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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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JACOB'S LADDER (Adrian Lyne/USA 1990)


"According to this, you're already dead."

Jacob's Ladder ~ USA 1990
Directed By: Adrian Lyne

Der Vietnamveteran und Postangestellte Jacob Singer (Tim Robbins) wird urplötzlich Zeuge mysteriöser Vorgänge und Visionen. Dämonische Gestalten scheinen ihn zu verfolgen und auch Personen aus seinem alltäglichen Umfeld wie seine Freundin Jessy (Elizabeth Peña) in ihr höllisches Spiel zu integrieren. Damit nicht genug, durchleben auch andere Männer aus Jacobs ehemaligem Platoon ähnliche Halluzinationen. Der Plan einer Sammelklage misslingt jedoch, da man offensichtlich von höchster Regierungsstelle den gesamten Kriegseinsatz der Männer zu verschleiern sucht. Zudem scheinen missliebige Zeugen kurzerhand ausgeschaltet zu werden. Was steckt wirklich hinter alldem?

Film als Agonie und Todestraum: Am Ende fügt sich alles, und ob Jacob und seine Kameraden an diesem diesigen, blutig endenden Tag in Da Nang wirklich nur miesen Shit geraucht haben oder doch zu unfreiwilligen Versuchskaninchen für aggressionsschürendes LSD geworden sind, wie es Jacobs herbeiphantasierter Botschafter Michael (Matt Craven) berichtet, behält der Film zu guter Letzt für sich. Es spielt auch überhaupt keine Rolle. Hier geht es um einen unter dem bereits herabsausenden Fallbeil ausgetragenen, finalen inneren Konflikt; Blitzlichter, letzte erotische Wunschträume, stream of consciousness. Das Ganze dargeboten mithilfe eines klar umrissenen, bildlichen Bibelkontexts um den Erzvater Jakob und die Himmelsleiter. Letzten Endes dreht sich "Jacob's Ladder" als ergreifender Antikriegsfilm mit gehobenem Verstörungspotenzial in der Tradition von "Johnny Got His Gun" ums Loslassen, um den überfälligen Übergang ins Jenseits, der nach den bösen Erfahrungen der letzten Tage erst wieder in Urvertauen umschlagen und bewerkstelligt werden muss. Eindeutige logische Scriptpatzer wie der, dass der 1971 versterbende Jacob im Zuge seiner Todesvision eine Party besucht, auf der erst drei Jahre später veröffentlichte Songs gespielt werden, muss man da wohl oder übel großzügig nachsehen. Auch wenn sie die Sinnsuche dieses ansonsten brillanten Films unnötig erschweren.

9/10

Adrian Lyne Vietnamkrieg period piece Drogen Militär New York Veteran Verschwörung


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DEAD OF NIGHT (Bob Clark/CA, UK 1974)


"This is the Andy I used to know."

Dead Of Night ~ CA/UK 1974
Directed By: Bob Clark

Zwei Tage, nachdem sie die Nachricht vom Kriegstod ihres Sohnes Andy (Richard Backus) erhalten hat, staunt die Familie Brooks nicht schlecht: Andy steht, scheinbar gesund und wohlauf, nächtens vor ihrer Tür. Doch es dauert nicht lange, da entpuppt sich Andy als keineswegs beieinander: Er reagiert zunehmend aggressiv auf bestimmte Gesprächsthemen, tötet den kleinen Familienhund und hat darüberhinaus bereits einen Trucker (David Gawlikowski) auf dem Gewissen. Der Nächste ist der Arzt und Familienfreund Dr. Allman (Henderson Forsythe). Andy beginnt derweil, körperlich zu verfallen und braucht Blut, um weiter"leben" zu können. Auf seine Eltern (John Marley, Lynn Carlin) wartet angesichts der Realisierung von Andys schrecklicher Veränderung nurmehr Verzweiflung und Tod.

Eine finstere Allegorie zum literarischen Topos 'Rückkehr des verlorenen Sohnes', dabei von diversen literarischen Vorbildern wie den short stories Jacobs' "The Monkey's Paw" oder Buzzatis "Il Mantello" beeinflusst, die ebenfalls ein anderes Wiedersehen mit dem einstweilen Verschollenen schildern als das familiäre / elterliche Umfeld es sich erhoffte. "Dead Of Night" entpuppt sich dabei als durchaus vielschichtig: Nicht nur greift er als einer der ersten Filme die traumatischen Erfahrungswelten der Vietnamheimkehrer auf und verwandelt sie in eine symbolische Bildsprache, es ist auch die Geschichte einer über alle Barrieren hinweg bestehenden Mutter-Sohn-Beziehung. Tatsächlich sind es die telepathisch vernommen Wünsche seiner Mutter, die es Andy Brooks verwehren, ins Jenseits einzukehren (dass er tatsächlich lieber ohne Umweg dorthin gegangen wäre, beweist sein am Ende von ihm selbst geschaufeltes Grab), ebenso wie Christine Brooks sich wider allen besseren Wissens ihren zum Monster gewordenen Sohn aufzugeben oder der Staatsgewalt zu überlassen. Der Patriarch jagt sich derweil eine Kugel durch den Schädel, weil er die schreckliche Gewissheit nicht verarbeiten kann. "Du schuldest mir das, was ich für dich gegeben habe", sagt Andy zu dem Arzt Dr. Allman, bevor er diesen mit einer Spritze niedersticht, um sich hernach dessen warmes Blut zu injizieren und bringt damit die Empörung einer ganzen verlorenen Generation auf den Punkt.

8/10

Bob Clark Vietnamkrieg Vampire Familie Veteran


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OCTAMAN (Harry Essex/USA, MEX 1972)


"Look out! It's the monster!"

Octaman ~ USA/MEX 1972
Directed By: Harry Essex

Der Wissenschaftler Dr. Torres (Kerwin Matthews) und sein Team finden in Mexiko merkwürdige kleine Polypen, die offenbar infolge nuklearer Strahlung mutiert sind. Tatsächlich sind die Minikraken nur Verwandte eines achtarmigen Krakenmonstermannes (Read Morgan), der in einer Höhle haust und nach Belieben auch auf dem Land herumspazieren kann. Aus dem Plan, das Wesen zu studieren und der Wissenschaft neue Erkenntnisse zu bringen, um es danach in einem Zirkus der Öffentlichkeit zu präsentieren, wird leider nichts. Der Octaman versteht nämlich keinen Spaß!

Eine echte Supergurke aus den frühen Siebzigern, die ihr Ding mit solch unbedarfter Naivität durchdrückt, dass man gar nicht anders kann als sie all ihrer offensichtlichen Schwächen zum Trotze irgendwie gernzuhaben. Natürlich ist praktisch alles an "Octaman" irgendwie käsig und doof; angefangen beim vom jungen Rick Baker entworfenen Gummikostüm des Monsters, dessen Erscheinen überhaupt keine Angst erzeugt, weil es sich 1.) nur total langsam fortbewegen kann, 2.) vor allem Angst hat, was mit Licht und Feuer zu tun hat und 3.) eben nunmal reichlich beknackt ausschaut. Dementsprechend stellen sämtliche Protagonisten sich scriptgemäß so stupide an, dass ihr jeweiliger Intelligenzqupotient sich noch weit unterhalb desjenigen vom Octaman verorten lassen müsste, Titel-Akademiker hin oder her.
Das kleine Ding wurde von Harry Essex, der einst immerhin als halbwegs renommierter Drehbuschschreiber in Hollywood aktiv war und sich einige Meriten mit vielen schönen B- und einigen denkwürdigen A-Produktionen einfahren konnte, offenbar an zwei Tagen verfasst und gleich auch noch heruntergekurbelt. Die zwei alten Genrerecken Kerwin Matthews und Jeff Morrow geben sich in einem ihrer jeweils letzten Filmauftritte die Ehre - angesichts ihrer Karrierespirale nicht weiter verwunderlich.

4/10

Harry Essex Trash Monster Independent


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NEW KIDS NITRO (Steffen Haars, Flip Van der Kuil/NL 2011)


Zitat entfällt.

New Kids Nitro ~ NL 2011
Directed By: Steffen Haars/Flip Van der Kuil

Der Maaskantjer Superasi Richard (Huub Smit) und seine Kumpels geraten stets aufs Neue in Streitigkeiten mit dem aus der Nachbarstadt Schijndel stammenden Dave (Guido Pollemans) und dessen Truppe. Während die Streitigkeiten sich immer mehr hochschaukeln, schlägt in Friesland ein Meteor ein, der sämtliche Leute dort in Zombies verwandelt. Leider bekommt Richard, der keine Nachrichten sieht, davon nichts mit, denn als Dave anfängt, seine Mutter (Juul Vrijdag) zu bedrohen, schickt er sie just zum Urlaub nach Ameland. Bald erfolgt der zu erwartende Hilferuf via Handy und die New Kids eiern, sogar mit Daves Hilfe, nach Friesland, um dort den Kampf gegen die Untoten aufzunehmen.

Mit großer Fabulierfreude und dem Mut zur narrativen Transzendierung (den erzählerischen Rahmen bieten zwei sich den Film im Kino anschauende "New Kids"-Fans, die nicht minder unterbelichtet sind als ihre Kultobjekte) schreiten die selbst als zwei Fünftel der New Kids auftretenden Steffen Haars und Flip Van der Kuil dazu, unser Heldenquintett diesmal nicht nur gegen die nicht minder verblödeten Prolls aus Schijndel antreten zu lassen (zur weiteren Darstellung eherner niederländischer Territorialansprüche taucht allenthalben noch eine dritte Clique aus Woensel auf, die die Jungs aus Maaskantje und Schijndel in ihrem Duellierungswahn jedoch nicht ernst nehmen), sondern auch gegen eine Zombie-Übermacht an der Nordseeküste. Wie für jedes Problem findet sich natürlich auch hier flugs eine Patentlösung. Ein Rennen zwischen dem Autoprofi Rikkert (Wesley van Gaalen) auf Manta GT und einem Zombieopa (Jasper de Groot) auf Ford Capri regelt die Sache gütlich: Die Zombies werden in einen Viehtransport verladen und auf die Reise geschickt. Wohin, das interessiert keinen, und ist auch egal. Eine Menge lustiger, guter, schmutziger Spaß also mal wieder mit den New Kids, die diesmal mit besonderer Vorliebe die lieben Kleinen attackieren oder sich im Wechsel mit den köstlich frittierten Imbissspezialitäten von Gerris Vater an der schlampigen Deborah (Juliette van Ardenne) laben, die sich trotz Hochschwangerschaft unentwegt Bier reinhaut. Vorzüglich.

8/10

New Kids Steffen Haars Flip Van der Kuil Sequel Niederlande Zombies Meteor Satire Groteske


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LES DIABOLIQUES (Henri-Georges Clouzot/F 1955)


Zitat entfällt.

Les Diaboliques (Die Teuflischen) ~ F 1955
Directed By: Henri-Georges Clouzot

Michel Delassalle (Paul Meurier), Direktor einer Privatschule vor Paris, ist ein veritables Ekel. Sein kleines Kollegium hat unter seiner herrischen Art zu leiden und seine labile und herzkranke Frau Christina (Véra Clouzot), mit deren Vermögen die Schule haushält, wird permanent von Delassalle kleingemacht und erniedrigt. Zusammen mit Delassalles Ex-Geliebter Nicole (Simone Signoret), ebenfalls als Lehrerin an der Schule tätig und unter seinen Boshaftigkeiten leidend, fasst Christina den Plan, Michel umzubringen. Die Umsetzung gelingt, doch seine im trüben Swimming-Pool drapierte Leiche verschwindet. Dafür sorgen scheinbar geisterhafte Erscheinungen dafür, dass Christina es mit der Angst zu tun bekommt. Ist ihr Mann am Ende gar nicht tot oder sucht sie nunmehr als Geist heim?

Ich habe "Les Diaboliques" bereits wiederholt geschaut, aber den bombastischen Lobeshymnen, die ihn zumeist begleiten, mag ich mich noch immer nicht ganz anschließen. Abgesehen vom meisterlichen letzten Drittel, in dem der knautschgesichtige Charles Vanel als Ermittlerfuchs eingeführt wird und einige wirklich brillante Einstellungen ganz unter Verzicht auf das althergebrachte dramaturgische Mittel klimakterischer Musik die Verunsicherung Véra Clouzots (und dazu parallel die des Zuschauers) in nahezu unermessliche Höhen führen, fehlt mir etwas der adäquate Zug. Clouzot nimmt sich für die Installation des Personals und der Szenerie deutlich mehr Zeit als erforderlich und zieht seinen Film damit zu Beginn unnötig in die Länge. Dieses kompositorisch nicht eben geschickte Faktum sorgt für eine gewisse Durchsichtigkeit zu Lasten eines erfahrenen Publikums: Während nahezu jede Szene minutiös ausgearbeitet ist, werden auf die Darstellung des eigentlichen "Mordes" an Michel Delassalle nur Einstellungssekunden und diverse Schnitte verwandt. Damit beraubt "Les Diaboliques" sich zumindest in formaler Hinsicht etwas seiner Pointe. Dem gegenüber stehen allerdings ein hübsch boshaftes, misanthropisch angehauchtes Gesellschaftsbild sowie die durchweg exzellenten Darsteller. Und natürlich handelt es sich um einen zumindest rein motivisch betrachtet erstklassigen Thriller, dem etwa die britische Hammer-Produktion im nächsten Jahrzehnt einen ganzen Zyklus narrativ ähnlich bis analog gelagerter Filme verdankt. Seine filmhistorische Bedeutung würde ich ihm nie in Absprache stellen. Dennoch glaube ich, dass etwas Gefeile hier und dort seitens der Regie ein noch ausgereifteres Werk hätte hervorbringen mögen.

8/10

Henri-Georges Clouzot Paris Internat Intrige Suspense Ehe


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ZEDER (Pupi Avati/I 1983)


Zitat entfällt.

Zeder ~ I 1983
Directed By: Pupi Avati

Auf dem gebrauchten Farbband der zum Hochzeitstag geschenkt bekommenen Schreibmaschine entdeckt der junge Autor Stefano (Gabriele Lavia) einen seltsamen Text über das "Besiegen des Todes" und die sogenannten "K-Zonen". Seine umgehend angestellten Nachforschungen führen ihn über Umwege auf die Spur des offenbar verschwundenen, vorherigen Besitzers der Schreibmaschine, eines Ex-Geistlichen namens Don Luigi Costa. Dieser verfolgte anscheinend die ungeheuerliche Theorie eines gewissen Paolo Zeder, der der festen Überzeugung war, dass bestimmte Areale die spezifische Eigenschaft aufweisten, der Zeit zu trotzen. Hier würden selbst begrabene Tote alsbald wieder auferstehen. Zusammen mit seiner Frau Alessandra (Anne Canovas) widersetzt sich Stefano allen Hindernissen und macht schließlich selbst eine der K-Zonen ausfindig...

Neben "La Casa Delle Finestre Che Ridono" ist "Zeder" Pupi Avatis bekanntestes und meistgeliebtes Werk. Wenngleich jenes die lyrische Atmosphäre des zuvor genannten Werkes nicht ganz aufzugreifen vermag, ist die von theologischen und physikalischen Erklärungsversuchen eingerahmte Geister- und Zombiegeschichte voll von unheimlicher Motivik und ebensolchen Bildern. Dass sämtliche Versuche, die K-Zonen nutzbar zu machen von einer unheiligen Despektierlichkeit geprägt sind, die selbst Mitarbeiter des Vatikans involviert, ist eine interessante inhaltliche Fußnote. Wer würde schon vermuten, dass ausgerechnet Studien, deren Ziel nichts Geringeres als der Aufschub der letzten menschlichen Bestimmung darstellt, mit päpstlichem Segen durchgeführt werden könnten? Zumal die Resultate ja ohnehin von eher kritischer Färbung sind: Die auferstandenen Toten haben nämlich ihren Verstand verloren und werden zu Marionetten des reinen Bösen. Dass Stefano am Ende wider allen besseren Wissens auf den Effekt der K-Zonen zurückgreift, um den Preis seiner vorherigen Neugier zurückzufordern, kann ergo nur schiefgehen.
Aus "Zeder" lernt man mehrerlei. Dass der italienische Genrefilm der Achtziger ausnahmsweise auch visuell zurückhaltend zu Werke gehen konnte etwa, oder das Stephen King vermutlich ein gewissenhafter Konsument ebenjener Filmgattung ist. Die thematischen Parallelen seines "Pet Sematary" zu "Zeder" sind jedenfalls mehr als augenfällig...

8/10

Pupi Avati Vatikan Rimini Emilia-Romagna Geister Zombies Verschwörung


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DR. JEKYLL & SISTER HYDE (Roy Ward Baker/UK 1971)


"How are you today, Mrs. Hyde?"

Dr. Jekyll & Sister Hyde ~ UK 1971
Directed By: Roy Ward Baker

Der besessene Wissenschaftler Dr. Jekyll (Ralph Bates) sucht krampfhaft nach einem Mittel, das der Menschheit universelle Immunität gegen jedwede Infektionskrankheit gewährt. Das Insistieren seine Freundes Robertson (Gerald Sim) bringt ihn jedoch auf eine ganz neue Idee: Die Suche nach dem ewigen Leben. Ein Trunk, bestehend aus dem Sekret weiblicher Hormondrüsen, verwandelt Jekyll im Selbstexperiment schließlich in die eiskalte Mrs. Hyde (Martine Beswick), die sich im Hause als Jekylls verwitwete Schwester vorstellt. Um ihre stets nur befristete Existenz weiterhin zu gewährleisten und auszuweiten, geht Mrs. Hyde im East End auf die Jagd nach jungen Prostituierten.

Der wohl einzige Film, der eine Schnittmenge bildet aus den drei großen Schauermotiven des viktorianischen London: Jekyll & Hyde, Jack The Ripper sowie die beiden Leichendiebe Burke (Ivor Dean) und Hare (Tony Calvin) landen rigoros in einem Topf und werden zu einer schmackhaften Gemengelage verquirlt, die zum Besten gehört, was Hammer in den Siebzigern noch vorzuzeigen hatte. Unabhängig von den etwas wild zusammengewürfelten Ausgangsfiguren ist "Dr. Jekyll & Sister Hyde" nämlich die durchaus ernstzunehmende Parabel einer geschlechtlichen Identitätslosigkeit. Hier dient die alte Geschichte von der Persönlichkeitsspaltung in Es und Über-Ich einmal nicht dazu, den urtümlichen Konflikt zwischen Trieb und Ethos zu illustrieren, sondern vielmehr zur Freisetzung eines lange lauernden Fetisch. Als Mrs. Hyde erfreut sich Jekyll über sein prächtiges Paar Brüste und stolziert im roten Abendkleid durch Whitechapel, stets die neiderfüllten Blicke der armen Huren auf sich spürend. Ein sexuelles Interesse an Männern ist dabei bestenfalls peripher vorhanden: Mrs. Hyde will an die Hormonausschüttungen ihrer Geschlechtsgespielinnen, um Jekyll endgültig in den intergrund drängen zu können. Mit famoser Ausstattung und einem trotz des etwas krude anmutenden Sujets völlig konzentriert arbeitenden Regisseur relativiert "Dr. Jekyll & Hyde" den etwas hilflosen Humor aus "The Horror Of Frankenstein" wieder und untermauert Ralph Bates' Status als später Studiostar. Außerdem ist die zwischen kühl und feurig chargierende Martine Beswick wahrlich zum Anbeißen.

8/10

Hammer Roy Ward Baker mad scientist Madness Jekyll und Hyde Victorian Age period piece Jack The Ripper Robert Louis Stevenson Burke & Hare Serienmord London


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THE HORROR OF FRANKENSTEIN (Jimmy Sangster/UK 1970)


"Good boy. Well done."

The Horror Of Frankenstein (Frankensteins Schrecken) ~ UK 1970
Directed By: Jimmy Sangster

Baron Victor Frankenstein (Ralph Bates), einem gewissenlosen Dandy, ist zur Verfolgung seiner Ziele jedes Mittel Recht. Frankenstein plant, den Tod selbst zu besiegen und leblose Körper mittels galvanischer Kräfte neue Vitalität einzuhauchen. Seine Experimente kulminieren in der Schaffung eines aus Leichenteilen bestehenden, bösen Flickwerkmonsters (David Prowse), das mit Ausnahme seines Herrn und eines kleinen Mädchens (Carol Jeayes) jedwede Person ins Jenseits befördert, die zufällig seine Wege kreuzt.

Anstatt nach fünf "Frankenstein"-Filmen mit Peter Cushing nonchalant den sechsten Teil hinterher zu schieben (dieser ließ noch vier weitere Jahre auf sich warten, hatte dann aber wiederum David Prowse im Gepäck, diesmal als haarigen Affenmenschen), entschloss sich die Hammer zunächst für etwas, das im gegenwärtigen Kino in aller Munde ist: Ein Reboot. "The Horror Of Frankenstein" lässt sich im Direktvergleich zu den durchweg traditionellen Cushing-Filmen denn auch recht eindeutig als eine schwarze Komödie einordnen. Ralph Bates ist als großmäuliger, arroganter Youngster zu sehen, dessen Egomanie so weit geht, dass er zu keiner weiteren gefühlsmäßigen Regung denn zur Autoerotik fähig ist und dass er jeden Menschen, der ihm etwas bedeuten sollte, kurzerhand aus dem Weg räumt. Als sein Vater (George Belbin) ihm den Geldhahn zudreht, präpariert er dessen Lieblingsflinte, als sein bester Freund Wilhelm (Graham James) ihm den Rücken zukehrt, setzt Frankenstein ihn unter Strom. Diverse Mitwisser und Erpresser werden ebenfalls von ihm oder seinem ungeschlachten Hausfaktotum eliminiert. Ferner nutzt er die Notlage der schönen, ihn liebenden Elisabeth (Veronica Carlson) schamlos aus und engagiert sie - als Hausmädchen!
Das Beste jedoch: Wo Peter Cushing jeweils am Ende der omnipräsenten Kinomoral, derzufolge Verbrechen sich nicht lohnt, nachzugeben hatte, kommt Ralph Bates ungeschoren davon. Das einzige Beweismittel für seine Skrupellosigkeit endet zwar unreiwillig im Säurebad - das war's aber auch schon. Am Ende bleibt nur sein etwas genervtes Antlitz im Closeup - muss eben ein neues Ungetüm her. Selbiges blieb jedoch Wunschdenken, denn das zweite, potenzielle "Frankenstein"-Franchise aus dem Hause Hammer blieb bei diesem recht obskuren, aber zumindest witzigem, singulären Einzelschuss.

6/10

Jimmy Sangster Hammer Frankenstein Groteske Schwarze Komödie period piece mad scientist Madness


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HANNIBAL (Ridley Scott/USA, UK 2001)


"Tata."

Hannibal ~ USA/UK 2001
Directed By: Ridley Scott

Zehn Jahre nach seiner Flucht bemüht sich der Serienmörder und Kannibale Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) als Dr. Fell um eine Kuratorenstelle in einem Florentiner Museum. Dort wird der gierige Polizist Pazzi (Giancarlo Gianini) nicht nur auf ihn, sondern auch die von Lecters einzig überlebendem, einst schwer verstümmelten Opfer Mason Verger (Gary Oldman) ausgesetzte Belohnung, aufmerksam. Verger hat seine Rache viele Jahre lang geplant und nutzt nunmehr Lecters Faible für die Agentin Clarice Starling (Julianne Moore), um seinen Intimfeind in eine Falle zu locken. Doch Lecter erweist sich einmal mehr als zu gerissen für jedweden Verfolger.

Nachdem sowohl Jonathan Demme als auch Jodie Foster dem Projekt "Hannibal" den Rücken zugedreht hatten, konnte Dino de Laurentiis immerhin Ridley Scott für selbiges begeistern. Bereits das Erscheinen des Romans wurde von einigem Entsetzen über Thomas Harris' potenzierte Detailfreude flankiert - soviel Gedärm und extrahierte Gehirnmasse mochten die etablierten Damen und Herren Prominenz dann doch nicht durchwaten. Die Folge ergibt einen sowohl in narrativer als auch in formaler Hinsicht völlig anders gearteten Film. "Hannibal" schwelgt in Pomp und edlem Stuck, konsumiert Kunst jedweder Kuleur im Dauerakkord und nutzt das Kulturzentrum Florenz als ehrwürdige Kulisse dafür. Gleichermaßen majestätisiert er Unappetitlichkeiten als hieße sein Regisseur Dario Argento, so dass das Werk sich ohne den Gang großer Umwege auch als Hommage an den klassischen Giallo lesen lässt. In den ersten beiden Teilen seiner "Lecter-Trilogie" überließ Harris die forsche Grausamkeit des promovierten Psychopathen noch der sekundären Hand; hier nun rückt der Gute endlich selbst ins Zentrum des Geschehens und erhält einige Gelegenheit, seinen zuvor lediglich angerissenen, barbarischen Habitus in einiger Ausprägung vorzustellen. Jedoch ist Lecter auch nur so kaputt wie seine Umwelt - die Allüren des nicht nur unfreiwillig widerwärtigen Milliardärs Mason Verger sind keinen Deut besser. Überhaupt wählt Hannibal ausschließlich "moralisch verwertbare" Todesarten für seine Herausforderer: den kleinen, von Pazzi beauftragten Taschendieb (Enrico Lo Verso) lässt er verbluten, Pazzi stirbt genau wie Judas auf einer frühmittelalterlichen Darstellung. Verger wird von seinen eigenen Schweinen aufgefressen und Clarices Konkurrenten, den schmierigen Agent Krendler (Ray Liotta), lässt Lecter sich an seinem eigenen Hirn delektieren - an jenem Teil freilich, der, wie man sagt, "für die guten Manieren zuständig" sei. Seine inszenatorische Fabulierfreude und Finesse sowie sein omnipräsenter Hang zur Exploitation im ästhetisch ansonsten so tragfähigen Gewebe machen "Hannibal" nicht nur zu etwas Besoderem, sondern vor allem zu einer von Scotts faszinierendsten Arbeiten.

9/10

Ridley Scott Hannibal Lecter Serienmord FBI Thomas Harris Florenz Rache Schweine David Mamet amour fou


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THE SILENCE OF THE LAMBS (Jonathan Demme/USA 1991)


"They don't have a name for what he is."

The Silence Of The Lambs (Das Schweigen der Lämmer) ~ USA 1991
Directed By: Jonathan Demme

Um einem kalauernd 'Bufallo Bill' getauften Serienmörder auf die Spur zu kommen, macht sich FBI-Stabschef Jack Crawford (Scott Glenn) daran, eine junge Auszubildende namens Clarice Starling (Jodie Foster) mit dem seit acht Jahren in Sicherheitsverwahrung befindlichen Dr. Lecter zusammenzubringen. Clarice soll - ohne davon zu ahnen - die Sympathie und das Vertrauen Lecters gewinnen, um so wertvolle Fahndungshinweise seinerseits bezüglich der möglichen Identität 'Buffalo Bills' zu erhalten. Tatsächlich gelingt Crawfords Plan. Lecter kennt sogar den Killer aus seiner früheren Praxis - lässt jedoch kjeineswegs mit sich schachern, ohne dass Clarice ein Stück ihrer eigenen seelischen Abgründe dafür preisgeben müsste.

Ein vorrangiges Beispiel für perfektioniertes, absolut messerscharfes Filmemachen und auch für die formale Emanzipation des Films der Neunziger von dem seines Vorgängerjahrzehnts. Kaum ein Horrorfilm - und ein solcher ist "The Silence Of The Lambs", noch mehr als dass er dem Thriller zugehörig wäre, vermochte es jemals, selbst das nickelbebrillte Establishment zu einem Kinobesuch zu verleiten und allein dafür gebühren ihm noch immer höchste Weihen. Demme vergisst seine Wurzeln nicht, bringt zum Beweis Roger Corman und George A. Romero in Cameos und hält zusätzlich noch nette kleine Rollen für Charles Napier und Diane Baker bereit. Dazu verschafft er dem Genre eine ungewohnte Respektabilität, indem er es schlichtweg ernst nimmt wie schon lange vor ihm niemand mehr und ihm eine gehörige Portion Abgründigkeit und Weltschmerz hinzusetzt. Die Figuren - die traumatisierte, stets um Selbstbehauptung bemühte Clarice Starling in einer von Männern dominierten (Berufs-)Welt, der ebenso geniale wie wahnsinnige Hannibal Lecter und auch der getriebene Jame Gumb (Ted Levine) - werden in rund 110 Erzählminuten so konturiert ausgebaut wie es sonst nur in umfangreicher Prosa möglich scheint; hinzu kommen eine kraftvolle, immanente Grausamkeit auf der einen Seite und eine gleichsam relativierende, humanistische Sensibilität auf der anderen. Obschon ich Demmes konzentrierten Film seit dem ersten Mal im Kino bestimmt schon gute zwanzig Male gesehen habe, werde ich der Wiederholungen nicht müde. Einfach, weil er so rund, so schön, so toll ist.

10/10

Jonathan Demme Hannibal Lecter Thomas Harris FBI Profiling Serienmord Madness Herbst





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