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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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DAYS OF THUNDER (Tony Scott/USA 1990)


"If you're from California, you're not a Yankee. You're not really anything."

Days Of Thunder ~ USA 1990
Directed By: Tony Scott


Der frisch entdeckte Rennfahrer Cole Trickle (Tom Cruise) wird von dem alternden Stock-Car-Konstrukteur Harry Hogge (Robert Duvall) unter die Fittiche genommen. Nach anfänglichem Beschnüffeln lernen die beiden harten Hunde einander lieben und ihren jeweiligen Dickkopf zu azeptieren. Nebenher spielt Cole noch den Wohltäter für seinen früheren Erz-Konkurrenten Rowdy Burns (Michael Rooker), reißt sich eine flotte Hirnchirurgin (Nicole Kidman ) unter den Nagel, triumphiert über ein paar irrationale Ängste und zeigt einem arroganten Rivalen (Cary Elwes), wie eine echte Staubwolke von hinten aussieht.

Inhaltlich unwesentlich mehr als ein "Top-Gun"-Remake in eigener Sache, ist "Days Of Thunder" allerhöchstens interessant, wenn man Tony Scotts individueller Ästhetik nachspüren möchte. Es ist schon bezeichnend und faszinierend, dass vermutlich selbst ein Scott-Laie höchstens fünf Minuten Spielzeit benötigte, um zu erkennen, wer da inszeniert. Scott liebt den leeren, ominösen Dialog, denn selbiger lässt ihm ausreichend Raum für seine aalglatte Oberflächengestaltung. "Days Of Thunder" enthält mindestens vier Konversationsszenen zwischen Cruise und Duvall, die für die Narration des Films völlig unwesentlich sind und weder den Plot noch die Protagonisten-Beziehung vorantreiben, sondern bloß eine Alibifunktion für Scotts eitle Werbeästhetik bekleiden. Den Verlust einer die Kognition auch nur im Mindesten fordernden Story mag man auch Bruckheimer und Simpson zuweisen, die damals gerade eine Art Negativ-Höhepunkt ihrer in den Achtzigern so erfolgreich gestarteten Blockbuster-Serie erreicht hatten: "Days Of Thunder" ist die endgültige Reduktion eines ausgewiesenhen Erzählkinostückes auf bloße Ästhetizismen und damit zumindest als obszönes Kulturartefakt sehenswert. Ansonsten ist der Film schlicht grausam zu passionierten Geschichtenlauschern und für solche vermutlich, so sie nicht unverzüglich beim Geräusch aufheulender Motoren ejakulieren, eine blanke Tortur. Das ist mindestens so sicher wie die Tatsache, dass Scott niemals irgendein stinknormales, graues Firmanent auf Zelluloid bannen würde.

4/10

Tony Scott Autorennen


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SUNDAY BLOODY SUNDAY (John Schlesinger/UK 1971)


"Children... are you smoking pot?" - "Are you bourgeois?"

Sunday Bloody Sunday ~ UK 1971
Directed By: John Schlesinger


Der Londoner Internist Daniel Hirsh (Peter Finch) und die Angestellte Alex Greville (Glenda Jackson) sind gleichermaßen dem deutlich jüngeren Installationskünstler Bob Elkin (Murray Head) verfallen. Im jeweiligen, eifersüchtigen Wissen um den Nebenbuhler bzw. die Nebenbuhlerin versuchen sowohl Daniel als auch Alex, Bob permanent über den Telefonauftreagsdienst auszuspionieren. Für den lebenslustigen Bohémien, der die für seine gesetzteren Partner als quälend empfundene Dreiecksbeziehung völlig locker wahrnimmt, bildet diese jedoch bloß einen befristeten Lebensabschnitt: Die Zukunft weist nach New York, zu Ruhm und Geld.

Die Stärke von Schlesingers erstem Film nach dem Award-Gewinn für sein Meisterwerk "Midnight Cowboy", für das der Regisseur wieder in vertraute Londoner Gefilde zurückkehrte, liegt in dessen kluger, gleichermaßen bescheidener und lebensfreudiger Charakteranalyse. Etwas über eine Woche lang beobachtet man diese drei Individuen unter zunehmender Verdichtung ihrer jeweiligen emotionalen Situation; zwei von ihnen bei der Selbstverzehrung, eines, das im Zentrum stehende verbliebende, dabei, wie es permanent versucht, Kompromisse zu arrangieren, um seine Geliebten nicht vor den Kopf stoßen zu müssen. Offenbar ist es möglich, zwei Menschen gleich starke Zuneigungsformen entgegenzubringen, wenigstens, solang die Verhältnisse unverbindlich bleiben. Eine Frage der Lebenssituation und des Alters womöglich: Alex und Daniel stammen jeweils aus gut situierten Bildungsbürgerhaushalten, wobei dem einen zudem noch eine starke religiöse - nämlich jüdische - Prägung innewohnt. Dass am Ende für sie nurmehr die Emanzipation von der vorherigen Selbstversklavung bleibt, um mit erhobenem Kopf weiterleben zu können, gerät zur Natur der Sache. In der vorletzten Einstellung stehen sich die beiden erstmals für eine kurze Dialogszene gegenüber wie zwei alternde Feldherren, zu müde für eine Fortsetzung der Schlacht und in sicherer Gewissheit um die Tatsache, jeweils verloren zu haben.

8/10

John Schlesinger Dreiecksbeziehung London


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UN AMOUR DE SWANN (Volker Schlöndorff/F, BRD 1984)


Zitat entfällt.

Un Amour De Swann (Eine Liebe von Swann) ~ F/BRD 1984
Directed By: Volker Schlöndorff


Paris im späten 19. Jahrhundert: Der intellektuelle Lebemann Charles Swann (Jeremy Irons) ist trotz seiner bürgerlich-jüdischen Herkunft ein gern gesehener Gast bei den protzigen Empfängen und Galadiners der Aristokratie. Als jedoch seine zunehmend obsessive Liebe zu der aufreizenden Kurtisane Odette de Crécy (Ornella Muti) publik wird, ist damit zugleich Swanns soziale Stellung gefährdet. Jener jedoch lässt sich von den Drohungen seiner so genannten "Freunde" nicht einschüchtern. Selbst Swanns von ihm selbst als solche erkannte pathologische Eifersucht bezüglich Odettes übriger, bestenfalls an ihren körperlichen Reizen interessierten Galane, hält ihn am Ende nicht davon ab, sie zur Frau zu nehmen.

Nachdem Peter Brook von dem Projekt "Swann" abgesprungen war, sprang Schlöndorff ein - für ihn eine willkommene Offerte, da Prousts gewaltiges Werk "À La Recherche Du Temps Perdu", dessen Bestandteil "Un Amour De Swann" ist, nach eigenem Bekunden zu Schlöndorffs Leib- und Magenliteratur zählt. Die Dreharbeiten hatten unter einem eher unrühmlichen Charakter zu leiden, da der als homosexueller Adliger Charlus auftretende Alain Delon die Tatsache, dass - zudem in einem nationalen Epos - nicht er, sondern der Brite Jeremy Irons die Titelrolle gab, auf nickligste Weise torpedierte. Unter anderem ließ er sich mit der Muti ablichten und die Fotos in diversen großen Pariser Zeitungen veröffentlichen, was eine völlig verquere Publikumserwartung zur Folge hatte.
Abseits von diesen Schlöndorff-untypischen Querelen ist "Swann" wohl selbst für Proust- Connaisseure ein hochästhetisches und entsprechend genussvolles, von Bergman-Adlatus Sven Nykvist höchst edel fotografiertes Werk, das zu den großen, historischen Gesellschaftsporträts des Kinos gezählt werden muss und eben primär durch seinen äußeren Glanz begeistert. Für Schlöndorffs Gesamtwerk ist der Film insofern von erwähnenswertem Status, als dass er einer der ersten des Regisseurs mit internationaler Starbesetzung war und ihm damit eine - wenn auch recht kritisch beäugte - Tür zum Weltkino öffnete. Ansonsten verhindert die distanzierte Machart wohl eine intensivere Zuwendung. Man ist, ähnlich einem Gang durch eine impressionistische Galerie, voll des Respekts und auch recht angetan, ist sich aber permanent im Klaren darüber, dass man das gute Stück sowieso nicht mit nach Hause nehmen kann wendet sich ergo mit mindestens ebenso großem Interesse dem nächsten Gemälde zu. Auf bald also.

7/10

Fin de Siècle Standesduenkel period piece Volker Schloendorff Sittengemaelde Historie Marcel Proust


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KÆRLIGHED PÅ FILM (Ole Bornedal/DK 2007)


Zitat entfällt

Kærlighed På Film (Bedingungslos) ~ DK 2007
Directed By: Ole Bornedal


Der Kopenhagener Polizeiphotograph Jonas (Anders W. Berthelsen), ein in seinem Alltagstrott gefangener Familienvater, verursacht aus Nachlässigkeit einen Autounfall, bei dem die junge Julia (Rebecka Hemse) schwer verletzt wird. Als der sogleich merkwürdig von Julia faszinierte Jonas diese im Krankenhaus besuchen will, hält alle Welt ihn für einen gewissen 'Sebastian', jener offenbar Julias Ehemann, an den sie selbst wegen einer Amnesie jedoch keine Erinnerung hat und der zudem auf seltsame Weise in Kambodscha verschwunden scheint. Jonas spielt das Verwechslungsspiel mit und verliert dabei immer mehr den Bezug zu seiner eigenen Identität - bis plötzlich der echte Sebastian auftaucht...

Nachdem die von von Trier oktroyierte "Dogma"-Hysterie im hohen Norden wieder weithin abgeebbt ist - wobei mir diese "kulturelle Rekonaleszenz" manchmal wie ein hörbares Aufatmen erscheint - kommen jetzt aus dem Skandinavischen also vermehrt stark stilisierte Filme, so auch dieser hingebungsvoll an US-Vorbildern orientierte Identitätskrisen-Thriller. "Kærlighed På Film" begreift sich offenbar als eindeutige Reminiszenz an Hitchcocks Klassiker, arbeitet mit psychoanalytischen Motiven wie sexueller Obsession, Paraphilie und Morbidität. Der eigentliche, im Kern präsente Aufzug der Story um einen sich in Selbstillusionen verlierenden Biedermann machte auf mich dabei durchaus den Eindruck kompetenter Umsetzung. Was den Film jedoch leider eines hohen Maßes seiner sonstigen Wucht beraubt, ist die kriminalistische Aufschlüsselung des Ganzen, die einen ziemlich platten Handlungsstrang um Diamantenschmuggel und Triaden miteinbezieht und für den ironischerweise frappant nach Jörg Kachelmann aussehenden Jonas als eine Art Schicksalsschlüssel fungiert. Ohne dieses überflüssige Zugeständnis an die Konvention wäre "Kærlighed På Film" vielleicht wesentlich tragfähiger geworden, so langt es leider bloß zu einer - immerhin hübsch polierten - Teilnehmer-Medaille.

7/10

film noir Dänemark Kopenhagen neo noir Ole Bornedal


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UP IN THE AIR (Jason Reitman/USA 2009)


"I stereotype. It's faster."

Up In The Air ~ USA 2009
Directed By: Jason Reitman


Im Auftrage seiner Firma, einer Entlassungsagentur, reist Ryan Bingham (George Clooney) an den meisten Tagen des Jahres quer durch die Staaten, um Menschen aus ihren teils langjährig ausgeübten Jobs zu feuern. Als "Perspektivgespräche" werden die entsprechenden Konversationen bezeichnet, um ihnen den trügerischen Anstrich von Konstruktivität zu verleihen, was letztendlich jedoch selten funktioniert. Zudem hält Ryan regelmäßig Motivationsseminare ab, in denen er Rücksichtslosigkeit, Ellbogenmentalität und Egozentrik predigt. Als er eines Tages auf seinen Reisen die sympathische Alex (Vera Farmiga) kennenlernt, scheint eine Zäsur in Ryans uniformem Lebensalltag nicht mehr fern...

Reitman Jr.s "Thank You For Smoking" habe ich in nicht besonders vorteilhafter Erinnerung und "Juno" habe ich genau aus diesem Grunde bereitwillig ausgespart. "Up In The Air" hat nun eher zufällig meinen Weg gekreuzt, und, wie geschah mir: Der aktuelle Film ist doch tatsächlich ganz, ganz toll! Nachdem der Anfang mit der Vorstellung eines berufsbedingten Verzweiflungstouristen sich als unbarmherzige Satire zur globalen Rezession gestaltet, verwandelt sich die Story mehr und mehr in Richtung "Death Of A Salesman" - dieser Ryan Bingham ist zwar noch nicht im Rentenalter, die Lebenslüge, mit der er sich selbst über Wasser hält, dürfte im Endeffekt jedoch nicht minder verhängnisvoll sein als die eines Willy Loman. Umso tragischer erwächst sich das Ganze, als Bingham zaghaft seinen zuvor undurchdringlichen Panzer öffnet, nur um einen gezielten Stich ins Herz abzubekommen, an dem er selbst ferner nicht ganz unschuldig ist.
Auch wenn Clooney nicht unbedingt der glaubwürdigste Darsteller für dieses filmische Manifest der Einsamkeit sein mag (ich hätte mir angedenk "Punch-Drunk Love" auch sehr gut Adam Sandler in der Rolle des Ryan Bingham vorstellen können), es läuft, und es läuft sauber! Wären allerdings die letzten fünfzehn Minuten nicht, "Up In The Air" käme schwerlich über ein gefälliges "nett, aber mithin gewöhnlich" hinaus. Der konsequente Mut auf den Verzicht eines happy endings und die so aufrichtige wie realitätsverpflichtete Traurigkeit, mit der der Film sich zu schließen getraut, machen ihn jedoch geradezu erhaben. Wunderbar, wirklich und ehrlich.

9/10

Satire Jason Reitman Fliegerei Finanzkrise Geld Firma


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THE WAR LORD (Franlin J. Schaffner/USA 1965)


"Who's not pagan in some matters?"

The War Lord (Die Normannen kommen) ~ USA 1965
Directed By: Franklin J. Schaffner


Im Hochmittelalter erhält der Ritter Chrysagon (Charlton Heston) vom Herzog von Kent ein Lehen in den Sümpfen der Normandie, die regelmäßig von den kriegerischen Friesen heimgesucht werden. Zunächst abgestoßen von den heidnischen Bräuchen der Provinzbevölkerung, verguckt sich Chrysagon alsbald in ein schönes Bauernmädchen (Rosemary Forsyth). Die sich rasch anbahnende Liebesbeziehung erweist sich als unvorteilhaft für alle Beteiligten und bald muss Chrysagon nicht nur gegen seine Leibeigenen, sondern auch gegen die wiederum heranrückenden Friesen und seinen verräterischen Bruder Draco (Guy Stockwell) zu Felde ziehen.

Erfreulich gescheiter Ritterfilm von dem stets für eine Überraschung guten Franklin J. Schaffner, der es bewerkstelligt, sich von der dem Genre bislang wie selbstverständlich innewohnenden Hollywood-Infantilie zu emanzipieren und sein Werk als zuweilen beinahe künstlerisch relevant durchwinken zu lassen. Besonders bemerkenswert sind Schnitt und Photographie, die maßgeblich für die rundum gelungene Kreierung einer seltsam schwebenden, transzendenten Atmosphäre verantwortlich sind und so gar nicht zu jenem Studio-Brauchtum passen, das noch wenige Jahre zuvor Sterilität, Farbe und Breitwand als maßgebliche Faktoren für das Leinwand-Mittelalter wähnte. "The War Lord", der auf einem romantischen Bühnenstück basiert, ist somit in jeder Hinsicht deutlich näher an Hustons "A Walk With Love And Death" anzusiedeln als etwa bei einem "Ivanhoe". Die Belagerungsszenen um Chrysagons Turm zählen in punkto Dynamik und Inszenierung wohl zu den Besten ihrer Art. Klasse.

8/10

Franklin J. Schaffner Historie Ritter period piece Mittelalter


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WHATEVER WORKS (Woody Allen/USA 2009)


"You can't win 'em all."

Whatever Works ~ USA 2009
Directed By: Woody Allen


Der retirierte Quantenmechaniker Boris Yellnikoff (Larry David) ist zu einem alten Misanthropen und Hypochonder geworden, dem nichts mehr im Leben echte Freude bereitet. Erst die deutlich jüngere Ausreißerin Melody (Evan Rachel Wood), eine naive Provinz-Pommeranze, vermag es, mittels eines langwierigen Prozesses, Boris aus seinem eingeschleiften Trott herauszuzlösen und ihm neuen Lebensmut zu verleihen.

Das Thema des alternden, intellektuellen, jüdischen Emotionskrüppels und Pygmalion, der sein spätes Glück bei einer jungen, geistig noch formlosen Frau findet, die von altersher mindestens seine Tochter - wenn nicht gar seine Enkelin - sein könnte, verfolgt Allen bereits seit Jahrzehnten. In "Manhattan" trieb in dieses Motiv um, in "Husbands And Wives" und in "Mighty Aphrodite". "Whatever Works" ist insofern bloß die Fortsetzung eines vermutlich noch längst nicht beendeten Zyklus. Eine Neuerung liegt darin, dass Allen mit dem Komiker Larry David ein ihm nicht ganz ebenbürtiges Substitut gesucht und gefunden hat, dass aber, wie so häufig, wenn der Meister mal nicht selbst auftritt, lediglich einen physischen Ersatz darstellt. Verhalten und Kommunikation von Boris Yellnikoff könnten ebensogut auch die eines jeden Charakters sein, den Allen selbst irgendwann mal in den letzten dreißig Jahren auf die Leinwand gezaubert hat. Wer nach Überraschungen fahndet, ist bei Allen aber sowieso verraten und verkauft, das ist nichts bahnbrechend Neues. In punkto Wortwitz und dessen Pikanterie bleibt selbstverständlich ebenfalls alles wie gehabt:
Patricia Clarkson: "Wo kann man in Manhattan hingehen, wenn man sich mal richtig gut amüsieren möchte?"
Larry David: "Ins Holocaust-Museum."

8/10

Woody Allen Pygmalion New York


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TOOTSIE (Sydney Pollack/USA 1982)


"I think we're getting into a weird area here."

Tootsie ~ USA 1982
Directed By: Sydney Pollack


Frustriert von den ewigen Absagen, die ihm jeder einzelne Regisseur der Stadt entgegenzuschmettern scheint, hüpft der New Yorker Schauspieler und Schauspiellehrer Michael Dorsey (Dustin Hoffman) in einen spießigen Fummel und bekommt unerwarteterweise eine Rolle in einer Krankenhaus-Soap. Beim Publikum avanciert 'Dorothy Michaels', wie Michael sich als Frau nennt, zum Renner, Michaels von ihm angeschmachtete Kollegin Julie (Jessica Lange) lässt sich jedoch ebenfalls blenden - ganz zum Leidwesen des Frischverliebten, der Julie doch viel lieber als ganzer Mann zu Leibe rücken würde.

Jetzt bin ich also über meinen Schatten gesprungen und habe mir die erste Travestiekomödie seit Gottliebs "Tanten-Trilogie" mit Rudi Carrell und Ilja Richter gefallen lassen. Die vorherige Aufregung erwies sich, wie meistens in solchen Fällen, zwar vornehmlich als heiße Luft; der Überzeugung, einen Weltklassefilm gesehen zu haben, bin ich aber dennoch kaum. Zum einen war ich nie in der Lage, den ja offenbar akuten Reiz von Kerlen im Fummel zu durchschauen, weder im künstlerischen noch im rein komödiantischen Sinne, zum anderen ist der Film kaum weniger bieder als jedes andere stromlinienförmige Familienprodukt Hollywoods und damit per se fernab von jeder wahren Brillanz.
"Tootsie" beläuft sich im Gros auf eine ganz nette Emanzipationskomödie, die mit dem alten Traumfabrik-Prinzip kokettiert, einen Probanden für einen begrenzten Zeitraum in eine fremde Identität schlüpfen zu lassen, um ihn dann mit den Wehen der neu repräsentierten, in irgendeiner Form zumeist unter- oder minderprivilegierten Kaste zu konfrontieren. Aber eben kaum mehr.
Einige Gags sind wirklich stark, die gehen dann aber weniger auf das Konto des fistelnden Hoffman (obgleich dieser natürlich wie immer toll ist), sondern auf die von Dabney Coleman als schmierigem Produzenten, Bill Murray als Hoffmans WG-Kumpel und ganz besonders das dees göttlichen George Gaynes, ohne dessen leider viel zu sparsame Auftritte der Film vermutlich bloß halb so gut wäre. Pollack macht seinen Job gewohnt professionell, seine Siebziger-Filme mit Redford bleiben aber gefahrlos auf den vorderen Rängen.

6/10

Sydney Pollack New York Travestie Fernsehen


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THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (Bob Rafelson/USA 1981)


"It's an act of God those lights went out!"

The Postman Always Rings Twice (Wenn der Postmann zweimal klingelt) ~ USA 1981
Directed By: Bob Rafelson


Ex-Knacki, Gelegenheitsgauner und Herumtreiber Frank Frank Chambers (Jack Nicholson) landet während der Tage der Depression im Highway-Diner des Griechen Papadakis (John Colicos). Dessen hübsche Frau Cora (Jessica Lange) verdreht Frank so schnell den Kopf, dass dieser einen Job als Laufbursche in Papadakis' Laden annimmt und schon bald mit Cora in den Federn landet. Sie überredet Frank, ihren ihr überdrüssigen Gatten zu beseitigen, um gemeinsam in eine neue Zukunft gehen zu können. Nachdem der erste Mordversuch fehlschlägt, gelingt der zweite zwar, bringt das verbrecherische Pärchen jedoch vorübergehend ins Gefängnis. Nachdem das Schicksal sie hernach zu weiter auseinandertreiben droht, finden sie zwar wieder zusammen, doch sie haben noch nicht hinreichend für ihre Schandtat gesühnt.

James M. Cains berühmter Roman "The Postman Always Rings Twice" wurde dreimal fürs Kino adaptiert. Die beste und renommierteste Version ist zugleich die erste, 1943 von Visconti vornehmlich motivisch übernommen und als früher Markstein des soeben aufkommenden Neorealismus in das faschistische Italien verlegt. Nur drei Jahre später zog Hollywood mit einer ebenfalls großartigen Variante nach, diesmal mittels eines Beitrags zur Schwarzen Serie. Dann ruhte die Geschichte des in heißer Liebe zum diabolischen Gespann avancierenden Paars einge Dekaden, bis Bob Rafelson mit seinem Stammdarsteller Nicholson eine der letzten Regungen New Hollywoods vollzog. Wohlweislich beließ er die Story dort, wo sie ursprünglich hingehört, nämlich in der Depressionsära. Die Radikalität, mit der Frank und Cora zu Werke gehen, um ihre in mehrerlei Hinsicht verbotene Beziehung durchzusetzen, fußt ja ohne Frage in einer Zeit, in der bezüglich Überlebensfragen nicht lang gefackelt wurde und Opportunismus zeitweilig eine obere Existenzmaxime darstellte. Die Ernsthaftigkeit und Dramatik, mit der Rafelson und sein Autor David Mamet Cains so nervenzerrende wie traurige Geschichte beackern, wurde zu Zeiten der Kinopremiere leider übersehen. Vielmehr ereiferte man sich über die drei Sexszenen zwischen Lange und Nicholson, die berühmt-berüchtigte erste und hitzigste davon gleich auf dem Küchentisch, in der Nicholson der Lange mit voller Handbreite in den zumindest durch einen Slip bedeckten Schritt langt. Später kommt es dann noch zu einer nicht minder gewagten Cunnilingus-Sequenz. Die Leute bewegte dann auch weniger der Existenzialismus der Dreiecksstory als vielmehr die Authentizität der koitalen Verrenkungen. Aber so sind und waren wir, die Kinogänger.

8/10

Bob Rafelson James M. Cain Great Depression Skandalfilm


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IM JULI (Fatih Akin/D, HU, TR 2000)


"Und das hast du alles erlebt?"

Im Juli ~ D/HU/TR 2000
Directed By: Fatih Akin


Als die Hamburger Tandverkäuferin Juli (Christiane Paul) den Referendar Daniel Bannier (Moritz Bleibtreu) entdeckt, verliebt sie sich schnurstracks in ihn und versucht, ihn zu Gegenseitigem zu bewegen. Die mittels metaphysischem Symbolismus durchgeführte Aktion geht jedoch nach hinten los: Daniel verguckt sich am selben Abend in die Türkin Melek (Idil Üner), soeben auf dem Weg nach Istanbul, um dort ihren freund zu treffen. Kurzentschlossen reist Daniel ihr per PKW hinterher - zusammen mit Juli, die ihm zufällig bei Anbruch seiner Tour als Tramperin über den Weg läuft. Eine turbulente Reise folgt, die für alle Seiten unerwartet endet.

Trotz sehr differierender stilistischer und geistiger Orientierung ist die direkte Blutsverwandtschaft zwischen "Kurz und schmerzlos" und "Im Juli", mit dem Akin zugleich der letzten großen Sonnenfinsternis im August 99 ein Denkmal setzte, unübersehbar: Der eine Film endet mit dem prägnanten Antlitz Mehmet Kurtulus', der andere beginnt mit selbigem - wobei die jeweils von ihm interpretierten Parts beinahe identisch sein könnten. In beiden Werken inszeniert Akin sich selbst in Minirollen als wichtigen Stichwortgeber für den Plot; ganz abgesehen davon, dass diverse weitere Bekannte aus "Kurz und schmerzlos" hier wieder auftauchen. Allerdings hat es auch feine Gastauftritte wundebarer "neuer" Gesichter, darunter die atemberaubende, zuvor Kusturicas fulminantem "Crna Macka, Beli Macor" aufgetretene Serbin Branka Katic sowie erstmals Birol Ünel, die vermutlich coolste Sau des deutschen Films seit der Jahrtausendwende. Dass "Im Juli" nebenbei als eine einzige große Liebeserklärung an sein Protagonistenpaar durchgeht, beweist, wie mit welch familiärer Warmherzigkeit der Regisseur seine Darsteller beäugt. Ansonsten demonstriert Akin erneut, dass er in Filmgeschichte aufgepasst hat: Christiane Paul und Moritz Bleibtreu sind späte Nachfahren der Screwball-Urkonstellation Hepburn und Grant (bzw. später dann Streisand und O'Neal) und auch die Road-Movie-Kiste, die wesentlich beinhaltet, dass am Reiseende ein anderer Mensch ankommt als jener, der sie einst angetreten hat, beläuft sich auf klassisches Kinogut (s. "Sullivan's Travels"). Dabei will "Im Juli" nicht innovativ sein, er will berühren. Und das schafft er, mühelos sogar. Falls es die Porno-Verballhornung "In Juli" übrigens noch nicht geben sollte, beanspruche ich hiermit schonmal gleich die Rechte.

8/10

Drogen Osteuropa Fatih Akin Road Movie LSD Tuerkei Marihuana





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Funxton

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