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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE PICTURE OF DORIAN GRAY (Albert Lewin/USA 1945)


"I like persons better than principles and persons with no principles better than anything at all."

The Picture Of Dorian Gray (Das Bildnis des Dorian Gray) ~ USA 1945
Directed By: Albert Lewin


In dem jungen Dandy Dorian Gray (Hurd Hatfield), der just von seinem Freund, dem Maler Basil Hallward (Lowell Gilmore) porträtiert wird, findet der berühmt-berüchtigte Londoner Gesellschaftsanalytiker, Zyniker und Misanthrop Lord Henry Wotton (George Sanders) einen willfährigen Eleven. Parallel zu seiner Bekanntschaft mit Lord Henry verdunkelt sich Dorians Wesen; sein Porträt, dass er fortan stets verdeckt und wie einen geheimen Schatz hütet, hat allerdings nicht nur indirekt damit zu tun. Dorian selbst bleibt stets jung und schön, wärend sein Leinwandbildnis altert und alle pestilenzartige Hässlichkeit, die sich Dorians Seele im Laufe der Jahre bemächtigt, widerspiegelt.

Zwar lässt Albert Lewins Verfilmung des berühmten Wilde-Romans einige Handlungsstränge und intellektuelle Implikationen der Vorlage, darunter deren auto- und homoerotischen Tendenzen, außer Acht, darf sich insgesamt aber dennoch rühmen, eine sehr sorgfältige, beherzte und vor allem atmosphärische Literaturadaption abzugeben. Daran ändern selbst dichterische Freiheiten wie der Einsatz einer ägyptischen Katzenstatuette als rationales Erklärungsmittel für Dorians "lebendes Bild" nichts. Die Idee des farbig dargestellten Porträts in einem ansonsten schwarzweißen Film erscheint darüberhinaus keineswegs übel, technisch allerdings noch - der Zeit geschuldet - etwas sehr behelsmäßig umgesetzt.
Die wahre Brillanz liegt ohnehin im von Lewin selbst stammenden Script, das viele der scharfkantigen Dialoge Wildes gar wunderbar einkleidet in sein straff sitzendes cineastisches Korsett. Hinzu kommen die durchweg tadellosen, dem viktorianischen Zeitkolorit des Romans angemessen gediegenen Auftritte der Darsteller. Der Film erreicht somit eine vehemente Ausdruckskraft, die ihn zur bis heute wohl schönsten und bedeutsamsten der diversen, häufig mäßig umgesetzten "Dorian Gray"-Verfilmungen werden lässt.

9/10

Oscar Wilde England Albert Lewin Fin de Siècle Kunst


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DELLAMORTE DELLAMORE (Michele Soavi/I, F, D 1994)


"I'd give my life to be dead."

Dellamorte Dellamore ~ I/F/D 1994
Directed By: Michele Soavi


Francesco Dellamorte (Rupert Everett) ist der Friedhofswärter von Buffalora, einem pittoresken norditalienischen Städtchen. Zusammen mit seinem debilen Gärtner Gnaghi (François Hadji-Lazaro) trägt er Sorge dafür, dass Grabsteine, Totenacker und Gebeinehaus stets tadellos in Schuss bleiben, doch damit nicht genug - auf diesem Friedhof, über dessen Tor groß der Schriftzug 'Resurrectus' prangt, pflegen die Toten nämlich spätestens sieben Tage nach ihrer Bestattung als Zombies wiederzukehren, was eine neuerliche Entsorgung nötig macht - nach der Zerstörung des Gehirns, versteht sich. Als Francesco sich in eine schöne, namenlose Witwe (Anna Falchi) verliebt, bekommt sein Leben eine seltsame Wendung...

Die Erkenntnis, dass wir letzten Endes alle bloß in unserer höchstpersönlichen Schneekugel leben, die von Zeit zu Zeit mal ordentlich durchgeschüttelt wird, muss so niederschmetternd nicht sein. Mit "Dellamorte Dellamore" gelang Michele Soavi jedenfalls einer der seltsamsten und schönsten Horrorfilme des letzten Jahrzehnts. Fragen an den Film zu stellen ist völlig redundant, denn in schönster Konventionsmissachtung kettet der Regisseur magische Bilder von immenser lyrischer Kraft aneinander, deren Bedeutung sich jedoch, einer Asssoziationskette gleich, höchstens kurzfristig und bestenfalls als Gedankenhauch niederschlägt: Film als Traum. Physikalische Gesetze oder gar solche der Logik haben hier keinerlei Bedeutung; Soavis Film steht ohnehin viel deutlicher in der Tradition von Buñuels Spätwerk und natürlich Giraults "La Soupe Aux Choux" als in der Romeros oder gar Soavis eigener Landsleute Fulci oder meinetwegen Lamberto Bava und Argento.
"Dellamorte Dellamore", dessen bezaubernder Titel bereits hinreichend über die ewige existenzielle Dualität von Tod und Liebe plaudert, lapidar als 'Zombiefilm' zu bezeichnen, käme ergo fast einer Majestätsbeleidigung gleich. Andererseits liegt hier in der Tat der große Ausnahme-Zombiefilm vor, einer, den man guten Gewissens selbst baskenmützenbewährten, selbsternannten Kunstliebhabern im Programmkino vorführen könnte.

9/10

Italien Zombies Surealismus Michele Soavi Splatter


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DEUTSCHLAND IM HERBST (Volker Schlöndorff u.a./BRD 1978)


Deutschland im Herbst ~ BRD 1978
Directed By: Volker Schlöndorff/Rainer Werner Fassbinder/Alexander Kluge/Edgar Reitz/Alf Brustellin/Peter Schubert/Bernhard Sinkel/Hans-Peter Cloos/Katja Rupé/Beate Mainka-Jellinghaus/Maximiliane Mainka


Stuttgart, Oktober 1977: Während der von der RAF entführte und ermordete Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ein Staatsbegräbnis mit allen Ehren erhält, an dem sämtliche namhaften Persönlichkeiten der Republik aus Politik und Wirtschaft teilnehmen, werden die in der JVA Stammheim nach einem Gruppensuizid verstorbenen RAF-Mitglieder Baader, Ensslin und Raspe in einem kargen Gemeinschaftsgrab beigesetzt, begleitet von rund zehntausend sogenannten "Sympathisanten" der linken Szene, die scharf von einem Großaufgebot der Polizei beäugt werden. Zwischendurch immer wieder bezeichnende Szenen der nationalen Befindlichkeit: Der Regisseur Fassbinder verfällt angesichts der Lage in tiefe Depression und Verzweiflung; eine "Antigone"-Verfilmung fürs Fernsehen darf wegen der Analogien zur Dreifach-Beerdigung der Stammheimer nicht ausgestrahlt werden; eine junge Frau (Katja Rupé) wird beim Grenzübergang von einem Polizeibeamten (Leon Rainer) des Terroristentums verdächtigt. Paranoia, Depression, Katerstimmung allerorten. Deutschland im Herbst.

Im Herbst 1977 fertigten elf deutsche Regisseurinnen und Regisseure unter Mithilfe prominenter Autoren wie Heinrich Böll diese Filmcollage an, um, der eigenen Revision zufolge, eine "Gegenöffentlichkeit" zu evozieren sowie in Verbindung damit einen sozialkulturellen Standpunkt gegen das sich durch die gesamte nationale Presse ziehende, gleichgeschaltete Einheitsdenken zu setzen. Als dramaturgische Klammer des Films fungieren die zwei großen Begräbnisse der Antagonisten jener Tage, das von Schleyer auf der einen Seite und das von Baader, Ensslin und Raspe auf der anderen. Schlöndorff war mit einigen Mitarbeitern nach Stuttgart gereist und hatte beide Trauerfeiern professionell auf 35mm gefilmt, was den Aufnahmen einen geradezu befremdlichen Spielfilm-Look spendiert. Dazwischen gibt es weitere dokumentarische Aufnahmen, einen Parteitag der SPD auf dem Max Frisch eine atemlose Rede hält und ein Interview, das Helmut Griem mit dem inhaftierten Anwalt und Ex-RAF-Mitglied Horst Mahler führt, das Ganze wiederum im steten Wechsel mit Spielszenen und fiktiven Einsprengseln, wobei nicht ganz geklärt ist, welches Authentizitätsmaß Fassbinders emotional quälende Episode aufbietet.
"Deutschland im Herbst" ist ein in dieser Form nach wie vor einzigartiges Kleinod filmischen Schaffens in der Bundesrepublik; ein formal einzigartiger und zudem immens wichtiger Film, der aufzeigt, wie demokratische Meinungsäußerung zum rechten Zeitpunkt zu nutzen ist ohne aufdringlich zu sein oder eine bevormundende Position einzunehmen. Er dokumentiert lediglich, zum Teil nahezu Unfassbares, und regt zum Nachdenken an. Viel mehr kann und muss Kunst nicht leisten.

9/10

Heisser Herbst Alexander Kluge Rainer Werner Fassbinder Collage Edgar Reitz RAF Volker Schloendorff Terrorismus Heinrich Böll


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BROOKLYN'S FINEST (Antoine Fuqua/USA 2009)


"Just don't thank me. You even couldn't if I've had a second to think about what to do."

Brooklyn's Finest (Das Gesetz der Straße - Brooklyn's Finest) ~ USA 2009
Directed By: Antoine Fuqua


Drei Brooklyner Polizisten am Rande des Nervenzusammenbruchs: Der desillusionierte und einsame Eddie Dugan (Richard Gere) hat nur noch eine Woche bis zur Pensionierung und soll ausgerechnet jetzt noch einen potenziellen Nachfolger einarbeiten; Clarence Butler (Don Cheadle) arbeitet undercover um schneller befördert werden zu können und spürt langsam, dass er seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen ist; Sal Procida (Ethan Hawke) ist Vater einer stets weiterwachsenden Familie, die er dringend in einem größeren und sauberen Haus unterbringen möchte. Weil das Geld fehlt, kommt er auf dumme Gedanken...

Mit den schon vor einigen Dekaden von Altman installierten Mitteln des klassischen Ensemblefilms näherte sich Regisseur Fuqua dem Polizeidrama an und bewerkstelligte einen Genrefilm originärer Schule, wie er so ähnlich auch vor dreißig Jahren hätte entstehen können. Mit hartem Naturalismus und frei von jedweder Art der Auflockerung geht es Fuqua im Gegensatz zu seinen Urahnen Sidney Lumet oder Daniel Petrie weniger um das Aufzeigen eines innerlich faulenden, korrupten Systems sondern darum, Einzelschicksale und das zerstörerische Potenzial dieses vielbespuckten Knochenjobs dramaturgisch auszuloten. Dass dabei vor kleineren Klischees hier und da nicht unbedingt Halt gemacht wird, erschien mir vermschmerzbar angesichts der ansonsten durchaus packend erzählten und am Ende sogar vortrefflich montierten Drei-Ebenen--Plots. Ebenfalls positiv zu vermerken ist die vollmundige Brillanz, mit der sämtliche Akteure ihre Rollen ausfüllen. Besonders Wesley Snopes wäre es zu wünschen, dass er sich langsam wieder aus der DTV-Schiene emporarbeiten kann. Bei solcher Qualitätsarbeit wie in diesem Falle dürfte ihm das eigentlich nicht allzu schwer fallen.

8/10

Antoine Fuqua New York Ensemblefilm


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WIZARDS (Ralph Bakshi/USA 1977)


"So, what are elves good for?"

Wizards (Die Welt in 10 Millionen Jahren) ~ USA 1977
Directed By: Ralph Bakshi


Zehn Millionen Jahre nach einem verheerenden Atomkrieg wird die Erde (wieder, wie die Stimme von Susan Tyrrell bzw. Inken Sommer im Prolog weissagt) von Elfen, Mutanten und Robotern bevölkert, die sich im Wesentlichen in zwei Richtungen orientieren, die wiederum zufällig von einem bis auf den Tod verfeindeten Bruderpaar bestimmt werden: Avatar und Blackwolf. Der eine ist ein lustiger, zerzauster alter Magier, versoffen und spitz wie Nachbars Lumpi, der eine ein böser Dämon, der sich mit dokumentarischen Blitzkriegsfilmen und Aufnahmen alter Hitlerreden seine Armeen untertan macht. Als Blackwolf einmal mehr versucht, Avatar durch einen seiner Killerroboter töten zu lassen, macht der lustige Zauberer sich zwecks endgültiger Entscheidung mit der drallen Elfenprinzessin Elinore, dem Krieger Weehawk und dem "umgedrehten", jetzt 'Peace' heißenden Roboter auf nach dem Lande Scortch, wo Blackwolf auf seinem sinistren Nazischloss hockt.

Ralph Bakshis Filme zu mögen ist nicht unbedingt leicht; seine Herangehensweise an die ihn bewegenden Themen häufig eine unkonventionelle und die Methode der Umsetzung, die ihre Wurzeln bei Robert Crumb und im Underground-Comic hat, im Prinzip ein diametraler Gegenentwurf zu jeder Form von klassischer Animation im US-Zeichentrickfilm. Dennoch hatte Bakshi einst "seine" Dekade, in den elf Jahren zwischen "Fritz The Cat" und "Fire And Ice" um genau zu sein, in der viel möglich war im amerikanischen Kino, in der verschiedene Animationsstile von der klassisch-zweidimensionalen bis hin zur Rotoskopie wild mit Realfilmaufnahmen gemixt werden durften, ohne dass jemand gleich laut 'Eklektizismus!' schrie, in der wilde LSD-Phantasien, offener Sexismus und Blut als hoffähige Elemente firmierten, in der Blaxploitation sogar Zeichentrick sein durfte. Für Bakshi war diese Phase ideal, um seinen Phantasien Ausdruck zu verleihen. Leider sank sein Stern ebenso schnell wie er zuvor aufgestigen war. "Wizards", den Bakshi im Interview als Familienfilm zu verkaufen sucht, ist eigentlich genau das Gegenteil eines solchen, auch wenn hier und da der obskure Humor ein infantiles Niveau noch unterschreitet. Die irrsinnigen Farbexplosionen vor den wie selbstverständlich zum Filminventar gehörenden Nazi-Memorabilia ist nicht eben leicht zu schlucken und für jedes Kind unter 12 Jahren vermutlich nur über Umwege zu interpretieren. Aber sei's drum; das ist ja gar kein Bewertungsmaßstab. Als Supporter für Rauschzustände könnte ich mir den Film geradezu formidabel vorstellen, leider war ich selbst bei meiner Betrachtung einfach nur müde und vor allem nüchtern. Nicht die besten Voraussetzungen um einen Bakshi-Film gebührend zu würdigen. Beim nächsten Ml bin ich besser vorbereitet.

7/10

Elfen Apokalypse Dystopie Nationalsozialismus Ralph Bakshi Mutant Roboter


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DER FANGSCHUSS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1976)


"Ich bin kein Mann für Sie."

Der Fangschuss ~ BRD/F 1976
Directed By: Volker Schlöndorff


Das Baltikum im Winter 18/19: Zwar ist der Erste Weltkrieg vorbei, für die die Weißarmisten unterstützenden deutschen Freikorpsler wie den verbissenen Offizier von Lohmond (Matthias Habich) jedoch steht der Kampf gegen die aus dem Osten voranschwemmenden Bolschewiken-Welle nach wie vor im Lebensmittelpunkt. Mit dem Herrensitz der Familie de Reval findet man ein noch bestehendes Bollwerk vor. Die mit den Roten liebäugelnde Hausherrin Sophie de Reval (Margarethe von Trotta), Schwester von von Lohmonds bestem Freund Conrad (Rüdiger Kirschstein), verliebt sich hingebungsvoll in den gefühlskalt scheinenden Soldaten - ohne erkennbare Wechselbekundung. Im Gegenteil versagt jedes noch so widersinnig scheinende Mittel, von Lohmond näherzukommen. Am Ende stehen er und sie sich endgültig auch als politische Kontrahenten gegenüber.

Eine von Schlöndorffs diversen Literaturadaptionen, diesmal nach einem Roman der französischen Literatin Marguerite Yourcenar, dessen Originaltitel "Le Coup De Grâce" adäquater übersetzt worden wäre mit "Der Gnadenschuss" - doch die Namensvergabe war ja allein durch die längst geschehene deutschsprachige Übersetzung bereits installiert und etabliert. Dem Zeitkolorit und der Kälte des handlungstragenden Winters geschuldet wurde "Der Fangschuss" in schwarzweiß abgelichtet. Er enthält mit seinen unnachgiebigen, harten Kontrasten einige der schönsten und ästhetisch herausragendsten Bilder, die ich bisher bei Schlöndorff gesehen habe; zudem ergänzen sich die kompositorische Brillanz und die der Geschichte innewohnende, emotionale Orientierungslosigkeit perfekt.
Die letzte Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Margarethe von Trotta markiert, wie ich finde, einen in seiner überwältigenden Tristesse und Theatralik exzellentesten Filme des Regisseurs, der als Verfilmung historischer Literatur in seiner Filmographie zudem eine wichtige Entwicklungsposition einnehmen dürfte - "Die Blechtrommel" meint man bereits am Horizont erschnuppern zu können.

9/10

Baltikum Schnee WWI Russische Revolution Volker Schlöndorff Homosexualitaet


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STROHFEUER (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Das läuft alles überhaupt nicht so, wie ich will."

Strohfeuer ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Redakteursehefrau Elisabeth Junker (Margarethe von Trotta) wählt mit Ende Zwanzig den Neuanfang, lässt sich von ihrem Mann (Friedhelm Ptok) scheiden und will sich selbst verwirklichen, ein einziges Mal in ihrem Leben ohne fremde - vor allem männliche - Unterstützung. Doch werden ihr allzuviele Stolpersteine in den Weg gelegt als dass eine durchweg selbstständige Existenz als Frau und Mutter eines kleinen Sohnes noch möglich erscheint. Am Ende landet sie wieder genau dort, woher sie geflohen ist: In der Ehe.

Auf den Spuren von Cassavetes und Bergman wandelt Schlöndorff mit der resignativen Emanzipationsgeschichte "Strohfeuer", auf denen von letzterem sogar mit nachhaltiger Konsequenz, denner konnte Sven Nykvist als dp für sein Projekt gewinnen, der vornehmlich mit Naturlicht, respektive seinerzeit "unkonventionellen" Beleuchtungstechniken (von unten nach oben statt umgekehrt) zu arbeiten pflegte und damit früh eine spezielle Art der Bildsprache kreierte. Dem manchmal ironisch-satirischen, vornehmlich jedoch von einem stark feministisch-frustrierten Weltbild geprägten Film tut Nykvists Auge erwartungsgemäß gut, denn sein von der Inszenierung unabhängiges Gespür für das Bebildern existenzieller Einbahnstraßen ist hinlänglich bekannt.
Bei der Rollenvergabe im Vorfeld und auch bei der Realisation erscheint vor allem auffällig, dass die interessanteren, farbigeren Parts fast durchweg an Männer vergeben wurden - da scheint die Realität auf seltsame Weise zur Entsprechung der Fabel geworden zu sein...

8/10

Emanzipation Volker Schlöndorff Ehe Scheidung Familie


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DIE MORAL DER RUTH HALBFASS (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Wenn Frauen nicht mehr weiterwissen, gehen sie zum Friseur."

Die Moral der Ruth Halbfass ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Affäre mit dem bildungsbeflissenen Lehrer Vogelsang (Helmut Griem) bedeutet für die Managerehefrau Ruth Halbfass (Senta Berger) eine Möglichkeit zur Flucht aus ihrem Alltag, in dem sie lediglich eine unbedeutende Rolle als Gattin und Mutter spielt und in dem für Selbstverwirklichungsambitionen kein Platz herrscht. Andererseits fehlt es Ruth selbst an der nötigen Chuzpe, einen radikalen Strich unter ihr bequemes Bourgeoisieleben zu ziehen und ganz von vorn anzufangen. Zunächst sieht es so aus, als würde der Zufall ihr und ihrem Liebhaber ins Kontor spielen, doch das Schicksal bleibt unnachgiebig.

An Chabrol habe er sich orientieren wollen und sei damit auf halbem Wege gescheitert, gibt Schlöndorff bezüglich des ersten seiner beiden Filme über scheiternde Emanzipationsversuche zu Protokoll. Dabei geht er mit sich selbst allerdings sehr hart ins Gericht, denn bei "Ruth Halbfass" handelt es sich durchaus um einen cleveren, bisweilen sehr komischen und vor allem höchst brauchbaren Film, der seinen sozialkritischen Ansprüchen gerecht wird, ohne sich sichtlich abzumühen. Vielleicht ist es gerade diese spürbar-zwingende Leichtigkeit, die Schlöndorff im Nachhinein zur Unzufriedenheit veranlasst; in der Tat gliedert sich dieser Film ja nicht ganz reibungslos in sein übriges, sich häufig unittelbar an der Weltliteratur orientierendes Œuvre ein. Dafür steht ihm hier eine ätherisch schöne Senta Berger zur Verfügung, die wie gemacht scheint für die Rolle der im Grunde belanglosen Industriellenfrau, der außer ihrer mit der Zeit zum Welken verurteilten Anmut nichts mehr bleibt. Außerdem weiß wiederum der eigenartige, bereits aus dem "jungen Törless" bekannte Anti-Schauspieler Marian Seidowsky - hier in seiner letzten Rolle - zu faszinieren, der zwischendrin auch bei Fassbinder mitgespielt und bereits mit 29 Jahren infolge einer unheilbaren Krebserkrankung Selbstmord begangen hat. Auch sonst hat Schlöndorff manche lohnenswerte Anekdote über den seltsamen Seidowsky parat.

8/10

Emanzipation Ehe Familie Volker Schloendorff Satire


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THE BAD LIEUTENANT: PORT OF CALL - NEW ORLEANS (Werner Herzog/USA 2009)


"What are these fuckin' iguanas doing on my coffee table?"

The Bad Lieutenant: Port Of Call - New Orleans (Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen) ~ USA 2009
Directed By: Werner Herzog


Sechs Monate nachdem Lt. Terence McDonagh (Nicolas Cage) vom New Orleans Police Department die erste Vicodin gegen seine ihn infolge eines übereifrigen Arbeitseinsatzes heimsuchenden Rückenschmerzen eingenommen hat, ist er auf praktisch allem, was unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und macht selbst vor Heroin und Crack nicht Halt. Sein aktueller Fall, die Aufklärung eines Mordes an einigen afrikanischen Migranten im Dealermilieu, wird für ihn zu einem wahren Höllentrip, da er mit diversen privaten Problemen McDonaghs zusammenfällt, die in erster Linie mit seinem zunehmenden Realitätsverlust zu tun haben.

Von Schlangen und Fischen, Alligatoren und Leguanen: Die Parallelen zwischen Abel Ferraras Meisterwerk aus den frühen Neunzigern und diesem zunächst als dessen Remake angepriesenen Film bleiben überschaubar. Beide Stücke küren einen Polizisten zur Hauptfigur, der die Bodenhaftung verloren hat und sie, festgeklemmt zwischen überhöhten Wetteinsätzen und der eigenen Drogensucht, nicht mehr wiederzufinden in der Lage ist. Darin erschöpft sich auch bereits die Identität von Ferrara und Herzog; tatsächlich hat die auffällige Titelanalogie eher etwas mit der Rechteinhabe zu tun, die am Produzenten Edward Pressman hängt. Ansonsten ist von Ferraras finsterer Spirale-Abwärts-/-Schuld-und-Sühne-Parabel nicht viel übrig geblieben; "Port Of Call - New Orleans" begnügt sich damit, seinen Fokus auf ein paar biographische Schlaglichter im Leben eines seine Berufsmoral mit Füßen tretenden Bullen-Junkies zu konzentrieren. Das macht Herzogs Film allerdings keinesfalls schlechter, nur eben ganz anders, und bei all seinen kleinen Verrücktheiten wahrscheinlich auch deutlich realitätsverankerter. Dass nämlich jeder Sünder seine Verfehlungen gleich mit dem Tod zu bezahlen hat, ist vielleicht doch ein obsoletes literarisches, um nicht zu sagen: sakrales Gesetz. Für Lt. McDonagh jedenfalls fügt sich am Ende alles gleich einer vorbeiziehenden Gewitterwolke. Natürlich nur bis zum nächsten Sniff, so ehrlich ist man dann doch mit uns. Für Nicolas Cage, der ihn spielt und der Rollen von einem solchen Format trotz Dauerengagements mittlerweile gerade mal alle vier, fünf Jahre spielt, ist das mal wieder ein kleines Stück überfällig scheinender Rehabilitation und der Film, der wohl zu den besten des letzten Jahres gehört, natürlich ganz der seine.

9/10

New Orleans Werner Herzog Drogen neo noir Suedstaaten


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BEETLE JUICE (Tim Burton/USA 1988)


"I'm a ghost with the most, babe."

Beetle Juice ~ USA 1988
Directed By: Tim Burton


Nach seinem urplötzlichen Unfalltod sieht sich das zu Hausgeistern gewordene Provinzehepaar Barbara (Geena Davis) und Adam Maitland (Alec Baldwin) der grauenhaften Yuppiefamilie Deetz (Jeffrey Jones, Catherine O'Hara) als neuen Heimeigentümern gegenüber. Die Deetzens haben die Stadtflucht als neuen Hipstergral für sich entdeckt und aus ist es mit der ländlichen Harmonie. Einzig Tochter Lydia (Winona Ryder) ist eine sympathische junge Dame. Da die Maitlands viel zu brav sind um ihre neuen Mitbewohner spukend aus dem Haus zu ekeln, sehen sie sich irgendwann gezwungen, sich der Dienste des schmierigen "Bio-Exorzisten" Betelguise (Michael Keaton) zu bedienen. Jener stiftet allerdings mehr Chaos als selbst Gespenstern lieb sein kann.

Mit etwas Abstand nun auch Burtons zweite Langregiearbeit nachgeholt, die mir mittlerweile wesentlich besser gefällt als damals meinem Steppke-Ich im Kino. Da wusste ich allerdings auch mit dem quirligen Anarcho-Humor der ganzen verrückten Angelegenheit, so etwa mit der zersägten Frau und dem schrumpfköpfigen Großwildjäger im Problemfallwartesaal zum lustigen Jenseits und natürlich mit Keatons brachialen Irrsinns-Auftritten (besondere Sympathiebekundungen in diesem Zusammenhang auch für seinen Synchronsprecher Ulrich Gressieker, der leider kurz danach wegen Suizids selbstins Jenseits übertrat) noch nicht allzuviel anzufangen. Heute kann ich mich da an den teils wunderbaren visuellen Einfällen mitsamt augenschmeichelnder Stop-Motion-Effekte schon deutlich gekonnter verlustieren. Ähnliches gilt für die für mich damals natürlich noch übersehene, imperative Botschaft des Films: "Exzentriker aller Sphären, vereinigt euch!", die ganz besonders das urbane Gernegroßtum des Achtziger-Jahre-Snobisten an und für sich auf die Pike nimmt. Robert Goulet und Glenn Shadix als Antlitze des gepflegten, hochnäsigen Brokers mit ihrem ausgeprägten Kunstverstand für den After sind nur toll.

8/10

Tim Burton Geister





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Funxton

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