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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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HEART OF DARKNESS (Nicolas Roeg/USA 1993)


“The mind of man is capable of anything - because everything is in it, all the past as well as the future.”

Heart Of Darkness (Herz der Finsternis) ~ USA 1993
Directed By: Nicolas Roeg

Der Seemann Marlow (Tim Roth) erhält von einer belgischen Handelsgesellschaft den Auftrag, den Kongo mit einem Flußdampfer hinaufzufahren, um sich von einer abgeschnittenen Außenstation mitten im Dschungel ein Bild zu machen. Dort haust der einst als besonders efektiv und versiert bekannte Kurtz (John Malkovich), der jedoch bereits seit Monaten keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat. Permanent flankiert von drohenden Eingeborenen in Ufernähe schippert Marlow über den immer träger fließenden Fluss bis hin zu Kurtz' Handelsposten. Dort bietet sich ihm ein Bild des Wahnsinns: Der an Sumpffieber erkrankte Kurtz hat ein Mini-Königreich mit sich selbst als Despoten errichtet, einen Kriegerstamm um sich geschart und spricht dort offensichtlich Recht und Gewalt, wie es ihm gerade passt. Marlow begreift, dass Kurtz infolge seiner Krankheit und Zivilisationsferne den Verstand verloren hat.

Atmosphärisch intensive, werkegetreue Adaption von Joseph Conrads epochaler Novelle, die eine wunderbare, zeitgenössische Kolonialismuskritik hervorbrachte, indem sie - mit Marlow als ebenso unbedarftem wie philosophischem Sprachrohr - die Okkupationsversuche hinsichtlich mancher Teile der Welt für ideell grundsätzlich probat erklärt, ihre letztendliche Realisierung jedoch als in jedem Falle zum Scheitern verurteilt denunziert. "Heart Of Darkness" ist ein symbolisches Werk: Es beschreibt, wie abendländische Arroganz angesicht völlig diametraler Lebensumstände an ihre Wahrnehmungs- und Verstandesgrenzen geführt wird. Für Kurtz, einen intellekektuellen Ökonomen, endet seine anfängliche Faszination für die archaische Ursprünglichkeit, der er im Kongo angesichtig wird, schließlich und zwangsläufig in Depression, Irrsinn und Tod.
Dass Roeg mit "Heart Of Darkness", einem wirklich großartigen, hoffnungslos unterschätzten Werk mit zwei brillanten Hauptdarstellern, eine TV-Produktion realisierte, merkt man dem Film in keiner Weise an. Im diskursiven Gefolge von "Castaway" konfrontiert er erneut prahlerische Zivilisationsmanie mit der fauligen Illusion ihrer universellen Allmacht. Gewinner bleibt die Erde. Roeg konnte seinen visionären, zuweilen verschrobenen wirkenden Inszenierungsstil in "Heart Of Darkness" voll zur Geltung bringen und seinem Œuvre einen weiteren schillernden Eintrag hinzusetzen.

9/10

Nicolas Roeg Joseph Conrad Afrika Kongo period piece Kolonialismus TV-Film


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ET MOURIR DE PLAISIR (Roger Vadim/F, I 1960)


Zitat entfällt.

Et Mourir De Plaisir (...und vor Lust zu sterben) ~ F/I 1960
Directed By: Roger Vadim

Die junge Carmilla von Karnstein (Annette Vadim) kommt zur Verlobungsfeier ihres Cousins Leopoldo (Mel Ferrer) und dessen Braut Georgia (Elsa Martinelli) auf den alten Familiensitz in der Nähe von Rom. Carmilla hat die alte Kindheitsromanze mit Leopoldo nie ganz vergessen können. Als während der Verlobungsfeier ein Feuerwerk von der hochgelegenen Familiengruft aus gezündet wird, explodiert eine alte Kriegsbombe und legt die Katakomben frei, in denen die Gebeine der Gräfin Mircalla von Karnstein liegen, die vor rund dreihundert Jahren hier gelebt hat und der man nachsagt, eine Vampirin gewesen zu sein. Ein somnambuler Spaziergang führt Carmilla in die Gruft und sie kommt verändert wieder hinaus. Sie wird Leopoldo und Georgia gegenüber noch unzugänglicher als ohnehin schon und bald gibt es mit dem Hausmädchen Lisa (Gabriella Farinon) eine Tote.

Vor der "Karnstein"-Trilogie der Hammer nahm sich bereits Roger Vadim Le Fanus Novelle um die Vampirin Carmilla/Mircalla an, die weibliches Blut als Lebenselixier bevorzugt. Noch deutlich poetischer als die spätere Adaption legt Vadim seinen Film wie viele seiner Arbeiten als Geschenk für seine gegenwärtige, schöne Gespielin an, in diesem Falle die Dänin Annette Strøyberg, mit der der Regisseur zwei Jahre verheiratet war, bevor sie dann von Catherine Deneuve abgelöst wurde. Vadim versetzt den Plot in die Gegenwart und überlässt zumindest ansätzlich dem Publikum die Entscheidung, ob es der darbende Geist der lange verstorbenen Mircalla ist, der von Carmilla (und später Georgia) Besitz ergreift, oder ob Carmilla ein Opfer ihrer unerfüllten erotischen Sehnsüchte geworden ist. Allerdings sprechen einige Wahrnehmungen seitens der Kamera - Pferde scheuen plötzlich vor der einstmals versierten Reiterin Carmilla, Rosen verwelken nach wenigen Sekunden in ihrer Hand - für ersteres. Diese Gratwanderung, die Unvereinbarkeit zwischen altehrwürdiger Spiritualität und streng akademischer Moderne, bestimmt den Geist von Vadims oberflächlich etwas naivem Werk, das jedoch von einer ausgesprochenen visuellen Schönheit getragen ist.

8/10

Roger Vadim Sheridan Le Fanu Italien Vampire


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CONFESSIONS OF AN OPIUM EATER (Albert Zugsmith/USA 1962)


"Here was the secret of happiness, about which philosophers had disputed for so many ages, at once discovered..."

Confessions Of An Opium Eater (Bekenntnisse eines Opiumsüchtigen) ~ USA 1962
Directed By: Albert Zugsmith

Der Abenteurer Gilbert De Quincey (Vincent Price) kommt nach San Francisco, wo er in Chinatown in die Machenschaften einer Tong-Chefin (Linda Ho) gerät, die eine Versteigerung orientalischer Sklavinnen für wohlhabende Geschätsleute plant.

Nach De Quinceys berühmter Novelle entstand dieses durchaus als waghalsig zu bezeichnende trip movie, eine frühe, poetische Vorwegnahme von "Big Trouble In Little China", die im vorgeblichen Gewand eines wilden kleinen Exploiters den schon damals nicht mehr ganz jungen Vincent Price als schwarzgewandeten Seemann zeigt, der im Bannkreis zwischen Opiumpfeife, Baudelaire und kreischenden Mädchen die Kastanien aus dem Feuer holen muss. Price als Actionheld; das mutet bereits als Idee paradox an und in der Tat dürfte er im Zuge der meisten entsprechenden Szenen, die ihn bei Kletteraktionen oder beim Sprung von irgendwelchen Dächern zeigen, gedoubelt worden sein. Zwar ist der Protagonist nur einmal während des Films wirklich direkt berauscht, dennoch gehorcht die gesamte Narration einer seltsamen Traumlogik. Mit dem Eintritt in das fernab der Hauptstraßen liegende Chinatown erhält man zugleich das Visum für eine Parallelwelt, in dem abendländische Wertmaßstäbe passé sind. Passend dazu ist Prices best buddy eine zwergenwüchsige Chinesin (Yvonne Moray). In einer Mischung aus lustvoller Zeigefreudigkeit und kulturellem Respekt springt Zugsmiths Film mitten hinein in dieses räucherstäbchen- und qin-geschwängerte Exotik-El-Dorado und findet am Ende auch ganz bewusst nicht mehr heraus: what happens in Chinatown, stays in Chinatown.

7/10

Albert Zugsmith San Francisco Chinatown Drogen Opium Tongs Thomas De Quincey


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TRANCE (Danny Boyle/UK 2013)


"The memory cannot be destroyed."

Trance ~ UK 2013
Directed By: Danny Boyle

Der bei einem Auktionshaus beschäftigte Simon (James McAvoy) hilft dem Ganoven Franck (Vincent Cassel) und seiner Gang, einen wertvollen Goya zu stehlen, versteckt ihn jedoch im allgemeinen Aufruhr und leidet hernach an einer durch einen Gewehrkolbenschlag hervorgerufenen Amnesie. Das Gemälde bleibt verschwunden. Um dessen Versteck zu enthüllen, soll Simon sich einer Hypnotherapie unterziehen. Er selbst wählt die Therapeutin Elizabeth (Rosario Dawson) aus, sein Gedächtnis zu ordnen, verrliebt sich jedoch nach kurzer Zeit in sie. Damit beginnt ein für alle Beteiligten zunehmend gefährliches Vexierspiel, in dessen Unordnung Simon sich bald nicht mehr auskennt.

In seiner bewährt aufwändigen, undurchdringlich-collagenhaften Form widmet sich Danny Boyle zum ersten Mal seit seinem Debüt wieder einer originär kriminalistischen Geschichte, die, ähnlich wie das "Shallow Grave" im Laufe ihrer Entwicklung enthüllt, zu welchen Verworfenheiten gierige und besitzergreifende Zeitgenossen fähig sind und die die meisten ihrer Mitspieler als bestialische Moralhuren denunziert. Schön. Da Boyle, zumindest was mich anbelangt, eine trotz der wesentlichen Boshaftigkeit seiner Geschichte flächige, entspannte Betrachtung begünstigt, mag ich seine Filme ohnehin stets sehr. Ich kann mir vorstellen, dass der bei der Erstbeschau zwangsläufig recht konzentrationsintensive, inhaltliche Aspekt sich bei Wiederholungen wesentlich geschmeidiger ausnimmt und in den Hintergrund tritt, woraufhin die audiovisuellen Vorzüge von "Trance", der einmal mehr von seiner prachtvollen Einfärbung in Verbindung mit sphärischen Klängen lebt, deutlich entspannter zu genießen sein werden. Hat mir gut gefallen.

8/10

Danny Boyle Hypnose Heist London Psychiatrie


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THE STEPFORD WIVES (Bryan Forbes/USA 1975)


"Well, that's why we're moving to Stepford."

The Stepford Wives (Die Frauen von Stepford) ~ USA 1975
Directed By: Bryan Forbes

Die Familie Eberhart zieht vom lauten, schmutzigen New York in das upstate gelegene, scheinbar beschauliche Kleinstädtchen Stepford. Die emanzipierte Ehefrau und Mutter Joanna (Katharine Ross) fühlt sich dort alles andere als wohl: Die in Stepford vorherrschenden Strukturen sind streng patriarchalisch geprägt; die Männer verdienen allesamt gutes Geld als hochgestellte Technikingenieure und Manager, derweil die Frauen ihre beschränkten Rollen als emsige Hausmütterchen auch noch mit großer Zufriedenheit ausfüllen. In der resoluten Bobbie Markowe (Paula Prentiss) findet Joanna eine gute Freundin und Gesinnungsgenossin, doch die Versuche der beiden Frauen, andere Geschlechtsgenossinnen mit sich zu ziehen und zu mehr Selbstbewusstsein zu führen scheitern an deren stumpfer Apathie. Als sich nach einem vorgeblichen Wochende außerhalb schließlich auch die vormals lustige Bobbie in eine biedere Hausfrau verwandelt hat, sieht Joanna ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden: Die Frauen von Stepford sind nicht sie selbst...

Brillante Levin-Verfilmung, die sich die Invasions- und Indoktrinationsfilme der Fünfziger zum Vorbild nimmt, in denen immer mehr Menschen aus der kleinstädtischen Nachbarschaft durch Substitute ersetzt werden und sich urplötzlich allesamt emotional neutralisiert und gleichförmig zu benehmen beginnen, man denke an "Invaders From Mars", "It Came From Outer Space" oder "Invasion Of The Body Snatchers". Die damals subtil vorgetragene, westliche Paranoia bezüglich einer kommunistischen Unterwanderung konkretisiert und modernisiert "The Stepford Wives" in einer klugen Feminismus-Satire. In Stepford, einer verbalen Verballhornung des Industrieslogangs "a step forward", gehen die Männer einen reaktionären Pakt ein: Um die Frauen zu bekommen, die sie wollen - unterwürfig, unkompliziert, ein bisschen dumm, kinderlieb, häuslich, treu, arbeitsam, sauber und besonders ins sexueller Hinsicht nicht nur angepasst, sondern stets aufopferungsvoll, lassen sie sie durch äußerlich identische Androiden ersetzen. Hauptkonstrukteur dieser permanent lächelnden, seelenlosen Armee braver Hausmütterlein ist der ehemalige Disneyland-Techniker Dale Coba (Patrick O'Neal), ein offen misogyner Mann, der die Geschlechterrollen gern um ein Jahrtausend zurückgedreht wüsste. Feminine Mündigkeit ist für ihn wie für seine männlichen Mitbewohner ein unmögliches Paradoxon, also tut er etwas dagegen. Zwar sind seine Geschöpfe technisch nicht immer ganz ausgereift; kleine Verletzungen etwa bringen ihre Schaltkreise durcheinander, doch solche Störungen lassen sich beheben. Anders als zum Beispiel eine handfeste Ehekrise oder gar Scheidung. Dass die Geschichte am Ende den Mut zur Konsequenz besitzt, zeichnet sie nur umso mehr aus.

10/10

Bryan Forbes Familie Feminismus Kleinstadt Androiden Misogynie Satire Ira Levin Dystopie mad scientist


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SUGAR HILL (Paul Maslansky/USA 1974)


"My particular special, a drink that I'm famous for... the Zombie!"

Sugar Hill (Die schwarzen Zombies von Sugar Hill) ~ USA 1974
Directed By: Paul Maslansky

Als ihr Freund, der Nachtclubbesitzer Langston (Larry Don Johnson) zu Tode geprügelt wird, weil er seinen Laden nicht verkaufen will, sinnt Langstons Freundin Sugar Hill (Marki Bey) auf Rache. In den Bayous sucht sie die alte Voodoopriesterin Mama Maitresse (Zara Cully) auf. Diese wiederum führt Sugar zu Baron Samedi (Don Pedro Colley), dem Herrn der Untoten. Mit seiner aus ehemaligen Sklaven bestehenden Zombie-Armee erledigt Samedi die Drecksarbeit für Sugar: Sämtliche von Langstons Mördern inklusive dem Auftraggeber Morgan (Robert Quarry) sterben eines grausamen Todes...

Angereichert mit deutlich selbstironischen Subtönen striff die AIP, bekanntermaßen das Hausstudio für bodenständige Blaxploitation, mit "Sugar Hill" endlich auch das bis dato sträflich vernachlässigte Voodoo-/Zombie-Genre. Nachdem William Marshall bereits in zwei Filmen den "Blacula" gegeben hatte, trat nun der formidable Don Pedro Colley als Baron Samedi auf den Plan, den weißen Rassistenabschaum ins Jenseits zu befördern. Erst ein Jahr zuvor war Baron Samedi als Sidekick des Bösewichts im Bond-Film "Live And Let Die" aufgetreten; für "Sugar Hill" wurde die Figur nochmal deutlich bedeutungsschwangerer umgeschrieben. Sogar die unvergessliche Szene mit dem Sarg voller Schlangen wärmte Maslansky nochmal auf. Mit Robert Quarry, vormalig als "Count Yorga" unterwegs, warf "Sugar Hill" darüberhinaus sogar noch einen kleinen Hausstar ins Rennen. Marki Bey ist trotz schöner Kurven allerdings keine Pam Grier und der sichtlich billige, in visueller Hinsicht zudem leider völlig harmlose Film insgesamt auch nicht ganz der Schlager, der er hätte sein mögen.

5/10

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CHRONICLE (Josh Trank/USA 2012)


"There's something wrong with Andrew."

Chronicle ~ USA 2012
Directed By: Josh Trank

Drei High-School-Kids, der introvertierte Amateurfilmer Andrew (Dane DeHaan), sein selbstbewusster Cousin Matt (Alex Russell) und der allseits beliebte Footballer Steve (Michael B. Jordan), stoßen im Wald auf ein abgestürztes außerirdisches Artefakt, mit dem sie unvorsichtigerweise Tuchfühlung aufnehmen. Schon am nächsten Tag zeigen sich die ersten Einflüsse des Himmelskörpers: Alle drei Jungen verfügen urplötzlich über telekinetische Fähigkeiten und können Dinge per Gedankenkraft bewegen. Andrew, dem sich besonders Steven nun brüderlich verbunden fühlt, blüht regelrecht auf und tankt durch seine neue Gabe Unmengen an oberflächlichem Selbstbewusstsein. Doch selbst seine sich weiterentwickelnden Fähigkeiten können seine tief verwurzelte Unsicherheit und seine familiären Probleme nicht wettmachen. Nach einigen unerfreulichen Wendungen, denen unter anderem Steve zum Opfer fällt, zieht sich Andrew noch mehr in sich zurück als früher, derweil seine Kräfte immer stärker werden. Schließlich wendet er sich der offenen Kriminalität zu. Als Andrew Amok zu laufen beginnt, kann nur noch Matt ihn aufhalten...

Eine im Grunde archetypische Superheldengeschichte im Gewand des 'embedded filming', wobei speziell diese formale Entscheidung sicherlich streitbar, weil inhaltlich kaum bis gar nicht zu rechtfertigen ist. Zu "Chronicle" gibt es, wie bereits zu "Defendor" und "Super" keine Comic-Vorlage. Die Story basiert auf einem Originalscript von John Landis' Sohn Max, der sich allerdings als überaus materienfirm erweist, speziell im Hinblick auf die moderne Mythologie der multiplen Superheldenkosmen. Im Prinzip kann man sich "Chronicle" bei Nichtkenntnis vorstellen wie eine leidlich weniger existenzphilosophische, juvenilere und pompösere Version von Shyamalans wundervollem "Unbreakable"; am Ende läuft hier wie dort alles auf das universelle Yin/Yang hinaus. Die Welt, so die mehr oder weniger berugigende Kernaussage, benötigt diametrale Größen, um im Gleichgewicht bleiben zu können. Doch bewegt "Chronicle" sich hypothetisch über die klassische Superhelden-Origin hinweg, indem er sich dem Diskurs widmet, welchen Weg ein psychisch schwer lädierter, urplötzlich mit Superkräften gesegneter Junge einschlagen würde, der seine gesamte Umwelt praktisch zeitlebens als quälend und repressiv wahrgenommen hat. Während etwa Peter Parker oder Clark Kent dereinst zwar von pubertären Problemen gebeutelte, junge Männer waren, konnten sie sich doch zumindest auf ein halbwegs stabiles soziales Umfeld stützen und waren somit quasi "Helden aus der Wiege". Andrew Detmer indes avanciert zur fleischgewordenen Nemesis der Menschheit. Auch das ist nicht neu, "Carrie" beispielsweise zeichnete eine nahezu identische Entwicklungsgeschichte nach, bloß eben in Ermangelung des symbolisch gülden gerüsteten Ritters, dessen eigener, schmerzlicher Existenzauftrag am Ende darin liegt, seinen vormals geliebten, bösen Antagonisten unter Aufwendung aller Mittel aufzuhalten.
Als kostümfreie Variante für Superhelden(film)liebhaber sicherlich Pflichtprogramm.

8/10

Josh Trank Max Landis Seattle Superhelden Freundschaft Madness embedded filming


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GRAVEYARD SHIFT (Ralph S. Singleton/USA 1990)


"Another lesson necessary?"

Graveyard Shift (Nachtschicht) ~ USA 1990
Directed By: Ralph S. Singleton

Der Tramp John Hall (David Andrews) kommt in eine Kleinstadt, deren Bewohner fast durchweg von der Arbeit in einer ortsansässigen, von dem patriarchalisch auftretenden Mr. Warwick (Stephen Macht) geleiteten Baumwollspinnerei leben. Besonders unbeliebt ist die Nachtschicht, während der die heiß laufende Hauptmaschine bedient werden muss. Für diese wird John zunächst angestellt und macht sogleich Bekanntschaft mit der Unzahl der die unterirdischen Tunnel bewohnenden Ratten, mit denen selbst ein eigens angestellter Kammerjäger (Brad Dourif) nicht fertig wird. Um Kosten zu sparen, lässt Warwick einige seiner Leute, darunter auch John, während der Urlaubswoche um den 4. Juli zur Grundreinigung antreten. Dabei stößt man nicht nur auf die unliebsamen Ratten, sondern auch noch auf etwas ungleich Größeres...

Im Zuge des Adaptionswahns king'scher Literatur erblickte auch seine früh entstandene Kurzgeschichte "Graveyard Shift" ihre eigenwillige Leinwandgeburt, allerdings unter einiger Kritik des Autors, der sich in Singletons Werk - seinem einzigen fürs Kino - par tout nicht wiederfinden mochte. Gut, der Film hat seine Ecken und Kanten; so wird niemals gänzlich ersichtlich, welche Kenntnis der mysteriöse Warwick wirklich über die Vorgänge unterhalb seines Werks besitzt; ob er um die dort hausende, monströse Kreatur weiß, ihr vielleicht sogar bewusst Opfer zuschanzt, oder ob er doch bloß ein heimlicher Antiheld ist. Ähnliches betrifft die völlig unausgearbeitete Figur des John Hall, offenbar ein Mann "mit Vergangenheit" - nur mit welcher, das erfährt man nicht. Bleiben schließlich ein paar hübsche Matschszenen sowie das leider nur in Teilen sichtbare, in diesen Teilen aber tolle Monster, ein übermannshoher, schleimiger Hybrid aus Ghoul, Ratte und Fledermaus mitsamt Flügeln, Krallen und Schwanz, grausligem Geschrei und unersättlichem Appetit. Dieser Bursche reißt natürlich einiges wieder raus.
Die deutsch synchronisierte Fassung ist insofern lohnenswert, als dass Stephen Macht, der in seiner Rolle als Warwick exakt wie Christian Brückner aussieht und darüberhinaus klugerweise auch dessen wunderbar sonores Organ spendiert bekam. Macht Laune.

6/10

Ralph S. Singleton Monster Ratten Fabrik Stephen King Maine


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KILL LIST (Ben Wheatley/UK 2011)


"Thank you."

Kill List ~ UK 2011
Directed By: Ben Wheatley

Der schwer traumatisierte Irakkriegsveteran Jay (Neil Maskell) arbeitet mittlerweile als Auftragskiller, hat jedoch seit acht Monaten, nachdem es bei seinem letzten Job in der Ukraine zu einem Eklat kam, keine Mission mehr durchgeführt. Seine Ehe kriselt heftigst. Da offeriert ihm Gal (Michael Smiley), sein bester Freund und Kompagnon, neben einer neuen Lebenspartnerin (Ema Fryer) auch einen neuen Autraggeber (Struan Rodger). Von diesem erhalten Jay und Gal eine drei Namen umfassende Tötungsliste. Bei ihren potenziellen Opfern handelt es sich um einen Priester, einen Bibliothekar und einen Abgeordneten. Schon der zu besiegelnde Vertrag wird auf höchst ungewöhnliche Weise aufgesetzt. Während Jay sich mehr und mehr in unkontrollierbare Raserei steigert und bereits beim zweiten Auftrag ein Massaker verursacht, wird Gal die Sache zunehmend unheimlich. Zu Recht, denn als sie sich auf die Lauer legen, um den Politiker auszuschalten, nehmen die Dinge eine höchst unerwartete Wendung.

Ob Ben Wheatley und seine Co-Autorin Amy Jump bevor sie die Arbeit an "Kill List" aufnahmen, möglicherweise Ti Wests "House Of The Devil" oder Spasojevics "Srpski Film" gesehen haben und/oder sich von diesen (teil-)beeinflussen ließen, lässt sich meinethalben nur mutmaßen, liegt aber zumindest nahe. Denn natürlich gibt es zweifelsohne unübersehbare Parallelen zwischen den drei Werken, die sich bis tief in ihre jeweilige, perfide Auflösung hinein, recht stark ännähern. Auch wartet "Kill List" mit einigen recht harschen Momenten auf, die mich infolge ihrer kalkulierten Unmittelbarkeit durchaus mitnahmen. Wo etwa "Srpski Film" eine böse Satire bezüglich der jungen Ostöffnung und der Möglichkeiten einer durch den Neokapitalismus offerierten Kriminalität darstellt, nimmt "Kill List" in ähnlich übersteigerter Form das westliche Engagement in Krisenherden und deren Folgen für das Individuum aufs Korn. Der Krieg, so sein finales Statement, legt das ultimativ Böse aus dem Inneren seinen Protagonisten frei und bringt somit wahre Bestien hervor, die ihren rechten Platz zugewiesen bekommen. Formal und erzählerisch brillant strukturiert, legt Wheatley mit "Kill List" nichts Geringeres vor als eine qualitativ nahezu ebenbürtige zeitgenössische Variation von "Rosemary's Baby" und "The Wicker Man", die er beide wiederum sicher nicht von ungefähr zitiert.

9/10

Ben Wheatley Satanismus Profikiller England Freundschaft Ehe Familie Transgression Terrorfilm Paganismus


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SINISTER (Scott Derrickson/USA, UK 2012)


"Don't worry, daddy. I'll make you famous again."

Sinister ~ USA/UK 2012
Directed By: Scott Derrickson

Sein nächstes Buch soll ein Riesenhit werden: Der finanziell darbende Autor Ellison Oswalt (Ethan Hawke) hat sich auf investigative Sensationsschreiberei spezialisiert und veröffentlicht nurmehr Werke über Gewaltverbrechen, deren Aufklärung durch schlampige Ermittlungen seitens der Polizei verhindert wurden. Oswalts neuestes Projekt befasst sich mit dem Massenmord an einer Familie, von denen vier Mitglieder im Garten erhängt wurden und deren jüngste Tochter verschwunden ist. Zusamen mit seiner nichtsahnenden Frau (Juliet Rylance) und ihren beiden Kindern (Clare Foley, Michael Hall D'Addario) bezieht Ellison das Haus der betreffenden Familie und findet umgehend auf dem Dachboden einen Karton mit alten Super-8-Filmen samt Projektor. Die Filme, denen sich Ellison in einer Mischung aus Faszination und Schockierung widmet, zeigen jenen letzten Gewaltakt sowie weitere, teils über vierzig Jahre zurück liegende Massenmorde an Familien, aufgenommen jeweils aus der Täterperspektive. Bald stellt Ellison zwingende Zusammenhänge zwischen den Fällen her, deren Spur schließlich in eine eindeutige Richtung weist...

Überaus ansprechender Gruselfilm, der nachhaltig demonstriert, das selbst ein vergleichsweise wenig innovativer Grundplot ansprechend aufbereitet werden kann, wenn das dazugehörige Werk sich Lärm und Aufregung versagt und sich stattdessen stilvoll und konzentriert, um nicht zu sagen: klassisch ausnimmt. Derrickson, dessen "Exorcism Of Emily Rose" ich eher im negativen Wortsinne enervierend fand, legt mit "Sinister" einen der vorzüglichsten Spuk- und Geisterfilme der letzten Jahre vor, indem er ein kleines, persönliches, aber umso funktionaleres Regelwerk befolgt: Er hält sich einerseits an inhaltliche Grundstandards, die nicht zwingend den Pfaden der Logik folgen, sich aber dafür als höchst effektiv erweisen. Es gibt kaum graphische Gewaltelemente, keine Shuttereffekte oder ähnliche moderne Geisterbahnmechanismen; vielmehr bezieht "Sinister" sehr viel an innerer Spannung aus der Unklarheit über den Geisteszustand des Protagonisten: Wird dieser sukzessive brüchig oder handelt es sich tatsächlich um die immer wieder suggerierten Täter? Und spielen paranormale Phänomene überhaupt eine Rolle? Diese rezeptionelle Unsicherheit treibt Derrickson geschickt bis auf die Spitze und erzielt so ein Maximum an Wirkung, das zwar am Ende einer gewissen Formelverhaftung erliegt, jedoch erfolgreich nachwirkt. Erfreulich, dass gegenwärtig produziertes Genrekino noch einen solchen Mut zur Hinwendung zu traditioneller Form beweist.

8/10

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