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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE SPY WHO LOVED ME (Lewis Gilbert/UK 1977)


"Can you play any other tune?"

The Spy Who Loved Me (Der Spion, der mich liebte) ~ UK 1977
Directed By: Lewis Gilbert

Ein mysteriöses neues 'U-Boot-Ortungssystem' macht den Geheimdiensten in West und Ost zu Schaffen: Urplötzlich verschwinden ein russisches und ein britisches U-Boot spurlos im Atlantik. Zeitgleich werden James Bond (Roger Moore) und die KGB-Agentin Anya Amsova (Barbara Bach), deren Liebhaber (Michael Billington) Bond pikanterweise kurz zuvor im Spionenclinch töten musste, gemeinsam von ihren Chefs auf die Suchmission geschickt. Vor Sardinien machen sie schließlich den Urheber des Geschehens ausfindig: Den wahnsinnigen, ozeanophilen Milliardär Stromberg (Curd Jürgens), der den Dritten Weltkrieg provozieren und eine neue Zivilisation am Meeresgrund schaffen will.

Harry Saltzman hatte in den Sack gehauen und Insolvenz angemeldet, die bisher längste Pause zwischen zwei Bond-Premieren, nämlich gute zweieinhalb Jahre, ergab sich daraus als zwangsläufiger Effekt. Mit dem teuren "The Spy Who Loved Me" betrat das Bond-Franchise nach zahlreichen vorherigen Liebäugeleien mit ihm nunmehr endgültig das Terrain der Science Fiction: Einen dermaßen verrückten Gegner hatte Bond bisher jedenfalls nicht aus der Bahn zu schubsen gehabt, Goldfinger und Blofeld eingeschlossen. Stromberg ging es nicht um die Anhäufung von persönlichem Reichtum durch Terror und Erpressung, die Monopolisierung eines Edelmetalls, eines Suchtmittels oder erneuerbarer Energien; hier stand dem Superagenten zu dessen verständlicher Verwirrung erstmals ein barer Idealist gegenüber, der tunlichst jede unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden suchte, dem jedwede Anstrengung der Weltmächte, seine Pläne zu unterminieren, lediglich als lästige Stolpersteine erscheinen mussten und der nichts Geringeres im Auge hatte als die bedingungslose Auslöschung der globalen Zivilisation.
Wie zur Bestätigung dieser befremdlichen Bedrohlichkeit trug Karl Stromberg, von dem normannischen Kleiderschrank Curd Jürgens, angelegt als eine Art Gert-Fröbe-Reprise, sogar Schwimmhäute zwischen seinen Fingern - ein Amphibienmensch vielleicht und deshalb so irre? Wie dem auch sei - rückblickend findet sich "The Spy Who Loved Me" ziemlich umjubelt und gilt als Moores "Goldfinger"-rangiger Serienbeitrag. Zieht man, wie erwähnt, Jürgens und die vielen anderen Selbstplagiierungen vom monströsen Leibwächter (hier: Richard Kiel) über das Superauto bis hin zu wieder aufgewärmten Ideen ("You Only Live Twice", ironischerweise ebenfalls von Lewis Gilbert in Szene gesetzt, wird mehr als einmal zitiert) als Qualitätsmerkmale hinzu, mag dies vielleicht zutreffen. Ich selbst bin da etwas zwiegespalten: Moores Ironie wird möglicherweise zu stark prononciert, man heuchelt völlig verlogen etwas von Gleichberechtigung (der Bond-Sexismus zeigt sich hier lediglich auf perfidere Art, ist ansonsten aber mindestens so aggressiv wie eh und je), die Musik, diesmal von Marvin Hamlisch, ist bestenfalls nett, bis hierher jedoch die schlechteste in einem Bond-Film (erst Eric Serra stellte diesen Negativrekord neuerlich ein) und der Film von noch auffälligerer Selbstzweckhaftigkeit als gewohnt. Trotzdem ist er aus genau den genannten Gründen, die ein jeder Bond-Apologet ebensogut positiv auszulegen vermag, ein starker, substanzieller Serienbaustein, der infolge seines kommerziellen Erfolges die Nachfolger stark beeinflusste und eine neue Linie vorgab.

8/10

James Bond 007 Lewis Gilbert Italien Sardinien Ägypten U-Boot Haiangriff Österreich Schnee Kalter Krieg John Glen Madness car chase Schweiz


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UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING (John Hyams/USA 2012)


"If you remenber it that way, it certainly was."

Universal Soldier: Day Of Reckoning ~ USA 2012
Directed By: John Hyams

Als der einstige Familienvater John (Scott Adkins) aus dem Koma erwacht, erinnert er sich lediglich daran, dass eine Gruppe maskierter Männer nächtens ihn und seine Familie überfallen und seine Frau (Michelle Jones) und kleine Tochter (Audrey P. Scott) ermordet haben. Der Kopf dieser Gewaltverbrecher war offenbar der Unisol Luc Deveraux (Jean-Claude Van Damme) und genau hinter ihm ist John nun her. Über Umwege und mit fast unmerklicher Hilfe von Regierungsagenten nimmt er die Spur von Deveraux auf: Dieser leitet offenbar in den Sümpfen Floridas ein geheimes Versteck, in dem er abtrünnige Unisols um sich schart, um ihnen einen freien Willen zurückzugeben...

Das filmische Äquivalent zu einem Kontrabass. Nach "Universal Soldier: Regeneration" kehrt Petersohn John Hyams erneut in das Universum der Zombie-Soldaten zurück, diesmal, indem er die subjektive Perspektive eines ihrer verbesserten Modelle einnimmt und diesen traurigen Part dem sich ganz gemächlich zum leuchtendsten Stern am DTV-Actionhimmel aufschwingenden Scott Adkins zuschustert. Gebt dem Mann endlich mehr stardom!
Die existenzialistische Subebene des Vorgängers wieder aufgreifend, fährt Hyams genau nach dessen unheilvollem Finale fort. Analog den Unisols hat sich nämlich natürlich auch die Wissenschaft weiterentwickelt. Jede der Kampfmaschinen ist nun beliebig replizierbar, das heißt, man hat es nun in keinster Weise mehr mit Individuen zu tun; selbst mit blind gehorsamen nicht, ab jetzt gibt es nur noch "Versionen". Für die Identifikationsebene zwischen Rezipient und Protagonist mutet dies zunächst schadhaft an, da er sich nicht darauf verlassen kann, ob seine Helden tatsächlich von ihrer geschichtlichen Tilgung gefährdet sind - allein Andrew Scott (Dolph Lundgren) dürfte mittlerweile in seiner mindestens ersten Reinkarnation antreten. Hyams konzeptueller Ansatz der Identitätsverlorenheit jedoch verarbeitet diesen Kniff in brillanter Form. Überhaupt die etlichen literarischen Verweise; von Mary Shelley über Joseph Conrad bis hin zu Philip K. Dick geht die Reise durch Hyams' Einflussbereiche. Der unglaubliche Andrei Arlovski ist auch wieder an Bord, diesmal mit dichtem Vollbart, und trotz Adkins' schwindeln machendem finishing move gehe ich jede Wette ein, dass der auch im nächsten Teil des sich längst verselbstständigenden Franchise wiederkehrt. Für Hyams, sofern er sein Interesse nicht gänzlich anderen Stoffen zuwendet, dürfte es, im Falle einer neuerlichen Zuwendung hin zur Unisol-Saga allerdings schwer werden, sich selbst nochmals zu übertreffen.

9/10

John Hyams Sequel Kunstmensch Militär Klone Florida


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FANTASTIC VOYAGE (Richard Fleischer/USA 1966)


"When can I catch the next train back to town?"

Fantastic Voyage (Die phantastische Reise) ~ USA 1966
Directed By: Richard Fleischer

Der verdutzte Regierungsagent Grant (Stephen Boyd) erfährt nicht nur, dass eine geheime, unterirdische Abteilung existiert, in der seit längerem erfolgreich Miniaturisierungsexperimente durchgeführt werden, sondern auch, dass er selbst Teil einer entsprechenden Mission werden soll. Einer der leitenden Köpfe der Technologie, Dr. Benes (Jean De Val), ist zuvor mit Grants Hilfe durch den Eisernen Vorhang in den Westen entkommen, wird jedoch bei einem Anschlag schwer verletzt: Ein Thrombus in der Nähe des Gehirns versetzt ihn ins Koma. Zusammen mit vier Wissenschaftlern (Arthur Kennedy, Raquel Welch, Donald Pleasence, William Redfield) soll Grant nun mittels eines auf mikroskopische Größe verkleinerten U-Boots in Benes' Blutkreislauf geschossen werden, um den Thrombus per Laserstrahl aufzulösen. Die folgende Reise durch Benes' Körper erweist sich als komplizierter als zunächst angenommen...

Einer der einstmals seltenen Ausflüge Richard Fleischers in phantastische Gefilde, mit der üblichen Sorgfalt und Connaissance des heimlichen Meisters formal perfekt und spannend inszeniert. Ist man großmütig genug, die hier und da auftauchenden, kleinen Logikfallen, denen das Script aufsitzt, zu übersehen, wird man von eineinhalb Stunden blendend eingestieltem Genrekino verwöhnt, einem witzigen Ensemble, dessen heimlicher chef du cuisine natürlich der stets kurz vorm Durchdrehen stehende Donald Pleasence ist, vielleicht ohnehin der Mime des 20. Jahrhunderts, der am formidabelsten Wahnsinnige geben konnte. Ansonsten fügt sich alles der Erwartung gemäß: Die Welch drückt die Brust raus, Arthur Kennedy sieht man seine schweren Alkoholprobleme mittlerweile deutlich an und als die eigentlichen Obligata des Films erweisen sich einmal mehr die Ausstattungskünstler, die sich mit dem wabernden, von LSD-Erlebnissen beflügelten Design des Körperinneren selbst übertreffen. It's trippy.

8/10

Miniaturisierung Operation Richard Fleischer Kalter Krieg


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ROBINSON CRUSOE ON MARS (Byron Haskin/USA 1964)


"Mr. Echo, go to hell."

Robinson Crusoe On Mars (Notlandung im Weltraum) ~ USA 1964
Directed By: Byron Haskin

Die zwei US-Astronauten Draper (Paul Mantee) und McReady (Adam West) geraten in die Atmosphäre des Mars und müssen auf dem roten Planeten notlanden. McReady überlebt die Aktion nicht, Draper kann sich zusammen mit dem Versuchsäffchen Mona retten. Die folgenden Monate verbringt er damit, sein Überleben zu sichern, wobei ihm besonders die Instinkte des Tieres vonnutzen sind. Draper findet eine Möglichkeit, Sauerstoff aus porösem Gestein zu destillieren sowie Nahrung und Wasser. Schließlich entdeckt er, dass er nicht der einzige Mensch in der Einöde ist: Draper kann einen von hochtechnisierten außerirdischen Despoten zum Sklaven gemachten Einheimischen retten, seinen "Freitag" (Victor Lundin). Gemeinsam meistert man fortan die Widrigkeiten des Marslebens.

Eine sehr sympathische "Crusoe"-Adaption hat Byron Haskin, der bei seinen SciFi-Filmen trotz relativ beschränkter Mittel stets einen etwas ernsthafteren Ansatz darlegte als seine Kollegen, da geschaffen. Die günstige Produktion erweist sich hier sogar ausnahmsweise als vorteilhaft, da sie in besonderer Weise die Kreativität des Set Designs schürt. Gedreht im Death Valley, erscheint der "marsianische" Himmel hier durch entsprechende Nachbearbeitung in verschiedensten violettenen Tönen und macht die futuristische Robinsonade damit im visueller Hinsicht sogar zu einem kleinen trip movie. Die dreieckigen, nervös umherflitschenden Gleiter der Extraterrestrier, deren Motive dunkel bleiben, aber, soviel macht der Film bewusst, alles andere als ehrenhaft sein können, bestätigen diesen Eindruck noch. Doch auch sonst erweist sich "Robinson Crusoe On Mars", der sich jeder Form von Camp oder Trash strikt entgegenstellt, als erstaunlich geistesverwandt mit seiner Vorlage und zeigt, dass ernstzunehmendes, gescheites Genrekino bereits vor "2001" existierte.

8/10

Robinsonade Byron Haskin Daniel Defoe Mars Zukunft Affe Ib Melchior


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LE PROCÈS (Orson Welles/F, BRD, I 1962)


"To be in chains is sometimes safer than to be free."

Le Procès (Der Prozess) ~ F/BRD/I 1962
Directed By: Orson Welles

Josef K. (Anthony Perkins), Angestellter in einer gigantisch-anonymen Bürokratie, wohnhaft in einem gigantisch-anonymen Hochhaus, wacht eines Morgens auf und findet zwei Polizisten (Jean-Claude Rémoleux, Raoul Delfosse), die seine Wohnung durchsuchen und ihm einen Gerichtstermin zustellen. Ohne zu wissen, welchen Deliktes er eigentlich bezichtigt wird, reagiert K. höchst nervös und findet sich von nun an in den Mühlen einer repressiven Justiz wieder, die ihn mal verzweifeln lässt und ihm mal den Anschein der Selbstkontrolle verleiht. Am Ende findet sich K. in seiner eigenen Grube wieder.

"Angeklagt zu sein macht attraktiv," heißt es in Welles' Adaption von Kafkas fragmentarischer Erzählung. Und tatsächlich befasst sich die Geschichte um Josef K. neben diversen anderen Aspekten der ebenso urplötzlichen wie vermeintlich unschuldigen Knechtung durch die Staatsgewalt auch mit ihrem absonderlichsten Nebeneffekt - dem der erotomanen Konnexion. Einige der schönsten Frauen ihrer Zeit - Jeanne Moreau, Romy Schneider und Elsa Martinelli, stellen dem verwirrten, linkisch-schlaksigen K. plötzlich nach, allesamt femmes fatales, die mit der ihn allseits umgebenden Unbill jeweils in paradoxer Verbindung stehen. Und niemand kann ihm helfen - weder sein einzig um die Familienreputation besorgter Onkel (Max Haufler), noch der systemvertraute Advokat Hastler (Orson Welles), noch K.s "Parallelklient Bloch (Akim Tamiroff) noch der exzentrische Künstler (William Chappell), noch der Klerus (Michael Lonsdale). Von dem Moment an, da er in sein Visier gerät, ist K. bereits zum Opfer des Justizapparats geworden.
Welles sagte von "Le Procès", es sei sein persönlichster Film, da er stets einen latenten Schuldkomplex mit sich herumtrage und er sich daher vorzüglich in K.s Lage versetzen könne, der mit seinem Verfangen in die Mühlen der Justiz im Prinzip bloß (s)eine ohnehin tief verwurzelte Angst bestätigt und erfüllt findet. Welles modernisiert zudem Kafkas Fabel und reichert sie um zeitgenössische Technokratisierungs- und Konfliktängste an, indem er K.s Firma von einem gigantischen Computer organisieren lässt und ihn, statt wie im Roman erstechen zu lassen, durch eine gigantische, atombombenähnliche Explosion dahinscheiden lässt. Dabei ist "Le Procès" ferner durchweg eine Liebäugelei mit dem Surrealismus; die Schauplätze, in denen sich anonyme Angestellte wie eine straff geordnete Drohnenarmee durch ihren Arbeitsalltag kämpfen, sich Myriaden Akten und Ordner in wirren Archiven stapeln, Gerichtssäle aussehen wie Theater, Ateliers wie Bretterverschläge und die Stadt wie ein architektonischer Albtraum, abgefilmt vornehmlich in Zagreb und Paris, folgen einer gezielten Irrealis.
Ein anstrengendes, forderndes Filmerlebnis, das die Beschäftigung mit sich jedoch doppelt und dreifach entlohnt.

9/10

Orson Welles Groteske Parabel Justiz Franz Kafka Surrealismus


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THE CABIN IN THE WOODS (Drew Goddard/USA 2011)


"I'm gonna read a book with pictures."

The Cabin In The Woods ~ USA 2011
Directed By: Drew Goddard

Fünf College-Freunde (Kristen Connolly, Chris Hemsworth, Anna Hutchison, Fran Kranz, Jesse Williams) brechen zu einem Wochenendtrip in einer Waldhütte auf. Sie ahnen nicht, dass sie sich damit zum Teil eines uralten Rituals machen, das in der Gegenwart jedoch laborhafte Dimensionen angenommen hat. Unter der Erde sitzen eingeweihte Mitarbeiter wie in einer Art Überwachungsbüro und können das Quintett sowohl beobachten wie auch seine Geschicke durch alle möglichen Tricks steuern. Als eine Zombiefamilie auftaucht, die irgendetwas mit den diarischen Schriften im Keller der Hütte zu tun haben und die Freunde attackiert, ahnen sie noch lange nicht, welches Ausmaß sich wirklich hinter ihrem Ungeschick verbirgt...

Dieser Joss Whedon scheint mir ein ziemlich cleveres Kerlchen in Bezug auf die Ersinnung frischer Geschichten und Szenarien zu sein. Da ich bekanntermaßen mit Fernsehen wenig bis notting an der Mütze habe, kenne ich seine Arbeiten auf diesem Sektor nicht, aber dass "The Avengers" großartig sind, bestärkt mich in meiner Vermutung. "The Cabin In The Woods" nun gestaltet sich als umfassende Hommage an den Horrorfilm in seiner Gesamtheit, mit all seinen übernommenen, weitergesponnenen und auch selbstkreierten Mythen. Und ist dazu noch eine Reminiszenz an Lovecraft und an alle Gewohnheitskiffer dieser Welt. Toll ist auch, dass das Erwartete und das Unerwartete zu gleichen Teilen zusammentreffen. Dass der blöd daher salbadernde Pothead am Ende mit all seinen Spinnereien richtig liegt und als Held durchgeht, vermutet man zu Beginn nicht, andererseits jedoch bleibt einem parallel dazu auch das klassische final girl erhalten.
Seine volle Durschschlagskraft erhält "The Cabin In The Woods" im letzten Viertel, als ebenjenes übriggebliebene "Paar" die unfassbare Wahrheit aufdeckt und Whedon und Goddard ihre Phantasie wahre Purzelbäume schlagen lassen: Tief im Boden, unterhalb der Kabine lauern nämlich sämtliche Schrecknisse, die je im Horrorfilm Gestalt annahmen, rechteverhaftete Kreaturen leider, wenn auch erwartungsgemäß, exklusive. Ein Phantásien des Schreckens liegt da begraben und Whedon/Goddard schwingen sich auf zum Michael Ende des Trash. "The Cabin In The Woods" wird zu einer Geschichte über Geschichten, einer Universalabhandlung über das Wesen von Horrorfilmen, deren Metaebene ungeahnte Höhen erreicht, ohne den eigenen Storyfaden zu vernachlässigen. Dass die längst jedes räsonable Maß überschreitende Effektarbeit Hollywoods außerdem nicht automatisch selbstzweckhaft daherkommen muss, sondern in Ausnahmefällen auch ihre ursprüngliche Funktion noch, nämlich die Unterstützung des Films, erfüllen kann, vermittelt einem große Zuversicht. Toll!

9/10

Drew Goddard Joss Whedon Satire Monster Zombies Hommage Verschwörung Marihuana Apokalypse


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TIMEBOMB (Avi Nesher/USA 1991)


"I know who I am!"

Timebomb (Nameless - Total Terminator) ~ USA 1991
Directed By: Avi Nesher

Eddie Kay (Michael Biehn) ist ein braver Uhrmachergeselle mit eher langweiliger Existenz: Er wohnt in einem von L.A.s blumenumsäumten Apartmenthäusern, fährt mit dem Rad zur Arbeit, lächelt unentwegt und grüßt jedermann freundlich, den er kennt. Doch Eddie Kay ist gar nicht Eddie Kay, sondern Oliver Dykstra, Relikt eines geheimen CIA-Programmes aus den Siebzigern, in dessen Zuge acht Agenten einem psychoedukativen Experiment unterzogen, danach mit einer neuen Identität - der eines im Vietnamkrieg gefallenen Soldaten - ausgestattet und bei Bedarf für "Spezialaufträge" aktiviert wurden. Bei Dykstra/Kay ist jedoch irgendwann eine Sicherung gerissen, er hat sich gegen seine Auftraggeber gewandt und durch eine Explosion sein Gedächtnis eingebüßt. Er weiß nicht, wer er ist. Anders als sein früherer Mentor Colonel Taylor (Richard Jordan), der Eddie nun, da er wieder aufgetaucht ist, zusammen mit dessen früheren Berufsgenossen aus dem Verkehr ziehen will und muss. Mithilfe der zunächst unfreiwilligen Hilfe der attraktiven Analytekerin Anna (Patsy Kensit) kommt Eddie seiner wahren Vergangenheit auf die Spur und durchkreuzt Taylors Pläne.

Dass die CIA ein ganz hundsföttischer Verein ist, ist nicht erst seit der Iran-Contra-Affäre bekannt. Wann immer der US-Geheim-Außendienst irgendwo im - zumeist entwicklungsbedürftigen - Ausland aufkreuzt, hat er Dreck am Stecken. John Frankenheimer hat bereits 1962 den Paranoiathriller um den großartigen "The Manchurian Candidate" bereichert, in dem allerdings die Kommis die Drahtzieher hinter einer Verschwörung um sogenannte 'Sleeper', Attentäter, die auf ein Schlüsselsignal hin aktiviert werden können, waren. In Neshers "Timebomb" sind die Meuchelmörder ein hauseigenes US-Gezücht, das bei Bedarf auch auf heimischem Boden operiert, etwa, wenn es darum geht, allzu liberale Politiker abzuberufen. Eddie Kay ist im Zuge dieser Handlungsprämisse ein Held klassischer hitchcockscher Prägung: Urplötzlich will man ihm ans Leder und er weiß nicht mal, warum; eine Gruppe Killer versucht ihn mehrfach kaltzustellen und niemand glaubt ihm, weder die Polizei noch Anna Nolmar, die er durch Zufall als Kundin in seinem Laden kennengelernt hat. Was ihn jedoch noch zusätzlich verunsichert und verstört, sind merkwürdige Flashbacks sowie die Tatsache, dass er sich gegen seine Gegner durchaus patent zur Wehr setzen kann, obwohl er sich für einen friedfertigen Menschen hält.
Als er später in ebenjene Klinik eindringt, in deren Labor einst er und die anderen Profikiller "gezüchtet" wurden, kommt auch die Erinnerung zurück: Er musste hier einst komplettverkabelt in einer Art Retorte dahindämmern, bis er seine falsche Identität und jedwede Renitenzerscheinung aufgegeben hatte. Doch sein gutmütiges Wesen war am Ende doch stärker und hat sich gegen die Falschheit seine Missionen zur Wehr gesetzt.
Nesher macht aus dieser durchaus traditionsverhafteten Story, die auch die genannten Regisseure, beide Meister des Verschwörungsthrillers, sicher gereizt haben dürfte, einen teils wilden Exploitationreißer, in dem Gewalt, Sex und Billy Blanks vorkommen. Kombiniert mit dem erneut sehr sehenswerten Michael Biehn ein lohnenswertes Paket.

7/10

Avi Nesher Amnesie CIA Kalter Krieg Profikiller Psychiatrie


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JOHNNY MNEMONIC (Robert Longo/USA, CAN 1995)


"I want a full restoration; I want it all back!"

Johnny Mnemonic (Vernetzt - Johnny Mnemonic) ~ USA/CAN 1995
Directed By: Robert Longo

Im Jahre 2021 ist die Welt in gigantische Megastädte aufgeteilt, die von wenigen mächtigen Wirtschaftskonzernen beherrst wird, darunter der von der Yakuza infiltrierte Meikamentenriese 'Pharma-Kon'. Dieser hält die Geheimformel für ein Heilmittel gegen die global grassierende Nervenseuche NAS in der Hinterhand, die von im Untergrund operierenden Partisanen, den 'Lo-Teks', geraubt wird. Der lebende Datenträger Johnny (Keanu Reeves), der Teile seines Gehirns für eine Festplatte geopfert hat, um darin Daten schmuggeln zu können, soll die entsprechenden Formeln unwissentlich von Peking nach Newark transportieren. Ihm ständig auf den Fersen sind die Killer des Pharma-Kon-Bosses Takahashi (Takeshi Kitano). Für Johnny ist dieser Job von entscheidender Bedeutung, denn mit dem Erlös erhofft er sich eine Hirnrestauration. Dummerweise reicht seine Speicherkapazität nicht aus, um sämtliche der implantierten Daten dauerhaft im Kopf zu behalten; in 24 Stunden droht eine neurale Implosion. Zusammen mit Verbündeten vom Widerstand, darunter Bodyguard Jane (Dina Meyer), dem Arzt Spider (Henry Rollins) und dem Guerillero J-Bone (Ice-T), versucht Johnny, die Formeln und sich selbst vor Pharma-Kon zu retten.

Einer der Filme, die nach Jahren der kanonischen Exklusion mal ruhig eine Neubewertung vertragen könnten. Sicher, "Johnny Mnemonic" ist hier und da bestimmt etwas einfältig, liebäugelt allzu sehr mit dem Trash, als dass seriöse Kritiker ihm eine Chance einräumen könnten und soll außerdem William Gibson zufolge von TriStar für den Westmarkt stark umeditiert worden sein, derweil die japanische Fassung noch halbwegs intakt geblieben sei. Dennoch ist der Grad an lustvollen Verrücktheiten, mit denen Gibson und Longo ihren Film spickten, auch in der hier bekannten Version immer noch deutlich spürbar. Das beginnt schon mit der famosen Besetzung, vielleicht die ungewöhnlichste, die für einen Film dieser Dekade vor der Kamera stand. Neben den oben erwähnten Damen und Herren gibt es noch Udo Kier in einer ihm wie allgemein üblich grandios stehenden Rolle als Hinterhoflump und Dolph Lundgren, einmal ganz abseits von allen Klischees als wahnsinniger Cyberprediger, der christliche Symbole in grotesker Weise pervertiert und seine Gegner mit einem frommen Spriuch auf den Lippen zur Hölle schickt. Als 'savior of the day' fungiert schließlich ein im Cyberspace heimischer, den Lo-Teks helfender Delfin namens "Jones". Dazu hat es einige nette, jedoch überaus comicesk präsentierte Splattereffekte. Diese bunte Mischung war und ist für manch einen - verständlicherweise - einfach zuviel des Guten (oder Schlechten, je nach Ausgangslage). Ich glaube nunmehr, nach langer Betrachtungspause, dass in "Johnny Mnemonic" mehr schlummert, als man vielleicht spontan wahrhaben möchte. Die japanische Fassung jedenfalls wandert hiermit auf meine Wunschliste.

7/10

Robert Longo William Gibson Cyberspace Internet Zukunft Dystopie Virus Satire


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SUPERMAN (Richard Donner/UK 1978)


"Lex, my mother lives in Hackensack."

Superman ~ UK 1978
Directed By: Richard Donner

Kurz vor der Explosion des Planeten Krypton schickt der Wissenschaftler Jor-El (Marlon Brando) seinen erst wenige Wochen alten Sohn Kal-El in einer Raumkapsel zur Erde. Nach drei Jahren landet der Flugkörper in einem Weizenfeld in Kansas, wo ihn das kinderlose Farmehepaar Jonathan (Glenn Ford) und Martha Kent (Phyllis Thaxter) findet. Den Knirps, der gleich nach seiner Befreiung gigantische Körperkraft offenbart, adoptieren sie kurzerhand. Jahre später, sein irdischer Vater ist just verstorben, erfährt der mittlerweile im Teenageralter befindliche "Clark" Kent (Jeff East) um das Geheimnis seiner Herkunft. Ein Kristall aus seiner in der Scheune versteckten Kapsel lotst ihn in die Arktis, wo aus dem artefakt eine gigantische Festung erwächst. Hier erfährt Kal-El alles über seine wahren Eltern, seinen Heimatplaneten und seine Aufgabe auf der Erde. Nachdem er sich in der Großstadt Metropolis eine Zweitidentität als Reporter beim Daily Planet aufgebaut hat, wird "Superman" (Christopher Reeve), wie ihn seine Journalistenkollegin Lois Lane (Margot Kidder) tauft, zum Wahrzeichen der Stadt. Umgehend tritt jedoch auch der unumgängliche Antagonist auf den Plan: Der Superverbrecher Lex Luthor (Gene Hackman), der riesige Areale in der Wüste Kaliforniens aufkauft und damit ganz spezielle Pläne hat...

Nachdem "Jaws" und "Star Wars" den Schwanengesang New Hollywoods eingeläutet hatten und den Studios demonstrierten, wie reichhaltig mit phantastischen Stoffen Kasse zu machen ist, kümmerten sich das ungarischstämmige Produzentengespann Salkind Senior und Junior um die Rechte an dem amerikanischen Comic-Book-Mythos Superman, der 1977 bereits stolze neununddreißig Jahre auf dem Buckel hatte. Unter späterer Einbeziehung des Regisseurs Richard Donner und über diesen des Scriptdoktors Tom Mankiewicz erhielt "Superman" seine nunmehr bekannte, filmische Urform. Der Ansatz bestand darin, die Comic-Mythologie ernst zu nehmen und sie nicht zu parodistischem Camp verkommen zu lassen, wie es zuvor das "Batman"-TV-Serial aus den Sechzigern vorexerziert hatte. Die Figur und ihr Universum sollten zu seriösem Leben erweckt werden und unter Zuhilfenahme eines gigantischen Budgets zeitgenössisches Kinoformat erhalten. Zudem sollten gleich zwei Filme back to back entstehen, ein Plan, der unter den bald erkaltenden Füßen der Geldgeber jedoch verworfen wurde und dessen Aufgabe dem gerade beginnenden Franchise eine traurige spätere Entwicklung verschaffte.
Das Endresultat dieser ersten wirklichen Comic-Verfilmung, die all den infantilen Ansätzen der Vergangenheit den Boden unter den Füßen wegzog, war möglicherweise sogar noch vollendeter als seine Hersteller es sich zuvor ausgemalt hatten: "Superman" ist ein Meisterwerk des amerikanischen Films und von bleibend hohem kulturellen Rang. Ein Film, der mit seiner Fantasie und seinem Herzblut ungebrochen verzaubert und der seiner Titelfigur als amerikanischer Ikone zugleich ungeahnte Metaebenen verleiht. Ein Film, der weit mehr noch als "Star Wars" als gewissermaßen bourgeoise Replik auf das langjährige, selbstgesäte Misstrauen in das Land gewertet werden muss und dessen starker kreativer, europäischer Impact ihn möglicherweise weitaus intelligenter dastehen ließ als es eine rein nationale Produktion vermocht hätte. Ein Film schließlich, der abgesehen von seinen sicherlich antiquiert wirkenden Spezialeffekten von einer formalen Meisterschaft ist, die in solcher Vollendung vielleicht einmal alle zehn Jahre die Wahrnehmung des geneigten Kinobesuchers erfreut. Dazu zählen Geoffrey Unsworths nebulöse Weichzeichnerbilder von den Weiten des Mittelwestens und der Reise durch Kal-Els Geisteswelt ebenso wie John Williams' epochaler Score (womöglich sein bester) und natürlich Richard Donners Inszenierung, die nie wieder solch ehrgeizige Qualität erreichen sollte. Ein brillantes Ensemble, allen voran der im Rückblick so traurige Star Christopher Reeve, der mit seiner Superman-Interpretation eine filmische Heldeninkarnation geschaffen hat wie niemand sonst, stimmt diesen Wahnsinnsfilm ab bis aufs i-Tüpfelchen. Für mich, man ahnt es angesichts der obigen Zeilen, ist "Superman" schon seit frühester Kindheit ein Lebensbegleiter und sicherer Herzwärmer in trüben Tagen, der sich nie, niemals abnutzen wird. Ob ich ihn als Erstklässler mit großen Augen auf dem Fernseher verfolgte, ihn als späterer Grundschüler bei einer Wiederaufführung anlässlich des dritten Teils erstmals im lokalen Kino erleben durfte oder ihn als Teenager als 'Trip Movie' genoss; "Superman", "Richard Donners Superman" bitt'schön, war immer bei mir. Und er wird es immer sein.

10*/10

Richard Donner Robert Benton Mario Puzo DC Comics Superhelden Superman Kansas Stuart Baird Aliens


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TOTAL RECALL (Len Wiseman/USA, CA 2012)


"The past is just a mental construct."

Total Recall ~ USA/CA 2012
Directed By: Len Wiseman

Gegen Ende des Jahrhunderts sind die meisten Flächen der Erde durch Menschenhand unbewohnbar geworden und die globale Bevölkerung zieht sich auf die britische Insel sowie den australischen Kontinent, nurmehr "Kolonie" genannt, zurück. Lebensraum ist zum wichtigen Kapital- und Handelsgut geworden. Die beiden Landmassen sind durch einen gigantischen, mitten durch den Erdkern laufenden Tunnel miteinander verbunden. Der von einem seltsamen Traum verfolgte Arbeiter Doug Quaid (Colin Farrell) nutzt diesen täglich, um von seiner Wohnung in der Kolonie zu seinem Arbeitsplatz in Britannien zu gelangen. Hier herrscht auch der undurchsichtige Diktator Cohaagen (Bryan Cranston), der zur Sicherung seiner Macht eine synthetische Polizeiarmee einsetzt, an deren Aufbau Quaid mitwirkt. Als dieser sich eines Tages entschließt, zu der Firma Rekall zu gehen, die ihren Kunden künstliche Erinnerungen implantiert, gerät sein Leben aus den Fugen. Ist er wirklich ein Doppelagent Cohaagens und sein zuletzt gelebtes Leben bloß eine Illusion?

Dass Len Wiseman Verhoevens monumentale Adaption der Dick-Geschichte "We Can Remember It For You Wholesale" eifrig studiert hat, um deren Beliebtheit weiß und an jeder Ecke seiner Variation entsprechende Reminiszenzen unterbringt, damit kann man leben. Wie man eigentlich überhaupt mit dem ganzen Film leben kann, der jawohl dem Vernehmen nach in der von mir geschauten Director's-Cut-Fassung deutlich gegenüber dem noch tumberen Kinoschnitt deutlich aufgewertet sein soll. Aber, glücklicherweise, nicht muss. Immerhin werden auch in dieser Version Zweifel an der erlebten Agenten-Realität Quaids gesät, wenngleich die herrlich irreale Atmosphäre des "Originals", nicht zuletzt durch den Schauplatz Mars und den viel pulpigeren und interessanteren Mutanten-Subplot deutlich lebendiger evoziert, zu keinem Zeitpunkt erreicht wird. "Total Recall" 12 verliert auch sonst in jeder Hinsicht gegenüber Verhoevens monolithischem Werk. Nicht zuletzt auch in Bezug auf dessen brachialen Einsatz visueller Gewalt, die hier erwartungsgemäß der stets jugendfrei und steril wirkenden, typisch klinischen Wiseman-Kinetik weichen muss.
Blutleere Neuverfilmungen wie diese taugen wohl vor allem zu einem Zweck: Auf der Habenseite zementieren sie den Status des Vorbildes, ermöglichen neue Bewertungen desselben, veranschaulichen analog dazu jedoch auch die besorgniserregende, immer weiter zunehmende Risikoarmut Hollywoods.

5/10

Len Wiseman Remake Zukunft Dystopie D.C. Philip K. Dick Kurt Wimmer





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Funxton

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