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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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OPERATION ZUCKER (Rainer Kaufmann/D 2012)


"Geh' du mal heim zu deiner Familie..."

Operation Zucker ~ D 2012
Directed By: Rainer Kaufmann

Die beiden Berliner Polizisten Karin Wegemann (Nadja Uhl) und Uwe Hansen (Anatole Taubman) sind einem im großen Stil operierenden Kinderprostitutionsring auf der Spur, der seine Opfer in Osteuropa ankauft und in Deutschland an teuer zahlende "Exklusivkunden" verschachert. Nachdem sie mit Mühe und Not die arrivierte Staatsanwältin Lessing (Senta Berger) auf ihre Seite gezogen haben, gelingen ihnen ein paar kleine Schläge gegen die Organisation, deren Drahtzieher und Mittelsmänner jedoch in so hohen gesellschaftlichen Positionen verkehren, dass ein umfassender Sieg zwangsläufig reine Illusion bleibt.

In der vagen Hoffnung, einen weiteren so brillanten Film zu diesem schwierigen Thema zu sehen zu bekommen wie Dominik Grafs meisterlichen "Das unsichtbare Mädchen" habe ich mir "Operation Zucker" angeschaut, der bei seiner Ausstrahlung vor ein paar Monaten für einige Furore sorgte: Die unzensierte Fassung mitsamt ihrem wesentlich pessimistischeren Ende durfte erst im Nachtprogramm gezeigt werden, was einige Kritiker aus unterschiedlichen Gründen teils lautstark monierten. Diese Debatte entpuppt sich als viel Lärm um wenig: Tatsächlich ist die Art und Weise des sensiblen Anstrichs, den sich Kaufmanns Film mit einigem Narzissmus selbst verleiht, dem Gesamtresultat wenig förderlich. Am Ende bleibt sowohl in formaler als auch inhaltlicher Hinsicht kaum mehr denn ein unetikettierter, profaner "Tatort", in dessen Gestaden "Operation Zucker" gut aufgehoben gewesen wäre. Ich weiß nicht, inwieweit die Fabulierfreude des Films, eine schwerkriminell aktive pädophile Klientel aus Menschenschacherern hinter einer wohlfeil getarnten Geheimloge vom Schlage der Freimaurer auszumachen, als realitätsnah eingestuft werden kann, die Art allerdings, wie er jene Verdachtsmomente verkauft, mit seinem Allerwelts-Hausfrauenpopulismus sagte mir wenig zu. Als Kriminalfilm ist "Operation Zucker" gelungen, weil spannend, involvierend und von der Berger großartig gespielt; als ernstzunehmend-kritische Reflexion zum Thema jedoch kommt er über biederes Betroffenheitskino ohne wahren Schneid kaum hinaus. Wie erwähnt: Greifen Sie zum Graf. Der hat Chuzpe.

5/10

Rainer Kaufmann TV-Film Pädophilie Menschenhandel Prostitution Berlin


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THE TRAP (Sidney Hayers/UK 1966)


"Go clean the hut."

The Trap (Wie ein Schrei im Wind) ~ UK 1966
Directed By: Sidney Hayers

Der völlig verwilderte und grobschlächtige Trapper John La Bête (Oliver Reed) verbringt 95 Prozent seines Lebens fernab jeglicher Zivilisation in den Wäldern British-Columbias mit Fallenstellen, Tierehäuten und Rumsaufen. Als er sich eines Tages entschließt, sich eine Frau zu nehmen, kommt ihm das Angebot einer gierigen Krämersfrau (Barbara Chilcott) in der Hafenstadt gerade Recht: Gegen den Obolus von 1000 Dollar bietet sie La Bête ihre Patentochter, die seit einem Indianerüberfall auf ihre Familie verstummte Eve (Rita Tushingham). La Bête zögert nicht lang und nimmt die völlig verschüchterte Frau gegen ihren Willen mit. Innerhalb eines Jahres entsteht eine seltsame, symbiotische Freundschaft zwischen dem ungleichen Paar, wobei sie sich gegen seine Annäherungsversuche stets tapfer zu wehren weiß. Als sie jenen zu ihrem eigenen Entsetzen dann doch einmal stattgibt, scheint ein unsichtbares Band zerrissen: Über Umwege kehrt Eve zu ihrer Ersatzfamilie zurück, entscheidet sich jedoch nach wenigen Monaten für eine endgültige Rückkehr zu La Bête.

Ein eigenartiger Abenteuerfilm für Erwachsene, in der die Mär von der Schönen und dem Biest in tatsächlich beinahe kaum codierter Form neu erzählt wird. Nicht umsonst trägt der Frankokanadier La Bête seinen vielsagenden Rollennamen: Als mit lautem, gebrochenen Englisch krakeelender Waldmensch, der mit Blut und Därmen zu tun hat und sein letztes Paar Manieren - sofern überhaupt je gelernt - zusammen mit einer Flasche Rum heruntergespült hat, ähnelt Oliver Reed mehr Tier denn Mann. Dabei braucht er Eve, um nicht seinen letzten Faden zur Menschlichkeit zu verlieren - ihre Zartheit und Schüchternheit bildet den exakten Gegenpol zu La Bêtes lärmendem Wesen. Als er ihr schließlich sein Leben verdankt, verliert er zugleich seine Greulichkeit und schält sein Innerstes hervor, was durch einen lang hinausgeschobenen, unbeholfenen Liebesakt belohnt wird. Doch für die von ihren schrecklichen Kindheitserlebnissen noch immer schwer traumatisierte Eve kommt der vollzogene Koitus einem Verbrechen an sich selbst gleich: Sie flieht und verliert vor lauter Seelenkummer das in jener Nacht gezeugte Kind. Erst als sie mit einem braven, aber kantenlosen Bürgerssohn verheiratet werden soll, erkennt sie ihre wahre Zugehörig- und damit zugleich ihre wahre Persönlichkeit. Dabei enthält sich der Film der zwangsweise befürchteten "Falle", Rita Tushingham am Ende "sprechen zu lassen": Sie bleibt - wenngleich glücklich - stumm. Zumal La Bête sie gar nicht anders braucht.
Angereichert mit dem symbolbehafteten, faszinierten Blick des Europäers auf die unbändige Natur der Schauplätze ist "The Trap" eine höchst ungewöhnliche Romanze, die manch einer Zuschauerin misogyn erscheinen mag, hinter ihrer rauen Schale jedoch sehr viel Zärtlichkeit bereithält.

8/10

Sidney Hayers period piece Kanada


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THIEVES' HIGHWAY (Jules Dassin/USA 1949)


"Everybody likes apples, except doctors."

Thieves' Highway (Der Markt der Diebe) ~ USA 1949
Directed By: Jules Dassin

Nick Garcos (Richard Conte) kommt von einer längeren Zeit auf See heim zu seinen Eltern (Tamara Shayne, Morris Carnovsky), als er feststellen muss, dass sein Vater keine Beine mehr hat. Nick erfährt, dass dies in direktem Zusammenhang steht mit einem Handel, den sein Vater in San Francisco mit dem Obst- und Gemüsegroßhändler Mike Figlia (Lee J. Cobb) abschließen wollte. Offenbar hat Figlia für eine Fuhre Tomaten nicht zahlen wollen, Nicks Vater betrunken gemacht und dann in seinen Wagen gesetzt, bevor es zu dem verhängnisvollen Unfall kam. Mit dem alten Ed Kinney (Millard Mitchell) bietet sich nun eine Chance, Erlittenes zumindest ansatzweise wieder ins Reine zu bringen: Eine große Fuhre Äpfel soll an Figlia verkauft werden und er soll keinen müden Cent daran verdienen. Natürlich zeigt sich Figlia, kaum dass Nick nach einigen Schwierigkeiten in San Francisco angekommen ist, von seiner übelsten Seite. Wie einst Mr. Garcos Senior versucht er nun auch Nick zu übervorteilen, doch dieser ist wild entschlossen, Figlia nicht noch einmal ungeschoren davonkommen zu lassen...

Während der Produktion von "Thieves' Highway" hatte Dassin via Studiochef Zanuck bereits gesteckt bekommen, dass sein Name auf der Schwarzen Liste stand und er damit in Kürze arbeits- und leumundslos werden würde. Der nachfolgende "Night And the City" wurde sein letzter Film in seinem Geburtsland USA, bevor er 15 Jahre später in Frankreich mit "Du Rififi Chez Les Hommes" eine Zweitkarriere startete. Mit Dassin hatte man einen weiteren großen Filmschaffenden zur persona non grata erklärt und damit unweigerlich vor die Tür gesetzt.
"Thieves' Highway" transportiert eine stark naturalistische, irdene Perspektive, hält sich fern von sämtlichen Stereotypen mitsamt Anzugträgern, hartgekochten Privatschnüfflern, mafiösen Killergangstern und Mordopfern. Nick Garcos ist ein Arbeitersohn mit Migrationshintergrund, der, wenngleich eine ehrliche Haut, seinen Schnitt machen will und zu einem guten Geschäft nicht Nein sagt. Durch den Erlös aus dem Apfeltransport nach San Francisco plant er, seine Braut (Barbara Lawrence) in den Ehehafen führen zu können und zugleich dem lumpigen Figlia heimzuzahlen, was er seinem Vater angetan hat. Ausgerechnet die finstere Nacht im Hafen von San Francisco bringt dann existenzielle Erleuchtung mit sich. Vergleichsweise unspektakulär, unaufgeregt und realitätszugetan ist das. Vielleicht wäre Dassin in Hollywood über kurz oder lang sowieso falsch aufgehoben gewesen.

9/10

Jules Dassin San Francisco Kalifornien film noir Rache Nacht


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LEAVE HER TO HEAVEN (John M. Stahl/USA 1945)


"There's nothing wrong with Ellen. It's just that she loves too much."

Leave Her To Heaven (Todsünde) ~ USA 1945
Directed By: John M. Stahl

Zu Besuch bei Freunden in New Mexico lernt der Romancier Richard Harland (Cornel Wilde) die bezaubernd schöne Ellen Berent (Gene Tierney) kennen. Für eine laue Romanze bleibt gar keine Zeit, denn bevor Richard sich versieht, hat Ellen bereits ihrem bisherigen Verlobten Russell Quinton (Vincent Price) eine Absage erteilt und dafür die Hochzeit mit ihm geplant. Erste Anzeichen einer schweren pathologischen Störung zeigen sich, als Ellen zunehmend aggressiv fordert, Richard ganz für sich allein zu haben: Weder will sie ihre eigene Familie um sich haben, noch Richards behinderten, pflegebedürftigen Bruder Danny (Darryl Hickman). Irgendwann beginnt sie dann, aktiv und gezielt gewalttätig zu werden: Sie verursacht Dannys Ertrinkungstod, sorgt selbsttätig für einen Schwangerschaftsabort und plant, als sie bemerkt, dass Richard und ihre Adoptivschwester Ruth (Jeanne Crain) sich annähern, einen umfassenden Racheplan, der ihren eigenen Suizid mit einschließt.

Das Bemerkenswerteste an "Leave Her To Heaven", einem immens involvierenden Schmachtfetzen irgendwo zwischen Psychodrama und film noir, ist die Technicolor-Fotografie von Leon Shamroy. Brillanter komponierte Farbbilder wird man aus dieser Zeit nur schwerlich finden. Stahl und Shamroy nutzen leuchtende Primär- und blasse Pastellfarben zur Untermalung des jeweiligen Romanzenstatus zwischen Richard und Ellen; am Anfang leuchten Gene Tierneys Lippen noch in einem tiefen Kirschrot und das Dämmerlicht New Mexicos hüllt alles in heimeliges Zwielicht; später dann wird es neu-englisch herbstlich, Ellen offenbart dem Zuschauer ihre tiefsitzende Psychose und die Farbskala erbleicht. Gene Tierney, eine der obersten Vertragsschauspielerinnen der Fox, musste sich hier nach ihrer bereits in "Laura" erfolgten Darstellung einer undurchsichtig-geheimnisvollen, wenngleich am Ende unschuldigen Schönheit vollends dem Bösen zuwenden. Keine sonderlich dankbare Aufgabe, aber eine, die wahres Können erfordert und die sie auf eine Stufe stellte mit jenen Vorgängerinnen (und Nachfolgerinnen), die mehr als eine ansprechende Physis vorweisen konnten. Tierneys Spiel ist unglaublich nuanciert und trotz der verhältnismäßigen Grellheit des Sujets sehr subtil; sie beherrscht diesen Film, der tatsächlich in erster Linie ein Geschenk an sie und ihre Karriere darstellt.

9/10

John M. Stahl amour fou femme fatale Massachusetts Georgia Familie New Mexico film noir


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TYCOON (Richard Wallace/USA 1947)


"I've got a railroad to build."

Tycoon ~ USA 1947
Directed By: Richard Wallace

Die neueste Aufgabe des als höchst zielstrebig bekannten Ingenieurs Johnny Munroe (John Wayne) besteht darin, einen Eisenbahntunnel durch einen gewaltiges Massiv in den Anden freizulegen. Entgegen seines vorhergehenden Rats, statt der risikoreichen Tunnelkonstruktion einen Brückenbau in die Wege zu leiten, hat das Management des Eisenbahnmoguls Alexander (Cedric Hardwicke) als zu kostspielig abgelehnt. Entsprechend unwegsam gestaltet sich Munroes Arbeit: permanent gibt es Un- und andere Zwischenfälle, die die Arbeit trotz hohen Einsatzes immer wieder verzögert. Als Munroe sich zu allem Überfluss in Alexanders Tochter Maura (Laraine Day) verliebt und diese zu des Vaters höchstem Unwillen ehelicht, legt der beleidigte Tycoon den Arbeitern immer noch zusätzliche Steine in den Weg, um Maura auf diesem Wege zu überzeugen, den Falschen geheiratet zu haben. Doch Alexander rechnet weder mit Munroes Entschlossenheit noch mit Mauras aufrichtiger Liebe zu ihm.

Launiges, wenngleich etwas merkwürdiges Heldenepos gestrickt rund um Duke Wayne, der hier wie üblich sich selbst spielt als hochgewachsenen Erz-Amerikaner, der vor exotischer Kulisse irgendwelche üblen kolonialkapitalstischen Belange durchzusetzen trachtet und am Ende natürlich in jeder Hinsicht erfolgreich ist. Soweit also nichts Spezielles. Spaßig wird "Tycoon" dennoch im Hinblick auf seine naive Ausgestaltung. Die Farbfilme der RKO sahen immer etwas anders aus als die der Konkurrenz, schienen stets noch etwas bunter und kontrastreicher und wirken heute aufgrund ihrer mitunter wenig adäquaten Lagerung noch zusätzlich angestaubt. "Tycoon" ist mehr als deutlich sichtbar nirgendwo in Lateinamerika aufgenommen worden, sondern ausschließlich im Atelier respektive im Steinbruch nebenan entstanden. Die eingesetzten matte paintings, besonders die der aus einem Straßenzug bestehenden Lokalmetropole, wirken nunmehr himmelschreiend, dazu gibt es einen der kitschigsten Sonnenuntergänge, die je im Film zu sehen waren. Dabei galt "Tycoon" als Prestigeprojekt der RKO; verwurstete einige Stars, war unverhältnismäßig teuer und stellte den verzweifelten Versuch des Studios dar, an die großen Kritiker- und Publikumserfolge der immer wieder reüssierenden Konkurrenz anzuknüpfen - heuer ein auf den ersten Blick erkennbar zum Scheitern verurteiltes Unterfangen - und gerade deshalb so liebenswert.

7/10

Richard Wallace Bauwesen


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WHERE THE SIDEWALK ENDS (Otto Preminger/USA 1950)


"Where the devil am I? I keep coming and going..."

Where The Sidewalk Ends (Faustecht der Großstadt) ~ USA 1950
Directed By: Otto Preminger

Der verbissene New Yorker Detective Mark Dixon (Dana Andrews) ist bereits seit Jahren hinter dem Gangsterboss Tommy Scalise (Gary Merrill) her, hat dem aalglatten Ganoven bisher jedoch nie etwas anhängen können. Als Scalise einen reichen Spielpartner, der ihn zuvor um eine hohe Sume erleichtert hat, kaltblütig umbringen lässt und versucht, die Schuld auf Ken Paine (Craig Stevens), einen seiner Speichellecker, abzuwälzen, wittert Dixon die heiß ersehnte Chance, Scalise endlich dingfest machen zu können. Paines Verhör verläuft jedoch anders als erwartet: Dixon muss sich gegen den Betrunkenen zur Wehr setzen und erschlägt ihn versehentlich. Um nicht selbst an den Pranger gestellt zu werden, versteckt Dixon Paines Leiche in den Docks. Dort wird sie jedoch kurz darauf entdeckt und Jiggs Taylor (Tom Tully), der Vater von Paines schöner Ex-Frau Morgan (Gene Tierney) gerät unter dringenden Tatverdacht. Dixon versucht alles, um Taylor vor der drohenden Verurteilung zu schützen, doch dafür muss er letztlich seine Schuld eingestehen.

Sechs Jahre nach "Laura" kam das 'winning team' Preminger - Andrews - Tierney erneut zusammen, um einen weiteren großen Beitrag zur Schwarzen Serie zu leisten. Wiederum in New York angesiedelt, mit deutlichen Parallelen in der Protagonistenzeichnung, unterscheidet sich "Where The Sidewalk Ends" aber doch in einigen Punkten von dem weichen Upper-Class-Crime des Vorbilds. "Where The Sidewalk Ends" ist ein Film der Nacht und der Lower East Side, der schummrigen kleinen Appartments, Bars und Restaurants, wo schmierige Gauner wie Tommy Scalise in den Hinterräumen zwielichtiger Dampfbäder ihre heimlichen Pokerrunden abhalten und Taxifahrer ein angesehener Job ist. Alfred Newmans wunderbares "Street Scene" findet hierin, wie in etlichen Filmen der Fox dieser Jahre, mehrfach Verwendung. Dabei ist es fast schon zu 'positiv' konnotiert, um gerade diesen Film einzuleiten Mark Dixon, besessen davon, alles besser zu machen als sein früh verstorbener, krimineller Vater, führt kein Privatleben. Verbissen lebt er nur für seinen Beruf und die verblendete Sisyphos-Tätigkeit, dem organisierten Verbrechen den Hahn abzudrehen. Darüber verflüchtigt sich auch schonmal der eigene Moralkodex. Erst die Liebe zu der unmöglich schönen, für eine Arbeitertochter eigentlich viel zu elegante Morgan Taylor führt ein Umdenken herbei.
"Where The Sidewalk Ends" ist natürlich nicht besser - oder schöner - als "Laura", dafür fehlt es ihm allein schon an Clifton Webb und Vincent Price; jedoch muss man ihn als ikonischen Polizeifilm kategorisieren, sozusagen als einen der transportierenden Urväter des heute zum alltäglichen cineastischen Figurenreservoir zählenden Fanatiker-Cops, dem das Subgenre alles in allem eine ganze Menge schuldet.

9/10

Otto Preminger New York Victor Trivas film noir


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THE LETTER (William Wyler/USA 1940)


"If you love a person, you can forgive anything."

The Letter (Das Geheimnis von Malampur) ~ USA 1940
Directed By: William Wyler

Leslie (Bette Davis), die Frau des nach Singapur ausgewanderten Kautschukpflanzers Robert Crosbie (Herbert Marshall), erschießt eines Nachts in Abwesenheit ihres Mannes den Familienfreund Jeff Hammond - angeblich sei er betrunken gewesen und habe sie vergewaltigen wollen. Die Rolle des in Notwehr handelnden Opfers spielt sie vorzüglich, bis ihrem rechtschaffenen Anwalt Howard Joyce (James Stephenson) über die junge Witwe (Gale Sondergaard) des Toten ein Brief in die Hände gespielt, der Leslie schwer belastet. Hieraus geht nämlich hervor, dass sie selbst Hammond an jenem Abend zu ihrem Haus bestellt hat und ihn vermutlich aus Eifersucht seiner Frau gegenüber ermordet hat. Trotz schwerer Gewissensbisse sorgt Joyce für den Erwerb des Briefes und hält ihn bei der Verhandlung zurück. Doch mit Leslies Freispruch ist das Drama noch lange nicht beendet.

Die zweite, sogar noch gelungenere Zusammenarbeit zwischen William Wyler und Bette Davis weist manche Parallele zu "Jezebel" auf, insbesondere, was die Porträtierung der Protagonistin anbelangt. Die Davis spielte hier wiederum eine zwischen wahnhafter Leidenschaft und sozialer Funktionsuntüchtigkeit hin- und hergerissene Frau. Wie bei Julie Marsden beruht ihre "Schwäche" allerdings nicht allein auf persönlichen psychischen Defiziten - deutlich geht aus den Dialogen hervor, dass Robert sie bereits seit Jahren vernachlässigt, sie wegen seiner Profitsucht allenthalben auf der Plantage alleinlässt, so dass sie sie sich vor Einsamkeit und Depression in die Häkelei flüchten muss. Je größer das Resultat ihrer Handarbeit, so die schlussfolgernde, recht simple Metaphorik des Films, desto größer ihr Alleinesein. Ferner neigt sie zu Verharmlosung und Verlogenheit; erst am Ende schafft sie es erstmals, zu ihren wahren Gefühlen zu stehen, bestraft sich kurz darauf jedoch dafür mit der höchstmöglichen Form der Selbstkasteiung.
Ganz wunderbar zeitbezogen und atmosphärisch die Zeichnung des Lokalkolorits; Südostasien ist hier noch ein Hort der exotischen Geheimnisse. Die sich in den Schatten des Kolonialismus verborgen haltenden Menschen scheinen Ahnung von Magie zu haben, sind verschlagen, rauchen Opium und kochen überhaupt ihr eigenes Süppchen. Und im unheilvollen Licht des Vollmonds tropft der neonweiße Kautschuk in große Auffangeimer. Tourneurs "I Walked With A Zombie" ist nicht mehr fern.

9/10

William Wyler Ehe amour fou film noir Courtroom femme fatale W. Somerset Maugham Singapur


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JEZEBEL (William Wyler/USA 1938)


"Maybe I love her most when she's meanest, because I know that's when she's lovin' most."

Jezebel ~ USA 1938
Directed By: William Wyler

New Orleans, 1852: Nachdem die renitente Großbürgerstochter Julie Marsden (Bette Davis) ihn aufgrund ihrer kindischen Eskapaden einmal zuoft in der Öffentlichkeit brüskiert hat, geht der Bankier Preston Dillard (Henry Fonda) und kommt erst ein Jahr später zurück - verheiratet mit der "Yankee-Braut" Amy (Margaret Lindsay). Julie, die ihr aufsässiges Verhalten gleich nach Prestons Abreise zutiefst bereut und sich über all die Monate für ihn aufgespart hat, ist zutiefst verletzt und beginnt sogleich wieder zu intrigieren. Ihre Verleumdungen kosten das Leben eines Freundes (George Brent), der im Duell erschossen wird, derweil Preston versucht, der unter einer Gelbfieber-Epidemie leidenden Stadt hilfreich beizustehen. Als auch er erkrankt, sieht Julie in seiner selbstlosen Pflege ihre letzte Chance, die begangenen Sünden wieder gutzumachen.

So liebten Publikum und Kritik Bette Davis; wenn sie einen ganzen Film an sich riss und ihn vollkommen beherrschte, wenn sie die Illusion von physischer Schönheit schuf allein durch ihr weibliches Auftreten, wenn sie wankte zwischen Gutherzigkeit und feurigem Wahn. Die biblische Jezebel oder Isebel, die Frau König Ahabs, gilt im alttestamentarischen Bedeutungsfeld als Sinnbild einer bösen Furie und zänkischen Xanthippe, die ihr Leben ganz dem Schmieden und Umsetzen übler Ränke widmet. Ganz so schlimm ist Julie Marsden vielleicht doch nicht - sie wäre wohl eher dem klassischen literarischen Figurenarsenal der "missratenen Tochter" zuzuordnen, die sich bewusst oder unbewusst der Akzeptanz bürgerlicher Traditionen verweigert, die ihre Ziele deutlich leidenschaftlicher verfolgt als Zeitgenossinnen und die aktiven Feminismus in die widerspenstige Vergangenheit transponiert. Julies endgültiges Unglück beginnt damit, dass sie ein rotes Ballkleid trägt, wo unverheirateten Damen lediglich die weiße Entsprechung gestattet ist. Ein ungeschriebenes Südstaatengesetz, das sie ganz bewusst bricht, dessen unangenehme Konsequenzen in Form gesellschaftlicher Ächtung sie dann aber doch nicht tragen mag und damit ihre Haltlosigkeit beweist. Erst ein Jahr und diverse mehr oder weniger eminente faux-pas später ist die Zeit zur Sühne reif. Dieses wunderhübsch blumige Frauen- und Sittenporträt war ein Geschenk für Regisseur und Hauptdarstellerin - und wie wohlfeil wussten sie es für ihre Zwecke zu nutzen... isebelitisch!

8/10

William Wyler Südstaaten New Orleans Louisiana Familie Sittengemälde based on play John Huston


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DINNER AT EIGHT (George Cukor/USA 1933)


"I'm going to be a lady if it kills me!"

Dinner At Eight (Dinner um Acht) ~ USA 1933
Directed By: George Cukor

Die Reeder-Gattin Millicent Jordan (Billie Burke) plant ein kostspieliges Freitagabend-Diner, zu dem eine erlesene Gesellschaft eingeladen werden soll. Es weilt nämlich zur Zeit das Ehepaar Ferncliffe aus England in Manhattan, Reichenprominenz von höchsten Gnaden, mit deren Erscheinen sich die gute Millicent vor den übrigen Gästen rühmen möchte. Dabei haben die Geladenen und Gäste ganz andere Sorgen, allen voran Millicents Mann Oliver (Lionel Barrymore), dessen Reederei im Zuge der Depression von der Insolvenz bedroht ist. Als böser Strippenzieher im Hintergrund lauert bereits der feiste Emporkömmling und Finanzgeier Dan Packard (Wallace Beery) auf Jordans Unternehmen, der ein paar Strohmänner für entsprechende Aktieneinkäufe bereithält. Packards Frau Kitty (Jean Harlow), ein verwöhntes Neureichenblondchen mit proletarischen Wurzeln, unterhält derweil eine feurige Affäre mit dem notorischen Schürzenjäger Dr. Talbot (Edmund Lowe) und streitet sich nahezu ohne Unterlass und auf übelste Weise mit ihrem bulligen Gatten. Die alternde, ebenso voluminöse wie trinkfeste Theaterdiva Carlotta Vance (Marie Dressler) hat derweil ein mäßig schlechtes Gewissen, weil sie aus Geldnot das Aktienpaket ihres alten Freundes Jordan verscheuert hat. Nach dem arbeitslosen, verarmten und dem Alkohol verfallene Stummfilmstar Larry Renault (John Barrymore) kräht indes kein Hahn mehr - mit Ausnahme von Jordans neunzehnjähriger Tochter Paula (Madge Evans), die sich unsterblich in den sehr viel älteren, suizidalen Galan verliebt hat und für ihn ihren gleichaltrigen Verlobten (Phillips Holmes) sitzen lassen will...

Wie man etwas bereits Makelloses nochmals perfektioniert, demonstrierte die MGM nur ein Jahr nach "Grand Hotel" mit "Dinner At Eight": Das Basiskonzept blieb bestehen - ein umfassendes Starpersonal begegnet sich in wechselnden Konstellationen, zerfleischt und liebt sich, erhält Erleuchtung und Verständnis, wird erwachsen oder geht drauf. Weil man ein Gewinnerteam nicht ändern soll, begegnet man gleich vier Darstellern aus "Grand Hotel" wieder (den Barrymore-Brüdern, Wallace Beery und Jean Hersholt), die ihre Kunst hier nochmal in gleichwertiger Form vorstellen. Hinzu kommen 'neue' Gesichter wie das der faktisch den kompletten Film beherrschenden, wahrlich phantastischen Marie Dressler oder das von Billie Burke. John Barrymores Figur überbietet den vormaligen Baron nochmal um ein ganzes Pfund an Tragik und hier wie dort muss er das Zeitliche segnen, diesmal allerdings durch eigene Hand und in perfekt inszenierter Abgangspose. Dreierlei wertet "Dinner At Eight" letztlich nochmals um Nuancen gegenüber seinem 'Vorgänger-Modell' auf: der Verzicht auf die große Pose, wie sie vor allem die Garbo in "Grand Hotel" personifizierte, der Entschluss, den Satirefaktor deutlich anzuheben und das Stück somit noch deutlich sozialrelevanter zu gestalten und schließlich der Einsatz eines - damals freilich noch eher unbeleckten - Regiegenies, eines der brillantesten Köpfe in sechs Jahrzehnten Filmgeschichte und, wie sich anhand "Dinner At Eight" bereits überdeutlich ablesen lässt, eines Meisters der Gesellschaftskomödie. Optimal fügen sich nach und nach die Szenen aneinander, ergeben ein bis ins Letzte stimmiges Kaleidoskop, bis hin zum großen Gesamtbild, über dessen klimaktisches Finale hinaus man den Film noch lange im Kopf behält.

10/10

George Cukor New York Ensemblefilm Satire based on play Great Depression Alkohol Stummfilmstar Essen


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GRAND HOTEL (Edmund Goulding/USA 1932)


"Grand Hotel... always the same. People come, people go. Nothing ever happens."

Grand Hotel (Menschen im Hotel) ~ USA 1932
Directed By: Edmund Goulding

Im Grand Hotel Berlin laufen binnen 48 Stunden mehrere Schicksale ineinander: Die stark depressive Ballett-Diva Grusinskaya (Greta Garbo) leidet unter Vereinsamung und steckt in einer schweren Schaffenskrise, bis sie den verarmten Blaublütigen Gaigern (John Barrymore) kennenlernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Der gutherzige Baron seinerseits versucht, sich als Hoteldieb zu sanieren und will der 'Gru' eine Perlenkette stehlen - ein Plan, den er flugs drangibt als er sein "Opfer" näher kennenlernt. Den Großindustriellen Preysing (Wallace Beery) plagt derweil der drohende Konkurs seines Unternehmens. Um auf andere Gedanken zu kommen, setzt er sich ein Tête-à-tête mit seiner hübschen Stenotypistin Fräulein Flamm (Joan Crawford) in den Kopf, die sich ihrerseits in Baron Gaigern verguckt. Der alternde, todkrank diagnostizierte Buchhalter Otto Kringelein (Lionel Barrymore) schließlich, einer von Preysings vielen Angestellten, nimmt sich vor, in seinen letzten Lebenswochen nochmal richtig die Puppen tanzen zu lassen und lernt über die Vorzüge von Freundschaft, Champagner, Tango und Baccarat die wahre Lebensfreude schätzen.

Der Urvater des klassischen Ensemblefilms, der bis heute immer wieder schöne Sprösslinge hervorbringt und, wie sich anhand "Grand Hotel" recht gut studieren lässt, seine Grundform nur unwesentlich variiert hat - außer vielleicht mit der Einschränkung, dass spätere Meister wie Altman ihn noch wesentlich komplexer und ausführlicher gestalteten.
Das inhaltliche Konzept ist so einfach wie brillant: Mehrere Vitae begegnen sich, kollidieren miteinander, laufen fortan parallel oder brechen wieder auseinander, alles binnen einer streng gesetzten Orts- und Zeiteinheit. Die ursprüngliche Idee zu "Grand Hotel" stammt von Vicki Baum, die es als "Menschen im Hotel" 1929 mit dem Untertitel "Kolportageroman mit Hintergründen" als ein Porträt eines Edelhorts inmitten der Weimarer Republik veröffentlichte. William A. Drake machte daraus flugs ein Theaterstück, das schließlich in Form dieser schon damals gefeierten MGM-Produktion adaptiert wurde und nicht nur nochmals Baums Buch, sondern auch dem Motiv des Touristenhorts mit wechselnden Gesichtern und Geschichten Bahn brach. Es lässt sich mutmaßen, dass ohne den massenkulturellen Hattrick bestehend aus Roman, Stück und Buch (später kam noch ein Musical hinzu) der Ensemblefilm (und spätere TV-Serien-Ableger) nicht das wären, was sie heute sind. Gouldings Film ist ein Meisterwerk des gesellschaftskritischen Kinos, das Vicki Baums Vorlage vor allem aufgrund seiner Zeitnähe so adäquat einfangen konnte. Nur Monate später, als Berlin zusammen mit dem Rest der vormaligen Republik schleichend im braunen Sumpf versank, hätten die Entstehung des Films und natürlich das Resultat selbst einen schalen Beigeschmack erhalten. So ist der Nachwelt ein bei allem Zeitkolorit zeitloses Stück Hollywood erhalten geblieben, das aufzeigt wie weit Inszenierung, Dramaturgie und Schauspiel bereits in den jungen Tagen des Tonfilms bereits gediehen waren.

10/10

Edmund Goulding Berlin Hotel Ensemblefilm Vicki Baum based on play Best Picture





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Funxton

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