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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE BEDFORD INCIDENT (James B. Harris/UK, USA 1965)


"We're a determined force!"

The Bedford Incident (Zwischenfall im Atlantik) ~ UK/USA 1965
Directed By: James B. Harris

Der Journalist Ben Munceford (Sidney Poitier) kommt zeitgleich mit dem neuen Sanitätsoffizier Potter (Martin Balsam) auf den im Atlantik kreuzenden Navy-Zerstörer 'Bedford', um über dessen Kurs und ganz besonders den mysteriösen Captain Finlander (Richard Widmark) zu berichten. Sowohl Munceford als auch Potter wird rasch klar, dass die gesamte Mannschaft der Bedford unter einem enormen Druck steht, der ans Explosive grenzt. Der Grund: Captain Finlander ist ein hitzköpfiger und kriegslüsterner Fanatiker, der den Finger permanent am imaginären Abzug hat. Aktuell verfolgt und provoziert er mit Nachdruck ein sowjetisches U-Boot, das sich in grönländische Hoheitsgewässer geflüchtet hat. Bald wird die angespannte Situation für jedermann an Bord der Bedford unerträglich.

Spannende Studie über den Kalten Krieg und mit welch furchtbar immanenter Konsequenz dieser nicht nur vor Kuba akut heiß zu werden drohte. Dabei gestaltet sich Harris' Film vornehmlich als in schmucklosem schwarzweiß inszeniertes, konzentriertes Kammerspiel, der seinen unerbittlichen Zug aus dem permanenten Spannungsfeld vierer beteiligten Personen bezieht - allen voran der zunächst undurchsichtige Captain, von dem man lediglich erfährt, dass er von der Kommandatur in Washington stoisch bei Beförderungen übergangen wird, ferner der liberale Journalist, der philanthropische neue Schiffsarzt und ein vormals bei der deutschen Kriegsmarine beschäftigter Kommodore (Eric Portman) als graue Eminenz im Hintergrund. Nach und nach richten sich sämtliche Bemühungen und Vernunftzusprüche gegen Captain Finlander, der jedoch mit jeder räsonistischen Bemerkung nur noch trotziger zu reagieren scheint. Am Ende wartet die große Katastrophe, wie man sie bereits aus "Dr. Strangelove" und Lumets "Fail Safe" kennt. Und wie jene beiden sollte auch "The Bedford Incident" noch heute zum ausbilderischen Pflichtprogramm für jeden Fähnrich zählen.

8/10

James B. Harris Kalter Krieg Atlantik Militär U-Boot


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SHENANDOAH (Andrew V. McLaglen/USA 1965)


"If we don't try we don't do. And if we don't do, why are we here on this Earth?"

Shenandoah (Der Mann vom großen Fluss) ~ USA 1965
Directed By: Andrew V. McLaglen

Virginia, 1864: Der verwitwete Famer Charlie Anderson (James Stewart), Vater von sechs Söhnen und einer Tochter, hält aus Prinzip keine Sklaven und sich und seine Familie stoisch aus dem Kriegsgeschehen heraus. Wenngleich er von der konföderierten Armee und seinen Nachbarn misstrauisch beäugt wird, entpuppt sich seine kriegsfeindliche Haltung als äußerst bodenständig und weithin effektiv. Zumindest hat Anderson nicht den Verlust eines oder mehrerer Söhne zu beklagen. Als jedoch sein in einer Soldatenuniform spielender Jüngster Boy (Phillip Alford) von Unionssoldaten gefangen genommen und verschleppt wird, sieht sich Anderson gezwungen, zum Teil des Bruderkriegs zu werden. Zusammen mit vieren seiner Söhne und seiner Tochter Jennie (Rosemary Forsyth) zieht er los, um Boy zurückzuholen. Diese Aktion wird ihn viele Verluste und viel Schmerz kosten.

"Shenandoah" ist einer von McLaglens wichtigsten und schönsten Filmen, dessen Geist und Bedeutungskraft weit über das übliche inszenatorische Routinement des Regisseurs hinausragen. Nicht nur als Western, sondern auch als Antikriegsfilm und als Charakterporträt eines verzweifelt Strampelnden funktioniert "Shenandoah" ganz ausgezeichnet. Dies wird besonders gegen Ende deutlich, als ein desillusionierter Familienvater am Grab seiner Frau, zweier verlorener Söhne und einer Schwiegertochter einsehen muss, dass die Gewalt über die Geschicke einer Familie längst nicht bei ihrem Patriarchen verbleiben kann. Stewart musste in vielen seiner dramatischen Rollen ein entsetztes, geschocktes und trauriges Gesicht aufsetzen - hier jedoch rollen Tränen. Besonders bitter erscheint die Sequenz, dass der komplette, grundsätzlich durchaus positiv zu wertende Aktionismus, den Anderson im Laufe der Geschichte an den Tag legt, völlig nutzlos und ineffektiv bleibt. Gerade das aber verleiht "Shenandoah" zugleich eine Lebensweisheit, die man nur äußerst selten im Hollywoodkino, und gerade im Western findet. "The Wild Geese" ist und bleibt mein Lieblingsfilm von McLaglen, aber mit dieser jüngsten von mittlerweile sehr vielen Sichtungen rückt "Shenandoah" ein gutes Stück auf.

9/10

Andrew V. McLaglen Virginia Sezessionskrieg Familie Farm


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ONKEL TOMS HÜTTE (Géza von Radványi/BRD, I, F, YU 1965)


"Alle... frei!"

Onkel Toms Hütte ~ BRD/I/F/YU 1965
Directed By: Géza von Radványi

Der bösartige Sklavenhändler Simon Legree (Herbert Lom) zwingt den verschuldeten Grundbesitzer Shelby (Charles Fawcett) per Knebelvbertrag, ihm zehn seiner Negersklaven zu überlassen, darunter den weisen und besonnenen Onkel Tom (John Kitzmiller), der für die übrigen Farbigen eine besondere Mentorenstellung innehat. Auf der Fahrt Richtung Süden lernt die kleine Eva (Michaela May), todkranke Tochter des reichen Plantageninhabers Saint-Claire (O.W. Fischer) Onkel Tom kennen. Auf Anhieb verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft und Eva überredet ihren Vater, einen liberalen Philanthropen, Legree Onkel Tom abzukaufen. Wenngleich noch immer Sklave, lebt Tom eine zeitlang unter halbwegs menschenwürdigen Umständen bei den Saint-Claires. Als Eva dann Zeuge der außerehelichen Liaison ihres Vaters wird, stirbt sie einen verzweifelten Kummertod. Ihr letzter Wunsch besteht darin, dass sämtlichen Sklaven des Anwesens die Freiheit gechenkt werden soll. Noch bevor Saint-Claire dies realisieren kann, wird er von Legree heimtückisch ermordet. Onkel Tom fällt wieder an seinen vorletzten Besitzer zurück und erlebt eine letzte Zeit der Unterdrückung, bevor er noch einen Aufstand anzetteln kann.

Filmische Stoffe, die während der nord- und lateinamerikanischen Sklavenhaltungsära angesiedelt sind, fallen traditionell in den Exploitation-Bereich. Auf fast all die großen und kleinen Klassiker dieses Subgenres trifft das zu, von Pontecorvos "Queimada" ünd Meyers "Black Snake", über Fleischers "Mandingo" und die TV-Miniserien "Roots" und "North And South" bis hin zu den "Dragonard"-Filmen und Herzogs "Cobra Verde". Vermutlich lässt sich ein derart komplexer Topos kaum anders fassen, als mit den gewohnt "plastischen" Illustrationen, die um Repression, Peitsche und Paraphilie kreisen; und tatsächlich müsste wohl jedes Zeitporträt, das eine moderate Herangehensweise wählte, sich nicht von ungefähr dem Vorwurf der Verharmlosung stellen.
"Onkel Toms Hütte" nach dem berühmten, zeitgenössischen Roman von Harriet Beecher Stowe (dessen Erscheinen im Nachhinein vielerorts als eine der mentalen Initiallösungen für das Abolitionistentum und den Sezessionskrieg gewähnt wird), wählt, seiner Vorlage, seiner Entstehungszeit und dem angepeilten Publikum geschuldet, einen ebenso naiven wie didaktischen Ansatz zur Porträtierung jener unrühmlichen Geschichtsepisode. Formal und dramaturgisch bewegt sich Géza von Radványis Film nebst Alligatoren-Attacke und zünftig-auflockernder Kneipenschlägerei sehr dicht an den Karl-May-Adaptionen der Rialto und der CCC, nur, dass die edlen Indianer hier durch edle Sklaven ersetzt wurden. Peter Thomas' wilde Musik erinnert nicht von ungefähr an die aus denselben Produktionshäusern stammenden Wallace-Verfilmungen. Ansonsten ist das Werk unverkennbar deutsch und von schon für damalige Verhältnisse heftigen Klischees durchzogen, an denen letzthin nochmals der Zahn genagt hat. Die Schwarzen sprechen mit englischem Akzent, während die Weißen in klarstem Hochdeutsch (im Falle Fischers mit österreichischem Akzent) parlieren. Onkel Tom und die kleine Eva werden zu Metafiguren stilisiert, deren zuckersüße und unschuldige Lebensader fast zu viel des Guten ist, um es guten Gewissens ertragen zu können.
Nähert man sich "Onkel Toms Hütte" jedoch aus einer vornehmlich kulturhistorisch gewichteten Perspektive, enthält er wiederum auch viel Lohnenswertes; den wie immer gnadenlos guten Herbert Lom etwa (der sich, wie immer, wenn er in deutschen Co-Produktionen den Superbösewicht zu geben hatte, selbst synchronisierte), die prächtigen Schauplätze und sonstigen production values sowie ein erfreulich professionelles Verständnis vom Filmemachen. Schließlich dürfte es manch einem schwer fallen, sich nicht von der herzzereißenden Kitschkanonade, die der Film aufbietet, vereinnahmen zu lassen. Ich jedenfalls meine, es gibt weitaus üblere Dinge um sich dafür entschuldigen zu müssen.

6/10

Géza von Radványi Harriet Beecher Stowe Sklaverei Südstaaten Widerstand period piece


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MARCH OR DIE (Dick Richards/UK 1977)


"When the desert doesn't devour your measly corpses, then I will. I wouldn't know what's worse."

March Or Die (Marschier oder stirb) ~ UK 1977
Directed By: Dick Richards

Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg erhält Major Foster (Gene Hackman), Offizier in der Fremdenlegion, von oberster Stelle den Auftrag, mit seinem Regiment Ausgrabungen in Marokko vor feindlichen Beduinen zu schützen. Foster hält den Auftrag für blanken Irrsinn. Und tatsächlich: Schon kurz nach der Ankunft der Männer in Nordafrika stellt der Stammesführer El Krim (Ian Holm) unmissverständlich klar, welches Schicksal die Soldaten erwartet, sollten sie nicht umgehend wieder verschwinden. Doch Foster führt seinen Auftrag unbeirrt aus.

Die Aktivitäten der Fremdenlegion, die man ja so unwillkürlich wie unberechtigt gern mit irgendwelchen Patrouillenmärschen durch die Sahara assoziiert, boten in unregelmäßigen Abständen immer wieder Stoff für zumeist wildromantische Kinostücke. Unangefochtener Klassiker dieses kleinen Subgenres des Kriegsfilms dürfte noch immer Von Sternbergs "Morocco" sein, dem auch "March Or Die" gewissermaßen seine Reminiszenz erweist. Die Rollen von Marlene Dietrich und Gary Cooper übernehmen hier Catherine Deneuve und Terence Hill, sie verfällt ihm nach emsigem Werben, kann auf lange Sicht jedoch nicht verhindern, dass seine vor Ort entflammende Kommissköpfigkeit sich mit aller Macht durchsetzt. Am Ende, der Legionär Marco Segrain, genannt "Der Zigeuner", verdankt sein Leben nur der Gnade von El Krim, legt er den schelmischen Gestus der Leinwandkunstfigur Terence Hill gänzlich ab und fügt sich als dessen Nachfolger in das vormals als gnadenlos gezeichnete Charakterschema Major Fosters, weil er gelernt hat, dass man hier nur mit unerbittlicher Härte gegenüber sich selbst und seinem Regiment überleben kann.
Wie in den vielen europäischen, stargespickten Kriegs- und Historienfilmen der mittleren bis späten Siebziger ist hier vor allem die Kombination der Darsteller interessant, die mal wieder aus aller Herren Länder zusammengetrommelt werden konnten: Neben Hackman, Holm, Hill und der Deneuve (die für meinen Geschmack ihren Schönheitszenit bereits leicht überschritten hatte) finden sich noch der obligatorische Max von Sydow, der bullige Jack O'Halloran, der Erz-Franzose Rufus, Marcel Bozzuffi, sowie Hammer-Extra Marne Maitland ein. All diese Gesichter vereint unter einem Dach zu begutachten, hat alleine schon etwas immens Sehens- und Segenswertes. Dass Terence Hill, hier auf dem Höhepunkt seiner Popularität angelangt, kurz internationale, epische Kinoluft schnuppern durfte, zum ersten und letzten Mal nach "Preparati La Bara" mit dem dicken MG durch die Gegend mäht, markiert einen weiteren, unbedingten Bonuspunkt.

7/10

Fremdenlegion Marokko Freundschaft Schlacht period piece


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THE PASSAGE (J. Lee Thompson/UK 1979)


"Knock-knock."

The Passage (Der Pass des Todes) ~ UK 1979
Directed By: J. Lee Thompson

Die Résistance will den Wissenschaftler Professor Bergson (James Mason) in Sicherheit vor den Nazis und über die Pyrenäen nach Spanien bringen. Dabei soll ihr ein baskischer Schafhirte (Anthony Quinn), der sich im Gebirge besonders gut auskennt, behilflich sein. Als der Baske erfährt, dass Bergson von seiner Frau (Patricia Neal) und seinen beiden Kindern (Kay Lenz, Paul Clemens) begleitet wird, will er den Auftrag zunächst ablehnen, sagt dann aber doch zu. Den wahnsinnigen SS-Offizier Von Berkow (Malcom McDowell) stets dicht auf den Fersen, führt der Baske die Familie auf ihrer entbehrungsreichen Flucht durch die verschneiten Berge.

Thompson streift in seinem hier und da entfesselt wirkenden Kriegsdrama bisweilen durchaus die Grenzen zur Naziploitation, da hilft ihm selbst das große internationale Stardropping, von welchem "The Passage" breit flankiert wird, kaum aus. Der Fortlauf der an Klassiker des Genres wie "The Mortal Storm" angelehnten Geschichte ist gespickt mit unglaubwürdigen, mitunter ins Halsbrecherische abgleitenden Wendungen; andere Szenen wiederum sind von unangenehmer Intensität. Für die beiden Altstars Quinn und Mason, die um diese Zeit in einer Vielzahl ähnlich produzierter Filme auftraten, ist das Ganze übliches Routinement; Malcolm McDowell indes festigt seinen Status als der sichere Mann fürs Wahnsinnige nach "A Clockwork Orange" und kurz vor "Caligula" aufs Neue. Böse mit den Augen rollend scheitelt er in einer allessagenden Szene vor dem Spiegel sein Haupthaar und hält sich dann einen schwarzen Kamm vor die Oberlippe - ganz der Führer im Miniformat. Christopher Lee hat einen schönen Auftritt als mutiger Zigeuner-Patriarch und Michael Lonsdale, der von McDowell (zwar offscreen, trotzdem superfies) die Finger zerschnippelt bekommt und Marcel Bozzuffi - ausnahmsweise mal Sympathieträger - geben zwei nicht minder tapfere Résistance-Mitglieder zum Besten.
Mir hat dieser in einer bekanntermaßen seltsam orientierungslosen Kinophase entstandene, wie geschrieben wild zwischen Starkino und Exploitation oszillierende und nunmehr selten erwähnte Film trotz seiner offenkundigen Schwächen jedenfalls sehr gut gefallen.

8/10

J. Lee Thompson Nationalsozialismus Pyrenäen Gebirge Widerstand Zigeuner WWII Holocaust


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NIGHT AND THE CITY (Jules Dassin/UK 1950)


"Harry is an artist without an art."

Night And The City (Die Ratte von Soho) ~ UK 1950
Directed By: Jules Dassin

Der Kleingauner, Nepper und Schlepper Harry Fabian (Richard Widmark) ist ein schmales Licht in der Londoner Unterwelt. Ständig verschuldet, von den meisten belächelt, nur von seiner gutmütigen Freundin Mary (Gene Tierney) heiß geliebt, befindet er sich meist auf der Flucht vor irgendwelchen brutalen Gläubigern. Als er bei einem Freistil-Veranstaltung zufällig der früheren Ringerlegende Gregorius (Stanislaus Zbyszko) und dessen Mündel Nikolas (Ken Richmond) begegnet, hat Harry mal wieder eine zündende Idee, die ihn leben lassen wird "wie Gott in Frankreich": Er plustert sich zum Konkurrenten des in seinen Kreisen gefürchteten Ringkampf-Veranstalters Kristo (Herbert Lom) auf, zugleich Gregorius' Sohn. Den naiven Alten und seinen Schüler ködert Harry mit dem Versprechen, ausschließlich Kämpfe im klassischen griechich-römischen Stil zu präsentieren. Schon bald jedoch bricht er die Abmachung und engagiert den brutalen Freistilkämpfer "Henker" (Mike Mazurki), der in Harrys Trainingskeller eine Katastrophe herbeiführt. Harrys Ende ist nunmehr beschlossene Sache, denn der rachedurstige Kristo setzt ein Kopfgeld auf ihn aus...

Großes Meisterwerk aus der originären Ära des Film Noir, wenngleich ausnahmsweise nicht in Kalifornien entstanden, sondern in London und damit zugleich eine Bereicherung für den klassischen britischen Gangsterfilm. Dassin entwirft ein ebenso lyrisches wie mitreißendes Porträt der Londoner Halbwelt zwischen Schmutz und Neonreklamen, zeigt die Diskrepanz zwischen Lebensrealität und großen Hoffnungen; den ewigen Drang danach, auszubrechen und irgendwo eine bessere Existenz zu beginnen, wenngleich die so gern verleugneten Wurzeln und letzten Endes auch die Determinante des Schicksals nur hier und nirgendwo anders liegen. Richard Widmark, der besonders in jungen Jahren ein ausgesprochen unsympathisches Gesicht aufsetzen konnte und daher in seinen ersten Filmen zumeist wahlweise als diabolischer Bösewicht ("Kiss Of Death") oder als Westentaschen-Gangster ("Pickup On South Street") besetzt wurde, liefert hier die definitive Charakterisierung des zum Tode verurteilten Verlorenen, an denen sich eine ganze Latte späterer, analoger Figuren zu messen haben wird. Widmark meistert die Gratwanderung der Evokation gegensätzlicher Emotionspole perfekt, weiß man doch nie, ob man diesen Harry Fabian bemitleiden, mit ihm fühlen, oder ihn wegen seiner idiotischen, impulsiven Aktionen, die selbst vor schlimmsten Auswirkungen nicht Halt machen, verabscheuen soll. Am Ende hilft einem einmal mehr die engelsgleiche Gene Tierney bei der Entscheidungsfindung.

10/10

London Unterwelt Kiez Ringkampf Jules Dassin film noir


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TRUE CONFESSIONS (Ulu Grosbard/USA 1981)


"Cut the crap. I don't have all day. It's been 20 years since my last confession. I had a lot of things to do."

True Confessions (Fesseln der Macht) ~ USA 1981
Directed By: Ulu Grosbard

Als sein Bruder Pfarrer Desmond (Robert De Niro) ihm bei einem Besuch in seiner Wüstengemeinde seinen baldigen Tod ankündigt, erinnert sich der Polizist Tom Spellacy (Robert Duvall) an 15 Jahre zuvor stattgefundene Ereignisse: Damals war Desmond hoch gehandelter Nachfolger des Kardinalbischofs (Cyril Cusack) von L.A. und eng vertraut mit den Machenschaften der Katholischen Kirche, die neben diversen kleineren Halblegalitäten auch krumme Grundstücksspekulationen und Paktierungen mit Gangstern wie dem Ex-Zuhälter Jack Amsterdam (Charles Durning) beinhalteten. Als eine Prostituierte (Missy Cleveland) ermordet und grausam verstümmelt aufgefunden wird, führt die Spur unter anderem zu Amsterdam, der nach wie vor unter dem Schutzbann der Kirche steht. Für den eifrig ermittelnden Tom gerät da selbst die Tatsache, dass ein Skandal um Amsterdam auch seinen Bruder zu Boden reißen könnte, zur Nebensache.

Grosbards meisterliich inszenierter Film, eine Art "Chinatown" im klerikalen Milieu, verhandelt eine ganze Reihe schwerer Themen, darunter die (um 1980 ohnehin sehr angegriffene) Rolle der katholischen Kirche als eine der Säulen des sozialen Gefüges, ihre Verantwortung zwischen Weltlichkeit und Geistlichkeit, sowie, davon tangiert, den tief verwurzelten Konflikt zweier Brüder, die um der Familienehre Willen immer wieder versuchen, miteinander auszukommen, deren jeweilige Grundsätze jedoch diametraler Natur und spinnefeind sind. Während Desmond über sein Streben als Emporkömmling hinaus längst vergessen zu haben scheint, welche ethischen Dogmen sein Amt beinhaltet, ist Tom sich selbst gegegenüber stets ehrlich geblieben. Desmond genießt größte gesellschaftliche Popularität, verkehrt in den höchsten Kreisen der Stadt und hat betreffs jeder politischen Entscheidung zumindest ein inoffizielles Wort mitzureden, derweil Tom sich zwar tagtäglich mit dem Abschaum der Straße abgibt, Etikette und falsche Rüstungen jedoch nicht nötig hat. Dieser lange schwelende Streit kulminiert schließlich, als sich erweist, wer tatsächlich am längeren Hebel sitzt und das selbst ein kleiner Skandal bisweilen immer noch von genug Einfluss ist, die Mächtigsten unter uns vom Sockel zu heben. Spannend!

9/10

Ulu Grosbard Los Angeles Brüder Kirche Verschwörung Prostitution


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DAS NETZ (Manfred Purzer/BRD 1975)


"Soll das etwa 'Nein' heißen?"

Das Netz ~ BRD 1975
Directed By: Manfred Purzer

Eine in Rom tätige, deutsche Prostituierte (Andrea Rau) wird ermordet - woraufhin sich der für das populistische Wochenblatt 'Questatore' tätige Klatschjournalist Emilio Bossi (Klaus Kinski) an die Zeugin Christa Sonntag (Elke Sommer) schmeißt und von ihr exklusiv alle Hinweise auf den Täter einfordert, ganz zum Unwillen des aufrechten Ermittlers Canonica (Heinz Bennent). Bei dem Mörder handelt es sich um niemand geringeren als den einsamen, lebensfrustrierten Literaten Aurelio Morelli (Mel Ferrer), der über den Misserfolg seines letzten Buches wahnsinnig geworden ist und bereits zwei Mädchen auf dem Gewissen hatte. Mit Absegnung seines Chefs lässt sich Bossi gegen fürstliches Entgelt Morellis Memoiren schreiben und liefern, um sie in seinem Journal veröffentlichen zu können. Durch sein egoistisches Vorgehen bringt Bossi jedoch erneut ein Mädchen (Susanne Uhlen) in tödliche Gefahr.

Eine seltsame, wenngleich als gelungen zu erachtende Mixtur aus deutschem Autorenkino und italienischem Krimi-Sleaze haben wir hier, vorzüglich besetzt und von seinen jeweils denkwürdig aufspielenden Darstellern getragen. Kinski und Ferrer, die leider nur wenige gemeinsame Szenen haben, balancieren die Geschichte zwischen sich wie zwei Magnetpole eine Stecknadel; auf der einen Seite der alternde, besonnen auftretende Hollywood-Star, dessen psychische Untiefen sich nur ganz sachte, den Schichten einer Zwiebel gleich, entblättern; auf der anderen das wieder einmal berserkernde deutsche Schauspielgenie, permanent rauchend und sich die oberen Schneidezähne befeuchtend rast er mit seinem roten Cabrio wie ein Irrer durch Rom, um seine neuesten Intrigen zu verknoten. Purzer scheint sich dabei, im Gegensatz zu einem Werner Herzog etwa, gezielt zu weigern, Kinskis Egomanie ein Forum zu bieten - sein Charakter ist bloß ein kleiner, schmieriger Hund, der am Ende mit seinen gemeinen Spielen auch noch durchkommt. Allerdings zuckt man regelrecht zusammen, als er von Bennent einmal ein paar Ohrfeigen kassiert und diesen daraufhin nicht gleich völlig zur Schnecke macht. Dazu passt der illustre Name Manfred Purzers, der in erster Linie als Autor zwischen allen Stühlen tätig war und selbst nur vier Filme inszeniert hat (von denen "Das Netz" der erste ist). Wie Purzers Gesamtschaffen lässt sich auch dieser spezielle Film bestenfalls sehr widerborstig in irgendwelche Schablonen pressen.

7/10

Manfred Purzer Hans Habe Rom Journalismus Serienmord


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THE SUNDOWNERS (Fred Zinnemann/UK 1960)


"What happened to the Captain?" - "Nothing. Except not liking being called 'dude'."

The Sundowners (Der endlose Horizont) ~ UK 1960
Directed By: Fred Zinnemann

Australien in den 1920ern: Die irische Auswandererfamilie Carmody - bestehend aus Vater Paddy (Robert Mitchum), Mutter Ida (Deborah Kerr) und Sohn Sean (Michael Anderson Jr.) reist als Tagelöhner mit einer Droschke und einem Zelt durch den Outback. Während Paddy diese unverbindliche Existenz über alles liebt, sehnen sich Ida und Sean nach der Sesshaftwerdung auf einer Farm. Nachdem die Carmodys zusammen mit dem exzentrischen Rupert Venneker (Peter Ustinov) einen Schaftreck geführt und auf einer Farm als Scherer gearbeitet haben, gelingt es der resoluten Ida, Paddy nach und nach ihre Lebensvorstellung näherzubringen.

Wunderbarer Film, der mir gestern genau das gab, was ich brauchte: Eine gleichermaßen episch und anekdotenartig erzählte, liebenswerte Geschichte mit phantastischen Darstellern besetzt und von einem hervorragend aufgelegten und motivierten Profiregisseur ins Bild gesetzt. Dass "The Sundowners" in Zinnemanns Schaffen einer nur so untergeordnete Position zugerechnet werden kann, verstehe ich in keinster Weise. Der Regisseur kommt hier in seiner unikalen Mischung aus heimatfilmischer Entspannung, Existenzialismus und Lebenswahrheit gar in seltene Nähe zu den Großmeistern des US-Kinos; porträtiert mit der humanistischen Porentiefe eines John Ford und berichtet mit der unaufgeregten Gelassenheit eines Howard Hawks. Wenngleich eine permanente innere Spannung nicht fortzuleugnen ist, bleibt "The Sundowners" stets auf dem Teppich und bar jedweder dramaturgischer Uppercuts, so dass die am Ende zu echten Freunden (intra- und interaktiv) gewordenen Figuren ihr sauer verdientes Glück spendiert bekommen müssen.
Kino zum Gutfühlen, ohne sich dabei für dumm verkauft vorzukommen.

9/10

Fred Zinnemann period piece Australien Outback Familie Treck Road Movie


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HOME FROM THE HILL (Vincente Minnelli/USA 1960)


"Rafe! Rafe!"

Home From The Hill (Das Erbe des Blutes) ~ USA 1960
Directed By: Vincente Minnelli

Der texanische Großgrundbesitzer und Patriarch Wade Hunnicutt (Robert Mitchum) gilt nicht nur als passionierter Jäger, sondern auch als größter Filou weit und breit. Kein Rock, der vor ihm sicher wäre, weshalb Hunnicutts Frau Hannah (Eleanor Parker) auch ein sehr distanziertes, um nicht zu sagen: hasserfülltes Verhältnis zu ihm pflegt. Der naive Filius Theron (George Hamilton) bekommt davon nichts mit; sehr wohl jedoch Wades außerehelicher Sohn Rafe (George Peppard), der ein genügsames Leben als Ranch-Vorarbeiter in einer Barracke auf Hunnicutts Gut führt. Als Theron die Wahrheit über Rafe erfährt und seinen Vater zur Rede stellt; dieser jedoch unbeirrbar bleibt, droht eine Katastrophe...

Mit "Home From The Hill", der offenbar eine ähnliche Texarcana und Familienzerfalls-Chronik wie "Giant" hatte werden sollen; nur mit einem wesentlich überschaubareren Personal und mit einer deutlich geraffteren erzählten Zeit. Den Dean-Part übernimmt dabei George Peppard, der oftmals in ganz ähnlicher Pose wie die große Stilikone durchs Bild flaniert, sich bloß am Ende nicht in falschen Reichtümern verliert, sondern die große moralische Instanz des Geschehens bleibt. Mitchums Figur schwebt ständig umher zwischen Familienekel und Südstaaten-Original; einerseits ist man geneigt, diesem Schürzenjäger und Ehe-Schwein ein paar um die Löffel zu geben, andererseits ist man von der Mannsbildhaftigkeit, die Wade Hunnicutt mit einem geradezu entwaffnenden Selbstverständnis kultiviert, geradezu umgeworfen. Was Minnellis Inszenierung angeht, so kann wohl von einer durchaus schmissigen, mitreißenden Regie die Rede sein, von der virtuosen, narrativen Kraft eines Meisterfilmers getragen, jedoch nicht immer erfolgreich gegen den immanenten, pompösen Kitsch der Geschichte ankämpfend. Somit liegt "Home From The Hill" ganz auf einer Linie mit den übrigen um diese Zeit entstandenen Dramen des Regisseurs und bleibt insgesamt als ein schöner, entspannter Film mit sympathischen Mäkeln im Gedächtnis haften.

8/10

Vincente Minnelli Familie Texas Brüder William Humphrey





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