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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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NO HIGHWAY (Henry Koster/UK, USA 1951)


"I expect for the tail to fall off."

No Highway (Die Reise ins Ungewisse) ~ UK/USA 1951
Directed By: Henry Koster

Der bei 'Royal Aircraft' beschäftigte, genialische Physiker und Mathematiker Theodore Honey (James Stewart) hat errechnet, dass ein neues, bereits serienmäßig im Einsatz befindliches Flugzeug der Marke 'Rutland' aufgrund der starken Vibrationen nach etwas über 1400 Flugmeilen sein Heck verlieren und abstürzen muss. Einen diesbezüglichen Fall gab es mutmaßlich bereits, lediglich die Absturzursache konnte bislang nicht eindeutig bewiesen werden. Also schickt man Honey persönlich zum Unglücksort, der während des Überseefluges feststellen muss, dass er ausgerechnet in einer Rutland mit rund 1400 abgeleisteten Flugmeilen sitzt...

Ein spannender kleiner Film, der Stewart seinen erfolgreichen Elwood-P.-Dowd-Part nochmal repetieren ließ: Auch hier musste der Schauspieler einen exzentrischen Sonderling geben, der seiner Umwelt oberflächlich als seltsam bis beängstigend erscheint, tief im seinem Herzen jedoch ein liebenswerter und unbeirrbarer Philanthrop ist. In der deutschen Fassung, in der Stewart wiederum von Viktor De Kowa gesprochen wird, darf er am Ende sogar nochmal "einen lüpfen"! Stewarts überaus komisches Porträt des linkischen Wissenschaftlers gehört in die Phalanx der großen Darstellungen weltfremder Genies und vervollständigt einmal mehr das altbekannte Star-Trio mit Cary Grant und Gary Cooper, die jeweils zuvor schon ganz ähnliche Rollen bei Howard Hawks gespielt hatten. Ansonsten ist "No Highway" oder "No Highway In The Sky", wie er etwas unwirrer in den USA hieß, jedoch alles andere als eine Humoreske. Vielmehr baut sich das Drama um Stewart als komischem Nukleus herum auf; mit minimalistischsten Mitteln lässt Koster etwa eine höchst beklemmende Atmosphäre entstehen, als Stewart und mit ihm dem natürlich längst voll auf seiner Seite befindlichen Publikum klar wird, dass das Flugzeug, in dem er gerade sitzt, zu neunundneunzig Prozent abstürzen wird. Das letzte Viertel des Films wirkt dann vergleichsweise etwas aufgesetzt und makulatorisch, macht ihn aber glücklicherweise nicht zunichte.

8/10

Henry Koster Fliegerei


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SYNECDOCHE, NEW YORK (Charlie Kaufman/USA 2008)


"Well, fuck everybody. Amen."

Synecdoche, New York ~ USA 2008
Directed By: Charlie Kaufman

Während der Vorbereitungen zu seiner Adaption von Millers "Death Of A Salesman" ereilt den Theaterregisseur Caden Cotard (Phillip Seymour Hoffman) ein nervöses Leiden, das sich zu Beginn dergestalt äußert, dass bestimmte Körperfunktionen - so die Speichelproduktion und die Pupillenerweiterung bei Lichteinfluss - ausgebremst werden, später jedoch noch illustrere Symptome zeigt. Damit einhergehend wendet sich seine Frau (Catherine Keener) von ihm ab und zieht in eine Berliner Bohèmien-WG, um dort ihrer Kunst der Miniaturölmalerei nachzugehen. Das vierjährige Töchterchen Olive (Sadie Goldstein) nimmt sie einfach mit. Den Gewinn des just gewonnenen, hoch dotierten MacArthur-Preises nutzt Caden derweil, zur Anmietung einer alten Kaufhalle, wo sein neuestes Stück spielen soll - eine Eigenkreation, die, soviel weiß Caden sogleich, zur Aufarbeitung seines Seelenschmerzes dienen soll. Die Vorbereitungen für das Stück umfassen schließlich Jahrzehnte, werden immer gewaltiger und epischer, bis Kunst und Realität ineinander zerfließen, sich nicht mehr unterscheiden lassen; bis Cadens Leben zu seinem Stück geworden ist - und umgekehrt.

Eine gewaltige Meditation darüber, wie Kunst und Realität sich wechselseitig beeinflussen; im Prinzip eine logische Wahl für Kaufmans Regiedebüt. "Synecdoche, New York" schlägt einen Pfad ein, dem vermutlich kein anderer Metteur-en-scène mehr folgen kann als Kaufman selbst; hier sind selbst ein Jonze und ein Gondry passé - von einem Clooney gar nicht zu reden. Die Metalepsen seiner bisherigen Filme, die jeweils einer seelischen und/oder narrativen und /oder dramaturgischen Transzendierung dienten, zerfließen nun endgültig zu einem lustvoll-surrealen Potpourri und machen es dem Zuschauer nicht leicht, den Überblick über sie zu behalten. Aber darin liegt auch der Zweck des Dargestellten; Caden Cotard verliert ja selbst den Überblick und es geht auch ums Überblick-Verlieren und dass man den Mut dazu haben soll, sich an der Nase fassen und daran geradewegs durch die determinierte Ungeheuerlichkeit ziehen zu lassen. "Synecdoche, New York" erscheint zuweilen selbst wie gefilmtes Improvisationstheater, als habe Kaufman sich sein Buch täglich autark weiterentwickeln lassen, ähnlich wie Cotards Stück, das irgendwann alle inneren und äußeren Begrenzungen hinter sich lässt. Am Ende gibt's dann einen Krieg; wohl, weil ausgedehnte Biographien irgendwo in ihrem Ablauf immer einen Krieg verzeichnen müssen.
Fragt sich wie's für Kaufman von hier an weitergehen soll und ob er überhaupt noch etwas zu sagen hat nach einem solch definitiven künstlerischen Statement. Wir warten. Warten auf Cotard. Verzeihung, Charlie. Kaufman.

9/10

Surrealismus Charlie Kaufman Theater New York Berlin Zukunft Bohème Biopic Groteske


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ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (Michel Gondry/USA 2004)


"Constantly talking isn't necessarily communicating."

Eternal Sunshine Of The Spotless Mind (Vergiss mein nicht!) ~ USA 2004
Directed By: Michel Gondry

Aus verschmähender Rache an seiner Ex-Freundin Clementine (Kate Winslet), die zuvor denselben Schritt unternommen hat, wendet sich der Angestellte Joel Barish (Jim Carrey) an die Firma 'Lacuna Inc.', die damit wirbt, ihren Kunden Gedanken an unliebsame Personen oder Ereignisse vollständig aus dem Gedächtnis zu löschen und somit ein unkomlizierteres Leben zu ermöglichen. In einer wie üblich nächtlichen Aktion nehmen sich zwei Mitarbeiter (Mark Ruffalo, Tobey Maguire) also das Hirn des schlafenden Joel vor, dessen Unterbewusstsein sich jedoch stark zu wehren beginnt gegen die bevorstehende Zwangs-Amnesie. Schließlich müssen sowohl Joel als auch Clementine lernen, dass Gehirne sich vielleicht austricksen lassen, Herz und Schicksal jedoch (noch) nicht.

Ein - darf man's überhaupt so formulieren ohne rot zu werden? - typischer Kaufman, der sich diesmal der Mental-Science-Fiction eines Phillip K. Dick befleißigt, um sein wiederum metaleptisches Storykonstrukt zu installieren und damit einmal mehr bahnbrechendes Erzählkino zu liefern. "Eternal Sunshine" beginnt mit einer Vorausblende, die bereits vorwegnimmt, dass am Ende eine glückliche conclusio wartet, nachdem zuvor die tragikomische Leidensgeschichte eines hirninternen Beziehungs-Aborts vorgenommen werden muss. So steht denn auch die Flucht Joels durch die Windungen seines Geistes und seiner Erinnerungen im dramaturgischen Vordergrund; er versucht, Clementine überall dort zu verstecken, wo die Gedächtnisklempner von Lacuna nicht hinfinden, doch ist die organische Topographie eines Hirns leider wesentlich überschaubarer als die grenzenlose Imaginationsbefähigung des menschlichen Geistes. Am Ende wird zwar Joels Kopf ein Schnippchen geschlagen, nicht jedoch der längst existenten Seelenverwandtschaft zwischen ihm und seiner Clementine, die trotz entlarvend-gehässiger Audio-Cassetten (!) mit gegenseitigen Hasstiraden startklar sind für einen Neuanfang wider (?) aller Vernunft.
Ich mag die beiden Zusammenarbeiten von Gondry und Kaufman nicht so sehr wie die von Jonze und Kaufman, da letztere mir nicht nur wagemutiger erscheinen, sondern sie mich auch an intellektuell und emotionalio deutlich erregbareren Punkten zu treffen vermögen. Dennoch hat "Eternal Sunshine" natürlich seine spezielle Poesie, seinen speziellen Reiz und lohnt nicht zuletzt deshalb, weil er Carrey und Winslet einmal recht weit außerhalb ihrer üblichen Bahnen präsentiert.

8/10

Michel Gondry Amnesie New York Charlie Kaufman


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ADAPTATION. (Spike Jonze/USA 2002)


"You are what you love, not what loves you."

Adaptation. (Adaption.) ~ USA 2002
Directed By: Spike Jonze

Der Drehbuchautor Charlie Kaufman (Nicolas Cage) erlebt eine böse midlife crisis. Während sein Script zu "Being John Malkovich" verfilmt wird, erhält er den Auftrag, das nächste Drehbuch zu verfassen - eine Adaption von Susan Orleans' (Meryl Streep) teilbiographischem Porträt "The Orchid Thief". Darin geht es um den in Florida lebenden Orchideenzüchter John Laroche (Chris Cooper), der auf ein höchst interessantes Leben nebst außerordentliche Kenntnissen in diversen Fachgebieten zurückblicken kann und dem die Autorin auf eine seltsame Weise verfallen zu sein scheint. Über die Lektüre des Buchs gerät Charlie in eine mittelschwere Schaffenskrise, die sich noch dadurch intensiviert, dass sein extrovertierter Zwillingsbruder Donald (Nicolas Cage) auch mit dem Scriptschreiben anfängt, als erstes einen konventionellen Serienkillerfilm ersinnt und damit gleich einen Volltreffer landet.

Das muss man sich mal vorstellen: Einen Film über seine eigene Entstehung zu machen, diesen mit fiktionalen Elementen anzureichern und somit einen ganzen Fächer sich überlappender Realitätsebenen zu präsentieren - etwas so Waghalsiges schafft in mittels einer solch gleichermaßen intellektuellen Schlüssigkeit und eleganten Emotionalität wohl nur ein Charlie Kaufman. Ich bin geneigt, "Adaptation" als sein bisheriges Meisterstück zu bezeichnen; die zutiefst ergreifende, einem kompromisslosen Seelenstriptease gleichzusetzende Achterbahnfahrt in die Gefühlsklause dieses rätselhaften Menschen, der sogar soweit geht, für einen/diesen Film einen den kompletten Widerpart seiner Selbst symbolisierenden Zwillingsbruder zu ersinnen und auch gleich wieder ins Jenseits zu schicken, womöglich nur, weil ein Seminare abhaltender "Drehbuchfachmann" (Brian Cox) dazu rät, Ereignisse walten zu lassen. Und dann Nicolas Cage in dieser monolithischen (oder besser: stereolithischen) Performance als Zwei-Seiten-Medaille. Spätestens nach dem Genuss seiner hiesigen Darbietung kann man jede seiner Action- und Bruckheimerrollen nurmehr als Finanzbettung und offensive Selbstsatire begreifen. Spike Jonzes Inszenierung schließlich krönt das Ganze zu jenem glücksfälligen, überwältigenden Kunstwerk, dass es am Ende werden konnte, weil praktisch alle Beteiligten wirklich ausnahmslos Zenitleistungen darboten. "So happy together..."
Vollkommen überwältigend.

10/10

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CONFESIONS OF A DANGEROUS MIND (George Clooney/USA, UK, D 2002)


"When you're in a relationship, it means you are obligated to give a shit."

Confessions Of A Dangerous Mind (Geständnisse - Confessions Of a Dangerous Mind) ~ USA/UK/D 2002
Directed By: George Clooney

Der Werdgang des Game-Show-Erfinders und angeblichen CIA-Killers Chuck Barris (Sam Rockwell), basierend auf dessen "unautorisierter Autobiographie" gleichen Titels.

Nachdem sein Script zu Michel Gondrys "Human Nature" verfilmt worden war, ergab sich als nächstes diese Adaption des unter seinen Kennern vornehmlich als bizarr kategorisierten Barris-Buchs, dessen Wahrheits- bzw. Legendengehalt bis heute nicht auf den Grund gegangen werden konnte. Dem Vernehmen nach machte Barris, als er mit dem Schreiben seiner Autobiographie beschäftigt war, eine "schwere Lebenskrise" durch, was sich ja in vielerlei Ausprägung interpretieren lässt. Chuck Barris' erstes Geschenk an die Popkultur bildete der von Freddy Cannon eingesungene Hit "Palisades Park". Später wagte sich dann die ABC an seine teils trashigen Showformate wie "The Dating Game" oder "The Gong Show", die später sogar international adaptiert wurden und die basalen Wurzeln für die noch heute das Fernsehen beherrschenden "Talentshows" legten, welche natürlich nicht dazu dienen, Talente ausfindig zu machen, sondern primär dafür geschaffen sind, einsame Öffentlichkeitssuchende großflächig zu denunzieren. Irgendwann im Anfangsstadium seiner Erfolge will Barris dann von einem CIA-Mann angeworben worden und zum Profikiller ausgebildet worden sein. Im Laufe seiner "Parallelkarriere" im Nachrichtendienst hat Barris dann angeblich 33 Menschen getötet, als letztes einen weiblichen "Maulwurf" (Julia Roberts), der diverse andere Mitarbeiter der "Firma" ausgeschaltet hatte.
Barris' zusammenfabulierter Biographiewahnsinn schreit natürlich nach einer Verfilmung, zumal wenn ein fertiges Drehbuch von Charlie Kaufman dafür vorliegt. George Clooney wählte den Stoff mit großzügiger Schützenhilfe von Miramax und seinem Kumpel Soderbergh als sein Regiedebüt und machte seine Sache soweit in Ordnung. Allerdings muss man ganz klar sehen, dass Clooney sich in ebenjener Unterstützung durch Freunde und Kollegen förmlich suhlt und seine Eigenständigkeit sich in Bildmanipulationen erschöpft. Ansonsten gehört der Film ganz dem wie immer phantastischen Rockwell und natürlich Charlie Kaufman, für dessen Verhältnisse "Confessions" allerdings recht konventionell daherkommt.

7/10

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BEING JOHN MALKOVICH (Spike Jonze/USA 1999)


"Hey Malkovich, think fast!"

Being John Malkovich ~ USA 1999
Directed By: Spike Jonze

Der arbeitslose, zur Melancholie neigende Marionettenspieler und -schnitzer Craig Schwartz (John Malkovich) tritt eines Tages eine seltsame Stelle als Archivar in der 'Lestercorp' an, einer in der siebeneinhalbten Etage eines Bürohauses untergebrachten Firma. Dort geht nicht alles mit rechten Dingen zu, nicht nur die Sekretärin (Mary Kay Place), sondern auch Craigs Chef (Orson Bean) erweisen sich als bizarre Persönlichkeiten. Dafür lernt Craig eine ihn zutiefst faszinierende Frau kennen - die eiskalte Maxine, der Craig bald mit Haut und Haaren verfällt. Als er in seinem Arbeitsraum hinter einem Aktenschrank ein kleines Türchen entdeckt, hinter dem sich ein Portal befindet, das geradewegs in den Geist des Schauspielers John Malkovich (John Malkovich) führt, versucht Craig, ebendies nicht nur für seine Beziehung zu Maxine gewinnbringend zu nutzen. Diese jedoch lässt Craig weiter links liegen und verliebt sich stattdessen in seine Frau Lotte (Cameron Diaz).

Grandiose Groteske und konspirative Komödie - "Being John Malkovich" bildet das Kindodebüt des zuvor primär als Videoclip-Künstler arbeitenden Spike Jonze und darüberhinaus seine erste Kollaboration mit dem Autor Charlie Kaufman. Dass die geballte, enervierende Kreativität dieses Duo Infernale gar Großartiges zu schaffen in der Lage ist, beweist dieser Film, eine traumhafte, keine Obskuritäten und Widrigkeiten scheuende Verhandlung seelischer Notstände, in der der Titelheld John Malkovich sich auf eine Weise exponiert und zerpflücken lässt, die man nur als höchst wagemutig bezeichnen kann. Andererseits wird er sich vielleicht auch geehrt gefühlt haben, zum inkarnierten MacGuffin dieser absonderlichen Dreiecksgeschichte auserkoren worden zu sein und das Projekt und seine Involvierung mit Kusshand begrüßt haben. Doch ist jedwede Spekulation in dieser Richtung ohnehin redundant, denn dieses vollendete Kunstwerk, das es fertigbringt, die Gratwanderung zwischen seinem bizarren, originär-jüdischem Humor und dem entsetzlichen, todtraurigen Gefühl des Abgeweistwerdens blindlings zu meistern, spricht ganz allein für sich und seine monolithische, innovative Präsenz. Einer jener immer rarer werdenden Filme, die dazu taugen, das Kino zu retten.

10/10

Spike Jonze New York Bohème Charlie Kaufman John Malkovich Groteske


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FOUR LIONS (Chris Morris/UK 2010)


"That's what jihad's really about!"

Four Lions ~ UK 2010
Directed By: Chris Morris

Mit diesem Quartett auf seiner Seite ist der Jihad von vornherein im Arsch: Die vier selbsternannten, in Sheffield beheimateten Islamritter und Weltenretter Omar (Riz Ahmed), Waj (Kayvan Novak), Barry (Nigel Lindsay) und Faisal (Adeel Akhtar) sind nämlich dämlicher als die Polizei erlaubt. Omar, Vater einer netten, kleinen Familie (Preeya Kalidas, Mohammad Aqil), ist vom Fanatismus so geblendet, dass er die wesentliche Zufriedenheit, die sein Leben ihm bietet, glatt übersieht. Waj ist ein imbeziler Kindskopf, der ohne "Bro' Omar" noch nichtmal den Gang zur nächsten Toilette meistern kann. Barry ist ein eingeborener Soziopath und Paranoiiker, der sich für den islamischen Terrorismus entschieden hat, weil er anderswo nicht Fuß fassen kann und Faisal ist, nun ja, eben Faisal. Ergänzt durch den nicht minder belämmerten Rapper Hassan (Arsher Ali), den Barry bei einer Islam-Debatte aufreißt, planen die "vier Löwen" einen (nicht autorisierten!) terroristischen Anschlag auf irgendein verdientes imperialistisches Ziel. Als dieses wählt man schließlich den London-Marathon...

Brillante Satire, die den Topos "blinder Fundamentalismus und seine Folgen" in einer Weise verhandelt, die ich als die denkbar adäquateste bezeichnen möchte. (Nicht allein im Zeichen der Religiosität auftretenden) Gewaltverbrechern den Spiegel vorzuhalten, sie lächerlich zu machen und ihnen und der Welt zu demonstrieren, dass sie, zumindest in der Dimension des Irdischen, weder als Helden noch als Märtyrer verdienen, abgefeiert zu werden, sondern bloß als geistig beschiedene Dummköpfe bedauert werden können, scheint mir bei jeder weiteren Reflexion als eine grandios-wirkungsvolle Methode. Seinen an sich sehr sensiblen, höchst tragischen Themenkomplex versieht Chris Morris mit einer Gagdichte von Allahs höchsten Gnaden. An die alten "Flying Circus"-Sketche reicht die erfrischende Komik zuweilen heran und selbst, wenn sich am Ende die bittere Konsequenz aller Himmelskrieger einlöst, kann man das irgendwie noch als tiefschwarzen Brithumor verbuchen. Grandios, wie der Film seine Antihelden zugleich als "Opfer" okzidentaler Kultur auf der einen und Opfer ihres Fanatismus' auf der anderen Seite charakterisiert. Ausgerechnet was sie verachten (oder zu verachten glauben), bestimmt nämlich ihre Persönlichkeiten: modische Klamotten und Frisuren, iPhones, X-Box, Counterstrike, Tupac Shakur, Walt Disney, Coverversionen von Seventies-Schnulzen, cockney accent etc.pp. Sie können nicht mit - aber ohne genauso wenig.
Einzig um Omars Familie tut es einem am Ende wirklich leid, speziell um sein putziges Söhnchen, das künftig als Halbwaise aufwachsen muss, nachdem sein Märtyrerpapi sich in einer Woge tückischer Emotionalität für die dunkle Seite entschieden, dem Filius die Saat des Verderbens zuvor per geflissentlich umgedichteter "Lion King"-Gutenachtgeschichte allerdings noch (mutmaßlich) erfolgreich eingeimpft hat. Der Hass stirbt nie - die höchst bittere Konsequenz des wahrscheinlich witzigsten Films des letzten Jahres.

10/10

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SUBURBIA (Penelope Spheeris/USA 1983)


"I hate buses."

Suburbia ~ USA 1983
Directed By: Penelope Spheeris

Ein kleiner besetzter Bungalow in irgendeiner südkalifornischen Vorstadt bildet für eine Gruppe junger Punks die letzte Zuflucht aus gewalttätigen, verspießten oder schlicht desinteressierten Elternhäusern. Von der bürgerlichen Gesellschaft gemieden und verabscheut, steigert sich das Verhalten der Jugendlichen ins zunehmend Rebellische - bis zwei vordergründig um die Sicherheit ihrer Familien besorgte Vietnamveteranen (Lee Frederick, Jeff Prettyman) eine Katastrophe herbeiführen.

Ausgerechnet Roger Corman, dessen filmische Konnexion mit amerikanischen Subkulturen vor allem durch die Produktion diverser, teils sensationalistischer Biker-Filme in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern bestimmt ist, produzierte dieses sensible Porträt der Punkkultur - einen der bis heute maßgeblichen, weil raren Filme zum Thema. Penelope Spheeris, die mit "The Decline Of The Western Civilzation" einen bis dato dreiteiligen, fast zwei Dekaden umfassenden Abriss über alternative Bereiche der US-Musikszene, bereits geraumes Interesse an und für Jugendbewegungen beweist, tat jedoch offensichtlich wohl daran, sich Corman als Finanzverwalter für ihr Werk zu halten. So konnte der Film seine ehrliche, authentische Erscheinung beibehalten und bleibt, insbesondere für die Verhältnisse seines Produzenten, stets in einem moderaten Rahmen. Dennoch bewegt sich "Suburbia" in bedrückenden emotionalen Breitengraden: Als narrative Klammer wählt Spheeris jeweils den gewaltsamen Tod eines Kleinkindes, jeweils herbeigeführt durch einen tragischen Unfall infolge erwachsener Unachtsamkeit. Ihre Punks, zudem symbolisch analogisiert mit verwilderten Straßenkötern, stammen aus der Post-Vietnam-Generation - traumatisiert durch traumatisierte Eltern bleibt ihnen nurmehr der offensive Widerstand gegen das Establishment, hier: Die Hölle der Vorstädte. Dass am Ende dieser Westentaschenrevolution nichts anderes wartet als Verlust und Unterlegenheit, liegt in der sozialen Natur der Dinge und ist die härteste zu lernende Lebenslektion.

9/10

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THE GLOVE (Ross Hagen/USA 1979)


"You're alright, bloodhound."

The Glove (Die Faust) ~ USA 1979
Directed By: Ross Hagen

Weil ihm durch das Gesetz nur Willkür und Bosheit widerfahren sind, zahlt es ihm, respektive seiner Exekutive, der Ex-Schwergewichtler Victor Hale (Roosevelt Grier) doppelt und dreifach heim: Bewaffnet mit einem metallenen Handschuh verbimst er all jene Uniformierten, die ihm einst im Knast so sehr zugesetzt haben. Da kommt der notorisch abgebrannte Kopfgeldjäger Sam Kellog (John Saxon) ins Spiel: Dieser soll im Auftrag der "Vereinigung der Gefängniswärter" Hale finden und dingfest machen.

"The Glove" hat ein gutes Herz und ist eigentlich auch keinesfalls unsympathisch. Dass er sich trotzdem bloß mühevoll über seine erzählerische Distanz schleppen kann, liegt ganz offensichtlich an Wesentlichem: dem flauen Script nämlich und an der beispielhaft lahmen Inszenierung. Es mag ja nicht weiter tragisch sein, dass der Film seinen vorab versprochenen Trashappeal überhaupt nicht hält. Was im Nachhinein eher wurmt, sind Saxons (wobei der Mann sonst natürlich eine Bank ist) bedeutungsschwere Off-Monologe, Griers Darstellung als bäriger black messiah mit Herz für kleine farbige Jungs und hübsche farbige Huren, der natürlich keinen totwichst, sondern mit seinem Handschuh vornehmlich die Autos und Badezimmer seiner Opfer kaputtkloppt. Wobei, selbst all das ließe sich noch halbwegs verkraften. Es ist einfach die Regie dieses Ross Hagen, seines eigentlichen Zeichens Akteur, der sich wohl irgendwann genötigt fühlte, auf den D.C. (Director's Chair) zu wechseln. Biederstes TV-Niveau liefert der seinem Publikum und macht etliche Fehler, die eben eines Debütanten würdig sind. So haut "The Glove" hundertprozentig weder als persönlich-intimes Porträt eines Kopfgeldjägers hin, noch als sich dramatisch zuspitzendes Duell zweier Antagonisten. Und eines ist er ganz gewiss nicht: Ein Actionfilm.

5/10

Kopfgeldjagd Los Angeles Ross Hagen Duell


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MOROCCO (Josef von Sternberg/USA 1930)


"Oh, what am I bid for my apple?"

Morocco (Marokko) ~ USA 1930
Directed By: Josef von Sternberg

Der amerikanische Fremdenlegionär Tom Brown (Gary Cooper) und die just per Schiff angekommene Nachtclubsängerin Amy Jolly (Marlene Dietrich) begegnen sich in Marokko und verlieben sich Hals über Kopf und auf Gedeih und Verderb ineinander. Beide wollen sich jedoch nicht eingestehen, dass ihre Herzen ganz und gar ihrem Gegenüber gehören. Erst Amy begreift, gelenkt und gedrängt durch die Avancen des reichen Lebemanns La Bessiere (Adolphe Menjou), wem sie wirklich gehört.

Vom "Blauen Engel" und von der Lola war's für die Dietrich und ihren Förderer von Sternberg nur ein Katzensprung weg aus der langsam erbraunenden Republik und nach Hollywood hin. Cooper schien fortan der einzige Star zu sein, dessen kantige Männlichkeit der kühlen, teutonischen Schönheit gewachsen war und der allein jene spezielle, stets von latenter Maskulinität gefährdete Weiblichkeit stets rechtzeitig umzulenken wusste. Ergo gab es noch eine weitere Zelluloid-Begegnung zwischen diesem großen Traumpaar des frühen Tonfilms. Seine erste in "Morocco" ist wohl zugleich die leidenschaftlichere und fiebrigere. Dietrich und Cooper liefern sich eine quälende Balz, eine bissige Brunft, die sie beide zu verzehren droht, bis sie irgendwann einsichtig genug ist, der Übermacht der Hormone stattzugeben und ihm - eines der symbolischsten Bilder der gesamten Kinogeschichte - bedingungslos in die Wüste folgt. Eine solch erzromantische, umfassende Hingabe aller weiblichen Vernunft zugunsten der Liebe eines Mannes, ein solches Waffestrecken, Sich-geschlagen-geben, vermochte in dieser geschlechtlich-naturellen Ordnung wohl nurmehr in der Übergangszeit zwischen Stummfilm und Talkie existieren. Heute würde stattdessen wohl ein verweichlichter, schmalschultriger Verlierer seiner geliebten US-Soldatin Richtung Taurus im Jeep hinterhereiern. Auch ein trauriges Indiz dafür, dass die einstige Traumfabrik in unserer von Alltagsfakten überrannten Zeit längst keine echten Träume mehr fabriziert.

8/10

Nachtclub Josef von Sternberg Afrika Fremdenlegion Marokko Militär





Filmtagebuch von...

Funxton

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