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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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REAR WINDOW (Alfred Hitchcock/USA 1954)


"I wish I were creative." - "You are. You're great at creating difficult situations."

Rear Window (Das Fenster zum Hof) ~ USA 1954
DIrected By: Alfred Hitchcock


Ein schwül-heißer New Yorker Sommer. Der Fotojournalist L.B. Jeffries (James Stewart) sitzt mit einem gebrochenen, bis über die Hüfte eingegipsten Bein in seinem Apartement und beobachtet aus lauter Langeweile den Hinterhof des Blocks. Als er im Haus gegenüber einen Mord und dessen Vertuschung zu sehen glaubt, wird er hellhörig. Mithilfe seiner Freundin Lisa (Grace Kelly) und seiner Pflegerin Stella (Thelma Ritter) versucht er, den mutmaßlichen Täter (Raymond Burr) aufzuscheuchen.

Mit "Rear Window", dem ersten eines sechsteiligen, von zwei Kuckuckseiern unterbrochenen Zyklus von Filmen für die Paramount, beginnt Hitchcocks signifikanteste Schaffensphase. Auf absoluter Schaffenshöhe feuert der Regisseur mit so professioneller wie leichter Hand gefertigte Meisterwerke ab, die den endgükltig zur Perfektion gereiften Techniker zeigen, der keine Experimente mehr nötig hat und sein ganzes Können fast spielerisch in die Waagschale des jeweiligen Sujets wirft. "Rear Window" markiert dafür sogleich ein hervorragendes Beispiel. Weniger die Kriminalgeschichte fesselt den Zuschauer als der omnipotente Ausblick L.B. Jeffries', der wesentlich mehr zeigt als bloß einen Mörder seiner Ehefrau. Vielmehr lernt man, freilich über den Umweg von Jeffries voyeuristischen Augen, noch ein dauerkopulierendes, frisch verheiratetes Ehepaar (HGaris Davenport, Rand Harper), einen in einer Schaffenskrise befindlichen Komponisten (Ross Bagdasarian), eine etwas durchsichtige Künstlerin (Jesslyn Fax), eine Balletttänzerin (Georgine Darcy), ein kinderloses Ehepaar (Sara Berner, Frank Cady) mit kleinem Hund, sowie eine vereinsamte, depressive Frau (Judith Evelyn) mittleren Alters kennen. Dieses Personal bildet zwar lediglich einen facettenhaften Einblick in das pulsierende urbane Leben hinter den zahlreichen Hof( und Seelen-)fenstern, jedoch reicht es, um damit einen Spielfilm abendfüllend zu machen. "Rear Window" lebt auch von seiner Tonspur, die er so literarisch einsetzt wie ein John Dos Passos: Das sommerliche Greenwich Village ist angefüllt von Jazzmusik und aktuellen Schlagern, von Autolärm und dem Gekreische spielender Kinder und von Geräuschen, die von der Mole herüberwehen; Nebelhörner, Möwen, einlaufende Dampfer. Ein gewaltiger Brei von audiovisuellen Eindrücken, für den Film so geschickt wie eben möglich entschlackt und schließlich reduziert auf die Mörderwohnung des Mr. Thorwald - respektive natürlich auf L.B. Jeffries Apartement, in dem wir uns, mit einer Ausnahme, mit ihm zusammen permanent aufhalten. Ganz nebenbei erfährt man noch Einiges über Hitchs Obsession bezüglich Grace Kelly, an deren Anmut "Rear Window" auch eine Ode darstellt und über die Probleme, die zwangsläufig auftauchen, wenn ein Krisenjournalist und eine gepflegte Upper-Class-Blondine sich verlieben. Ein Technicolor-Traum.

10/10

New York Alfred Hitchcock Cornell Woolrich


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DIAL M FOR MURDER (Alfred Hitchcock/USA 1954)


"There are a few things I'd like to get firsthand."

Dial M For Murder (Bei Anruf Mord) ~ USA 1954
Directed By: Alfred Hitchcock


Um sich für ihre Untreue zu rächen und außerdem ihr nicht unbeträchtliches erbteil abzugraben, will der Ex-Tennisprofi Tony Wendice (Ray Milland) seine Frau Margot (Grace Kelly) ermorden lassen. Ein bis ins letzte Detail ausgeklügelter Plan mitsamt ausführendem Täter (Anthony Dawson) hat Wendice sich zurecht gelegt, doch die Ausführung misslingt dennoch. Margot kann den Mörder mit einer Schere erstechen. Doch Wendice sieht noch nicht alle Felle davonschwimmen. Mittels geschickter Indizienfälschung schafft er es, die unschuldige Margot als Mörderin verdächtigen zu lassen, was schließlich mit einem Todesurteil für sie endet. Doch Wendice hat die letzte Rechnung ohne den findigen Inspector Hubbard (John Williams) und Margots Liebhaber Mark (Robert Cummings) gemacht...

Der erste von drei Filmen mit der makellos schönen Grace Kelly, der zweite Farbfilm (nach "Rope"), der dritte Film ohne Schauplatzwechsel (nach "Lifeboat" und "Rope"). Obschon sich fast der gesamte Inhalt dieses strengen Fünf-Personen-Stücks im Apartement der Wendices abspielt (das, genau wie die Wohnung von Brandon und Philip in "Rope", eine bühnengleiche, "offene Wand" hat, von der aus basal die Kameraperspektive gelenkt wird), erreicht Hitchcock eine meisterliche Atmosphäre der inneren Spannung. Dabei zeigt sich überraschenderweise, dass das Suspense-Moment in "Dial M" fast zur Nebensache gerät: Seine positive und gut gelaunte Stimmung verdankt der Film anderen Faktoren - seiner exquisiten Dialogführung (Frederick Knott), einem virtuosen, die Szenerie resolut beherrschen Ray Milland, einer ganzen Armada von MacGuffins, der Augenweide Grace Kelly und natürlich dem nicht minder augenfälligen, breit ausgespieltem Technicolor. "Dial M" wurde sogar im modischen 3D-Verfahren gefertigt, benötigt dieses Kintopp-Werkzeug jedoch überhaupt nicht, um seine volle Wirkung und äußere Schönheit zu entfalten.

9/10

based on play Ehe London Alfred Hitchcock 3-D


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I CONFESS (Alfred Hitchcock/USA 1953)


"I can't tell you."

I Confess (Ich beichte) ~ USA 1953
Directed By: Alfred Hitchcock


Der deutsche Emigrant Otto Keller (O.E. Hasse), der mit seiner Frau Alma (Dolly Haas) zusammen als Küster in Québec tätig ist, ermordet aus Habgier den Anwalt Villette (Ovila Légaré). Um sein Gewissen zu erleichtern, vertraut er sich in der Beichte Pater Logan (Montgomery Clift) an, der selbst in unseliger Beziehung zu Villette stand: Jener hatte Logans frühere Geliebte Ruth (Anne Baxter), nunmehr mit einem hochrangigen Senator (Roger Dann) verheiratet, erpresst, eine angebliche Affäre zwischen ihr und Pater Logan publik zu machen, was einen furchtbaren skandal verursacht hätte. Der ermittelnde Inspektor Larrue (Karl Malden) stellt bald fest, dass Villettes Tod Pater Logan nicht ganz ungelegen kam und hat seinen Hauptverdächtigen gefunden. Logan ist derweil ans Beichtgeheimnis gebunden und kann über den wahren Täter, der sich weiterhin bedeckt hält, nichts aussagen.

Einer meiner liebsten Hitchcock-Filme, eine psychologisch und ethisch komplexe Meditation über Schuldfragen in morbiden Herbstbildern. Der ungewöhnliche Handlungsschauplatz Kanada, speziell das altweltlich ausschauende Québec, tut dem Film nur gut; es muss eben doch nicht immer London oder New York sein. Trotz weniger Dialogzeilen und des Ausbleibens jedweder Monologe (die eigentlich gut zu seiner rolle gepasst hätten) ist Montgomery Clift schier unglaublich als innerlich gequälter Priester: Er vollbringt das Kunststück, seine Innenwelt sich auf dem emotionslosen Gesicht des Geistlichen widerspiegeln zu lassen. Überhaupt tragen den Film neben seiner brillanten Inszenierung die großartigen Schauspieler: Hasse, Malden und die Haas. Seit "The Paradine Case" hat Hitch nicht mehr so bierernst und ohne Verzicht auf jedweden Humor (von zwei sanften Gags um den fahrradfahrenden Pater Benoit (Gilles Pelletier) abgesehen) gearbeitet. "I Confess" ist hartes, menschliches Drama, bei aller filmischen Kunst nahtlos auf dem Punkt, emotional involvierend und vor allem ungeheuer spannend erzählt. Wie gesagt, ein persönliches Highlight.

10/10

Alfred Hitchcock Kanada Kirche Courtroom


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STRANGERS ON A TRAIN (Alfred Hitchcock/USA 1951)


"My theory is that everyone is a potential murderer."

Strangers On A Train (Der Fremde im Zug) ~ USA 1951
Directed By: Alfred Hitchcock


Während einer Zugfahrt begegnet der Tennisstar Guy Haines (Farley Granger) dem aufdringlichen Bruno Anthony (Robert Walker). Der seinen Vater (Jonathan Hale) hassende Bruno weiß offenbar sehr gut um Guys private Situation sowie seine scheidungsunwillige, frivole Gattin Miriam (Kasey Rogers) und eröffnet ihm eine bizarre Hypothese: Wenn beide Männer jeweils den "Mord des anderen" begehen würden, könnte ihnen niemand auf die Schliche kommen. Kurz darauf wird Miriam von Bruno erwürgt, der nun umgekehrt von Guy erwartet, dass dieser Brunos Vater ermordet, was Guy jedoch strikt ablehnt. Bruno wird zunehmend aggressiv und droht, der Polizei Beweise dafür zu liefen, dass Guy der wahre Mörder Miriams ist.

In "Strangers On A Train" ist Hitchcock wieder ganz bei sich. Der auf einem Highsmith-Roman basierende, komplexe Thriller, dessen Script unter anderem von Raymond Chandler bearbeitet wurde, besitzt all die wesentlichen Attribute, für die die populären Werke des Meisters zu Klassikern deklariert wurden: Ein dynamisches Antagonistenpaar, einen unschuldig Verdächtigten, einen gemeingefährlichen Psychopathen. Bruno Anthony wird sukzessive zum gestörten Gewalttäter aufgebaut. Seine respektable, gutbürgerliche Erscheinung kann nicht verhindern, dass er gefährliche Macht- und Gewaltphantasien pflegt, die seine senile Mutter (Marion Lorne) entweder aufgegeben hat ernstzunehmen und darüber resigniert ist, oder deren bizarres Verhalten in direktem genotypischen Zusammenhang mit dem von Bruno steht. Darzustellen, dass selbiger zudem über die losgelöste Körperkraft des Irrsinns verfügt, scheint für Hitch, der seine Opfer ja gern strangulieren oder erwürgen ließ, recht bedeutsam zu sein.
Das rasante Karussell-Finale ist mustergültig und zählt zu den großartigsten Hitchcock-Showdowns überhaupt.

9/10

Madness Alfred Hitchcock Patricia Highsmith


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STAGE FRIGHT (Alfred Hitchcock/UK 1950)


"Why do women marry abominable men?"

Stage Fright (Die rote Lola) ~ UK 1950
Directed By: Alfred Hitchcock


Um den von ihm abgöttisch geliebten Bühnenstar Charlotte Inwood (Marlene Dietrich) zu schützen, die ihren Mann getötet hat, begibt sich der junge Jonathan Cooper (Richard Todd) kopflos selbst in Verdacht. Die ihm zugetane Schauspielstudentin Eve Gill (Jane Wyman) deckt Coopers Flucht und setzt in der Folge mittels gewagter detektivischer Aktionen alles daran, die Inwood selbst als die Mörderin zu outen. Dabei lernt sie den Polizeibeamten Smith (Michael Wilding) kennen.

Wenn die Dietrich den Porter-Klassiker "The Laziest Gal In Town" schmachtet, dann ist das zwar denkbar glamourösestes Entertainment; ob man sich aber wirklich bei Hitchcock, für den die Inszenierung einer Bühnennummer höchst ungewöhnlich ist, befindet, dessen muss man sich dann erst nochmal versichern. Inhaltlich zeigt sich "Stage Fright" als relativ luftleer und bieder. Die stets etwas 'grau' anmutende Jane Wyman als Hobbydetektivin spielt, wie die übrige Besetzung auch, zwar tadellos, ist mir für eine Hitch-Heldin aber nicht schlagfertig und gewandt genug. Es sind die kleinen, humorigen Zwischenmomente mit Eves schrulligen Eltern (Alistair Sim, Sybil Thorndike), die den Film kurzfristig seiner ihm eigenen Angestaubtheit entheben und zumindest periodisch vergnüglich machen, so eine Sequenz, in der Sim versucht, ein am Schießstand ausgestelltes Püppchen zu ergaunern. Erst in solchen Augenblicken wird "Stage Fright" wirklich vital.

7/10

London Alfred Hitchcock Madness Theater


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UNDER CAPRICORN (Alfred Hitchcock/UK 1949)


"What kind of love is this?"

Under Capricorn (Sklavin des Herzens) ~ UK 1949
Directed By: Alfred Hitchcock


Australien, um das Jahr 1835: Der irische Ex-Sträfling Sam Flusky (Joseph Cotten) hat es in der Kolonie zwar zu Reichtum gebracht, sein gesellschaftliches Renommee und seine Akzeptanz durch die anderen emigrierten Großbürger in Sidney ist aufgrund seiner Vergangenheit jedoch praktisch nichtig. Hinzu kommt, dass Fluskys Gattin, die Aristokratin Henrietta (Ingrid Bergman), unter einer heftigen Depression zu leiden scheint. Als mit dem lebensfrohen Charles Adare (Michael Wilding), dem Neffen des neuen Gouverneurs (Cecil Parker), ein alter Bekannter von Henrietta nach New South Wales kommt, scheint sich ein Lichtstrahl für das Ehepaar Flusky anzukündigen...

Rückkehr nach England für zwei Filme. "Under Capricorn" bedeutete für Hitch die letzte Zusammenarbeit mit der Bergman, die hier ihre vermutlich stärkste und mutigste Rolle für den Regisseur spielt. Alkohol- und Medikamentensucht, speziell bei depressiven, jungen Frauen stellte natürlich ein gewisses Tabuthema in diesen Jahren dar und konnte vermutlich bloß deshalb akzeptiert werden, weil "Under Capricorn" als period piece und Kostümfilm verkauft wurde. Ähnlich wie "Rebecca" steht der Film im Zeichen feministischer Initiation - allerdings mit vertauschten Rollen. Um eine nicht standesgemäße Ehe glücklich führen zu können, müssen zunächst die Schranken und Unbill der Vergangenheit nebst irreparabel scheinender Schuldkomplexe ausgeräumt werden. Hier wie dort legt eine intrigante, böse Haushälterin (eine wunderbar hassenswerte Margaret Leighton) dem Glück der Ehepartner unerkannt schwere Steine in den Weg. Am Ende wartet dann die viel zu lange aufgeschobene, gemeinsame Erlösung auf das Paar Cotten/Bergman, das sich - eine behagliche Parallele - ja noch gut von Cukors "Gaslight" her kannte.
Das blasse, edle Technicolor des Films ist zwar höchst gekonnt eingesetzt und macht den ohnehin schönen "Under Capricorn" noch umso schöner - aber es half alles nichts. Der Film fiel allerorten durch und die Transatlantic machte nach diesem Projekt wieder dicht. Hitchcock nahm einen Vertrag bei Warner an, die bereits seine letzten beiden Filme international verliehen hatten, und kehrte, mittelmäßig frustriert, zunächst für drei Filme zum Schwarzweiß seiner großen Erfolge zurück.

8/10

period piece Kolonialismus Alfred Hitchcock Australien Standesduenkel Ehe Jack Cardiff


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ROPE (Alfred Hitchcock/USA 1948)


"You're quite a good chicken strangler as I recall."

Rope (Cocktail für eine Leiche) ~ USA 1948
Directed By: Alfred Hitchcock


Nachdem sie ihren Kommilitonen David Kentley (Dick Hogan) stranguliert und in einer Büchertruhe versteckt haben, geben die beiden Studenten Brandon Shaw (John Dall) und Phillip Morgan (Farley Granger) eine kleine Party in ihrer gemeinsamen Wohnung. Als Gäste erscheinen unter anderem der Vater (Cedric Hardwicke) und die Tante (Constance Collier) des Ermordeten sowie seine Freundin (Joan Chandler). Brandons und Philips früherer Internatslehrer Rupert Cadell (James Stewart), der auch zu dem kleinen Fest erscheint, merkt sofort, dass mit seinen beiden Ex-Eleven etwas nicht stimmt und dass der vermisste David seine Gastgeber offenbar nicht einfach bloß versetzt hat...

Technicolor und James Stewart im ersten von nur zwei Filmen, die Hitchcocks selbstgegründete 'Transatlantric' produzierte. "Rope" ist verfilmtes Theater und als solches zugleich ein Stück weit Experimentalfilm. Wie notwendigerweise bei einer Bühnenvorstellung wollte Hitchcock jedweden Schnitt vermeiden und den gesamten Film in einer einzigen Einstellung präsentieren. Allerdings erforderten die mit nur zehn Minuten Filmmaterial belichtbaren Spulen entsprechende Tricks: Wenn ein Film zu Ende geht, fährt die Kamera an den Rücken irgendeines Protagonisten heran und dann wieder zurück, um die Illusion der Pausenlosigkeit aufrecht zu erhalten. So entsteht ein Echtzeit-Krimi mit unsichtbarer, nichtsdestotrotz aber in die Raumkonstruktion eingegliederter, allgegenwärtiger vierter Wand. Das handlungstragende Apartement ist tatsächlich eine "Bühne", in das mit Ausnahme einiger Kamerabewegungen stets nur von einer Perspektive aus Einblick genommen werden kann. Dass Hitch selbst dieses Experiment im Nachhinein als gescheitert kommentierte, ist unerheblich. Der Film hat zahlreiche ganz wunderbare Details und Momente, ein herrlich kauziges Figureninventar und ist grandios gespielt. Gehört zu meinen persönlichen Lieblingsfilmen des Meisters, vielleicht ausnahmsweise auch deshalb, weil er in seinem Streben nach Perfektion so erfrischend unperfekt ist.

9/10

based on play New York Alfred Hitchcock


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THE PARADINE CASE (Alfred Hitchcock/USA 1947)


"This was, indeed, no ordinary woman."

The Paradine Case (Der Fall Paradin) ~ USA 1947
Directed By: Alfred Hitchcock


Der renommierte Londoner Rechtsanwalt Anthony Keane (Gregory Peck) übernimmt die Verteidigung der Witwe Paradine (Alida Valli), die angeklagt ist, ihren blinden Ehemann Oberst Paradine vergiftet zu haben. Keane verfällt der kühlen Schönheit der exotischen Mordverdächtigen, sehr zur Besorgnis seiner Gattin (Ann Todd) und seines Mentors Sir Simon (Charles Coburn). Seine Obsession für den Fall und Mrs. Paradine steigert sich in solchem Maße, dass Keane blind wird für die Fakten.

Nach "Notorious" der letzte Film für Selznick, ein astronomisch teures Gerichtsdrama, dessen kostbare Eleganz und äußere Kühlheit im Grunde besser zu einem Visconti gepasst hätten als zu Hitchcock. In der Person Alida Vallis, die im Vorspann ganz mysteriös nur als 'Valli' angekündigt wird, findet sich sogar ein entsprechendes Bindeglied. Gregory Peck spielt als beherrschter Anwalt, der seiner Mandantin über jedes vernünftige Maß hinaus in blinder Leidenschaft zugetan ist, eine seiner großartigsten Rollen und widerlegt locker das ihm oftmals zuteil gewordene Vorurteil, er habe bloß bestimmte 'Typen' gemäß seines eigenen Profils spielen können. Charles Laughton und Charles Coburn sind als zwei feiste alte Männer zu sehen, von denen allerdings nur Coburn einen liebenswerten personifiziert. Laughton als Richter Horfield präsentiert sich als widerlicher alter Sack, der gern an jüngeren Damen herumfingert und dessen eigene Frau (Ethel Barrymore) offensichtlich bereits Jahrzehnte des Ehemartyriums zu durchleiden hatte.
So macht es die von großartigen Darstellern getragene Personenkonstellation des Films es seinem Publikum alles andere als leicht. Eine glatte Identifikationsfigur gibt es nicht; Gregory Peck verspielt seinen anfänglichen Sympathiebonus irgendwann, als offenbar wird, dass seine zuvor gepriesene Professionalität und Ratio von seiner Schwäche für die Valli nachgeben und seine Frau Ann Todd bleibt zu passiv, um jemanden mitreißen zu können. So ist "The Paradine Case" ein zwar gelungener, jedoch auch sehr kalter und gänzlich humorloser Film, der etwas aus dem hitchcockschen Rahmen fällt. Aber andererseits trifft dies ohnehin auf die meisten seiner Werke zu...

8/10

Alfred Hitchcock London Courtroom Ehe


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SPELLBOUND (Alfred Hitchcock/USA 1945)


"Women's talk. Bah!"

Spellbound (Ich kämpfe um dich) ~ USA 1945
Directed By: Alfred Hitchcock


Mit Dr. Edwardes (Gregory Peck), dem neuen Chef der im Sanatorium Green Manors tätigen, etwas altjüngferlichen Psychotherapeutin Dr. Constance Petersen (Ingrid Bergman), stimmt etwas nicht. Schon nach zwei Tagen durchbricht ein gewaltiger Schuldkomplex Dr. Edwardes' Verhaltensmuster; er erleidet einen Zusammenbruch und muss feststellen, dass er gar nicht der echte Edwardes, dessen Tod er beobachtet hat, ist, und zudem unter schwerer Amnesie leidet. Constance, die sich in den Hilfsbedürftigen verliebt hat, will ihm dabei helfen, die wahren Hintergründe seiner Psychose offenzulegen und vor allem dabei, seine Unschuld zu beweisen. Dabei hilft ihr ihr früherer Lehrmeister Dr. Brulov (Michael Chekhov).

Nach dem nonchalanten, propagandistischen Kammerspiel "Lifeboat" nun ein Meilenstein für die Nutzung der Psychoanalyse als dramaturgisches Element im Kino und somit auch für die Popularisierung jener öffentlich kritisch beäugten medizinischen Richtung. Traumdeutung, Neurosen, Sublimierung, Übertragung - allesamt Termini, die 1945 (im Film gibt es nebenbei eine tolle Einstellung in der Central Station, in der ein großes Werbebanner für den Kauf von 'war bonds' - Kriegsanleihen - prangt) noch alles andere als selbstverständlich waren. Die berühmte Traumsequenz ließ Hitchcock von dem spanischen Surrealisten Dalí kreieren, dessen visueller Einfluss hier unverkennbar ist. Allerdings kann man die "Therapierung" des von Gregory Peck gespielten Helden, der sich im Nachhinein als ein Allgemeinmediziner namens 'John Ballantyne' entpuppt (und somit einen standesgemäßen Partner für die Bergman darstellt), kaum für voll nehmen. Ein unter einer derartig komplexen Störung leidender Patient, der zudem alle naselang in Ohnmacht fällt, bedürfte wohl einer mindestens dreijährigen Gesundung - die Bergman heilt ihn "mal eben so" innerhalb einer Woche, deckt einen seit seiner Kindheit verwurzelten Schuldkomplex auf, macht selbigen vergessen und sprengt die aktuell verursachte Amnesie mitsamt ihrem Auslöser. Das psychologische Moment ist somit zwar keinesfalls ungeschickt konstruiert; seine Offenlegung jedoch einem straff erzählten Filmdrehbuch angepasst. Inszenatorisch, technisch, visuell und betreffs seines dialogischen Geistreichtums ist "Spellbound" übrigens tadellos.

9/10

New York Alfred Hitchcock Psychiatrie


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SHADOW OF A DOUBT (Alfred Hitchcock/USA 1943)


"Go... away!"

Shadow Of A Doubt (Im Schatten des Zweifels) ~ USA 1943
Directed By: Alfred Hitchcock


Die grüblerische Charlie (Teresa Wright), ein nicht ganz alltäglicher Teenager aus dem kalifornischen Kleinstädtchen Santa Rosa, sieht nurmehr eine Möglichkeit zur Aufhellung ihres von latenter Depression gefährdeten Alltags: Ihr Lieblingsonkel Charles (Joseph Cotten), den sie als lebenslustigen, warmherzigen Menschen im Hinterkopf hat, muss her. Bevor Charlie ihm jedoch ihre Einladung telegraphieren kann, hat sich Charles schon selbst angekündigt. Fast zeitgleich mit ihm treffen zwei angebliche Demografen (Macdonald Carey, Wallace Ford) in Santa Rosa ein, die sich ziemlich rasch als Polizisten entpuppen. Der Grund für ihr Kommen: Sie verfolgen Charles, da er ihm dringenden Verdacht steht, ein gesuchter Frauenmörder zu sein. Charlie erscheint diese Eröffnung ungeheuerlich, doch dann kommen ihr berechtigte Zweifel an Onkel Charlies Unschuld, die sich bald in schreckliche Gewissheit verwandeln...

Hitchcocks persönlicher Lieblingsfilm aus seinem Eigen-Œuvre trägt dieses große Attribut nicht zu Unrecht: "Shadow Of A Doubt" ist der bis hierhin vielschichtigste, gekonnteste, bravouröseste, kurzum: beste Film, den der Meister inszeniert hat. "Shadow Of A Doubt" erzählt gleich mehrere Geschichten parallel; die offensichtlichste davon schildert den Einbruch des puren Bösen in das kleinbürgerliche, amerikanische Familienidyll. Hinter dem bisher so beliebten Onkel Charlie, der sich nach außen stets erfolgfreich als freundlicher Herr von nebenan zu verkaufen wusste, verbirgt sich ein irrsinnig gewordener Misanthrop und Serienmörder, der die Leichtgläubigkeit von Familie und Freunden aufs Gemeinste für sich ausnutzt. Dabei ist seine Liebe zu seiner ältesten Nichte gleichen Namens, die über rein familiäre Zuneigung hinauszugehen scheint, anfänglich noch durchaus aufrichtig. Als das Mädchen Charlie dann von Onkel Charlies Schuld überzeugt ist und ihn mit ihrer Sicht der Dinge konfrontiert ist es, als reiße sein letzter Verbundsfaden zur Menschlichkeit. Von hier ab wird Onkel Charlie endgültig zum reinen Verbrecher. Dann haben wir noch eine märchenhafte Coming-Of-Age-Geschichte: Für die junge Charlie bricht mit der Ankunft ihres vormaligen Familienidols die Kindheit zusammen, was sich bereits zuvor durch eine von ihrer Familie hilflos beäugte Durchgeistigung ihres Seelenlebens bemerkbar gemacht hat. Wie sie selbst für ihren Onkel, so ist auch ihr Onkel für sie eine letzte Konnexion zum Besseren, die bitterböse enttäuscht wird. Für Charlie bedeutet diese Entdeckung jedoch eine zwar schmerzliche, letztlich jedoch notwendige Episode auf dem Weg zur Persönlichkeitsbildung und zum Erwachsenwerden. Schließlich porträtiert Hitch mit feiner Satire aufs Schönste die amerikanische Vorstadtfamilie. Besonders Patricia Collinge als Matriarchin und gute Seele des Hauses, deren Lebensinhalt von Vorgartenpflege, Kuchenbacken und Fensterputzen bestimmt ist und Hume Cronyn als Muttersöhnchennachbar mit ebenfalls psychotischer Determination sorgen für einige erheiternde Augenblicke.
Übergroßes Meisterwerk, ohne Wenn und Aber.

10/10

Alfred Hitchcock Serienmord Familie Satire Kalifornien Coming of Age





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Funxton

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