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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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KING KONG (John Guillermin/USA 1976)


"Lights! Camera! Kong!"

King Kong ~ USA 1976
Directed By: John Guillermin


Der Paläontologe Jack Prescott (Jeff Bridges) schleicht sich als blinder Passagier auf einen Tanker der Firma Petrox, der von Surabaya aus Kurs auf eine bislang unentdeckte Insel im Indischen Ozean nimmt, unter der womöglich riesige Ölvorkommen lagern. Prescott interessiert sich jedoch mehr für den Wahrheitsgehalt der Sagen, die um die Insel kreisen und sich um einen gigantischen Tiergott drehen. Während der Fahrt nimmt die Schiffsbesatzung, der Jack sich mittlerweile zu erkennen gegeben hat, die schiffbrüchige Dwan (Jessica Lange) an Bord, ein junges Hollywood-Starlet. Auf der Insel angekommen findet die erste Landexpedition einen Eingeborenenstamm vor, der sich soeben auf eine bizarre Hochzeitszeremonie vorbereitet. In der folgenden Nacht wird Dwan entführt und zur Braut eines wie sich herausstellt haushohen Gorillas auserkoren. Nach einigen Abenteuern kann Dwan aus dessen Klauen befreit werden. Der raffgierige Petrox-Manager Wilson (Charles Grodin) fängt derweil das Monster ein und transportiert es als Schauattraktion nach New York, wo es ausbricht, ein Riesenchaos anrichtet und schließlich vom World Trade Center heruntergeschossen wird.

Guillermins respektive Dino De Laurentiis' erstes offizielles Remake des Ur-"King Kong" von 1933 hat es zeitlebens bei Publikum und Kritik nicht leicht gehabt. Allzu durchsichtig schienen die Spezialeffekte, die sich an den japanischen Kaijū orientierten und im Wesentlichen einen Rick Baker im Affenkostüm respektive dessen animatronische Riesenhand zeigten sowie Rückprojektionen, Modelllandschaften und den ganzen dazugehörigen Schnickschnack. Dann wird gern bemängelt, dass die überbordernde Phantasie, die eine im prähistorischer Zeit verharrende Insel zutage fördert, in der 76er-Version überhaupt nicht hinreichend berücksichtigt wird. Im Klartext: Es fehlt an Nebenmonstern. Lediglich eine Riesenschlange (möglicherweise dieselbe, die später in "Conan The Barbarian" zum Einsatz kommt) darf es für ein fix entschiedenes Kurzduell mit King Kong aufnehmen. Außerdem belächelte man die noch junge Jessica Lange und ihre exponiert-naive Interpretation des blonden Dummchens. Soviel zu den allerorten gemachten Vorwürfen, denen ich im Großen und Ganzen nichts entgegensetzen kann oder will. Dennoch bedeutet "King Kong" '76 für mich seit jeher sehr viel, ich habe ihn bereits als Kind sehr häufig gesehen und liebe noch heute viele Aspekte des Films, der in dieser Form nur 1976 entstehen konnte. Die Romanze zwischen Riesenaffe und Menschenfrau, die seltsam deutlich umschriebene Erotik zwischen ihnen, die die entsprechenden Motive des Originals mit deutlich gewichtigerer Darstellung herauskehren, funktioniert für mich noch immer tadellos. Herzzerreißend etwa die Szene, in der die Lange an Bord des Schiffes ihren duftigen Schal verliert, der dann in Kongs Verlies hineinweht, was ihn zu einer einzig durch die Intervention der Schönen wieder zu besänftigenden Weißglut treibt. Und dann natürlich das blutige Ende Kongs, das hier kommentarlos bleibt und wie eh und je zu hemmungslosem Weinen anstiftet. Dann war es stets die faktisch viel zu lange Exposition des Films, mit Bridges' beschwörenden Schauerfabeln und John Barrys absolut herrlicher Musik, die mir feuchte Hände bescherte, dazu die obligatorische Szene auf dem phallischen Baumstamm über der Schlucht und Grodins verdientes Ende.
"King Kong" liefert nachgerade nicht viel mehr als dickes, aufgebauschtes Plastikkino aus der Katastrophenfilm-Ecke, mit aufgesetzter Zivilisations- und Kapitaklismuskritik sowie einem modisch-schicken Kommentar zur damaligen Energiekrise. Für mich ist er jedoch viel mehr als bloß oberflächlicher Kunststoffkintopp, nämlich ein noch immer zum Träumen einladendes Stück konservierter Kindheit.

8/10

Monster John Guillermin Tierhorror King Kong New York Affen


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WALL STREET: MONEY NEVER SLEEPS (Oliver Stone/USA 2010)


"Why don't you start calling me Gordon?"

Wall Street: Money Never Sleeps (Wall Street - Geld schläft nicht) ~ USA 2010
Directed By: Oliver Stone


Sieben Jahre nachdem er aus einer langwierigen Haftstrafe wegen Wirtschaftskriminalität entlassen wurde, promotet der scheinbar geläuterte Ex-Börsenhai Gordon Gekko (Michael Douglas) sein Buch "Is Greed Good?". Derweil hat sich seine Tochter Winnie (Carey Mulligan) sich nach dem Drogentod ihres Bruders vollends von Gekko abgewand, ist ironischerweise nunmehr jedoch mit einem jungen Broker namens Jake Moore (Shia LaBoeuf) verlobt. Moore ist fasziniert von seinem ihm noch unbekannten Schwiegervater in spe und entschließt sich, sich ihm zu erkennen zu geben, zumal er einen Weg sucht, sich an dem Rezessions-Piranha Bretton James (Josh Brolin) zu rächen. Jener hat letzlich den durch Ruinierung verursachten Selbstmord von Moores Mentor (Frank Langella) zu verantworten und Moore hält Gekko für den richtigen Alliierten für seine kleine Privatvendetta. Zudem hat auch Gekko noch eine alte Rechnung mit James offen. Doch hat sich der frühere Groteskkapitalist wirklich in ein braves Lämmchen verwandelt...?

"Wall Street" muss wohl als einer der nomothetischen Filme seines Jahrzehnts gelten. Wie kein anderes popkulturelles Artefakt, mit Ausnahme von Ellis' "American Psycho" natürlich, öffnete Stones Film Tür und Tor zu der traurigen, seelenentledigten Welt der Yuppies, Geldscheffler, Gierhälse, Koksnasen und Armani-Träger; zum Kongress der Egomanen, zum Fegefeuer der Oberflächlichkeiten. Zwanzig Jahre später sehen die Dinge geflissentlich anders aus; die Ära eines Bud Fox scheint unwiederbringlich verloren und die Finanzwelt steuert mit Volldampf auf ihren Abgrund zu. Zeit für einen Oliver Stone, erneut Bilanz zu ziehen. Die großen Haie der Wall Street können es sich nun, in Zeiten des Internet und der globalen Informationsvernetzung nicht mehr leisten, ihren schäbigen Charaktere nach außen zu tragen und so geschieht alles hinter vorgehaltener Hand und unter dem Deckmäntelchen wöhltätigen Engagements. Dabei ist ein Mann wie Bretton James, der Goyas vielsagendes Schreckensgemälde "Saturn Devorando A Un Hijo" stolz zu seinem privaten Leitbild erklärt, wahrscheinlich noch viel unangenehmer und wesentlich böser als ein Bud Fox oder als ein Gordon Gekko gar: Familie hat er nicht, er geht rigoros über Leichen und, am Schlimmsten, ist nicht an der Herausforderung des "Spiels" interessiert, sondern allein an der Vergrößerung seines Reichtums.
Mit Stone ist wohl immer noch zu rechnen, denn sein Sequel glänzt vor formalem Stil und Schauspielkunst. Stone konnte David Byrne, der bereits die Songs für den Erstling komponiert hat, erneut für sich gewinnen, Charlie Sheen gibt sich die Ehre zu einem kurzen, bald selbstdenunzierendem Cameo, der steinalte Eli Wallach spielt quasi nochmal die selbe Rolle wie bereits vor zwanzig Jahren in Coppolas "The Godfather Part III". Und ich, ich war glücklich mit und nach dem Film. Zwar steht außer Frage, dass die Fortsetzung nicht am ikonischen Charakter des Originals kratzen kann, aber sie bietet mehr als ordentliches Kino. Und was zählt? Eben.

8/10

Sequel Oliver Stone Wall Street New York Hochfinanz Börse


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IL PORTIERE DI NOTTE (Liliana Cavani/I 1974)


"She was my little girl."

Il Portiere Di Notte (Der Nachtportier) ~ I 1974
Directed By: Liliana Cavani


Genau dreizehn Jahre nach ihrem Aufenthalt in einem deutschen KZ begegnet die Dirigentengattin Lucia (Charlotte Rampling) ihrem ehemaligen Hauptaufseher im Wiener "Hotel Zur Oper" wieder, dem SS-Offizier Max Aldorfer (Dirk Bogarde). Aldorfer arbeitet dort unerkannt als Nachtportier. Mit ihm verband Lucia einst eine zunächst von Todesangst und später von gegenseitiger, paraphiler Erotik geprägte Abhängigkeitsbeziehung. Als Lucia Aldorfer wiedererkennt, wandelt sich das Entsetzen des Moments rasch wieder in unstillbares Verlangen. Aldorfers frühere Mittäter (u.a Philippe Leroy, Gabrile Ferzetti), die sich unliebsamer Zeugen und Indizienbeweise ihrer früheren Gräuel im Regelfall rasch auf ihre Weise zu entledigen pflegen, gefällt diese sie im Höchstmaß gefährdende Romanze überhaupt nicht.

Emotional wie intellektuell höchst komplexe Studie einer eigentlich unmöglich scheinenden, aus der historischen Sekunde des vervollkommneten Grauens heraus geborenen Liebe. Todesmaschinist und Opfer entdecken angesichts ihrer jeweiligen Ausnahmesituation, was sie sich gegenseitig geben und nehmen können und entwickeln daraus nach und nach eine zunächst sprachlos machende, auf perverse Weise jedoch zugleich sinnstiftende Beziehung. Geboren aus tiefer Körperlichkeit heraus avanciert das unerwartete Wiedertreffen so nach einer anfänglichen Rekapitulation des Lagerschreckens zu einer nach normierten Maßstäben abseitigen Amour fou, die nach einer Phase des Aushungerns und Darbens schließlich ihre einzig mögliche Erfüllung findet.
Cavani findet für diese einst nicht ganz zu Unrecht mit skandalträchtigem Impetus rezipierte Romanze nicht nur verführerisch schöne, freilich dunkelbraune Bilder; sie schafft zugleich das vermeintlich Unmögliche: Verständnis für ihre beiden Protagonisten zu evozieren, eine Form der Empathie für sie zu schüren gar, und schließlich, als sie in ihren alten "Uniformen" den erwarteten, von außen herbeigeführten Freitod finden, ein winziges Moment der Rührung aufflammen zu lassen. Die Brücke der Komplizenschaft errichtet sich damit sogar bis vor die Leinwand. Beängstigend. Dass "Il Portiere Di Notte" dennoch nie in Sphären der Verworfenheit oder Geschmacklosigkeit abdriftet, verdankt der Film neben seiner inneren Brillanz auch dem grandiosen Doppel Bogarde-Rampling und seiner kaum fassbaren, intensiven Darbietung. Unvergesslich.

9/10

Wien Skandalfilm Liliana Cavani Konzentrationslager Mozart Nationalsozialismus Paraphilie Amour fou


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RIVER'S EDGE (Tim Hunter/USA 1986)


"Check's in the mail!"

River's Edge (Das Messer am Ufer) ~ USA 1986
Directed By: Tim Hunter


Dass der psychotische Jugendliche Samson Tollet (John Roebuck) eine Mitschülerin tötet, enthebt seine Gleichaltrigen nicht ihrer alltäglichen Lethagie; tatsächlich interessiert sich niemand so recht weder für das Ableben des Mädchens noch für Samsons weiteren Werdegang. Für Layne (Crispin Glover) ist momentan das Wichtigste, Samson vor den Behörden zu schützen; der wie die meisten aus der Clique aus einer zerstörten Familie stammende Matt (Keanu Reeves) müht sich indes, erstmals in seinem leben richtig zu handeln. Als Layne seinen Kumpel Samson bei dem nicht minder verrückten, alten Potdealer Feck (Dennis Hopper) versteckt, wartet schon die nächste Katastrophe.

Ein nicht leicht greifbarer, rauer und unbequemer Film ist das, den der spätere TV-Impesario Tim Hunter da um die späte Dekadenmitte den bourgeoisen Traumwelten eines John Hughes entgegensetzte. Die luxuriösen Un-Probleme der missverstandenen Vorstadtteens finden in der nordkalifonischen Provinz keinen Platz; hier geht es darum, den Tag möglichst heavily stoned zu Ende zu bringen, um zu vergessen. Um zu vergessen, dass die Mutter eine unfähige Heulboje ist und der Stiefvater - sofern vorhanden - ein gefühlloser Idiot; dass der zwölfjährige Bruder ein misanthropischer Soziopath ist und die kleine Schwester inmitten all diesen emotionalen Elends eine freudlose Kindheit durchmachen muss. Den besten Freund markiert ein perspektivenloser Komplettversager und, am Schlimmsten,an der nächsten Straßenecke bietet sich schon wieder exakt dasselbe Bild. Was macht da schon eine versehentliche Strangulation aus verschmähtem Liebeskummer?
Hunter macht es dem Zuschauer alles andere als leicht, als Teilhaber in seinen juvenilen Mikrokosmos einzusteigen, da bietet Dennis Hopper, der seinen Part aus "Out Of The Blue" quasi-repetiert, erwartungsgemäß auch keine große Unterstützung. Doch am Ende lohnt das Erlebnis alle Mühe und Auseinandersetzung, denn man durfte einem tollen, wenn auch abgründigen Teenager-Film beiwohnen.

8/10

Teenager Madness Marihuana Tim Hunter Coming of Age Leiche


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THE GRISSOM GANG (Robert Aldrich/USA 1971)


"Could this have been love?"

The Grissom Gang (Die Grissom Bande) ~ USA 1971
Directed By: Robert Aldrich


Während der späten Tage der Prohibitionszeit in den frühen dreißiger Jahren landet die Grissom-Gang unter Vorsitz der drahtigen Ma Grissom (Irene Dailey) ihren dicksten Coup. Man jagt einer konkurrierenden Bande die gekidnappte Millionärstochter Barbara Blandish (Kim Darby) ab und versteckt sie im eigenen Haus. Nach der widerstandslos gezahlten Lösegeldsumme soll Barbara jedoch nicht freigelassen, sondern fachgerecht "entsorgt" werden. Der zurückgebliebene Slim Grissom (Scott Wilson), der sich in Barbara verliebt hat, ist damit jedoch gar nicht einverstanden. Aufgrund seiner psychotischen Aussetzer respektiert der Rest der Gang Slims Wunsch zähneknirschend und Barbara bleibt mehrere Monate in der Gewalt der Gangster, bis ein findiger Polizist (Eddie Hagan) sie endlich ausfindig macht.

Die Liebe und ihre verschlungenen Pfade.
Aldrichs berüchtigter, brettharter Inszenierungsstil, der weder vor dem Einsatz kurzentschlossenen Mordes noch vor dem brutaler Dunkelmänner kuscht, findet auch in dem ansonsten bald zärtlichen "The Grissom Gang" seine Entsprechung. Bereits vor der Zeit von New Hollywood hatte Aldrich sich mit einer eigenen Produktionsgesellschaft kurzfristig selbstständig gemacht und einige seiner mitunter recht finsteren Spätwerke unter eigener Ägide angefertigt. Sehr gut in diese Zeit passte zudem das retrospektiv während der Depression angesiedelte Gangsterdrama, da spätestens mit Penns "Bonnie And Clyde" praktisch jeder etablierte und/oder aufstrebende Filmemacher in Hollywood die immanent blutige Poesie jener staubigen Tage für sich entdeckt hatte. Aldrich und "The Grissom Gang" befinden sich demnach in illustrer Gesellschaft. Beeindruckend und beängstigend Wilsons intensives Spiel, noch beeindruckender die Charakterentwicklung des den Löwenanteil der Geschichte bestimmenden Paars. Zwei völlige gesellschaftliche Antipoden, ihre zufällige Begegnung, ihr langer, von einem der beiden erzwungener Weg zueinander, schließlich eine verzweifelte Nacht und dann Schluss. Die für den Gangsterfilm dieser Couleur obligatorischen, grellen Tommy-Gun-Aspekte erscheinen da geradezu verschwindend und am Ende bleibt nurmehr Kim Darbys verzweifelte, hoffnungslos entwurzelte Mimesis.

9/10

Kidnapping Kansas Robert Aldrich Great Depression Prohibition


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DER ROTE KAKADU (Dominik Graf/D 2006)


"'N land, in dem die Polizei auf 'n Unbewaffneten schießt, is nicht mehr meins."

Der Rote Kakadu ~ D 2006
Directed By: Dominik Graf


Dresden, 1961: Wenige Wochen vor der Errichtung der Berliner Mauer trifft sich die systemtreue, aber staatskritische Jugend im "Roten Kakadu", einer Szenekneipe, in der man, unter dem äußersten Widerwillen der Stasi, zu "Jailhouse Rock" tanzt. Hier lernt der junge Maler Siggi (Max Riemelt) das Paar Luise (Jessica Schwarz) und Wolle (Ronald Zehrfeld) kennen. Als Wolle es mit seinen derben Späßen aufs Konto eines Staatsfunktionärs (Lutz Teschner) zu weit treibt, bricht die "Kakadu"-Clique auseinander. Doch da hat sich Siggi schon längst in Luise verliebt.

Nicht der beste Graf, aber immer noch sehr anschaubar. Im Gefolge von "Sonnenallee" und "Good Bye Lenin!", die ja eine etwas seltsame "Ostalgie" hervorriefen, nimmt sich dieses eher un- oder auch abgeschminkt agierende Werk wenigstens halbwegs ernsthaft aus. Die Geschichte um die drei Hauptfiguren entwickelt sich allerdings recht träge und führt dazu, dass "Der Rote Kakadu" erst im letzten Drittel die Fahrt gewinnt, derer er eigentlich von Anfang an bedurft hätte. Die repressive Willkür des vorgeblich sozialistischen, dabei jedoch schlicht antidemokratisch arbeitenden Systems wird erst gegen Ende in ihrer ganzen traurigen Konsequenz geschildert. Man fängt gerade an, sich aus dem zuvor emsig um einen herum errichteten Emotionalitätskokon freugraben, da ist Grafs Film dann auch schon wieder vorbei. Schade drum. Im Gegenzug dazu fand ich die Wiederbegegnung mit dem Duo Riemelt/Zehrfeld, mir noch aus "Im Angesicht des Verbrechens" in bester Erinnerung, wirklich erfreulich.

6/10

Dominik Graf DDR Kneipe period piece Republikflucht Historie Systemkritik


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DER FELSEN (Dominik Graf/D 2002)


"Sowas hören Frauen gerne."

Der Felsen ~ D 2002
Directed By: Domink Graf


Im Urlaub auf Korsika wird die Büroangestellte Katrin (Karoline Eichhorn) von ihrem Liebhaber Jürgen (Ralph Herforth) verlassen. Katrin stürzt sich zunächst in ein sexuelles Abenteuer mit zwei Einheimischen und lernt dann den jugendlichen Straftäter Malte (Antonio Wannek) kennen, der auf der Insel in einem Resozialisierungscamp wohnt. Eine seltsame Affäre entbrennt zwischen der frustrierten Frau und dem delinquenten Jungen, die ein blutiges, zugleich aber hoffnungsreiches Ende birgt.

Hier wurde Graf dann mal etwas kunstgewerblicher, missachtet vorsätzlich ein paar narrative Traditionsdogmen wie das der chronologischen Erzählung, flechtet erläuternde, im Präsens formulierte Off-Kommentare einer weiblichen und einer männlichen auktorialen Erzählstimme ein und filmt seine feministische Erweckungsgeschichte mit grobkörniger DV-Kamera. Dem gegebenen naturellen Zauber Korsikas schadet dieses Stilmittel erstaunlicherweise nicht; im Gegenteil entwickelt "Der Felsen" eine zum Schneiden dicke Atmosphäre, die sich selbst vor dem Einsatz transzendentaler Szenen nicht scheut. Am Ende hat man dann eine wirklich berührende, der langen Ahnenreihe flüchtender Kino-Pärchen ausnahmsweise mal einen deutschsprachigen Beitrag hinzusetzende Liebesgeschichte.

8/10

Dominik Graf Korsika Amour fou Teenager


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THE TOWN (Ben Affleck/USA 2010)


"If we get jammed up, we're holding court on the street."

The Town ~ USA 2010
Directed By: Ben Affleck


Doug (Ben Affleck), sein bester Kumpel James (Jeremy Renner) und ein paar weitere Kumpels stammen aus dem Bostoner Stadtteil Charlestown, in dem es für den authentischen irischstämmigen Einwohner quasi obligatorisch ist, früher oder später eine Bank oder einen Geldtransporter zu überfallen. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Handwerk, das über Generationen weitervererbt wird. Für Doug und James läuft alles so weit okay, bis Doug sich eines Tages in die Bankangestellte Claire (Rebecca Hall) verliebt. Als er ihr per Zufall wiederbegegnet, kann er fortan die Finer nicht mehr von ihr lassen und die Probleme werden übermächtig.

"It was beauty killed the beast." Dieses berühmte "King Kong"-Zitat gehört in etwas großzügigerer Auslegung wesentlich auch zum Genre des heist movies, das von Huston über Dassin und Kubrick bis hin zu Mann seinen Antihelden nur äußerst selten ein friedliches Ende zugesteht. Zumeist bildet tatsächlich die schuldvolle (häufig frisch knospende) Liebe des ansonsten kühlen Profis zu einer zarten (oder wahlweise berechnenden) Dame seinen großen Schwachpunkt und damit die einzige veritable Angriffsfläche für die Gegenseite. Affleck erzählt somit keine neue, sondern eine sehr traditionsverhaftete Geschichte, dies jedoch mit der umfassenden Kenntnis des Cineasten, der Strukturen, Topoi und Motive bestens internalisiert hat und sie nun dergestalt wiederholt, dass sie ihres repetitiven Charakters zum Trotze immer noch interessant und emotional packend bleiben. Darüberhinaus gibt die klassische formale Gestalt des Films Anlass zu Ovationen: Affleck beweist nämlich, dass es keinesfalls DV, Farbfiltern, eines Stakkatoschnitts, Shutter-Effekten oder sonstigen postmodernen Klimbims bedarf, um auch anno 10 noch einen überaus spannenden Krimi herunterzureißen.

8/10

Ben Affleck Boston Heist Freundschaft


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IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (Domink Graf/D 2010)


"Jeder bekommt, was ihm zusteht."

Im Angesicht des Verbrechens ~ D 2010
Directed By: Dominik Graf

Ein vermeintlicher Routineeinsatz führt die beiden Berliner SEK-Beamten Marek Gorsky (Max Riemelt) und Sven Lottner (Roland Zehrfeld) in einen Sumpf aus Verbrechen, Korruption und tief verwurzelten Traumata. Besonders für Marek, deutsch-russischer Jude, wird der folgende Großeinsatz gegen die Ostblockmafia und einen von ihr groß angelegten Zigareteenschmuggel zu einer Reise in die eigene Identität und Vergangenheit.

Domink Grafs vom WDR coproduzierte, zehnteilige Miniserie weist, von ein paar TV-typischen Unerlässlichkeiten abgesehen, genau jene Qualität auf, die die großen "Cops-vs.-Gangsters"-Movies des Kinos von Walsh über Melville und Friedkin bis hin zu Mann seit jeher auszeichnen. Mittels epischer formaler und inhaltlicher Anlagen entwerfen Graf und sein Autor Rolf Basedow, die zusammen bereits die Fernsehfilme "Hotte im Paradies" und "Eine Stadt wird erpresst" entwickelt haben, ein großes Charakter-Kaleidoskop, in dessen Zuge neben den Prota- und Antagonisten noch zahlreiche Nebencharaktere Platz finden. Neben der Weiterentwicklung des narrativen Hauptstrangs, der sich mit Mareks und Svens Polizeiarbeit befasst, widmet sich jede Episode noch einer schicksalhaften Fügung in der Vita einer der weiteren Figuren, seien es Mareks Schwester Stella (Marie Bäumer) und ihr höchstselbst im Milieu verankerter Ehemann Mischa (Misel Maticevic), der russische Killer Sokolov (Georgii Povolotskyi), Mischas Konkurrent Joska (Marko Mandic), der moralisch zutiefst verkommene Unternehmer Lenz (Bernd Stegemann) oder der korrupte Kollege Hollmann (Uwe Preuss). Die Geschichte jedes einzelnen dieser Charaktere findet sich sorgfältig und detailliert ausgearbeitet in einer erzählerischen Breite, die Kino eben in der Regel nicht zu leisten vermag. Wer mich kennt, weiß, dass ich von Fernsehserien in der Regel Abstand halte - im Falle einer einem einzelnen auteur vorbehaltenen, von Anbeginn so kompakt angelegten, wohlstrukturierten und vor allem in einem luziden erzählzeitlichen Rahmen situierten Reihe bin ich jedoch gern bereit, Ausnahmen zuzulassen. Mit gar wohltuendem Effekt, wie sich erwies.

9/10

TV-Serie Russenmafia Kiez Kokain Berlin Dominik Graf Prostitution Menschenhandel


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NEUE VAHR SÜD (Hermine Huntgeburth/D 2010)


"Atomblitz!"

Neue Vahr Süd ~ D 2010
Directed By: Hermine Huntgeburth


Bremen, 1980: Frank Lehmann (Frederick Lau) vergisst, rechtzeitig seinen Antrag auf Wehrdienstverweigerung zu stellen und muss zum Bund. Die dem uniformierten System innewohnende Idiotie bekommt Frank bald mit all ihrer unerbittlichen Härte zu spüren. Zu Hause in seiner antifaschistischen Zelle läuft derweil auch nicht mehr alles so entspannt wie früher. Dafür sorgt eine betreffs ihrer Zusammensitzung ziemlich unmögliche WG, in der Frank unterkommt, sowie seine Liebe zu der etwas wankelmütigen Sibille (Miriam Stein).

"1980 waren unsere Jugendlichen noch politisch" mag man denken angesichts Sven Regeners zweitem (dabei jedoch als Prequel gestalteten) Lehmann-Romans und auch dieser schönen Adaption desselben. Film kann ja speziell in Bezug auf die Darstellung von Zeitkolorit manches mehr leisten als Literatur. Durch die Verwendung diverser zeitgenössischer Reliquien und Memorabilia, zu der neben Frisuren, Möbeln, Kleidung, Sprache und Autos auch und insbesondere die Musik (deren Auswahl hierin als besonders sorgfältig und geglückt bezeichnet werden darf; es gibt vornehmlich Punk, New Wave und Reggae) zählt, rutscht man, sofern die entsprechende Gestaltung - wie im vorliegenden Falle - hinreichend stimmig ist, rasch hinein in Jahr und Tag. Da verzeiht man sogar, dass offenbar keine Telefonzelle von anno 80 aufzutreiben war (das im Film gezeigte Modell kam meines Wissens erst einige Jahre später). Die autonome Subkultur jedenfalls, die damals noch mit Pflastersteinen gegen das öffentliche Gelöbnis im Bremer Weserstadion antrat, eine Gruppe, die man einst als so gern als "Bombenleger" und "Zecken" bezeichnete, scheint ihren Aktionsradius mittlerweile merklich eingegrenzt zu haben, zumindest wenn man den Bildvergleich anzustellen bereit ist. Eine echte Schau in "Neue Vahr Süd" ist mal wieder Uli Mathes, der als stockärschiger Bundeswehr-Hauptmann entgegen allen Voraussetzungen sogar noch einen Tropfen Sympathie aus seiner Figur herausquetscht. Scheiße, der kann spielen, der Mathes.

8/10

Bremen Militaer Subkultur Sven Regener Alkohol Coming of Age Hermine Huntgeburth TV-Film





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