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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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FAMILY PLOT (Alfred Hitchcock/USA 1976)


"If I'm a fink then you're an ungrateful bitch."

Family Plot (Familiengrab) ~ USA 1976
Directed By: Alfred Hitchcock

Zwei kriminelle Pärchen - das eine, Blanche (Barbara Harris) und George (Bruce Dern) zwei liebenswerte Gauner, die sich mit getürkten Hellsehereien über Wasser halten, das andere, Fran (Karen Black) und Edward (William Devane) im großen Stil arbeitende Ganoven, die prominente Persönlichkeiten entführen und sie jeweils gegen wertvolle Diamanten eintauschen. Durch Zufall kreuzen sich die Wege der beiden Paare, als Blanche von der steinreichen, betagten Mrs. Rainbird (Cathleen Nesbitt) den Auftrag annimmt, mittels ihrer "PSI-Fähigkeiten" einen verschollenen Erben ausfindig zu machen. Mittels der detektivischen Fertigkeiten von George stoßen die Zwei bald auf Arthur Adamson, der eigentlich Edward Shoebridge heißt und bei dem es sich just um den gesuchten Kidnapper und nebenbei einen sadistischen Gewaltverbrecher handelt. Blanche bringt sich unversehens in tödliche Gefahr, als sie dem Gefundenen eines Abends die frohe Botschaft seines Erbteils bringen will und Fran und Edward bei einer ihrer Kidnapping-Aktionen überrascht.

Leichtfüßige Unterhaltung, die sich nur schwerlich über den Erfindungsreichtum zeitgenössischer TV-Produktionen hinaushievt. Hitch war zum Drehzeitpunkt um die sechsundsiebzig, dem Weine weniger abgeneigt denn je, Träger eines Herzschrittmachers und hat, wie berichtet wird, seinen Regiestuhl während der Arbeit bestenfalls für PR-Shots verlassen. Die Delegierung der unterschiedlichen Aufgabenbereiche verlief also noch intensiver als gewohnt; umso weniger überraschend das zwar durchaus unterhaltsame, insgesamt jedoch blasse Endergebnis, Hitchcocks letzter Film, der zu allem Überfluss mit einem Zwinkern Richtung Publikum enden muss. Im Nachhiein lässt sich dieser Wink als liebenswerte Abschiedsgeste interpretieren, dem "Vertigo"-Hitchcock von vor zwanzig Jahren wäre so etwas jedoch im Traum nicht vorgekommen. Abgesehen von zwei, drei einfallsreichen crane shots gibt es keine technischen oder stilistischen Extravaganzen und die mörderische Autofahrt in den kalifornischen Bergen ist alles andere als 'up to date'. Harris und Dern müssen vor einer gut erkennbaren Rückprojektion um ihr Leben bangen, was die gesamte Szene nur unwesentlich rasanter erscheinen lässt als eine analoge in "Baretta" oder ähnlichen TV-Serien jener Tage. In "North By Northwest" oder "Notorious" passten die auf dieselbe Weise gestalteten Momente sich seltsamerweise noch untadelig ihrer jeweiligen Textur an, 1976, als New Hollywood die Studios verschlungen hatte und Naturalismus Trumpf war, war sowas jedoch einfach nicht mehr drin. So ist "Family Plot" im Gegensatz zu "Marnie" oder "Topaz" sicherlich sympathisch, zugleich aber ein weiteres Indiz dafür, dass es Legenden manchmal besser steht, eher früh denn spät aus dem Rampenlicht zu treten.

6/10

San Francisco Alfred Hitchcock Kidnapping


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TOPAZ (Alfred Hitchcock/USA 1969)


"I love the Cubans. They are so wild!"

Topaz (Topas) ~ USA 1969
Directed By: Alfred Hitchcock

Herbst 1962, kurz vor der Kuba-Krise: Der sowjetische Überläufer Kusenov (Per-Axel Arosenius), einst ein hochrangiger KGB-Beamter, hält für seine westlichen Asylstifter einige überraschende Eröffnungen bereit: Zum Einen weiß er, wie in Erfahrung zu bringen ist, wo genau auf Kuba die Russen ihre Raketen stationeren wollen, zum anderen kennt er eine strenggeheime Organisation französischer Doppelagenten namens "Topas", in die sogar Regierungsmitglieder verstrickt sind. Der Agent Deveraux (Frederick Stafford), ein Mann für alle Fälle, beschafft die wichtigen Informationen über die Sowjets und lässt Topas auffliegen.

Offenbar nicht unbeeindruckt vom Erfolg der James-Bond-Reihe, ließ sich Hitchcock zunächst von Leon Uris selbst ein Treatment zu dessen gleichnamigem Erfolgsroman schreiben, dass dann jedoch noch mehrfach modifiziert wurde. "Topaz" stellte für den Regisseur in vielerlei Hinsicht einen "Zäsurfilm" dar; er beschäftigt sich mit einem realen Ereignis der jüngeren Globalhistorie, verzichtet auf Hollywood-Stars, zerfällt in eine fast episodische Struktur, die lediglich durch das Deckelthema und die Hauptfigur Andre Deveraux verknüpft ist und bildet zudem Hitchcocks erste, unfreiwillige Gehversuche bezüglich improvisatorischer Inszenierung. Der sonst als eherner Kontrollfreak bekannte Meister hatte hier keine Zeit für das Erstellen großzügiger Storyboards und übriger Planungen, da das zu drehende Material in der von Samuel Taylor umgeschriebenen Fassung in Schriftform teils erst kurz vor Drehbeginn eintrudelte. Das stark zerfaserte, emotional seltsam entleerte Resultat spricht Bände. Selbst in der von Hitch persönlich gestrafften Fassung ist der Film noch deutlich zu umwegsam und hangelt sich an einzelnen, wie immer sicherlich gelungenen Szenen und Einstellungen entlang, die jedoch allesamt ins Nirvana führen. Am Ende fühlt man sich, als hätte man irgendeiner x-beliebigen, zweistündigen Dauerberieslung beigewohnt, nicht aber einem Film von Alfred Hitchcock. Ein weiterer großer Faux-pas besteht nach meinem Dafürhalten darin, dass "Topaz" schlicht hässlich aussieht. In memoriam so meisterhafter wie wunderschöner Lehrstunden in Farbdramaturgie von "Under Capricorn" über "To Catch A Thief" bis hin zu "Vertigo" fragt man sich, was eigentlich auf dem Wege passiert sein mag. Nun, Robert Burke war verstorben, aber dieses blasse, mit Weichfiltern übersäte, zwischen plüschigem Beige und rebellischem Olivgrün pendelnde Einerlei von Jack Hildyard ist tatsächlich nicht bloß unansehnlich, sondern langweilig noch dazu. Einem Mann, der einst vor Professionalität strotzte und nichts oder kaum etwas dem Zufall überlassen hat, dabei zuzuschauen, wie er aus Alters- und Gesundheitsgründen kreativ niederzugehen droht, ist summa sumarum alles andere als ein Vergnügen. Das übliche Cameo zeigt Hitch, wie er von einer Krankenschwester im Rollstuhl zu einem Flughafen-Terminal gebracht wird. Symbolischer hätte es wahrlich kaum ausfallen können.

4/10

Kalter Krieg Leon Uris Kuba-Krise Alfred Hitchcock Kuba


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TORN CURTAIN (Alfred Hitchcock/USA 1966)


"They didn't know about Lindt!"

Torn Curtain (Der zerrissene Vorhang) ~ USA 1966
Directed By: Alfred Hitchcock


Der Raketenforscher Professor Armstrong (Paul Newman) reist angeblich nach Skandinavien, um mit Zwischenstopp in Kopenhagen ein wissenschaftliches Symposium in Stockholm zu besuchen. Jedenfalls glaubt das seine Verlobte und Mitarbeiterin Sarah (Julie Andrews). Armstrong entpuppt sich jedoch als Überläufer, der künftig in der DDR für den Ostblock arbeiten will. Doch ist auch dies wiederum nichts als Flunkerei: Tatsächlich lässt sich der Professor als Amateurspion, der eine geheime Formel von einem seiner führenden ostdeutschen Konkurrenten in Erfahrung bringen und in den Westen schmuggeln soll, einsetzen. Die Erleichterung bei Sarah über diese Eröffnug ist groß, die Fluchtschwierigkeiten zurück hinter den Eisernen Vorhang jedoch sind noch umso größer.

Die Luft ist raus, vorläufig zumindest. Unter Verzicht auf drei so bewährte wie treibende Kräfte seines bisherigen Mitarbeiterstabs, nämlich dp Robert Burke und Cutter George Tomasini, die beide kurz hintereinander verstaben, sowie den Komponisten Bernard Herrmann macht sich auch bei Hitch eine akute kreative Nachlässigkeit breit. Nach dem bewusst unter vokabulären Auslassungen stehenden und ironischen "North By Northwest" knöpfte der Meister sich hier erneut das Thema "Kalter Krieg" vor und schubst uns zusammen mit einem tückischen, fast ausschließlich physisch vorhandenen Paul Newman und der nicht minder deplatzierten Trällerdohle Julie Andrews (mit der wir als Suspense-Agentin fast durchweg auf informativer Augenhöhe stehen) in eine halbseidene, und, am schlimmsten, völlig uninteressante Agentengeschichte. Genau wie "North By Northwest" wagt "Torn Curtain" einen Brückenschlag zurück zu Hitchcocks englischer Periode, die ja noch mit Spionage und mysteriösen Formeln angefüllt war, schafft es im Gegensatz zu ersterem jedoch nicht, daraus ein Kunstwerk zu machen, dass auch abseits jedweder Storykonvention schlichtweg hinreißend zu sein vermag. "Torn Curtain" hingegen mutet an wie eine graue Maus im von geschmeidigen Großkatzen regierten Werk des Meisters, in die lediglich die Nebencharaktere Farbe bringen: Wolfgang Kieling als permanent kaugummikauender Stasi-Spitzel mitsamt bitterböser Sterbeszene, dessen Herz insgeheim für Amerika schlägt und der eigentlich liebend gern wieder zurück in seine New Yorker Bude, "Ecke Eighty-Eighth und Eighth", zöge, Ludwig Donath als spinnerter, egomanischer Ost-Wissenschaftler (eine recht liebevolle Reminiszenz an Michael Chekhov in "Spellbound") und vor allem Lila Kedrova als polnische Gräfin, der Hitch (möglicherweise unbewusst) die schönsten und bewegendsten Augenblicke seines Films schenkt. Ohne diese Figuren wäre "Torn Curtain" allerhöchstens eine lahme Fußnote, so bleibt er immerhin lebendiger Zeuge eines späten Scheiterns, einer Demonstration traurigen, aber wahren Anachronismus'. Wenn man sich so lang und intensiv wie ich jetzt mit Hitchcock beschäftigt, tut man gut daran, sich vor Augen zu halten, dass mit Ausnahme des letzten Aufbäumens "Frenzy" nach Hunderten glamouröser und bezaubernder Momente am Ende die schweren Balken des Niedergangs harren. Immerhin habe ich zwei davon schonmal hinter mir.

6/10

Leipzig DDR Kalter Krieg Alfred Hitchcock Dänemark Spionage


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MARNIE (Alfred Hitchcock/USA 1964)


"You Freud, me Jane? "

Marnie ~ USA 1964
Directed By: Alfred Hitchcock

Marnie Edgar (Tippi Hedren) ist eine krankhafte Kleptomanin, die sich immer wieder unter falschen Namen in mittelständische Firmen einschleicht, um dann deren Tresore leerzuräumen. Als sie sich bei der Firma Rutland vorstellt, erkennt sie der Juniorchef Mark (Sean Connery) von einer früheren Begegnung wieder und stellt sie ein - nur, um auf ihren nächsten Coup zu warten und sie dann damit erpressen zu können. Mark weiß nämlich längst um die pathologische Stehlsucht Marnies und ahnt, dass für ihr Zwangsverhalten ein tief verwurzeltes, schreckliches Erlebnis verantwortlich sein muss. Bestimmte Schlüsselreize - Gewitter und die Farbe Rot - lösen zudem bei Marnie heftige Panikattacken aus. Mark zwingt sie, ihn zu heiraten, um ihr auf diese Weise helfen zu können. Der Weg führt schließlich nach Baltimore, zu Marnies Mutter (Louise Latham).

Erneut beschäftigte sich Hitchcock mit der Psychoanalyse und brachte mit "Marnie" eine Art bastardisiertes Konglomerat aus "Spellbound" und "To Catch A Thief" auf die Leinwand. Die beiden Geschichten vermischen sich dergestalt, dass zum einen ein infolge eines Gewalterlebnisses seit der Kindheit tief verwurzelter Schuldkomplex auf seine Aufdeckung und Lösung wartet. Der Patient (hier: die Patientin) hat ebenjenes Schlüsselereignis bis ins Erwachsenenalter hinein erfolgreich verdrängt und gelernt, jede symbolische Erinnerung daran in eine zwanghafte Verhaltensweise abzuführen. Bei Marnie, die sozusagen bis zur Oberkante voller Komplexe steckt, ist die Anzahl an Schlüsselreizen dabei durchaus alles andere als gering - neben den äußeren Faktoren "Rot" und "Gewitter" kommt noch ein irrationaler Männerhass dazu, der umso größer wird, je mehr Marnie sich von einer Person des anderen Geschlechts erotisch angezogen fühlt: Sex bedeutet Schuld. Als weitere Sublimierungsstrategie macht sie dann regelmäßig Ausritte auf ihrem Hengst Forio - da hat Hitch vielleicht etwas dick aufgetragen. Doch ist Marnie nicht die einzige nachhaltig gestörte Person in diesem buchstäblichen Psychoreigen. Zum einen wäre da Mark Rutland, der, ausgestattet mit ultimativem Machismo und als starker maskuliner Gegenpart selbst eine delikate Perversion pflegt. Ihn reizen nämlich offenbar vornehmlich Damen, die psychisch stark angegriffen sind, da er 1.) wie im Falle Marnie eine immense Macht über sie ausüben, sie gewissermaßen 'brechen' kann und 2.) seine geheimen Hobbys Verhaltensforschung und Psychoanalyse sozusagen am lebenden, wenn auch unfreiwilligen Objekt erproben kann. Dass diesem Charakter Hitchcocks unverhohlene Sympathien zufliegen, verrät manches über die Geisteshaltung des alternden Filmemachers. Rutland erpresst, zwingt, nötigt, vergewaltigt. Mit Erfolg! Für die kesse, deutlich attraktivere Lil (Diane Baker) interessiert er sich nicht, der Tropf. Aber warum auch - ist sie doch selbstbewusst und erfrischend aneurotisch! Dann wäre da noch Marnies Mutter, die typische hitchcocksche Matriarchin. Oszillierend zwischen den wenig sympathischen Attributen dominant, kalt, herzlos, krank, verrückt, übermächtig ist sie letzten Endes ein universelles Monster, dessen Liebe sozusagen unerwerblich ist. Man erinnere sich an "Notorious", "Strangers On A Train", "To Catch A Thief", "North By Northwest", "Psycho" und "The Birds", die dieses negative Mutterbild allesamt, wenn auch teilweise ironisch verklärt (Jessie Royce Landis hat das in "To Catch A Thief" und "North By Northwest" jeweils sehr sympathisch besorgt), transportieren. Nun fällt Bernice Edgar kaum in die Kategorie "vorsätzlich böse"; dass sie für ihre verlorene Jugend jedoch ihre Tochter verantwortlich macht, die einst im besten Sinne 'kindgerecht' agierte, macht sie nicht eben liebenswert.
Als stünde ich im Museum vor einem monströsen Fresko und wäre völlig aufgeschmissen: Ich muss hier und jetzt das Geständnis machen, dass "Marnie" mir als einziger Hitchcock-Film nicht nur höchst unsympathisch ist, sondern dass ich ihn gewissermaßen sogar abstoßend finde. Die Gründe dafür liegen allerdings bei mir ganz persönlich und vermutlich irgendwo im verworrenen Höhlendunkel meiner eigenen seelischen Untiefen begraben. Ich verstehe jeden, der den Film als einen Höhepunkt des hitchcock'schen Œuvres erachtet, würde ich ihn eigentlich doch selbst gern mögen. Es mag daran liegen, dass das im Film gezeichnete Weltbild ein ganz furchtbar zynisches und hässliches ist, dem fürderhin fraglos ein gigantischer Lebensfrust zugrunde liegt. Es mag an der fahlen Kälte liegen, mit der sämtliche Figuren, mit Ausnahme der im Gesamtkontext als "bedeutungslos" denunzierten Diane Baker, sich durch die Szenerie schleppen, an der narrativ induzierten Starre. Ich weiß nicht recht. Dabei ist "Marnie" doch formal bestimmt nicht unschön; das total artifiziell wirkende matte painting von Marnies Mutterhaus im Baltimorer Hafenviertel hält sogar eines der ästhetisch ansprechendsten Bilder des gesamten Hitchcock-Werks bereit und der in sepia viragierte Rückblick am Schluss mitsamt Bruce Dern als perversem Matrosen und wieder verwendetem "Vertigo-Zoom" ist nicht minder toll gemacht. Dennoch muss ich mich jedesmal durch diesen Film quälen und zwängen wie durch ein Treibsandmeer und hinterher geht's mir dann regelmäßig richtiggehend mies. Dazu kam, dass ich gestern einen ziemlich üblen Kater hatte. Es wollte sich alles nicht recht fügen, wie meist in Bezug auf "Marnie". Eine Punktwertung werde ich mir infolge tiefer intrapsychischer Grabenkämpfe in diesem Falle ersparen.

Madness Psychiatrie Baltimore Philadelphia Alfred Hitchcock


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THE BIRDS (Alfred Hitchcock/USA 1963)


"I want to go through life jumping into fountains naked! Good night!"

The Birds (Die Vögel) ~ USA 1963
Directed By: Alfred Hitchcock

Die verwöhnte Verlegertochter Melanie Daniels (Tippi Hedren) begegnet in einer Zoohandlung dem Anwalt Mitch Brenner (Rod Taylor) und folgt ihm übers Wochenende, vordergründig, um einen kleinen Scherz mit ihm zu treiben, insgeheim jedoch, um ihn besser kennenzulernen, bis in das Küstenstädtchen Bodega Bay. Dort leben Mitches Mutter Lydia (Jessica Tandy), seine kleine Schwester Cathy (Veronica Cartwright) und auch seine Verflossene Annie (Suzanne Pleshette), die in Bodega Bay als Lehrerin arbeitet. Zeitgleich mit Melanies Eintreffen in der Stadt beginnt sich die hiesige Vogelwelt zunächst merkwürdig aggressiv zu verhalten, um sich dann zu sammeln und die Menschen gezielt und mit tödlicher Gewalt zu attackieren. Am Ende gelingt es Melanie und den Brenners nur mit knapper Not, der Gewalt der Tiere zu entrinnen.

Trotz seinem mit dem Horror liebäugelnden Vorgänger "Psycho" der einzige echte Genrefilm von Hitchcock. Nach den beiden großen, wiederum höchst unterschiedlichen, jedoch komplett untadeligen, makellosen Meisterwerken "North By Northwest" (Hitchs einziger Arbeit für MGM) und "Psycho" (seinem letzten Schwarzweißfilm und dem letzten für Paramount) sowie diversen Liebäugeleien mit dem Fernsehen (die Hitch ein hohes Maß an neuer, öffentlicher Popularität eintrugen) fand er seinen späten Heimathafen bei Universal und läutete mit "The Birds" sein Alterswerk ein. Mit der kühlen, stets leicht arrogant auftretenden Blondine Tippi Hedren fand der Meister eine weitere Personifikation seines heimlichen Frauenideals und verpasste ihr sogleich eine recht krasse Demontage. Die anfänglich so resolut und selbstbewusst auftretende Schönheit kommt nämlich aus keinem anderen Anlass nach Bodega Bay als aus jenem, sich charakterlich brechen zu lassen. Erst nachdem die Vögel sie fast zu Tode gehackt haben und ihre ganze, menschliche Verletzlichkeit zu Tage tritt, stehen ihr und Mitch die Türen zu einer glücklichen Zukunft offen und, noch wichtiger, kann Mitches neurotische Mutter sie gänzlich akzeptieren, zumindest, so man bereit ist, diefinalen Einstellungen nicht als a posteriori als Präludium zum Armageddon einzustufen. Melanies Quasi-Konkurrentin, der burschikos auftretenden, noch selbstbewussteren und -bestimmteren Annie ergeht es gar noch schlimmer - sie überlebt die Angriffe der Vögel nämlich nicht.
So nehme ich den ganze Film mittlerweile eigentlich bloß vordergründig als klassische Tierhorrorfabel, respektive eine Parabel über die der humanen Arroganz überdrüssige und ergo zurückschlagende Natur wahr. Tatsächlich scheint mir "The Birds" in seiner endgültigen, filmischen Form die reaktionäre Initiationsgeschichte einer Frauenfigur und dazu ein ziemlich entlarvender, ängstlicher Kommentar Hitchcocks zum Aufglimmen des Feminismus. Trotzdem (oder gerade deswegen?) wieder ein toller Film.

9/10

Tierhorror Alfred Hitchcock Daphne Du Maurier Kalifornien Wochenende San Francisco Vögel


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VERTIGO (Alfred Hitchcock/USA 1958)


"You shouldn't have been that sentimental..."

Vertigo ~ USA 1958
Directed By: Alfred Hitchcock


Der wegen infolge eines Dienstunfalls unter Akrophobie leidende, vom Dienst retirierte Polizist Scottie Ferguson (James Stewart) wird eines Tages von seinem alten Collegefreund Elster (Tom Helmore) gebeten, dessen Frau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Jene scheint offenbar unter einem sonderbaren, übersinnlichen Familienbann zu stehen: Ihre Großmutter Carlotta hatte sich einst im selben Alter das Leben genommen und nun sieht es aus, als versuche Madeleine, es ihr gleich zu tun. Nachdem Scottie Madeleine einige Zeit lang verfolgt, ihr das Leben gerettet, si dann kennengelernt und sich schließlich in sie verliebt hat, gelingt ihr der Suizid: Sie springt vom Glockenturm eines Klosters. Scottie fällt in einen Schuldkomplex gekoppelt mit tiefen Depressionen, die eines langwierigen Heilungsprozesses bedürfen. Danach findet er in den Straßen der Stadt eine Frau (Kim Novak), die Madeleine bis auf ein paar Details zum Verwechseln ähnlich sieht. Scottie spricht sie an, modelt sie nach und nach um und erkennt dann die Wahrheit...

Die Geschichte einer unerfüllten Nekrophilie. Nach der kantigen Realitätsstudie "The Wrong Man" kam dieser flirrende Fiebertraum "Vertigo", der zu dem direkten Vorgänger auf den zweiten und dritten Blick durchaus manche Analogien aufweist. Auch hier wird ein Protagonist zum Opfer einer schweren, katatonischen Depression infolge falscher Schuldgefühle und auch hier kann die Heilung nur ein Zufallswink der Vorsehung leisten. Auch das Motiv des Katholizismus zieht sich somit weiter fadengleich durch Hitchcocks Werk. Nachdem bereits Vater Logan und Manny Balestrero ihre Dämonen letzten Endes nur mittels ihres jeweils unerschütterlichen Glaubens auszuteiben vermochten, kommt Scottie Ferguson am Ende, als er, seiner Sinne beraubt, schon selbst ein Verbrechen zu begehen droht, eine engelsgleiche Nonne zur "Hilfe": Madeleine, die glaubt, in der Silhouette der Ordensschwester den Rachegeist der ermordeten Madeleine Elster zu erblicken, stolpert in den Unfalltod.
Einer Ellipse gleich hat sich das Schicksal erfüllt; Scottie Ferguson ist erlöst. Überhaupt ist der Film seinem Titel entsprechend bis obenhin angefüllt mit elliptischer Tunnelsymbolik, der das Kino unter anderem den häufig zitierten '"Vertigo"-Zoom' verdankt, im Zuge dessen die Kamera während eines harten Zooms manuell zurückgezogen wird. Auge, Häuserschlucht, Treppenhaus, hochgesteckte Damenfrisur, ja selbst eine Rose - das Tunnelbild findet sich immer wieder. Wunderbar in diesem Zusammenhang die mit Zeichentrickeffekten gestaltete Traumsequenz, die James Stewarts' vorübergehenden Abstieg in den Hades der Psychose einläutet. Überhaupt hat Stewart, mit Ausnahme vielleicht von dem fanatischen bounty hunter Howard Kemp in Anthony Manns "The Naked Spur" niemals sonst einen so ambivalenten Antihelden fernab von seinem üblichen Saubermann-Image spielen dürfen. Trotz härtester Konkurrenz vermutlich Bernard Herrmanns feinster Hitchcock-Score und natürlich der Film, dem ein anderer Meister, Brian De Palma, so ziemlich alles verdankt.
Marvelös.

10/10

Madness Psychiatrie San Francisco Alfred Hitchcock Paraphilie Akrophobie


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THE WRONG MAN (Alfred Hitchcock/USA 1956)


"An innocent man has nothing to fear, remember that."

The Wrong Man (Der falsche Mann) ~ USA 1956
Directed By: Alfred Hitchcock


Der New Yorker Jazzbassist und Familienvater Manny Balestrero (Henry Fonda) wird zu Unrecht verdächtigt, mehrere Raubüberfälle begangen zu haben und in ein langwieriges, zermürbendes Justizverfahren hineingezogen, das er erst ganz an dessen Ende und nur rein zufällig für sich entscheiden kann. Mannys Frau Rose (Vera Miles) hält dem Druck der Ereignisse nicht stand und verfällt in eine schwere Psychose.

Hitchcocks vorletzter Schwarzweiß-Film und seine letzte, sehr aus dem Rahmen der zuvor gefertigten, knallbunten und jeweils mit einigem Humor angereicherten Paramount-Werke fallende Arbeit für Warner. Weder gibt es hier das handelsübliche Regisseurs-Cameo, noch gestattet sich Hitch auch nur die geringste Liebäugelei mit der Irrealis. "The Wrong Man" beinhaltet, ja, ist härtester Realismus. Dies versichert uns der Regisseur zu Beginn des Films auch gleich selbst, als er im Gegenlicht vor das Publikum tritt und es der Authentizität der folgenden Geschichte versichert. Von zwei, drei Ausnahmen abgesehen fehlen nun auch alle visuellen Spielereien. Hitch verlässt sich ganz auf die Intensität seiner Darsteller, zuvorderst des bravourösen Ehepaars Fonda/Miles, das in tiefes, existenzielles Loch fällt und sich nur mit allergrößter Mühe und unter furchtbarsten psychischen Entbehrungen wieder daraus hervorarbeiten kann.
"The Wrong Man" symbolisiert wie kein anderes Werk des Regisseurs seine persönliche, tief verwurzelte, kafkaeske Angst vor staatlicher Übermacht und Willkür sowie die Furcht davor, unschuldig angeklagt und eingesperrt zu werden und nichts dagegen tun zu können. Nicht nur Hitchcocks naturalistischster, sondern neben "I Confess", dem nachfolgenden "Vertigo" und "Psycho" auch sein schwärzester, unerbittlichster Film.

10/10

Madness New York Alfred Hitchcock


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THE MAN WHO KNEW TOO MUCH (Alfred Hitchcock/USA 1956)


"I don't take risks."

The Man Who Knew Too Much (Der Mann, der zuviel wusste) ~ USA 1956
Directed By: Alfred Hitchcock


In Marrakesch wird die amerikanische Touristenfamilie McKenna Zeuge eines Mordes. Das Opfer, einen Franzosen namens Louis Bernard (Daniel Gélin), hatten die McKennas bereits tags zuvor kennengelernt. Bernard kann Dr. McKenna (James Stewart) gerade noch eine Nachricht überliefern, bevor er stirbt. Ebenjene wird der Familie jedoch zum Verhängnis: Ihr kleiner Junge Hank (Christopher Olsen) wird entführt und weder Dr. McKenna noch seine Frau Jo (Doris Day) können die Behörden informieren oder um Hilfe fragen, bis der Plan der Verschwörer, einen Premierminister in London zu ermorden, durchgeführt worden ist. Doch die McKennas geben nicht auf.

"Ein einzelner Schlag der Becken und wie er das Leben einer amerikanischen Familie erschütterte" steht nach der Regisseursangabe der Titelsequenz dieses Remakes in eigener Sache zu lesen. Der Geschichtenerzähler macht Ankündigungen, genau wie im nächsten Film auch wieder. Hitchcock sagte zu Truffaut, die erste Fassung des Films sei die Arbeit eines talentierten Amateurs gewesen, die zweite hingegen die eine Profis. Nicht ganz unwahr, denn obschon die Erstversion, schon allein aufgrund der Mitwirkung von Peter Lorre, sicherlich bemerkenswert ist, lässt erst die Neuverfilmung die Virtuosität und scheinbare Lässigkeit durchschimmern, die Hitch sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte hat aneignen können. Bei aller Dramatik und Spannung bleibt, genau wie im Original, stets etwas Zeit für gepflegten Humor, ansonsten überträgt sich mit der Entführung des Jungen die Nervosität der McKennas unmittelbar auf den Zuschauer und lässt bis zum Ende nicht mehr von ihm ab.
In kleinen, bis heute nicht hinreichend gewürdigten Rollen sind Richard Wordsworth, der im Jahr zuvor den armen, mutierenden Astronauten in "The Quatermass Experiment" spielte und natürlich der große, stets diabolische Reggie Nalder als sogar nominell nihilistischer Attentäter Rien (was ins Deutsche übersetzt "Nichts" bedeutet) zu sehen.

9/10

Kidnapping London Remake Marokko Alfred Hitchcock Verschwoerung


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THE TROUBLE WITH HARRY (Alfred Hitchcock/USA 1955)


"We're not quite finished with him yet."

The Trouble With Harry (Immer Ärger mit Harry) ~ USA 1955
Directed By: Alfred Hitchcock


Der New Yorker Harry Worp (Philip Truex) entschlummert sanft auf den herbstlichen Hügeln von Vermont - und gleich drei Personen (Edmund Gwenn, Mildred Natwick, Shirley MacLaine) fühlen sich für seinen Tod verantwortlich. So wird der arme Harry viermal ausgegraben, bevor er selbst und seine unfreiwilligen Bestatter die ewige Ruhe finden dürfen.

Neben "Halloween" meiner liebster Herbstfilm, eine perfekt pointierte, schwarze Komödie und trotz des morbiden Sujets Hitchcocks philanthropischstes, lebensbejahendstes Werk. Mit großer väterlicher Zuneigung zu den auftretenden und handelnden Personen, von denen bis auf den wie immer leicht verblödeten, querulantisch auftretenden Dorfsheriff (Royal Dano) allesamt sehr sympathisch sind, bringt "The Trouble With Harry" den Kreislauf der Existenz auf eine ganz einfache Formel: Aus jedem Tod erwächst stets auch neues Leben. Gleich zwei Liebespaare und ein ganzes Netz von Freundschaften bilden sich nämlich infolge von Harrys Ableben. Zuvor in anonymer nachbarlicher Koexistenz lebende Personen lernen sich über das turbulente, letztendlich heilsame Problem der Leichenentsorgung kennen, mögen und/oder lieben. Die explodierenden Farben von "To Catch A Thief" weichen hier einem (teils auf artifiziellem Wege herbeigeführtem) zartem Oktoberpastell, das sich in den Zeichnungen und Gemälden des etwas exzentrischen Künstlers Sam Marlowe (John Forsythe) sogar regelrecht "materialisiert".
"Harry" müsste somit eigentlich zum Pflichtprogramm ernannt werden für jeden angehenden Thanatologen.

10/10

Herbst Farce Leiche Alfred Hitchcock Vermont


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TO CATCH A THIEF (Alfred Hitchcock/USA 1955)


"Avez-vous Bourbon?"

To Catch A Thief (Über den Dächern von Nizza) ~ USA 1955
Directed By: Alfred Hitchcock


Der frühere Juwelendieb John Robie (Cary Grant), ehedem bekannt als "Die Katze", hat sich in einem Weingut an der französischen Riviera zur Ruhe gesetzt. Als ein neuer Räuber auftaucht, der Robies Vorgehensweise exakt dupliziert, gerät der Ex-Kriminelle überall in Verdacht - sowohl bei der Polizei als auch bei seinen früheren Genossen, die in ihrer nunmehr legalen Existenz ungestört bleiben wollen. Um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, verbündet sich Robie mit dem englischen Versicherungsdetektiv Hughson (John Williams), der über eine Liste der potenziellen Ziele der neuen "Katze" verfügt. Auf diesem Wege lernt Robie auch die amerikanische Schönheit Frances Stevens (Grace Kelly) kennen und lieben.

Eine Explosion in Technicolor und Vistavision. Ich kenne wenige Filme, die so sehr von ihren auserlesenen Farbkompositionen leben wie "To Catch A Thief" - eine luxuriöse Lektion in Ästhetik, den böse Zungen als Betuchten-Reisereklame für die Côte d'Azur diffamieren mögen, der für mich jedoch das ultimative Exempel der eleganten Gaunerkomödie darstellt. Diesmal geht es, mit Ausnahme des Showdown, kaum um Suspense, sondern lediglich darum, sich in Südfrankreich einen brauen Teint zu holen, um gutes Essen, Juwelen und Mondänität, um frivolen, geistreichen Witz. Und natürlich um Grace Kelly, die mit jedem weiteren Film für Hitchcock immer noch schöner zu werden scheint. Hier sieht sie endgültig aus wie ihr eigenes Gemälde, nicht mehr verbesserbar. Selbst nach einem Tauchgang bleibt jede Pore makellos. Dramaturgischer und visueller Höhepunkt des verschwenderischen Reigens ist das finalisierende Kostümfest, das zugleich ein Geschenk an die exzentrische Designerin Edith Head darstellt: Sämtliche Gäste treten in barocken Gewändern auf, die zu Beginn per Schaulauf von den übrigen Gästen beklatscht und beraunt werden. Hier wird der Farbrausch des Films, nachdem zuvor ein prachtvolles Feuerwerk als Koitussymbol diesen Status innehatte, endgültig orgiastisch. Hitch on acid.

10/10

Frankreich Alfred Hitchcock Heist Riviera Nizza





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