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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE STRANGER (Orson Welles/USA 1946)


"I watched them from here, like God looking at little ants."

The Stranger (Die Spur des Fremden) ~ USA 1946
Directed By: Orson Welles

Der Nazijäger Wilson (Edward G. Robinson) ist dem in Neuengland untergetauchten Franz Kindler (Orson Welles) auf der Spur, einem der schlimmsten Schergen Hitlers, der unter anderem entscheidenden operativen Anteil an der Vernichtungslogistik und der Endlösung hatte. In dem kleinen Städtchen Harper lebt Kindler nun unerkannt als Lehrer Charles Rankin, der kurz davor steht, die örtliche Richterstochter Mary (Loretta Young) zu ehelichen. Um den stets anonym gebliebenen Kindler identifizieren zu können, lässt Wilson Kindlers bereits inhaftierte, rechte Hand Meinike (Konstantin Shayne) laufen und überwachen. Doch Kindler bringt Meinike sofort kaltblütig um, kaum dass dieser ihn aufgesucht hat.
Als Wilson, getarnt als reisender Antiquitätenhändler, selbst nach Harper kommt und Kindler/Rankin kennenlernt, ahnt er bald um die wahre Identität des sich nach außen hin so integer gebenden Bürgers. Doch wie soll er Mary die furchtbare Wahrheit über ihren frisch Angetrauten beibringen?

Einer der weniger bekannten Filme Welles', in seiner frühen Noir-Phase entstanden und als Postkriegs-Paranoiakino konzipiert, dass sicherlich dazu angetan war, dem leichtgläubigen amerikaniswchen Lieschen Müller eine Heidenangst vor neu zugezogenen Nachbarn mittleren Alters mit eurpäischem Akzent zu machen. Immerhin wäre es möglich gewesen, dass es sich bei diesem um irgendeinen massenmordenden SS-Funktionär handelte, der den alliierten Kräften durch die Lappen gegangen war. Orson Welles selbst spielt die Hauptrolle in einer recht ansprechenden Mischung aus Diabolik und Größenwahn. Selbst, als seine Tarnung auf dem Spiel steht, kann er nicht umhin, während einer von Wilson forcierten, politischen Diskussion die bevorstehende Welt-Zäsur als Chance zur Dezimierung der kränkelnden Menschheit zu machen. So hätten es schließlich die Römer einst auch mit den Karthagern gemacht, erklärt Kindler, und von denen habe man seither selten wieder etwas gehört. Interessant in diesem Zusammenhang die obligatorischen Erklärungsversuche für die Vereinnahmung durch das Böse: "The Stranger" stellt die Nazi-Elite, repräsentiert durch die fiktive Hauptfigur als ebenso gescheite wie kalte Rechenmaschinen auf zwei Beinen dar, die mit Menschenleben herumkalkulieren wie mit Abakusperlen und somit jede moralische Bodenhaftung eingebüßt haben. Am Ende trägt Welles dann vielleicht ein wenig dick auf, als er Kindler symbolisch durch einen Wink göttlicher Gerechtigkeit dem Jenseits überantwortet: Er wird von einem Glockenturmengel aufgespießt.

8/10

film noir Orson Welles Nationalsozialismus WWII Victor Trivas


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THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES (Billy Wilder/UK 1970)


"We all have occasional failures. Fortunately, Dr. Watson never writes about mine."

The Private Life Of Sherlock Holmes (Das Privatleben des Sherlock Holmes) ~ UK 1970
Directed By: Billy Wilder

Fünfzig Jahre nach Dr. Watsons (Colin Blakely) Tode wird eine Kiste mit geheimen Memorabilia von Sherlock Holmes' (Robert Stephens) Busenfreund geöffnet. Darin finden sich unter anderem Aufzeichnungen über zwei bislang unbekannte Fälle des Meisterdetektivs: Im ersten soll er als Vater für das geplante Baby einer russischen Ballettdiva (Tamara Tourmanova) herhalten, wiegelt jedoch ab mit der Begründung, er und Watson seien ein schwules Paar, im zweiten lässt sich Watson von einer kaiserlichen Spionin (Geneviève Page) hereinlegen, die zur großen, unerfüllten Liebe seines Lebens avanciert.

Einer der weniger beleumundeten Filme Billy Wilders, wohl nicht ganz zu Unrecht. Mit der kleinen Episode um Holmes' erotische Ausflucht stark und witzig beginnend, fällt er mit der zweiten, erzählzeitlich wesentlich ausführlicher dargebrachten Geschichte um die von Holmes' undurchsichtigem Bruder Mycroft (Christopher Lee) überwachte Konstruktion eines Unterseebootes jedoch etwas ab. Besonders Colin Blakely als Watson, in der deutschen Synchronfassung vorzüglich vertont von Harald Juhnke, macht den Film jedoch immer wieder sehenswert, da er das humorige Potenzial des gepflegt-grotesken Szenarios zu schüren versteht. Die Szenen, in denen er, als Hahn im Korb der schnieken russischen Tänzerinnenm Holmes' vorherigen "Verrat" am eigenen Leibe zu spüren bekommt und ihn später erbost zur Rede stellt, beinhalten große Wilder/Diamond-Eleganzia. Danach wird es vergleichsweise konventionell und ein im Grunde "typischer" Holmes-Fall mit eher zurückhaltender Komik steht an. Wilders visuelle Pflege der viktorianischen Ära ist erwartungsgemäß natürlich von größter Sorgfalt und höchst vergnüglich, Christopher Challis' weichzeichnende Kamera passt sich ihr zudem hervorragend an. So ist "The Private Life Of Sherlock Holmes" insgesamt betrachtet vor allem ein visueller Genuss; zu seinem völligen Gelingen hätte ich mir jedoch gewünscht, dass der Film das Versprechen der ersten dreißig Minuten weiter einhält.

7/10

Billy Wilder Sherlock Holmes Victorian Age London Schottland Loch Ness Kokain femme fatale


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THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (Tay Garnett/USA 1946)


"With my brains and your looks, we could go places."

The Postman Always Rings Twice (Im Netz der Leidenschaft) ~ USA 1946
Directed By: Tay Garnett

Der Tagelöhner und Vagabund Frank (John Garfield) kommt eines Tages zum kleinen Highway-Diner "Twin Oaks", das von dem alternden Nick (Cecil Kellaway) und seiner schönen jungen Frau Cora (Lana Turner) bewirtschaftet wird. Frank verfällt Cora gleich, als er sie zum ersten Mal erblickt. Fortan kommen die beiden nicht mehr voneinander los und scheint Nick nicht schon blind für ihre Liaison, forciert er diese sogar regelrecht. Irgendwann erwächst aus einer unbedachten Bemerkung Franks der Plan, Nick zu ermorden, um freie Bahn zu haben und sein Restaurant zu erben. Erst der zweite Mordversuch gelingt, aber schon nach dem ersten heftet sich der karrieresüchtige Staatsanwalt Sackett (Leon Ames) an Franks und Coras Fersen. Nur die Verschlagenheit des Anwalts Keats (Hume Cronyn) rettet das Paar vor der Verurteilung; am Ende jedoch erwartet es die göttliche Gerechtigkeit.

Nachdem Luchino Visconti Cains Roman mit seinem "Ossessione" bereits zwei Jahre zuvor adaptiert hatte, allerdings ohne sich aus Übersee die Genehmigung von Verlag und Autor einzuholen, erfolgte mit "The Postman Always Rings Twice" die erste offizielle Verfilmung vor der eigenen Haustür. Für alle Beteiligten bildete der schwitzig-schwüle Film den jeweils größten Karrierehöhepunkt, für Tay Garnett, John Garfield und Lana Turner, deren Rollenimage hernach komplett festgelagt war auf den rauen Outlaw respektive die ebenso erotische wie berechnende Blondine. Cains Geschichte schließlich besitzt als archetypischer, ikonographischer film noir bis heute Gültigkeit und Bestand: Das amoralische Paar, getrieben von triebhafter Verlotterung, blanker Körperlichkeit und der bloßen Gier auf- und nacheinander, das sich am Ende liebt und hasst und misstraut - vor allem aber verdient, die harten Kontrast Kaliforniens vom lichten Wüstentag bis hin zur finstersten Nacht, in der die bösen Pläne unerkannt im Schatten reifen können. Dann der obligatorische, schmierige Erpresser, der am lüsternen Leid des armen Betrügerpaars seinen Schnitt zu machen versucht, schließlich das von Korruption durchsetzte Rechtssystem, in dem noch jeder Klüngel erfolgreich ist und sich für irgendwen rentiert.
Garnetss Film hat all das und mehr.

9/10

Tay Garnett James M. Cain Kalifornien amour fou femme fatale film noir Courtroom


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MILDRED PIERCE (Michael Curtiz/USA 1945)


"Oh boy! I'm so smart it's a disease!"

Mildred Pierce (Solange ein Herz schlägt) ~ USA 1945
Directed By: Michael Curtiz

Aus eher einfachen Verhältnissen stammend, ist ihre ältere Tochter Veda (Ann Blyth) der Hausfrau Mildred Pierce (Joan Crawford) einfach alles. Dass Veda ein verwöhntes, hochnäsiges und boshaftes Mädchen ist, schiebt Mildred beiseite; sie versucht, Veda jeden noch so kostspieligen Wunsch zu erfüllen. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann Bert (Bruce Bennett) und dem Krankheitstod ihrer jüngeren Tochter Kay (Jo Ann Marlowe) beginnt sie eine Liaison mit dem wohlhabenden Playboy Monte Beragon (Zachary Scott) kennen, der das Geld mit vollen Händen zum Fenster rauswirft. Mildred wird zur ehrgeizigen Gastronomin, die ihr sauer verdientes Geld im Prinzip jedoch nur dazu benutzt, um es wahlweise Veda oder Beragon in den Rachen zu schieben. Als Mildred feststellt, dass hinter dem stiefväterlichen Geturtel der beiden mehr steckt, kommt es zur Katastrophe.

Für die Diva Joan Crawford bedeutete die Rolle der Mildred Pierce in dieser Adaption von James M. Cains gleichnamigem Roman eine glorreiche Rückkehr in die vordersten Studionlinien, nachdem man sie, die mittlerweile stramm auf die 40 zuging, zuvor schon fast abzuschreiben geneigt war. Die Crawford jedoch wusste nachweislich zu demonstrieren, dass es in Hollywood auch ernstzunehmende Frauenrollen jenseits von Starlet und Heldenliebchen zu finden gab, erntete dafür gewaltigen Zuspruch und einen Oscar. Nicht unähnlich ihrer eigenen Vita, die vom Revuemädchen über den schillernden Star zurück zur Prä-Bedeutungslosigkeit bereits einigen Wellen hatte standhalten müssen, passte die kantige Kühle auch wirklich ganz hervorragend in dieses inbrünstig formulierte Frauenporträt. Der Autor James M. Cain indes zeigte sich als einmal mehr unerlässlich für das vom film noir transportierte, neue Weltbild zwischen Zusammenbruch und privatem Inferno. Auch in "Mildred Pierce" lässt er mehrere miteinander verwobene Einzelschicksale naturgewaltig gegeneinanderprallen wie gigantische Eisschollen. Am Ende bleiben nurmehr Verlierer und manche Rückblicke auf teils lange zurückliegende Fehler.

9/10

Michael Curtiz James M. Cain Film noir Mutter & Tochter Scheidung Familie Los Angeles


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LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE (Luciano Ercoli/E, I 1970)


Zitat entfällt.

Le Foto Proibite Di Una Signora Per Bene (Frauen bis zum Wahnsinn gequält) ~ E/I 1970
Directed By: Luciano Ercoli

Eines Abends nimmt ein mysteriöser Fremder (Simón Andreu) Kontakt zu Minou (Dagmar Lassander), Gattin des hoch verschuldeten Unternehmers Peter (Pier Palo Capponi), auf. Der Fremde behauptet, Peter habe einen Mord begangen und Minou müsse ihm nun zu Willen sein, wenn ihr Ehemann nicht an die Polizei verpfiffen werden solle. Der Erpresser nutzt Minous Angst schamlos aus und treibt sie zu auch psychisch grenzwertigen S/M-Spielchen. Zunächst offenbart Minou sich nur ihrer lockerlebigen Freundin Dominique (Susan Scott). Als sie später auch Peter von dem Erpresser berichtet, tut der ihre Geschichte, ebenso wie die ermittelnden Polizisten, als überspannte Fantasien ab. Doch der Dunkelmann lässt nicht locker...

Der in solcherlei Filmen geschulte Chronist (diverse Castle- und Hammer-Produktionen der vorvergangenen Dekade leisteten dazu ihr Übriges) weiß direkt von Beginn an, in welche Richtung der Hase läuft. Und tatsächlich behält man am Ende Recht, wenngleich ich die laszive, sich am Ende als Retterin entpuppende Susan Scott auch auf der dunklen Seite der Macht vermutet hätte, mehreren falsch gelegten Fährten Ercolis sei Dank. So kann man sich aber wenigstens auf das Spätsechziger-Ambiente des Films einlassen, das von Ennio Morricones groovender Musik getragen wird. Die Leute qualmen und saufen bei jeder Gelegenheit, als gäbe es kein Morgen. Man muss angesichts all des Whiskeyflusses (statt des obligatorischen Kulissendrinks JB gibt es hier ausnahmsweise mal Chivas) rückblickend vermuten, dass jedermann zu dieser Zeit permanent einen gepflegten Dauerpegel vor sich her schob. Die Damen tragen zu gesellschaftlichen Anlässen lustige Hochperrücken und in der Disco wurden auf Kommando die lustigsten Verrenkungen vollführt ohne sich zu schämen. Warum auch, machten ja schließlich alle. Der zwingende Ära-Chic des Films passt nun vielleicht nicht unbedingt zu seiner - zudem schwer unlogisch konstruierten - Kriminalgeschichte, aber was soll's. Die genannten Oberflächenfaktoren bieten leicht gehobenes, angenehm frivoles Entertainment, dessen Conclusio nichts weniger als ein erfrischendes Plädoyer für die freie Liebe bereithält. Na also doch.

7/10

Luciano Ercoli Ehe Madness Freundschaft Sleaze


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UNTER DEN DÄCHERN VON ST. PAULI (Alfred Weidenmann/BRD 1970)


"Ah, ein Trunkenbold."

Unter den Dächern von St. Pauli ~ BRD 1970
Directed By: Alfred Weidenmann

Innerhalb von 24 Stunden kreuzen sich mehrere Einzelschicksale auf St. Pauli: Harry (Ralf Schermuly) will Rache an dem Unterweltboss Hausach (Werner Peters), der Harrys Frau auf dem Gewissen hat; der liebeskranke Pasucha (Jean-Claude Pascal) flüchtet mit einer Geisel (Inger Zielke) vor der Polizei, nachdem er seine ihn ablehnende, als Stripperin arbeitende Frau (Lova Moor) erschossen hat, Studienrat Himboldt (Joseph Offenbach), der mit seinen Lübecker Oberprimanern auf der Reeperbahn unterwegs ist, soll Opfer eines gemeinen Scherzes werden, ein besorgter Flensburger Vater (Alfred Schieske) spürt seiner siebzehnjährigen Tochter (Alena Penz) nach, die beschlossen hat, als Nachtclubtänzerin zu arbeiten.

Zwar ein Kolportagefilm, keiner jedoch, der sich so ohne Weiteres als Sleazeprodukt identifizieren lässt wie die im selben Milieu angesiedelten Arbeiten von Rolf Olsen oder Jürgen Roland aus dieser Zeit. Weidenmann und seinem Hausautor Herbert Reinecker gelingt vielmehr das Kunststück, lange bevor jene Erzählstruktur en vogue wurde, sein Ensemble durch einen mehrere Geschichten parallel erzählenden Nachtkosmos zu schicken, der es sogar vermag, nicht durch die übliche, "report-verwandte" Perspektive des Spießbürgertums zu blicken, sondern sein geschildertes Milieu als durchaus authentisch zu verkaufen. Und das, wohlgemerkt, immerhin fünf Jahre vor Altmans "Nashville" und 29 Jahre vor Sönke Wortmanns mutmaßlich stark von diesem Film beeinflussten "St. Pauli Nacht".
Die von mir geschaute DVD zeigt "Unter den Dächern von St. Pauli" in einer garantiert "naturbelassenen", nikotingebräunten Kinokopie, die ganz wunderbar nach zeitgenössisch-vergilbten und ausgeblichenen Fotos ausschaut und die den Film eigentlich exakt so präsentiert, wie es ihm gebührt, ganz ohne den nunmehr üblichen Digital-Schnickschnack. Für mich eine kleine, unerwartete Überraschung kurz vorm Jahresende.

8/10

Alfred Weidenmann Hamburg St. Pauli Kiez Ensemblefilm Nacht


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NO WAY OUT (Joseph L. Mankiewicz/USA 1950)


"Ray Biddle likes Beaver Canal. He likes what it stands for."

No Way Out (Der Hass ist blind) ~ USA 1950
Directed By: Joseph L. Mankiewicz

Die beiden Brüder John (Dick Paxton) und Ray Biddle (Richard Widmark) werden nach einem Feuergefecht mit der Polizei ins County Hospital eingeliefert. Dort schiebt der just promovierte, dunkelhäutige Arzt Brooks (Sidney Poitier) Nachtschicht. Brooks sieht sofort, dass John Biddle nicht nur an einem Beinschuss leidet - er vermutet einen akuten Hirntumor und führt eine Lumbalpunktion durch. Im selben Moment stirbt John. Dessen nicht nur schwer soziopathischer, sondern zudem noch arg rassistisch eingestellter Bruder Ray interpretiert Brooks' Hantieren mit der Nadel als Mord und schwört Rache für Brooks. Der sieht die einzige Möglichkeit zum Beweis seiner Unschuld in einer Autopsie an John, der jedoch weder Ray noch Johns Witwe Edie (Linda Darnell) zustimmen wollen.

Ein früher filmischer Beitrag zum ewig grassierenden Thema "Rassismus in der amerikanischen Urbanität". Der Name der handlungsstiftenden Stadt bleibt freilich unerwähnt, um eine gezielte Form der Mustergültigkeit zu ermöglichen. "No Way Out" bot dem damals dreiundzwanzigjährigen Sidney Poitier seine erste Hauptrolle (dennoch musste er sich mit dem vierten Platz der Besetzungsliste begnügen) und gab zugleich sein formatives Rollenschema für die nächsten Jahre und Jahrzehnte vor: Das nämlich des attraktiven, charmanten Vorzeige-Afroamerikaners, der sich tapfer durch sämtliche sozialen Schranken kämpft und der seinen eigenen, latenten Rassismus stets beizulegen in der Lage ist. In dieser Hinsicht markierte "No Way Out" aber dennoch einen wichtigen Meilenstein. Er verband diesen gesellschaftlich relevanten Topos mit typischen Noir-Elementen und bahnte ihm so seinen Weg in die Unterhaltungsindustrie. Heute wirkt der Film, insbesondere im Hinblick auf Ray Biddles stark stereotyp gezeichneten (von Widmark nichtsdestotrotz vorzüglich interpretierten) Charakter, geflissentlich antiquiert, seine emotionale Strahlkraft konnte er sich jedoch bewahren.

8/10

Joseph L. Mankiewicz film noir Rassismus Arzt


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CAT CHASER (Abel Ferrara/USA 1989)


"I don't talk to the cleaning staff."

Cat Chaser (Short Run - Hexenkessel Miami) ~ USA 1989
Directed By: Abel Ferrara

George Moran (Peter Weller), der einst für die CIA im Bürgerkrieg in der Dominikanischen Republik mitinterveniert hat, ist nun Besitzer eines kleinen, aber sauberen Hotels an der Strandzeile von Miami Beach. Da begegnet ihm seine Vergangenheit wieder in Form des "Ex-Berufskollegen" Tyner (Frederic Forrest), der sich in Morans Hotel einmietet. Moran erinnert sich an ein Mädchen, das ihm einst während der Krise geholfen hat und das er nun wiederfinden möchte. An dessen Stelle begegnet er in Santo Domingo jedoch seiner Ex-Flamme Mary (Kelly McGillis) wieder, die jetzt mit dem schwerreichen Ex-Geheimpolizeichef der DomRep, Andres DeBoya (Tomas Milian), verheiratet ist. Mary, die Moran immer noch liebt, beabsichtigt, sich von DeBoya zu trennen, was dieser nur sehr ungehalten aufnimmt. Und dann ist da noch der alternde Schnüffler Scully (Charles Durning), der seine Rente mit DeBoyas Moneten aufzupolieren plant...

Abel Ferrara selbst hasst "Cat Chaser", weil er während der Herstellung mit dem Produzenten Peter Davis aneinandergerasselt ist, worauf dieser dem Regisseur die Verantwortung über den Endschnitt entzog. Der fertige Film, so Ferrara, sei nicht (mehr) seiner und er hätte ihn gern noch einmal gemacht. Zudem sei er mit der angeblich exponierten Freizügigkeit Kelly McGillis' nicht klargekommen (die nach eigenem Bekunden ihrerseits wiederum die Arbeit mit dem Regisseur hasste) - nachzulesen im Interviewbuch "Dark Stars".
Dominik Graf lobt die Leonard-Verfilmung in seiner Essay-Sammlung "Schläft ein Lied in allen Dingen" derweil über den grünen Klee, bezeichnet sie gar als Meisterwerk und schiebt Ferraras ihm unverständliche Unzufriedenheit mit "Cat Chaser" der ohnehin etwas eigenwilligen Art des Regisseurs zu, sich zu gewissen Dingen zu äußern sowie dem etwas merkwürdigen, wenngleich typischen Erzpuritanismus jener Generation italoamarikanischer New Yorker Filmemacher. Meine Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Als Leonard-Verfilmung verzeichnet "Cat Chaser" das nötige, schwülwarme Flair der Kriminalromanze in schwarz, angesiedelt unter den Palmen Floridas. Aus dieser Warte ist alles in bester Ordnung. Auch als misskomponiert würde ich den Film nicht mit Fug und recht bezeichnen wollen, da Ferraras Stil immer auch von bewussten Brüchen und Wechseln zehrt. Man muss ihm also schlicht glauben, wenn er aus den angegebenen Gründen nicht zu "Cat Chaser" stehen möchte. Dass ein Regisseur sein Werk a posteriori negiert, muss ja aber nicht a priori bedeuten, dass es misslungen ist. Wer auch immer "Cat Chaser" am Ende "zurecht"montiert hat (angegeben ist nach wie vor Ferraras Hauscutter Anthony Redman), der hat einen absolut trefflichen Job getan. Wohl kein Film, der es einem gerade leicht macht, aber einer, der die Beschäftigung mit sich reich entlohnen kann.

8/10

Abel Ferrara Elmore Leonard Dominikanische Republik Karibik amour fou neo noir Miami


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SIN CITY RECUT (Robert Rodriguez, Frank Miller/USA 2005)


"Aim careful, and look the devil in the eye."

Sin City Recut ~ USA 2005
Directed By: Robert Rodriguez/Frank Miller

Hauptanlass, mir nun erstmals die für das damalige DVD-Release umgearbeitete Version von "Sin City" anzuschauen, war in der erste Linie die vorhergehende Lektüre von Millers Comic-Reihe. Meine damals empfundenen und geäußerten Eindrücke sind im Wesentlichen gleich geblieben: Der Ehrgeiz, Millers expressionistische Gestaltungskunst medial zu transponieren, zahlt sich aus. "Sin City" sieht noch immer fantastisch aus und es ist ein ästhetischer Hochgenuss, sich insbesondere unkittelbar nach dem Studium der Vorlage die bewegten Bilder das Hirn hinabgleiten zu lassen - wenngleich ein paar gestalterische Brüche (etwa in Form mancher zusätzlicher Einfärbungen) hier und da zu verzeichnen sind, die sich angesichts der andernortigen formalen Strenge etwas manieristisch ausnehmen. Interessanter gestaltet sich da schon die von der Parallelerzählung der Kinofassung abweichende Möglichkeit, die vier Storysegmente so zu betrachten, wie die Printreihe sie ursprünglich vorsah. Zwar purzelt Rodriguez noch immer die Reihenfolge durcheinander ("The Hard Goodbye" und "The Big Fat Kill" gehören vor "That Yellow Bastard"), er "gestattet" dem Zuschauer per einführender Worte jedoch, die Geschichten so zu schauen, wie man mag. Die Chronolgie des Films wird trotz geflissentlich ausgedehnter Spielzeit also kompakter und dazu gar noch gewissermaßen interaktiv. Diese Art der Rezeption funktioniert etwas besser als die vermeintlich geschickte Vermischung der Storys für den Kinocut und wertet Millers und Rodriguez' Anstrengungen sogar noch ein wenig auf. Allerdings bleibe ich dabei: Als postmodernistische Hardboiled-Hommage ist "Sin City" bei aller sonstigen Gekonntheit ebenso plump und dem schalen Gegenwartsgeschmack verhaftet wie Tarantinos und Rodriguez' ewig repetiertes Grindhouse-Gewichse. Aber ich lerne mit der Zeit, damit zu leben. Und das sogar recht gut, wie ich zerknirscht zugeben muss.

8/10

Robert Rodriguez Frank Miller Quentin Tarantino Comic Dark Horse Kannibalismus Hommage neo noir


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SLEUTH (Joseph L. Mankiewicz/UK, USA 1972)


"There's nothing like a little bit of mayhem to cheer one up."

Sleuth (Mord mit kleinen Fehlern) ~ UK/USA 1972
Directed By: Joseph L. Mankiewicz

Der narzisstische Kriminalautor Andrew Wyke (Laurence Olivier) will sich keinesfalls gefallen lassen, dass der deutlich jüngere, schnieke Friseur Milo Tindle (Michael Caine) ihm so ohne Weiteres seine Frau Marguerite abspenstig macht. Also denkt er sich einen perfiden Racheplan in Form einer bitterbösen Scharade aus, deren Finale Tindle an seine psychischen Grenzen führt. Dieser wiederum kehrt wenige Tage später tief gekränkt zu Wyke zurück und demonstriert seinem erklärten Gegenspieler eindringlich via eines seinerseits erdachten Spiels, wie des einen Freud sehr rasch zu des anderen Leid werden kann.

Ich mag "Sleuth" bei Weitem nicht so sehr wie viele andere geschätzte Zeitgenossen. Schuld daran tragen nicht zuletzt das die filmischen Möglichkeiten eher eingeschränkt nutzende Theatersetting sowie das auf zwei Personen beschränkte aktionistische und rhetorische Antagonistenduell. Jenes entpuppt sich erwartungsgemäß primär als Wett- und Schaulaufen zweier großartiger Akteure, die dann auch in jeweiligen Sternstunden ihres Könnens zu bewundern sind. Mankiewicz, der sich in boshaft aufbereiteten Dialogstücken schon immer am heimischsten fühlte, nutzte "Sleuth" dann auch als Anlass seiner finalen Arbeit, bevor er sich für immerhin noch gut zwanzig Jahre aufs Altenteil zurückzog. Eine sympathische Entscheidung. "Sleuth" nun ist als Filmersatz für einen kriminalistisch angehauchten Theaterabend sicherlich gut gewählt; als exemplarische Zuschaustellung von Mankiewicz' außergewöhnlichen Fähigkeiten würde ich ihn - wiederum im Gegensatz zu manch anderem - aber wohl kaum heranziehen.

7/10

Joseph L. Mankiewicz Anthony Shaffer based on play England Rache Schwarze Komödie





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