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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE GIRL CAN'T HELP IT (Frank Tashlin/USA 1956)


"Ask my agent."

The Girl Can't Help it (Schlagerpiraten) ~ USA 1956
Directed By: Frank Tashlin


In dem abgehalfterten und versoffenen Schlagerstar-Agenten Tom Miller (Tom Ewell) wittert der höchstselbst abgehalfterte Gangsterkönig Fats Murdock (Edmond O'Brien) eine Chance zur Reüssierung: Tom soll die Sexbombe Jerri Jordan (Jayne Mansfield) managen und in der Musikszene ganz groß herausbringen, bevor Fats sie dann zu ehelichen gedenkt. Jerri jedoch interessiert sich mitnichten für eine Karriere als Rock 'n' Roll-Sternchen; sie träumt von einem gesetzten Familienleben als Mutter und Herdheimchen. Tom würde ihr diesen Wunsch mit sich selbst als Zukünftigem nur allzu gern erfüllen, doch Fats hat eine Menge dagegen.

Der große Komödienregisseur und Jerry-Lewis-Mentor Frank Tashlin stellte in den Jahren 56/57 zwei köstliche Mansfield-Vehikel in Scope und DeLuxe für die Fox her, die auf wundersame Weise zugleich Prestigeobjekte fürs Studios und bissige Showbiz-Satiren wurden und beide zu Tashlins schönsten Filmen zählen. Tom Ewell, von Billy Wilder bereits für "The Seven Year Itch" als Inbegriff des kopfschlawinernden, dabei harmlos-ängstlichen all american man entdeckt und entsprechend veredelt, muss sein Spiel aus diesem Klassiker nur in Nuancen variieren. Angesichts seiner ersten Begegnung mit der Mansfield hängt ihm (wie allen anderen Männern im Film auch) die Zunge bis zum Boden und es dauert ziemlich lange, bis der vormalige Verlierer endlich seinen Heldenkern entdeckt und seine innigsten Wünsche durchzusetzen in der Lage ist. In erster Linie bietet "The Girl Can't Help It" jedoch eine Plattform für diverse der damals unter den Jugendlichen angesagten Rock 'n' Roll- und Schlager-Acts, darunter Fats Dominoe, Gene Vincent, Julie London, Eddie Cochran, die Platters und natürlich den Titelsongstifter Little Richard, die allesamt mit Live-Auftritten glänzten und so ihr Öffentlichkeits-Image vertiefen konnten. Dabei springt Tashlin keinesfalls freundlich mit ihnen um; im Gegenteil lässt er ziemlich verächtlich durchblicken, dass er die ganze neue Hit-Baggage für einen ziemlich untalentierten Haufen und dessen picklige Fangemeinde für geistesentrückte teenage zombies hält. Aber weil das Ganze eben von einem Spaßvogel und sehr lustig inszeniert híst, hat's ihm niemand übel genommen. Im Gegenteil amüsieren sich offensichtlich alle Beteiligten und sind sichtlich zufrieden mit dem bunten Happening, an dem sie mitwirken dürfen.

8/10

Rock 'n' Roll New York Musik Frank Tashlin Satire


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AN AFFAIR TO REMEMBER (Leo McCarey/USA 1957)


"Winter must be cold for those with no warm memories... we've already missed the spring."

An Affair To Remember (Die große Liebe meines Lebens) ~ USA 1957
Directed By: Leo McCarey


Auf der 'Constitution', einem Luxusliner von Europa nach New York lernen sich der berüchtigte Jet-Set-Playboy Nickie Ferrante (Cary Grant), soeben im Begriff zu heiraten, und Terry McKay (Deborah Kerr), Geliebte eines Finanztycoons (Richard Denning), kennen und lieben. In Manhattan angekommen schwören sie sich, ihre Leben innerhalb von sechs Monaten in Ordnung zu bringen und sich dann auf dem Dach des Empire State Building zu treffen. Ein Autounfall ausgerechnet am Stichtag durchkreuzt jedoch Terrys Pläne und Nickie wartet umsonst auf sie. Terry landet fürs Erste im Rollstuhl und weigert sich beharrlich, Nickie eine Nachricht über ihren Zustand zukommen zu lassen. Erst ein halbes Jahr später erfährt der sich enttäuscht Wähnende, zusätzlich geläutert durch weitere persönliche Schicksalsschläge, die Wahrheit.

Zugleich Remake eines von McCareys eigenen Filmen ("Love Affair") und eines von Hollywoods klassischsten Herzschmerz-Dramen, so wunderbar und formvollendet inszeniert, dass, wäre die witzige erste Hälfte nicht, sie auch einem Douglas Sirk alle Ehre gemacht hätte. Charmeur Cary Grant jedoch in einem bloßen Melodrama zu "verheizen" war für die Fox undenkbar und so lässt die vordere Halbzeit von "An Affair To Remember" dem stets penibelst Geschniegelten allerlei Freiraum für witzige Auftritte, Improvisationen und Comedy. Erst im zwoten Kapitel, als die brutale Realität Nickie Ferrante gleich auf mehrerlei Weise auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert, muss Grant endlich auch mal ein langes Gesicht ziehen, was ihm, nebenbei, zwar nicht sonderlich gut steht, er aber gebührend professionell zu meistern bewerkstelligt. Scope und Technicolor scheinen wie gemacht für diesen wunderbar schmalzigen Romantikkitsch (oder umgekehrt), der nebst einer weisen, französischen Großmaman (Cathleen Nesbitt) beispiellos selbstbewusst auch vor der Präsentation eines Sangeschors benachteiligter Kinder nicht zurückschreckt. Prächtig.

8/10

Schiff Remake Leo McCarey New York


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DIE FÄLSCHUNG (Volker Schlöndorff/BRD, F 1981)


"In Beirut bleibt man besser nirgends länger stehen."

Die Fälschung ~ BRD/F 1981
Directed By: Volker Schlöndorff


Der Hamburger Journalist Georg Laschen (Bruno Ganz) flieht vor seiner kriselnden Ehe in den Libanon, um direkt aus Beirut vom Irrsinn des Bürgerkriegs zu berichten. Zwischen den Polen Ratlosigkeit und Faszination umherirrend lernt er die Witwe Ariane Nasser kennen und lieben, die sich auf seltsame Weise mit der Situation in der Stadt arrangiert hat und statt zu resignieren alles tut, um ein vitales Lebenszeichen inmitten des fortschreitenden Vernunftzerfalls zu setzen. Als Laschen erkennt, dass Ariane mittlerweile stärker von der Landeskultur assimiliert wurde, als er zunächst wahrhaben wollte, wählt er selbst die Ratio und kehrt zu seiner Ursprungsexistenz und Familie nach Deutschland zurück - im Libanon hat sich derweil nichts verändert.

Der Dreh von "Die Fälschung" verlief dem Vernehmen nach deutlich spektakulärer als der ruhige Film sich letzten Endes päsentiert: Mit seinem Produktionsleiter Eberhard Junkersdorf entschied sich Schlöndorff, vor Ort zu filmen, in der zu diesem Zeitpunkt unter einem heillos chaotischen Dauerbeschuss stehenden City von Beirut, in dem die vielen unterschiedlichen Milizen sich abwechselnd so rasch fraternisierten und wieder entzweiten, dass die Situation für Außenstehende und erst recht für regionale Fremdlinge nahezu komplett undurchschaubar blieb. Einzig die drei Hauptparteien der Syrer, der Maroniten und der PLO schälten sich deutlich heraus; die diversen weiteren, von unterschiedlichsten internationalen Interessengruppen finanzierten Clans und Sippen kochten jeweils ihre eigenen Süppchen. Schlöndorff berichtet heute recht gelassen von diesem Arbeitsabenteuer, zumal die Dreharbeiten, bis auf eine kurzzeitige Entführung Junkersdorfs durch eine Miliz, die den Deutschen mutmaßlich für einen israelischen Spion hielt, weitgehend abgesegnet und unbehelligt blieben.
Was den Film abseits von seiner für diese Zeit wohl typischen deutschen Emotionsakese so großartig macht, ist tatsächlich dessen Status als einzigartiges Zeitdokument eines regierungslosen, in der Anarchie erstarrten Landes, in dem Banken und Hochfinanz die letzte noch vorhandene Autorität stellten. Der unbeteiligt erscheinende, tatsächlich aber von einem tiefen inneren Brodeln erfasste Georg Laschen wird für den im Alltagstrott dahinlebenden Abendländer zum Medium und Fenster in eine Krisenregion ohne mittelfristige Besserungsaussichten.
"Die Fälschung" ist der einzige Spielfilm, der während des Bürgerkriegs vor Ort im Libanon gedreht wurde; die während dieser Jahre teils gern im Nahen Osten angesiedelten Actionfilme aus Hollywood entstanden, zumal keine Versicherungsgesellschaft für anderes gerade gestanden hätte, derweil auf verhältnismäßig sicherem Terrain in Israel. Ein waghalsiges Stück Film also, das die Beschäftigung mit sich reich entlohnt.

8/10

Volker Schloendorff Nahost-Konflikt Journalismus


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DELLAMORTE DELLAMORE (Michele Soavi/I, F, D 1994)


"I'd give my life to be dead."

Dellamorte Dellamore ~ I/F/D 1994
Directed By: Michele Soavi


Francesco Dellamorte (Rupert Everett) ist der Friedhofswärter von Buffalora, einem pittoresken norditalienischen Städtchen. Zusammen mit seinem debilen Gärtner Gnaghi (François Hadji-Lazaro) trägt er Sorge dafür, dass Grabsteine, Totenacker und Gebeinehaus stets tadellos in Schuss bleiben, doch damit nicht genug - auf diesem Friedhof, über dessen Tor groß der Schriftzug 'Resurrectus' prangt, pflegen die Toten nämlich spätestens sieben Tage nach ihrer Bestattung als Zombies wiederzukehren, was eine neuerliche Entsorgung nötig macht - nach der Zerstörung des Gehirns, versteht sich. Als Francesco sich in eine schöne, namenlose Witwe (Anna Falchi) verliebt, bekommt sein Leben eine seltsame Wendung...

Die Erkenntnis, dass wir letzten Endes alle bloß in unserer höchstpersönlichen Schneekugel leben, die von Zeit zu Zeit mal ordentlich durchgeschüttelt wird, muss so niederschmetternd nicht sein. Mit "Dellamorte Dellamore" gelang Michele Soavi jedenfalls einer der seltsamsten und schönsten Horrorfilme des letzten Jahrzehnts. Fragen an den Film zu stellen ist völlig redundant, denn in schönster Konventionsmissachtung kettet der Regisseur magische Bilder von immenser lyrischer Kraft aneinander, deren Bedeutung sich jedoch, einer Asssoziationskette gleich, höchstens kurzfristig und bestenfalls als Gedankenhauch niederschlägt: Film als Traum. Physikalische Gesetze oder gar solche der Logik haben hier keinerlei Bedeutung; Soavis Film steht ohnehin viel deutlicher in der Tradition von Buñuels Spätwerk und natürlich Giraults "La Soupe Aux Choux" als in der Romeros oder gar Soavis eigener Landsleute Fulci oder meinetwegen Lamberto Bava und Argento.
"Dellamorte Dellamore", dessen bezaubernder Titel bereits hinreichend über die ewige existenzielle Dualität von Tod und Liebe plaudert, lapidar als 'Zombiefilm' zu bezeichnen, käme ergo fast einer Majestätsbeleidigung gleich. Andererseits liegt hier in der Tat der große Ausnahme-Zombiefilm vor, einer, den man guten Gewissens selbst baskenmützenbewährten, selbsternannten Kunstliebhabern im Programmkino vorführen könnte.

9/10

Italien Zombies Surealismus Michele Soavi Splatter


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DER FANGSCHUSS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1976)


"Ich bin kein Mann für Sie."

Der Fangschuss ~ BRD/F 1976
Directed By: Volker Schlöndorff


Das Baltikum im Winter 18/19: Zwar ist der Erste Weltkrieg vorbei, für die die Weißarmisten unterstützenden deutschen Freikorpsler wie den verbissenen Offizier von Lohmond (Matthias Habich) jedoch steht der Kampf gegen die aus dem Osten voranschwemmenden Bolschewiken-Welle nach wie vor im Lebensmittelpunkt. Mit dem Herrensitz der Familie de Reval findet man ein noch bestehendes Bollwerk vor. Die mit den Roten liebäugelnde Hausherrin Sophie de Reval (Margarethe von Trotta), Schwester von von Lohmonds bestem Freund Conrad (Rüdiger Kirschstein), verliebt sich hingebungsvoll in den gefühlskalt scheinenden Soldaten - ohne erkennbare Wechselbekundung. Im Gegenteil versagt jedes noch so widersinnig scheinende Mittel, von Lohmond näherzukommen. Am Ende stehen er und sie sich endgültig auch als politische Kontrahenten gegenüber.

Eine von Schlöndorffs diversen Literaturadaptionen, diesmal nach einem Roman der französischen Literatin Marguerite Yourcenar, dessen Originaltitel "Le Coup De Grâce" adäquater übersetzt worden wäre mit "Der Gnadenschuss" - doch die Namensvergabe war ja allein durch die längst geschehene deutschsprachige Übersetzung bereits installiert und etabliert. Dem Zeitkolorit und der Kälte des handlungstragenden Winters geschuldet wurde "Der Fangschuss" in schwarzweiß abgelichtet. Er enthält mit seinen unnachgiebigen, harten Kontrasten einige der schönsten und ästhetisch herausragendsten Bilder, die ich bisher bei Schlöndorff gesehen habe; zudem ergänzen sich die kompositorische Brillanz und die der Geschichte innewohnende, emotionale Orientierungslosigkeit perfekt.
Die letzte Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Margarethe von Trotta markiert, wie ich finde, einen in seiner überwältigenden Tristesse und Theatralik exzellentesten Filme des Regisseurs, der als Verfilmung historischer Literatur in seiner Filmographie zudem eine wichtige Entwicklungsposition einnehmen dürfte - "Die Blechtrommel" meint man bereits am Horizont erschnuppern zu können.

9/10

Baltikum Schnee WWI Russische Revolution Volker Schlöndorff Homosexualitaet


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DIE MORAL DER RUTH HALBFASS (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Wenn Frauen nicht mehr weiterwissen, gehen sie zum Friseur."

Die Moral der Ruth Halbfass ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Affäre mit dem bildungsbeflissenen Lehrer Vogelsang (Helmut Griem) bedeutet für die Managerehefrau Ruth Halbfass (Senta Berger) eine Möglichkeit zur Flucht aus ihrem Alltag, in dem sie lediglich eine unbedeutende Rolle als Gattin und Mutter spielt und in dem für Selbstverwirklichungsambitionen kein Platz herrscht. Andererseits fehlt es Ruth selbst an der nötigen Chuzpe, einen radikalen Strich unter ihr bequemes Bourgeoisieleben zu ziehen und ganz von vorn anzufangen. Zunächst sieht es so aus, als würde der Zufall ihr und ihrem Liebhaber ins Kontor spielen, doch das Schicksal bleibt unnachgiebig.

An Chabrol habe er sich orientieren wollen und sei damit auf halbem Wege gescheitert, gibt Schlöndorff bezüglich des ersten seiner beiden Filme über scheiternde Emanzipationsversuche zu Protokoll. Dabei geht er mit sich selbst allerdings sehr hart ins Gericht, denn bei "Ruth Halbfass" handelt es sich durchaus um einen cleveren, bisweilen sehr komischen und vor allem höchst brauchbaren Film, der seinen sozialkritischen Ansprüchen gerecht wird, ohne sich sichtlich abzumühen. Vielleicht ist es gerade diese spürbar-zwingende Leichtigkeit, die Schlöndorff im Nachhinein zur Unzufriedenheit veranlasst; in der Tat gliedert sich dieser Film ja nicht ganz reibungslos in sein übriges, sich häufig unittelbar an der Weltliteratur orientierendes Œuvre ein. Dafür steht ihm hier eine ätherisch schöne Senta Berger zur Verfügung, die wie gemacht scheint für die Rolle der im Grunde belanglosen Industriellenfrau, der außer ihrer mit der Zeit zum Welken verurteilten Anmut nichts mehr bleibt. Außerdem weiß wiederum der eigenartige, bereits aus dem "jungen Törless" bekannte Anti-Schauspieler Marian Seidowsky - hier in seiner letzten Rolle - zu faszinieren, der zwischendrin auch bei Fassbinder mitgespielt und bereits mit 29 Jahren infolge einer unheilbaren Krebserkrankung Selbstmord begangen hat. Auch sonst hat Schlöndorff manche lohnenswerte Anekdote über den seltsamen Seidowsky parat.

8/10

Emanzipation Ehe Familie Volker Schloendorff Satire


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PANDORA AND THE FLYING DUTCHMAN (Albert Lewin/UK 1951)


"The measure of love is what one is willing to give up for it."

Pandora And The Flying Dutchman (Pandora und der fliegende Holländer) ~ UK 1951
Directed By: Albert Lewin


Vor der spanischen Mittelmeerküste finden Fischer zwei Leichen in inniger Umarmung nebst einem Buch mit eigenartigen Versen darin. Rückblende: Die Nachtclubsängerin Pandora Reynolds (Ava Gardner) lässt im Städtchen Esperanza sämtliche ihrer zahlreichen glühenden Verehrer am langen Arm verhungern, bis sie endlich dem Flehen eines Rennfahrers (Nigel Patrick) nachgibt. Kurz darauf taucht der mysteriöse Segler Hendrik van der Zee (James Mason) in Esperanza auf, zu dem Pandora sich von der ersten Sekunde an magisch hingezogen fühlt. Ihr väterlicher Freund, der Mythologieforscher Geoffrey Fielding (Harold Warrender), findet heraus, dass es sich bei van der Zee um niemand geringeren handelt als den Fliegenden Holländer. Seit jener vor Jahrhunderten seine Gattin aus blinder Eifersucht ermordete, ist er auf ewig dazu verdammt, über die Weltmeere zu fahren bis er dereinst eine Frau findet, die sich in inniger Liebe für ihn zu opfern bereit ist. Als Pandoras früherer Liebhaber, der Matador Montalvo (Mario Cabré), auftaucht, ist das emotionale Chaos perfekt.

Lewins "Pandora And The Flying Dutchman" steht vornehmlich in der Tradition der knallbunten britischen Technicolorstücke von den Kordas und Powell/Pressburger. Für die lyrischen Bildkompositionen zeichnet der Meister-dp Jack Cardiff verantwortlich, während Lewin selbst das stark von Hemingway beeinflusste, zwischen Kitsch und Poesie umhertaumelnde Script verfasste. Zwei auf den ersten Blick kaum zusammenpassende Mythenfiguren werden darin zum Leben erweckt: Die Urfrau Pandora, die einst durch ihre naturgegebene Neugier und Naivität das langfristige Unheil über die Welt brachte und der Fliegende Holländer, ein Seefahrer, nach Teufelspakt und Bluttat mit dem Fluch der Unsterblichkeit versehen. Dass diese beiden unglücklichen Sagengestalten nur zusammengeführt werden müssen um sich selbst und der Welt weiteren Schaden zu ersparen, liegt prinzipiell auf der Hand. In der bereits damals abgöttisch verehrten Ava Gardner sowie dem stets alle Übel der Schöpfung auf seinen schmalen Schultern zu tragen scheinenden James Mason fand Lewin zwei kongeniale Interpreten seiner Titelcharaktere, die sich einander vermittels einer in dieser Vollendung selten auf der Leinwand zu sehenden, bittersüßen Melancholie annähern und hernach nicht mehr loslassen. Der Genuss des Films ist bezogen auf Gaumenfreude und Effekt somit in etwa gleichzusetzen mit dem einer Flasche edlen Marsalas.
Die erst im letzten Jahr farbrestaurierte Fassung lässt Gardners rote Lippen und Masons schlechte Zähne nochmal in ganz neuem Licht erstrahlen und verleiht "Pandora" noch ein ergänzendes Flair schwerer Bernsteinromantik.

9/10

Albert Lewin Stierkampf Bonvivant Jack Cardiff Mythologie Spanien


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VALERIE A TYDEN DIVU (Jaromil Jireš/ČSSR 1970)


Zitat entfällt.

Valerie A Týden Divu (Valerie - Eine Woche voller Wunder) ~ ČSSR 1970
Directed By: Jaromil Jireš


Im frühen 19. Jahrhundert: Valerie (Jaroslava Schallerová), ein Mädchen aus der Provinz, bekommt ihre erste Menstruation und die Welt steht plötzlich Kopf: Schein und Sein sind nicht mehr unterscheidbar, Vampire und lüsterne Kirchendiener tauchen auf, Valerie selbst wird der Hexerei bezichtigt und landet auf dem Scheiterhaufen, ihre erste große Liebe (Petr Kopriva) scheint zugleich ihr eigener Bruder zu sein und selbst über ihre bislang sicher geglaubte eigene Herkunft legen sich Schleier der Ungewissheit.

"Valerie" als nur kurz nach dem Prager Frühling entstandenes Spätwerk der tschechoslowakischen New Wave repräsentiert ein leuchtendes Beispiel für das Aufbruchspotenzial der Kunst in einer von Repression gebeutelten Kultur und bereits als solches unbedingt sehenswert. Weibliche Sexualität ist das Thema der bereits in den dreißiger Jahren erschienen surrealistischen Romans von Vítězslav Nezval. Jener bekleidet eine wichtige Vorreiterfunktion innerhalb einer kunstübergreifenden, poetischen Bewegung, die junge Frauen, ihre Geschlechtsreife und ihre ersten Lustempfindungen parallelisiert beziehungsweise mit klassischen Horror- und Schauermotiven kombiniert. Besonders im Film gibt es dafür mittlerweile zahlreiche Beispiele, die von Tourneurs "Cat People" (und natürlich nicht minder Schraders Remake) über Blackburns "Lemora" bis hin zu Jordans "Company Of Wolves" reichen, wobei letzterer, wie ich jüngst lernen durfte, sogar indirekt von "Valerie" beeinflusst ist.
Von Jireš' Film darf man keine stringente Narration erwarten, der Film ist inhaltlich und visuell von reinen Assoziationsketten bestimmt. Seine Bilder bleiben dabei stets zurückhaltend und taktvoll, so dass der Vorwurf ästhetischer Grenzüberschreitung hier erst gar nicht greifen konnte. "Valerie" ist dazu bestimmt, sich haltlos in ihn fallen und die Ratio für eine und eine Viertelstunde brach liegen zu lassen, auf dass man sich ausschließlich an der zwischen romantischer Zartheit und sanfter Beunruhigung oszillierenden Atmosphäre des Films delektiere.

8/10

Sexualitaet period piece Traum Avantgarde Surrealismus Vitezslav Nezval Jaromil Jires


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HAROLD AND MAUDE (Hal Ashby/USA 1971)


"Go and love some more!"

Harold And Maude ~ USA 1971
Directed By: Hal Ashby


Den reichen, jungen Harold Chasen (Bud Cort) als "todessehnsüchtig" zu bezeichnen ginge zu weit; seine Faszination vom Endgültigen beschränkt sich auf lustige Suizidinszenierungen, Beerdigungstourismus und heimliche Observierungen von Arbeiten mit der Abrissbirne. Harolds übermächtige Mutter (Vivian Pickles) übernimmt vermeintlich das Denken für ihn, doch kann auch sie nicht verhindern, dass ihr Filius sämtliche Heiratskandidatinnen in Rekordzeit aus dem Hause ekelt und aus seinem schicken Jaguar Coupé einen Leichenwagen bastelt. Als Harold auf einer Beerdigung die knapp achtzigjährige KZ-Überlebende Maude (Ruth Gordon) kennenlernt, erhält er ein paar Lebenslektionen, die diesen Namen ausnahmsweise einmal wirklich verdienen.

Geplättet vom "Easy Rider" - Erfolg ging auch die Studiokonkurrenz Wagnisse ein, die vorher und auch heute undenkbar wären. "Harold And Maude" reckt seinen großen, symbolischen Mittelfinger allem entgegen, was in der abendländischen Gesellschaft unter 'konventionell' firmiert. Diese Geschichte um Gerontophilie (die ja tatsächlich gar keine ist; Harold verliebt sich doch bloß in diese viermal so alte Frau, weil sie die erste weibliche Person in seinem Leben darstellt, die sich als wirklich liebenswert erweist) und den Widerstand gegen jedwede Form von repressiver Autorität ist mehr punk als jeder folgende Film der Dekade; hat er es doch gar nicht nötig, seine Anarchie als körperliche Tätlichkeit zu vermitteln. O.-Ton Maude: "Ich habe es nicht mehr nötig, die Menschen anzugreifen. Heute umarme ich sie." Diese charmante, intelligente Frau, die den Tod in seiner schlimmsten Variante kennengelernt hat, ist das diametrale Gegenteil von verbittert und plädiert für alles, was zählt: Uneingeschränkte Selbstbestimmung, Rebellion gegen die Obrigkeit, das unbedingte Hinwegsetzen über verfilzte Moralvorstellungen; schließlich die unerlässliche, pure Freude am Sein, am Moment. Und Ashbys Film? Der formuliert seinen kategorischen Imperativ so unmissverständlich, unüberhörbar, aufrichtig und wahrhaftig wie kein zweiter: LEBE!

10/10

Hal Ashby New Hollywood Paraphilie


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GUESS WHO'S COMING TO DINNER (Stanley Kramer/USA 1967)


"When the hell are we gonna get some dinner?"

Guess Who's Coming to Dinner (Rat' mal, wer zum Essen kommt) ~ USA 1967
Directed By: Stanley Kramer


Die von Hawaii nach San Francisco heimkehrende Joey Drayton (Katharine Houghton) eröffnet ihren Eltern Christina (Katharine Hepburn) und Matt (Spencer Tracy), dass sie sich Hals über Kopf verlobt hat - mit einem überaus respektablen Mann (Sidney Poitier), nur dass dieser ein Farbiger ist. Obwohl sich Matt Drayton als Zeitungsverleger für DEN liberalen Meinungsmacher der Stadt hält, ist er von der Nachricht seiner Tochter mehr vor den Kopf gestoßen als er zugeben will.

"You've got to give a little..."
Kramers gezwungenermaßen letzter Film mit dem todkranken Spencer Tracy und ergo auch der letzte Film des schönsten Traumpaars der Filmgeschichte - Tracy und Hepburn - ist was fürs Herz, allerdings nicht ohne die dem Regisseur gemäßen sozialkritischen Implikationen. "Guess Who's Coming To Dinner" ist über die Jahre ein durchweg schöner Ensemblefilm geblieben, dennoch stört daran nach über vierzig Jahren noch immer Manches, wenn auch zum Glück bloß geflissentlich und beiläufig. Und damit meine ich weniger den unentwegten Gebrauch des Terminus "negro".
Es ist ja so, dass jede Gesellschaft in der Regel immer die Filme bekommt, nach denen sie verlangt, bzw. die sie verdient - das Gesetz des unterhaltungskulturellen Echos. Nur kann "Guess Who's Coming To Dinner" bei aller Ehrbarkeit und Brillanz in der Dialogführung selbst nicht verhehlen, eine durchweg weiße Perspektive einzunehmen, und eine stark seniorenverhaftete noch dazu. Etwas mehr Selbstsicherheit und Selbstverständnis wären beim Aufgreifen des Themas "Alltagsrassismus" mithin wünschenswert gewesen. Dass die Resolution des Films gewissermaßen lange Zeit in den Regionen der Utopie verblieb, zeigte etwa Spike Lee in seinem 24 Jahre jüngeren "Jungle Fever", in dem die Romanze eines gemischtfhäutigen Paars wegen der Ressentiments ihres sozialen Umfeldes frontal vor die Wand gefahren wird.
Man sollte daher die eigentliche Brisanz von Kramers Film nicht darin begreifen, dass hier die prinzipielle Selbstverständlichkeit eines Liebespaars unterschiedlicher Hautfarbe in den Fokus gerät (der große Altersunterschied wäre dem Impetus des Films gemäß eigentlich mindestens genauso diskutabel), sondern darin, dass ein alter, sich stets auf der Seite der Gerechten glaubender Mann trotz seiner selbstveräußerten Liberalität und Lebensweisheit erst über einen gewaltigen Wall der hinter seiner Fassade noch immer akut vorhandenen Vorurteile springen muss. Wie Tracy diesen Zweifler an seinem eigenen Lebensabend spielt, und, obwohl er um den nahenden Tod weiß, in seiner Rolle als Matt Drayton ständig davon spricht, noch ein hohes Alter zu erreichen, und dabei von einer ihn ganz offensichtlich tatsächlich umsorgenden Katharine Hepburn, die permanent Tränen in den Augen hat und ihr typisches Kopfzittern nicht verhehlt, das ist der echte tear jerker dieses seinem Wesen nach ehrlichen, tatsächlich großen und wichtigen Films.

9/10

Stanley Kramer Rassismus Ehe





Filmtagebuch von...

Funxton

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