. Der New Yorker Sänger und Showstar Michael Whiteacre (Dean Martin) zieht überhaupt nur in die Armee ein, um nicht vor seiner dräuenden Freundin (Barbara Rush) als Feigling dastehen zu müssen und für den stillen, sensiblen Verkäufer Noah Ackerman (Montgomery Clift), den Whiteacre zufällig bei der Musterung kennenlernt und mit dem er sich anfreundet, bedeutet der Krieg genau jene kleine Notwendigkeit, als die ihn die meisten alliierten Soldaten auffassen. Am Ende werden nur zwei von ihnen lebend zurückkehren, obwohl alle drei es verdient hätten.

Großatmiges Kriegsdrama des für pathetische Heldenstoffe alles andere als ungeeigneten Edward Dmytryk. Vorzüglich besetzt mit zumindest zwei der größten method actors ihrer Tage (Brando und Clift), dem ewigen Vorzeigeentertainer und charmanten Tunichtgut Dean Martin und nicht zuletzt dem großen Maximilian Schell gehört "The Young Lions" zu jenen Filmen, die ihr "angeborenes" inneres Strahlen bis heute bewahren konnten und die exemplarisch demonstrieren, welch versierte Handwerker und Könner einst in Hollywood tätig waren. Im Rahmen seiner Gattung unterscheidet sich Dmytryks Werk nicht wesentlich von den anderen teuren, zeitgenössischen Kriegsfilmen. Bemerkenswert vielleicht, dass hier ein Wehrmachtssoldat nicht allein zum Protagonisten ausgerufen wird, sondern ferner einen gewissen, tragischen Heldenstatus zugesprochen bekommt. Weiterhin wird gegen Ende unverblümt von den deutschen Vernichtungslagern und der "Effizienz" ihrer grauenhaften Zweckmäßigkeit gesprochen, sowie die Befreiung eines (fiktiven) KZ gezeigt. In diesen Punkten geht "The Young Lions" dann schon über das übliche inhaltliche und dramaturgische Genre-Einerlei hinaus. Dass der Film unterschwellig ein Hohelied auf den Heldenmut der G.I.s anstimmt, vermag er wegen seiner vollendeten Gesamtheit durchaus zu tragen.

8/10

Edward Dmytryk Irwin Shaw WWII Nationalsozialismus Nordafrika-Feldzug


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PEYTON PLACE (Mark Robson/USA 1957)


"We were just playing a game called Photography. You turn off the lights and see what develops."

Peyton Place (Glut unter der Asche) ~ USA 1957
Directed By: Mark Robson

Die Kleinstadt Peyton Place ist das unsympathische Abbild der wohl meisten amerikanischen Kleinstädte: Hinter bunt bepflanzten Vorgärten lauern in jedem zweiten der Einfamilienhäuser Bigotterie, Neid, Wollust, Nachbarshass und Lebenslügen. Besonders für die zwei jugendlichen Freundinnen Allison (Diane Varsi) und Selena (Hope Lange) gestaltet sich das zugeknöpfte Leben in Peyton Place als zunehmend unerträglich: Während Allison als Halbwaise nicht mit dem akuten männerhass und der Frigidität ihrer Mutter (Lana Turner) zurecht kommt, sieht sich Selena den immer forscheren Annäherungsversuchen ihres daueralkoholisierten Stiefvaters (Arthur Kennedy) ausgesetzt.

Basierend auf dem berühmten Skandalroman von John Michael Hayes schuf der mithin sehr unterschätzte Filmemacher Mark Robson mit "Peyton Place" sein wohl ausladenstes Werk. Die fast ein Jahrzehnt an erzählter Zeit umspannende Kleinstadtsaga, angesiedelt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, wäre im Grunde ein typischer Stoff für Douglas Sirk gewesen, der jedoch bei der Universal unter Vertrag stand und dann mit "Peyton Place" nicht zu unterschätzende Konkurrenz bekam. In feinem Technicolor und Scope berichtet der Film hinter seinem formal entzückenden Rahmen von den brodelnden Unwägbarkeiten amerikanischer Kleinstadtexistenz, jener bürgerlich-biederen Heimathölle, der zu entkommen der größte Wunsch jedes ihrer halbwegs aufgeklärten Einwohner sein muss. Es sei denn, man zählt zur idealistischen Hälfte der Menschheit wie der Jungrektor Mike Rossi (Lee Philips), dessen Ankunft in Peyton Place manche Änderung mit sich bringen wird und unter anderem sogar gut genug ist, den Gerechtigkeitssinn langjähriger Mitbürger wie den des sympathischen Dr. Swain (Lloyd Nolan) zu aktivieren. Am Ende, als Peyton Place endlich seine überfällige Katharsis durchgestanden hat, gibt es zumindest wieder einen Funken Hoffnung für die Stadt und für den Fortbestand der Traumfabrik.
Großer Hollywood-Kitsch für Gourmets.

8/10

Mark Robson Ensemblefilm Alkohol WWII


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NIGHT TIDE (Curtis Harrington/USA 1961)


"Good luck, my boy."

Night Tide ~ USA 1961
Directed By: Curtis Harrington

Der Navy-Matrose Johnny Drake (Dennis Hopper) verbringt seinen ersten Landurlaub im lebenslustigen Venice Beach. In einem Jazzkeller lernt er die geheimnisvolle Mora (Linda Lawson) kennen, die sich zunächst abweisend gibt, dann aber auf Johnnys zaghafte Annäherungsversuche eingeht. Wie Johnny erfährt, arbeitet Mora als "lebensechte Meerjungfrau" in einer Sideshow des alten Kapitäns Murdock (Gavin Muir), und auch sonst scheint sie sich über Gebühr mit jener Sagengestalt zu identifizieren. Als Johnny erfährt, dass Moras letzte beiden Freunde im Pazifik ertrunken sind und ihr Verhalten sich zunehmend seltsam gestaltet, beginnt er sich Sorgen zu machen, um Mora und um sich selbst...

Curtis Harringtons erster Langfilm, ein zauberhaftes, kleines Schauermärchen für Erwachsene in der Tradition der Lewton-Produktionen, das seinen Handlungsschauplatz Venice Beach ganz hervorragend porträtiert als eine Art westamerikanischen Ausläufer der Träume, Mysterien und Sonderbarkeiten. Das Küstenstädtchen firmiert hier als Ort der Gegenkultur; eine Combo gemischter Hautfarbe spielt pulsierenden Jazz, Percussionisten laden am Strand zum Tanzen ein, an der Promenade gibt's Kirmesangebote und Sideshows. Es ist ein Venice aller Zeiten, das Harrington hier beschwört, zugleich seine illustre Vergangenheit bewahrend als auch wegweisend Richtung Zukunft. Der junge, auf einer Art schmalem Grat zwischen Biederkeit und latenter Exzentrik zu balancieren scheinende Dennis Hopper passt wunderbar in dieses entrückte Ambiente in seiner Mischung aus Einzelgängertum, Einsamkeit und Sehnsucht. Der alte Kapitän Murdock hätte ursprünglich von Peter Lorre gespielt werden sollen. Nicht, dass Gavin Muir enttäuschend wäre, nur hätte Lorres Mitwirkung "Night Tide", zumindest was mich anbelangt, auf eine noch höhere Ebene gehievt. Glücklicherweise erspart Harrington uns erläuternde Eindeutigkeit am Ende. Für ein rationalitätsfixiertes Publikum liefert er eine plausible, "natürliche" Erklärung für die Geschehnisse, der zuvor konstruierte Mystizismus muss darunter jedoch nicht leiden. Sozusagen ein Abschluss zum Selbstentscheiden.

8/10

Meerjungfrauen Ozean Kalifornien Venice Beach Independent Curtis Harrington Erwachsenenmärchen Carnival





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