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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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A PRAYER FOR THE DYING (Mike Hodges/UK 1987)


"There's no reason for killing or dying anymore."

A Prayer For The Dying (Auf den Schwingen des Todes) ~ UK 1987
Directed By: Mike Hodges

Nachdem bei einem seiner Anschläge ein vollbesetzter Schulbus statt des ursprünglich anvisierten Militärkonvois explodierte, ist der vormalige IRA-Profikiller Martin Fallon (Mickey Rourke) auf der Flucht vor seinen vormaligen Gesinnungsgenossen (Liam Neeson, Alison Doody). In London nötigt der Gangsterboss Meehan (Alan Bates) Fallon dazu, als Finaljob einen seiner Konkurrenten auszuschalten. Doch Vater Da Costa (Bob Hoskins) wird zufällig Zeuge des Auftragsmords. Um seine polizeiliche Aussage zu verhindern und ihn nicht auch noch töten zu müssen, lässt Fallon sich von dem Geistlichen die Beichte abnehmen. Für Meehan reicht diese "Sicherheit" jedoch nicht aus.

Nicht ganz das, was er hätte sein können, bleibt "A Prayer For The Dying" trotz seiner denkbar guten Voraussetzungen an der Oberfläche haften. Ungeachtet des emotional betrachtet grundsätzlich durchaus intensiven, involvierenden Themas gelingt es Hodges nicht, den schweren Gewissenskonflikt Martin Fallons wirklich transparent werden zu lassen. Insbesondere die filmische Einführung seiner Figur ist dafür verantwortlich: Gleich zu Beginn des Films lernt man den Protagonisten als verzweifelten, fragilen Angstpatienten kennen, nicht jedoch als den gefürchteten, dutzendfachen Killer, als der er im weiteren Verlauf des Films immer wieder beschrieben wird. Umso brüchiger der vorgestellte Schuld-/Sühne-Komplex. Martin Fallon, von Mickey Rourke in seiner ihm damals typischen Art des stets situativ Überlegenen interpretiert, will sich nie ganz in seine Präambel als dreidimensionale Figur einfügen. Den wesentlich dankbareren, weil greifbareren Part hat Bob Hoskins erhalten, zu dieser Zeit ohnehin einer der vorrangigen britischen Darsteller. Seine Interpretation des vormaligen Killers von staatlicher Legitimation, der den "Absprung" nur durch seine Hinwendung zur Geistlichkeit bewältigen konnte, verleiht "A Prayer For The Dying" erst seinen rechten Glanz.

7/10

Mike Hodges Irland London IRA Terrorismus Kirche Jack Higgins


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FOXY BROWN (Jack Hill/USA 1974)


"I don't know... vigilante justice?" - "It's as American as apple pie."

Foxy Brown ~ USA 1974
Directed By: Jack Hill

Für Foxy Brown (Pam Grier) gibt es nur noch eines: Vergeltung. Nachdem Foxys nutzloser Bruder Link (Antonio Fargas) ihren Lover Michael (Terry Carter), der sich just als vormaliger Uncercover-Cop zur Ruhe setzen wollte, an die Gangsterchefin Katherine Wall (Kathryn Loder) verpfiffen hat, wird Michael auf offener Straße hingerichtet. Als Prostituierte getarnt, infiltriert Foxy die sauberen Kreise der Miss Wall und räumt nach ersten Rückschlägen gnadenlos alles beiseite, was sich ihr in den Weg stellt.

Ein grandioser Blaxploiter mit allem, was dazu gehört und vielleicht noch ein wenig mehr. "Foxy Brown" erfüllt nicht bloß Klischees, er kreiert sie auf denkbar aktive Weise mit; etwa unter Aufwändung des treibendenm pseudo-feministischen Elements der schwarzen Superfrau, die sich einer geschmeidigen, sexuell unersättlichen und tödlichen Pantherkatze gleich durch die Reihen ihrer zumeist weißen Widersacher bewegt und unvermittelt zuschlägt. Man lernt zudem viel über das intraethnische geschlechtliche Selbstverständnis dieser Zeit, das eine selbstbestimmte Frauenfigur im Prinzip auch nur solange zuließ, wie diese sich an die virilen Bettqualitäten eines männlichen Gegenparts klammerte: in einer vielsagenden Szene räumt Foxy in einer Lesbenspelunke auf und bearbeitet die verachtenswerten Mannsweiber mit Barhockern. Soviel zum Thema Emanzipation. Später werden ihre Gegner zuvorderst erschossen, jedoch auch auf exotischere Arten liquidiert: Zwei werden verbrannt, einer von einem Frontpropeller zerfetzt. Die Hauptgegnerin allerdings bleibt, unter Foxys denkbar größtmöglicher Erniedrigungsstrategie, am Leben, nachdem sie Foxys Mitbringsel inspiziert hat: Die abgeschnittenen Genitalien ihres Liebhabers (Peter Brown). 'Quid pro quo', allerdings mit etwas mehr 'quid' als nötig.
Pam Grier ist wie gemacht für diese Art niederträchtigen Racheengel-Spektakulums, das zeigt sich besonders anhand des großartigen Kleinods "Foxy Brown". I love it.

8/10

Jack Hill Blaxploitation Exploitation Los Angeles Rache Prostitution Drogen Heroin


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T-MEN (Anthony Mann/USA 1947)


"These are the six fingers of the Treasury Department fist. And that fist hits fair, but hard."

T-Men (Geheimagent T) ~ USA 1947
Directed By: Anthony Mann

Um einen landesweit operierenden Falschmünzerring dingfest zu machen, schickt das Schatzamt die zwei Agenten O'Brien (Dennis O'Keefe) und Genaro (Alfred Ryder) undercover ins Feld. Geschickt schleichen sie sich in die Reihen der misstrauischen Kriminellen ein, deren Hauptsitz in Los Angeles liegt. Schließlich fliegt Genaros Tarnung auf und er wird erschossen. Für O'Brien ein persönlicher Grund mehr, die Sache zum Abschluss zu bringen.

Mit dokumentarischer Genaugkeit ohne Vernachlässigung der atmosphärischen Sujet-Qualitäten ging Anthony Mann für "T-Men" zu Werke. Unterhaltungsfilme, die zur damaligen Zeit Exekutiv-Organisation wie das FBI oder in diesem Falle das Schatzamt zum Thema hatten, stellten zugleich allerdings auch immer ein Stück PR-Arbeit für die entsprechende Institution dar. Im Prolog von "T-Men" hält der echte Schatzbeamte Elmer Lincoln Irey eine trockene Einführungsrede über die unnachgiebige, heroische Arbeit seiner Kollegen, derweil sich der Film im weiteren Verlauf narrativ an den regelmäßigen Kommentaren eines Off-Sprechers (Reed Hadley) entlanghangelt. Manns versierte Regie im Verbund mit der brillanten Kameraarbeit des großartigen John Alton machen jene verbalen Orientierungspunkte vollkommen überflüssig und lassen sie retrospektiv hoffnungslos naiv erscheinen. Unter dem kunsthistorischen Aspekt, dass sie zur Repräsentanz der Werksoriginalität eben unentbehrlich sind, lassen sie sich jedoch ertragen. Es bleibt aber eine unabdingbare Tatsache, dass "T-Men" ohne jene Einspieler, die ihn ungerechterweise zu einer partiellen Werbeplattform für den US-Polizeiapparat machen, als wichtiges, ja, visionäres Werk mit wesentlich höherem Popularitätsgrad Bestand hätte.

8/10

Anthony Mann film noir Detroit Los Angeles Falschgeld undercover


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THE FINAL TERROR (Andrew Davis/USA 1983)


"I'm not stoned..."

The Final Terror (Angst - Das Camp des Schreckens) ~ USA 1983
Directed By: Andrew Davis

Ein paar junge Förstergesellen wollen zusammen mit einer Mädchenclique einen Wander- und Raftingtrip in die Entlegenheit der Wälder wagen. Schon auf dem Hinweg entpuppt sich ihrer garstiger, dauerverspotteter Kollege Eggar (Joe Pantoliano) als nicht ganz richtig im Kopf. Dazu passt Boones (Lewis Smith) Geschichte von einer dereinst vergewaltigten Frau, die einen Sohn geboren haben, nicht mehr ganz dicht sein und seit Jahren durch die Wildnis streifen soll, wie Arsch auf Eimer. Tatsächlich lässt, nachdem Eggar die anderen sitzen lässt, der erste Mord nicht lange auf sich warten und die Gruppe sieht sich einem terrainkundigen Gegner ausgesetzt, der es auf sie abgesehen hat...

Passabler Backwood-Horror, der etwas zahm und ohne großen Zirkus zu veranstalten, daherkommt. Was ihn mit dem Rest der Slasherwelle dieser Zeit verbindet, ist die Tatsache, dass hier Namen am Werk waren, die bald darauf eine ungemein größere Popularität erlangten und "The Final Terror" sicherlich wenn überhaupt, dann bestenfalls als Fußnote in ihrem persönlichen Portfolio erwähnt wissen wollten: Neben dem Regisseur Andrew Davis treten die erwähnten Pantoliano und Smith sowie an der weiblichen Front Rachel Ward und Daryl Hannah an. Ein großes Hallo haben wir hier also. Immerhin ist Davis' Film nicht ganz so blutrünstig wie das Gros jenes Subgenres; es geschehen sogar vergleichsweise wenig Morde, deren Kontext den damals üblichen, reaktionären Impetus atmet - unehelicher Sex im Wald, das konnte seinerzeit kein Wahnsinniger auf sich sitzen lassen. Immerhin bleiben die Drogenkonsumenten verschont.

5/10

Andrew Davis Slasher Wald Backwood


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GUN CRAZY (Joseph H. Lewis/USA 1950)


"Let's finish it the way we started it: on the level."

Gun Crazy (Gefährliche Leidenschaft) ~ USA 1950
Directed By: Joseph H. Lewis

Der seit frühester Kindheit in Feuerwaffen vernarrte, bezüglich ihrer tödlichen Wirkung jedoch traumatisierte Bart (John Dall) weiß als Erwachsener nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen. Da lernt er auf dem Rummelplatz die Schießartistin Annie (Peggy Cummins) kennen. Die beiden verlieben sich vom Fleck weg ineinander, touren noch eine Zeitlang mit dem Zirkus umher und setzen sich dann ab. Es dauert nicht lang, bis sie in die Kriminalität abrutschen: Raubüberfälle auf Banken und Firmen gehören bald zu ihrer Alltagsroutine. Als Annie erstmals Menschen erschießt, forciert das FBI die Suche nach dem flüchtigen Paar. Ihre Flucht führt sie in jenes wilde Gelände, in dem Bart einst seine Jugend verbracht hat.

Natürlich liegen Faszination und Sympathie in dieser modernen Outlaw-Ballade beim Antihelden-Pärchen Bart und Annie, besonders bei letzterer. Dafür bürgt schon die von Anbeginn etwas abseitige, diametrale Zeichnung des (mögicherweise homosexuellen) Jugenfreund-Paares Barts, des Deputy Boston (Harry Lewis) und es Zeitungsredakteurs Allister (Nedrick Young). Deren moralische Rechtschaffenheit ist von nahezu ekelhafter Sterilität und wirkt angesichts der Klemme, in der sich ihr sogenannter "Freund" später befindet, wie ein Hochverrat am Leben selbst.
Noch psychologischer die Ambiguität der Charaktere Barts und annies: Während Bart, seit er als Vierjähriger mit dem Luftgewehr ein Küken erschossen hat, keine Schusswaffe mehr auf Lebewesen richten kann, bezieht Annie nicht nur aus der phallischen Form von Pistolen sexuellen Lustgewinn, sondern insbesondere aus deren lebensvernichtendem Einsatz. Trotz des ersten Eindrucks ergänzen die beiden sich also nicht unbedingt perfekt: Ihr delinquentes Potenzial eint sie, die Toleranz- und Akzeptanzschwellen jedoch sind völlig disparater Natur. Das sich daraus ergende Spannungsverhältnis bestimmt die ungebrochene Aktualität von "Gun Crazy".
Ein ikonischer Genrefilm; vorzugsweise im Verbund mit Rays "They Live By Night" sehenswert, der ironischerweise Dalls "Rope"-Kollaborateur Farley Granger in der Rolle des sich den Weg freischießenden Heißsporn aufbietet.

9/10

Joseph H. Lewis film noir Road Movie amour fou femme fatale Heist Dalton Trumbo Couple on the Loose


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MIDNIGHT LACE (David Miller/USA 1960)


"There's nothing wrong about money that having it can't cure."

Midnight Lace (Mitternachtsspitzen) ~ USA 1960
Directed By: David Miller

Die in London mit dem konzernchef Anthony Preston (Rex Harrison) noch jung verheiratete Amerikanerin Kit Preston (Doris Day) bekommt es mit der Angst, als ihr im Londoner Nebel eine Stimme verheißt, dass sie sie Kenne und sie bald sterben müsse. Diese Drohung setzt sich in Form obszöner Anrufe im Appartment der Prestons fort. Doch niemand glaubt Kit: Der ermittelnde Inspektor (John Williams) hält sie für eine überspannte, vernachlässigte Ehefrau, die wieder mehr von ihrem Mann haben möchte und selbst Kits ansonsten sehr verständige Tante Bea (Myrna Loy) hängt insgeheim dieser Theorie an.

Suspense-Thriller im Hitchcock-Gefolge, der zur Untermauerung seiner Wurzeln sogar diverse Darstellerveteranen des Meisters bemüht: Die Protagonistin, John Gavin, Antony Dawson und John Williams, wobei letztere sich nach "Dial M For Murder" sogar ein neuerliches Stelldichein in fast identischen Rollen gestatten, hat man allesamt in den letzten Jahren bei Hitch gesehen. Die sonstige Epigonenhaftigkeit erschöpft sich allerdings in innovativ gewählten Kameraperspektiven; das Script hat einige logische Löcher und übersieht bei all seinen falsch gelegten Fährten, dass diese am Ende bitteschön auch sämtlichst vernäht gehörten. Der der gesamten Geschichte zugrunde liegende Meisterplan, ein möglichst hohes Maß an Verdachtskonfusion beim Publikum durch die Einführung einer ganzen Handvoll zwielichtiger Gestalten zu erzeugen, überläuft sich irgendwann selbst, wie sich auch die Auflösung recht früh als erwartbar zeigt. Es bleiben Momente klassisch-aparter Spannung und die unerwartet bravouröse Leistung der Hauptdarstellerin Doris Day, die die Gratwanderung zwischen Panik, Hysterie und Selbstzweifel spürbar transparent werden lässt.

7/10

David Miller London Ehe Telefon


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FACE/OFF (John Woo/USA 1997)


"Papa's got a brand new bag."

Face/Off (Im Körper des Feindes) ~ USA 1997
Directed By: John Woo

Endlich sieht es so aus, als hätte FBI-Agent Sean Archer (John Travolta) seine verhasste Nemesis, den terroristen Castor Troy (Nicolas Cage) da, wo er ihn haben will: unschädlich gemacht und im Koma liegend. Doch Archer muss noch Troys letzte, noch immer aktive Bombe finden, deren Lage außer dem Komatösen nur dessen Bruder Pollux (Alessandro Nivola) kennt. Zu diesem Zweck kommt ihm ein neues chirurgisches Verfahren zuhilfe: Archer kann sich operativ in ein Ebenbild Troys umoperieren lassen, mit dessen Gesicht anstelle des eigenen. Als perfekt getarnter V-Mann entlockt Archer dem einsitzenden Pollux Troy das Geheimnis, doch es ist bereits zu spät: Castor ist nämlich unterdessen wieder erwacht, hat sich seinerseits in Archers Double verwandeln lassen, jeden Mitwisser ausgeschaltet und führt nun die Existenz des Erzfeindes. Um sich sein Leben zurückzuholen, muss Archer aus dem Hochsicherheitsknast flüchten und einen letzten Krieg gegen den Feind führen.

Getragen von einer eigentlich famosen Genreprämisse erweist sich "Face/Off" besonders aus zwangsläufig gereifter, heutiger Perspektive als eklektizistisches Puzzle, das seine vielen brauchbaren Versatzstücke nicht zu einem homogenen Gesamtbild finalisieren kann. Es gibt ebenso viele tolle wie hoffnungslos abstürzende Einfälle und Szenen, die in der gegeneinander aufgerechneten Summe einen insgesamt leider bloß mittelmäßigen Film ergeben. Die prinzipielle Grundidee, die Antagonisten, Schwarz und Weiß, zunächst die Plätze tauschen zu lassen, um sich den Heimweg am Ende wieder entbehrungsvoll zurückerobern zu müssen, ist eines John Woo zunächst durchaus würdig. Der traumatisiert-todessehnsüchtige, psychisch ruinierte Familienvater allerdings nervt als in die Neunziger transportierter Archetypus nurmehr, weil er in all seiner oberflächlichen, gestylten Selbstherlichkeit schlicht nicht mehr glaubwürdig erscheint. Ein Mel Gibson wäre toll in jener Rolle gewesen, John Travolta ist einfach bloß ölig und penetrant. Nicolas Cage derweil entpuppt sich als wunderbarer, ethisch unmotivierter Psychoterrorist, der lediglich Rabbatz um des Rabbatzes Willen macht. Ein wiederum geistreich verankerter, psychologischer Dreh: Unter dem Gesicht seines Widerparts Sean Archer erweist er sich als deutlich brauchbarerer, weil Es-gesteuerter Ehemann und Vater. Seine Frau (Joan Allen) hat nach langer Zeit wieder erfüllenden Beischlaf, seine pubertierende Tochter (Dominique Swain) findet den "neuen", anarchisch angehauchten Papa deutlich interessanter als den traurigen alten Spießersack von letzter Woche. Die Grenze, den falschen Archer Sex mit seiner Pseudotochter haben zu lassen, war dann offenbar aber doch zu überschreitungsssensibel - angedeutet jedoch wird diese Option durchaus. Wie Archer in Troys Körper derweil endgültig den Verstand zu verlieren droht und von seinem alten Adlatus Dietrich (super: Nick Cassavetes) einen Drogencocktail kredenzt bekommt, ist wiederum erinnerungswürdig. Dann jedoch kommt der Film mit einem geradezu ekelhaft überzuckerten Kinder-Nebenplot um die Ecke, der, der Gipfel der Provokation, am Ende auch noch dazu führt, dass die Archers einen Ersatzsohn (David McCurley) adoptieren können. Zusammen mit teils alberner Bond-Action, wo ernige Shoot-Outs klassischen Woo-Zuschnitts völlig gelangt hätten, bleibt so ein submediokres Konglomerat der vergebenen Möglichkeiten. Umso mehr ärgert man sich und sinniert dem verschwendeten Potenzial von "Face/Off" hinterher.

4/10

John Woo Duell Terrorismus FBI Familie Los Angeles Rache


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KILL LIST (Ben Wheatley/UK 2011)


"Thank you."

Kill List ~ UK 2011
Directed By: Ben Wheatley

Der schwer traumatisierte Irakkriegsveteran Jay (Neil Maskell) arbeitet mittlerweile als Auftragskiller, hat jedoch seit acht Monaten, nachdem es bei seinem letzten Job in der Ukraine zu einem Eklat kam, keine Mission mehr durchgeführt. Seine Ehe kriselt heftigst. Da offeriert ihm Gal (Michael Smiley), sein bester Freund und Kompagnon, neben einer neuen Lebenspartnerin (Ema Fryer) auch einen neuen Autraggeber (Struan Rodger). Von diesem erhalten Jay und Gal eine drei Namen umfassende Tötungsliste. Bei ihren potenziellen Opfern handelt es sich um einen Priester, einen Bibliothekar und einen Abgeordneten. Schon der zu besiegelnde Vertrag wird auf höchst ungewöhnliche Weise aufgesetzt. Während Jay sich mehr und mehr in unkontrollierbare Raserei steigert und bereits beim zweiten Auftrag ein Massaker verursacht, wird Gal die Sache zunehmend unheimlich. Zu Recht, denn als sie sich auf die Lauer legen, um den Politiker auszuschalten, nehmen die Dinge eine höchst unerwartete Wendung.

Ob Ben Wheatley und seine Co-Autorin Amy Jump bevor sie die Arbeit an "Kill List" aufnahmen, möglicherweise Ti Wests "House Of The Devil" oder Spasojevics "Srpski Film" gesehen haben und/oder sich von diesen (teil-)beeinflussen ließen, lässt sich meinethalben nur mutmaßen, liegt aber zumindest nahe. Denn natürlich gibt es zweifelsohne unübersehbare Parallelen zwischen den drei Werken, die sich bis tief in ihre jeweilige, perfide Auflösung hinein, recht stark ännähern. Auch wartet "Kill List" mit einigen recht harschen Momenten auf, die mich infolge ihrer kalkulierten Unmittelbarkeit durchaus mitnahmen. Wo etwa "Srpski Film" eine böse Satire bezüglich der jungen Ostöffnung und der Möglichkeiten einer durch den Neokapitalismus offerierten Kriminalität darstellt, nimmt "Kill List" in ähnlich übersteigerter Form das westliche Engagement in Krisenherden und deren Folgen für das Individuum aufs Korn. Der Krieg, so sein finales Statement, legt das ultimativ Böse aus dem Inneren seinen Protagonisten frei und bringt somit wahre Bestien hervor, die ihren rechten Platz zugewiesen bekommen. Formal und erzählerisch brillant strukturiert, legt Wheatley mit "Kill List" nichts Geringeres vor als eine qualitativ nahezu ebenbürtige zeitgenössische Variation von "Rosemary's Baby" und "The Wicker Man", die er beide wiederum sicher nicht von ungefähr zitiert.

9/10

Ben Wheatley Satanismus Profikiller England Freundschaft Ehe Familie Transgression Terrorfilm Paganismus


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ONCE UPON A TIME IN AMERICA (Sergio Leone/USA, I 1984)


"It's just the way I see things."

Once Upon A Time In America (Es war einmal in Amerika) ~ USA/I 1984
Directed By: Sergio Leone

Um 1920 bilden die jüdischstämmigen Freunde Noodles (Scott Tiler), Max (Rusty Jacobs), Patsy (Brian Bloom), Cockeye (Adrian Curran) und Dominic (Noah Moazezi) eine eingeschworene Truppe in der Lower East Side. Mit kleinen Gaunereien verdienen sie sich hier und da einen Dollar, was dem etwas älteren Gangboss Bugsy (James Russo), der im Viertel die Karten in der Hand hält, nicht passt. Als Bugsy den kleinen Dominic erschießt, tötet Noodles ihn im Gegenzug und wandert dafür ins Gefängnis. Rund zwölf Jahre später wird Noodles als Erwachsener (Robert De Niro) entlassen. Max (James Woods), Patsy (James Hayden) und Cockeye (William Forsythe) sind unterdessen groß ins Alkoholgeschäft eingestiegen und betreiben unterhalb des Cafés ihres Kumpels Moe (Larry Rapp) einen ebenso frivolen wie gutgehenden Club mit Schnaps- und Champagnerausschank. Max schweben derweil noch weit höhere Ziele vor: Er liebäugelt mit der Politik und knüpft im Hintergrund sowohl Kontakte zu größeren Gangsterbossen wie Frankie Manoldi (Joe Pesci) als auch zum Gewerkschaftsführer Jimmy Conway (Treat Williams). Als seine Pläne sich auf einen potenziell selbstmörderischen Bankeinbruch konzentrieren, sieht Noodles seine letzten Chance, Max' Leben zu retten, im Verrat: Bei einer nächtlichen Schmuggelaktion, die Noodles an die Polizei verrät, werden Max, Patsy und Cockeye getötet. Das gemeinsam angesparte Vermögen ist spurlos verschwunden. Voller Schuldgefühle verlässt Noodles New York Richtung Buffalo - und kehrt rund fünfunddreißig Jahre später zurück, als er eine Nachricht erhält, die besagt, dass der alte jüdische Gemeindefriedhof aufgelöst und die Gräber verlegt werden. Noodles findet ein feudales Mausoleum für seine alten Freunde auf einem Privatfriedhof sowie das seinerzeit verschwundene Geld. Dann flattert dem zunehmend Verwirrten eine Einladung zu einer Party des unter öffentlicher Kritik stehenden, korrupten Staatssekretärs Bailey zu, der mit Noodles' alter Liebe Deborah (Elizabeth McGovern) ist und einen Sohn (Rusty Jacobs) hat...

Eine etwas gewagtes Thesenkonstrukt, das ich bereits seit vielen Jahren unausgegoren verfolge, mir jedoch heute wieder ganz präsent ist: Erst mit "Once Upon A Time In America" hat Sergio Leone zur eigentlichen künstlerischen Vollendung gefunden. Ich mag und liebe zumindest teilweise jeden seiner vorhergehenden Filme, in denen er seinen individuellen, elegischen Stil mehr und mehr perfektionierte. Beginnend bereits mit "Per Qualche Dollaro In Più" entwickeltte er seinen Hang zur großen inszenatorischen Pose und zur Bildgewalt, die in Kombination mit Ennio Morricones operesker Musik Dialoge zum Beiwerk degradierte und eine vorrangig visuelle Publikumskommunikation präferierte. Allerdings empfinde ich - Majestätsbeleidigung hin oder her - das Westernmilieu für Leones Arbeit als kleinen Bremsklotz, der stets einen letzten Rest latenter Vulgarität nicht verleugnen konnte, welcher Landsmännern wie Visconti oder Bertolucci, die ihre Epik mit originärer Landesgeschichte verknüpften, erspart blieb. Zwar sorgten seine Western für Leones nachhaltige internationale Popularität und ebneten den Weg zum Höhepunkt, dennoch halte ich den Genrefilm bezogen auf Authentizität und wesentliches Verständnis seitens seiner Wesenhaftigkeit und seiner schlussendlichen Inszenierung für eine strikt amerikanische Domäne. Mit "Giù La Testa" beginnt dann gewissermaßen Leones Emanzipation von der Gattung; das bereits in "Il Buono, Il Brutto, Il Cattivo." gestriffene, revolutionäre Sujet liefert ihm, dem Bauchregisseur, die verhältnismäßig späte Möglichkeit, abseits von Pomp undäußerer Perfektion auch persönliches Herzblut einfließen zu lassen. Obwohl Leone noch immer nicht zu seinen nationalen Wurzeln findet, nach Mexikanern und Iren mit "Once Upon A Time In America" schließlich die jüdische Ethnie in den Blick nimmt, scheint er hier als Meisterregisseur endgültig zu sich selbst gefunden zu haben: die vormalige Dichotomie von Form und Inhalt ist aufgehoben; beide Größen erhalten eine schlussendlich gleichrangige Importanz und dienen einander, statt sich wie bisher zu hierarchisieren. Das handelnde Personal besteht nun nicht mehr aus Archetypen, sondern aus Individuen, die chronologische Verschachtelung wirkt nicht selbstzweckhaft, sondern, speziell angesichts der letzten Einstellung, als unvermeidbar für eine schlüssige Schilderung der Ereignisse. Schließlich finde ich in "Once Upon A Time In America", einem meiner liebsten Filme überhaupt (den ich mir jedoch mittlerweile nurmehr selten anschaue, weil er mich emotional so stark involviert), noch zweierlei: Die filmgeschichtlich bislang dichteste Annäherung zwischen europäischem (italienischem) und amerikanischem Kino sowie den letzten großen Seufzer des klassischen Kinos, der schon zu seiner Uraufführungszeit wie eine finale Zäsur dastand. Danach dann nur noch: Postmodernismus.

10*/10

Sergio Leone ethnics period piece New York Freundschaft


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THE YEAR OF LIVING DANGEROUSLY (Peter Weir/AU, USA 1982)


"Starvation is a great aphrodisiac."

The Year Of Living Dangerously (Ein Jahr in der Hölle) ~ AU/USA 1982
Directed By: Peter Weir

Indonesien, 1965: In den sich zuspitzenden Spannungssituation um den drohenden Staatsstreich des kommunistischen Diktators Sukarno (Mike Emperio) muss sich der junge australische Journalist Guy Hamilton (Mel Gibson) in Jakarta zurechtfinden. Dabei hilft ihm vornehmlich der kleinwüchsige einheimische Fotograf Billy Kwan (Linda Hunt), der Hamilton zur Seite gestellt wird und ihm etwas von der wütenden Stimmung der unter Misstrauen, Armut und Korruption leidenden Bevölkerung vermitteln kann. Er macht Guy zudem mit der britischen Diplomatin Jill (Sigourney Weaver) bekannt – der Beginn einer stürmischen Affäre. Als die Kommunisten nach einer riesigen Waffenlieferung, über die Guy nach einer vertraulichen Information Jills berichtet, putschen, fühlen sich seine Freunde hintergangen. Ein politischer Verzweiflungsakt Billys zieht dessen Ermordung durch systemtreue Soldaten nach sich; Guy wird schwer verletzt und der künftige islamische Diktator Suharto dirigiert einen Gegenputsch. Schließlich muss sich Guy zwischen beruflicher Integrität und persönlichem Glück entscheiden.

Eines von Weirs früheren Meisterwerken, das zunächst in mancherlei Hinsicht befremdlich wirkt, bereits früh im Laufe seiner Erzählzeit jedoch einen geradezu magisch anmutenden atmosphärischen Sog entwickelt. Die Ambition des Films, Indonesien als Drittwelt-Land unter einem durch kontrastierende politische Kräfte ächzenden Umbruch zu porträtieren und durch eine zwar engagierte, in ihrem Bemühen um berufliche Objektivität letztlich jedoch zwangsläufig opportune Westperspektive begreifbar zu machen, dürfte als beispielhaft gelten. Hinzu kommt Linda Hunts tief ins Mark treffende Darstellung des (männlichen!) kunstbeflissenen Intellektuellen, dem als eine Art Hofnarr zunächst noch sämtliche Türen in den Sphären der Macht offen stehen, der infolge einer späten Erkenntnis der wahren Gewaltverhältnisse und des darauf folgenden, Aufbegehrens den eigenen Tod bereitwillig in Kauf nimmt. Ein majestätischer, mitreißender Film, der durch Maurice Jarres Traummusik in seiner kompromisslosen Wirksamkeit noch zugespitzt wird.

9/10

Peter Weir period piece Indonesien Historie Jakarta Freundschaft Militärputsch Diktatur Journalismus





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