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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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INTOLERABLE CRUELTY (Joel Coen/USA 2003)


"I'm sentimental."

Intolerable Cruelty (Ein (un)möglicher Härtefall) ~ USA 2003
Directed By: Joel Coen

Der als absolut sichere Bank geltende Scheidungs-Staranwalt Miles Massey (George Clooney) verliebt sich in Marilyn Rexroth (Catherine Zeta-Jones), die geschiedene Frau eines seiner Klienten (Edward Herrman). Diese jedoch ist nicht nur eine mit allen Wassern gewaschene Abzockerin, sondern auch enorm rachsüchtig. Das bekommt Massey zu spüren, als Marilyn ihn mittels eines geschickt eingefädelten Gaunerstücks selbst in den Ehe- und dann in den ruinösen Scheidungshafen lockt. Ist da am Ende aber nicht doch so etwas wie Liebe?

Der Titel ist Programm bei diesem erschreckend mediokren Kettenglied im coen'schen Gesamtwerk, das vermutlich bereits durch den originären Fremdursprung der Geschichte im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war. Von den doppelbödigen Regieeinfällen des Bruderpaars ist hier faktisch nichts mehr übrig, stattdessen gibt es eine fast schon als ordinär zu bezeichnende Star-RomCom, die gern die Chuzpe klassischer Screwball-Romanzen oder stilvoller Komödien wie "Designing Woman" vorweisen würde, in der jedoch bestenfalls die wie immer überragende, diesmal bonbonfarbene Kamerarbeit Roger Deakins' überzeugen kann. Ansonsten ist der Film von Grundauf unsympathisch, wirkt in seiner Botschaft vom Sieg der wahren Liebe über den schnöden Materialismus völlig gestelzt und ist bis auf ein paar wenige Ausnahmen hoffnungslos unkomisch. Wo sind die Verlierer, die Charakterköpfe, die dicken Choleriker? Wo die Buscemis, Turturros, Goodmans, Politos, Shalhoubs? Dennoch: Um wirklich durch die Bank schlecht zu sein fehlt es wiederum am völligen Versagertum; einen rundum beschissenen Film bekommen die Coens wahrscheinlich selbst mit "Fremdunterstützung" nicht auf die Reihe. Sieht man sich den Film, wie ich jetzt, im Zuge einer Werkschau an, wirkt er wie eine erzwungene Atempause, wie das gescheiterte Experiment, den artistischen Aktionsradius auf andere, gemäßigtere Sehgewohnheiten hin zuzuspitzen oder auch nur kurzfristig mal dorthin auszuweichen. Am Ende bleibt jedoch nicht viel reell Verwertbares.

4/10

Coen Bros. Ehe Scheidung Femme fatale


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THE HUDSUCKER PROXY (Joel Coen/USA 1994)


"What if you tire before it's done?"

The Hudsucker Proxy (Hudsucker - Der große Sprung) ~ USA 1994
Directed By: Joel Coen

Gegen Ende der fünfziger Jahre kommt der just graduierte Provinzbursche Norville Barnes (Tim Robbins) nah New York, um dort sein Glück zu suchen. Er wird Postangestellter bei 'Hudsucker Industries', deren einstiger Chef und Inhaber Waring Hudsucker (Charles Durning) sich kurz zuvor unversehens aus dem Fenster gestürzt hat. Dessen Stellvertreter, der über Leichen gehende Sidney J. Mussburger (Paul Newman) sucht nun einen Strohmann als vorübergehende Firmenleitung, um die Aufsplittung des Unternehmens in eine freie Aktiengesellschaft zu verhindern. Der naive Norville scheint dafür genau der Richtige. Als jedoch seine Erfindung, der Hula-Hoop-Reifen, einschlägt wie eine Bombe, muss sich Mussburger etwas unkoschere Mittel und Wege suchen, um Norville wieder zu entmachten

Ich habe "The Hudsucker Proxy" schon mehrfach gesehen, doch erst jetzt konnte er bei mir endlich zünden. Bis dato empfand ich die tatsächlich etwas grobmaschig gewobene Melange des Films, die ein lautes Potpourri aus screwball comedy, Frank Capra, George Orwell, Terry Gilliam und natürlich dem hauseigenen Mikrokosmos der Coens bildet, stets als allzu überdreht und übers Ziel hinausschießend. Die furiose bis irrwitzige Form der Montage habe ich dabei wohl geflissentlich übersehen, wie mir auch die liebevolle Gestaltung des Ganzen überhaupt nicht mehr präsent war oder ich sie bis dato schlicht nicht wahrgenommen habe respektive wahrnehmen wollte. Mir zeigt das vor allem, dass sich auch die wiederholte Beschäftigung mit dem einen oder anderen Film als überaus lohnenswert herausstellen kann, selbst, wenn man längst geneigt war, ihn abzuschreiben. Natürlich ist die Hommage an Capras Gutmenschenkino, speziell an "Mr. Deeds Goes To Town", der praktisch permanent zitiert wird, an die aufreibende Ära der späten Fünfziger (wobei sich die Geschichte bis auf ein paar Details ebensogut auch ein, zwei Jahrzehnte früher hätte einfinden können). "The Hudsucker Proxy" ist natürlich supervitales, coen'sches Kino in Reinkultur, vielleicht sogar nochmals überführt in ein spezielles Essenz-Stadium.
Und für mich gilt: Besser eine späte Erleuchtung als gar keine.

9/10

Coen Bros. New York period piece Hommage Satire Erwachsenenmärchen Groteske


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THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (Martin Ritt/UK 1965)


"I reserve the right to be ignorant. That's the Western way of life."

The Spy Who Came In From The Cold (Der Spion, der aus der Kälte kam) ~ UK 1965
Directed By: Martin Ritt

Alec Leamas (Richard Burton) arbeitet als Koordinator für den britischen Geheimdienst in Berlin. Nachdem nach und nach sein gesamtes Agentennetz von einem gegnerischen Mann namens Mundt (Peter van Eyck) liquidiert worden ist, erhält er in London einen neuen Auftrag: Er soll nach außen hin aus dem aktiven Dienst ausscheiden und sich das Image eines heil- und mittellosen Trinkers auf der Rolltreppe abwärts zulegen, so den Feind auf sich aufmerksam machen, sich dann von diesem abwerben lassen und über Umwege ein Komplott gegen Mundt einfädeln, um ihn so ausschalten zu können. Erst als Leamas sich bereits hinter dem Eisernen Vorhang befindet, wird ihm bewusst, dass er nur über einen Bruchteil seiner tatsächlichen Mission informiert wurde und dass er und vor allem sein Seelenheil im internationalen Spiel der Gewalten eine vollkommen entbehrliche Größe darstellen.

Bedrückendes Drama, das wie ein empörter Gegenentwurf zu der schönen, bunten Oberflächenwelt eines James Bond und seiner Epigonen auftritt. Zum kargen Schwarzweiß des New British Cinema bewewht sich ein fetthaariger Richard Burton mit zerbeultem Parka und einer nahezu riechbaren Whiskey-Fahne durch eine graue Realität der Depression. Einsam und nicht besonders erfolgreich in seinem Job entpuppt sich Alec Leamas, nachdem er selbst sich im Inneren bereits über seine systemische Dysfunktionalität im Klaren ist, als Bausteinchen einer gewissenlosen Maschinerie, die nicht etwa leidenschaftlich, sondern mit kalter Präzision zu Werke geht und jeder Menschlichkeit abgeschworen hat, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Am Ende scheint Leamas' Weltbild infolge eines internen Verrats gegen ihn zumindest teilweise zurechtgerückt, denn es spielt keine Rolle mehr, ob Ost oder West, ob Kommunismus oder Kapitalismus. Es gewinnt nicht etwa der Systemtreueste, sondern derjenige, der am durchtriebensten und gewissenlosesten agiert. Nicht von ungefähr ist Mundt zugleich auch ein Altnazi.
Ritts Film war und ist ein Triumph und gilt, natürlich auch infolge seiner adaptiven Akkuratesse bezogen auf le Carrés kurz zuvor erschienenen Roman, bis heute als einer der wenigen aufrichtigen Spionagefilme. Vom eleganten product placement und den ausschweifenden Männerträumen eines 007 geradezu angewidert, spuckt "The Spy Who Came In From The Cold" dem Kalten Krieg verächtlich ins Gesicht. Nicht etwa aufgrund der Angst vor Dritten Weltkriegen und atomaren Erstschlägen, sondern weil er seine Schachfiguren einfach um ihr Glück betrügt und gewissenlos auffrisst.

9/10

Martin Ritt Spionage Kalter Krieg London Berlin DDR Niederlande John le Carré


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THE LONG, HOT SUMMER (Martin Ritt/USA 1958)


"Miss Clara, you slam the door in a man's face before he even knocks on it."

The Long, Hot Summer (Der lange, heiße Sommer) ~ USA 1958
Directed By: Martin Ritt

Der allerorten als Brandstifter verschriene Tagelöhner Ben Quick (Paul Newman) kommt in das Kleinstädtchen Frenchman's Bend. Hier ist der alternde Gutsbesitzer Will Varner (Orson Welles) die Ton angebende Persönlichkeit. Varner ist von Quicks fordernder und umwegloser Art beeindruckt und räumt ihm zunehmend gewichtigere Positionen in seinem Familienbetrieb ein - ganz zum Unwillen von Varners Sohn Jody (Anthony Franciosa), einem notorischen Taugenichts und Versager, der von der herrischen Art seines Vaters bereits schwer neurotisiert ist. Jodys Schwester Clara (Joanne Woodward) derweil, Mitte 20, Lehrerin und noch immer unverheiratet, gebärdet sich als alternde Jungfer. Dabei fände der alte Varner in Ben Quick den idealen Schwiegersohn.

Eines der großen Südstaatenepen der fünfziger und sechziger Jahre, in einer Reihe mit dem kurz darauf entstandenen "Cat On A Hot Tin Roof", "Home From The Hill" oder "The Fugitive Kind", die allesamt die vordergründige Lebensweise und die patriarchalischen Strukturen der Gegend observieren und ihre jeweiligen Lehren daraus ziehen. Im Gegensatz zu vielen anderen hier ansässigen Dramen basiert "The Long, Hot Summer" jedoch nicht auf einem Stück von Tennesse Williams, sondern auf einigen Kurzgeschichten sowie einem Roman William Faulkners. Die unweigerliche Katharsis am Ende zieht hier ausnahmsweise keine tiefen Brüche nach sich, sondern beschert sämtlichen ProtagonistInnen das erlösende Glück. Alte Beziehungen werden neu überdacht und neue, stabile, geknüpft. Damit nimmt sich "The Long, Hot Summer" durchaus wie ein Heimatfilm aus; geprägt von einer unübersehbaren Liebe zu Land und Menschen. Selbst der bärbeißige Patriarch Will Varner ist kein intriganter Knochen, sondern ein sympathisch gezeichneter, zu Zugeständnissen fähiger, und sogar liebenswerter Provinzkönig. Am Schluss des Films ist also alles geregelt und in Butter, was sich wiederum, in Kenntnis all der anderen, "lokalen" Dramen um Standesdünkel, Rassismus, sowie intra- und interfamiliären Hass geradezu befremdlich ausnimmt. Aber warum nicht - eine unverhohlene Liebeserklärung an den Süden und seine Bewohner ist auch mal ganz schön anzuschauen.

7/10

Martin Ritt William Faulkner Mississippi Südstaaten Familie


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CARLITO'S WAY (Brian De Palma/USA 1993)


"A favor's gonna kill you faster than a bullet."

Carlito's Way ~ USA 1993
Directed By: Brian De Palma

1975 kommt die puertoricanische Gangsterlegende Carlito Brigante (Al Pacino) wegen unlauterer Verfahrensmethoden frühzeitig aus dem Gefängnis. Dabei ist seine etwas weitschweifig anmutende Ansage an den Richter (Paul Mazursky) sogar ernst gemeint: Carlito will raus aus dem Milieu, mit Drogen nichts mehr zu tun haben und zusammen mit seiner großen Liebe Gail (Penelope Ann Miller) eine Autovermietung auf den Bahamas eröffnen. Das Startkapital dafür will Carlito sich als Geschäftsführer eines maroden Clubs in der Bronx zusammenklauben. Kaum jedoch ist der Mann zurück in Spanish Harlem sitzt er schon wieder mittendrin in der Gewaltspirale, der Überhand nehmende Kokainkonsum seines Anwalts und Freundes Dave Kleinfeld (Sean Penn) und Verrat allerorten machen ihm einen dicken Strich durch die Rechnung.

Das bislang letzte von De Palmas großen Gangsterepen nach "Scarface" und "The Untouchables", wobei natürlich insbesondere die Verwandtschaft zu ersterem unübersehbar ist. Beide Filme wurden von Marty Bregman produziert und mit Al Pacino in der Hauptrolle besetzt; beide Filme drehen sich um den Werdegang eines Latino-Gangsters. Soweit die offenkundigen Parallelen, die ein direkter Vergleich jedoch rasch Lügen straft. "Carlito's Way" ist ein deutlich gelassener Film als "Scarface", ebenso wie der Charakter Carlito Brigantes ganz immens zu dem Tony Montanas differiert. Hier geht es nicht um Auf-, sondern um Ausstieg, um das verzweifelte Anstrampeln gegen die unweigerliche Spirale abwärts. Mit einer konsequenteren Abkehr wider den Moloch hätte Carlito noch eine Option gehabt, hier in uptown New York jedoch gibt es großkotzige Emporkömmlinge wie den aufbrausenden Benny Blanco (John Leguizamo), geldgierige Schmeißfliegen wie Carlitos Anhängsel Pachanga (Luis Guzmán) oder eben Carlitos koksbenebelten Advokaten und vermeintlichen "Bruder" Dave Kleinfeld (Sean Penn), der die Italiener um eine Million Dollar erleichtert und glaubt, damit durchzukommen. Einmal drin im Morast, gibt es kein Entkommen mehr und trotz der Prophezeiungen der wohlmeinenden Gail endet Carlito genauso wie von ihr vorhergesagt. No escape to Paradise.
Nach eigenem Bekunden wollte De Palma zunächst keinen weiteren Film über Chicano-Bandidos mehr machen, ließ sich jedoch von der Qualität von David Koepps Script umstimmen. Ein weiser Schachzug, wie die Rezeptionsgeschichte des Films zeigt, gilt "Carlito's Way" doch, den Vorwurf inszenatorischer Risikoarmut einmal beiseite lassend, gemeinhin als einer der "gelungeneren" späteren Arbeiten des Regisseurs. Diese Einstufung ist paradoxerweise ebenso kurzsichtig wie zutreffend. In einem filmischen Metier, dem De Palma bereits wesentliche Eckpunkte beschert hatte, konnte er sich nämlich zugleich auf sicherer Seite bewegen wie er ihm einen weiteres Glanzlicht hinzuzusetzen vermochte.

9/10

Brian De Palma Edwin Torres Freundschaft New York Ethnics period piece Kokain


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ALATRISTE (Augustín Díaz Yanes/E 2006)


Zitat entfällt.

Alatriste ~ E 2006
Directed By: Augustín Díaz Yanes

Der spanische Recke Alatriste (Viggo Mortensen) verdingt sich zwischen seinen Kriegseinsätzen für Phillip IV (Simon Cohen) in Flandern und anderswo als Söldner, der zuweilen auch für "inoffizielle" Missionen seitens des Königshauses missbraucht werden soll, meist jedoch die ihn umgebenden Ränke durchschaut. Ansobnsten scheint ihm ein Schutzengel hold zu sein, er überlebt diverse Intrigen, Verrat und Mordversuche, eine scheiternde Liebe und bewahrt seinen Ziehsohn Íñigo (Unax Ugalde) vor allerlei Unbill.

Basierend auf einer fünfbändigen Romanreihe um einen fiktiven Kriegshelden im 17. Jahrhundert präsentiert sich "Alatriste" als ebenso kostspieliges wie ambitioniertes Werk, das zugleich jedoch eindrucksvoll aufzeigt, dass und warum Hollywood von historisch gefärbten Abenteuern bereits traditionell deutlich mehr versteht. Formal gibt sich Yanes' Film weithin tadellos. Die Kostüme, Requisiten und set pieces sind von erlesener Authentizität, die Anbindung an reale geschichtliche Ereignisse offenbar geschickt verflochten. Hinzu kommen diverse Verweise an die zeitgenössische Malerei- und Kunstgeschichte; die Schlachten und Degenduelle werden alten Stichen gleich inszeniert. Leider zerfällt der recht lange "Alatriste" jedoch allzu häufig ins Episodenhafte. In abgehackter Windeseile prescht er durch einundzwanzig Jahre erzählter Zeit, versucht, neben dem Titelhelden noch diverse Nebencharaktere profund zu machen und scheitert letztlich an seinem unerfüllbaren Selbstanspruch. Bei aller Ästhetik und all seinen schönen Momenten wirkt der Film am Ende inkohärent und inkonsistent, als allzu desinteressiert an seinem Figureninventar und seinen vorgestellten Ereignissen. Gelegentlich aufkeimendes Pathos wirkt aufgesetzt und fehl am Platze und Mortensen, der offensichtlich engagiert wurde, um eine gewisses internationales Interesse zu evozieren, zuweilen unterfordert und gelangweilt. So gereicht es dem vor vorschüssigem Potenzial überschäumenden "Alatriste" leider nur zu einem durchschnittlichen Filmerlebnis.

6/10

Augustín Díaz Yanes period piece Spanien Achtzigjähriger Krieg Belgien Barock


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NOVECENTO (Bernardo Bertolucci/I 1976)


Zitat entfällt.

Novecento (1900) ~ I 1976
Directed By: Bernardo Bertolucci

Um 1890 wird den zwei alten Patriarchen Alfredo Berlingheri (Burt Lancaster) - Großgrundbesitzer eines Landguts in der Emilia-Romagna - und Leo Dalcò (Sterling Hayden) - Berlingheris Verwalter und Vorabeiter - zur selben Stunde jeweils ein Enkel geboren. Als Kinder sind Alfredo (Paolo Pavesi) und Olmo (Roberto Maccanti) so gut befreundet, wie es der sie umgebende Standesdünkel gerade eben zulässt, ihre Jugend trennt sie jedoch vorübergehgend. Als Olmo (Gerard Depardieu) als Kriegsveteran auf den Hof zurückkehrt, findet er den opportunistischen und sich später als bösartig gewalttätig entpuppenden Attila (Donald Sutherland) als neuen Vormann. Alfredo (Robert De Niro) ist derweil Offizier geworden, ohne je in den Krieg ziehen zu müssen. Beide lernen eine Frau kennen. Olmos geliebte Anita (Stafania Sandrelli) stirbt bei der Geburt seiner Tochter, Alfredo heiratet seine Ada (Domique Sanda), doch Hochzeit und Ehe sind überschattet von Blut, Lügen und Alfredos ewiger Zauderei. Als viele Jahre später - Ada hat Alfredo längst verlassen und Olmo musste wegen einer Beleidigung des mittlerweile zu einem Schwarzhemd-Protagonisten gewordenen Attila fliehen, der Faschismus aus dem Land wird und eine sozialistischze Übergangsregierung gebildet wird, taucht Olmo wieder auf und macht seinem alten Freund Alfredo, nunmehr seiner hochherrschaftlichen Stellung enthoben, den Femeprozess.

Bertoluccis gewaltiges Porträt des Aufkeimen und Niederschlagen des italienischen Faschismus vor dem vergleichsweise intimen Hintergrund zweier ungleicher Freunde ist bis heute ein herausragendes Beispiel für kontroverses Filmemachen. Wegen einiger mitunter nicht immer geschmackssicherer Zeigefreudigkeiten gerügt und sogar gehasst, von Bertolucci, seit 68 KPI-Mitglied, als kommunistisches Manifest deklariert (was freilich in sich beißendem Widerspruch zur teuren Produktion und ausstatterischen Pracht des Filmes steht) und aufgrund vieler kleinerer und größerer Mäkel stets aus allen Winkeln heraus kritisiert, scheint "Novecento" bis heute keine wirklichen Freunde gefunden zu haben. Ich sehe mir den Film alle paar Jahre dennoch sehr gern an, wenn Muße, Zeit und Entspannung es mir gestatten. In grob vier Akte, die den Jahreszeiten zugeordnet sind, aufgeteilt, entspannt sich die wahre Komplexität des monströsen Werkes tatsächlich immer wieder erst mit ein paar Tagen Abstand. Dann vergesse ich die drei, vier visuellen Anstößigkeiten des Films, die einen im Zuge der Betrachtung noch durchaus auf Trab halten, und wende mich retrospektiv dem Gesamtbild zu; - jenes schlicht ein Beispiel für brillantes Filmemachen. Mit aller gebotenen Eleganz nähert sich Bertolucci seiner schwierig aufzuzäumenden Protagonisten-Dublone und nimmt sich ganz einfach die Zeit, die Charakterentwicklung der beiden Männer nicht per Holzhammer einzupflanzen, sondern sie sich entwickeln und reifen zu lassen. Episoden, Anekdoten, Wichtigeres und Unwichtigeres - am Ende fällt man tatsächlich kurz der Illusion anheim, Zeuge zweier Leben geworden zu sein, Ismen hin oder her. Und darin liegt das wahre Verdienst Bertoluccis und seines Films, der eigentlich eher filmgewordene Weltliteratur repräsentiert.

9/10

period piece Freundschaft Biopic Faschismus Italien Emilia-Romagna Kommunismus Skandalfilm


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BATMAN: MASK OF THE PHANTASM (Eric Radomski, Bruce W. Timm/USA 1993)


"Sal Valestra, your Angel of Death awaits."

Batman: Mask Of The Phantasm (Batman und das Phantom) ~ USA 1993
Directed By: Eric Radomski/Bruce W. Timm

Als Batman sieht sich Bruce Wayne mit einem neuen, tödlichen Gegner konfrontiert, dem "Phantom". Dieses schickt mehrere alternde Mobster ins Jenseits, bevor Batman sein wahres Geheimnis lüften kann. Parallel dazu taucht nach vielen Jahren Bruces alte Liebe Andrea Beaumont wieder in Gotham auf und verdreht ihm erneut den Kopf.

Parallel zur damals bei Fans wie bei Neueinsteigern wie eine Bombe einschlagenden Animated-TV-Serie gab es dieses ersten abendfüllenden Trickfilm fürs Kino. Meisterlich in Umsetzung und Stil, mit multiplen künstlerischen Einflüssen von Will Eisner bis Jugendstil und Art Déco und voll von gepflegt-unaufdringlichen Reverenzen an die Comichistorie Batmans, bildete "Mask Of The Phantasm" wiederum nicht nur für eingefleischte Liebhaber etwas ganz Besonderes. Er emanzipierte zugleich die Protagonisten des Animated-Universums als Neuinstallationen in ihrer eigenen Welt, das waghalsige Kunststück vollführend, zugleich den Charakter der Vorlagenfigur zu transportieren als ihn auch in einen gänzlich neuen stilistischen Kontext zu setzen. In Comictermini würde man dies als eine "Elsewords"- bzw. "What if...?"-Geschichte bezeichnen, eine Story also, die bekannte Figuren in ein ungewöhnliches Szenario verpflanzt, das aufgrund seiner narrativen Radikalität zumeist nur für ein singuläres Abenteuer taugte. Dass Bruce Wayne einst eine Geliebte gehabt haben soll, die ihn zunächst von seinem determinierten Vigilantenpfad abhielt, um ihn dann gezwungenermaßen sitzen zu lassen, ist eine schöne und durchaus Sinn stiftende, aber eben "erfundene" Fußnote in der Charakter-Biographie. Ähnliches gilt für den Joker, dessen erst kurz zuvor von Alan Moore in "The Killing Joke" festgesetzte origin die Autoren schlicht ignorieren. Alles kleine Faux-pas, mit denen man leben kann - weil der Film sie aufgrund seiner Geschlossenheit rasch vergessen macht.

8/10

Batman Comic Serienmord Rache Duell Amour fou Mafia


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THE TERMINAL (Steven Spielberg/USA 2004)


"Do you have an appointment?"

The Terminal ~ USA 2004
Directed By: Steven Spielberg

Der Krakhozianer Viktor Navorski (Tom Hanks) kommt nach New York, um seinem Vater posthum einen Wunsch zu erfüllen. Ein während seines Fluges stattfindender Putsch in seinem Heimatland sorgt jedoch dafür, dass Navorski als Staatenloser in den USA landet. Somit ist er nicht befugt, das Terminal Richtung Innenstadt zu verlassen. Als Opfer der bizarren Bürokratie des Sicherheitschefs Dixon (Stanley Tucci) sitzt Navorski fortan eine halbe Ewigkeit im Terminal fest wie in einem Gefängnis. Sein unbefangenes und freundliches Wesen, das Dixon ein ums andere Mal die Nerven kostet, erleichtert ihm seinen unvorgesehen langwierigen Aufenthalt jedoch ungemein.

Die Botschaft von "The Terminal" ist so universell wie naiv: Mit reiner Freundlichkeit und hinreichend Sitzfleisch erreicht man alles, was man möchte. Als bereits zu seinem Entstehungszeitpunkt charmant verjährte Komödie in der Tradition klassischer Genrefilmer wie Lubitsch, Sturges und Capra hatte und hat es "The Terminal" offenbar nicht leicht, einen gegenwärtigen Anhängerstamm aufzubauen. Der unverhohlene Revisionismus des Films wird vielerorts als Kitsch und Kalkül gedeutet. Ich bin mir nicht sicher, welche Sicht näher an der Wahrheit liegt - letzten Endes ist mir das aber auch relativ gleichgültig, schließlich muss ich den Film mögen und nicht die anderen. Vielleicht hilft eine vorsichtige Übertragungsstrategie: Man stelle sich "The Terminal" in schwarzweiß vor, Jimmy Stewart als Navorski, Claudette Colbert als seine Angebetete Amelia und Lionel Barrymore als den verklemmten Bürokratenfurz Frank Dixon (nebenbei eine hübsche Orwell-O'Brien-Reminiszenz). So bekommt der Film gleich eine rundum komfortablere Konnotation. Außerdem hat er den ganz wunderbaren Kumar Pallana als altes Putzfaktotum Gupta. Pallana, der zeitweilig zu Wes Andersons Hauspersonal zählte, spielt hier praktisch nochmal dieselbe Rolle wie in "The Royal Tenenbaums", wo er als Royals leicht paralysierter Diener Pagoda zu sehen ist. Allein seine kleine Kunststückchen während Viktors und Amelias Abendessen sind pures Gold.

8/10

Steven Spielberg Flughafen Satire New York Migration Jazz


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JUNGLE FEVER (Spike Lee/USA 1991)


"What happened to the color TV?" - "Mama, I smoked the color TV."

Jungle Fever ~ USA 1991
Directed By: Spike Lee

Als der bei einer Architektenfirma angestellte Flipper Purify (Wesley Snipes) die Italoamerikanerin Angela Tucci (Annabella Sciorra) als neue Sekretärin zugeteilt bekommt, ist er zunächst skeptisch. Bald jedoch verliebt er sich in die attraktive, junge Frau. Als Flippers Gattin (Lonette McKee) von der sich ausweitenden Affäre Wind bekommt, setzt sie ihn kurzerhand vor die Tür. Zunächst mietet Flipper downtown ein Appartment für sich und Angie, doch die Widerstände gegen ihre Beziehung werden nicht geringer. Hinzu kommen weitere familiäre Probleme Flippers, die sich in seinem religionsfanatischen Vater (Ossie Davis) und seinem crackabhängigen Bruder Gator (Samuel L. Jackson) manifestieren. Am Ende kehrt Flipper reumütig zu seiner Familie zurück, doch die Stadt hat sich noch wieder mit ihm befriedet.

Nicht minder diskursträchtig als in "Do The Right Thing" findet Spike Lee diesmal eine hypersensible Schnittstelle zwischen Brooklyn und Manhattan, genauer gesagt zwischen Bensonhurst und Harlem. Die von vornherein als unmöglich eingestufte Liebesbeziehung zweier Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und vor allem unterschiedlicher ethnischer Hintergründe steht dabei jedoch nur als Hauptstrang inmitten eines kaleidoskopartig entsponnenen Netzes familiärer und freundschaftlicher Beziehungen in New York. Lee findet teils verstörende Bilder für die damals die Stadt heimsuchende, ganze Straßenzüge in Drogenhöllen verwandelnde Crack-Problematik, der das uninformierte Bürgertum wie jeder Form von Sucht nur hilflos gegenüberstehen konnte. Eine großartige Szene zeigt Flipper, wie er sich zu Stevie Wonders "Living For The City" auf die erboste Suche nach seinem älteren Bruder Gator begibt. Gator hat soeben den Fernseher seiner Eltern in Dope verwandelt und ist gerade dabei, ihn zu inhalieren, als Flipper ihn in einem ausschließlich von Crackheads bevölkerten Rohbau ausfindig macht. Dann ist da Angies Jugendliebe Paulie (John Turturro), der die Trinkhalle seines ewig zeterndenden Vaters (Anthony Quinn) führt und der sich in die schwarze Schönheit Orin (Tyra Ferrell) verguckt. Und hier gönnt uns Lee gleich noch einen veritablen Hoffnungsschimmer für die Zukunft: Dieses Paar, ohne familiäre Verpflichtungen, wird entgegen allen Widerständen sein Zusammensein meistern.

10/10

Ernest Dickerson New York Ethnics Amour fou Ehe Drogen Crack Religion Ensemblefilm Spike Lee Rassismus





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Funxton

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