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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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HORIZONS WEST (Budd Boetticher/USA 1952)


"Your reign's gonna be broken."

Horizons West (Fluch der Verlorenen) ~ USA 1952
Directed By: Budd Boetticher


Die beiden texanischen Brüder Dan (Robert Ryan) und Neil Hammond (Rock Hudson) kehren aus dem Sezessionskrieg heim. Für Neil steht fest, dass er die elterliche Farm unterstützen wird; der ältere Dan erwartet jedoch wesentlich mehr vom Leben, speziell betreffs seiner pekuniären Ausstattung. Also trommelt er eine kleine Banditenclique zusammen und beginnt, die umliegenden Farmer mit dreisten Neppereien um ihr Geld zu erleichtern. Der reiche Rancher Hardin (Raymond Burr) sieht das gar nicht gern, zumal Dan mit dessen Frau (Julia Adams) anbendelt. Und auch Neil beginnt irgendwann, das kleine Schreckensregime seines Bruders zu hinterfragen...

Im Grunde nichts als ein Gangsterfilm im Westerngewand mit Robert Ryan als historisch versetzter Nachfolger von Eddie Bartlett aus "The Roaring Twenties": ein heroischer, wenngleich frustrierter Kriegsheimkehrer, der sich hinreichend ausgenutzt fühlt von Armee und "Vaterland" und sich nunmehr etwas wünscht vom Leben, um seinem als "niedrig" empfundenen sozialen Stand Richtung aufwärts zu entkommen. Tatsächlich funktioniert die Idee der Transponierung dieses Stoffs ins Westerngenre wider Erwarten recht gut, zumal mit Boetticher ein hochkonzentrierter, kompetenter Filmemacher am Werke ist, der dem Sujet auch psychologische Facetten zu entlocken weiß. Ein Beispiel dafür wäre der Bruder- bzw. Vater-Sohn-Konflikt, in den Dan Hammond sich bereitwillig begibt, um seinen erträumten Lebensstil pflegen zu können. Ansonsten sticht "Horizons West" allein durch seine exquisite Besetzung aus dem großen Fundus der Fünfziger-B-Western der Universal hervor. Ein kleines Juwelchen, bereit zur Wiederentdeckung zwar, auf der momentan erhältlichen DVD jedoch leider nur mit der müden Neusynchro verewigt und somit besser im Original zu betrachten.

7/10

Budd Boetticher Texas Brueder Familie


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SALOME (William Dieterle/USA 1953)


"The desperate can only survive by taking desperate measures."

Salome ~ USA 1953
Directed By: William Dieterle


Zusammen mit Pontius Pilatus (Basil Sidney), dem neuen Statthalter Jerusalems, wird auch die in Ungnade gefallene Königstochter Salome (Rita Hayworth) Richtung Osten verschifft. Nicht nur Pilatus' rechte Hand Claudius (Stewart Granger), der Christenbewegung sehr zugetan, wirft ein Auge auf die schöne Salome, auch ihr Stiefvater Herodes (Charles Laughton) ist ganz entzückt über die zur Schönheit gereifte junge Dame. Da der Täufer Johannes (Alan Badel) durch seine Ehebruchsvorwürfe gefährlich an Herodes' Thron sägt, macht sich dessen machtgierige Frau Herodia (Judith Anderson) die Zuneigung des Königs zu ihrer Tochter zunutze, um Johannes exekutieren zu lassen. Claudius kann das Schreckliche trotz aller Gegenmaßnahmen nicht verhindern.

Schön schmieriger Bibeltrash, der, eidieweil er über die männermordende Rita Hayworth verfügt, uns einen der größten Bären der gesamten Sandalenfilmgeschichte aufzubinden trachtet: Angeblich diente Salomes becircender Schleiertanz nämlich überhaupt nicht dazu, Johannes' Leben zu beenden, sondern im Gegenteil dazu, es zu retten. Umso entsetzter und spektakulärer der Hayworth' weitäugiger Blick, als Johannes' Haupt auf einem Tablette in den Königspalast getragen ward. Für den feisten Charles Laughton, der wenig mehr zu tun hat als mit den Augen zu rollen und die Hayworth zu begeifern, ist die ganze Kiste ein Heimspiel, Stewart Granger nimmt die Sache wesentlich ernster als es ihr denn zukommt. Wirkliche darstellerische Klasse offenbart die für den Part grauenhafter Schwiegermütter praktisch auserlesene, später zur "Dame" gekürte Judith Anderson als intrigante Horrortante. Ansonsten ist es das als exzessive Ausdrucksform benutzte Technicolor, das den vor Ort in Israel gefilmten "Salome" so oberflächlich-aufreizend gestaltet. Allerdings kommt hier zwar der feurige Rotschopf der Hayworth zur Geltung, dass die Aktrice jedoch keine Farbe benötigt, um Laszivität zu veräußern, beweist Vidors "Gilda" umso eindrucksvoller.

6/10

Antike Roemisches Reich period piece Jesus Christus Historie William Dieterle Bibel Camp


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SPIDER (David Cronenberg/CAN, UK 2002)


"The less there is of the man, the more the need of the clothes."

Spider ~ CAN/UK 2002
Directed By: David Cronenberg


Der schizoide Dennis Cleg (Ralph Fiennes) kommt in ein Londoner Pensionat für psychisch Kranke, geführt von der resoluten Mrs. Wilkinson (Lynn Redgrave). Da das Haus inmitten seines Kindheitsviertels liegt, durchlebt Dennis, den seine Mum (Miranda Richardson) einst 'Spider' nannte, die prägenden Stationen seiner Kindheit und die Ursachen für seine zerschmetterte Seele erneut und wird am Ende mit einer bitteren Selbsterkenntnis konfrontiert.

Die Erkundung des labyrinthischen Wesens der Psyche löste in den letzten Jahren mehr und mehr Cronenbergs Faible für körperliche, äußere Absonderlichkeiten ab. Schon "Dead Ringers" war ja ein entscheidender Schritt auf diesem Wege und in Kürze erwartet uns mit "The Dangerous Method" gar ein Film über die Psychologen und Zeitgenossen Freud und Jung. In "Spider" begibt sich der Regisseur, der hier erstmals seit langem nicht als Scriptautor involviert ist, auf das trügerische Terrain schwerer psychischer Störungen und führt uns einen Charakter vor, der in groben Zügen an den filmischen Urvater aller Muttermörder, Norman Bates, erinnert. Auch in "Spider" geht es um einen Jungen, der seiner Mutter in ödipaler, obsessiver Liebe zugetan ist, den Vater als Konkurrenten erachtet und zu eifersüchtigen, radikalen Gegenmaßnahmen greift, um nicht weiter "teilen" zu müssen. Um mit dieser Realität überhaupt ansätzlich fertigwerden zu können, spinnt Dennis/Spider sich, so wie er es gegenständlich geübt hat, ein Netz, ein Konstrukt aus Scheinwahrheiten und falschen Erinnerungen. Darin liegt zugleich die kleine Fallschlinge dieses ansonsten stillen Films; dass man dem personalen Erzähler Spider als vertrauenswürdiger Zuschauer auf einen Weg höchst subjektiver, zumal irregeleiteter Wahrnehmung zu folgen gezwungen ist.

8/10

Psychiatrie London David Cronenberg Madness


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eXistenZ (David Cronenberg/CAN, UK 1999)


"I actually think there's an element of psychosis involved here."

eXistenZ ~ CAN/UK 1999
Directed By: David Cronenberg


In naher Zukunft hat sich die Videospieltechnologie quantensprunghaft weiterentwickelt: Die Spieler können nunmehr mithilfe des eigenen Nervensystems in täuschend echte virtuelle Realitäten eintauchen und dort je nach Spielgestaltung bizarre Abenteuer erleben. Königin der Programmierer ist die kultisch verehrte Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh), doch hat sie auch Feinde, nämlich die "Freunde der Realität", die die neue Spieldimension verteufeln und Allegra aus dem Weg räumen wollen. Zusammen mit ihrem Bodyguard Ted Pikul (Jude Law) setzt sich Allegra aufs Land ab und spielt ihr neues Spiel "eXistenZ". Für Ted und auch für Allegra wird es in dessen Verlauf zunehmend schwer, die Realitätsschichten noch auseinanderzuhalten.

Bei "eXistenZ" hatte - und habe ich noch - das erste und bis dato zum Glück einzige Mal den Verdacht, dass Cronenberg sich auf seiner selbstkreierten Ästhetik ausruht und sein gesamtes Motiv-Sammelsurium zur Masche verkommen lässt. Im Prinzip ist "eXistenZ" nämlich nichts anderes als ein zeitversetztes, wenig verhülltes Eigenremake von "Videodrome" - ein neues Medium ergreift Besitz von einem seiner Konsumenten, der daraufhin der Doppelbödigkeit der Scheinrealität auf den Leim geht und zum Attentäter wird, derweil sich gegnerische Pro- und Contra-Kräfte gegenseitig bekriegen. Wie in "Videodrome" bekommt die Technik durch ihre buchstäbliche Organisierung einen symbolhaften Charakter: Die 'Gamepods' und 'Bioports' werden zu Extremitätenverlängerungen und speisen sich direkt aus der Wirbelsäule ihrer Benutzer, eine Handfeuerwaffe besteht aus Tierinnereien und schießt mit menschlichen Zähnen. Der für Publikumsverwirrung zuständige, dramaturgische "Kniff" mit den sich gegenseitig über- und unterlagernden Realitäten ist derweil ein ziemlich alter Hut. Hier liefert Mr. Cronenberg einmal keine Avantgarde, sondern hinkt ausnahmsweise (wohltuend berechenbar) hinterher - hinterm Genrekino, hinter der Kunst, und, ja, sogar hinter sich selbst.

6/10

Videospiel Virtual Reality David Cronenberg Zukunft


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CRASH (David Cronenberg/CAN, UK 1996)


"Make it ragged and dirty."

Crash ~ CAN/UK 1996
Directed By: David Cronenberg


Nach einem schweren, selbstverschuldeten Verkehrsunfall, in den auch die Ärztin Helen (Holly Hunter), deren Ehemann dabei stirbt, verwickelt ist, entdeckt der Filmregisseur James Ballard (James Spader) bei sich einen ganz speziellen Fetisch: Die Verbindung von Autos und Koitus, besonders im Zusammenhang mit ausladend inszenierten Unfällen, verschafft ihm nicht nur höchste Erregung, sondern bringt auch eine neue Erotik in das verflachte Sexleben mit seiner Frau Catherine (Deborah Kara Unger). Zusammen mit Helen lernt James den Performance-Künstler Vaughan (Elias Koteas) kennen, der sich gänzlich dem Studium und Nachstellen spektakulärer Crashes verschrieben und eine entsprechende, seltsame Subkultur begründet hat. Tatsächlich erweist sich Vaughans Hang zum Destruktiven als fortgeschrittene Todessehnsucht, der in (noch) moderater Form auch James, Catherine und Helen nacheifern.

Zerstörerischer Sex, Verkeilung und Fusion von Fleisch und Metall und erneut eine gute Portion Freud. Eine nächtliche Massenkarambolage bringt den Thanatos-Eiferer Vaughan, der das "Ereignis" aus allen denkbaren Winkeln photographiert, in höchste Verzückung; Hauptobjekte seiner Aufmerksamkeit sind dabei die, die auf möglichst spektakuläre Weise ums Leben gekommen sind. Dieser eigenartigen Lust widmet Vaughan seine gesamte Existenz: Er und sein etwas tumbes Faktotum Colin (Peter MacNeill) imitieren berühmte Unfälle Prominenter im Zuge einer bizarren Form der Anarcho-Kunst; tödliche Folgen keineswegs ausgeschlossen. Vaughans und Colins größter Traum ist es, irgendwann den tödlichen Unfall von Jayne Mansfield, bei dem sie angeblich enhauptet wurde, nachzustellen. Als alter ego des Autors und loser Agent des Zuschauers begibt sich der an der Langeweile dees Lebens zu verzweifeln drohende James Ballard in diesen 'crash underground' und verliert sich darin irgendwann selbst. Allein die nächste Möglichkeit, einen weiteren Bleckorgasmus zu erlangen, ist noch von Bedeutung.
Cronenberg verurteilt seine Charaktere in keinster Weise; er dokumentiert lediglich, erwartungsgemäß beseelt von einer obsessiven Faszination. Besonders die zärtliche Darstellung und umschmeichelnde Photographie der beinahe monströs verunstalteten Gabrielle (Rosanna Arquette) waren ihm wichtig: Ihre verkrüppelten Beine stecken in einem Metallgestell, ohne dessen Hilfe sie sich nicht bewegen könnte, ihr rechtes Bein musste offenbar der Länge nach chirurgisch geöffnet werden um innerlich gerichtet zu werden. Für James Ballard (und wohl auch Cronenberg, dessen betont erotische Inszenierung einer dazugehörigen Szene Bände spricht) ist diese Art der Versehrung keinesfalls abstoßend, sondern im Gegenteil höchst stimulierend.
Vermutlich war es diese recht konsequent ausgespielte, ein wenig an Ôshimas "Ai No Korîda" erinnernde Parallelisierung von Eros und Thanatos, die die meisten Kritiker verstörte und entsprechende internationale Zensurmaßnahmen hervorrief. Für Cronenberg-Studenten ist "Crash" wie seine meisten Filme bis in die neunziger Jahre hinein indes unverzichtbar, weil von für seine Verhältnisse stark decodierter Gestalt und zutiefst entlarvend.

8/10

Kanada Toronto Skandalfilm J.G. Ballard David Cronenberg Paraphilie Subkultur


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NAKED LUNCH (David Cronenberg/CAN, UK, J 1991)


"I guess it's about time for our William Tell routine..."

Naked Lunch ~ CAN/UK/J 1991
Directed By: David Cronenberg


New York, 1953: Der als Kammerjäger arbeitende, drogensüchtige Underground-Autor William Lee (Peter Weller) erschießt im Rausch seine Frau. Daraufhin bekommt er von einem mannsgroßen Insekt, einem "Mugwump", den Auftrag, nach "Interzone" zu flüchten, einer Zwischenwelt, die von Tanger in Marokko aus betreten werden kann. Dorthin gereist, lernt er diverse in der Schriftsteller-, Drogen- und Homosexuellen-Szene verkehrende Menschen kennen, darunter den Marihuana-Fabrikanten Hans (Robert A. Silverman), die paraphilen Eheleute Joan (Judy Davis) und Tom Frost (Ian Holm), den Schweizer Dandy Cloquet (Julian Sands) und den Callboy Kiki (Joseph Scorsiani). Von den insektenähnlichen Kreaturen aus Interzone, die ihn als "Agenten" einsetzen, bekommt er indes ständig neue bizarre Aufträge, die irgendwie allesamt um seine Schreiberei kreisen. Am Ende kann er zwar aus Interzone flüchten, die äußere Realität bleibt jedoch unverändert.

Mit der Adaption des als unverfilmbar gelten, semi-autobiographischen Fragment-Romans des Beat-Autoren William S. Burroughs, der ihn tatkräftig bei der Entstehung unterstützte, realisierte Cronenberg sein nächstes Projekt. "Naked Lunch" verhandelt mittels einem konsequent herbeifabulierten Symbolismus gleichermaßen Burroughs' Sucht und seine Homosexualität, seine zwei prägendsten und dabei von ihm selbst so zutiefst verhassten Wesenszüge, die er sich selbst durch seine halluzinatorische Flucht in das Phantasieland "Interzone" erträglich schrieb und machte. Die immer neuen Rauschmittel, mit denen Lee versucht, seine vorherrschende Hauptdroge abzusetzen, treiben ihn jeweils immer tiefer in die Sphären des Rauschs hinein, derweil er seine sexuellen Bedürfnisse und Praktiken einer Armada von überdimensionalen Käfern zuschreibt, die ihm als ihrem willenlosen Objekt stets neue Missionen auferlegen. Erst als Lee als scheinbaren Drahtzieher hinter dem ganzen Gewirr einen vertrauenswürdig geglaubten Mediziner (Roy Scheider) ausmacht, gelingt ihm die Flucht aus diesem ihn gleichermaßen anziehenden und abstoßenden Pfuhl. Doch hinter der Grenze von Interzone wartet mit dem Land "Annexia" nurmehr ein neuer, ungewisser Schwebezustand.
Für Cronenberg, den um diese Zeit offenbar ganz analoge Themen bewegten wie Burroughs seinerzeit (davon künden bereits die "Naked Lunch" einbettenden Werke "Dead Ringers" und "M. Butterfly"), muss die Verfilmung von "Naked Lunch" eine ähnlich freischaufelnde, autotherapeutische Wirkung gehabt haben wie einst das Buch für den Autoren. In Benutzung ungewohnt kräftiger, heller Farben wagt sich Cronenberg außerdem so nah an komödiantische Züge heran wie sonst nie; die Auftritte seiner (von "Fly"-Sequel-Regisseur Chris Walas gefertigten) Schreibmaschinenkäfern und Mugwumps, die im Original Burroughs' Stimme erhalten haben und in der deutschen Fassung die erstaunlich identisch klingende von Märchenonkel Hans Paetsch, sorgen trotz ihres widerwertigen, schleimigen und rektal orientierten Äußeren stets für einen seltam-bizarren Humor, zumal man ja weiß, dass sie im Grunde bloß Lees Halluzinationen entspringen und somit nichts als Selbstgesprächspartner sind. Interessant noch die Verewigungen von Burroughs' Zeit- und Berufsgenossen unter veränderter Nomenklaur: Allen Ginsberg und Jack Kerouac, die Burroughs bei der Entstehung von "Naked Lunch" unerstützten und antrieben, sind als "Martin" (Michael Zelniker) und "Hank" (Nicholas Campbell) zu sehen, Paul und Sally Bowles als besagtes Ehepaar Frost.

10/10

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DEAD RINGERS (David Cronenberg/CAN, USA1988)


"Elli. Elli. Elli. Elli. Elli."

Dead Ringers (Die Unzertrennlichen) ~ CAN/USA 1988
Directed By; David Cronenberg


Elliot (Jeremy Irons) und Beverly Mantle (Jeremy Irons) sind eineiige Zwillingsbrüder und führen zusammen die renommierteste gynäkologische Praxis Torontos. Obschon sie äußerlich identisch sind, besitzen sie doch zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sie jeweils nutzen, um die Defizite des anderen auszugleichen: Elliot ist der extrovertierte, forsche Frauenheld und Macho, der keinen öffentlichen Auftritt scheut, während Beverly eher der schüchterne Bücherwurm, Stubenhocker und vergeistigte Typ ist. Als die Schauspielerin Claire Niveau (Geneviève Bujold) in ihre Praxis und ihr Leben tritt, erregt sie zunächst die kuriose Aufmerksamkeit der beiden wegen ihres dreifachen Muttermunds. Dann jedoch verliebt sich Beverly ernsthaft in sie und geht daran zugrunde: Die drohende Aufbrechung der brüderlichen Symbiose durch diese Frau verkraftet er nicht. Beverly wird schwer medikamentenabhängig und psychotisch. Für Elliot liegt die einzige Möglichkeit, ihm gänzlich beistehen zu können, darin, exakt denselben Weg einzuschlagen.

Niederschmetternde Studie einer Abhängigkeit; nicht nur einer medikamentösen, sondern auch und vor allem einer zwischenmenschlichen. Zwei Individuen, eine Seele. Wie siamesische Zwillinge sind Elliot und Beverly zusammengewachsen, allerdings nicht physisch sondern psychisch. Entsprechend unmöglich die Trennung, Abnabelung, Emanzipation voneinander, die für Beverly schließlich nurmehr damit zu erreichen ist, dass er Elliot zur Gänze "extrahiert", um mit Claire zusammen sein zu können. Doch sein Plan geht schief. Er kommt nur bis vor das Gebäude und muss dann zurück, um seinem Bruder ein letztes Mal zu folgen. Interessanterweise stellt Cronenberg stellt die Brüder als zunächst mehr oder minder stark differierende Charaktere dar - hier den selbstbewussten, großmäuligen Egomenschen und Rhetoriker, der durchaus auch mal Schaum schlägt, dort den stillen Forschertypen, das eigentliche "Gehirn" der Dublette. Beide verdanken sich wechselseitige Erfolge: Beverlys fachliche Errungenschaften sorgen für Geld und Gut, Elliot bringt die Frauen mit, die sich die beiden dann heimlich und unerkannt teilen. Als diese Strategie schließlich nicht mehr funktioniert, weil die nicht eingeplante, elementare menschliche Regung der Liebe dazwischen funkt, ist es mittelfristig auch mit den Brüdern vorbei; Drogen, Wahnsinn, mentales Siechtum und Tod bemächtigen sich ihrer. Dass diese höchst dramatische, für ihren Regisseur auf den ersten Blick (zumindest damals noch) ungewöhnliche Fallstudie hervorragend ins cronenbergsche Universum passt, wird derweil rasch offenbar. Wie im nachfolger "Naked Lunch" geht es in "Dead Ringers" primär um Sucht - die Sucht nach Substanzen, die Sucht nacheinander, die Sucht nach sich selbst, für die Zwillinge letztlich die unerfülllbarste, fatalste der drei. "Scanner" Stephen Lack hat außerdem einen wunderbaren Nebenpart als zwielichtiger Skulpturist Anders Wolleck: Der bereits psychisch schwer angegriffene Beverly lässt sich von ihm eine bizarre Instrumenten-Kollektion fertigen, die angeblich der "Behandlung mutierter Frauen" dient und die ebensogut auch direkt aus dem Geiste H.R. Gigers entsprungen sein mögen. Ein Zusatz-Schmankerl, das dann wieder ganz Cronenberg ist.

10/10

Medizin Brueder Sucht Zwillinge Toronto David Cronenberg Kanada Drogen


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THE DEAD ZONE (David Cronenberg/USA 1983)


"The ice is going to break!"

The Dead Zone ~ USA 1983
Directed By: David Cronenberg

Der Lehrer Johnny Smith (Christopher Walken) liegt infolge eines schweren Autounfalls fünf Jahre im Koma. Nachdem er wieder erwacht ist, bemerkt er an sich das "Zweite Gesicht", eine Fähigkeit, die sich bereits vor dem Unfall latent zeigte, nun jedoch vollends ausgereift ist. Wenn Johnny jemanden berührt, erfährt er wahlweise dessen tiefste innere Geheimnisse oder kann etwas über die Gegenwart und die Zukunft des betreffenden Individuums sagen. Zeitgleich mit der Ausprägung seiner PSI-Kräfte verschlechtert sich allerdings auch Johnnys Gesundheitszustand. Nachdem er mehreren Menschen das Leben retten und einen Serienmörder (Nicholas Campbell) stellen konnte, gerät Johnny zufällig an den populistischen Politschreihals Greg Stillson (Martin Sheen), der, das sieht Johnny in einer Vision, dereinst den Dritten Weltkrieg auslösen wird. Für Johnny gibt es nurmehr einen Weg: Stillson um jeden Preis aufzuhalten.

Mehr als "Videodrome" ging nicht: Nach Cronenbergs sechs kanadischen Produktionen wurde endlich auch Hollywood auf den Genius aus dem Norden aufmerksam und engagierte ihn in der Person des Produzenten Dino De Laurentiis' unmittelbar nach "Videodrome" für die nächste, erfolgversprechende King-Adaption. Cronenberg zog es dann allerdings vor, allen Erwartungen und Prognosen ein Schnippchen zu schlagen und fertigte ein luzid erzähltes, mit Ausnahme einer einzigen Einstellung nahezu unblutiges und stilles Winterdrama um einen Hellseher wider Willen, der seine buchstäblich unfällig gewonnene Gabe keinesfalls als eine solche wahrnimmt. Christopher Walken, ohnehin einer der Größten, ist wiederum perfekt in der Rolle dieses einsamen Provinzhelden, der sein Schicksal als prophylaktischer Retter der Nation liebend gern gegen eine beschauliche Existenz mit seiner Liebsten (Brooke Adams) eintauschen würde. Diese hat es jedoch, ähnlich wie eine Soldatenfrau, die jahrelang vergeblich auf ein Überlebenszeichen ihres Mannes wartet, vorgezogen, auf Johnny zu verzichten und stattdessen ausgerechnet einen blassen Politjünger Stillsons zu ehelichen. So ist "Dead Zone" auch eine Reflexion über schicksalhafte Determination: Johnny Smith, der den unverbindlichsten amerikanischen Namen trägt, den man sich vorstellen kann, ist eine Art übersinnlicher Heilsbringer des Kalten Krieges, einer, der auf Kosten jedweder persönlicher Bedürfnisse die Menschheit retten muss und dafür von ihr gekreuzigt wird.

9/10

Serienmord Kalter Krieg David Cronenberg Winter PSI Castle Rock Stephen King


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VIDEODROME (David Cronenberg/CAN 1983)


"I live in a highly excited state of overstimulation."

Videodrome ~ CAN 1983
Directed By: David Cronenberg


Max Renn (James Woods), Intendant des kleinen Torontoer Fernsehsenders Civic-TV, ist stets auf der Suche nach der großen Programmsensation. Als ihm das abgefangene Signal eines Pittsburgher Piratensenders namens "Videodrome" zugespielt wird, frohlockt Max: Authentisch wirkende Folter und Gewalt gibt's da zu sehen, auf ihn höchste Faszination ausübend. Max gerät gleich nach seinem ersten Videodrome-Erlebnis in einen Strudel aus Visionen und Halluzinationen. Tatsächlich verbirgt sich hinter Videodrome eine Art Techno-Anarchisten-Zelle unter dem Vorsitz des sich offiziell als Optiker gebenden Barry Convex (Leslie Carlson), die Max zum Botschafter und Verbreiter ihrer Videosuggestion ausersehen hat und ihn außerdem zum willenlosen Attentäter macht. Doch es gibt noch eine Gegenseite: "The New Flesh", die den zum organischen Videorecorder gewordenen Max kurzerhand umprogrammiert und ihn gegen die Leute von Videodrome ins Feld schickt.

Absolute Cronenberg-Königsklasse, ein Film, der immer größer und toller wird, desto öfter man ihn sieht und den man daher gar nicht oft genug sehen kann. Von allen dramaturgischen Zwängen befreit und losgelöst von jedweder erzählerischen Konvention ist der Filmemacher und Autor David Cronenberg seiner eigenen künstlerischen Philosophie vermutlich nie wieder so nahe gekommen wie mit "Videodrome". Hier sind es keine verrückten Mediziner oder Pharmakologen, die für den totalen "body horror" verantwortlich sind - hier kommt das Grauen nirgends anders her als aus uns selbst, autosuggestiv, als einzig probates Strafmaß für unseren zivilisatorischen, pathologischen Voyeurismus. Wer sie schätzt, die Mattscheibengewalt, sie als sexuelles Stimulanz benötigt und ferner bereit ist, sie mit anderen zu teilen, der macht sich zum verdienten Sklaven: Max Renn wird zum Brutalitäts-Junkie, zum willfährigen Folgeleister seiner eigenen Halluzinationen und schließlich, in letzter Konsequenz, zum Instrument politischer Gewalt. Eine unerbittlichere Kritik an den Massenmedien gab es seit "Videodrome", wenn überhaupt, nurmehr selten.
In einer Phalanx befindlich mit "Network" und "Natural Born Killers", den großen TV-Dystopien der Nachbardekaden, wobei "Videodrome" nicht nur chronologisches Zentrum dieser "Trilogie", sondern vielleicht ihr wichtigstes, elementarstes Mosaikstück ist.

10/10

Kanada Toronto David Cronenberg Video Splatter Fernsehen Paraphilie Terrorismus Satire


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RABID (David Cronenberg/CAN 1977)


"Free at last!"

Rabid (Der Überfall der teuflischen Bestien) ~ CAN 1977
Directed By: David Cronenberg


Nach einem schweren Motorradunfall wird die junge Rose (Marilyn Chambers) in einer nahe gelegenen Klinik von dem Schönheitschirurgen Dr. Keloid (Howard Ryshpan) operiert. Kelod hat ein brandneues Verfahren für Hauttransplantate entwickelt, bei dem die betreffenden Partien genetisch modifiziert werden. Einige Wochen später erwacht Rose aus dem Koma und spürt sogleich eine Änderung an sich: Unter der linken Achsel ist ihr eine ominöse Hautöffnung gewachsen, in der sich ein giftiger Stachel verbirgt. Jener hat die Funktion, unglückseligen Menschen ihr Blut auszusaugen - von nun an Roses einzige Nahrungsquelle. Zwar sterben Roses Opfer nicht sogleich, sie werden jedoch nach kurzer Inkubationszeit tollwütig und infizieren weitere Personen. Innerhalb kurzer Zeit wird Montreal von einer Seuche überrannt, die die unwissende Rose verursacht hat...

Every rose has its thorn - für die Rose in seinem zweiten Langfilm holte sich David Cronenberg die Porno-Aktrice Marilyn Chambers, nachdem die Erstwahl Sissy Spacek nicht zur Verfügung stand. Wieder geht es um den Fluch von Medizin und Pharmazie, bei Cronenberg zwei unselige Wissenschaftszweige, die nicht die gewünschte Erlösung, sondern den großflächigen Tod bringen. Wie schon in "Shivers", in dem die Parasitenopfer zu sex maniacs werden, ist dieser Topos auch hier deutlich sexuell konnotiert: unschwer erkennbar symbolisiert Roses Achselöffnung eine Art Zusatzvagina und der darin enthaltene, pulsierende Stachel eine Extra-Klitoris, vielleicht auch einen dem Körper zunächst unangemessen erscheinenden Penisersatz. Mit diesem brisanten neogynen Arsenal geht die von ihrem Softi-Freund Hart (Frank Moore) offensichtlich sexuell schwer unterforderte Rose auf Beutefang. Ihre Opfer sind dabei entweder von ihr erotisch angezogen (wollen sie vergewaltigen oder zum Sex nötigen) oder werden offensiv von ihr umgarnt und dann tödlich umarmt. Eine kaum verklausulierte Sex-Pandemie, hinter deren Ausmaßen sich jede Syphilis verstecken kann, ist die unausweichliche Folge dieser merkwürdigen Promiskuitätsform. Eines von Roses Opfern (Terry Schonblum) läuft mit einer Freud-Biographie durch die Gegend und beteuert, sie wisse "gar nicht, was sie davon halten" solle. Well, let it speak for itself.

9/10

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Funxton

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