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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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RUSH (Ron Howard/USA, D, UK 2013)


"Happiness is your biggest enemy."

Rush ~ USA/D/UK 2013
Directed By: Ron Howard

Die Formel-1-Saison 1976 erweist sich als Kopf-an-Kopf-Duell zwischen ihren beiden Starpiloten, dem Briten James Hunt (Chris Hemsworth) und dem Österreicher Niki Lauda (Daniel Brühl), zwei, wenn auch völlig unterschiedlich tickenden, Egomanen. Während Hunt das Leben eines Rockstars führt und seine Rennen lediglich als kurze Intermezzi seiner Jet-Set-Abenteuer begeht, ist Lauda die Ernsthaftigkeit in Person, ein stoisch-ehrgeiziger Mensch, der den Sieg zur Wissenschaft macht. Als Lauda beim legendären Nürburgring-Derby schwer verletzt wird, wittert Hunt seine Chance auf den Titel...

Ein erhebender Einblick in die jeweilige Historie zweier großer Hasardeure, der schon jetzt seinen Platz im Pantheon der klassischen Rennfahrerfilme sicher hat. Besonders durch die verblüffend authentischen Darstellungen der beiden Hauptdarsteller verleiht sich "Rush" einen liebevoll-aufrichtigen Einblick in die privaten Sphären zweier gesellschaftlicher Protagonisten ihrer Ära und nimmt sich mittels vieler kleiner Detals darüberhinaus die Zeit, den faszinierenden Hedonismus jener Tage widerzuspiegeln und wie dieser potenzielle Opfer wie eben die als Weltstars gefeierten Formel-1-Fahrer wahlweise vereinnahmte (wie im Falle Hunts) oder kalt ließ (wie im Falle Laudas). Eine der schönsten Episoden des Films erzählt, wie Lauda seine zukünftige Frau Marlene (Alexandra Maria Lara) kennenlernt: im Zuge einer Party von Curd Jürgens, die er erst gar nicht besucht. Anhand solcher Szenen zeigt sich dann auch Howards unbestrittenes Erzähltalent und seine mittlerweile unschlagbare Versiertheit darin, geschlossene Charakterporträts zu liefern.

8/10

Ron Howard Duell period piece Historie Formel 1 Autorennen Ehe Biopic


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WHIRLPOOL (Lewis Allen/UK 1959)


"Don't you trust anybody?"

Whirlpool (Die schwarze Lorelei) ~ UK 1959
Directed by: Lewis Allen

Weil sie abermals ihrem früheren Beschützer, dem Ganoven Hermann (William Sylvester) aus der Patsche geholfen hat, ist Lora (Juliette Gréco) wieder auf der Flucht. In Köln lernt sie per Zufall den Rheinschiffer Rolf (O.W. Fischer) und dessen kleine Besatzung kennen und wird von ihm eingeladen, auf seinem Kahn 'Clementine' flussaufwärts mitzureisen. Dies ist gar nicht in Hermanns Sinn, der eigentlich nach Amsterdam weiter will und bereits einen weiteren Menschen auf dem Gewissen hat. Die beiden schroffen Einzelgänger Rolf und Lora kommen sich derweil auf dem schönen Vater Rhein immer näher, die bereits informierte Polizei und den Amok laufenden Hermann auf den Fersen. In Höhe des Lorelei-Felsens wartet die Entscheidung...

Sein vorletzter Film führte den gebürtigen Engländer Lewis Allen wieder zurück in die alte Heimat und darüber hinaus nach Deutschland, wo er diese schöne Kolportage-Wundertüte als Rheinschifffahrt vor Ort filmen durfte."Whirlpool", dessen Titel wohl auf das Wechselbad der Gefühle anspielen mag, in dessen Strudel sämtliche Beteiligten gerissen werden, nimmt sich aus als eine bisweilen recht bizarr anmutende Melange aus wildwüchsiger Liebesgeschichte, Heimatfilm und Kriminaldrama mit Groschenroman-Atmosphäre. Selbstverliebte Außenaufnahmen kollidieren immer wieder mit hoffnungslos artifiziell aussehenden Atelier-Rückprojektionen, was der kitschromantischen Textur von "Whirlpool" höchst zuträglich ist. In englischer Sprache gedreht (dann allerdings teils nachsynchronisiert und somit lohnender in der deutschen Fassung) und mit der kantigen Gréco und dem knorrigen Fischer vortrefflich besetzt versäumt der Film es - und gerade das ist ihm hoch anzurechnen - eine wahrhaftige "Nationalidentität" anzunehmen; er geht sowohl als typisch englischer wie als typisch deutscher Genrefilm durch, was ihm einen Ehrenplatz zwischen den Stühlen garantiert.

8/10

Lewis Allen Köln Rhein Flucht Schiff Reise


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NO MERCY (Richard Pearce/USA 1986)


"Every hooker's got a hard luck story."

No Mercy (Gnadenlos) ~ USA 1986
Directed By: Richard Pearce

Weil man ihm sein hauseigenes Liebchen Michele (Kim Basinger) wegschnappen will, macht sich der Cajun-Gangster Losado (Jeroen Krabbé) höchst persönlich von Louisiana nach Chicago auf, um seinen Nebenbuhler Paul Deveneux (Terry Kinney) vom Angesicht der Erde zu tilgen. Durch Zufall schlittern auch die beiden Cops Eddie Jilette (Richard Gere) und Joe Collins (Gary Basaraba) in die Angelegenheit hinein. Joe wird ebenso wie Deveneux getötet, Jilette verfolgt Losado und Michele bis nach New Orleans, findet die Schöne dort und flieht mit ihr in die Sümpfe. Doch Losado, der große Teile der hiesigen Justiz in der Tasche hat, lässt sich auch davon nicht aufhalten. Mit der inoffiziellen Autorisierung seines Chefs (George Dzundza) und persönlich entflammter Liebe zu Michele macht Jilette schließlich dem brutalen Verbrecher nach hartem Kampf den Garaus.

Zwei der schönsten Hollywood-Stars der Achtziger fanden hier zum ersten und einzigen Mal zusammen, in einem Genrefilm, der große Teile der Gattungshistorie wie aus einem Bausatz plündert und neu zusammenfügt und der schon allein durch die ätherischen Physiognomien der beiden Hauptdarsteller märchenhaft anmutet, ohne jemals echte Originalität oder Eigenständigkeit vorweisen zu können. Gere und Basinger in den besten Jahren - allein das kam einem Versprechen für beiderlei Geschlechter gleich. New Orleans nebst den Sümpfen von Louisiana als zentrallokaler Dreh- und Angelpunkt gaben ja stets eine beliebte Kulisse für Menschenjagden und Verfolgungsszenarien ab; zusätzlichen Zunder erhält das ohnehin erotisch aufgeladene Szenario dadurch, dass Gere und Basinger aneinander zwangsgekettet sind und gar nicht anders können als sich, trotz wechselseitiger Abschätzigkeiten, ineinander zu verknallen. Dabei fangen damit die Probleme erst an. Krabbé - in diesen Jahren häufig in internationalen und Hollywood-Produktion zu Gast und dann zumeist als Antagonist, ist einer der bösesten Bösen des Jahrzehnts. Erst seine lauernde, bedrohliche Aura verleiht "No Mercy" den nötigen Pfiff, denn jeder vernünftige Actionthriller steht und fällt mit seinem Schurken.

6/10

Richard Pearce Chicago Louisiana New Orleans Sumpf Duell Rache Südstaaten


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KILLING BLUE (Peter Patzak/BRD 1988)


"Ein ganz natürlicher Reflex..."

Killing Blue ~ BRD 1988
Directed By: Peter Patzak

Den versoffenen Berliner Polizisten Alex Glass (Armin Mueller-Stahl) plagen Gewissensbisse, weil er bei einem Einsatz unvorsichtigerweise ein kleines Mädchen angeschossen hat. Umso verbissener hängt er sich in seinen neuen Fall, den Mord an einer jungen Frau (Constanze Saskia Rahn, die im Heroin-Milieu verkehrte. Die Spur führt zu der einschlägig bekannten Unterweltgröße Miskowski (Frank Stallone), mit dem neben der Toten auch die Tochter (Allegra Curtis) des Staatsanwalts Karstens (Michael York), zufällig ein guter Freund von Glass, verkehrt. Als Miskowski jedoch selbst gewaltsam ums Leben kommt, bleibt Glass nur ein letzter Schluss zur bitteren Wahrheit...

Seine kurze Liaison mit der Lisa-Film brachte nach "Der Joker" mit Peter Maffay als rollstuhlbewährtem Bullen diesen dem "Vorgänger" nicht ganz unähnlichen Versuch eines neo noir im Berliner statt im Hamburger Milieu. Michael York kehrte nochmal zurück, wiederum als gewalttätiger Psychopath (den er in diesen Jahren recht oft zu geben hatte) und brachte als internationale Verstärkung Stallone-Bruder Frank nebst TV-Sternchen Morgan Fairchild mit. Ansonsten ist "Killing Blue" vor allem als campige Ausnahmeerscheinung im identitätskriselnden deutschen Kino der Spätachtziger von Interesse. Patzak, der seinem Job von allen Beteiligten noch am ehesten professionell begegnet, inszeniert mit viel Elan gegen das stulle Drehbuch an, das sich vornehmlich von einer hanebüchnen Geschichte mit kausalitätsfernen Wendungen und seltsam unpassenden Stilisierungen der von Mueller-Stahl ordentlich gespielten, nichtsdestotrotz jedoch hoffnungslos fehlbesetzten Hauptfigur getragen findet. Aber angesichts des unterirdischen Spiels von Julia Kent (als Glass' Assistentin) muss man sich über ihre schreiberisches Untalent kaum weiter wundern. Alex Glass derweil ist der inkarnierte Stereotypus des Noir-Polizisten: Unangepasst, frech, in Dosenbier und Zigaretten badend, hobbymäßiger Jazz-Saxophonist, Weiberheld, schnell mit der Knarre bei der Hand und natürlich arschcool. Und eine solche Figur spielt - wohlgemerkt - Armin Mueller-Stahl. Kann sowas gutgehen...?

5/10

Peter Patzak film noir neo noir Berlin Lisa-Film


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NIGHT LIFE (David Acomba/USA 1989)


"Just kidding."

Night Life ~ USA 1989
Directed By: David Acomba

Teenager Archie Melville (Scott Grimes) wird von seinen Mitschülern fast durchweg höhnisch belächelt: Er arbeitet nämlich im Bestattungsunternehmen seines Onkels (John Astin) und empfindet den alltäglichen Umgang mit Leichen als ganz gewöhnliches Handwerk. Allein mit der KFZ-Mechanikerin Charly (Cheryl Pollak), wie er eine Außenseiterin, verbindet ihn eine unausgesprochene Romanze. Besonders die Football-Bullys Rog (Kenneth Ian Davies) und Allen (Mark Pellegrino) setzen Archie immer wieder zu - daher ist er auch nicht sonderlich erschüttert, als die Jungs mitsamt ihren Freundinnen (Darcy DeMoss, Lisa Fuller) eines Nachts bei einem Autounfall das Zeitliche segnen. Es kommt, wie es kommen muss, das pöbelnde Quartett landet durchweg auf Archies "Werkbank" - wird jedoch durch einen blitzeinschlag wieder zum Leben erweckt und stellt Archie und Charly toterdings weiter nach...

Außer in den ersten beiden "Critters"-Filmen und eben "Night Life" war von Scott Grimes in Leinwand-Breitengraden eher wenig zu sehen, er verschwand irgendwann in den Niederungen der TV-Serials und lugte daraus nur mal kurz als Will Scarlet für Scotts "Robin Hood" wieder hervor. Schade, denn jener ebenso augenzwinkernde wie sympathische Bursche war ehedem immer für einen Lacher gut - wie "Night Life", eine schelmische Mixtur aus Zombie-Splatter und Coming-of-Age-Comedy beweist. Im Prinzip fährt Acombas Film atmosphärisch natürlich gänzlich auf der Schiene ähnlich gelagerter Produktionen des Jahrzehnts rund um 'teenagers in heat' und könnte ebensogut auch als eine kammerspielartige Variation von "Return Of The Living Dead" bezeichnet werden, mit dem er sich einige Topoi teilt. "Night Life" allerdings verzichtet auch nicht auf baren Slapstick und schwarzen Humor beinahe klassischer Façon, etwa, wenn der linkische Archie unter Zeitdruck stehend die fachgerechte Präparierung einer Leiche vorlegen soll und dies unter einigem geschmacklosem Getöse völlig vermasselt. Im Finale werden die Schrauben dann nochmals mächtig angezogen, wenn es um die endgültige Entsorgung der bereits im Leben unsympathischen Zeitgenossen geht.
Hierzulande genießt der meines Erachtens sträflich vernachlässigte "Night Life" immerhin ein minimales Popularitätsniveau als einer der letzten §-131-Streifen, wobei es sich bei ihm vermutlich wirklich um den einen Film handelt, dessen Zwangsexilierung die lächerlichste, unangebrachteste und willkürlichste bundesdeutscher Zwangszensur markiert.
Right then: Eventually free "Night Life" and get'm on some fuckin' BR.

7/10

David Acomba Teenager Zombies Leichenbestatter Splatter Kleinstadt


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MACAO (Josef von Sternberg/USA 1952)


"What a way to be cheapened."

Macao ~ USA 1952
Directed By: Josef von Sternberg

Auf der Fähre von Hong Kong nach Macao lernt der Abenteurer Nick Cochran (Robert Mitchum) die abgefeimte Nachtclub-Sängerin Julie Benson (Jane Russell) kennen. Beide wollen in der portugiesischen Kolonie ihr Glück versuchen und stoßen sowohl auf den freundlichen Vertreter Trumble (William Bendix) als auch auf den Unterweltboss Vince Halloran (Brad Dexter). Dieser wähnt sich von der Polizei verfolgt und glaubt, in Cochran den ihn suchenden Ermittler gefunden zu haben. Zudem versucht er mit allen mitteln, Julie für sich zu gewinnen.

Eine dieser herrlich überkandidelten Howard-Hughes-Produktionen, die innen drin voluminöser sind als außen. Mitchum und Russell sind super, sie scheinen förmlich wie gespuckt für ihre Rollen, und auch die Co-Stars Bendix, Dexter und die wie immer grandiose Gloria Grahame als 2nd-interest-woman veredeln dieses mit aller Macht exotisch duften wollende Stück film noir. Dabei verlief der Dreh wohl recht chaotisch: von Sternberg, der ohnehin nicht gern ohne die Dietrich arbeitete, überwarf sich mit Hughes und wurde am Ende durch Nicholas Ray ersetzt; die Grahame, zu jener Zeit Rays Noch-Gattin, war aufgrund eines Knebelvertrages gezwungen, mitzuspielen und konstatierte später, sie habe absichtlich mies und lustlos agiert (was ihre Auftritte allerdings keinesfalls verdirbt, sondern sie im Gegenteil hübsch lasziv macht - ich finde sie, so rein als Frau, sowieso viel toller als die dralle Auslegerin Russell). Die Story um ein geklautes Diamanten-Collier ist so nebensächlich wie nur was; "Macao" besteht sozusagen rein aufgrund seines todschicken Naturells.

8/10

Macao Josef von Sternberg Nicholas Ray Howard Hughes undercover film noir


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KINDERARZT DR. FRÖHLICH (Kurt Nachmann/BRD 1972)


"Ich verlange Dr. Sssss!"

Kinderarzt Dr. Fröhlich ~ BRD 1972
Directed By: Kurt Nachmann

Sein erster Arbeitstag endet für den frisch examinierten Mediziner Dr. Fröhlich (Roy Black) frustrierend: In der Klinik seines künftigen Schwiegervaters (Heinrich Schweiger) haben nämlich weder die Patienten noch das Personal etwas zu lachen. Also erstmal raus aus der Stadt. Da kommt Fröhlichs Studienkollege Hansi Bichler (Hansi Kraus) mit seinen Nöten gerade recht: Er soll die Praxis seines Onkels (Kurt Nachmann) im bayrischen Kuhdorf Sonnberg übernehmen, hat jedoch nur studentische Flausen im Kopf und daher nichts an entsprechender Kompetenz vorzuweisen. So reist Dr. Fröhlich als kurzfristiger Stellvertreter Hansis gen Alpen und wird vor Ort mit allerlei Verwechslungsgarn und spinnerten Dorfbewohnern, aber immerhin auch mit der großen Liebe konfrontiert.

Wäre die typisch anarchische Form, die die Lisa-Produktionen dieser Jahre im Regelfalle aufweisen, nicht, man wäre glatt versucht, einen Schmalztopf unterm Fernseher zu platzieren, um die infolge von Roy Blacks öligen Auftritten freiwerdenden Rohstoffe zwecks kulinarischer Weiterverwendung aufzufangen. Wenn der König des Schmierschlagers in der Kirche zum Dorfe schmetternd das 'Ave Maria' intoniert und dazu die Ikonen katholischer Frömmigkeit ins Bild gerückt werden, dann droht sich das Maß jedenfalls akut selbst zu überfüllen. Glücklicherweise sind da aber noch Urgesteine wie Georg Thomalla, Ralf Wolter, Heinz Reincke und Rainer Basedow (kurz vorm endgültigen Durchdrehen), die sogar Blacks unsägliche Vorstellung als schleimiger Kinderliebhaber mit unergründlichen Gelüsten unterm weißen Kittel vergessen machen. Da gibt es dann doch noch manches zu belachen und zu bestaunen, ganz so, wie es sich für Münchner Komikkino jener Ära geziemt.

5/10

Kurt Nachmann Bayern Alpen Dorf Lisa-Film


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MARY REILLY (Stephen Frears/USA 1996)


"I always knew you'd be the death of us."

Mary Reilly ~ USA 1996
Directed By: Stephen Frears

Im London der 1880er Jahre erhält die als Kind schwer misshandelte und somit stark traumatisierte Mary Reilly (Julia Roberts) eine Anstellung als Hausmädchen bei dem renommierten Arzt Dr. Jekyll (John Malkovich). Die ebenso liebenswerte wie linkische Art des seltsamen Medziners fasziniert Mary und alsbald entsteht ein wechselseitiges, zartes Vertrauensverhältnis, das der Rest des Gesindes, allen voran der misstrauische Poole (George Cole), eher kritisch beäugt und das auf eine zusätzlich harte Probe gestellt wird, als Jekylls neuer Assistent, ein gewisser Mr. Hyde (John Malkovich), im Hause zu verkehren beginnt...

Nachdem bereits "Dracula" und "Frankenstein" durch Coppola und Brannagh zu Beginn respektive gegen Mitte der Dekade zeitgemäß konstruierte Neuinterpretationen im Kino erfahren hatten, kam mit dem vordergründig unscheinbar betitelten "Mary Reilly" auch die klassische Mär von Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu aufgefrischten Ehren, allerdings in einer bereits literarisch umstrukturierten Variation, die ich allerdings stets sehr mochte. Hierin wechselt die Erzählperspektive zugunsten des von der Autorin Valerie Martin eigens neu eingeführten Hausmädchens Mary Reilly, eines ebenso verhuschten wie zartfühlenden Geschöpfes, das, ebenso wie der Hausherr, höchst abseitige libidinöse Untiefen beherbergt. Anders als im altbekannten Kontext, demzufolge Jekyll seine animalische Seite zu befreien trachtet und deshalb Mr. Hyde freisetzt, deutet Martin das Bedürfnis des Doktors nach innerer Befreiung als Resultat einer schweren Depression gekoppelt mit bleierner Todessehnsucht. Hyde ist hierin also eher die Entsprechung eines selbstzerstörerischen Geistes. Auch die Titelfigur ist ein Musterexempel für freudianische Analysierorgien; offenbar hat die einstmalige Misshandlung durch ihren versoffenen Vater (James Gambon) eine leichte Note masochistischer Unterwürfigkeit bei ihr hinterlassen, die sich in einer ihr selbst unerklärlichen Schwäche für Mr. Hyde manifestiert und sie in Verbindung mit ihren rational erklärbaren Gefühlen für Dr. Jekyll zu einer vollständigen Liebenden macht. Leider findet dieses im Grunde ideale Paar nicht zusammen, denn die Geschichte endet, wie sie eben endet - jedoch deutlich romantischer als gewohnt.

8/10

Stephen Frears Jekyll und Hyde London amour fou Victorian Age Serienmord period piece Madness mad scientist


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BLACK SHAMPOO (Greydon Clark/USA 1976)


"So you're that hairbender..."

Black Shampoo ~ USA 1976
Directed By: Greydon Clark

Mr. Jonathan (John Daniels) besitzt nicht nur einen funky barbershop, er steht im Hinterzimmer desselben auch vornehmlich weißen, gut betuchten und einsamen Damen mit speziellen, alternativen Dienstleistungen zur Verfügung. Wirklich verliebt ist er allerdings in seine neue Empfangsdame Brenda (Tanya Boyd), eine echte Gazelle vor dem Herrn. Doch Tanya ist leider auch die Ex von Gangsterboss Mr. Wilson (Joe Ortiz) und selbiger lässt sich nicht gern die Fäden aus der Hand nehmen. Also verbimst er Jonathans Friseur Artie (Skip E. Lowe) und lässt den Laden zu Klump hauen. Brenda ist derweil nicht faul und tut so, als käme sie zu Wilson zurück - nur um ihm dessen Terminkalender zu klauen, der Wilsons sämtliche kriminellen Aktivitäten offenbart. Der Fiesling lässt sich selbiges nicht gefallen und es geht Mann gegen Mann...

Hal Ashbys "Shampoo" ist eine hellsichtige New-Hollywood-Komödie um einen straighten hairdresser on fire, dessen Gigolo-Qualitäten ihn noch um einiges erfolgreicher agieren lassen. Auf der Suche nach fruchtbar zu plagiierenden Topoi stieß das Blaxploitation-Kino dann irgendwann auf Ashbys Society-Satire und funktionierte sie zu einem veritablen, kleinen B-Klassiker um, der in seinen intellektuell eingeschränkten Grenzen durchaus für sich bestehen kann. Der zunehmend sleaziger werdende Habitus jener Subkategorie bediente sich darin wesentlich offenherzigerer Sex-Elemente, die den Film besonders im ersten Drittel hier und da wie einen Softporno wirken lassen, um später deutlich handfester Crime-Elemente in den Vordergrund zu rücken. Der Showdown schließlich macht Gebrauch von Kettensäge, Beil und Billard-Queue als tötliche Waffen und auch sonst keine Gefangenen. Mancher Szenenwechsel wird schnieke eingeleitet durch Einfrier- und Negativierungstechniken, was den Streifen zusätzlich hip erscheinen lässt, hinzu kommt eine erstklassige deutsche Synchronfassung aus München. Interessant ferner, dass ein schwules Tuckenpaar ausgerechnet in diesem sonst eher testosteronträchtig-homophoben Milieu als Sympathieträger und hero's best friends auftaucht, noch interessanter Clarks unbestechliches Auge bei der Besetzung des sich zu entkleidenden Weibsvolks. Tanya Boyd jedenfalls ist nichts weniger denn atemberaubend.

6/10

Greydon Clark Los Angeles Kalifornien Blaxploitation Sleaze


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THE CHILDREN'S HOUR (William Wyler/USA 1961)


"God will punish you." - "He's doing all right."

The Children's Hour (Infam) ~ USA 1961
Directed By: William Wyler

Die beiden Freundinnen Martha (Shirley MacLaine) und Karen (Audrey Hepburn) führen eine kleine, angesehene Privatschule für Mädchen. Als die trotzige, notorisch verlogene Mary (Karen Balkin) sich ungerecht behandelt fühlt, streut sie das Gerücht, die beiden Lehrerinnen pflegten eine lesbische Beziehung. Für die ebenso wohlhabenden wie konservativen Eltern der Schülerinnen, allen voran Marys Großmutter (Fay Bainter) Grund genug, sämtliche Kinder von der Schule abzumelden. Martha und Karen, die Marys Geschichten vehement leugnen, stehen urplötzlich vor dem Nichts: Ihr Internat muss geschlossen werden und ihr Renommee ist zerstört. Doch liegt in Marys Geschichichte nicht doch ein Funken Wahrheit?

"The Children's Hour" ist vielleicht weniger eine Geschichte über fatalen Rufmord denn eine über die Unmöglichkeit, im puritanischen Amerika der Kleinstädte zu seinen Neigungen und Gefühlen aufrichtig Stellung beziehen zu können. Ohne es zu wissen, sind Martha und Karen nämlich tatsächlich ein Paar; sie lieben sich, ohne es sich jemals eingestanden zu haben, ohne sich jemals körperlich näher gekommen zu sein. Für Martha, die für Männer ohnehin nie erotische Bedürfnisse hegte, bedeutet Marys zerstörerische Aktion immerhin ein Sprungbrett zum Eingeständnis. Doch auch Karen, die mit dem Arzt Joe Cardin (James Garner) eine Beziehung pflegt, ist insgeheim in ihre langjährige Freundin verliebt - die Barriere in ihrem Falle ist dabei sogar noch größer, denn sie belügt vor allen anderen insbesondere sich selbst und Joe. Erst Marthas Geständnis, das, im berechtigten Irrglauben, es stoße auf Ablehnung und Unverständnis, ihren Selbstmord nach sich zieht, lässt Karen nach kurzer Reflexion der Dinge die Wahrheit erkennen. Doch da ist es bereits zu spät.
"The Children's Hour" ist ein Film über tragische Missverständnisse, Lügenkonstrukte und gescheiterte Lebensentwürfe, aus denen immerhin Karen, wenn auch mit (vorübergehend) gebrochenem Herzen hoch erhobenen Hauptes herausschreiten darf. Ein starker Film, einer der ersten aus Hollywood, die, mit der damals noch gebotenen Vorsicht freilich, das Thema Homosexualität offen verhandeln und es mit positiver Haltung reflektieren. Darüber hinaus meisterhaft inszeniert und gespielt.

10/10

Lilian Hellman based on play Homosexualität Rufmord William Wyler Schule Kinder Suizid





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