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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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EARTHQUAKE (Mark Robson/USA 1974)


"What's forecasting worth when noone gets warned in the end?"

Earthquake (Erdbeben) ~ USA 1974
Directed By: Mark Robson


Nachdem am Morgen bereits zwei kleinere Erschütterungen das Stadtgebiet von Los Angeles heimgesucht haben, kommt es zu einem gewaltigen Erdbeben, das weite der Stadt zertrümmert und sie im Ausnahmezustand zurücklässt. Der in einer starken Ehekrise steckende Wolkenkratzerarchitekt Graff (Charlton Heston) fühlt sich für die Katastrophe mitverantwortlich und tut zusammen mit dem Ex-Polizisten Slade (George Kennedy) was er kann, um den Menschen zu helfen.

That's Armageddon & Akopalüze Nau - "Earthquake" bietet Katastrophenkino wie man es kennt und liebt. Strukturell erweist sich der Film als absolut linear zum Kanon dieser kleinen Kinogattung. Eine Handvoll Stars wird zu Beginn episodisch in ihren Filmrollen eingeführt, derweil ein, zwei tapfere Wisschenschaftler das Desaster bereits vorausahnen bzw. -sehen. Die Arroganz ihrer Chefs und die der zuständigen Politiker verhindert jedoch eine adäquate Prophylaxe und so kommt es wie es kommen muss: Alles geht kaputt und etliche Menschen drauf: Lupenreine Exploitation im Multimillionendollargewand.
In "Earthquake", der dem Lewton-Veteran Mark Robson ein spätes Comeback offerierte, nachdem er über die Jahre hier und da immer wieder mit kleinen Glanzlichtern punkten konnte, bekommen vor allem die Kulissenkreateure massig zu tun, wo arriviertes Starpersonal wie Ava Gardner und Lorne Greene (übrigens als Vater und Tochter zu sehen - völliger Quatsch) sich damit begnügen darf, physische Präsenz zu zeigen. Den besten Auftritt allerdings hat Walter Matthau als stockbesoffene Barfliege im besten Pimp-Outfit samt rotem Plüschhut, die von dem ganzen Tohuwabohu um sich herum nichts mitbekommt. Mit noch immer beeindruckenden Miniatureffekten und schicken matte paintings erschuf man tatsächlich die unerhört realistisch anmutende Illusion eines gigantischen Ground Zero, eines urbanen Schlachtfelds. Insgesamt ein sehr schickes, bombastisches Studio-Prestigestück inmitten des intimen New Hollywood.

7/10

Apokalypse Starbesetzung Mark Robson


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THE FLY (David Cronenberg/CA, USA 1986)


"I was not pure."

The Fly (Die Fliege) ~ CA/USA 1986
Directed By: David Cronenberg


Der exzentrische Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum) hat die Möglichkeit der räumlichen Teleportation entdeckt. Kurz nachdem er sein Geheimnis der Journalistin Veronica (Geena Davis) offenbart hat, gelingt es ihm darüberhinaus, organische Materie zu transportieren, wo zuvor nur der Transfer toter und synthetischer Stoffe möglch war. Ein leicht alkoholisiertes Selbstexperiment endet fatal: Von Brundle unbemerkt setzt sich eine Stubenfliege mit in einen der Transmitter, die genetischen Informationen von Mensch und Fliege vermischen sich. Nach und nach verwandelt er sich in erschütternder Weise.

Der ihn stets bewegenden Frage, was denn nun eigentlich die 'Poesie des Fleisches' ausmache, spürt Cronenberg auch in diesem Remake des gleichnamigen SciFi-Klassikers von Kurt Neumann nach und hievt damit die einst so naiv erzählte Gruselstory auf seine ganz persönliche Plattform des 'organischen Horrors'. In beinahe schmerzhaft perfekter Inszenierung zeigt der Filmemacher uns den Weg in eine andere Daseinsform, die letzten Endes nur deshalb nicht weiterexistieren darf, weil ihre Präsenz in unserer angepassten Gesellschaft nicht geduldet und als abstoßend empfunden würde. Brundles Reaktion auf Veronicas geplante Abtreibung des geimnsamen Babys ist hingegen vielleicht die humanste, die er während des gesamten Films an den Tag legt. Insofern bietet sich im Hinblick auf "The Fly" ferner ein Diskurs zur Erläuterung dessen an, wo wahre Menschlichkeit beginnt und wo sie endet.
Eine ganze Palette affektiv schürbarer Emotionen wird von Cronenberg bedient: Abscheu, Humor, Trauer, Mitleid. Wer nicht zumindest schlucken muss angesichts des fatalistischen Endes, in dem Brundle, verschmolzen mit seiner eigenen Apparatur zu einem grotesken Maschinen-Mensch-Hybriden, dem endgültigen technokratischen Albtraum, einsieht, dass es für ihn endgültig keinen Platz mehr gibt in dieser Welt, in dessen Brust kann kein Herz schlagen.

10/10

Transgression Mutant Insekten Mad Scientist Technokratie David Cronenberg Splatter Monster


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DER FAN (Eckhart Schmidt/BRD 1982)


"Nichts für dich dabei, junge Dame."

Der Fan ~ BRD 1982
Directed By: Eckhart Schmidt


Wie viele Teenager träumt Simone (Desirée Nosbusch) davon, in den Armen ihres abgöttisch verehrten Stars zu liegen, bei dem es sich in ihrem Fall um den Popstar R (Bodo Steiger) handelt. Doch Simones Zuneigung geht über übliche Jungmädchen-Schwärmereien hinaus; R bestimmt ihre gesamte Existenz. Als Christines Liebesbriefe an R unbeantwortet bleiben, reist sie per Anhalter zu einem seiner Fernsehauftritte. Der Star wird tatsächlich auf das hübsche Mädchen aufmerksam und spielt ihr eine fachmännische Komödie vor, um sie ins Bett zu bekommen. Als Simone danach bemerkt, dass R nur an der schnellen Nummer interessiert war, erschlägt und zerteilt sie ihn und verspeist seinen Körper. Am Ende kehrt sie in ihren Alltag zurück als sei nichts gewesen.

West-German Psycho: Schmidts durchaus ansprechende Studie einer bis ins äußerste Extrem gepushten Teenagerbesessenheit wurde seinerzeit zum Skandalfilm hochgejubelt, vornehmlich vegen der Nacktszenen der siebzehnjährigen Nosbusch und wegen des Kannibalismusaspekts der Geschichte. Dabei fasziniert "Der Fan" im Nachhinein vor allem als Zeitporträt; die minimalistischen Klänge der NDW-Truppe Rheingold (deren Vokalist Bodo Steiger im Film als R zu sehen ist) unterlegen die karge, vordergründig emotionslose Bildsprache Schmidts, die sich an die der Schrader-Filme dieser Zeit wie "American Gigolo" und "Cat People" angleicht, auf kongeniale Weise. Schmidt gelingt es, den kalten Hedonismus dieser Ära, der, so die primäre These des Films, sensiblere Menschen sukzessive in den Irrsinn zu treiben vermochte, vorzüglich zu illustrieren. Kleine, durchaus charmant wirkende Schnitzer, die sich in unzureichend scheinendem Spiel oder manchmal unbeholfen wirkender Inszenierung äußern, passen sich der irrealen Gestalt des Films letzten Endes vorzüglich an.
Leider hat "Der Fan" es über die Jahre noch nicht geschafft, sich einen ihm gerecht werdenden Leumund zu erarbeiten. Vielleicht mag dieser kleine Text ein bisschen dazu beitragen, wenig täte mich mehr freuen.

7/10

Teenager Independent Kannibalismus Musik Madness Skandalfilm Eckhart Schmidt


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SPETTERS (Paul Verhoeven/NL 1979)


Zitat entfällt.

Spetters ~ NL 1980
Directed By: Paul Verhoeven


Der geordnete Alltag der drei Provinzfreunde und Motocross-Fans Rien (Hans van Tongeren), Eef (Toon Agterberg) und Hans (Maarten Spanjer) gerät durcheinander, als sie bei einem Rennen die selbstbewusste Pommesbraterin Frietje (Renée Soutendijk) und ihren Bruder Jaap (Peter Tuinman) kennenlernen. Für sie alle bedeutet Frietjes und Jaaps Auftauchen indirekt oder direkt eine existenzielle Zäsur. Rien hat einen furchtbaren Unfall, Eef bekennt sich endlich offen zu seiner Homosexualität und Hans muss einsehen, dass es Zeit wird, sich endlich aus gewissen übermächtigen Schatten zu lösen.

"Spetters", den Verhoeven ausnahmsweise nicht für seinen bisherigen Stammproduzenten Rob Houwer machte, schien den Regisseur vor eine ähnliche Entscheidung zu stellen wie Hans: Weiter im Jugendmilieu verweilen und sich um Selbstfindungsgeschichten von Halbstarken kümmern oder einsehen, dass dazu bereits alles Wesentliche gesagt wurde und sich "erwachseneren" Themen zuwenden. Vielleicht spürte Verhoeven dieses Drängen sogar schon während der Entstehungszeit von "Spetters", denn der Film wirkt, zumindest in Teilen, nicht mehr so ambitioniert wie vorhergehende Arbeiten. Die schon üblichen Protestreaktionen kamen diesmal aufgrund einiger weniger expliziter Bilder, die die Grenzüberschreitung zur Pornographie hinter sich ließen - einer der ersten offensiven Einbrüche sexueller Darstellungen in den Mainstream bzw. ein klares Signal des Arrangements, wie sie eine ganze Zeit später von RegisseurInnen wie Breillat und Winterbottom ähnlich unverkrampft und mit noch deutlicherer Signalstärke übernommen werden sollten. Das hievt den Film aber auch nicht in die qualitativen Bereiche von "Turks Fruit" oder "Soldaat Van Oraanje". Am Besten an "Spetters" gefällt mir ehtrlich geagt der Einsatz der häufig und wie beiläufig im Hintergrund gespielten, zeitgenössischen Popmusik, die wunderbar den Übergang zwischen Punk und Disco illustriert. Könnte man mit ein bisschen Phantasie sogar als symptomatisch für Verhoevens kreatives Dilemma betrachten.

6/10

Teenager Freundschaft Skandalfilm Paul Verhoeven Coming of Age


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SOLDAAT VAN ORANJE (Paul Verhoeven/NL 1977)


"It was just a decision of fingers."

Soldat van Oranje (Soldiers) ~ NL 1977
Directed By: Paul Verhoeven


Amsterdam, 1939: Mit Kriegsbeginn driften die Lebenswege der sieben Studienfreunde Erik (Rutger Hauer), Guus (Jeroen Krabbé), Nico (Lex van Delden), Alex (Derek de Lint), Jan (Huib Rooymans), Jack (Dolf de Vries) und Robby (Eddy Habema) unweigerlich auseinander. Während Jack von den politischen Ereignissen weithin unbeeindruckt und stetig neutral bleibt, treten die Lebemänner Erik und Guus zusammen mit Nico und Robby in den nationalen Widerstand ein. Jan ist Jude und kämpft zunächst in der holländischen Armee, wird jedoch von der Kollaborationsregierung Musserts verraten und ermordet. Alex hingegen schlägt den Weg des überzeugten Nazis ein und wird Mitglied der Waffen-SS. Als man Robbys Funkeraktivitäten gewahr wird, erpresst man ihn mit der drohenden Deportation seiner jüdischen Verlobten (Belinda Meuldijk). Robby wird zum Verräter an der Sache. Erik und Guus fliehen nach England und arbeiten künftig als Spione im unmittelbaren Auftrag von Königin Wilhelmina (Andrea Domburg). Erik tritt nach Guus' Tod in die Royal Air Force ein und kehrt nach Beendigung des Krieges als Held und persönlicher Adjutant der Königin in deren Gefolge in die Niederlande zurück.

Verhoevens bis heute größtes Epos umfasst eine zeitliche Spanne von sieben Jahren und ist bereits ein deutliches Symbol für die Ambitionen des Regisseurs, im großen Stil in Hollywood zu arbeiten. Verhoeven wendete sich ab vom eher rotzigen, intimen und sehr persönlich gefärbten Stil seiner beiden letzten Filme und getraute sich, ein großes, prestigeträchtiges Nationalepos über die Rolle der Niederlande während des Zweiten Weltkriegs zu inszenieren, das den zum damaligen Zeitpunkt mit Abstand teuersten holländischen Film überhaupt markierte. Sich vor dem klassischen Emotionsrepertoire des Kintopp nicht scheuend, geriert sich "Soldat van Oranje" ungewohnt großatmig: Über existenzielle Standpunktentscheidungen im Angesicht der nationalen Dämmerstunde geht es, um Schuld, Sühne, Verrat, Liebe und Betrug, also praktisch die großen Beweggründe der Weltliteratur.
Nun lässt sich retrospektiv sicher trefflich darüber diskutieren, ob dies überhaupt ein Stoff ist oder war, der sich für einen Regisseur wie Verhoeven anbietet, dessen Chancen und Sternstunden doch stets eher in der spitzen Satire und im kleinbürgerlichen Tabubruch liegen. Als Experiment, das der Film über die Jahre letztlich auch geblieben ist ("Zwartboek" sollte später genau jene Lücken schließen, die hier noch klafften), ist "Soldaat van Oranje" in jedem Fall dank- und goutierbar; als bloßes Kriegsdrama, losgelöst von den Umtrieben seines Regisseurs, präsentiert er sich darüberhinaus als von unbestreitbar überdurchschnittlicher Qualität.

7/10

Widerstand Amsterdam Nationalsozialismus Freundschaft Paul Verhoeven WWII


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TURKS FRUIT (Paul Verhoeven/NL 1973)


Zitat entfällt.

Turks Fruit (Türkische Früchte) ~ NL 1973
Directed By: Paul Verhoeven


Erik (Rutger Hauer), ein selbstsüchtiger, junger Amsterdamer Bohèmien, lernt eines Tages die Kaufmannstochter Olga (Monique van de Ven) kennen. Man verliebt sich Hals über Kopf ineinander und heiratet entgegen aller Konventionen, nur um irgendwann feststellen zu müssen, dass die unterschiedlichen Existenzansätze der beiden doch nicht miteinander vereinbar sind. Erik weigert sich zwar, Olga einfach so aufzugeben, doch die übermächtige Autorität ihrer dämonischen Mutter (Tonny Huurdeman) obsiegt am Ende. Erik ist am Boden zerstört. Als er, innerlich und emotional gereift, Olga nach ein paar Monaten wiedertrifft, hat sie wegen eines Hirntumors nur noch wenige Tage zu leben.

In seinem zweiten Spielfilm nach dem leider eher selten anzutreffenden "Wat Zien Ik" wagt Verhoeven einen radikalen Gegenentwurf zu etabliertem Hollywoodkitsch wie "Love Story" - weitgehend unsentimental erzählt er den Reifeprozess eines jungen Wilden, der morbiderweise erst über den Tod seiner Geliebten hinaus erwachsen zu werden und ein verantwortungvolles Leben zu führen imstande ist. Am Anfang besitzt Erik noch den Habitus eines typischen rotznäsigen Künstlers, dem die Missachtung jeglicher Sozialkonventionen über alles geht. Die Liebe zu Olga kann diese Position nicht schmälern, wobei sie anfänglich noch auf seinen unstillbaren Sexhunger eingeht und sich seine teils derben, geschmacklosen Scherze gefallen lässt. Die Zäsur folgt an einem Abend im chinesischen Restaurant: Olga, ihre Mutter und deren provinzielle Freunde amüsieren sich nach einigen Gläsern in widerwärtigst-biederer Schunkelmanier, was Erik mit einem gewaltigen Kotzanfall bei Tisch quittiert - bis heute eine der stärksten Szenen im kompletten Schaffen Verhoevens. Es folgt noch eine räsonierende Ohrfeige, und die Liaison bis auf weiteres beendet. Die Beziehung, so wie sie eigentlich sein soll, von Aufopferung und Zärtlichkeit geprägt, findet dann tragischerweise erst ihren rechten Platz, als sich der Tod bereits seinen Weg bahnt.
"Turks Fruit" galt damals als Skandalfilm, wegen diverser unerhört tabuloser Szenen, die ich hier jetzt gar nicht groß aufzuzählen gedenke. Letztlich besaß Verhoeven schon damals das, was ihm auch später noch den Ruf eines enfant terrible eintrug: Den Mut, bestimmte Dinge, die es verdienen, beim Namen zu nennen und sie nicht wie die meisten seiner Kollegen in großflächig tolerierte Symbolismen, sondern in eine so vitale wie aufrichtige Bildsprache zu kleiden.

8/10

Coming of Age Paul Verhoeven Skandalfilm Amsterdam Amour fou Kunst


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LETTERS FROM IWO JIMA (Clint Eastwood/USA 2006)


Zitat entfällt.

Letters From Iwo Jima ~ USA 2006
Directed By: Clint Eastwood


Die Pazifikinsel Iwo Jima im Februar 1945: Die kaiserlich-japanische Armee versucht in einer der letzten Schlüsselschlachten des Zweiten Weltkriegs, der anrückenden Übermacht der US-Streitkräfte zu begegnen, ist jedoch von vornherein völlig chancenlos. Dem Druck, den das Nahen des zahlenmäßig zigfach überlegenen Gegners auf die Soldaten ausübt, gesellen sich noch der persönliche Ehrbegriff und die Angst vorm immer sicherer werdenden Sterben hinzu. Der der westlichen Kultur gegenüber aufgeschlossene General Kuribayashi (Ken Watanabe), Ex-Militärattaché in Übersee, verkennt als einziger der uniformierten Inselbesatzer nicht die Entschlossenheit und Persönlichkeit des Feindes; der junge, verheiratete Soldat Saigo (Kazunari Ninomiya) indes weigert sich stetig, die selbstmörderische Todesphilosophie seiner Kameraden zu teilen.

In Kombination mit dem Parallelwerk "Flags Of Our Fathers", das ich mir zuvor ebenfalls nochmal angesehen habe, bildet "Letters From Iwo Jima" den wohl definitiven dramatisierten Abriss der Ereignisse um die "Operation Detachment", die Übernahme der kleinen kargen Vulkaninsel Iwo Jima durch die US-Armee - ein besonders aufgrund seines strategischen und symbolischen (und damit psychologischen) Gehalts elementarer Kriegsschachzug. Obgleich beide Filme aus ihrer formalen und sittlichen Verwandtschaft keinen Hehl machen, sind sie atmosphärisch doch sehr unterschiedlich geartet. "Letters From Iwo Jima" porträtiert fast kammerspielartig die klaustrophobische Situation der bereits von Anfang an feststehenden Verlierer der Schlacht, die in ihren eilig aus dem Fels gehauenen, provisorischen Tunneln hocken und so tapfer kämpfen, wie es nur geht, aufgrund der unverhältnismäßigen Größe des Gegners jedoch zum Verlieren verdammt sind. Für sie entwickelt sich Iwo Jima auch zu einem Belagerungskonflikt, das Frischwasser geht langsam aus, die jungen Männer werden von Seuchenkrankheiten dahingerafft und ihre überkommenen Weisungen, in jedem Falle in den Tod zu gehen (was im konkreten Fall Seppuku bedeutet), bevor man sich ergibt, zermürben sie auch innerlich.
Auch wenn man Eastwood verdächtigen möchte, es bei "Letters" etwas einfacher gehabt zu haben als bei "Flags", da die Darstellung der Verliererseite unter antikriegsintentionalen Gesichtspunkten schlicht die dankbarere ist, muss "Letters" ganz klar als Punktesieger aus dem Gesamtwerk hervorgehen: Er geriert sich dichter, persönlicher und vor allem weitaus intimer als sein "Zwillingswerk".

9/10

Pazifikkrieg Clint Eastwood Iwo Jima WWII


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NICHTS ALS DIE WAHRHEIT (Roland Suso Richter/D, USA 1999)


"Die Wahrheit duldet keine Mutmaßung."

Nichts als die Wahrheit ~ D/USA 1999
Directed By: Roland Suso Richter


Peter Rohm (Kai Wiesinger), ehrgeiziger Berliner Junganwalt und führender Hobbyhistoriker betreffs des Auschwitz-Arztes Josef Mengele, erhält ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk: Nachdem ihm anonym Mengeles SS-Uniform per Paket zugestellt wird, lockt man ihn auf ein feudales Anwesen, um ihn dort hinterrücks zu betäuben. Stunden später erwacht Rohm unter der grellen Sonne Argentiniens, wo sich ihm ein alter, kahlköpfiger Mann (Götz George) als Dr. Josef Mengele vorstellt, der plant, nach Deutschland zurückzukehren um sich dort endlich der Gerichtsbarkeit zu stellen, da sie nun reif genug zur distanzierten Betrachtung seiner Taten wäre. Rohm solle ihn vor Gericht vertreten. Der Jurist glaubt nicht an die vorgestellte Identität des Mannes, der ihm zurück nach Deutschland folgt, doch umgehend anberaumte, entsprechende Untersuchungen lassen keinen Zweifel aufkommen: Der Mann, der 1979 in Brasilien ertrunken ist, war nicht Mengele, sondern ein Cousin und die zahnärztlichen Unterlagen gefälscht. Nach einem ausführlichen Gewissenscheck beschließt Rohm, die Verteidigung des Monsters zu übernehmen und wird dabei auch mit dunklen Stellen innerhalb der eigenen familiären Vergangenheit konfrontiert.

Nachdem das große historische Nazi-Schreckgespenst Mengele bereits effektvoll (in im ersten Fall verklausulierter und in zweitem in ganz bewusst exploitativer Form) für Schlesingers "The Marathon Man" und Schaffners "The Boys From Brazil" herhalten musste, näherte sich ihm Richter mit dem Abstand einiger Jahre per hypothetischer Annäherung im Kontext eines "Was wäre wenn...?" - Szenarios. Götz George, der in den Jahren zuvor die Bedrohlichkeitsradien eines Menschen durch seine brillanten Leistungen in "Der Totmacher" und in "Der Sandmann" ganz neu und vor allem karriereförderlich ausloten konnte, erweist sich als Idealbesetzung für den "Todesengel" und besteht mit kleiner, aber bedeutungsvoller Gestik und minimalistischem Spiel als dunkles Zentrum dieses Films, der sich dann erwartungsgemäß auch ganz als der seine erweist. Die eine fiktionale Aufarbeitung des Mengele-Mythos erfordernde Sensibilität bringt der Film auf, so gut es ihm innerhalb seines Status als Genreprodukt möglich ist und in seinen Fragestellungen wie in seinen Kernaussagen bleibt er fast durchweg integer. Über allem schwebt dabei der übermächtig-latente Diskurs: Kann und darf ein Mensch wie Mengele, der seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit so unzählig wie nachweislich verübte, von demokratischer Rechtsstaatlichkeit profitieren?
Ein wenig den Boden unter den Füßen verliert "Nichts als die Wahrheit" in der zweiten Hälfte, in der er ebenso der Faszination des diabolischen Charismas der Person Mengeles zu erliegen droht wie sein Medium, der Anwalt Rohm (übrigens ein gar archetypischer Filmname für einen Nazifunktionär), als Mengeles Praktiken unter dem ethischen Deckmantel barmherziger Euthanasie verhandelt werden. Aber: wenn der eifrige Staatsanwalt (Volker Risch) in seinem Schlussplädoyer konstatiert, dass Mengele, unabhängig von dem ihm zugetanen Strafmaß, allein durch die Öffentlichkeitsplattform, die ihm der zurückliegende Schauprozess beschert habe, gewonnen hat, dann ist der Film so ehrlich zu sich selbst, wie es eben möglich scheint und rettet sich - glücklicherweise - aus jeder vorhergehenden, drohenden Verfänglichkeit.
Seit ich Richters Film damals im Kino gesehen habe, warte ich auf eine Revision, zumal ich mir seit damals, affektiv hoffnungslos überwältigt von Georges Spiel, nicht ganz sicher war, was nun letzten Endes wirklich davon zu halten sei. Die lang überfällige, aktuelle DVD-Veröffentlichung gibt nun endlich Gelegenheit dazu und ich bin überaus zufrieden mit dem Film. Spannendes deutsches Kino zum Angewöhnen.

8/10

Nationalsozialismus Courtroom Hypothese Roland Suso Richter


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FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS (Terry Gilliam/USA 1998)


"Damn drugs."

Fear And Loathing In Las Vegas ~ USA 1998
Directed By: Terry Gilliam


Im Frühjahr 1971 begibt sich der Journalist Raoul Duke (Johnny Depp) zusammen mit seinem drug buddy Dr. Gonzo (Benicio del Toro) und einem Koffer voll diverser illustrer Rauschmittel nach Las Vegas, um in seinem ihm eigenen, als Gonzo-Journalismus getauften Berichterstattungsstil die Wüstenrallye 'Mint 400' zu dokumentieren. Später findet sich noch ein weiteres Engagement im Zuge des alljährlichen Polizeitreffens unter dem Schirmmantel der Drogenbekämpfung. Der mehrtägige, rauschgiftgeschwängerte Trip erweist sich im Nachhinein als Reise in die Abgründe der eigenen Seele und in das verfaulende Herz Amerikas.

"Fear And Loathing In Las Vegas", mit dem ich gestern feierlich, weil wieder mal zutiefst erschüttert, meine jüngste Terry-Gilliam-Retrospektive beschloss, anzusehen, kommt für mich jedesmal aufs Neue einem überwältigenden Ereignis gleich. Gewöhnlich vermeide ich eine nüchterne Betrachtung dieser monströsen Americana, sei es, weil sie sich bei verändertem Bewusstsein besser konsumieren und /oder begreifen lässt, sei es, weil ich sie nach zwanzigirgendwas-maliger Beschau nur noch so zu ertragen können glaube. Alles Blödsinn, das einzige Mittel, das mir gestern die Sinne hätte trüben mögen, war das Penicillin, das ich gegenwärtig zur Zerschlagung meiner akuten Tonsillitis nehme. Und trotzdem brach der Film abermals über mich herein wie die Acid-Fledermäuse über Johnny Depp in der kalifornischen Wüste: Eine gewaltige Bestandsaufnahme einer Nation am Arsch, zwischen Nixon, Vietnam, Kent State und einem unterminierten Liebessommer, in der nur noch die bleibende Musik von den gestrigen, kurzlebigen Träumeridealen zeugt. Und die Drogen natürlich. Wirkungsgrade und -dauer jeder einzelnen von ihnen wird uns minutiös nahegebracht, bestimmte Verhaltensregeln und was sich bei dem einen vielleicht anders niederschlägt als beim anderen. Besonders Bewusstseinsverzerrendes ist bei Duke und Gonzo gefragt: Mescalin, LSD, Äther, Poppers und ein besonders tückisches Zeug namens Adrenochrom, samt und sonders recht und billig, um Las Vegas zu er-, unter- und überleben, obschon die Stadt - Zitat Raoul Duke - "nicht gemacht scheint für User halluzinogener Drogen". Eher sanftes Zeug wie Koks, Joints, Alkohol fungiert als Realitätsanker. Immerhin findet man inmitten von schweinischem Benehmen und Vandalismus noch hinreichend Zeit zu rückhaltloser Rauschmittelarroganzia, sowie dazu, über die nationale Verworfenheit zu sinnieren. Genau deswegen ist "Fear And Loathing In Las Vegas" auch das hochrangige Stück Literatur (und Film, natürlich) geworden, als das es heute gerufen wird.
Abschließend noch etwas redundante Hypothese und Arschkriecherei: Ich möchte behaupten, dass ein anderer Filmemacher als Terry Gilliam die notwendige Gratwanderung zwischen ausgelebtem Hedonismus und gesellschaftspolitischem Statement in einer solch überirdischen Perfektion nicht hinbekommen hätte.
Darum: Viva T.G.!

10/10

Farce Satire Alkohol Americana Drogen Journalismus LSD Freundschaft Groteske Hunter S. Thompson Las Vegas Terry Gilliam Beat Generation


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THE FISHER KING (Terry Gilliam/USA 1991)


"Forgive me."

The Fisher King (König der Fischer) ~ USA 1991
Directed By: Terry Gilliam


Der ultrazynische New Yorker Radiotalker Jack Lucas (Jeff Bridges) fällt in ein tiefes Loch, als einer seiner Anrufer (Christian Clemenson) einen von Jacks "Ratschlägen" allzu wörtlich nimmt und ein Massaker in einem Café anrichtet. Jack zieht sichaus der Öffentlichkeit zurück und trifft eines Tages auf den Penner Parry (Robin Williams), der ihm das Leben rettet. Parry stellt sich als Witwer eines der Café-Opfer (Lisa Blades) heraus, der durch den gewaltsamen Tod seiner Frau eine tiefe Psychose erleiden musste. Jack, vom schlechten Gewissen befallen, fühlt sich für Parrys Schicksal verantwortlich und verhilft ihm, sozusagen aus Entschädigungsgründen, zu einer Romanze mit der schüchternen Lydia (Amanda Plummer). Doch damit beginnen Parrys Probleme von Neuem...

Nach den "Münchhausen"-Querelen nahm Gilliam zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Filmregisseur den Auftrag eines Majors entgegen und machte "The Fisher King" für TriStar. Obwohl das Script nicht von ihm selbst stammt, könnte dieser Film, einer seiner schönsten übrigens, kaum gilliamesker sein. Bestes Futter für den Auteur-Theoretiker. Bizarre Figuren zwischen Wahn und Warmherzigkeit, das bereits in "Monty Python And The Holy Grail" abgearbeitet schienene Gralsmotiv und der übliche, verquere Humor paaren sich mit einer ansonsten recht erdverbundenen, existenzialistischen Geschichte, die im Gegensatz zu den bisherigen (und späteren) monströsen, umwälzenden Visionen Gilliams beinahe kammerspielartig erscheint. Letztlich geht es ja um nichts anderes als um einen zynischen Misanthropen, der nach seiner größten Fehlleistung erst Buße tun muss, um sich aus seinem selbstmitleidigen Egozentrismus-Sumpf wieder befreien zu können. Dass nebenbei noch ein berittener, roter Feuerdämon mitten in Manhattan, verballhornte Pornofilm-Titel ("Ordinary Peepholes", "Creamer vs. Creamer"), ein Massenwalzer mitten in der Grand Central Station und Tom Waits als philosophierender Penner vorkommen, ist ganz gewiss nichts Besonderes, sondern liegt bloß in der Natur der Sache. Wir befinden uns schließlich in einem Gilliam. Einem echten, aber bitteschön.

10/10

Heiliger Gral New York Terry Gilliam Freundschaft Obdachlosigkeit Madness Psychiatrie Erwachsenenmaerchen





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