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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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TAXI DRIVER (Martin Scorsese/USA 1976)


"Loneliness has followed me my whole life. Everywhere. In bars, in cars, sidewalks, stores, everywhere. There's no escape. I'm God's lonely man."

Taxi Driver ~ USA 1976
Directed By: Martin Scorsese


Der einsame New Yorker Vietnamveteran Travis Bickle (Robert De Niro) nimmt einen Job als Taxifahrer an und arbeitet ausschließlich in der Nachtschicht. Ist er ohnehin schon äußerst unzufrieden mit dem üblen Zustand der urbanen Rotlichtbezirke, so veranschaulichen ihm seine Touren durch das neonbeleuchtete Manhattan nur umso deutlicher, dass es so nicht weitergehen kann mit dieser Stadt. Zwei Begegnungen führen schließlich dazu, dass Travis auf seine Weise "mobil macht": Die attraktive Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd) lässt ihn abblitzen, nachdem er sie in ein Pornokino ausführt, von der minderjährigen Prostituierten Iris (Jodie Foster), die ihm nächtens zweimal begegnet, glaubt er derweil einen leisen Befreiungswunsch zu vernehmen, den er ihr unbedingt erfüllen möchte.

Nachdem Charles Bronson als Paul Kersey anno 74 erstmals als rotsehender Rächer durch den nächtlichen Central Park tingelte um dort Kleinkriminelle zu erledigen, betrieben Paul Schrader und Scorsese nur zwei Jahre später bereits zielgerichteten Ikonoklasmus: Ihr Vigilant präsentiert sich als kaputter Soziopath, als "avenger without a cause", der sich nach seinem abschließenden Amoklauf nur deshalb nicht selbst zu richten vermag, weil er zuvor alle Magazine leegefeuert hat. Die größte Form von Zynismus erfolgt allerdings erst durch die ihn umgebende, ihn zum Helden und Retter stilisierende Mediengesellschaft. Scorsese folgt Travis' psychischem Niedergang so nüchtern und kommentarlos wie nur möglich, kommuniziert über Bilder und Impressionen anstatt vage Beweggründe zu ermitteln oder vordergründige Charakteranalyse zu betreiben - die vielleicht größte Stärke des Films. Bernard Herrmanns bald romantisch angehauchter Jazzscore dudelt dazu, als betreibe "Taxi Driver" auch noch ganz bewussten Stilbruch.
Die großstädtische Anonymität, in der der ohnehin schwer traumatisierte Kriegsheimkehrer Travis Bickle sich bewegt, ist angefüllt mit dysfunktionalen Sozialgliedern: Seine Arbeitskollegen sind verlogene Dummschwätzer, seine Angebetete entpuppt sich gleich beim ersten unglücklichen Treffen als kaum mehr denn ein oberflächliches Modepüppchen, das sich einzig darum liberal gibt, um auch auf intellektueller Ebene als schick zu gelten. Der Politiker Palantine (Leonard Harris) ergießt sich in hohlem Populismus und betreibt leere Wähleranbiederung, ein sich bourgeois gebender nächtlicher Fahrgast (Martin Scorsese) entlarvt sich selbst als zugekokster Größenwahnsinniger, ganz ähnlich wie der gewaltbereite Eckladenbetreiber (Victor Argo) von nebenan. Der Kindernutten auf die Straße schickende Zuhälter Sport schließlich vereint nur die allermiesesten Eigenschaften in sich und bietet daher das dankbarste Ziel für Travis' aufgestaute Triebentladung. Bei der Vorstellung all dieser Figuren geht der Film geschickt genug vor, sein Publikum zu heimlichen Komplizen des seinerseits selbst schwer gestörten Titelcharakters zu machen, eine gleichermaßen perfider und intelligenter Ansatz.
Ohne "Taxi Driver" hätte das New Yorker Underground-Kino nie die Blüte der nächsten Jahre erreicht, wäre das Werk von Autoren wie Abel Ferrara, Frank Hennenlotter, William Lustig oder James Glickenhaus, das teils direkten Bezug nimmt auf Scorseses archetypisches Meisterwerk, kaum denkbar. So genuin gemein, schwarzhumorig und hinterhältig war seitdem nicht viel.

10*/10

Veteran Insomnie Madness Vigilantismus Paul Schrader New York Martin Scorsese Nacht New Hollywood


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WATCHERS (Jon Hess/CAN 1988)


"Trust me. We're the good guys."

Watchers ~ CAN 1988
Directed By: Jon Hess


Dem Provinzjugendlichen Travis Cornell (Corey Haim) läuft ein Golden Retriever zu, der sich als genmanipuliert und hochintelligent entpuppt. Jener Hund ist allerdings nicht die einzige Kreatur, die aus einem niedergebrannten Regierungslabor entkommen konnte - der sogenannte Oxcom, ein ausschließlich zum Zwecke des Tötens gezüchtetes Monster, das telepathisch mit Travis' neuem Freund verbunden ist, eliminiert gnadenlos alles und jeden, der mit dem Hund in Verbindung steht.

Kurioser kleiner Monsterfilm aus der Corman-Factory, der, obgleich für ein augenscheinlich sehr junges Publikum hergestellt, hierzulande in seiner ungekürzten Fassung noch immer indiziert ist. Zu "verdanken" hat Hess' unterhaltsame Koontz-Adaption dies einzig und allein drei, vier etwas blutrünstigeren Szenen. Ansonsten wird der "Lassie"-Faktor des so putzigen wie schlauen tierischen Protagonisten dermaßen hoch angeschrieben, dass die meisten Zuschauer jenseits des dreizehnten Lebensjahres vermutlich nur ein müdes Lächeln für "Watchers" als Gesamtwerk übrig haben dürften. Ich selbst hänge an "Watchers", weil sich mein Erstkontakt mit ihm an den seinerzeit veröffentlichten Fotoroman in der "Bravo" datiert und ich den Film kurz darauf dann auch flugs aus der Videothek besorgt bekam und in der Folge etwa alle zwei Wochen einmal schaute. Heute haut er mich zugegebenermaßen nicht mehr so ganz vom Hocker, der Nostalgiefaktor jedoch beweist nach wie vor ein erfreuliches Stehvermögen.

6/10

Jon Hess Roger Corman Dean R. Koontz Hund Monster Mutant


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THREE O'CLOCK HIGH (Phil Joanou/USA 1987)


"You are the puss that always bled."

Three O'Clock High (Faustrecht - Terror in der High School) ~ USA 1987
Directed By: Phil Joanou


Der brave Jerry Mitchell (Casey Siemaszko) verlässt morgens stets ordentlich gekleidet und sorgsam gekämmt das Haus, um nur ja nicht seinen manifesten Ruf als Tausendsassa uns Musterschüler zu gefährden. Als eines Morgens der als besonders delinquent bekannte Buddy Revell (Richard Tyson) an Jerrys High School wechselt und nach kurzer Zeit mit unserem Streber auf der Schultoilette aneinandergerät, heißt es für Jerry: Köpfchen beweisen. Denn für Punkt 15 Uhr hat der zwei Köpfe größere Buddy ihm eine Herausforderung zum Duell gestellt, die Jerry bestenfalls krankenhausreif überleben dürfte...

"Three O'Clock High" ist ein ungehobener Comedy-Schatz der Achtziger. Wer den typischen Humor der Dekade liebt, auf die Teenieversteher- und Coming-of-Age-Streifen eines John Hughes steht und vielleicht noch ein Faible für "High Noon" besitzt, der bringt die besten Voraussetzungen mit, um sich von Jerry Mitchell und seine unzähligen Fettnäpfchen bestens amüsieren zu lassen. Siemaszko spielt den unbedarften Klischeespießer mit geradezu traumwandlerischer Innozenz. Umso komischer, wenn er wieder einmal versucht, seinem unausweichlichen Schicksal (das freilich symbolisch anzusehen ist für eine Art "gesellschaftlicher Defloration" bzw Manneswerdung) zu entkommen und sich dabei nur noch tiefer reinreitet. Natürlich erweist sich die ganze Geschichte am Ende ergo als nichts anderes denn als schicksalhaftes Geschenk für Jerry, der von seiner vermeintlichen Nemesis Buddy Revell, der sich in Wahrheit als sein Retter entpuppt, aus einem langwierigen Dornröschen-Schlaf wachgeküsst wird. Nur dem sympathischen Richard Tyson, der mich rein physiognomisch frappant an Jim Morrison erinnert, hätte ich ein noch versöhnlicheres Finale gewünscht. Weitere Auftritte von: Jeffrey Tambor, John P. Ryan, Mitch Pileggi, Philip Baker Hall - Namen, deren Wohlklang für sich selbst sprechen dürfte.
Ein abschließendes Wort noch zu der einmal mehr bizarren deutschen Vermarktungspraxis, "Three O'Clock High" als Nachzügler von High-School-Thrillern wie "Class Of 1984", "3:15" oder "The Principal" zu präsentieren: 1987 war dies bereits mehr als unangemessen, 23 Jahre später ist es nurmehr blamabel. So schön die grundsätzliche Tatsache einer Veröffentlichung auch ist - mit der Aufmachung der entsprechenden DVD hat man schwer danebengehauen. Kundenbeschwerden wären wenig verwunderlich.
Ansonsten: Highly recommended!

8/10

Phil Joanou Duell Utah Coming of Age Schule


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MEAN JOHNNY BARROWS (Fred Williamson/USA 1976)


"Why ain't I satisfied?"

Mean Johnny Barrows (Die Mafia kennt keine Gnade) ~ USA 1976
Directed By: Fred Williamson


Nachdem der hochdekorierte Vietnamkämpfer Johnny Barrows (Fred Williamson) unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, vegetiert er als Penner im Großraum von L.A. und hält sich mit schlecht bezahlten Tagelöhnerjobs über Wasser. Als er eines Tages dem sympathischen Mafioso Mario Racconi (Stuart Whitman) begegnet, versucht dieser ihn, im Wissen um Johnnys "Talente", als Mann fürs Grobe anzuheuern. Doch Johnny lehnt trotz mehrerer großzügiger Offerten ab. Als Mario nebst seinem Vater (Luther Adler) und weiteren Beteiligten von der gegnerischen Da Vince-Familie zusammengeschossen wird - die Racconis weigern sich, in den Drogenhandel einzusteigen - lässt sich Johnny doch noch engagieren. Doch ein Feind sitzt dort, wo Johnny es am wenigsten vermutet.

Schleppend erzählter und langweiliger Blaxploiter, der zweierlei beweist: Zum einen, dass nicht aller Seventies-Exploitation-Glanz zwangsläufig ein goldiges Erlebnis verheißt und zum anderen, dass der "Hammer" Fred Williamson ein lausiger Regisseur ist. Oder zumindest war, seine späteren Arbeiten (immerhin noch 19 weitere, wie ich erstaunt festgestellt habe), sparen vielleicht zumindest den einen oder anderen der hier (noch?) angezeigten Mängel aus, keine Ahnung - "Mean Johnny Barrows" ist bislang der einzige Film von Williamson als Regisseur, den ich mir zu Gemüte geführt habe. Felsenfest steht für mich, dass die überaus selbstverliebte Inszenierung des sich häufig (möglicherweise auch semisatirisch) gern als tollster Hecht im Karpfenteich präsentierenden Ex-Profi-Footballers im Laufe des Films ein wenig zu akut wird und letztlich in keiner Relation steht zu dem Schmalhans-Küchenmeister-Geplänkel, das "Mean Johnny Barrows" ansonsten aufbietet. Es dauert eine gute Stunde, bis mal ein wenig Aktion ins Haus steht, vorher drängt sich uns an vorderster Front der Hammer auf: der Hammer, wie er durch die Straßen streift, der Hammer, wie er mit weißen Cops in Konflikt gerät, der Hammer, wie er im Hauseingang pennt, der Hammer, wie er mit Elliot Gould (in einem schönen Gastauftritt) in der Suppenküche steht, der Hammer, wie er von einem Tankstellenbetreiber (R.G. Armstrong) ausgenutzt wird. Gähn. Nebenbei installiert der Film noch flott den bei "The Godfather" abgeschauten Mafia-Zank. Am Schluss werden dann vier, fünf Pappenheimer abgeschossen und der in einer kläglichen Loserrolle aufspielende Roddy MacDowall buchstäblich versenkt. Ehrlich gesagt empfand ich selbst das forciert auf den Überraschungseffekt angelegte Ende als gegenteilig - nämlich wenig überraschend. Nee, da gibt's durchaus Spannenderes, mit dem man seine Zeit verplempern kann.

4/10

Mafia Vietnamkrieg Fred Williamson Veteran Blaxploitation Independent


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ALICE DOESN'T LIVE HERE ANYMORE (Martin Scorsese/USA 1974)


"So long, suckers!"

Alice Doesn't Live Here Anymore (Alice lebt hier nicht mehr) ~ USA 1974
Directed By: Martin Scorsese


Nachdem ihr herrischer Ehemann (Billy Green Bush) bei einem Unfall gestorben ist, löst Alice Hyatt (Ellen Burstyn) ihren Hausstand auf, klemmt sich ihren elfjährigen Sohn Tommy (Alfred Lutter) unter den Arm und fährt mit dem Wagen Richtung Westen, wo sie sich einen Jugendtraum erfüllen und im küstennahen Monterey als Sängerin arbeiten möchte. Nachdem sie in Phoenix ein paar Dollar als Barpianistin verdient und eine Kurzbeziehung mit dem halbverrückten Ben (Harvey Keitel) gecancelt hat, landet sie mit Tommy in Tuscon, wo sie als Kellnerin arbeitet und sich in den Jungrancher David (Kris Kristofferson) verliebt.

Scorsese nächster Film, für den ihn sich Ellen Burstyn, die treibende Kraft hinter dem Projekt, abgriff, ist für die übliche Signatur des Regisseurs ein recht ungewöhnliches Werk. Eine Frau mit erstarkender Persönlichkeit steht im Zentrum dieser feministischen Kampfschrift, die durchaus als New-Hollywood-Ruhmesblatt pro Frauenbewegung verstanden sein darf. Nun ist Alice Hyatt weder mit einem politisch radikalen Charakter noch mit einem allzu überragenden Intellekt ausgestattet, sie ist einfach eine typische amerikanische Provinz-Hausfrau und -Mutter, die durch ein nur für eine Schrecksekunde als solches zu begreifendes Unglück in die eigentlich glückliche Position versetzt wird, Maßgaben und Richtung ihrer Existenz selbst zu gestalten und zu bestimmen. Als der nächste ernstzunehmende Mann in ihr Leben tritt, muss er sich fügen oder gehen - und Alice gewinnt.
Ellen Burstyn inmitten eines im staubigen Westen spielendes road movie mitsamt Klavierbars, Rindern und Diners voller lärmender Cowboys - das klingt nicht eben nach Scorsese, mit dem man auch sechsunddreißßig Jahre später primär noch New York und Little Italy, rohe Gewalt und irrsinnige Individuen auf dem Weg zur Hölle assoziiert. Und doch meistert er sein Sujet, entscheidet sich wider Gewalt und Schmerz und stattdessen für Herzenswärme, Menschlichkeit und Humor. Allen also, die beim Klang des Regisseurnamens in erster Linie an zu kurz geraten Derwische, zustechende Kugelschreiber und prügelnde Baseys denken, täten gut daran, hier mal einen Blick zu riskieren. Zur Horizonterweiterung sozusagen.

8/10

Martin Scorsese New Hollywood Road Movie Musik Arizona


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MEAN STREETS (Martin Scorsese/USA 1973)


"Motherfucker!... come on! I got somethin' for ya, asshole!"

Mean Streets (Hexenkessel) ~ USA 1973
Directed by: Martin Scorsese


Charlie Cappa (Harvey Keitel) bewegt sich tagtäglich im "Milieu" von Little Italy, New York. Sein Onkel Giovanni (Cesare Danova), für den Charlie diverse Botengänge und Schuldeneintreibungen übernimmt, ist der Pate des Blocks. Charlie müht sich stets um souveränes und selbstsicheres Auftreten und hofft, alsbald in der lokalen Familien-Hierarchie aufzusteigen. Für seinen besten Kumpel Johnny Boy (Robert De Niro), einen Aufschneider mit großer Klappe, ständg pleite und hoch verschuldet, hat Charlie zwar - zumal er mit Johnny Boys unter Epilepsie leidender Cousine (Amy Robinson) zusammen ist - ein Herz, kann ihn letzten Endes jedoch nicht vor seiner verhängnisvollen Unverschämtheit retten.

Coppola hatte mit "The Godfather" ein großes Epos über große New Yorker Gangster und deren familiäre Strukturen geschaffen, Scorsese indes kramte ohne großes Mühsal in der eigenen Autobiographie und knöpfte sich für "Mean Streets" jenen typischen kleinen Gernegroß aus der Bronx vor, der den lieben langen Tag damit verbringt, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Ist jemand als Teil jener Subkultur nicht Willens, sich diesem hierarchisch geordneten System zu subordinieren oder gar dagegen aufzubehren, muss er - wie Johnny Boy - zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
Nachdem Scorseses Mentor und Berater John Cassavetes ihm ziemlich unverblümt seine Meinung zu "Boxcar Bertha", die etwa dergestalt war, dass Scorsese "ein Jahr an Anstrengung und Talent in Scheiße investiert habe", aufgetischt und ihm geraten hatte, wieder etwas "Persönlicheres" zu machen, begab sich der Regisseur an "Mean Streets", eine Art Quasi-Fortsetzung von "Who's That Knocking At My Door", mit einem leicht älter gewordenen Protagonisten, dessen innere Unüberwindlichkeiten nichtsdestotrotz fast die identischen sind. Auch Charlie schwankt zwischen ethnisch verwurzeltem Ehrgefühl, erzkatholischen Grundfesten und unüberwindlichem machismo, allesamt übermächtige Schatten, über die er niemals wird springen können. Mit Johnny Boy, dem ersten Part, den De Niro für Scorsese spielte, hat zugleich der freche, kleine Choleriker Premiere, einer, der in harschen Konfliktsituationen so lange schlägt, sticht, tritt, bis sein Gegenüberc am Boden liegt und sich nicht mehr rührt, und für den später dann im Regelfall Joe Pesci zuständig sein sollte. Diese zwei Figuren, der irgendwo inmitten pubertärer Charakterzüge steckengebliebene Antiheld und sein prügelnder "sidekick", bestimmten für Dekaden das Werk Scorseses. Ähnlich wie die Stones, mit deren "Jumpin' Jack Flash" die ikonographische Sequenz untermalt ist, in der Charlie wie auf Schienen durch die tiefrot beleuchtete Kneipe seines Kumpels Tony (David Proval) stolziert, die Kamera direkt im Nacken. Zigmal kopiert, nie erreicht.

9/10

Ethnics Martin Scorsese New Hollywood Mafia New York


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BOXCAR BERTHA (Martin Scorsese/USA 1972)


"Up! Down! Up! Down!"

Boxcar Bertha (Die Faust der Rebellen) ~ USA 1972
Directed By: Martin Scorsese


Während der Tage der Depressionszeit tun sich das Straßenmädchen Bertha Thmpson (Barbara Hershey), der Klassenkämpfer Bill Shelly (David Carradine), der Falschspieler Rake Brown (Barry Primus) und der Tagelöhner Von Morton (Bernie Casey) zusammen und verüben Raubzüge auf Banken und die Eisenbahngesellschaft. Dabei achten sie stets darauf, dass ein Großteil ihrer Beute an die Gewerkschaften oder direkt an die ausgenutzten Arbeiter geht. Dem Eisenbahn-Bonzen Sartoris (John Carradine) ist das Quartett daher ein besonderer Dorn im Auge.

Kaum ein bedeutender Filmschaffender in New Hollywood, der nicht zumindest kurzfristig Wegbegleiter von Roger Corman war oder wenigstens einmal für die AIP gearbeitet hat. Scorseses nomineller Beitrag dazu hieß "Boxcar Bertha". Corman ist bekanntermaßen ein großer Freund von in den zwanziger und dreißiger Jahren angesiedelten Gangsterfilmen, wobei immer wieder gern authentische Figuren und Geschichten zu Markte getragen wurden - so auch die der "Boxcar Bertha" Thompson, bei der es sich tatsächlich jedoch um eine fiktionale, literarische Figur des obskuren Akademikers Ben Reitman handelt, eines notorischen Bordellgasts, der im Film sogar kurz porträtiert wird. Der Vorteil bei der Produktion dieser Art period piece war für Corman nicht zuletzt ein ökonomischer - durch die Wiederverwendbarkeit von Kostümen, Ausstattungsstücken und Kulissen konnte jeweils eine Menge an Produktionskosten eingespart werden. Auch "Boxcar Bertha" wurde für ein sehr geringes Budget realisiert, obschon man ihm das nicht ansieht. Für Scorseses Gesamtoeuvre ist seine zweite Regiearbeit im Spielfilmfach (zwischendurch hatte er die Dokumentation "Street Scenes" angefertigt) als Auftragsarbeit von eher untergeordneter Bedeutung. Er hatte einen Exploitationfilm machen sollen, was sich visuell noch anhand einiger heftiger shoot outs (besonders der abschließende wäre da zu nennen) und ein paar Sexszenen mit der Hershey festmachen lässt. Ansonsten mangelt es "Boxcar Bertha" geflissentlich an Tempo, wenn auch nicht an Stil. Ganz bewusst verzichtete Scorsese auf Weichzeichnerfilter, wie sie etwa Kollege Altman einzusetzen pflegte und filmte in knackig-bunter Farbnomenklatur, die seine Arbeit noch heute frisch und lebendig erscheinen lässt. Als Bestandteil einer halbwegs kompletten Hollywood-Schau über die Depressionszeit erachte ich den Film jedenfalls als unerlässlich.

7/10

period piece Historie Roger Corman Heist Great Depression Hobo Martin Scorsese


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BORDELLO OF BLOOD (Gilbert Adler/USA 1996)


"Oh my God, it's a necrophiliac's wet dream!"

Bordello Of Bloood ~ USA 1996
Directed By: Gilbert Adler


Die zu unseligem neuen Leben erweckte Vampirgöttin Lillith (Angie Everhart) betreibt zusammen mit einem ganzen Club vampirisierter Freudenmädchen einen als Leichenhalle getarnten Provinzpuff. Dies tut sie im Auftrage des fanatischen Fernsehpredigers J.C. Current (Chris Sarandon), der auf jene Weise der fleischlichen Manneslust Einhalt gebieten möchte. Denn Lillith holt sich vorzugsweise die Herzen ihrer Opfer aus deren Brust, um sie frisch zu vertilgen. Als sie sich den verlotterten Caleb (Corey Feldman) vorknöpft, engagiert dessen nichtsahnende Schwester Katherine (Erika Eleniak), zufälligerweise Mitarbeiterin von Current, den abgehalfterten Privatschnüffler Rafe Guttman (Dennis Miller), um Caleb wiederzufinden. Dass Guttman eine außerordentlich seltene Blutgruppe besitzt, freut Lillith ganz besonders...

Zweiter Universal-Kinofilm unter dem Label der "Tales From The Crypt" - Reihe, standesgemäß angereichert mit lustigem Outro und Intro um den Sprüche klopfenden Crypt Keeper, der sich hier mit einer verlotterten Mumie (William Sadler) herumzanken muss. Nur unwesentlich schwächer als der Vorgänger "Demon Knight" setzt "Bordello Of Blood" ebenfalls auf Witz der derben Art und versteht sich, abgesehen von einigen fiesen Effekten, noch eindeutiger als schwarze Komödie als Dickersons Film. "Fun Splatter" nennt's der Fachjargon wohl.
Dank dem Studio-Deckmantel sieht das Ganze denn auch weitgehend hübsch professionell aus; die Besetzung, allen voran der unentwegt in Floskeln quatschende TV-Comedian Dennis Miller, hatte sichtlich ihren Spaß. Jedoch ward "Bordello" nur eine vergleichsweise geringe Popularität beschieden, da der doch sehr ähnlich gelagerte "From Dusk Till Dawn" die Kinos bereits einige Monate früher geentert hatte. Selbst, wenn man den Story-Ersinnern Bob Gale und Robert Zemeckis keinen Plagiatismus unterstellen möchte, so scheint somit doch verständlicher, dass und warum ihre Weihwasser verspritzenden Soakers und auseinanderplatzenden Vampirinnen auf ein eher gesättigtes Publikum trafen.

6/10

Tales From The Crypt Gilbert Adler Bordell Vampire Splatter Satire


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WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR (Martin Scorsese/USA 1967)


"I forgive you."

Who's That Knocking At My Door (Wer klopft denn da an meine Tür) ~ USA 1967
Directed By: Martin Scorsese


Der junge italienischstämmige New Yorker J.R. (Harvey Keitel) pflegt zusammen mit seinen Freunden große Gesten ohne viel Inhalt. Als er am Bahnhof ein hübsches Mädchen (Zina Bethune) kennenlernt, die sein Interesse für das Kino und John-Wayne-Filme teilt, freut er sich zunächst, eine gefunden zu haben, die nicht so ist, wie "diese ganzen Miezen", die mit jedem sofort ins Bett steigen und nicht mehr jungfräulich in die Ehe gehen können. Dann erfährt er von dem Mädchen, dass es schon einmal vergewaltigt wurde, eine mit J.R.s männlichem Stolz und seiner erzpuritanischen Erziehung unvereinbare Tatsache.

Scorsese ursprünglich als Abschlussarbeit für die New Yorker Filmakademie gedachtes und eine Mehrfach-Titel-Evolution durchlaufenes (von "Bring On The Dancing Girls" über "I Call First" bis hin zu "Who's That Knocking") Langfilmdebüt konnte erst nach einigen Jahren und mittels komplizierter Finanzierungsumwege auf Länge gebracht werden - unter der Prämisse, dass ein paar Nacktszenen hineinmontiert werden, um zumindest einen geringeren Kassenerfolg zu gewährleisten. Diese schlugen sich dann letztlich in Form einer Traumsequenz nieder, in der der trotz seiner Weigerung, mit seiner Freundin zu schlafen, keineswegs asexuelle J.R. von koitalen Begegnungen mit hübschen Gespielinnen phantasiert. Dazu spielt Scorsese "The End" von den Doors. Die sehr kunstvoll arrangierte Sequenz dürfte dem, was die Financiers sich vorgestellt hatten, im Endeffekt ziemlich diametral gegenüberstehen, in den Film gliedert sie sich jedenfalls vortrefflich ein. Viel von Scorseses immer wieder akuten formalen Leitmotiven findet sich hier bereits ein; der geschmackvolle Einsatz zeitgenössischer Musik etwa (für die Stones fehlte es damals wohl an Tantiemenaufwendung) und die Unfähigkeit des Hauptcharakters, über seine eigene Sozialisation respektive den eigenen Stolz springen zu können, um sein Leben in eine bessere Richtung zu lenken. Natürlich wirkt "Who's That Knocking" wie etliche Einstandsfilme großer Regisseure noch sehr roh und ungeschliffen; Scorsese experiminetiert mit Dolly und Handicam, mit SloMos und scheinbar ungelenken Schwenks und macht aus seiner Beeinflussung durch die nouvelle vague alles andere als einen Hehl. Dennoch erkennt man hier unzweifelhaft das Potenzial eines der bedeutsamsten New Yorker Filmemacher.

8/10

New Hollywood Religion New York Martin Scorsese Ethnics


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SOYLENT GREEN (Richard Fleischer/USA 1973)


"Soylent Green is people!"

Soylent Green (...Jahr 2022... die überleben wollen...) ~ USA 1973
Directed By: Richard Fleischer


Im New York des Jahres 2022 grassieren grauenhafte Zustände. Der Treibhauseffekt hat die Umwelt weitestgehend zerstört und sorgt für andauernde Hitzewellen, der Überbevölkerung wird man nicht mehr Herr, die Fronten zwischen Arm und Reich sind unüberbrückbar und die akute Nahrungsmittelver-knappung schließlich hat die gesamte Menschheit fest im Griff. Frische Lebensmittel sind nurmehr zu astronomischen Preisen erhältlich. Der global operierende Konzern 'Soylent' versorgt die Leute mit den Produkten "Soylent Red" und "Soylent Yellow", die geschmacklos und in Plättchenform ausgegeben werden und zumindest den gröbsten Hunger stillen. Die neueste Variante "Soylent Grün" wird angeblich aus "in Überfluss vorhandenem, nahrhaftem" Meeresplankton hergestellt und in den Medien fleißig beworben. Da wird William Simonson (Joseph Cotten), ein Ex-Mitglied des Soylent-Aufsichtsrats, in seinem teuren Appartment ermordet. Der Polizist Thorn (Charlton Heston) und sein ihm zugeteilter Helfer Sol Roth (Edward G. Robinson) untersuchen den Fall und stoßen auf eine furchtbare Wahrheit.

Nach "Planet Of The Apes" und "The Omega Man" markiert "Soylent Green" die dritte große der innerhalb weniger Jahre entstandenen Dystopien, in denen Charlton Heston jeweils einen mehr oder weniger irregeleiteten Endzeitkämpfer spielt, der jeweils zu einem mehr oder weniger messianischen Wahrheitsfinder avanciert. Aus dem Trio gefiel mir "Soylent Green" immer am besten, weniger wegen Heston, sondern mehr aufgrund der stark realitätsverbundenen, durchaus schockierenden Konsequenz, mit der die Geschichte erzählt wird. Die im Film angesprochenen Probleme, insbesondere jenes der wachsenden ökonomischen Kluft, sind ja teils heute noch akut; letztlich ein Indiz für seine irgendwie doch zwingende Hellsichtigkeit.
Fleischer wächst sozusagen über sich selbst hinaus, wenn er einige der markantesten und großartigsten Bilder des Genres schafft. Dazu zählen besonders die treffenden Zeichnungen der künftigen Zustände: Heston steigt in seinem Hausflur über diverse Obdachlose hinweg, Müllbagger räumen Aufständische aus dem Weg, ein lethargisches Kind ist mit Handschellen an seine verhungerte Mutter gekettet. Primär mitverantwortlich für das Gelingen des Films ist außerdem der wirklich wunderbar aufspielende Robinson, der sich an einem einzelnen Salatblatt und an einem bereits abgeschleckten Löffel mit Erdbeermarmelade delektiert, als handle es sich um die größten Köstlichkeiten des Planeten und der in Tränen ausbricht, als Heston ihm ein unterschlagenes Steak vor die Nase hält. Gar großartig seine finale Szene, in der er sich, endgültigend resignierend angesichts der allgemeinen Zustände und erschüttert von seinen letzten Recherchen, zu seiner "Einschläferung", einer Möglichkeit für Alte, einen "schönen Freitod" zu erleben, begibt und vor einer riesigen Leinwand zu Griegs "Morgenstimmung" das Zeitliche segnet. Eine letzte Minute längst vergessen geglaubter Glückseligkeit.

9/10

Dystopie Richard Fleischer Zukunft Kannibalismus





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