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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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RISKY BUSINESS (Paul Brickman/USA 1983)


"Sometimes you just gotta say 'what the heck'."

Risky Business (Lockere Geschäfte) ~ USA 1983
Directed By: Paul Brickman


Als die Eltern (Nicholas Pryor, Janet Carroll) des künftigen College-Absolventen Joel Goodsen (Tom Cruise) für ein paar Tage in Urlaub fahren und dieser das gepflegte Vorstadthaus für sich allein hat, wartet eine turbulente Zeit auf ihn: Der über Umwege durch Joels Kumpel Miles (Curtis Armstrong) initiierte Kontakt mit dem Callgirl Lana (Rebecca De Mornay), der in einer kurzfristigen Umgestaltung der elterlichen Villa in ein Bordell kulminiert, bedeutet einen harten, aber letztlich lohnenswerten Schritt in Richtung Selbstverantwortung.

Jedes Jahrzehnt hat ja so seine paar repräsentativen Filme; popkulturellen Auswurf, der vermeintlich nur im Gegenwartskontext bestehen kann, dabei aber paradoxerweise nachhaltig die Vorstellung seiner Zeit prägt und sich selbst mit dem Abstand einer halben Ewigkeit noch als seltsam beständig erweist. Wenn unser Planet irgendwann in ferner Zukunft als menschenleere Ödnis vor sich hinvegetiert und ein paar Außerirdische auf der Suche nach Zivilsationsartefakten auf "Risky Business" stoßen, dürften sie ein ziemlich genaues Bild des dann antiken 1983 a.d. bekommen - Brickman führt uns eine Generation auf dem Weg in die materialistische Isolation vor, sozusagen die baldigen Patrick Batemans, die im Gegensatz zu allem schlechter situierten nicht nur das Privileg, sondern zugleich auch die Pflicht aufoktroyiert bekommen haben, zu gnadenlosen Businesstigern zu werden. Was hier, in diesem Chicagoer Villenvorort gelangweilter Managerkinder zählt, ist das reine, pure Erfolgsstreben. Für Joel ist klar: Wenn er nicht nach Princeton geht, werden seine Eltern ihn verstoßen, seine Freunde ihm jeglichen Respekt versagen, seine ganze Zukunft gar wird wertlos werden - all das übrigens wohl nicht ganz zufällig eine treffliche Vorübung für Cruises Scientologen-Fimmel.
In diesen Teufelskreis der gesellschaftlichen Geltungssucht passt selbst die Hure Lana, die Joel schließlich bei seiner Mannwerdung unterstützt, wunderbar hinein: Zwei junge, schöne, zutiefst amoralische Opportunisten auf dem gemeinsamen Weg in den siebenten Kapitalistenhimmel. Egal ob Brickman es beabsichtigt hat oder nicht: Sein mit derart erschreckend oberflächlichen Lebensmodellen kokettierender Film ist auf seine spezifische Weise fast brillant; ein zutiefst entlarvendes, sogar denunziatorisches Zeitporträt, das zudem wunderbar durchgestylt inszeniert ist. Der flächige Score stammt von Tangerine Dream und Phil Collins' unsagbar großes "In The Air Tonight" bekommt seinen ersten von vielen medialen Einsätzen in dieser Dekade.
Unverzichtbares Lernprogramm für Kulturhistoriker.

7/10

Teenager Paul Brickmann Chicago Prostitution Coming of Age


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HEAT (Michael Mann/ USA 1995)


"I don't know how to do anything else." - "Neither do I."

Heat ~ USA 1995
Directed By: Michael Mann


Lt. Vincent Hanna (Al Pacino) vom LAPD gilt als besonders verbissener Ermittler, worunter auch seine Ehe - bereits die dritte - stark zu leiden hat. Als er auf den Profiräuber Neil McCauley (Robert De Niro), Kopf einer straff organisierten Gang, aufmerksam wird, enspinnt sich zwischen den beiden sehr ähnlichen Männern ein Duell, dessen tosende Auswirkungen die Stadt bis in ihre Grundfesten erschüttern.

"Police & thieves in the streets..." falsettierte Junior Murvin in seinem berühmten, von Lee "Scratch" Perry produzierten Reggae-Dub-Klassiker von 1976 und lieferte damit eine eigentlich großartige, textliche Vorlage für Michael Manns opus magnum. Schade, dass das Stück im fertigen Film gar nicht zum Einsatz kommt, es hätte einen zentralen Platz verdient gehabt.
Dieses Remake seines eigenen, sechs Jahre älteren Fernsehfilms "L.A. Takeover" demonstriert wiederum Manns große Könnerschaft: Nicht nur, dass er sich rühmen konnte, die beiden italoamerikanischen Schauspiel-Giganten Pacino und De Niro gemeinsam auf die Leinwand gebracht zu haben, bleibt von "Heat" rückblickend vor allem seine allseitige Perfektion, das minutiöse Vermeiden von schwachen Momenten, ganz so, als sei es darum gegangen, ultimatives Kino zu erschaffen. Dabei steht der Titel des Films im Kontrast zu seinem Wesen. Das wäre nämlich besser mit "Cool" tituliert worden.
Was an "Heat" so gefällt, ist sein blindes Vertrauen in Bilder und Stimmungen; Worte, Dialoge, Verbales erscheinen fast unwichtig angesichts seiner alles überwältigenden Visualität. Auch hängt der Film noch deutlich an der Vordekade und führt vor Augen, dass Mann eigentlich ein ewiges Kind der Achtziger ist. Und was das Duell Pacino - De Niro anbelangt? Entscheidet nach meinem Dafürhalten klar zweiterer für sich. Nicht nur, dass McCauley durch seinen lauernden, schweigsamen und fast durchweg besonnenen, klar an klassischen Melville-Gestalten orientierter Charakter als klar Überlegener der Rivalen dasteht, geht mir Pacinos luzides, offensiv-bekokstes Gestikulieren und Fingergeschnippe zuweilen schon fast auf den Zeiger. Wenn, das Ende ist ja bekannt, in einer besseren Welt stets der Cop als Gewinner aus dem ewigen Spiel Gut gegen Böse hervorgehen muss, dann hätte ich mir zumindest dieses eine Mal eine schlechte herbeigewünscht. Wenn McCauley, die schöne Amy Brenneman an seiner Seite, am Ende doch noch die scharfe Kehre zugunsten seiner dummen Rache macht, rutscht mir jedesmal wieder das Herz in die Hose. Dieser... Idiot.

9/10

Los Angeles Michael Mann Remake Heist Duell


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OUT OF AFRICA (Sydney Pollack/USA 1985)


"I had a farm in Africa."

Out Of Africa (Jenseits von Afrika) ~ USA 1986
Directed By: Sydney Pollack


Im Jahre 1913 emigriegrt die abenteuerlustige Dänin Karen Dinesen (Meryl Streep) zusammen mit dem Lebemann Baron von Blixen (Klaus Maria Brandauer) nach Kenia, um ihn dort zu heiraten und mit ihm eine Manufaktur aufzuziehen. Das Leben in der Fremde erweist sich als gleichermaßen faszinierend und schwierig: Blixen überrumpelt Karen mit der Idee, eine Kaffeeplantage statt der geplanten Molkerei aufzuziehen und interessiert sich wesentlich mehr für Safaris und andere Frauen als für die Sesshaftwerdung. Später, die Folgen des Ersten Weltkriegs sind bis in Afrika spürbar, hängt er ihr als Folge seiner amourösen Abenteuer gar die Syphilis an. Dennoch verliebt sich die selbstbewusste Frau ungebrochen in Land, Leute und insbesondere in den Abenteurer Denys Finch-Hatton (Robert Redford).

Seit sage und schreibe viereinhalb Jahren der erste Film, den ich mir im Fernsehen angesehen habe (gerade nachgeschaut, der letzte war "Bad News Bears" im September 05 - auch dafür ist ein lückenlos geführtes FTB gut), und das noch dazu völlig ungeplant. Meine werte Frau Mutter, bei der ich gestern mittag gastierte, treuer Fan von Schmonzetten wie dieser, bestand kurzerhand auf der TV-Beschau und da ich eine Komplettbetrachtung von "Out Of Africa" bislang erfolgreich vermieden, dies jedoch zugleich stets als latente Bildungslücke erachtet hatte, fügte ich mich kurzentschlossen.
Und - was soll ich sagen - ich muss doch einräumen, dass Pollacks Frauenepos mich tatsächlich vereinnahmen konnte, zumindest für die Länge seiner immerhin stattlichen Spielzeit. "Out Of Africa" gibt ja noch immer ein treffliches Beispiel ab für den streng kalkulierten Oscar-Erfolg: Historizität, Biographisches, Meryl Streep (als starke und gebildete Frau selbstverständlich), epische Bilder, John-Barry-Musik. Ich lasse mich ja zugegebenermaßen manchmal ganz gern ein auf derlei kulturelle Bauernfängerei, so sie denn zumindest so gefällig-hübsch arrangiert ist wie in diesem Fall. Außerdem halte ich Brandauer für den verdammt noch mal größten lebenden österreichischen Schauspieler, Waltz hin oder her.

7/10

Biopic Plantage Kolonialismus Afrika WWI Sydney Pollack Historie Best Picture Großkatzen


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THE BEACH (Danny Boyle/UK, USA 2000)


"No offence at all - but you're fucked in the head, right?"

The Beach ~ UK/USA 2000
Directed By: Danny Boyle


Der amerikanische Rucksacktourist Richard (Leonardo DiCaprio) sucht die 'wahre Exotik', abseits von den großflächig frequentierten Tourizentren und dem, was all die anderen so im Urlaub tun. In Bangkok trifft er auf den seltsamen Daffy (Robert Carlyle), der Richard eine Karte anvertraut, die den Weg zum angeblich schönsten Strand der Welt auf einer kleinen Insel im Golf von Thailand weisen soll. Zusammen mit dem französischen Paar Françoise (Virginie Ledoyen) und Étienne (Guillaume Canet) reist Richard zu besagtem Strand und findet dort neben schwerbewaffneten einheimischen Marihuanabauern eine hermetische New-Age-Kommune vor, die sämtlichen problematischen Lebensfragen abgeschworen hat.

Ein von seiner verführerischen Oberfläche abgesehen eigenartig leerer Film, der sich pausenlos mit Fragen und Diskursen abgibt, die mich einfach nicht interessieren und mich deshalb mutmaßlich auch nicht erreichen konnten. Reduziert formuliert geht es wie bereits in Alex Garlands Romanvorlage wohl um die Unvereinbarkeit von abendländischer Zivilisation und unberührten Naturarealen. Das selbstgeschaffene, vermeintliche Paradies wird nach und nach zum lebensfeindlichen Abgrund, den im Falle "The Beach" ausgerechnet der "Held" initiiert wie den Ausbruch eines hochinfektiösen Virus. Unbedacht reicht er vor seiner eigenen Ankunft eine Kopie der geheimen Karte weiter und beschwört damit vier Morde sowie mittelfristig das Zerbrechen der Inselkommune herauf, fordert durch die Tötung eines Babyhais den Zorn der Natur heraus und sorgt für beziehungsfeindlichen Lug und Trug. Boyle erweist sich als formvollendeter Ästhet, der in diesem Falle aber ebensogut einen Urlaubskatalog hätte illustrieren können - seine mikrokosmische Apokalypse jedenfalls juckt letzten Endes keinen, weil die von ihr Betroffenen irgendwie sowieso allesamt Arschlöcher sind.
Man fühlt sich an mitunter wesentlich Besseres im Kino erinnert; an "Hell In The Pacific" etwa, an "Apocalypse Now", "Long Weekend" oder den erst kurz zuvor entstandenen "The Thin Red Line", die allesamt ebenfalls den Pazifikraum zur infernalen Zone deklarierten, nur, dass sie den Schneid hatten, ihre topografische Metaphysik mit echten Figuren zu exerzieren und nicht bloß mit deren schönen Abziehbildern.

5/10

Tourismus Parabel Danny Boyle Thailand Marihuana Drogen Haiangriff Bangkok Alex Garland Subkultur


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A LIFE LESS ORDINARY (Danny Boyle/UK, USA 1996)


"Right, you daughter! I have your asshole here!"

A Life Less Ordinary (Lebe lieber ungewöhnlich) ~ UK/USA 1996
Directed By: Danny Boyle


Die Engel Jackson (Delroy Lindo) und O'Reilly (Holly Hunter) erhalten von ihrem Boss Gabriel (Dan Hedaya) den Auftrag, die beiden ungleichen Individuen Robert Lewis (Ewan McGregor) und Celine Naville (Cameron Diaz) zu verkuppeln. Dabei sieht zunächst alles danach aus als wäre dies unmöglich: Robert ist eine arbeits- und mittellose Reinigungskraft, Celine die verwöhnte Tochter eines millionenschweren Industriellen (Ian Holm). Zudem nimmt Robert Celine als Geisel, um ihren Vater zu erpressen. Jackson und O'Reilly lassen sich von diesem anheuern, um mehr Einfluss auf das Geschehen zu erhalten, doch stellen sie sich kaum weniger dämlich an als ihre Zielobjekte.

Nach dem gewaltigen filmischen Rundumschlag "Trainspotting" war wohl ein gewisses kreatives Loch für Danny Boyle unumgänglich. Der umfassende Erfolg seiner letzten Arbeit bescherte dem Regisseur zwar einen Dreh in den Staaten und eine prominente Besetzung, dafür haperte es jedoch etwas mit der Tragfähigkeit der erzählten Geschichte. "A Life Less Ordinary" taumelt der willkürlichen und in den allermeisten Fällen nicht gekonnten Pseudoexzentrik hinterher, die das weltweite "Independent"-Kino (das diese Bezeichnung eigentlich kaum mehr verdiente) im Tarantino-Gefolge infizierte. Im Klartext heißt das: Eine tolldreiste Romanze, eine gutes Pfund criminal craziness, ein paar glänzende Handfeuerwaffen und ein paar makabre Gewaltspitzen, gekoppelt mit einer schicken visuellen Umsetzung und einem hippen Soundtrack. Nun, allein letzterer war im Falle "Trainspotting" um Einiges sorgsamer kompiliert und auch der Rest schrappt ziemlich häufig recht knapp an der Nervigkeitsgrenze vorbei. Ein weniger talentierter Regisseur hätte damit auch schallend auf die Schnauze fallen können. So aber ist "A Life Less Ordinary" eben ein weithin müßiges Zeitprodukt, ganz nett, de facto aber nurmehr aus Komplettierungsgründen brauchbar.

5/10

Engel Danny Boyle Schwarze Komödie


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DE VIERDE MAN (Paul Verhoeven/NL 1983)


Zitat entfällt.

De Vierde Man (Der vierte Mann) ~ NL 1983
Directed By: Paul Verhoeven


Der stark dem Alkohol zugeneigte, bisexuelle Autor Gerard Reve (Jeroen Krabbé) erhält eine Einladung zu einem Vortrag vor einer Gruppe Literaturfreunde. Schon auf dem Weg dorthin wird er von seltsamen Visionen geplagt. Im Publikum fällt ihm dann eine Frau mit Filmkamera auf, die schöne Christine (Renée Soutendijik). Die beiden beginnen eine stürmische Liaison. Christine verwöhnt Gerard nach allen Regeln der Kunst, doch er beginnt sich nichtsdestotrotz bald mehr für seinen Nebenbuhler Herman (Thom Hoffman) zu interessieren. Durch Zufall findet Gerard heraus, dass Christine bereits dreifache Witwe ist und verfällt immer mehr dem Wahn, sie sei eine Art 'schwarze Witwe', die den Tod ihrer Liebhaber herbeiführt. Doch wer ist der vierte Mann - Herman oder Gerard?

Mit "De Vierde Man", seinem letzten für Rob Houwer gedrehten und in Holland entstandenen Film konnte Verhoeven den dringend benötigten Werks-Quantensprung verzeichnen. Ein vexierspielhafter Thriller war das Resultat, der sich in zahlreichen Momenten an das übermächtige Vorbild Hitchcock anlehnte und bis zum Schluss die dräuende Frage danach unbeantwortet lässt, ob Christine tatsächlich jene Hexe ist, die Gerard in ihr wähnt, oder ob alles bloß eine Zwangsvorstellung seiner ubiquitären Imagination zwischen sakraler Symbolik und Teufelsspuk ist. Verhoeven ließ diese albtraumhafte Geschichte von seinem dp Jan De Bont in bedeutungsvolle, starke Bilder kleiden und trieb seinen Protagonisten zu Höchstleistungen. Man registriert unweigerlich: Holland ist nunmehr zu klein für diesen Mann. Dass der rote Teppich der Studiohofierung bald darauf ausgerollt werden sollte, musste ergo lediglich eine Zeitfrage sein.

8/10

Madness femme fatale Paul Verhoeven Dreiecksbeziehung Literatur Amour fou


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SPETTERS (Paul Verhoeven/NL 1979)


Zitat entfällt.

Spetters ~ NL 1980
Directed By: Paul Verhoeven


Der geordnete Alltag der drei Provinzfreunde und Motocross-Fans Rien (Hans van Tongeren), Eef (Toon Agterberg) und Hans (Maarten Spanjer) gerät durcheinander, als sie bei einem Rennen die selbstbewusste Pommesbraterin Frietje (Renée Soutendijk) und ihren Bruder Jaap (Peter Tuinman) kennenlernen. Für sie alle bedeutet Frietjes und Jaaps Auftauchen indirekt oder direkt eine existenzielle Zäsur. Rien hat einen furchtbaren Unfall, Eef bekennt sich endlich offen zu seiner Homosexualität und Hans muss einsehen, dass es Zeit wird, sich endlich aus gewissen übermächtigen Schatten zu lösen.

"Spetters", den Verhoeven ausnahmsweise nicht für seinen bisherigen Stammproduzenten Rob Houwer machte, schien den Regisseur vor eine ähnliche Entscheidung zu stellen wie Hans: Weiter im Jugendmilieu verweilen und sich um Selbstfindungsgeschichten von Halbstarken kümmern oder einsehen, dass dazu bereits alles Wesentliche gesagt wurde und sich "erwachseneren" Themen zuwenden. Vielleicht spürte Verhoeven dieses Drängen sogar schon während der Entstehungszeit von "Spetters", denn der Film wirkt, zumindest in Teilen, nicht mehr so ambitioniert wie vorhergehende Arbeiten. Die schon üblichen Protestreaktionen kamen diesmal aufgrund einiger weniger expliziter Bilder, die die Grenzüberschreitung zur Pornographie hinter sich ließen - einer der ersten offensiven Einbrüche sexueller Darstellungen in den Mainstream bzw. ein klares Signal des Arrangements, wie sie eine ganze Zeit später von RegisseurInnen wie Breillat und Winterbottom ähnlich unverkrampft und mit noch deutlicherer Signalstärke übernommen werden sollten. Das hievt den Film aber auch nicht in die qualitativen Bereiche von "Turks Fruit" oder "Soldaat Van Oraanje". Am Besten an "Spetters" gefällt mir ehtrlich geagt der Einsatz der häufig und wie beiläufig im Hintergrund gespielten, zeitgenössischen Popmusik, die wunderbar den Übergang zwischen Punk und Disco illustriert. Könnte man mit ein bisschen Phantasie sogar als symptomatisch für Verhoevens kreatives Dilemma betrachten.

6/10

Teenager Freundschaft Skandalfilm Paul Verhoeven Coming of Age


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SOLDAAT VAN ORANJE (Paul Verhoeven/NL 1977)


"It was just a decision of fingers."

Soldat van Oranje (Soldiers) ~ NL 1977
Directed By: Paul Verhoeven


Amsterdam, 1939: Mit Kriegsbeginn driften die Lebenswege der sieben Studienfreunde Erik (Rutger Hauer), Guus (Jeroen Krabbé), Nico (Lex van Delden), Alex (Derek de Lint), Jan (Huib Rooymans), Jack (Dolf de Vries) und Robby (Eddy Habema) unweigerlich auseinander. Während Jack von den politischen Ereignissen weithin unbeeindruckt und stetig neutral bleibt, treten die Lebemänner Erik und Guus zusammen mit Nico und Robby in den nationalen Widerstand ein. Jan ist Jude und kämpft zunächst in der holländischen Armee, wird jedoch von der Kollaborationsregierung Musserts verraten und ermordet. Alex hingegen schlägt den Weg des überzeugten Nazis ein und wird Mitglied der Waffen-SS. Als man Robbys Funkeraktivitäten gewahr wird, erpresst man ihn mit der drohenden Deportation seiner jüdischen Verlobten (Belinda Meuldijk). Robby wird zum Verräter an der Sache. Erik und Guus fliehen nach England und arbeiten künftig als Spione im unmittelbaren Auftrag von Königin Wilhelmina (Andrea Domburg). Erik tritt nach Guus' Tod in die Royal Air Force ein und kehrt nach Beendigung des Krieges als Held und persönlicher Adjutant der Königin in deren Gefolge in die Niederlande zurück.

Verhoevens bis heute größtes Epos umfasst eine zeitliche Spanne von sieben Jahren und ist bereits ein deutliches Symbol für die Ambitionen des Regisseurs, im großen Stil in Hollywood zu arbeiten. Verhoeven wendete sich ab vom eher rotzigen, intimen und sehr persönlich gefärbten Stil seiner beiden letzten Filme und getraute sich, ein großes, prestigeträchtiges Nationalepos über die Rolle der Niederlande während des Zweiten Weltkriegs zu inszenieren, das den zum damaligen Zeitpunkt mit Abstand teuersten holländischen Film überhaupt markierte. Sich vor dem klassischen Emotionsrepertoire des Kintopp nicht scheuend, geriert sich "Soldat van Oranje" ungewohnt großatmig: Über existenzielle Standpunktentscheidungen im Angesicht der nationalen Dämmerstunde geht es, um Schuld, Sühne, Verrat, Liebe und Betrug, also praktisch die großen Beweggründe der Weltliteratur.
Nun lässt sich retrospektiv sicher trefflich darüber diskutieren, ob dies überhaupt ein Stoff ist oder war, der sich für einen Regisseur wie Verhoeven anbietet, dessen Chancen und Sternstunden doch stets eher in der spitzen Satire und im kleinbürgerlichen Tabubruch liegen. Als Experiment, das der Film über die Jahre letztlich auch geblieben ist ("Zwartboek" sollte später genau jene Lücken schließen, die hier noch klafften), ist "Soldaat van Oranje" in jedem Fall dank- und goutierbar; als bloßes Kriegsdrama, losgelöst von den Umtrieben seines Regisseurs, präsentiert er sich darüberhinaus als von unbestreitbar überdurchschnittlicher Qualität.

7/10

Widerstand Amsterdam Nationalsozialismus Freundschaft Paul Verhoeven WWII


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KEETJE TIPPEL (Paul Verhoeven/NL 1975)


Zitat entfällt.

Keetje Tippel (Das Mädchen Keetje Tippel) ~ NL 1975
Directed By: Paul Verhoeven


Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zieht die Familie Oldema im Angesicht des sozialen Elends von Friesland nach Amsterdam. Das Stadtleben verspricht Arbeit, Geld und vor allem zu essen. Doch die Verhältnisse erweisen sich nach wie vor als schwierig: Ungebildete Arbeiter wie der Vater (Jan Blaaser) werden für Hungerlöhne beschäftigt und ausgebeutet, Keetje (Monique van de Ven), die zweitälteste Tochter, indes reißt als junges, attraktives Mädchen zahlreiche gesellschaftlich höhergestellte Herren zu unfeinen Angeboten hin. Schließlich geht sie den folgerichtigsten Weg und wird Hure. Bald entdeckt sie dann der Maler George (Peter Faber) und führt sie ein in die Bohème der Grachtenstadt. Eine kurze Liaison mit dem Bankier Hugo (Ruther Hauer) endet so nüchtern und stürmisch, wie sie begonnen hat. Schließlich landet Keetje in den glücklichen Armen des unkoneventionellen klassenkämpferischen Aristokraten Andre (Eddie Brugman).

Ein auf der autobiographisch gefärbten Schrift "Jours De Famine Et De Détresse" der legendären Kokotte und späteren Klassenkämpferin Neel Doff basierendes Sittengemälde Hollands zum Fin de siècle. Wie bereits in "Turks Fruit" verzichtet Verhoeven auf eine pathetische oder melodramatische Sicht der Dinge, sondern bevorzugt eine nüchterne Darstellung der zeitgenössischen Ist-Verhältnisse, die sich einzig durch unerschütterlichen Optimismus und das passende Durchbeißungsvermögen verändern ließen. Andererseits interessiert sich "Keetje Tippel" auch für den Widerspruch zwischen materiellem Vermögen und Charakterstärke. Verhoeven sparte es jedoch bewusst aus, noch mehr als die letztlich nurmehr rudimentär vorhandenen politischen Implikationen zu zeigen. Keetje als Kind sozialer Missstände wird wie viele andere ihrer LeidensgenossInnen als "Rote" geoutet, singt die Marseillaise aber, wie sie selbst auch ganz offen zugibt, nur so inbrünstig mit, weil ihr der Magen knurrt und nicht etwa, weil sie mit marxistischen Pamphleten vertraut wäre. "Geld macht Menschen zu Arschlöchern", stellt sie gegen Ende fest. Wie wahr.

7/10

Fin de Siècle Klassenkampf Amsterdam Sittengemaelde Paul Verhoeven period piece Biopic Prostitution Historie Kunst


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TURKS FRUIT (Paul Verhoeven/NL 1973)


Zitat entfällt.

Turks Fruit (Türkische Früchte) ~ NL 1973
Directed By: Paul Verhoeven


Erik (Rutger Hauer), ein selbstsüchtiger, junger Amsterdamer Bohèmien, lernt eines Tages die Kaufmannstochter Olga (Monique van de Ven) kennen. Man verliebt sich Hals über Kopf ineinander und heiratet entgegen aller Konventionen, nur um irgendwann feststellen zu müssen, dass die unterschiedlichen Existenzansätze der beiden doch nicht miteinander vereinbar sind. Erik weigert sich zwar, Olga einfach so aufzugeben, doch die übermächtige Autorität ihrer dämonischen Mutter (Tonny Huurdeman) obsiegt am Ende. Erik ist am Boden zerstört. Als er, innerlich und emotional gereift, Olga nach ein paar Monaten wiedertrifft, hat sie wegen eines Hirntumors nur noch wenige Tage zu leben.

In seinem zweiten Spielfilm nach dem leider eher selten anzutreffenden "Wat Zien Ik" wagt Verhoeven einen radikalen Gegenentwurf zu etabliertem Hollywoodkitsch wie "Love Story" - weitgehend unsentimental erzählt er den Reifeprozess eines jungen Wilden, der morbiderweise erst über den Tod seiner Geliebten hinaus erwachsen zu werden und ein verantwortungvolles Leben zu führen imstande ist. Am Anfang besitzt Erik noch den Habitus eines typischen rotznäsigen Künstlers, dem die Missachtung jeglicher Sozialkonventionen über alles geht. Die Liebe zu Olga kann diese Position nicht schmälern, wobei sie anfänglich noch auf seinen unstillbaren Sexhunger eingeht und sich seine teils derben, geschmacklosen Scherze gefallen lässt. Die Zäsur folgt an einem Abend im chinesischen Restaurant: Olga, ihre Mutter und deren provinzielle Freunde amüsieren sich nach einigen Gläsern in widerwärtigst-biederer Schunkelmanier, was Erik mit einem gewaltigen Kotzanfall bei Tisch quittiert - bis heute eine der stärksten Szenen im kompletten Schaffen Verhoevens. Es folgt noch eine räsonierende Ohrfeige, und die Liaison bis auf weiteres beendet. Die Beziehung, so wie sie eigentlich sein soll, von Aufopferung und Zärtlichkeit geprägt, findet dann tragischerweise erst ihren rechten Platz, als sich der Tod bereits seinen Weg bahnt.
"Turks Fruit" galt damals als Skandalfilm, wegen diverser unerhört tabuloser Szenen, die ich hier jetzt gar nicht groß aufzuzählen gedenke. Letztlich besaß Verhoeven schon damals das, was ihm auch später noch den Ruf eines enfant terrible eintrug: Den Mut, bestimmte Dinge, die es verdienen, beim Namen zu nennen und sie nicht wie die meisten seiner Kollegen in großflächig tolerierte Symbolismen, sondern in eine so vitale wie aufrichtige Bildsprache zu kleiden.

8/10

Coming of Age Paul Verhoeven Skandalfilm Amsterdam Amour fou Kunst





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