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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CACTUS FLOWER (Gene Saks/USA 1969)


"You dirty married bachelor!"

Cactus Flower (Die Kaktusblüte) ~ USA 1969
Directed By: Gene Saks

Als seine wesentlich jüngere Geliebte Toni (Goldie Hawn) einen vergeblichen Suizid-Versuch startet, sieht sich der Dentist Julian Winston (Walter Matthau) endlich genötigt, sie zu heiraten. Der Haken: Julian hat ihr seit einem Jahr vorgeschwindelt, bereits verheiratet zu sein und drei Kinder zu haben. Nun muss er eine wilde Scheidungsgeschichte erfinden, die noch pikanter wird, als Toni darauf besteht, Julians zukünftige Ex-Frau kennenzulernen. Diese Rolle soll nun Julians langjährige Praxishelferin Stephanie (Ingrid Bergman) einnehmen...

Fand ich an der Zeit, aufzufrischen, nachdem ich neulich "Just Go With It", die zumindest motivisch verwandte Neuverfilmung des Stücks "Fleur De Cactus" von Barillet und Grédy gesehen hatte. Für "Cactus Flower" hat der Wilder-Stammschreiberling I.A.L. Diamond die Feder zur Hand genommen und entsprechend anverwandt wirkt das Ergebnis. Allerdings ist weniger die sich anbahnende Romanze der beiden alternden Knutschkugeln Matthau und Bergman (jene mit 54 immerhin noch gut fünf Jahre älter als ihr Filmpartner, das gibt's auch nicht alle Tage in Hollywood), sondern die satirische Zeichnung des selbsternannten Künstlermilieus von Greenwich Village. In jenen Tagen schien in New York noch alles gestattet und rein gar nichts merkwürdig zu sein, jedenfalls glaubt man das als Spätergeborener nach Ansicht von Filmen wie diesem nur allzu gern. Ganz herrlich anzuschauen etwa die Tanzflächenverrenkungen der Protagonisten zu einer Northern-Soul-Variation von dem Monkees-Klassiker "I'm A Believer" oder die Szenen in Goldie Hawns Plattengeschäft.
Ansonsten ein sehr lebensweises und wohlmeinendes Stück, das bei allem Tiefsinn älteren Herren ihre evolutionär verwurzelten Lolitakomplexe jedoch kaum auf Dauer austreiben wird. Ich jedenfalls wäre bei der Hawn geblieben, aber wer bin ich schon...

7/10

New York Zahnarzt Bohème based on play


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SINBAD THE SAILOR (Richard Wallace/USA 1947)


"Thank Allah, I am sailing home to Dariabar!"

Sinbad The Sailor (Sindbad der Seefahrer) ~ USA 1947
Directed By: Richard Wallace

Der Seefahrer Sindbad (Douglas Fairbanks Jr.) erzählt den Leuten im Hafan von Basra von seiner achten Reise, auf der er nicht nur den Schatz Alexander des Großen auf der sagenumwobenen Insel Deryabar gefunden hat, sondern auch seine große Liebe Shireen (Maureen O'Hara), und im Zuge derer er sich gleich gegen zwei Bösewichte, nämlich den machthungrigen Emir von Daibul (Anthony Quinn) und einen geisterhaften Piraten namens Jamal (Walter Slezak), dessen Gesicht niemand kennt, zur Wehr setzen musste...

Alles ist wahr, alles! Gut aufgelegtes Abenteuermärchen für kleinere und größere Jungs, dem leider noch der Mut zur naiven Fantasy, die später die drei von Ray Harryhausen getricksten Sindbad-Filme begleitete, fehlt. Zwar erzählt der zu großen Gesttikulierereien neigende Sindbad gern auch die Geschichten seiner legendären siebten Reise, vom Vogel Roch und anderen Ungeheuern, in Wallaces Film reicht es jedoch bloß zu zwei - immerhin famos interpretierten - höchst menschlichen Antagonisten. Ansonsten sind die leuchtenden Farben der primäre Trumpf dieser quietschbunten Fabel, in der Fairbanks Jr. grinsend herumspringt wie ein toll gewordenes Eichhörnchen und die am Ende sogar eine felsenfeste Moral absondern darf: Die wahren Schätze liegen im Herzen und im Kopfe eines jeden Suchenden!

7/10

Sindbad 1001 Nacht Piraten Richard Wallace


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THE BIG TREES (Felix E. Feist/USA 1952)


"I'd better get out of here. It might be catching."

The Big Trees (Für eine Handvoll Geld) ~ USA 1952
Directed By: Felix E. Feist

Im Jahre 1900 entschließt sich der windige Holzfäller-Baron Jim Fallon (Kirk Douglas), nach Kalifornien zu gehen, um sich die per Regierungsedikt freigestellten Redwood-Bäume unter den Nagel zu reißen. Trotz seines denkbar kompromisslosen Vorgehens muss Fallon bald einsehen, dass die dort angesiedelten Quäker, allen voran die ihm nicht unsympathische Witwe Alicia Chadwick (Eve Miller) irgendwie Recht haben, wenn sie die uralten, gigantischen Mammutbäume als gottgleiche Präsenz auf Erden begreifen. Als Fallons ehemaliger Partner LeCroix (John Archer) sich mit der noch skrupelloseren Konkurrenz zusammentut und ihn übervorteilen will, stellt sich der nunmehr Geläuterte auf die Seite der friedliebenden Quäkersleut.

Auch wenn man den Namen Felix E. Feist auf das erste Hören naiverweise und nicht ganz unberechtigt für das Pseudonym eines Pornofilmers halten könnte, hat selbiger, bevor er später zum Fernsehen wechselte, neben diesem hübschen kleinen Technicolor-Western noch ein paar weitere mit Randolph Scott und Lex Barker auf dem Kerbholz sowie den "Gehirnfilmklassiker" (O.-Ton ofdb) "Donovan's Brain". "The Big Trees" ist die gemächlich erzählte Geschichte einer moralischen Schuldrückzahlung, wie sie weiland auch Walshs "Silver City" erzählte. Jim Fallon nimmt das Prinzip des Kapitalismus anfangs etwas zu wörtlich und vergisst als rücksichtsloser Glücksritter jede Form der Menschlichkeit. Kirk Douglas, man denke nur an Wilders "Ace In The Hole", konnte den schurkischen Schweinhund mit "Schaf im Wolspelz"-Attitüde verkörpern wie nur wenige sonst, weshalb er hier auch besonders auftrumpfen kann. Böse Zungen mögen sogar behaupten, "The Big Trees" gehöre ganz ihm, wenn man aber Feist dabei beobachtet, wie er selbst der Faszination der majestätischen Redwood-Bäume zu erliegen scheint, dann relativieren sich Aussagen wie die obige ganz schnell wieder. Kein großer Klassiker, aber ganz bestimmt eine nette Abwechslung für zwischendrin.

6/10

Kalifornien Holz Freundschaft period piece


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JUST GO WITH IT (Dennis Dugan/USA 2011)


"I can't wait to Twitter this to all my friends."

Just Go With It (Meine erfundene Frau) ~ USA 2011
Directed By: Dennis Dugan

Nach einem traumatischen Prä-Hochzeits-Erlebnis hat der ansonsten gut aufgelegte Schönheitschirurg Danny Maccabee (Adam Sandler) einen fiesen Abschlepp-Trick entwickelt: Er trägt einfach seinen - nunmehr bedeutungslosen - Ehering und die Herzen der schönsten Frauen fliegen ihm nur so zu. Bei der atemberaubenden Palmer (Brooklyn Decker) stellt sich leider der diametrale Effekt ein: Als die junge Schönheit, die Danny eigentlich vom Fleck weg heiraten würde, das güldene Heiratssymbol erblick, hält sie ihn für einen Betrüger und will vorläufig nichts mehr von ihm wissen. Um Palmer nun zu verkaufen, dass seine (imaginäre) Ehefrau eine wahre Hexe ist, überredet Danny seine langjährie Sekretärin Katherine (Jennifer Aniston), ebenjene zu spielen. Eine Reise nach Hawaii bringt längst erforderliche Klarheit.

Nach "Grown Ups" ist das diesjährige Sandman-Movie wieder etwas bissiger geraten, bleibt insgesamt aber der mittlerweile etablierten, familienfreundlichen Linie des Komikers treu. Überhaupt gibt es kaum Neues zu berichten von der Sandlerfront, aber da der Mann ja ohnehin so etwas wie eine massenkulturelle Konstante repräsentiert, ist das auch gut so. Die beiläufige 'plastic surgery satire' ist nicht übel und der Einsatz von Nicole Kidman (die ich zuletzt in "Cold Mountain" erblickt hatte) mitsamt ihren gestrafften Gesichtszügen, bei der ich zweimal hinsehen musste, um sie überhaupt zu erkennen, scheint mir ein hübsch perfider Zusatz-Kommentar. Hawaii als bewährten Schauplatz sowohl für bizarre Komik als auch für romantische Verwicklungen hatten wir schon ("50 First Dates"), die wie immer ausgesuchte Song-Kompilation mit unter anderem (nachgezählt) sage und schreibe neun Stücken von The Police bzw. dem Solo-Sting, einige davon als interessante Remix-Versionen und dem Überhit "Next To You" als Abschluss, fällt für einen Anhänger der Jungs natürlich generös aus und dieser blonde, überaus wohlbestückte Kleiderschrank Brooklyn Decker ist ein wahrer Klappmesser-Garant. Aber wen wundert's - der Sandman ist ja bekanntlich auch kein Kostverächter in jedweder Hinsicht. Die sich zum personellen Stamminventar entwickelnden Nick Wardson und Dave Matthews sind klasse. Da lassen sich sogar die üblichen, höchst weinerlich inszenierten Kinderheulereien um nachlässige Verräter-Papis noch zähneknirschend verknusen.
Ich schrieb es glaube ich schonmal an anderer Stelle, vermutlich sogar mehrfach, aber aus aktuellem Anlass ist es mir wieder ganz präsent: Sandler, der sein Lebenswerk dem Eskapismus und dem freundlich verpackten Publikums-Beschiss gewidmet hat, bleibt weiterhin der Einzige, der anno 2011 noch die capraeske Chuzpe besitzt, die USA per regelmäßigen Elogen liebevoll zum bonbonfarbenen Schlaraffenland zu verklären. Aber wen wundert's - für Erfolgsmenschen wie ihn repräsentieren sie vermutlich genau das. Für diesen Einsatz gebührt ihm dann aber auch endlich mal irgendeine Form von Staatsorden, Mr. Barack.

6/10

Dennis Dugan Hawaii Los Angeles Satire Adam Sandler


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VERTIGO (Alfred Hitchcock/USA 1958)


"You shouldn't have been that sentimental..."

Vertigo ~ USA 1958
Directed By: Alfred Hitchcock


Der wegen infolge eines Dienstunfalls unter Akrophobie leidende, vom Dienst retirierte Polizist Scottie Ferguson (James Stewart) wird eines Tages von seinem alten Collegefreund Elster (Tom Helmore) gebeten, dessen Frau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Jene scheint offenbar unter einem sonderbaren, übersinnlichen Familienbann zu stehen: Ihre Großmutter Carlotta hatte sich einst im selben Alter das Leben genommen und nun sieht es aus, als versuche Madeleine, es ihr gleich zu tun. Nachdem Scottie Madeleine einige Zeit lang verfolgt, ihr das Leben gerettet, si dann kennengelernt und sich schließlich in sie verliebt hat, gelingt ihr der Suizid: Sie springt vom Glockenturm eines Klosters. Scottie fällt in einen Schuldkomplex gekoppelt mit tiefen Depressionen, die eines langwierigen Heilungsprozesses bedürfen. Danach findet er in den Straßen der Stadt eine Frau (Kim Novak), die Madeleine bis auf ein paar Details zum Verwechseln ähnlich sieht. Scottie spricht sie an, modelt sie nach und nach um und erkennt dann die Wahrheit...

Die Geschichte einer unerfüllten Nekrophilie. Nach der kantigen Realitätsstudie "The Wrong Man" kam dieser flirrende Fiebertraum "Vertigo", der zu dem direkten Vorgänger auf den zweiten und dritten Blick durchaus manche Analogien aufweist. Auch hier wird ein Protagonist zum Opfer einer schweren, katatonischen Depression infolge falscher Schuldgefühle und auch hier kann die Heilung nur ein Zufallswink der Vorsehung leisten. Auch das Motiv des Katholizismus zieht sich somit weiter fadengleich durch Hitchcocks Werk. Nachdem bereits Vater Logan und Manny Balestrero ihre Dämonen letzten Endes nur mittels ihres jeweils unerschütterlichen Glaubens auszuteiben vermochten, kommt Scottie Ferguson am Ende, als er, seiner Sinne beraubt, schon selbst ein Verbrechen zu begehen droht, eine engelsgleiche Nonne zur "Hilfe": Madeleine, die glaubt, in der Silhouette der Ordensschwester den Rachegeist der ermordeten Madeleine Elster zu erblicken, stolpert in den Unfalltod.
Einer Ellipse gleich hat sich das Schicksal erfüllt; Scottie Ferguson ist erlöst. Überhaupt ist der Film seinem Titel entsprechend bis obenhin angefüllt mit elliptischer Tunnelsymbolik, der das Kino unter anderem den häufig zitierten '"Vertigo"-Zoom' verdankt, im Zuge dessen die Kamera während eines harten Zooms manuell zurückgezogen wird. Auge, Häuserschlucht, Treppenhaus, hochgesteckte Damenfrisur, ja selbst eine Rose - das Tunnelbild findet sich immer wieder. Wunderbar in diesem Zusammenhang die mit Zeichentrickeffekten gestaltete Traumsequenz, die James Stewarts' vorübergehenden Abstieg in den Hades der Psychose einläutet. Überhaupt hat Stewart, mit Ausnahme vielleicht von dem fanatischen bounty hunter Howard Kemp in Anthony Manns "The Naked Spur" niemals sonst einen so ambivalenten Antihelden fernab von seinem üblichen Saubermann-Image spielen dürfen. Trotz härtester Konkurrenz vermutlich Bernard Herrmanns feinster Hitchcock-Score und natürlich der Film, dem ein anderer Meister, Brian De Palma, so ziemlich alles verdankt.
Marvelös.

10/10

Madness Psychiatrie San Francisco Alfred Hitchcock Paraphilie Akrophobie


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THE TROUBLE WITH HARRY (Alfred Hitchcock/USA 1955)


"We're not quite finished with him yet."

The Trouble With Harry (Immer Ärger mit Harry) ~ USA 1955
Directed By: Alfred Hitchcock


Der New Yorker Harry Worp (Philip Truex) entschlummert sanft auf den herbstlichen Hügeln von Vermont - und gleich drei Personen (Edmund Gwenn, Mildred Natwick, Shirley MacLaine) fühlen sich für seinen Tod verantwortlich. So wird der arme Harry viermal ausgegraben, bevor er selbst und seine unfreiwilligen Bestatter die ewige Ruhe finden dürfen.

Neben "Halloween" meiner liebster Herbstfilm, eine perfekt pointierte, schwarze Komödie und trotz des morbiden Sujets Hitchcocks philanthropischstes, lebensbejahendstes Werk. Mit großer väterlicher Zuneigung zu den auftretenden und handelnden Personen, von denen bis auf den wie immer leicht verblödeten, querulantisch auftretenden Dorfsheriff (Royal Dano) allesamt sehr sympathisch sind, bringt "The Trouble With Harry" den Kreislauf der Existenz auf eine ganz einfache Formel: Aus jedem Tod erwächst stets auch neues Leben. Gleich zwei Liebespaare und ein ganzes Netz von Freundschaften bilden sich nämlich infolge von Harrys Ableben. Zuvor in anonymer nachbarlicher Koexistenz lebende Personen lernen sich über das turbulente, letztendlich heilsame Problem der Leichenentsorgung kennen, mögen und/oder lieben. Die explodierenden Farben von "To Catch A Thief" weichen hier einem (teils auf artifiziellem Wege herbeigeführtem) zartem Oktoberpastell, das sich in den Zeichnungen und Gemälden des etwas exzentrischen Künstlers Sam Marlowe (John Forsythe) sogar regelrecht "materialisiert".
"Harry" müsste somit eigentlich zum Pflichtprogramm ernannt werden für jeden angehenden Thanatologen.

10/10

Herbst Farce Leiche Alfred Hitchcock Vermont


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TO CATCH A THIEF (Alfred Hitchcock/USA 1955)


"Avez-vous Bourbon?"

To Catch A Thief (Über den Dächern von Nizza) ~ USA 1955
Directed By: Alfred Hitchcock


Der frühere Juwelendieb John Robie (Cary Grant), ehedem bekannt als "Die Katze", hat sich in einem Weingut an der französischen Riviera zur Ruhe gesetzt. Als ein neuer Räuber auftaucht, der Robies Vorgehensweise exakt dupliziert, gerät der Ex-Kriminelle überall in Verdacht - sowohl bei der Polizei als auch bei seinen früheren Genossen, die in ihrer nunmehr legalen Existenz ungestört bleiben wollen. Um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, verbündet sich Robie mit dem englischen Versicherungsdetektiv Hughson (John Williams), der über eine Liste der potenziellen Ziele der neuen "Katze" verfügt. Auf diesem Wege lernt Robie auch die amerikanische Schönheit Frances Stevens (Grace Kelly) kennen und lieben.

Eine Explosion in Technicolor und Vistavision. Ich kenne wenige Filme, die so sehr von ihren auserlesenen Farbkompositionen leben wie "To Catch A Thief" - eine luxuriöse Lektion in Ästhetik, den böse Zungen als Betuchten-Reisereklame für die Côte d'Azur diffamieren mögen, der für mich jedoch das ultimative Exempel der eleganten Gaunerkomödie darstellt. Diesmal geht es, mit Ausnahme des Showdown, kaum um Suspense, sondern lediglich darum, sich in Südfrankreich einen brauen Teint zu holen, um gutes Essen, Juwelen und Mondänität, um frivolen, geistreichen Witz. Und natürlich um Grace Kelly, die mit jedem weiteren Film für Hitchcock immer noch schöner zu werden scheint. Hier sieht sie endgültig aus wie ihr eigenes Gemälde, nicht mehr verbesserbar. Selbst nach einem Tauchgang bleibt jede Pore makellos. Dramaturgischer und visueller Höhepunkt des verschwenderischen Reigens ist das finalisierende Kostümfest, das zugleich ein Geschenk an die exzentrische Designerin Edith Head darstellt: Sämtliche Gäste treten in barocken Gewändern auf, die zu Beginn per Schaulauf von den übrigen Gästen beklatscht und beraunt werden. Hier wird der Farbrausch des Films, nachdem zuvor ein prachtvolles Feuerwerk als Koitussymbol diesen Status innehatte, endgültig orgiastisch. Hitch on acid.

10/10

Frankreich Alfred Hitchcock Heist Riviera Nizza


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REAR WINDOW (Alfred Hitchcock/USA 1954)


"I wish I were creative." - "You are. You're great at creating difficult situations."

Rear Window (Das Fenster zum Hof) ~ USA 1954
DIrected By: Alfred Hitchcock


Ein schwül-heißer New Yorker Sommer. Der Fotojournalist L.B. Jeffries (James Stewart) sitzt mit einem gebrochenen, bis über die Hüfte eingegipsten Bein in seinem Apartement und beobachtet aus lauter Langeweile den Hinterhof des Blocks. Als er im Haus gegenüber einen Mord und dessen Vertuschung zu sehen glaubt, wird er hellhörig. Mithilfe seiner Freundin Lisa (Grace Kelly) und seiner Pflegerin Stella (Thelma Ritter) versucht er, den mutmaßlichen Täter (Raymond Burr) aufzuscheuchen.

Mit "Rear Window", dem ersten eines sechsteiligen, von zwei Kuckuckseiern unterbrochenen Zyklus von Filmen für die Paramount, beginnt Hitchcocks signifikanteste Schaffensphase. Auf absoluter Schaffenshöhe feuert der Regisseur mit so professioneller wie leichter Hand gefertigte Meisterwerke ab, die den endgükltig zur Perfektion gereiften Techniker zeigen, der keine Experimente mehr nötig hat und sein ganzes Können fast spielerisch in die Waagschale des jeweiligen Sujets wirft. "Rear Window" markiert dafür sogleich ein hervorragendes Beispiel. Weniger die Kriminalgeschichte fesselt den Zuschauer als der omnipotente Ausblick L.B. Jeffries', der wesentlich mehr zeigt als bloß einen Mörder seiner Ehefrau. Vielmehr lernt man, freilich über den Umweg von Jeffries voyeuristischen Augen, noch ein dauerkopulierendes, frisch verheiratetes Ehepaar (HGaris Davenport, Rand Harper), einen in einer Schaffenskrise befindlichen Komponisten (Ross Bagdasarian), eine etwas durchsichtige Künstlerin (Jesslyn Fax), eine Balletttänzerin (Georgine Darcy), ein kinderloses Ehepaar (Sara Berner, Frank Cady) mit kleinem Hund, sowie eine vereinsamte, depressive Frau (Judith Evelyn) mittleren Alters kennen. Dieses Personal bildet zwar lediglich einen facettenhaften Einblick in das pulsierende urbane Leben hinter den zahlreichen Hof( und Seelen-)fenstern, jedoch reicht es, um damit einen Spielfilm abendfüllend zu machen. "Rear Window" lebt auch von seiner Tonspur, die er so literarisch einsetzt wie ein John Dos Passos: Das sommerliche Greenwich Village ist angefüllt von Jazzmusik und aktuellen Schlagern, von Autolärm und dem Gekreische spielender Kinder und von Geräuschen, die von der Mole herüberwehen; Nebelhörner, Möwen, einlaufende Dampfer. Ein gewaltiger Brei von audiovisuellen Eindrücken, für den Film so geschickt wie eben möglich entschlackt und schließlich reduziert auf die Mörderwohnung des Mr. Thorwald - respektive natürlich auf L.B. Jeffries Apartement, in dem wir uns, mit einer Ausnahme, mit ihm zusammen permanent aufhalten. Ganz nebenbei erfährt man noch Einiges über Hitchs Obsession bezüglich Grace Kelly, an deren Anmut "Rear Window" auch eine Ode darstellt und über die Probleme, die zwangsläufig auftauchen, wenn ein Krisenjournalist und eine gepflegte Upper-Class-Blondine sich verlieben. Ein Technicolor-Traum.

10/10

New York Alfred Hitchcock Cornell Woolrich


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UNDER CAPRICORN (Alfred Hitchcock/UK 1949)


"What kind of love is this?"

Under Capricorn (Sklavin des Herzens) ~ UK 1949
Directed By: Alfred Hitchcock


Australien, um das Jahr 1835: Der irische Ex-Sträfling Sam Flusky (Joseph Cotten) hat es in der Kolonie zwar zu Reichtum gebracht, sein gesellschaftliches Renommee und seine Akzeptanz durch die anderen emigrierten Großbürger in Sidney ist aufgrund seiner Vergangenheit jedoch praktisch nichtig. Hinzu kommt, dass Fluskys Gattin, die Aristokratin Henrietta (Ingrid Bergman), unter einer heftigen Depression zu leiden scheint. Als mit dem lebensfrohen Charles Adare (Michael Wilding), dem Neffen des neuen Gouverneurs (Cecil Parker), ein alter Bekannter von Henrietta nach New South Wales kommt, scheint sich ein Lichtstrahl für das Ehepaar Flusky anzukündigen...

Rückkehr nach England für zwei Filme. "Under Capricorn" bedeutete für Hitch die letzte Zusammenarbeit mit der Bergman, die hier ihre vermutlich stärkste und mutigste Rolle für den Regisseur spielt. Alkohol- und Medikamentensucht, speziell bei depressiven, jungen Frauen stellte natürlich ein gewisses Tabuthema in diesen Jahren dar und konnte vermutlich bloß deshalb akzeptiert werden, weil "Under Capricorn" als period piece und Kostümfilm verkauft wurde. Ähnlich wie "Rebecca" steht der Film im Zeichen feministischer Initiation - allerdings mit vertauschten Rollen. Um eine nicht standesgemäße Ehe glücklich führen zu können, müssen zunächst die Schranken und Unbill der Vergangenheit nebst irreparabel scheinender Schuldkomplexe ausgeräumt werden. Hier wie dort legt eine intrigante, böse Haushälterin (eine wunderbar hassenswerte Margaret Leighton) dem Glück der Ehepartner unerkannt schwere Steine in den Weg. Am Ende wartet dann die viel zu lange aufgeschobene, gemeinsame Erlösung auf das Paar Cotten/Bergman, das sich - eine behagliche Parallele - ja noch gut von Cukors "Gaslight" her kannte.
Das blasse, edle Technicolor des Films ist zwar höchst gekonnt eingesetzt und macht den ohnehin schönen "Under Capricorn" noch umso schöner - aber es half alles nichts. Der Film fiel allerorten durch und die Transatlantic machte nach diesem Projekt wieder dicht. Hitchcock nahm einen Vertrag bei Warner an, die bereits seine letzten beiden Filme international verliehen hatten, und kehrte, mittelmäßig frustriert, zunächst für drei Filme zum Schwarzweiß seiner großen Erfolge zurück.

8/10

period piece Kolonialismus Alfred Hitchcock Australien Standesduenkel Ehe Jack Cardiff


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SPELLBOUND (Alfred Hitchcock/USA 1945)


"Women's talk. Bah!"

Spellbound (Ich kämpfe um dich) ~ USA 1945
Directed By: Alfred Hitchcock


Mit Dr. Edwardes (Gregory Peck), dem neuen Chef der im Sanatorium Green Manors tätigen, etwas altjüngferlichen Psychotherapeutin Dr. Constance Petersen (Ingrid Bergman), stimmt etwas nicht. Schon nach zwei Tagen durchbricht ein gewaltiger Schuldkomplex Dr. Edwardes' Verhaltensmuster; er erleidet einen Zusammenbruch und muss feststellen, dass er gar nicht der echte Edwardes, dessen Tod er beobachtet hat, ist, und zudem unter schwerer Amnesie leidet. Constance, die sich in den Hilfsbedürftigen verliebt hat, will ihm dabei helfen, die wahren Hintergründe seiner Psychose offenzulegen und vor allem dabei, seine Unschuld zu beweisen. Dabei hilft ihr ihr früherer Lehrmeister Dr. Brulov (Michael Chekhov).

Nach dem nonchalanten, propagandistischen Kammerspiel "Lifeboat" nun ein Meilenstein für die Nutzung der Psychoanalyse als dramaturgisches Element im Kino und somit auch für die Popularisierung jener öffentlich kritisch beäugten medizinischen Richtung. Traumdeutung, Neurosen, Sublimierung, Übertragung - allesamt Termini, die 1945 (im Film gibt es nebenbei eine tolle Einstellung in der Central Station, in der ein großes Werbebanner für den Kauf von 'war bonds' - Kriegsanleihen - prangt) noch alles andere als selbstverständlich waren. Die berühmte Traumsequenz ließ Hitchcock von dem spanischen Surrealisten Dalí kreieren, dessen visueller Einfluss hier unverkennbar ist. Allerdings kann man die "Therapierung" des von Gregory Peck gespielten Helden, der sich im Nachhinein als ein Allgemeinmediziner namens 'John Ballantyne' entpuppt (und somit einen standesgemäßen Partner für die Bergman darstellt), kaum für voll nehmen. Ein unter einer derartig komplexen Störung leidender Patient, der zudem alle naselang in Ohnmacht fällt, bedürfte wohl einer mindestens dreijährigen Gesundung - die Bergman heilt ihn "mal eben so" innerhalb einer Woche, deckt einen seit seiner Kindheit verwurzelten Schuldkomplex auf, macht selbigen vergessen und sprengt die aktuell verursachte Amnesie mitsamt ihrem Auslöser. Das psychologische Moment ist somit zwar keinesfalls ungeschickt konstruiert; seine Offenlegung jedoch einem straff erzählten Filmdrehbuch angepasst. Inszenatorisch, technisch, visuell und betreffs seines dialogischen Geistreichtums ist "Spellbound" übrigens tadellos.

9/10

New York Alfred Hitchcock Psychiatrie





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Funxton

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