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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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MURDERS IN THE RUE MORGUE (Robert Florey/USA 1932)


"Are you insane, monsieur?"

Murders In The Rue Morgue (Mord in der Rue Morgue) ~ USA 1932
Directed By: Robert Florey


Im 19. Jahrhundert besucht der Pariser Student Pierre Dupin (Leon Ames) die Vorstellung des seltsamen Dr. Mirakle (Bela Lugosi) und seines Gorillas Erik, mit dem Mirakle sich angeblich verständigen kann. Ferner stellt selbiger Erik den schockierten Besuchern seines Etablissements als evolutionäres "missing link" vor. Als Mirakle auf Dupins Freundin Camille (Sidney Fox) aufmerksam wird, gerät sie in tödliche Gefahr. Der irre Doktor will nämlich Menschen- und Affenblut vermischen und sucht dafür passende Probandinnen. Mehrere hat er bereits auf dem Gewissen, Camille soll die Nächste sein...

Mit Poes gleichnamiger Kurzgeschichte hat Floreys "Murders In The Rue Morgue" bestenfalls Grundmotive gemein, und man muss seinen Fokus schon aufs Großzügige ausweiten, um jene überhaupt ausfindig zu machen. Im Prinzip kommen hier wie dort ein Menschenaffe und ein Ermittler namens Dupin vor, damit hat sich's auch. Beste Dreingabe der Kinoversion neben der hübschen Sidney Fox, die all die wasserstoffblondierten dreißiger "Sexbomben" von Jean Harlow bis Mae West locker aussticht, ist natürlich Lugosi als Dr. Mirakle. Jener stielt mit zusammengewachsenen Brauen völlig sinnlose medizinische Experimente ein, die das Hauptversuchsobjekt, Mirakles geilen Affen Erik, den größten Kehrricht scheren dürften. Überhaupt werden die gelehrigen Tierchen hier ungerechterweise als aggressive Genickbrecher in Misskredit gebracht. In den Nahaufnahmen, wenn nicht gerade ein Schauspieler im Primatenkostüm zu sehen ist, ist Erik übrigens eindeutig als Schimpanse identifizierbar. "Murders" verfügt nebenbei noch über waghalsige Kamera- und Schnittexperimente, deliziöse expressionistische matte paintings und einen sehr amüsanten Humor: Als die Flics bezüglich des Mörders, also Erik, ermitteln, streiten sich ein Deutscher (Herman Bing), ein Italiener (Agostino Borgato) und ein Däne (Torben Meyer), welche Sprache jener nun wirklich gesprochen habe. Urkomisch.

8/10

Madness Mad Scientist Edgar Allan Poe Paris period piece Karl Freund Serienmord Affen


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THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME (William Dieterle/USA 1939)


"Sanctuary! Sanctuary!"

The Hunchback Of Notre Dame (Der Glöckner von Notre Dame) ~ USA 1939
Directed By: William Dieterle


Paris im späten 15. Jahrhundert: Der Buchdruck hat sich soeben den Weg in die Stadt gebahnt, da wähnt der intrigante Dompropst Frollo (Cedric Hardwicke) schon eine mögliche Teufelei in jener Entwicklung, die aufklärerische Philosophien zum völkischen Lauffeuer machen könnte. Zeitgleich kommt die schöne Zigeunerin Esmeralda (Maureen O'Hara) in die Stadt, die ausnahmslos jedem Manne den Kopf verdreht, allen voran Frollo selbst, der wiederum auch dies für eine rein diabolische Verführung hält. Als er einsehen muss, dass er Esmeralda niemals besitzen kann, intrigiert er gegen sie und will sie an den Galgen bringen, doch der von jedermann verspottete, körperlich entstellte Glöckner Quasimodo (Charles Laughton), zugleich Frollos Findelkind, rettet sowohl Esmeralda als auch die Kathedrale Notre Dame de Paris vor der Erstürmung durch revolutionäre Kräfte.

Wie all die großen, monströsen Wesen des Kinos in den Dreißigern blieb auch die innige Zuneigung des Glöckners Quasimodo für seine schöne Angebetete nur ein Traum. "Why was I not made of stone - like thee?", fragt er am Ende die Wasserspeier auf dem Dach seiner Heimstatt und subsummiert damit die ganze Tragik seiner Existenz. Dieterles Quasimodo steht dabei in Ehrfurcht gebietender Tradition: Dracula, Imhotep, der Zwerg Hans, Kong, Frankensteins Monster, der Chirurg Dr. Gogol, das Phantom der Oper und so fort - durchweg traurige, missverstandene, teils übernatürliche, teils erschreckend menschliche Wesen mit dem sie alle einenden, unerfüllten Wunsch nach Wärme, Zuneigung, Liebe oder auch bloß einer Partnerin für die Ewigkeit. Tatsächlich sind all diese vordergründigen Schreckgestalten ja zumeist bloß unförmige Ringer in romantischer Tragödie und damit die schattigen Nebenbuhler von Errol Flynn, Clark Gable und Konsorten. Charles Laughton war dann der letzte große Horrorheld des Jahrzehnts, in einer ungeheuer aufwendigen (die Inszenierung der Massenszenen und des Narrenfests sowie die Bauten von Polglase sind von höchster Kunstfertigkeit) und schönen RKO-Adaption des Hugo-Romans. Der Horror-Stempel wiederum kam freilich als Begleitsymptom, denn im Prinzip tut Quasimodo weiter nichts Unrespektables, als sich physiologisch der Norm zu entziehen. Das wahre Böse verbirgt sich hier einmal mehr unter gesellschaftlich anerkanntem Talar, nämlich dem des Klerus!

9/10

period piece Historie Paris William Dieterle Renaissance


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FREAKS (Tod Browning/USA 1932)


"Gooble-gobble, gooble-gobble!"

Freaks ~ USA 1932
Directed By: Tod Browning


Der zwergenwüchsige Artist Hans (Harry Earles) aus dem Sideshow-Zirkus der Madame Tetrallini (Rose Dione) verliebt sich zur großen Enttäuschung seiner Verlobten Frieda (Daisy Earles) in die normalgroße Seilakrobatin Cleopatra (Olga Baclanova). Diese, eine zutiefst gierige und boshafte Person, macht sich einen Spaß daraus, die wertvollen Geschenke des vor Liebe blinden Hans anzunehmen und sich dabei vor der ganzen Zirkusgesellschaft über ihn lustig zu machen. Als Cleopatra erfährt, dass Hans eine großzügige Erbschaft im Rücken hat, geht sie sogar soweit, ihn mit Mordplänen im Hinterkopf zu heiraten. Doch sowohl Hans als auch die anderen körperlich deformierten Zirkusmitglieder kommen Cleopatra dahinter und rächen sich grausam an ihr und dem Kraftmenschen Hercules (Henry Victor), ihrem "partner in crime".

Mit dem erklärten Ziel, die gruseligen Horror-Talkies der Konkurrenz von Universal an schockierendem Effekt noch zu überbieten, verlangte MGM-Executive Irving Thalberg nach entsprechend rüdem Stoff. Die MGM entwickelte sich schließlich, mit Ausnahme vielleicht noch von der RKO, zum einzigen ernstzunehmenden Konkurrenten auf dem Gebiet des Horrorfilms dieser nicht nur für jenes Genre goldenen Jahre. Zwar hatte jedes Studio seine zwei, drei Vorzeigeprojekte, doch nur die genannten drei vermochten es, praktisch Klassiker in Serie hervorzubringen. Nachdem die Universal unter Carl Laemmle bereits "Dracula", Frankenstein" und "The Mummy" von der Leine gelassen hatte, zog MGM nach: Man entlieh "Dracula"-Regisseur Tod Browning bei der Konkurrenz, engagierte echte Sideshow-Mitarbeiter mit wirklichen physischen Abnormitäten und schuf einen Horrorfilm, der eigentlich gar keiner ist. Vielmehr erzählt "Freaks" ein soapiges Romantikdrama mit kriminalistischem Ausgang, das so ähnlich auch als späterer Noir-Stoff funktioniert hätte. Das von dem Film womöglich evozierte Grauen entstammt bekanntlich der Selbstprojektion des Publikums, das erstmal schlucken muss, dass die physisch normalgewachsenen die innerlich Verabscheuungswürdigen sind und die Deformierten und Behinderten die wahrhaft edlen Charaktere mit strengem Gemeinschafts- und Ehrenkodex. Um es den Leuten nicht ganz so schwer zu machen, bekamen sie die voll bei den Freaks inegrierten "Normalos" Phroso (Wallace Ford) und Venus (Leila Hyams) als Identifikationsfiguren mit auf den Weg.
Es lässt sich bis heute trefflich darüber streiten, ob der Film die Behinderungen seiner Akteure selbstzweckhaft ausbeutet oder ein humanistisches Pamphlet ist; Argumente gibt es hinreichend für beide Positionen. Als Film von allerhöchster atmosphärischer Qualität indes darf "Freaks" als unumstritten gelten. Dabei verachtete ihn das zeitgenössische Publikum als geschmacklos und unansehnlich: Das Werk wurde um ein Drittel gekürzt, für seinen Regisseur entwickelte es sich zu einer Sollbruchstelle des Karriere-Abstiegs und es war ein jahrzehntelanger Giftschrankkandidat bis zu seiner Wiederentdeckung durch die Gegenkultur der Sechziger. Eine entsprechend schöne Hommage bietet beispielsweise Bertoluccis "The Dreamers".

10/10

Behinderung Zirkus amour fou Tod Browning


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GOOD WILL HUNTING (Gus Van Sant/USA 1997)


"It's not your fault."

Good Will Hunting ~ USA 1997
Directed By: Gus Van Sant


Der junge Will Hunting (Matt Damon) jobbt auf dem Bau und betätigt sich zusätzlich als Reinigungskraft in der Uni von Harvard. Seine Freizeit verbringt er vornehmlich sinnfrei mit seinen Kumpels (Ben Affleck, Casey Affleck, Cole Hauser), mit denen er vornehmlich um die Häuser zieht und sich auch schonmal den einen oder anderen illegalen Lapsus leistet. Als er wegen einer erneuten Schlägerei endgültig verurteilt zu werden droht, nimmt sich Professor Lambeau (Stellan Skarsgård) seiner an. Dieser hat nämlich erkannt, was hinter Wills renitentem und postpubertärem Gehabe steckt: Ein intellektueller Kopf und ein mathematisches Genie, das die Narben der Vergangenheit nie ganz ausheilen ließ und aus Selbstschutz alles negiert, was ihn seiner kleinen Welt entreißen könnte.
Um sich zu bewähren, muss Will nun regelmäßige Sitzungen bei einem Therapeuten nachweisen. Nach einem massenhaften Verschleiß landet er bei Lambeaus altem Freund Maguire (Robin Williams), der es schließlich schafft, Wills Unnahbarkeitspanzer zu knacken.

"Good Will Hunting" kann auf ein gesegnet kluges, in seinen Dialogen höchst geschliffenes Script bauen, das aus einer ansonsten recht konventionell inszenierten Underdog-Geschichte dann doch etwas Besonderes macht. Dabei bietet der Film erklärten Gegnern sicherlich nicht wenig Angriffsfläche. Das beginnt schon mit Robin Williams in der immergleichen Rolle als heilsamer Gutmensch, dessen hier dargestellter Charakter zudem eine punktgenaue Mischung aus zweien seiner Repertoire-Klassikern, dem Lehrer John Keating und dem Penner Parry darstellt. Dann kommt uns der zerkratzt-unwirsche Genius, das zunächst die Mauern seiner wahlweise intellektuellen, emotionalen, psychischen oder auch sozialen Isolation niederzureißen hat, um sein Leben in Erfüllung zu leben, keinesfalls unbekannt vor. Im Gegenteil, die Vorbilder dafür sind Legion. Und doch hat "Good Will Hunting" mancherlei, das ihn durchaus positiv von diesen abzuheben scheint: Ein unerschütterliches Selbstvertrauen, eine ernstgemeinte Authentizität. Beim Scharren an der Oberfläche kommt nämlich rasch zum Voirschein: Van Sants Film ist auch und insbesondere eine Liebeserklärung an Bostons Proletariermilieu, an die schluffigen Ecken und an das irische Erbe der Stadt. Tatsächlich ist "Good Will Hunting" fast ausschließlich ein Drehbuchfilm, dem die Regie-Spirenzchen, die man andernorts von Van Sant nicht selten durchzustehen hat, alles andere als gut getan hätten. Umso dankenswerter, dass der Mann hier darauf verzichtet hat.

8/10

Gus Van Sant Boston Harvard Mathematik Psychiatrie


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A PLACE IN THE SUN (George Stevens/USA 1951)


"Goodbye, George."

A Place In The Sun (Ein Platz an der Sonne) ~ USA 1951
Directed By: George Stevens


Der junge Herumtreiber George Eastman (Montgomery Clift) kommt nach Kalifornien, um in der Bademodenfabrik seines reichen Onkels Charles (Herbert Heyes) arbeiten zu können. Am Fließband lernt er die Arbeiterin Alice (Shelley Winters) kennen. Nah einer heftigen Affäre wird sie von ihm schwanger und erwartet von George, dass er sie heiratet. Dieser hat sich derweil jedoch in das aus wohlhabendem Hause stammende Society Girl Angela Vickers (Elizabeth Taylor) verliebt. Alice wird für George, der das süße Leben der reichen Gesellschaft zu schätzen beginnt, zu einem beschwerlichen Klotz am Bein und er beginnt zunehmend aggressive Gedanken gegen sie zu hegen. Schließlich kommt es zur Katastrophe.

"A Place In The Sun" gilt als einer der großen Hollywood-Klassiker und wird regelmäßig hinzugezogen, wenn es um repräsentative Kanonisierungen der amerikanischen Filmgeschichte geht. Und tatsächlich bietet Stevens' Romamadaption großatmiges Standesdünkel-Drama vom Feinsten. Ein Emporkömmling, der zunächst seine, aus großbürgerlicher Warte betrachtet ungebührliche Vergangenheit schwärzen muss, bevor er wirklich zu den oberen Zehntausend gehören kann, gerät in die Falle kapitaler Notkriminalität. Die "Mordszene" (die eigentlich bestenfalls eine halbe ist) auf dem finsteren, unenergründlich tief scheinenden Eistaucher-See bedeutet vermutlich Stevens' inszenatorische Sternstunde, "Shane" hin, "Giant" her. Und dann ist da ja noch die Liebe. Eigentlich kommt George Eastman ja gar nicht zu den Frauen - sie kommen zu ihm. Erst die rustikale Alice Tripp (Shelley Winters sah tatsächlich mal jung und rank aus), dann die ätherische Angela Vickers (Elizabeth Taylor war nie schöner) und beide brechen sie ihm auf ihre Weise das Genick. Immerhin kann George sich auf seinem letzten Gang ihrer beider aufrichtiger Liebe sicher sein.

9/10

amour fou Americana Kalifornien Theodore Dreiser George Stevens Courtroom


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THE MUMMY (Karl Freund/USA 1932)


"He went for a little walk! You should have seen his face!"

The Mummy (Die Mumie) ~ USA 1932
Directed By: Karl Freund


Zehn Jahre nachdem sein Vater Sir Joseph (Arthur Byron) das Grab des vor fast vier Jahrtausenden wirkenden ägyptischen Hohepriesters Imhotep (Boris Karloff) entdeckt hat, dessen Körper auf seltsame Weise aus der Grabkammer verschwunden ist, wird bei dem ebenfalls als Ägyptologen tätigen Frank Whemple ein mysteriöser Mann namens Ardath Bey (Karloff) vorstellig. Dieser wüsste, wo sich das Grab der Prinzessin Anck-es-en-Amon befände. Nachdem Whemple junior diese ausgegraben hat, beginnt sich Ardath Bey, bei dem es sich in Wahrheit natürlich um den wiedererwachten Imhotep handelt, sich für Whemples Verlobte Helen (Zita Johann) zu interessieren. In ihr sieht Imhotep die Reinkanation seiner geliebten Prinzessin von einst. Um mit ihr in alle Ewigkeit vereint zu sein, plant er nun eine Seelenübertragung und die Ermordung Helens, um sie danach wieder zu unheiligem Leben erwecken zu können. Glücklicherweise funkt der wackere Okkultismusforscher Dr. Müller (Edward Van Sloane) Imhotep in die Parade.

Für "The Mummy", der fast wie ein etwas reiferer Zwilling von Brownings "Dracula" wirkt, übernahm dessen Kameramann Karl Freund die Regie. Vieles präsentiert sich als unmittelbare Analogie zu dem Vampirfilm: Ein untotes Schattenwesen, das eine Holde für die Ewigkeit erwählt und sie sich durch eine Art widernatürliche Transformation gleichmachen will. Ein ausländischer Hexendoktor (jeweils von Van Sloan interpretiert, der auch in Whales "Frankenstein" den weisen, väterlichen Gutmenschen gab) mit Durchblick, ein im Prinzip höchst langweiliger, menschlicher Verlobter, ein untermenschlich gezeichneter Diener (hier: Arthur Tovey als "Nubier"). Und dann diese traumhaften Bilder, wahre Poeme aus Licht und Schatten, vor allem jedoch Karloffs unglaubliche Maske, in höchst wirkungsvoller Weise beleuchtet. So etwas gibt es heute einfach nicht mehr. Die jeweils genüsslich eingerahmten und ausgekosteten Momente, in denen Imhoteps böse funkelnde Augen sich öffnen, erreichen einen suggestiven Sog, wie er eine Rarität geworden ist im Kino der späteren Jahre. Für mich einer der allerschönsten Horrorfilme seiner Dekade.

10/10

Karl Freund Mumie Universal-Monster Aegypten


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DRACULA (Tod Browning/USA 1931)


"I never drink... wine."

Dracula ~ USA 1931
Directed By: Tod Browning


Der Londoner Makler Renfield (Dwight Frye) kommt nach Transsilvanien, um dem Grafen Dracula (Bela Lugosi) die Verträge über den Kauf der Carfax Abbey zu bringen. Nichtsahnend gerät Renfield in die Fänge eines Vampirs, der sein Jagdgebiet auf die englische Metropole auszudehnen plant. Als Dracula, in London angekommen, die schöne Mina Seward (Helen Chandler) kennenlernt, ist es gleich um ihn geschehen. Nachdem er zunächst Minas Freundin Lucy (Frances Dade) zu einer Vampirin gemacht hat, erwählt er Mina zu seiner Braut für die ewigkeit. Doch Minas Verlobter John Harker (David Manners) und vor allem der Wissenschaftler Van Helsing (Edward Van Sloan) haben etwas dagegen.

Dem nach meinem Dafürhalten ungebrochen formidabel anzuschauenden Horrorklassiker, mit dem die Universal seinerzeit ihren berühmten Monsterzyklus vom Stapel ließ, wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte zuweilen vorgeworfen, er sei zu statisch gefilmt und verlasse sich allzu sehr auf Lugosis Präsenz, als dass er wirklich noch hinreichend schauerlich sein könne. Das ist natürlich nichts als neidische Makulatur. Mit "Dracula" heben Browning und sein dp Karl Freund etliche noch heute gültige Genremotive aus der Taufe und schöpfen archetypische Szenen und Bilder, die bis in die Gegenwart nahezu alle "Dracula"-, wenn nicht gar die allermeisten Vampirfilme zitieren. Die herrlichen Dekors mit ihren endlos scheinenden Treppen, die Spinnenweben, das Kleingetier und besonders die expressionistische Photographie sind allesamt nichts weniger als filmische Arrangements von Meisterhand. Dass die Fledermäuse zuweilen etwas albern aussehen, Charles Gerrard als Irrenwärter Martin (dessen Figur für einen humorigen Zwischenmoment für das schockierte Publikum zu sorgen hatte) eine im Grunde unverzeihliche atmosphärische Bremse darstellt und eine höchst seltsame Einstellung, in der eine Biene aus einem Minisarg klettert, kann man als vertretbare Patina-Erscheinungen verbuchen. Der Film im Ganzen ist und bleibt ein cineastisches Gedicht.

9/10

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THUNDER ROAD (Arthur Ripley/USA 1958)


"You finally made the big mistake tonight."

Thunder Road (Kilometerstein 375) ~ USA 1958
Directed By: Arthur Ripley


Nachdem Lucas Doolin (Robert Mitchum) aus dem Koreakrieg heimgekehrt ist, steigt er in das "Moonshining"-Geschäft seiner Familie ein. Sein Vater (Trevor Bardette) pflegt im Hinterwald von Kentucky eine illegale Whiskey-Destille, derweil Doolin den Stoff zu liefern hat. Dazu benutzt er getunte Autos, die auch schonmal über Spezialgadgets verfügen und liefert er sich mit diversen ungehaltenen Schatzbeamten. Jene gehen zuweilen tödlich aus. Als der Gangsterboss Kogan (Jacques Aubuchon) sich mit Doolin anlegt, bleibt der harte Schmuggler ungerührt. Erst als die von Kogan ausgehende Gefahr auch seinen kleinen Bruder (Jim Mitchum) erreicht, fährt Doolin aus der Haut.

Als kleine Liebeserklärung an die Bootlegger-Parakultur in den Appalachen und das moralische "Grundrecht" eines jeden Amerikaners, sich seinen Schnaps selbst brennen und ihn steuerfrei verscherbeln zu dürfen, genießt "Thunder Road" in den USA den Segen einer ungemein großen Anhängerschaft. Und es sieht dann auch ganz anders als die vielen anderen films noirs der Jahre zuvor, dieses Herzensprojekt von Robert Mitchum, wenngleich es sich zumindest formal durchaus noch als später Nachzügler in deren Tradition stellt. "Thunder Road" probiert, erste Action-Standards zu setzen; es gibt einige Verfolgungsjagden, die zwar noch recht possierlich und altbacken inszeniert sind, aber immerhin. Viel interessanter ist sowieso die Antihelden-Verklärung des Films: Mitchum ist der perfekte amerikanische Rebell. Frustrierter Kriegsveteran, eigenbrötlerisch, dickköpfig. Von zwei schönen Frauen (Keely Smith, Sandra Knight) verehrt und vor allem die coolste Sau on earth. Als sich bei einer seiner unfreiwilligen Rennfahrten einer von Kogans Spürhunden gleich neben ihn setzt, schnippt Doolin ihm durch die geöffneten Fenster ungerührt seine Kippe ins Gesicht. Damit ist der Rivale in jeder Weise aus dem Rennen. Speziell diese latente, bösartige, man möchte fast sagen: 'mitchumeske' Lakonie ist es, die "Thunder Road" zu etwas Besonderem macht.

8/10

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THE CORRUPTOR (James Foley/USA 1999)


"You don't change Chinatown, it changes you."

The Corruptor ~ USA 1999
Directed By: James Foley


Der für das NYPD tätige Nick Chen (Chow Yun-Fat) bekommt mit dem jüngeren Danny Wallace (Mark Wahlberg) einen zunächst grün anmutenden Kollegen zugeteilt, der sich jedoch in der chinesischen Kultur recht gut auskennt und so bald auch in Chens Einsatzgebiet Chinatown einen Fuß hereinbekommt. Wie Chen erweist sich bald auch Wallace als recht offen für die großzügigen Angebote des Glücksspiel- und Prostitutionsmoguls Henry Lee (Ric Young), der soeben dabei ist, der wichtigste Boss des Viertels zu werden. Somit stehen beide Cops zwischen ihrer Pflichterfüllung und den Annehmlichkeiten der Korruption. Allerdings weiß Wallace mehr über Chen als umgekehrt...

Ein wenig geschwätzig hier und etwas großkotzig dort kommt Foleys immerhin rasant inszenierter Actionfilm daher. Zudem stützt er sich auf sehenswertere Vorbilder: "New Jack City", "Year Of The Dragon" und natürlich die Polizeifilme von Sidney Lumet grinsen aus allen vier Bildecken aufs Publikum hinab. Zweifellos war der Produktion ferner sehr daran gelegen, neben dem Hongkong-Kino der vorhergehenden Jahre nicht allzu alt auszusehen und so lässt sie seine Hauptikone Chow Yun-Fat, dessen obercooles Gehabe in einem amerikanischen Film nicht immer ganz passend wirkt, analog neben einem zumeist hilflos dreinblickenden Mark Wahlberg durchs Bild hampeln. Die Chemie zwischen den beiden Akteuren soll immerhin den Film tragen, man muss sich aber schon eine Menge davon selbst suggerieren, um die ganze Kiste überhaupt ein bisschen glaubhaft erscheinen zu lassen. Das Brauchbarste an "The Corruptor" sind seine farbintensiven, leuchtenden und überschärften Bilder, die Innenasichten Manhattans und die tiefen Einblicke in neonlichtgeschwängerte Straßenschluchten. Diese formalen Vorzüglichkeiten kann das Script leider nicht gänzlich stützen.

6/10

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PICNIC AT HANGING ROCK (Peter Weir/AUS 1975)


"Everything begins and ends at the exactly right time and place."

Picnic At Hanging Rock (Picknick am Valentinstag) ~ AUS 1975
Directed By: Peter Weir


Südaustralien, im Jahre 1900. Ein Ausflug einiger Mädchen vom renommierten Appleyard-Internat zum nahe gelegenen Bergmassiv Hanging Rock endet katastrophal: Drei der Schülerinnen (Anne Lambert, Karen Robson, Jane Vallis) sowie eine Mathematiklehrerin (Vivean Gray) verschwinden spurlos, ein viertes Mädchen (Christine Schuler) bleibt völlig verstört zurück. Für die erzkonservative Schulleiterin Mrs. Appleyard (Rachel Roberts) bedeutet dieses Ereignis eine Katastrophe. Man beginnt zu reden, die Eltern fangen an, ihre Töchter von der Schule abzumelden, einige Kolleginnen nehmen den Hut. Mrs. Appleyard lädt ihren gesammelten Frust an der sensiblen, aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schülerin Sara (Margaret Nelson) ab, die mit den verschwundenen Mädchen befreundet war. Schließlich wird eine der drei (Robson) von einem unermüdlich suchenden Aristokratensohn (Tony Llewellyn-Jones) aufgespürt. Doch auch sie hat keine erklärung für die mysteriösen Ereignisse.

Dass Weirs prächtiges Sittengemälde mit allgemeiner Zustimmung in die Horrorecke gestellt wird, hat mir nie so ganz geschmeckt. Ich finde darin vielmehr ein mit einer durchaus magischen Konnotation versehenes Coming-of-Age-Drama über den zerstörerischen Einfluss der strengen, viktorianischen Autorität, in dessen Mittelpunkt eine ans Heroische grenzende Entscheidung steht. Drei (bzw. zwei) Mädchen und eine als streng logisch denkend bekannte Lehrerin durchbrechen die Zwänge der sie umgebenden Sozialgemeinschaft und bringen damit die Wände einer ihrer symbolischen Institutionen zum Wackeln und schließlich gar zum Einstürzen. Mit ihrem versammelten Verschwinden sorgen sie dafür, dass das stockkonservative Appleyard-College, für manche seiner Schülerinnen (wie die wegen fehlender Mittel gezielt ausgegrenzte Sara) wie ein Höllenvorhof anmutend, seine Pforten mittelfristig zu schließen hat. Dabei spielt auch das sexuelle Erwachen eine gewichtige Rolle: Mit dem Reifen zur Frau und damit zur erwachsenen Mündigkeit kommt der Ausbruchswunsch. Der Film ist voll von entsprechenden Hinweisen und Motiven. Ein besinnlicher, hochästhetischer Genuss, den ich zunehmend weniger als verstörend denn vielmehr als sehr luzid wahrnehme.

9/10

Peter Weir period piece Schule Coming of Age Australien





Filmtagebuch von...

Funxton

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