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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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GARDE À VUE (Claude Miller/F 1981)


Zitat entfällt.

Garde À Vue (Das Verhör) ~ F 1981
Directed By: Claude Miller

Der wohlhabende Pariser Notar Martinaud (Michel Serrault) wird am Silvesterabend einem latent bis offen aggressiven Verhör durch den Polizeiinspektor Gallien (Lino Ventura) unterzogen, der sein Gegenüber für den Schuldigen in zwei Sexualmordfällen an achtjährigen Mädchen hält. Dass mit dem aalglatten Anwalt tatsächlich etwas nicht stimmt bzw. er sich immer wieder in widersprüchliche Aussagen zu flüchten scheint, macht Gallien nur noch misstrauischer. Als schließlich Martinauds sich mysteriös gebende Frau (Romy Schneider) auftaucht und Gallien zusätzlich belastende Indizien zuspielt, ist für den müden Polizisten der Fall endgültig klar. Dabei manövrieren die Geschehnisse geradewegs in eine menschliche Katastrophe.

Gleichermaßen beklemmendes Verhördrama und Meditation über die Gefahr staatlicher Autorität, steht "Garde À Vue" in der Tradition der ähnlich gearteten Filme "The Offence" und "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", wobei die politische Dimension des letzteren themengemäß stark abgemildert wird. Allen dreien, auf ihre jeweilige Weise meisterlich inszenierten Filmen gemein ist jedoch die auf staatsdienstlich tätige Individuen projizierte, systemräsonistische Überzeugung, stets professionell und richtig zu handeln und damit die Existenzen ihrer Opfer mit Volldampf zu zertrümmern. Dabei verfährt Miller sogar noch um einiges geschickter als Lumet bzw. Schlöndorff/Böll: Am Anfang ist man naturgemäß ganz bei Lino Ventura, schon aufgrund dessen historischen Renommees; der erfahrene "poulet" kann nur im Recht sein, wenn er diesen arroganten Fatzke im Abendanzug des doppelten Kindsmordes bezichtigt und ihn diesbezüglich zu überführen sucht. Und tatsächlich offenbart Martinaud sich irgendwann als pathologischer Pädophiler, der sich aus der Beklemmung seiner dysfunktionalen Ehe heraus einstmals in eine irrationale, ersponnene Liebesaffäre mit einem kleinen Mädchen (Elsa Lunghini) geflüchtet hat. Dass jedoch Paraphilie nicht zwangsläufig gleichbedeutend sein muss mit akuter Gewalttätigkeit, wird zu "Ermittlungszwecken" kurzzeitig verdrängt. Das Ende, an dem eine völlig diametrale Wahrheit und eine unerwartete Tragödie stehen, lässt ahnen, dass Gallien seinen Hut nehmen wird. Welche Alternative bleibt ihm auch?

9/10

Silvester Verhör Serienmord Paris Nacht Claude Miller


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LA BANDA DEL TRUCIDO (Stelvio Massi/I 1977)


Zitat entfällt.

La Banda Del Trucido (Die Gangster-Akademie) ~ I 1977
Directed By: Stelvio Massi

Verzweifelt versucht der wenig zimperliche Commissario Ghini (Luc Merenda), den schießwütigen und überaus brutalen Gangster Belli (Elio Zamuto) festzunageln. Mithilfe des Erzganoven Sergio "Monnezza" Marazzi (in der deutschen Fassung "Tresi", Tomas Milian), der hinter der Fassade der kleinbürgerlichen Trattoria "Zum Furzgeräusch" seine höchstpersönliche "Gangster-Akademie" aufzieht und sich mit seiner rundlichen Freundin (Nicoletta Piersanti), zugleich Mutter seines Söhnchens, herumärgert, kann Ghini Belli und seine Kumpanen schließlich festnageln.

Der dritte "Monnezza"-Film, diesmal nicht von Lenzi, sondern von Stelvio Massi inszeniert, kann mit den Vorzügen der zweieinhalb Vorgänger nicht ganz konkurrieren. Die Geschichten von Ghini und Monezza werden praktisch "gegeneinander" erzählt und wirken stark episodisch angelegt, eine wirklich flüssig ablaufende Fusion gibt es nicht, so dass "La Banda" einen recht inkonsisten, zerfallenen Eindruck hinterlässt. Bis auf die letzten Minuten, in denen er sich des Mentekels der Kleinganoven-Rache bedient, gleicht Monnezza mehr und mehr seinem Polizisten-Pendant Nico Giraldi. Die meiste Zeit macht er lustige bis dämliche Sprüche und jammert seinem geliebten kleinen Filius, jener freilich noch im Säuglingsalter, von den wesentlichen Nöten des nichtsnutzigen, ehelosen Ganovenvaters vor. Luc Merenda als Ghini gibt derweil den wie üblich betont unkorrupten, eisenharten Bullen, der unnachgiebig seinen Weg verfolgt. Dass die Wege dieser beiden höchst unterschiedlichen Charaktere sich im Laufe der Geschichte zweimal kreuzen, ist obligat, in welchem Rahmen sich dieser inhaltliche "Kniff" jedoch vollzieht, bleibt gewissermaßen streitbar.
Unerwartet gelungen die Synchronisation. Milian wird diesmal von der ungewohnten, rauen Stimme Kurt Goldsteins, im Vergleich zu seinen üblichen Sprechern Randolf Kronberg und Thomas Danneberg mit einem höchst differenten Timbre ausgestattet, übersetzt, die im Kontext des Films jedoch erstaunlich gut funktioniert und dabei unwidersprochene Lebensweisheiten wie die folgene absondern darf: "Es gibt immer zwei Dinge, die nach Fisch riechen. Eins davon ist Fisch."
Tutto sommato vielleicht kein ausgesprochener Höhepunkt des Poliziottesco, aber immer noch ein durchaus brauchbarer Eintrag.

6/10

Rom Stelvio Massi Monnezza Poliziottesco


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IL TRUCIDO E LO SBIRRO (Umberto Lenzi/I 1976)


Zitat entfällt.

Il Trucido E Lo Sbirro (Das Schlitzohr und der Bulle) ~ I 1976
Directed By: Umberto Lenzi

Um ein entführtes, nierenkrankes Mädchen (Susanna Melandri) zu finden, holt sich der kurz vor seiner Versetzung stehende Commissario Sarti (Claudio Cassinelli) den Ganoven Sergio Marazzi, genannt "Monnezza" (in der deutschen Fassung "Makkaroni", Tomas Milian) aus dem Knast. Zusammen mit dem cleveren, wenn auch zunächst widerwilligen Monezza kann Sarti noch ein weiteres Gaunertrio (Biagio Pelligra, Claudio Undari, Giuseppe Castellano) aufreißen, das den beiden bei der Suche behilflich ist. Sarti weiß bereits, dass der gefürchtete Gangster Brescianelli (Henry Silva) hinter der Kidnapping-Affäre steckt, doch dieser hat soeben eines Gesichts-OP hinter sich, die ihn unkenntlich gemacht hat.

Recht harter Poliziottesco, dessen deutscher Titel nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es zuweilen ordentlich zur Sache geht. "Il Trucido E Lo Sbirro" steht am Anfang einer laut der imdb fünfteiligen Serie um den exaltierten römischen Gangster Monnezza (eine von Milians absoluten Paraderollen), dem Lenzi später noch einen halbverrückten Zwillingsbruder andichtete und somit eine Art Crossover zweier von ihm ersonnener Figuren schuf (in "La Banda Del Gobbo"). Die beiden letzteren Filme aus der imdb-Liste scheinen mir allerdings nur peripher die Monnezza-Saga weiterzustricken, doch das nur nebenbei. Ich ließe mich da auch eines Tages sehr gern eines Besseren belehren.
"Il Trucido" jedenfalls ist ein maßgerechter, typisch italienischer Polizeithriller, der mit einigen der obligatorischen Kieferverrenkungen Milians hier und da auch etwas Humor aufbietet, im Großen und Ganzen jedoch der nicht eben unblutigen Tradition seiner Gattung frönt. Von Lenzi auf der Höhe seines Könnens wie üblich versiert und spannungs- und ideenreich inszeniert und mit einem höchst atmosphärischen Score (Bruno Canfora) veredelt ein Film, der rundum hält, was er verspricht und für jeden Freund dieser Kategorie eine Pflichtveranstaltung darstellt.

8/10

Monnezza Umberto Lenzi Rom Poliziottesco Buddy Movie Kidnapping


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HIGH ANXIETY (Mel Brooks/USA 1977)


"Too much bondage. Not enough discipline!"

High Anxiety (Höhenkoller) ~ USA 1977
Directed By: Mel Brooks

Der in Harvard tätige, unter krankhafter Höhenangst leidende Psychiater Dr. Thorndyke (Mel Brooks) übernimmt die Leitung des "Psychoneurotischen Instituts für die sehr, SEHR Nervösen", weil sein Vorgänger urplötzlich das Zeitliche gesegnet hat. Thorndyke kommen einige Dinge in der Klinik ziemlich spanisch vor, besaonders das Personal macht einen nachhaltig verdächtigen Eindruck. Als der Doktor zu einem Symposium nach San Francisco fährt, schließt er die angenehme Bekanntschaft einer netten jungen Dame (Madeline Khan) und die unangenehme Bekanntschaft eines weniger netten Killers (Rudy De Luca), der Thorndyke ausschalten soll.

Wenn auch etwas weniger formvollendet als "Blazing Saddles" und "Young Frankenstein" ist dies doch mein Lieblings-Brooks, da er die Gratwanderung zwischen ehrlich gemeinter Hommage und klamaukiger Verarsche, wie sie in seinen späteren Filmen leider obligat wurde, am meisterlichsten beherrscht. Einige Einstellungen aus den persiflierten Hitchcock-Filmen werden nicht nur originalgetreu nachgestellt, sondern zugleich bezüglich ihres suggestiven Humors bezüglich entlarvt. Natürlich sollte ein Schwarm Vögel, der sich auf einem benachbarten Klettergerüst niederlässt, einen eigentlich weniger um sein nacktes Leben als um die Sauberkeit seiner Textilien fürchten lassen, eine so offensichtliche wie witzige Erkenntnis. Neben "The Birds" knöpft sich Brooks noch vornehmlich "Spellbound", "North By Northwest", "Vertigo" und "Psycho" vor, die ebenso liebevoll wie respektlos durch den Kakao gezogen werden. Besondere Erwähnung verdient die schon in "Young Frankenstein" brillante Cloris Leachman. Sie macht nahezu die halbe Miete dieses brooks'schen Höhenfluges.

9/10

Mel Brooks Parodie Farce San Francisco Psychiatrie Satire


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DER RICHTER UND SEIN HENKER (Maximilian Schell/BRD, I 1975)


"Just one damn year."

Der Richter und sein Henker ~ BRD/I 1975
Directed By: Maximilian Schell

Seit einer vor dreißig Jahren geschlossenen Wette, derzufolge ein Mord vor den Augen eines Polizisten begangen werden könne, ohne gesetzlich gesühnt zu werden, ist der mittlerweile schwer magenkranke Schweizer Kommissar Bärlach (Martin Ritt) hinter seinem Erzfeind (Robert Shaw) her. Jener, ein wahrer Teufel in Menschengestalt, hat mittlerweile die Identität eines einflussreichen Großbürgers namens Gastmann angenommen und verübt seine Verbrechen nun unweit von Bärlachs Heimat Bern. Diesmal scheint Gastmann jedoch einen Fehler gemacht zu haben: Er hat scheinbar Bärlachs jungen Partner Schmied (Donald Sutherland) ermordet. Zusammen mit Schmieds übereifrigem Nachfolger Tschanz (Jon Voight) hängt sich Bärlach an Gastmanns überdeutliche Fährte.

Ein später Sieg des Guten über das ewiglich Böse: Die Verfilmung von Dürrenmatts berühmter Novelle ist ein kleines, matt scheinendes Glanzstück des europäischen Kinos der siebziger Jahre. Von Schell mit einem verhältnismäßig kleinen Budget hergestellt, aber dafür einigen, die trocken-pointierte Sprache des Buchs sogar noch krönenden Regieeinfällen versetzt, gelingt es ihm und dem Autor selbst hervorragend, Dürrenmatts herbstliche, zudem mit einem sehr finsteren Menschenbild kokettierende Atmosphäre zu transponieren. Unter Schells Regie bekommt das Buchpersonal durchweg adäquate Leinwandentsprechungen, von dem Regisseur Ritt über die erlauchte schönheit von Jacqueline Bisset bis hin zu Sutherlands irrwitzigem Anfangs-Cameo als Leiche Schmieds. Und Jon Voight ist als Bösewicht sowieso stets am Besten.

8/10

Maximilian Schell Friedrich Duerrenmatt Schweiz Bern Duell Herbst


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FAMILY PLOT (Alfred Hitchcock/USA 1976)


"If I'm a fink then you're an ungrateful bitch."

Family Plot (Familiengrab) ~ USA 1976
Directed By: Alfred Hitchcock

Zwei kriminelle Pärchen - das eine, Blanche (Barbara Harris) und George (Bruce Dern) zwei liebenswerte Gauner, die sich mit getürkten Hellsehereien über Wasser halten, das andere, Fran (Karen Black) und Edward (William Devane) im großen Stil arbeitende Ganoven, die prominente Persönlichkeiten entführen und sie jeweils gegen wertvolle Diamanten eintauschen. Durch Zufall kreuzen sich die Wege der beiden Paare, als Blanche von der steinreichen, betagten Mrs. Rainbird (Cathleen Nesbitt) den Auftrag annimmt, mittels ihrer "PSI-Fähigkeiten" einen verschollenen Erben ausfindig zu machen. Mittels der detektivischen Fertigkeiten von George stoßen die Zwei bald auf Arthur Adamson, der eigentlich Edward Shoebridge heißt und bei dem es sich just um den gesuchten Kidnapper und nebenbei einen sadistischen Gewaltverbrecher handelt. Blanche bringt sich unversehens in tödliche Gefahr, als sie dem Gefundenen eines Abends die frohe Botschaft seines Erbteils bringen will und Fran und Edward bei einer ihrer Kidnapping-Aktionen überrascht.

Leichtfüßige Unterhaltung, die sich nur schwerlich über den Erfindungsreichtum zeitgenössischer TV-Produktionen hinaushievt. Hitch war zum Drehzeitpunkt um die sechsundsiebzig, dem Weine weniger abgeneigt denn je, Träger eines Herzschrittmachers und hat, wie berichtet wird, seinen Regiestuhl während der Arbeit bestenfalls für PR-Shots verlassen. Die Delegierung der unterschiedlichen Aufgabenbereiche verlief also noch intensiver als gewohnt; umso weniger überraschend das zwar durchaus unterhaltsame, insgesamt jedoch blasse Endergebnis, Hitchcocks letzter Film, der zu allem Überfluss mit einem Zwinkern Richtung Publikum enden muss. Im Nachhiein lässt sich dieser Wink als liebenswerte Abschiedsgeste interpretieren, dem "Vertigo"-Hitchcock von vor zwanzig Jahren wäre so etwas jedoch im Traum nicht vorgekommen. Abgesehen von zwei, drei einfallsreichen crane shots gibt es keine technischen oder stilistischen Extravaganzen und die mörderische Autofahrt in den kalifornischen Bergen ist alles andere als 'up to date'. Harris und Dern müssen vor einer gut erkennbaren Rückprojektion um ihr Leben bangen, was die gesamte Szene nur unwesentlich rasanter erscheinen lässt als eine analoge in "Baretta" oder ähnlichen TV-Serien jener Tage. In "North By Northwest" oder "Notorious" passten die auf dieselbe Weise gestalteten Momente sich seltsamerweise noch untadelig ihrer jeweiligen Textur an, 1976, als New Hollywood die Studios verschlungen hatte und Naturalismus Trumpf war, war sowas jedoch einfach nicht mehr drin. So ist "Family Plot" im Gegensatz zu "Marnie" oder "Topaz" sicherlich sympathisch, zugleich aber ein weiteres Indiz dafür, dass es Legenden manchmal besser steht, eher früh denn spät aus dem Rampenlicht zu treten.

6/10

San Francisco Alfred Hitchcock Kidnapping


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TORN CURTAIN (Alfred Hitchcock/USA 1966)


"They didn't know about Lindt!"

Torn Curtain (Der zerrissene Vorhang) ~ USA 1966
Directed By: Alfred Hitchcock


Der Raketenforscher Professor Armstrong (Paul Newman) reist angeblich nach Skandinavien, um mit Zwischenstopp in Kopenhagen ein wissenschaftliches Symposium in Stockholm zu besuchen. Jedenfalls glaubt das seine Verlobte und Mitarbeiterin Sarah (Julie Andrews). Armstrong entpuppt sich jedoch als Überläufer, der künftig in der DDR für den Ostblock arbeiten will. Doch ist auch dies wiederum nichts als Flunkerei: Tatsächlich lässt sich der Professor als Amateurspion, der eine geheime Formel von einem seiner führenden ostdeutschen Konkurrenten in Erfahrung bringen und in den Westen schmuggeln soll, einsetzen. Die Erleichterung bei Sarah über diese Eröffnug ist groß, die Fluchtschwierigkeiten zurück hinter den Eisernen Vorhang jedoch sind noch umso größer.

Die Luft ist raus, vorläufig zumindest. Unter Verzicht auf drei so bewährte wie treibende Kräfte seines bisherigen Mitarbeiterstabs, nämlich dp Robert Burke und Cutter George Tomasini, die beide kurz hintereinander verstaben, sowie den Komponisten Bernard Herrmann macht sich auch bei Hitch eine akute kreative Nachlässigkeit breit. Nach dem bewusst unter vokabulären Auslassungen stehenden und ironischen "North By Northwest" knöpfte der Meister sich hier erneut das Thema "Kalter Krieg" vor und schubst uns zusammen mit einem tückischen, fast ausschließlich physisch vorhandenen Paul Newman und der nicht minder deplatzierten Trällerdohle Julie Andrews (mit der wir als Suspense-Agentin fast durchweg auf informativer Augenhöhe stehen) in eine halbseidene, und, am schlimmsten, völlig uninteressante Agentengeschichte. Genau wie "North By Northwest" wagt "Torn Curtain" einen Brückenschlag zurück zu Hitchcocks englischer Periode, die ja noch mit Spionage und mysteriösen Formeln angefüllt war, schafft es im Gegensatz zu ersterem jedoch nicht, daraus ein Kunstwerk zu machen, dass auch abseits jedweder Storykonvention schlichtweg hinreißend zu sein vermag. "Torn Curtain" hingegen mutet an wie eine graue Maus im von geschmeidigen Großkatzen regierten Werk des Meisters, in die lediglich die Nebencharaktere Farbe bringen: Wolfgang Kieling als permanent kaugummikauender Stasi-Spitzel mitsamt bitterböser Sterbeszene, dessen Herz insgeheim für Amerika schlägt und der eigentlich liebend gern wieder zurück in seine New Yorker Bude, "Ecke Eighty-Eighth und Eighth", zöge, Ludwig Donath als spinnerter, egomanischer Ost-Wissenschaftler (eine recht liebevolle Reminiszenz an Michael Chekhov in "Spellbound") und vor allem Lila Kedrova als polnische Gräfin, der Hitch (möglicherweise unbewusst) die schönsten und bewegendsten Augenblicke seines Films schenkt. Ohne diese Figuren wäre "Torn Curtain" allerhöchstens eine lahme Fußnote, so bleibt er immerhin lebendiger Zeuge eines späten Scheiterns, einer Demonstration traurigen, aber wahren Anachronismus'. Wenn man sich so lang und intensiv wie ich jetzt mit Hitchcock beschäftigt, tut man gut daran, sich vor Augen zu halten, dass mit Ausnahme des letzten Aufbäumens "Frenzy" nach Hunderten glamouröser und bezaubernder Momente am Ende die schweren Balken des Niedergangs harren. Immerhin habe ich zwei davon schonmal hinter mir.

6/10

Leipzig DDR Kalter Krieg Alfred Hitchcock Dänemark Spionage


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MARNIE (Alfred Hitchcock/USA 1964)


"You Freud, me Jane? "

Marnie ~ USA 1964
Directed By: Alfred Hitchcock

Marnie Edgar (Tippi Hedren) ist eine krankhafte Kleptomanin, die sich immer wieder unter falschen Namen in mittelständische Firmen einschleicht, um dann deren Tresore leerzuräumen. Als sie sich bei der Firma Rutland vorstellt, erkennt sie der Juniorchef Mark (Sean Connery) von einer früheren Begegnung wieder und stellt sie ein - nur, um auf ihren nächsten Coup zu warten und sie dann damit erpressen zu können. Mark weiß nämlich längst um die pathologische Stehlsucht Marnies und ahnt, dass für ihr Zwangsverhalten ein tief verwurzeltes, schreckliches Erlebnis verantwortlich sein muss. Bestimmte Schlüsselreize - Gewitter und die Farbe Rot - lösen zudem bei Marnie heftige Panikattacken aus. Mark zwingt sie, ihn zu heiraten, um ihr auf diese Weise helfen zu können. Der Weg führt schließlich nach Baltimore, zu Marnies Mutter (Louise Latham).

Erneut beschäftigte sich Hitchcock mit der Psychoanalyse und brachte mit "Marnie" eine Art bastardisiertes Konglomerat aus "Spellbound" und "To Catch A Thief" auf die Leinwand. Die beiden Geschichten vermischen sich dergestalt, dass zum einen ein infolge eines Gewalterlebnisses seit der Kindheit tief verwurzelter Schuldkomplex auf seine Aufdeckung und Lösung wartet. Der Patient (hier: die Patientin) hat ebenjenes Schlüsselereignis bis ins Erwachsenenalter hinein erfolgreich verdrängt und gelernt, jede symbolische Erinnerung daran in eine zwanghafte Verhaltensweise abzuführen. Bei Marnie, die sozusagen bis zur Oberkante voller Komplexe steckt, ist die Anzahl an Schlüsselreizen dabei durchaus alles andere als gering - neben den äußeren Faktoren "Rot" und "Gewitter" kommt noch ein irrationaler Männerhass dazu, der umso größer wird, je mehr Marnie sich von einer Person des anderen Geschlechts erotisch angezogen fühlt: Sex bedeutet Schuld. Als weitere Sublimierungsstrategie macht sie dann regelmäßig Ausritte auf ihrem Hengst Forio - da hat Hitch vielleicht etwas dick aufgetragen. Doch ist Marnie nicht die einzige nachhaltig gestörte Person in diesem buchstäblichen Psychoreigen. Zum einen wäre da Mark Rutland, der, ausgestattet mit ultimativem Machismo und als starker maskuliner Gegenpart selbst eine delikate Perversion pflegt. Ihn reizen nämlich offenbar vornehmlich Damen, die psychisch stark angegriffen sind, da er 1.) wie im Falle Marnie eine immense Macht über sie ausüben, sie gewissermaßen 'brechen' kann und 2.) seine geheimen Hobbys Verhaltensforschung und Psychoanalyse sozusagen am lebenden, wenn auch unfreiwilligen Objekt erproben kann. Dass diesem Charakter Hitchcocks unverhohlene Sympathien zufliegen, verrät manches über die Geisteshaltung des alternden Filmemachers. Rutland erpresst, zwingt, nötigt, vergewaltigt. Mit Erfolg! Für die kesse, deutlich attraktivere Lil (Diane Baker) interessiert er sich nicht, der Tropf. Aber warum auch - ist sie doch selbstbewusst und erfrischend aneurotisch! Dann wäre da noch Marnies Mutter, die typische hitchcocksche Matriarchin. Oszillierend zwischen den wenig sympathischen Attributen dominant, kalt, herzlos, krank, verrückt, übermächtig ist sie letzten Endes ein universelles Monster, dessen Liebe sozusagen unerwerblich ist. Man erinnere sich an "Notorious", "Strangers On A Train", "To Catch A Thief", "North By Northwest", "Psycho" und "The Birds", die dieses negative Mutterbild allesamt, wenn auch teilweise ironisch verklärt (Jessie Royce Landis hat das in "To Catch A Thief" und "North By Northwest" jeweils sehr sympathisch besorgt), transportieren. Nun fällt Bernice Edgar kaum in die Kategorie "vorsätzlich böse"; dass sie für ihre verlorene Jugend jedoch ihre Tochter verantwortlich macht, die einst im besten Sinne 'kindgerecht' agierte, macht sie nicht eben liebenswert.
Als stünde ich im Museum vor einem monströsen Fresko und wäre völlig aufgeschmissen: Ich muss hier und jetzt das Geständnis machen, dass "Marnie" mir als einziger Hitchcock-Film nicht nur höchst unsympathisch ist, sondern dass ich ihn gewissermaßen sogar abstoßend finde. Die Gründe dafür liegen allerdings bei mir ganz persönlich und vermutlich irgendwo im verworrenen Höhlendunkel meiner eigenen seelischen Untiefen begraben. Ich verstehe jeden, der den Film als einen Höhepunkt des hitchcock'schen Œuvres erachtet, würde ich ihn eigentlich doch selbst gern mögen. Es mag daran liegen, dass das im Film gezeichnete Weltbild ein ganz furchtbar zynisches und hässliches ist, dem fürderhin fraglos ein gigantischer Lebensfrust zugrunde liegt. Es mag an der fahlen Kälte liegen, mit der sämtliche Figuren, mit Ausnahme der im Gesamtkontext als "bedeutungslos" denunzierten Diane Baker, sich durch die Szenerie schleppen, an der narrativ induzierten Starre. Ich weiß nicht recht. Dabei ist "Marnie" doch formal bestimmt nicht unschön; das total artifiziell wirkende matte painting von Marnies Mutterhaus im Baltimorer Hafenviertel hält sogar eines der ästhetisch ansprechendsten Bilder des gesamten Hitchcock-Werks bereit und der in sepia viragierte Rückblick am Schluss mitsamt Bruce Dern als perversem Matrosen und wieder verwendetem "Vertigo-Zoom" ist nicht minder toll gemacht. Dennoch muss ich mich jedesmal durch diesen Film quälen und zwängen wie durch ein Treibsandmeer und hinterher geht's mir dann regelmäßig richtiggehend mies. Dazu kam, dass ich gestern einen ziemlich üblen Kater hatte. Es wollte sich alles nicht recht fügen, wie meist in Bezug auf "Marnie". Eine Punktwertung werde ich mir infolge tiefer intrapsychischer Grabenkämpfe in diesem Falle ersparen.

Madness Psychiatrie Baltimore Philadelphia Alfred Hitchcock


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VERTIGO (Alfred Hitchcock/USA 1958)


"You shouldn't have been that sentimental..."

Vertigo ~ USA 1958
Directed By: Alfred Hitchcock


Der wegen infolge eines Dienstunfalls unter Akrophobie leidende, vom Dienst retirierte Polizist Scottie Ferguson (James Stewart) wird eines Tages von seinem alten Collegefreund Elster (Tom Helmore) gebeten, dessen Frau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Jene scheint offenbar unter einem sonderbaren, übersinnlichen Familienbann zu stehen: Ihre Großmutter Carlotta hatte sich einst im selben Alter das Leben genommen und nun sieht es aus, als versuche Madeleine, es ihr gleich zu tun. Nachdem Scottie Madeleine einige Zeit lang verfolgt, ihr das Leben gerettet, si dann kennengelernt und sich schließlich in sie verliebt hat, gelingt ihr der Suizid: Sie springt vom Glockenturm eines Klosters. Scottie fällt in einen Schuldkomplex gekoppelt mit tiefen Depressionen, die eines langwierigen Heilungsprozesses bedürfen. Danach findet er in den Straßen der Stadt eine Frau (Kim Novak), die Madeleine bis auf ein paar Details zum Verwechseln ähnlich sieht. Scottie spricht sie an, modelt sie nach und nach um und erkennt dann die Wahrheit...

Die Geschichte einer unerfüllten Nekrophilie. Nach der kantigen Realitätsstudie "The Wrong Man" kam dieser flirrende Fiebertraum "Vertigo", der zu dem direkten Vorgänger auf den zweiten und dritten Blick durchaus manche Analogien aufweist. Auch hier wird ein Protagonist zum Opfer einer schweren, katatonischen Depression infolge falscher Schuldgefühle und auch hier kann die Heilung nur ein Zufallswink der Vorsehung leisten. Auch das Motiv des Katholizismus zieht sich somit weiter fadengleich durch Hitchcocks Werk. Nachdem bereits Vater Logan und Manny Balestrero ihre Dämonen letzten Endes nur mittels ihres jeweils unerschütterlichen Glaubens auszuteiben vermochten, kommt Scottie Ferguson am Ende, als er, seiner Sinne beraubt, schon selbst ein Verbrechen zu begehen droht, eine engelsgleiche Nonne zur "Hilfe": Madeleine, die glaubt, in der Silhouette der Ordensschwester den Rachegeist der ermordeten Madeleine Elster zu erblicken, stolpert in den Unfalltod.
Einer Ellipse gleich hat sich das Schicksal erfüllt; Scottie Ferguson ist erlöst. Überhaupt ist der Film seinem Titel entsprechend bis obenhin angefüllt mit elliptischer Tunnelsymbolik, der das Kino unter anderem den häufig zitierten '"Vertigo"-Zoom' verdankt, im Zuge dessen die Kamera während eines harten Zooms manuell zurückgezogen wird. Auge, Häuserschlucht, Treppenhaus, hochgesteckte Damenfrisur, ja selbst eine Rose - das Tunnelbild findet sich immer wieder. Wunderbar in diesem Zusammenhang die mit Zeichentrickeffekten gestaltete Traumsequenz, die James Stewarts' vorübergehenden Abstieg in den Hades der Psychose einläutet. Überhaupt hat Stewart, mit Ausnahme vielleicht von dem fanatischen bounty hunter Howard Kemp in Anthony Manns "The Naked Spur" niemals sonst einen so ambivalenten Antihelden fernab von seinem üblichen Saubermann-Image spielen dürfen. Trotz härtester Konkurrenz vermutlich Bernard Herrmanns feinster Hitchcock-Score und natürlich der Film, dem ein anderer Meister, Brian De Palma, so ziemlich alles verdankt.
Marvelös.

10/10

Madness Psychiatrie San Francisco Alfred Hitchcock Paraphilie Akrophobie


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THE WRONG MAN (Alfred Hitchcock/USA 1956)


"An innocent man has nothing to fear, remember that."

The Wrong Man (Der falsche Mann) ~ USA 1956
Directed By: Alfred Hitchcock


Der New Yorker Jazzbassist und Familienvater Manny Balestrero (Henry Fonda) wird zu Unrecht verdächtigt, mehrere Raubüberfälle begangen zu haben und in ein langwieriges, zermürbendes Justizverfahren hineingezogen, das er erst ganz an dessen Ende und nur rein zufällig für sich entscheiden kann. Mannys Frau Rose (Vera Miles) hält dem Druck der Ereignisse nicht stand und verfällt in eine schwere Psychose.

Hitchcocks vorletzter Schwarzweiß-Film und seine letzte, sehr aus dem Rahmen der zuvor gefertigten, knallbunten und jeweils mit einigem Humor angereicherten Paramount-Werke fallende Arbeit für Warner. Weder gibt es hier das handelsübliche Regisseurs-Cameo, noch gestattet sich Hitch auch nur die geringste Liebäugelei mit der Irrealis. "The Wrong Man" beinhaltet, ja, ist härtester Realismus. Dies versichert uns der Regisseur zu Beginn des Films auch gleich selbst, als er im Gegenlicht vor das Publikum tritt und es der Authentizität der folgenden Geschichte versichert. Von zwei, drei Ausnahmen abgesehen fehlen nun auch alle visuellen Spielereien. Hitch verlässt sich ganz auf die Intensität seiner Darsteller, zuvorderst des bravourösen Ehepaars Fonda/Miles, das in tiefes, existenzielles Loch fällt und sich nur mit allergrößter Mühe und unter furchtbarsten psychischen Entbehrungen wieder daraus hervorarbeiten kann.
"The Wrong Man" symbolisiert wie kein anderes Werk des Regisseurs seine persönliche, tief verwurzelte, kafkaeske Angst vor staatlicher Übermacht und Willkür sowie die Furcht davor, unschuldig angeklagt und eingesperrt zu werden und nichts dagegen tun zu können. Nicht nur Hitchcocks naturalistischster, sondern neben "I Confess", dem nachfolgenden "Vertigo" und "Psycho" auch sein schwärzester, unerbittlichster Film.

10/10

Madness New York Alfred Hitchcock





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