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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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MONSTER (Patty Jenkins/USA 2003)


"The bar's closed."

Monster ~ USA 2003
Directed By: Patty Jenkins


Als die langjährige Prostituierte Aileen "Lee" Wuornos (Charlize Theron) fast zum Ofer eines von einem ihrer Freier (Lee Tergesen) verübten Gewaltverbrechen wird, dreht sie den Spieß um und erschießt den Unhold. Der erste von insgesamt sieben Morden, die Wuornos in einer Mischung aus Rachsucht und Geldgier begeht. Dass sie später vor Gericht ausgerechnet von ihrer geliebten Lebensgefährtin Selby (Christina Ricci) belastet wird, nimmt sie im Hinblick auf Selbys eigenen Freispruch in Kauf.

Eine Frau als Serienkiller stellt in den Annalen der mit Serienkillern gesäumten amerikanischen Kriminalgeschichte noch immer eine Rarität dar; vielleicht bedurfte es auch erst einer Regisseurin, um die Geschichte der kurz vor der Entstehung des Films hingerichtete Aileen Wuornos hinreichend sensibel und verständnisvoll für einen Film aufzubereiten. Im Gegensatz zu ihren männlichen Verbrechensgenossen war Aileen Wuornos kaum das Opfer psychischer Störungen oder Paraphilie, zumindest, wenn man ihrer späten, selbst geschilderten Biographie Glauben zu schenken bereit ist. Während der erste Mord strenggenommen gar kein solcher war, sondern aus reiner Notwehr verübt wurde, geschahen die sechs weiteren aus Gründen finanzieller Not und wurden von der Täterin vor sich selbst dadurch gerechtfertigt, dass sie die Opfer als Perverse und Ehebetrüger, die die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen wollten, abzustrafen hatte. Ihrer Strafakte zufolge war Aileen Wuornos ein in höchstem Maße aggressiver und asozialer Mensch aus unterstem Sozialmilieu, der früh mit bürgerlicher Moral und Gesetz in Konflikt geriet sich zeitlebens durch körperliche Gewalt Gehör zu verschaffen pflegte.
Patty Jenkins' Inszenierung gibt sich im besten Sinne unspektakulär, still, gediegen, flächig und lässt der unglaublichen Performance von Charlize Theron freie Bahn. Natürlich taten auch die Maskenbildner ein reifes Werk an der Aktrice, wie sie ansonsten jedoch mit ihrer Rolle fusioniert, ist eines der hervorstechendsten in letzter Zeit von mir gesehenen Beispiele für erfolgreiches method acting.

8/10

Biopic Historie Serienmord Homosexualitaet Patty Jenkins


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BONNIE AND CLYDE (Arthur Penn/USA 1967)


"We rob banks!"

Bonnie And Clyde ~ USA 1967
Directed By: Arthur Penn


Texas, die große Depression: Als er versucht, den Wagen ihrer Mum (Mabel Cavitt) zu klauen, wird die junge Seviererin Bonnie Parker (Faye Dunaway) auf den Ganoven Clyde Barrow (Warren Beatty) aufmerksam - der Beginn einer halsbrecherischen Romanze, gepflastert mit Überfällen und Leichen.

"Bonnie & Clyde" ist nicht die erste Verfilmung der Mär um das neben John Dillinger bekannteste kriminelle Relikt aus der Depressionszeit. Bereits neun Jahre zuvor wurde das B-Movie "The Bonnie Parker Story" veröffentlicht. Unterschiedlicher können zwei Filme zu demselben thematischen Überbau allerdings kaum angelegt sein - Penns Werk gilt immerhin als elementarer Wegbereiter für New Hollywood. Auf das zertrümmerte Studiosystem traf mit Warren Beatty ein "actor-producer", der zugleich als eine der Galionsfiguren der neuen Bewegung gilt. Via unermüdlichem Einsatz und Protest gegen Entscheidungen, die die Kompetenzen des Teams zu schmälern drohten, erwirkte er für einen "kleinen" Filmemacher wie Penn bis dato undenkbare Freiheiten und sorgte schließlich dafür, dass trotz unentwegter Abneigungsbekundung durch Jack Warner die Wunschfassung des Regisseurs in die Kinos gelangte. Dieser zugrunde lag ein Script, das gern als Übertragung des Nouvelle-vague-Stils auf amerikanische Verhältnisse bezeichnet wird, mitsamt einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Montage und diversen formalen Regelbrüchen. Am Ende sterben die Antihelden in Zeitlupe - durchsiebt von unzähligen Kugeln aus den Maschinenpistolen der Polizei. Danach gibt es keinen Dialog mehr, keinen crane shot, keine Totale, kein gar nichts; das Publikum wird mit genau diesem Eindruck auf der Linse entlassen. Pures Understatement und unübersehbare Aufbruchsstimmung findet man in dieser Konsequenz selten so eindeutig formuliert. The dawning of a new era.

9/10

Great Depression Road Movie Arthur Penn New Hollywood Historie period piece Heist Couple on the Loose


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THE AGE OF INNOCENCE (Martin Scorsese/USA 1993)


"I gave up arguing with young people 50 years ago."

The Age Of Innocence (Die Zeit der Unschuld) ~ USA 1993
Directed by: Martin Scorsese


New York, 1870: Newland Archer (Daniel Day-Lewis), aufstrebender Jungjurist und Mitglied von Manhattans feiner Gesellschaft, soll in Bälde die ebenso reizende wie oberflächliche May Welland (Winona Ryder) ehelichen. Als Mays Cousine Ellen Olenska (Michelle Pfeiffer), die in Europa einen polnischen Adligen geheiratet hat, frustriert von ihrer einem Kerker gleichenden Ehe in die Staaten zurückkehrt, verliebt sich Newland Hals über Kopf in sie. Die Emanzipiertheit und sittliche Reife Ellens ziehen ihn unweigerlich in ihren Bann. Um ihr und sich jedoch einen untragbaren Skandal zu ersparen, begeht er sein weiteres Leben planungsgemäß.

Den ungewöhnlichen Beweis dafür, dass kineastische Sittengemälde respektive Kostümfilme nicht ausschließlich auf europäischem Boden gedeihen müssen, trat Scorsese mit dieser Wharton-Adaption an, die ihm wohl vor allem deshalb sehr zupass kam, weil sie eben ausnahmsweise einmal nicht in einer englischen Grafschaft oder in der Provinz um Paris angesiedelt ist. Mit dem Schauplatz New York verbindet man diese Art Rührstück unwillkürlich wohl kaum, zumindest mir geht es so. Dass die vordergründig unkonventionelle Mixtur am Ende dennoch ihren großzügigen Geschmack entfalten kann, verdankt sie mehreren entscheidenden Faktoren. Da wären zunächst die an Pracht und Authentizität nicht zu überbietenden Interieurs und Originalrequisiten zu nennen, die jede einzelne von Michael Ballhaus' breiten Einstellungen zu einer veritablen Augenweide gedeihen lassen, die wahrhaft anbetungswürdigen Darsteller, welche dem kritisch beäugten Sozialabriss zusätzliche Plastizität abringen und unter denen sich neben den Genannten noch bravouröse Zunftvertreter wie Michael Gough, Miriam Margolyes oder Jonathan Pryce einfinden, sowie ganz besonders die mittels ihres lyrischen, warmen Tonfalls gefangennehmenden Voice-Over-Erzählstimme von Joanne Woodward.
Zusammengefasst erhält man das, was es eigentlich gar nicht gibt - einen Anti-Scorsese, der zwar gescheiterte Lebensentwürfe und Enttäuschungen von biographischer Tragweite thematisiert, jedoch bestenfalls im stillen Kämmerlein schockiert und jedem Stolperstein grellen Naturalismus' großzügig ausweicht.
Film als edel verziertes, bequemes Brokatkissen.

8/10

Martin Scorsese period piece New York Fin de Siècle Sittengemaelde Historie


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NEW YORK, NEW YORK (Martin Scorsese/USA 1977)


"I made a lot of mistakes. So I'll make another one. This one's on me."

New York, New York ~ USA 1977
Directed By: Martin Scorsese


New York in den Vierzigern: Der Kriegsheimkehrer und brillante Saxophonist Jimmy Doyle (Robert De Niro) verliebt sich Hals über Kopf in die Jazzsängerin Francine Evans (Liza Minnelli). Ihre bald eingeläutete Ehe bringt jedoch mehr Schwierigkeiten denn Erfüllungspotenzial mit sich, bis beide schließlich erkennen müssen, dass sie ihre jeweiligen Lebensträume nur ohne den anderen verwirklichen können.

Mit seinen betont artifiziellen Kulissen und szenischen Arrangements wäre "New York, New York" eigentlich ein großartiges Musical, tatsächlich aber ist er im strengen Gattungssinne gar keines. Die Musik ist hier kein narrativer Bestandteil, der Film konstruiert sich um die Musik herum sowie um die existenzielle Liebe zu ihr. Die jazzigen Nummern finden hier ausschließlich auf der Bühne statt und nicht im Eiscafé oder im Bad; hinzu kommt die dicht gestaltete Präsentation einer seltenen Wahrheit, nämlich der, dass es selbst innerhalb einer Musikrichtung ganz und gar unterschiedliche Ausrichtungen gibt, so unterschiedlich, dass sie gar getrennte Lebenswege erfordern. Jimmy Doyle lebt den Jazz der verrauchten Kneipe, bläst sein Horn bis zum Umfallen und in teils wenig eingängigen Tönen, kokst mit seinen Bandkollegen auf dem Barklosett und ist auch sonst Musiker durch und durch. Francine Evans indes ist ein Publikumsmensch, je größer das Publikum, desto mehr blüht sie auf, sie singt ihre Stücke weniger für sich denn für die Massen da draußen. Eine wesentliche Inkompatibilität, der das ansonsten einander durchaus zugetane Paar nicht standhalten kann.
Scorsese sagt oft, er bedaure, dass "New York, New York" innerhalb seines Oeuvre häufig vorschnell global als "peripher", "unwesentlich" und "exotisch" bezeichnet werde - ich kann mir denken, derartige Einschätzungen entstammen vornehmlich jenen Experten bzw. Kritikern, die glauben, mit der Kenntnis von "Goodfellas" und "Casino" im Hinterkopf seien sie Scorsese-Intimi. Denkter.

8/10

New York Musik Martin Scorsese Veteran Jazz


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BOXCAR BERTHA (Martin Scorsese/USA 1972)


"Up! Down! Up! Down!"

Boxcar Bertha (Die Faust der Rebellen) ~ USA 1972
Directed By: Martin Scorsese


Während der Tage der Depressionszeit tun sich das Straßenmädchen Bertha Thmpson (Barbara Hershey), der Klassenkämpfer Bill Shelly (David Carradine), der Falschspieler Rake Brown (Barry Primus) und der Tagelöhner Von Morton (Bernie Casey) zusammen und verüben Raubzüge auf Banken und die Eisenbahngesellschaft. Dabei achten sie stets darauf, dass ein Großteil ihrer Beute an die Gewerkschaften oder direkt an die ausgenutzten Arbeiter geht. Dem Eisenbahn-Bonzen Sartoris (John Carradine) ist das Quartett daher ein besonderer Dorn im Auge.

Kaum ein bedeutender Filmschaffender in New Hollywood, der nicht zumindest kurzfristig Wegbegleiter von Roger Corman war oder wenigstens einmal für die AIP gearbeitet hat. Scorseses nomineller Beitrag dazu hieß "Boxcar Bertha". Corman ist bekanntermaßen ein großer Freund von in den zwanziger und dreißiger Jahren angesiedelten Gangsterfilmen, wobei immer wieder gern authentische Figuren und Geschichten zu Markte getragen wurden - so auch die der "Boxcar Bertha" Thompson, bei der es sich tatsächlich jedoch um eine fiktionale, literarische Figur des obskuren Akademikers Ben Reitman handelt, eines notorischen Bordellgasts, der im Film sogar kurz porträtiert wird. Der Vorteil bei der Produktion dieser Art period piece war für Corman nicht zuletzt ein ökonomischer - durch die Wiederverwendbarkeit von Kostümen, Ausstattungsstücken und Kulissen konnte jeweils eine Menge an Produktionskosten eingespart werden. Auch "Boxcar Bertha" wurde für ein sehr geringes Budget realisiert, obschon man ihm das nicht ansieht. Für Scorseses Gesamtoeuvre ist seine zweite Regiearbeit im Spielfilmfach (zwischendurch hatte er die Dokumentation "Street Scenes" angefertigt) als Auftragsarbeit von eher untergeordneter Bedeutung. Er hatte einen Exploitationfilm machen sollen, was sich visuell noch anhand einiger heftiger shoot outs (besonders der abschließende wäre da zu nennen) und ein paar Sexszenen mit der Hershey festmachen lässt. Ansonsten mangelt es "Boxcar Bertha" geflissentlich an Tempo, wenn auch nicht an Stil. Ganz bewusst verzichtete Scorsese auf Weichzeichnerfilter, wie sie etwa Kollege Altman einzusetzen pflegte und filmte in knackig-bunter Farbnomenklatur, die seine Arbeit noch heute frisch und lebendig erscheinen lässt. Als Bestandteil einer halbwegs kompletten Hollywood-Schau über die Depressionszeit erachte ich den Film jedenfalls als unerlässlich.

7/10

period piece Historie Roger Corman Heist Great Depression Hobo Martin Scorsese


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THE SOUND OF MUSIC (Robert Wise/USA 1965)


"Auf Wiedersehen, darling."

The Sound Of Music (Meine Lieder - Meine Träume) ~ USA 1965
Directed By: Robert Wise


Salzburg, 1938: Die lebenslustige junge Postulantin Maria (Julie Andrews) zerbricht der Mutter Oberin (Peggy Wood) des hiesigen Nonnenklosters durch ihre Unbekümmertheit den Kopf. Um ihr Pflichtbewusstsein zu straffen, muss Maria daher die Aufgabe eine Gouvernante im Hause der Von Trapps übernehmen. Oberst Von Trapp (Christopher Plummer), wohlhabender Marienoffizier im Ruhestand und Witwer, hat sieben Kinder, die Marias diverse Vorgängerinnen teils in Rekordzeit aus dem Haus gewtrieben haben. Mittels ihres offenen Wesens sowie ihrer Herzlichkeit gewinnt Maria jedoch schnell die Herzen der Kinder und nicht nur diese - auch der Oberst entflammt in Kürze für sie. So jedoch nicht für die immer präsenteren Nazis - Die just durchgeführte Annexion, die bald allerorten die Hakenkreuzfahne wehen lässt, akzeptiert der glühende Patriot Von Trapp nicht. Als er für die Reichsmarine eingezogen werden soll, entschließt er sich mitsamt seiner neuen Frau Maria und den Kindern zu einer überstürzten Flucht aus Österreich.

Vor "Oliver!", der nur drei Jahre später quasi das endgültige inoffizielle Ende des Hollywood-Silver-Age markierte, repräsentierte "The Sound Of Music" das letzte der flamboyanten Studiomusicals, das die Herzen der Jury weichzuspülen vermochte. 1970 ward New Hollywood dann auch in der Academy angekommen und mit "Midnight Cowboy" ein kaum zu erwartendes Werk auf dem Siegertreppchen postiert; zugleich letzter Vorhang und Neubeginn.
Hinter dem überaus ambitionierten, vor Ort gefilmten Projekt "The Sound Of Music" standen große Namen ausalten Tagen: Die bombastischen Songs, die bereits seit sechs Jahren aus diversen Broadway-Aufführungen bekannt waren, stammten von Rodgers & Hammerstein, das realitätsbeschönigende Script von Ernest Lehman, Produktion und Regie übernahm Robert Wise.
Sich über die Inhalte von "The Sound Of The Music" zu ereifern, wäre nutzlose Muße, natürlich wirkt der Film oberflächlich naiv, die Realität mit Füßen tretend, klischiert, dumm gar. Was ihn letzten Endes ansehnlich macht, zumindest für Zeitgenossen, die eine grundsätzliche Affinität zu Filmmusicals bei sich ausmachen können, ist genau das, was alle großen Musicals auszeichnet: schöne Bilder, Herz, leidenschaftlicher Kitsch, Surrealismus, rücksichtslose Überlänge. Und kommt es zur (nicht seltenen) Expression großer Emotionen, fangen die Menschen in Musicals eben an zu singen. Und nicht nur, dass ihr Gegenüber sich nicht darüber wundert - es stimmt zumeist auch noch mit ein! Und noch besser: Das Publikum kam in Scharen, um sich das anzuschauen. Die mit ausgebreiteten Armen über eine prachtvolle Alm laufende, "The Hills are alive..." schmetternde Julie Andrews muss schließlich zu den großen, ikonischen Kinobildern gezählt werden. Irgendwas hat Wises Film aller Kritik zum Trotze dann offenbar doch sehr richtig gemacht.

7/10

Österreich Robert Wise Historie Nationalsozialismus Rodgers & Hammerstein Musik Familie


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HEAVEN'S GATE (Michael Cimino/USA 1980)


"It's getting dangerous to be poor in this country."

Heaven's Gate ~ USA 1980
Directed By: Michael Cimino


Wyoming, 1890: Die wohlhabenden Großrancher von Johnson County beschließen, nachdrücklich gegen den Strom der sich in der Gegend niederlassenden, osteuropäischen Einwanderer vorzugehen, die, mittelos wie sie sind, versuchen, sich dort eine kärgliche Neuexistenz aufzubauen. Als Marshal Averill (Kris Kristofferson), dessen früherer Harvard-Kommilitone Irvine (John Hurt) mit den Ranchern paktiert, von der Sache Wind bekommt, warnt er die slawischstämmigen Bewohner des Städtchens Sweetwater, in dem auch Averills Geliebte, die Hure Ella Watson (Isabelle Huppert), lebt, eindringlich vor den Plänen der Rancher. Jene haben sich nicht nur eine gesetzliche Legitimation ihrer Aktion durch den Präsidenten besorgt, sondern mittlerweile auch eine umfassende Todesliste erstellt und eine fünfzigköpfige Gruppe von Auftragskillern engagiert. Doch die Migranten sind aller Ängste zum Trotz des Flüchtens müde und stellen sich gegen die Rancher und ihre Killerbrigade.

Der "Heaven's Gate" zueigene, filmhistorische Status als eines der größten Kassendebakel überhaupt ist ja legendär. Die Verschwendungssucht und besessene Detailgenauigkeit, mit der Cimino sein Projekt versah, wuchs seinerzeit ins Astronomische, das veranschlagte Budget von sieben Millionen Dollar schnellte im Laufe der Zeit um das sechsfache in die Höhe. Die US-Kritik geleitete die Premiere dann mit Rufmord und -totschlag, was zu einem prompten kommerziellen Absturz führte, der United Artists auf lange Sicht in den Ruin trieb. Selbst später aufgeführte, von Cimino selbst gekürzte Versionen schafften keine Abhilfe. Erst das europäische Feuilleton bescherte "Heaven's Gate" eine kleine Amnestie. Hier erkannte man, dass das selbstgefällige, inszenatorische Gewichse des Regisseurs tatsächlich pure filmische Poesie in der Tradition der Kinoelegien von Lean, Leone, Visconti oder Coppola ist und war auch durchaus nicht gekränkt von der antipatriotischen und zudem von einer stark antikapitalistischen Mentalität geprägten Nestbeschmutzung, die der Film in kompromissloser Weise praktiziert.
Natürlich hatten die Europäer - wie meistens - völlig Recht. Hätte Visconti seinen "Il Gattopardo" auf amerikanischem Boden gemacht, wären ihm wahrscheinlich ganz ähnliche Vorwürfe zuteil worden, wie sie Cimino zu erdulden hatte. Barbarisches Banausentum, Arroganz, Ignoranz, Pack! Gut, dass "Heaven's Gate" kein großflächiger Erfolg werden konnte, hätte den executives von UA eben etwas früher auffallen sollen. Weder betreibt der Film auch nur die geringste Publikumsanbiederung, noch dürfte ihn ein Gros der unbedarfteren Rezipientenschaft überhaupt als zuschauerfreundlich, geschweige denn unterhaltsam empfinden. Cimino und sein dp Vilmos Zsigmond filmen in engelsgeduldig langen Einstellungen Landschaften bei ausschließlich besonderem Tageslicht, lassen gleich zwei große Tanzszenen (davon eine auf Rollschuhen) sich ihren Platz verschaffen und choreographieren waghalsige Massenszenen, die tatsächlich so wirken, als seien sie dokumentarischen Ursprungs. Für "Heaven's Gate" muss man sich freilich Muße und Zeit nehmen, wer aber Kino in seiner pursten Form genießen und nicht bloß zwischenzeitlich ordinärem Eskapismus frönen will, der wird sich von diesem großen Meisterwerk reichhaltig belohnt finden.

10/10

Ethnics Historie period piece Michael Cimino Wyoming Megaflop Cattle War


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L'AMOUR BRAQUE (Andrzej Żuławski/F 1985)


Zitat entfällt.

L'Amour Braque (Liebe und Gewalt) ~ F 1985
Directed By: Andrzej Żuławski


Der ungarische Adelssprössling Léon (Francis Huster) begibt sich nach einem langwierigen Psychiatrie-Aufenthalt nach Paris, um dort eine Zeitlang bei Bekannten unterzukommen. Im Zug begegnet er dem Gangster-Anarcho Micky (Tchéky Karyo) und seinen Kumpanen, die soeben von einem Banküberfall kommen. Micky drängt sich Leon auf und schwärmt ihm von seiner heißgeliebten Mary (Sophie Marceau) vor, die er in Paris aus den Fängen der Venin-Familie befreien will. Die gemeingefährlichen Venins lassen Marie sich prostituieren und haben auch deren Mutter auf dem Gewissen, zugleich sind sie dafür verantwortlich, dass Mickys Vater lange Jahre im Gefängnis verbracht hat. Léon, der sich gleich bei der ersten Begegnung mit ihr in die so schöne wie labile Mary verliebt, gerät zwischen die Fronten dieses bizarren Gangsterkriegs.

"Eine", so Żuławski, der Kompromisslose, "Transponierung von Dostojewskis "Der Idiot" in die Gegenwart von 1985", in das Pariser Gangstermilieu, um inhaltlich etwas eloquenter zu sein (dafür, dass dabei keine Rede von einer wie auch immer gearteten Anbindung an die Realität sein kann, bürgt das permanent irrationale Verhalten fast sämtlicher Charaktere). Vielmehr noch eine Transponierung in Żuławskis filmischen Kosmos zwischen Wahn und Tod, Geisteskrankheit und blanker Emotion. Das Kinopendant zum gelebten Laissez-faire, zur totalen Anarchie. 'Seelenstriptease', wie es sich so schön tradiert, aber immer wieder treffend anbringen lässt. Erster Film mit seiner Muse und späteren Ehefrau Sophie Marceau, damals gerade neunzehn Jahre jung. Ebenso wie von Huster, Karyo und all den anderen Darstellern verlangt der Filmemacher von ihr ein Entblößen aufs Äußerste, die Entledigung jedweder Hemmnisse und Schranken. In einer Szene stellt Sophie/Mary eine Szene aus Tschechows "Möwe" dar und schafft für Nanosekunden das nahezu Unmögliche: Ein Einreißen sämtlicher Barrieren zwischen ihr selbst, ihrer Rolle und der äußeren Realität - Transzendenz. Hernach wird niemand mehr ein hübsches Teenie-Starlet in der Marceau sehen. "La Boum" ist kaum kalt und schon wieder vergessen. Huster veranstaltet, analog zum Vorlagen-Fürst Myschkin, einen manisch-depressiven Affentanz mitsamt epileptischen Anwandlungen; Karyo, ansonsten ja ein eher ruhiger Vertreter, hat man selten, wahrscheinlich gar noch nie derart ausgelassen erlebt. Wenn man Żuławski schätzt, ist diese "verdrehte Liebe" zwischen Idiotenprinz und Jungfrauenhure - man könnte sie auch als extremes, mentales Wechselduschen bezeichnen - so gottgleich wie jeder seiner Filme. Wer es erstmals mit ihm versucht, sollte sich jedoch vielleicht woanders umschauen...

9/10

Rache Parabel Paris Andrzej Zulawski Groteske


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WHAT'S UP, DOC? (Peter Bogdanovich/USA 1971)


"I think I want to skip over this part, too."

What's Up, Doc? (Is' was, Doc?) ~ USA 1972
Directed By: Peter Bogdanovich


Der weltferne Musikologe Howard Bannister (Ryan O'Neal) kommt mitsamt seiner fürchterlichen Verlobten Eunice (Madeline Khan) nach San Francisco, um einen umfangreichen Forschungsbeitrag des Millionärs Larrabee (Austin Pendleton) zu ergattern. Als er der Lebenskünstlerin Judy (Barbra Streisand) ins Auge fällt, ist alles zu spät - die so bezaubernde wie forsche junge Dame ist gewohnt, zu kriegen was sie will und aktuell hat sie sich Dr. Bannister ausgesucht. Eine Verwechslungsgeschichte um vier Reisekoffer mit höchst unterschiedlichem Inhalt komplettiert das Chaos.

Bereits zweimal hatte das große Bogdanovich-Idol Howard Hawks die Geschichte um den linkischen, völlig unbeholfenen und ledig physiologisch als solchen zu betrachtenden 'Mannesprotz', der erst einen rotzfrechen weiblichen Gegenpart benötigt, um in den Hafen des Glücks einfahren zu können, verfilmt. "Bringing Up Baby" mit Cary Grant darf bis heute als Messlatte für diese Unterabteilung der 'screball comedy' gelten, "Man's Favorite Sport?" um Rock Hudson bildete das erste Quasi-Remake. Bogdanovich, dem nach seinem hochgeschätzten "Targets" so ziemlich alle Türen offen standen, entblödete sich nicht, eine weitere Variation dieses Themas zu fertigen, und dazu eine, die ihren großen Vorbilern in nichts nachsteht. Eine nicht enden wollende Kette brillanter Situationskomik, Running gags und In-Jokes quetscht er in seine neunzig vollkommen luftig wirkenden Minuten, darunter Szenen, die nicht nur Hawks, sondern auch seine großen Zeitgenossen von Preston Sturges bis George Cukor hätten neidisch dreinblicken lassen. Man denke etwa an das göttliche "Unterm-Tisch-Meeting", das zerstörte Hotelzimmer, die Verfolgungsjagd, die nebenbei jedem zeitgenössischen Actionfilm zur Ehre gereicht und ganz besonders die wunderbare Szene im Gerichtssaal, die bereits durch den cholerisch jammernden Liam Dunn eine Einleitung sondergleichen erhält. Ein wahrlich phantastischer, formvollendeter Film, der selbst nach dutzendfacher Beschau keinerlei Abnutzungserscheinungen vorweist.

10/10

San Francisco Hommage Screwball New Hollywood Peter Bogdanovich


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L'INCORRIGIBLE (Philippe de Broca/F 1975)


Zitat entfällt.

L'Incorrigible (Der Unverbesserliche) ~ F 1975
Directed By: Philippe de Broca


Kaum dass der Filou, Hochstapler und Trickbetrüger Victor Vauthier (Jean-Paul Belmondo) aus dem Gefängnis entlassen ist, beginnt er gleich von vorn, sich seine krummen Geschäfte aus dem Hemd zu leiern; auf dem Papier verscherbelt er etwa die luxuriöse Stadtvilla seiner Ex-Geliebten (Capucine) und einige Bomber an einen afrikanischen Diktator. Derweil beginnt Victor sich vornehmlich für seine reizende Bewährungshelferin Marie-Charlotte (Geneviève Bujold) zu interessieren, zumal deren Papa (Albert Simono), ein Museumswärter, einen unschätzbar wertvollen El Greco zu bewachen hat...

Ein typischer Belmondo-Spaß des damals "neuen Schlags", in dem der knautschgesichtige Publikumsliebling durch permanente Faxenmachereien glänzt. Die Inszenierung weist ein recht hohes Tempo auf, in dessen Zuge man den diversen Eulenspiegeleien Victor Vauthiers manchmal kaum mehr zu folgen vermag. Wunder vor allem Julien Guiomar als Victors väterlicher Freund und Ex-Knacki Camille, der seinem Mündel zwar große Reden über die Ehrlich- und Sesshaftwerdung hält, dabei aber selbst das denkbar schlechteste Beispiel für derlei Lebensplanung abgibt. In ihren gemeinsamen Szenen bleibt tatsächlich ein Plätzchen für so etwas wie filmische Lyrik, die in den späteren Belmondo-Filmen von Lautner oder Deray kaum mehr gefragt war.
"Der Unverbesserliche" dürfte zudem, wenn mich nicht alles täuscht, die erste in einer langen Ahnenreihe von Rainer-Brandt-Vertonungen sein, in denen Bebel auch die Stimme der Berliner Synchronlegende verehrt bekam. Die Dialoge sind dazu analog von feinster Webart: Die beliebte Brandt-Beleidigung "das Aas" kommt gleich mehrfach zum Zuge, ganz abgesehen von den diversen, in fast unglaublich passender Weise auf das schelmische Grinsen des Hauptdarstellers abgestimmten Verbalkanonaden.

7/10

Heist Jean-Paul Belmondo Philippe de Broca





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