Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

THE 39 STEPS (Alfred Hitchcock/UK 1935)


"Have you ever heard of the 39 Steps?" - "No. What's that, a pub?"

The 39 Steps (Die 39 Stufen) ~ UK 1935
Directed By: Alfred Hitchcock


In einer Varieté-Vorstellung mit dem Gedächtniskünstler "Mr. Memory" (Wylie Watson) fallen plötzlich Schüsse. Wie Richard Hannay (Robert Donat), einer der Besucher der Vorstellung, erfährt, steckt die Agentin Annabelle Smith (Lucie Mannheim) dahinter. Diese wollte mit der durch die Schüsse entstandenen Panik ihre Verfolger, zwei feindliche Spione, abschütteln. Hannay gewährt Annabelle Zuflucht in seinem Apartement, doch ihre Gegner finden und töten sie dort. Mit letzter Kraft kann Annabelle, deren Auftrag es war, die Entwendung strategisch wichtiger Dokumente aus dem Verteidigungsministerium zu verhindern, Hannay ihre Kontaktperson mitteilen: einen in Schottland lebenden Professor. Hannay, der bald wegen Mordes gesucht wird, hat nurmehr zweierlei im Sinn: Seine Unschuld zu beweisen und zu verhindern, dass die Dokumente in die falschen Hände gelangen.

Temporeicher Agententhriller mit romantischem Einschlag, aus Hitchcocks britischer Periode wohl der populärste und renommierteste Film. Ich muss gestehen, dass ich "The 39 Steps" noch nie so gemocht habe wie andere Werke des Regisseurs, wofür primär meine Abneigung zu dem aalglatten Robert Donat verantwortlich ist. Donat, der im Film als kanadischer Migrant auftritt, spielt den typischen Dreißiger-Jahre-Galan mit allem, was so dazu gehört: Feines Schnauzbärtchen (das auch zu Tarnungsgründen nicht abrasiert wird; eine kleine Drehbuchfinte Hitchs), stets gut frisiert und gekleidet und trotz seiner prekären Situation nie die Fassung verlierend. Ich habe Donats Interpretation stets als Musterexempel eines unsympathischen Fatzkes empfunden. Filme zuvorderst anhand ihrer Darsteller/Charaktere zu beurteilen, zeugt nun zwar nicht von besonderer kritischer Professionalität, doch in diesem Fall kann ich nicht über meinen Schatten hinaus; zumal Donat fast ausnahmslos jede Szene bestimmt und seine Figur übergroß in den Vordergrund gerückt wird. Dass sich dahinter allerlei frühes Suspense-Vergnügen, nette Schottland-Szenen und vor allem ein großer thematischer Vorgriff auf später folgende Meisterwerke abspielen, lässt sich zwar nicht übersehen, anhand des geckenhaften Donat aber hier und da doch leicht vergessen.

7/10

London Spionage Alfred Hitchcock Schottland


Foto

THE MAN WHO KNEW TOO MUCH (Alfred Hitchcock/UK 1934)


"To a man with a heart as soft as mine, there's nothing sweeter than a touching scene."

The Man Who Knew Too Much (Der Mann, der zuviel wusste) ~ UK 1934
Directed By: Alfred Hitchcock

Im Winterurlaub in der Schweiz lernt die Londoner Familie Lawrence den charmanten Louis Bernard (Pierre Fresnay) kennen, der sich als Spion entpuppt. Nachdem auf Bernard ein tödlicher Anschlag verübt wurde, bringt Bob Lawrence (Leslie Banks) sich in den Besitz einer Notiz, mit der er zunächst nicht viel anfangen kann. Als dann seine Tochter Betty (Nova Pilbeam) entführt wird und Bob und seine Gattin Jill (Edna Best) unmissverständliche Anweisungen über ihr Schweigen erhalten, lässt auch die Wahrheit nicht lange auf sich warten: Hinter Louis' Ermordung und Bettys Entführung steckt eine Gruppe von Verschwörern, die in London die Ermordung eines wichtigen Diplomaten plant. Bob versucht auf eigene Faust, Betty zu befreien und den Anschlag zu verhindern.

Ferienzeit ist bei mir zugleich immer die Zeit für umfangreiche(re) Rück- und/oder Werkschauen. Nachdem ich mich Meister Hitchcock zu meiner persönlichen Unzufriedenheit schon lange nicht mehr oder nur bruchstückhaft gewidmet habe, soll er in den nächsten Tagen mein Augenmerk für sich verbuchen. Kleinere Unterbrechungen und Schlenker seien mir vorab gestattet. Über die bereits eingetragenen Filme werde ich nur gegebenenfalls, und dann an Ort und Stelle, Neues berichten. Betreffes meines persönlichen Startpunkts habe ich mich aus mehrerlei Gründen für "The Man Who Knew Too Much" entschieden. Der primäre Anlass ist rein praktikabler Natur: Erst ab hier ist mir eine lückenlose Werkschau möglich. Zwar besitze ich noch einige von Hitchs früheren Filmen, dabei handelt es sich jedoch nur vereinzelte Titel ohne chronologische Anbindung. Ferner kann "The Man" wohl gewissermaßen auch als thematischer Ausgangspunkt herhalten; "Ausreißer" wie den kurz zuvor entstandenen "Waltzes From Vienna" gab es in der Folge nämlich höchstens noch ansatzweise und keineswegs mehr so zäsurhaft wie noch in Form dieses wohl zumindest halbwegs zu vernachlässigenden Strauss-Musicals.
Von "The Man Who Knew Too Much" fertigte Hitch 22 Jahre später ein Hollywood-Farbremake an, das, soviel vorweg, nicht nur ihm selbst, sondern auch mir besser gefällt. Zwar verfügt das Original über den unsagbar coolen Leslie "Count Zaroff" Banks und vor allem über den wieder mal astronomisch aufspielenden Peter Lorre, doch wenige Schwächen - zugegebenermaßen Makulatur - lassen sich nicht hinfortleugnen. Zum Einen macht sich der Verzicht auf einen damals ohnehin unüblichen Score bemerkbar. Dass Hitchs Suspense fast schon angewiesen ist auf einen Bernard Herrmann ist zwar keine Schande, aber im Direktvergleich schon recht auffällig. Schließlich ein Showdown als Antiklimax: Unmittelbar nach der ebenso meisterlich wie im Remake montierten Szene in der Royal Albert Hall, in der Edna Best den Anschlag verhindert, folgt ein Polizeiüberfall auf die sich in einer Kapelle verschanzenden Verschwörer. Ein wirres, uninteressantes Geknalle ist die Folge, das stark an Hawks' "Scarface"-Finale erinnert, jedoch als viel zu lang gezogen und dramaturgisch überstrapaziert gewertet werden muss und wohl nur deshalb erforderlich war, um eine Lauflänge von über siebzig Minuten zu erreichen. Solche Ungelenkigkeiten sollen bald der Vergangenheit angehören und wurden durch einiges Geschick im Remake ausgemerzt. Mehr hierzu dann in Kürze.

7/10

Verschwoerung Alfred Hitchcock Kidnapping London Schweiz


Foto

00 SCHNEIDER - JAGD AUF NIHIL BAXTER (Helge Schneider/D 1994)


"Wat has' denn du gemachte tä?"

00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter ~ D 1994
Directed By: Helge Schneider

Der eigentlich retirierte Kommissar 00 Schneider (Helge Schneider) kehrt zusammen mit seinem Kollegen Lieutenant Körschgen (Helmut Körschgen) in den aktiven Polizeidienst zurück, um den ein-fachen Mörder Nihil Baxter (Helge Schneider), einen "Irren mit 'nem Kunsttick", zu fangen und ins Gefängnis zu tun.

Vermutlich der Film, dem ich in meiner bisherigen Biographie absolut gesehen die meiste Zeit gewidmet habe. Seit ich ihn am seligen, eiseskalten Silvestermorgen des Jahres 1994 als Matinee-Vorstellung im örtlichen Kino bewundern durfte, bin ich ein glühender Liebhaber dieses unumwundenen Meisterwerks deutscher Filmkunst. Ein hierin verwurzelter, reichhaltiger Zitatenfundus, der freilich zum Großteil auf Schneiders älteren Vier-Tonspur-Hörspielen basiert, hat sich seitdem fest in meinen Wortschatz eingemeißelt und wird zu den passendsten (und unpassendsten) Gelegenheiten immer wieder bemüht. Gut aufgehoben fühlt man sich speziell dann, wenn jemand die Geheimcodes versteht, mit denen man sich da verständigt. Dann weiß man, ähnlich wie bei einem Geheimlogengruß: "Aha, da ist ein Gleichgesinnter."
Warum ist Schneiders Film so infektiös? Zunächst mal liefert er trotz der Parallelwelt-Szenerie eine wundervolle Ruhrpott-Doku und geht sogar etwas darüber hinaus, nämlich bis ins Neandertal bei Mettmann, und nur, um einen "merkwürdigen Traum" des Kommissars zu bebildern. "00 Schneider" ist gefilmte Anarchie, alles scheißegal, alles total bescheuert, stream of consciousness, jedwede strukturelle und formale Zwänge negierend. Über Opas Kino der Wallace-Filme bepisst sich der "00 Schneider" ebenso vor Lachen wie über das Neue Deutsche Kino von Fassbinder und Anverwandtentum; dreht den Klassikern dieser Ären eine lange Nase und erweist ihnen zugleich durch immer wieder erfolgende, stilistische Rückgriffe seine Ehrerbietung. Dann ist er auch ein Familienfilm, in dem keiner vermisst zu werden braucht: Buddy Casino, Peter Thoms, Sergej Gleitmann, Charly Weiss und wie sie alle heißen, laufen sich mittels immer bizarreren Auftritten gegenseitig den Rang ab. Mit Werner Abrolat, der schon in "Texas" den Sheriff spielte und in "Praxis Dr. Hasenbein" ein letztes Mal dabei sein wird als Käse-Fachverkäufer, der vor vielen Jahren für Sergio Leone und Jess Franco gespielt hat und seine letzte große Performance als Stimme des schottischen Schulhausmeisters Willie bei den "Simpsons" gab, ist immerhin auch ein richtiger Schauspieler dabei (und damit will ich den großen Andreas Kunze natürlich bei Leibe nicht geschmälert wissen! [das wäre auch schlecht möglich)]. Für Helmut Körschgen, den viele "00 Schneider"-Kultisten an ihrem Herzensobjekt am allerdollsten lieben, war's der denkbar würdigste Schwanengesang. Er wird seine Revals und sein Pilsken jetzt zusammen mit Abrolat, Kunze und Weiss an der lokalen Trinkhalle des Komödianten-Olymps einnehmen.

10*/10

Christoph Schlingensief Groteske Hommage Surrealismus Helge Schneider Satire Ruhrpott


Foto

DER TOTMACHER (Romuald Karmakar/D 1995)


"Ist nicht viel, so'n Mensch..."

Der Totmacher ~ D 1995
Directed By: Romuald Karmakar


Göttingen, Herbst 1924. Der gerichtlich beauftragte Psychiater Professor Schultze (Jürgen Hentsch) soll ein Schuldfähigkeitsgutachten für den vor seinem Prozess stehenden Serienmörder Fritz Haarmann (Götz George) erstellen. Nach sechswöchigem Kontakt, während dem sich die Beziehung zwischen dem Gewaltverbrecher und dem Rechtsmediziner in faszinierender Weise entwickelt, kommt Schultze zu dem Urteil "voll zurechnungsfähig".

Der zweite große Film, der sich mit dem Phänomen "Haarmann" befasst, wählt einen komplett anderen Ansatz als der erste: Anders als "Die Zärtlichkeit der Wölfe" erlegt sich "Der Totmacher" ein hohe Maß an innerer und äußerer Stringenz auf, ist beinahe so diszipliniert inszeniert wie eine Bühnanaufführung und schon aufgrund der personellen Begrenzung sehr viel hermetischer als Lommels Werk. Fast wie ein bebildertes Hörspiel wirkt "Der Totmacher" bisweilen, wie buchstäbliches Kopfkino, das dem Zuschauer einerseits eine nuancierte charakterliche Bewertung nicht nur Haarmanns, sondern auch seines Gutachters Schultze abverlangt und andererseits eine zumindest behelfsmäßige Ordnung in das chronologische Chaos von Haarmanns Antworten, Berichten und Schilderungen, deren Wahrheitsgestalt darüberhinaus stets vage bleibt, zu bringen nötigt. Allerdings brächte man sich ohne die begleitende Fotografie um den Genuss von Kamarkars Perfektionismus und dem brillanten Spiel der Darsteller. Das Script basiert auf den Originalprotokollen der einstigen Sitzungen Haarmanns und ist umso beeindruckender. Über Georges beängstigend minutiöse Darbietung braucht wohl kaum mehr ein Wort verloren werden - wahrscheinlich wird dies auf ewig die Rolle seines Lebens bleiben.

10/10

Goettingen Serienmord Fritz Haarmann Romuald Karmakar Weimarer Republik


Foto

DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE (Ulli Lommel/BRD 1973)


"Frisches vom Schlachter Karl!"

Die Zärtlichkeit der Wölfe ~ BRD 1973
Directed By: Ulli Lommel


Der homosexuelle Glücksritter Fritz Haarmann (Kurt Raab) gaunert sich sich durch das zerbombte Bochum der Nachkriegszeit. Er bringt es sogar zum Polizeispitzel, und kann so fürs Erste einer geheimen Neigung unbehelligt weitergehen: Unter Vorlage seines Ausweises nimmt er Strichjungen mit nach Hause, bietet ihnen gegen Liebesdienste Kost und Logis und bringt sie dann um, indem er sie erdrosselt und/oder, einem Vampir gleich, zu Tode beißt. Das Fleisch der Ermordeten verschenkt und verkauft Haarmann an Nachbarn und Freunde. Als sein Freund Hans Grans (Jeff Roden) sich anderweitig orientiert, bricht Haarmanns Kartenhaus, auch unter dem Drängen der britischen Besatzer, zusammen.

Von der Weimarer Republik in die Trümmerjahre, von Hannover nach Bochum. Weil Lommel und Fassbinders 'Tango Film' nur ein sehr begrenztes Budget zur Verfügung stand, griff man auf die künstlerische Freiheit zurück, Zeit- und Lokalkolorit zu verändern - so jedoch nicht die allgemeine atmosphärische Vorstellung, die Haarmanns berühmten Fall als bundesrepublikanisches Schreckgespenst bis in die Gegenwart hinein begleitet. Kurt Raab verleiht dem oftmals semantisch falsch als 'Massenmörder' bezeichneten Haarmann ein seltsames, gleichermaßen zärtliches und dämonisches Antlitz. Wie ein glatzköpfiger Dandy wirkt er, von scharfem kriminellen Verstand und überhaupt hoher Intelligenz, welche er jedoch, einem Raubtier gleich, lauernd verbirgt und nur im rechten Moment gebraucht. Freilich ist seine Triebgesteuertheit noch wesentlich übermächtiger, dabei sieht man Haarmann erst zum Schluss des Films, als er einem Lockvogel der Schupo auf den Leim geht, völlig losgelöst von aller rationalen Geistigkeit. Zwischendurch ahnt man seine Barbareien bloß, ähnlich der penetranten Nachbarin Frau Lindner (Margit Carstensen). Wenn Haarmann der Wirtin Louise (Brigitte Mira) wieder einmal eine Schüssel von frisch Geschlachtetem bringt, fröstelt man kurz, nur um dann wieder gierig die faszinierend-graue Tristesse des frühen Siebziger-Jahre-Ruhrgebiets in sich aufzunehmen.

8/10

Homosexualitaet Fritz Haarmann Serienmord Ruhrpott Ulli Lommel Rainer Werner Fassbinder Nachkriegszeit


Foto

MURDERS IN THE ZOO (A. Edward Sutherland/USA 1933)


"Just an idea of my ideas."

Murders In The Zoo ~ USA 1933
Directed By: A. Edward Sutherland


Der krankhaft eifersüchtige Zoologe Eric Gorman (Lionel Atwill) bringt jeden um die Ecke, der es wagt, seiner Gattin Evelyn (Kathleen Burke) auch nur ein My mehr als die erlaubten, streng rationierten Avancen zu machen. Just von einer Reise aus Südasien zurückgekehrt, muss Gorman feststellen, dass Evelyn sich den Hals nach dem Filou Hewitt (John Lodge) verdreht und ihren Ehemann sogar zu dessen Gunsten absägen will. Gorman lässt die beiden fix zwei bösen "Unfällen" im örtlichen Zoo anheim fallen, doch der Veterinär Dr. Woodford (Randolph Scott) kommt ihm auf die Schliche.

Während die Universal eher gotische bzw. viktorianische Schreckensmotive für ihren so berühmten wie umfassenden Horrorzyklus bemühte, war man bei der Paramount weniger zimperlich bzw. romantisch eingestellt: In "Murders In The Zoo" näht Lionel Atwill gleich zu Beginn seinem ersten Opfer (Edward Paley) die Lippen zusammen und lässt es gefesselt im indischen Urwald zurück, so dass die Tiger es seelenruhig auffressen können, ohne dass es um Hilfe zu schreien vermag. Später wirft er die arme Kathleen Burke Alligatoren zum Fraß vor und wird am Ende als Sühneobjekt selbst zum Opfer einer Anaconda (grandiose Szene übrigens!). Es geht also zur Sache im Film. Zugleich jedoch ist "Murders In The Zoo" auch eine ganz wunderbare Komödie - parallel zu Atwills Geschichte erzählt der Film nämlich von des Zoos neuem Presseagenten Peter Yates (Charlie Ruggles), der einige formidable Slapstickszenen hat. Ruggles, ein begnadeter Komödiant, dessen humoriges Konzept es war, seine optische Seriosität um irgenwelcher Idiotien Willen preiszugeben, dürfte Screwball-Freunden noch als spitzbärtiger Major in Lubitschs "Trouble In Paradise" oder als Leopardengebrüll imitierender Großwildjäger Major Applegate aus Hawks' "Bringing Up Baby" in bester Erinnerung sein. Wer diese Auftritte mochte, wird unter anderem seinetwegen auch an "Murders" seine hellste Freude haben, ebenso wie ich.

9/10

Serienmord Zoo Schlangen Madness A. Edward Sutherland Tierhorror Eifersucht Großkatzen


Foto

NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM (Robert Siodmak/BRD 1957)


"Ihr könnt ma' jar nix. Ick bin doch een'n'fuffzich!"

Nachts, wenn der Teufel kam ~ BRD 1957
Directed By: Robert Siodmak


Berlin, 1944: Der imbezile Gelegenheitsarbeiter Bruno Lüdke (Mario Adorf) tingelt durchs ganze Reich und bringt unerkannt Frauen um - über 80 Morde werden ihm später nachgewiesen. Kriminalkommissar Axel Kersten (Claus Holm), ein ausgesprochener Gegner der "Partei", kommt Lüdke auf die Spur und kann ihm diverse Geständnisse entlocken. Nachdem die SS Kerstens Fahndungserfolg zunächst euphorisch feiert und Lüdke politisch als Exempel für Sterilisations- und Euthanasiepraktiken zu statuieren gedenkt, wendet sich plötzlich das Blatt: Ein Individuum wie Lüdke dürfte im NS-Staat gar nicht existieren, versichert man Kersten, der prompt zur Ostfront entsendet wird, derweil Lüdke zur "Geheimsache" erklärt und klammheimlich liquidiert wird.

Back in Germany erlebte Siodmak nochmal eine höchst fruchtbare künstlerische Phase, bevor er sein Talent an mehr oder minder halbseidene Auftragsarbeiten, darunter die "Sternau"-Filme nach Karl May, vergeudete. "Nachts, wenn der Teufel kam" wurde recht euphorisch abgefeiert, dabei ist seine Historizität höchst umstritten: Ob Bruno Lüdke, einer der ersten namentlich im Film auftauchenden, authentischen Charaktere der Kriminalhistorie, tatsächlich all die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat, gilt mittlerweile als sehr spekulativ, ebenso wie der ihm zugrunde liegende Tatsachenbericht aus einer Polizeizeitschrift. Siodmak erklärte, es ginge ihm auch wesentlich prägnanter um die Darstellung der Justizhandhabung zur Zeit des Dritten Reichs und dass der Film eine Parabel auf die ungeheuren populistischen Praktiken sei, mit denen ihrerzeit verhandelt wurde. Nun, am Untadeligsten an dieser rein filmisch betrachtet natürlich bemerkenswerten Arbeit, ist fraglos Siodmaks Inszenierung, wobei besonders eine bravourös montierte, transzendente Szene, in der Lüdke aus der Erinnerung einen Tathergang rekonstruiert und dabei flink wie ein Rehlein durch Wald und Flur flitzt und hüpft, im Gedächtnis bleiben wird. Von bestechender Kunst auch Mario Adorfs Darstellung, die nicht nur ihrem Akteur einen der hervorstechendsten filmographischen Einträge beschert hat, sondern auch maßstabssetzend ist für etliche weitere deutsche Serienmörder im Film.

8/10

Berlin WWII Nationalsozialismus Serienmord Robert Siodmak


Foto

CRY OF THE CITY (Robert Siodmak/USA 1948)


"You're losing anyway, Martino."

Cry Of The City (Schrei der Großstadt) ~ USA 1948
Directed By: Robert Siodmak


Der Gangster Martin Rome (Richard Conte) wird bei einem Duell mit einem Polizisten schwer angeschossen und gefasst. Im Krankenhaus offeriert ihm der windige Anwalt Niles (Berry Kroeger) das Angebot, Rome solle sich doch zu einem erst kürzlich verübten Juwelenraub bekennen, ein Anteil an der Beute wäre ihm sicher. Der Ganove verneint und als Niles ihm droht, sich an Romes Freundin Teena (Debra Paget) heranzumachen, bricht dieser aus und bemächtigt sich der gestohlenen Juwelen. Der ehrgeizige Lieutenant Candella (Victor Mature) klebt ihm jedoch wie Spucke an den Haxen.

Wunderbarer New-York-Film, on location gedreht und gerade deshalb so großartig. Die Cop-Vs.-Robber-Story ist so interessant nicht, als dass sie allein einen exzellenten Film tragen könnte; was Siodmak jedoch aus seinen Einstellungen herausholt, wie er die italienische Ethnie und die in ihr verwuzelten Widersacher zeichnet und eben die nächtliche Urbanität mit all ihren lichtscheuen Gestalten porträtiert, das macht "Cry Of The City" zu einer Sternstunde. Auch fragt man sich hier mal wieder aufs Neue, warum der tolle Victor Mature sich so oft für Sandalenfilme hat verbraten lassen. In kleinen, finsteren Thrillern wie diesem war er doch eine wirkliche Nummer. Ganz toll!

9/10

Robert Siodmak New York Film Noir Duell


Foto

THE DARK MIRROR (Robert Siodmak/USA 1946)


"How could you?"

The Dark Mirror (Der schwarze Spiegel) ~ USA 1946
Directed By: Robert Siodmak


Terry Collins (Olivia de Havilland), Hauptverdächtige im Mordfall an einem renommierten Arzt, entpuppt sich als eineiiger Zwilling ihrer Schester Ruth. Als der ermittelnde Polizist Stevenson (Thomas Mitchell) nicht herauszufinden vermag, welches der beiden vermeintlich identischen Idividuen nun am fraglichen Abend von all den Zeugen gesehen wurde, beginnt er zu resignieren. Doch der Psychologe Dr. Elliott (Lew Ayres) rückt den Schwestern mit Rorschach-Tests, Wortassoziationsübungen und einem Polygraphentest zuleibe. "Eine von beiden ist irrsinnig", konstatiert er bald fachmännisch. Und die Betreffende lässt nicht mit sich scherzen...

Die Psychoanalyse war anno 46 gerade hoch in Mode im US-Thrillerkino. Hitchcock hatte sich ihrer bereits in "Spellbound" bedient, in der mit Traumdeutung herumhantiert wurde, "The Dark Mirror" befleißigte sich der Zwillingsforschung, die vor allem den Opponenten in der Anlage-Umwelt-Debatte manch bahnbrechende Erkenntnisse lieferte. Im Film kamen noch weitere, oben erwähnte Analysewerkzeuge zum Tragen, die vor allem die diagnostische Griffigkeit der Psychiatrie unter Beweis stellen sollten. Deren Darstellung im Film ist zwar interessant, letzten Ende aber ziemlich unseriös und doch nur der Spannungsschürung geschuldet. Hier sind wir dann wieder beim Regiekünstler Siodmak - seine Fähigkeiten zum bloßen Spannungsaufbau wiederum beachtlich einsetzend, gerät der mit technisch brillanten "Zwillingseffekten" arbeitende "The Dark Mirror" zeitweise zum veritablen Nägelkauer, wobei er am Ende dann doch gefährlich in die Melodramatik abzurutschen droht. Dennoch, De Palmas "Sisters", Henenlotters "Basket Case" oder auch den erst letzthin von mir geschauten "Dead Ringers" wird man hiernach vielleicht mit etwas anderen Augen sehen.

8/10

Robert Siodmak Zwillinge Psychiatrie Film Noir Nunnally Johnson


Foto

TERROR OF THE TONGS (Anthony Bushell/UK 1961)


"He that loves pleasure shall by pleasure fall!"

Terror Of The Tongs (Terror der Tongs) ~ UK 1961
Directed By: Anthony Bushell


Der in Hong Kong lebende Skipper Sale (Geoffrey Toone) bekommt von einem Reisegast (Burt Kwouk) unbemerkt eine Liste mit hochrangigen Namen diverser Tong-Mitglieder zugespielt. Der betreffende "Red-Dragon-Tong" ist eine mächtige, chinesische Verbrecherorganisation, die in so ziemlich jedem schmutzigen Geschäft die Finger hat. Die Liste ist eigentlich für Sales Hausmädchen (Bandana Das Gupta) bestimmt - doch in kürzester Zeit sterben alle, die mit dem Papier in Berührung kommen - einschließlich Sales sechzehnjähriger Tochter (Barbara Brown). Der Captain schwört Rache und gerät schon bald an Chung King (Christopher Lee), den Boss der Tongs, einen diabolischen Kriminellen...

Mit der Rolle des Tong-Chefs Chung King konnte Christopher Lee schonmal für seine fünf Auftritte als orientalischer Folterkönig Dr. Fu-Manchu üben. Die Maske scheint mir sogar recht identisch; in jedem Falle pflegt auch dieser gefürchtete Gangsterboss eine ausgesprochen sadistische Ader, die einmal mehr der bei Hammer dauerbeschäftigte Fleischklops Milton Reid stellvertretend für ihn ausleben muss. Geoffrey Toone bleibt angesichts dessen als steifer britischer Captain zwar blass wie ein hellgelbes Bettlaken, seine Auftritte sind jedoch ohnehin komplette Nebensache. Wesentlich gewinnbringender sind da die diversen Methoden der Produktion, dem Publikum vorzugaukeln, es befinde sich in Hong Kong, respektive in einer Hafengegend, und nicht in einem lauschigen Atelier in Berkshire: Allein durch akustische Einspieler und die sorgfältig arrangierten Innendekors muss jener Eindruck suggeriert werden. Das funktioniert natürlich nicht immer, ist aber meist so liebevoll-blauäugig gemacht, dass es schon wieder sympathisch wirkt. Ansonsten bekommt man genau das, was man prinzipiell von einer Hammer-Produktion zu erwarten hat - nicht mehr und nicht weniger.

6/10

Anthony Bushell Hammer Hong Kong Rache Jimmy Sangster Tongs





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare