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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE PELICAN BRIEF (Alan J. Pakula/USA 1993)


"She sounds almost too good to be true."

The Pelican Brief (Die Akte) ~ USA 1993
Directed By: Alan J. Pakula

Nachdem zwei Bundesanwälte (Hume Cronyn, Ralph Cosham) ermordet wurden, erstellt die clevere Jura-Studentin Darby Shaw (Julia Roberts) ein mutmaßlich hypothetisches Dossier, in dem der Großindustrielle Mattiece als Drahtzieher hinter den Anschlägen genannt wird. Selbst für den amtierenden Präsidenten (Robert Culp) ist diese Aufdeckung höchst prekär, da Mattiece sein persönlicher Freund und Wahlkampfspender ist. Nachdem Darby das "Pelikan-Akte" getaufte Dossier an ihren Freund, den Dozenten Tom Callahan (Sam Shepard), weitergegeben hat, wird dieser von einer Autobombe zerfetzt. Auch Darbys Leben schwebt in höchster Gefahr. Sie taucht unter und wendet sich an den kritischen Journalisten Gray Grantham (Denzel Washington), um mit seiner Hilfe ihr Leben zu retten.

Süden, Verschwörungen, Rassismus, Korruption, Mafia: Der Trivialautor John Grisham war vor zwanzig Jahren einer der meistgelesenen Romanciers unseres Planeten und entsprechend flugs wurden seine populärsten Werke, umfangreiche Wälzer, die hierzulande unter ihren einprägsamen Kurztiteln in aller Munde waren und deren gebundene Ausgaben eine Menge zeitgenössischer Buchregale zierten, von Hollywood in die Zange genommen, von den Studios aufgekauft und hernach von zumeist großen Regisseuren als Auftragsarbeiten und stets umfassend starbesetzt adaptiert. Die Grisham-Verfilmungen - sechs relativ dicht hintereinander in den Neunzigern entstanden, gab es mit "The Runaway Jury" nach einer fünfjährigen Pause noch einen Nachzügler - zeigen beispielhaft, wie das damalige Mainstream-Kino gestrickt war und sind daher auch filmhistorisch von Interesse. Schöne oder markante Gesichter in den Hauptrollen, zumeist als in die Jurisprudenz eingebettete, ehrgeizige Idealisten, altehwürdige Schauspielstars im Hintergrund, wahlweise als Mentoren der Junghelden oder als Oberverschwörer, ein Südstaat als handlungstragender Schauplatz, ein Gerichtssaal, ein horrendes Maß an billiger Polemik und plakativer Emotionsschürung, die in keinem Verhältnis stand zu den mitunter durchaus komplexen Inhalten der Geschichten. Ob Grisham seine Romane ähnlich strukturierte, also faktisch kompetent, dramaturgisch jedoch auf Groschenheftniveau, kann ich nicht beurteilen - ich habe nie eines seiner Bücher gelesen.
"The Pelican Brief" folgte fast unmittelbar auf Sydney Pollacks "The Firm" und ähnelte diesem bereits überdeutlich. Mit Alan J. Pakula konnte ein Filmemacher gewonnen werden, der rund zwanzig Jahre zuvor mit seiner großartigen "Paranoia-Trilogie" reüssiert hatte, dessen Stern mittlerweile allerdings leicht im Sinken begriffen war. Ähnlich wie Pollack blähte er sein Werk auf unmäßige Überlänge auf - eine Tatsache, die "The Pelican Brief" nicht sonderlich bekommt. Die Exposition verschlingt allein ein Drittel des Films, diverse Szenen finden sich deutlich minutiöser umgesetzt als es ihnen guttut und irgendwann sehnt man eine Auflösung des narrativen Breis förmlich herbei. Dem gegenüber steht die unleugbar ansprechende formale Habenseite, mit der Pakula - natürlich - hauszuhalten wusste.

6/10

Alan J. Pakula John Grisham Südstaaten FBI Journalismus Washington D.C. Verschwörung Louisiana New Orleans


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MACHO MAN (Alexander Titus Benda/BRD 1985)


"Und du hast wirklich den ersten Dan?" - "Das werd' ich dir gleich beweisen!"

Macho Man ~ BRD 1985
Directed By: Alexander Titus Benda

Der Boxweltmeister Dany Wagner (René Weller) rettet die wohlgeformte Arzthelferin Sandra (Bea Fiedler) vor einigen lichtscheuen Gestalten, die ihr eine Spritze mit Heroin setzen wollen. Am nächsten Tag vereitelt er morgens zusammen mit Karateschulbesitzer und Kampfsport-Kanone Andreas Arnold (Peter Althof) einen Banküberfall und verteidigt des Abends seinen Weltmeistertitel. Ein Discobesuch mit Sandra bringt Dany endgültig mit Sandra zusammen, derweil Andreas seine neue Schülerin Lisa besteigt. Als die Drogengangster Lisa und Sandra entführen, bevor Dany und Andreas zusammen mit ihnen in den verdienten Südurlaub abheben können, geben die zwei harten Jungs und ihre jeweilige Fangemeinde ihnen Saures.

"Macho Man", illegitimes Bindeglied zwischen "Die Brut des Bösen" und "Der Joker" und damit das Triptychon des deutschen Actionfilms mittig vervollständigend, ist ein Werk, das nicht einfach bloß gesehen, sondern erfahren werden will. Alexander Titus Benda, seines Zeichens Nürnberger Filmemacher mit genau zwei Einträgen in seinem Œuvre, hat das Script zu "Macho Man" selbst verfasst. Wie alt er war, als er es geschrieben hat, ist mir nicht bekannt, aber der Verdacht liegt nahe, dass er nur kurz zuvor den Übergang in die Sekundarstufe I gemeistert hat. Oder gerade daran saß. Ob man das daraus resultierende Objekt somit als imbezil oder tatsächlich infantil bezeichnen muss, kann ich daher nur mutmaßen. Allein die Idee jedenfalls, den tief gewachsenen Box-Playboy Weller in einer Hauptrolle zu besetzen, lässt an der mentalen Verfassung der Urheber zweifeln, wie dann dementsprechend die gesamte filmische Umsetzung. "Macho Man" ist ein Fanal des Trash: Jede einzelne Szene ein Poem, jede einzelne Minute teutonisches Gold. Wo neonfarbene Jogginganzüge aus Ballonseide den Eintritt in die Disco erleichtern, wo Breakdance höchstes Kulturgut darstellt, wo ohne Minipli und Haarlack ehrenhalber das Haus nicht verlassen wird, wo das schöne Nürnberg von der Geißel des Heroin befreit wird, wo eine deutsche Darstellerriege in München gedubbt wird (wir hören anstelle von Weller, Althof, Fiedler und Jacqueline Elber die ausgebildeteren Ekkehardt Belle, Hartmut Neugebauer, Eva Kinsky und Madeleine Stolze) - da (und nur da) ist "Macho Man" daheim! Trotz soviel äußerer Geschlossenheit lässt Benda jedoch immer noch die spannende Frage offen was nun wirklich (Zitat:) "besser ist: Boxen oder Karate..."?

6/10

Alexander Titus Benda Nürnberg Martial Arts Boxen Drogen Trash


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8MM (Joel Schumacher/USA, D 1999)


"DIE! FUCKER DIE! DIE!"

8MM ~ USA/D 1999
Directed By: Joel Schumacher

Der eher ungern im Trüben stochernde Hochglanz-Detektiv Tom Welles (Nicolas Cage) wird von der betagten Witwe Mrs. Christian (Myra Carter) engagiert, die Herkunft eines 8MM-Snuff-Filmes zu untersuchen, den sie im Safe ihres verstorbenen Mannes, eines reichen Wirtschaftsführers gefunden hat. In dem kurzen Film wird ein Mädchen (Jenny Powell) von einem Maskenmann (Chris Bauer) misshandelt und schließlich abgeschlachtet. Welles soll herausfinden, ob es sich um gestellte Aufnahmen oder authentische Aufnahmen handelt. In Los Angeles kommt er mithilfe eines stenefirmen Amateurmusikers (Joaquin Phoenix) einem Snuff-Ring auf die Spur, dem der New Yorker Dino Velvet (Peter Stormare) vorsteht. Tatsächlich wurde Mary Ann Matthews, so der Name des Mädchens, vor der Kamera ermordet. Der längst vollkommen konsternierte Welles entwickelt zunehmend ungebremste Aggressionen gegen die Täter...

Wo "Falling Down", bis zu gewissem Grad ja ebenfalls eine Beschäftigung mit dem Topos 'Vigilantismus', zumindest noch einen Rest von Diskutabilität aufweist, nimmt sich "8MM" auf das denkbar Biederste konservativ aus. Nach Andrew Kevin Walkers umwerfendem "Se7en"-Script war einiges von dem Autoren zu erwarten, dass er jedoch mit einem derart plumpen Konstrukt um die Ecke kommen sollte, finde ich, speziell im Hinblick auf die Qualität des literarischen "Vorgängers", noch heute problematisch. Glücklicherweise rettet sich "8MM" gegen Ende noch halbwegs über die Runden durch seine unfreiwillige Komik, die das moralisch hochentrüstete Kartenhaus, das der Film zuvor mit großer Geste errichtet hat, in sich zusammenstürzen lässt. Nicolas Cage, nach meinem Empfinden schon immer ein Mann, der die vielen lächerlichen Stoffe, an deren Ausführung er sicherlich primär des Geldes wegen mitwirkte, als solche erkannt hat und ihnen durch gezieltes overacting entsprechend "Tribut" zollt, als Objekt der Entrüstung in den Mittelpunkt zu stellen, war ein personeller Schachzug, dem der Film verdankt, dass er nicht gleich umweglos in die Tonne wandern sollte.
Das "8MM" zugrunde liegende Menschenbild trägt Zeugnis einer fanatischen, wenn nicht pathologischen Abscheu vor jedwedem sexuell Normabseitigen. Allein Welles' erster aktiver Kontakt mit der Pornoszene ist bereits so inszeniert, dass der Ruch des Widerlichen und Perversen sich bis weit vor die Leinwand erstreckt - Cages permanent und zunehmend angeekeltes Gesicht spricht Bände. Als er im weiteren Filmverlauf auf einem einschlägigen Hinterhofbasar das Cover eines Kinderpornos in die Hand nimmt, wischt er selbige danach voller Widerwillen an seinem Revers ab. Doch Welles' steigt noch weiter hinab in die neun Inferni der Pornographie, um am Ende personell mit ihrer niederträchtigsten Form konfrontiert zu werden, selbstverständlich symbolisiert durch ein repräsentatives Quartett des denkbar übelsten menschlichen Abschaums: Den schmierigen Regisseur (Stormare), das abartige Muttersöhnchen (Bauer), den abgewichsten casting agent (James Gandolfini) und den korrupten, schnauzbärtigen Hochglanzanwalt (Anthony Heald). Die zwei, die sich nicht aus wechselseitigem Misstrauen gegenseitig umgebracht haben, richtet Welles, nachdem er sich moralisch durch eine Anfrage bei Muttern Matthews (Amy Morton) legitimiert hat, mit symbolischem, feurigem Cherubsschwert. Danach kehrt er bitterlich weinend in den reinigenden Schoß seiner jungen Familie zurück - die Welt hat ihn wieder, mitgenommen zwar, aber durch seine Gewaltakte vom Erlebten geläutert und gereinigt.
Als trashige Spaßgranate funktioniert "8MM", besonders, da er sich so gern als Manifest der moralischen Entrüstung verstünde. Als ernstzunehmender Genrefilm, also das, was er zu sein vorgibt und wünscht, ist er somit nachgerade erbarmungswürdiger Dreck.

4/10

Joel Schumacher Snuff Subkultur Pornographie Los Angeles New York Familie Selbstjustiz Rache


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CONFESSIONS OF AN OPIUM EATER (Albert Zugsmith/USA 1962)


"Here was the secret of happiness, about which philosophers had disputed for so many ages, at once discovered..."

Confessions Of An Opium Eater (Bekenntnisse eines Opiumsüchtigen) ~ USA 1962
Directed By: Albert Zugsmith

Der Abenteurer Gilbert De Quincey (Vincent Price) kommt nach San Francisco, wo er in Chinatown in die Machenschaften einer Tong-Chefin (Linda Ho) gerät, die eine Versteigerung orientalischer Sklavinnen für wohlhabende Geschätsleute plant.

Nach De Quinceys berühmter Novelle entstand dieses durchaus als waghalsig zu bezeichnende trip movie, eine frühe, poetische Vorwegnahme von "Big Trouble In Little China", die im vorgeblichen Gewand eines wilden kleinen Exploiters den schon damals nicht mehr ganz jungen Vincent Price als schwarzgewandeten Seemann zeigt, der im Bannkreis zwischen Opiumpfeife, Baudelaire und kreischenden Mädchen die Kastanien aus dem Feuer holen muss. Price als Actionheld; das mutet bereits als Idee paradox an und in der Tat dürfte er im Zuge der meisten entsprechenden Szenen, die ihn bei Kletteraktionen oder beim Sprung von irgendwelchen Dächern zeigen, gedoubelt worden sein. Zwar ist der Protagonist nur einmal während des Films wirklich direkt berauscht, dennoch gehorcht die gesamte Narration einer seltsamen Traumlogik. Mit dem Eintritt in das fernab der Hauptstraßen liegende Chinatown erhält man zugleich das Visum für eine Parallelwelt, in dem abendländische Wertmaßstäbe passé sind. Passend dazu ist Prices best buddy eine zwergenwüchsige Chinesin (Yvonne Moray). In einer Mischung aus lustvoller Zeigefreudigkeit und kulturellem Respekt springt Zugsmiths Film mitten hinein in dieses räucherstäbchen- und qin-geschwängerte Exotik-El-Dorado und findet am Ende auch ganz bewusst nicht mehr heraus: what happens in Chinatown, stays in Chinatown.

7/10

Albert Zugsmith San Francisco Chinatown Drogen Opium Tongs Thomas De Quincey


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T-MEN (Anthony Mann/USA 1947)


"These are the six fingers of the Treasury Department fist. And that fist hits fair, but hard."

T-Men (Geheimagent T) ~ USA 1947
Directed By: Anthony Mann

Um einen landesweit operierenden Falschmünzerring dingfest zu machen, schickt das Schatzamt die zwei Agenten O'Brien (Dennis O'Keefe) und Genaro (Alfred Ryder) undercover ins Feld. Geschickt schleichen sie sich in die Reihen der misstrauischen Kriminellen ein, deren Hauptsitz in Los Angeles liegt. Schließlich fliegt Genaros Tarnung auf und er wird erschossen. Für O'Brien ein persönlicher Grund mehr, die Sache zum Abschluss zu bringen.

Mit dokumentarischer Genaugkeit ohne Vernachlässigung der atmosphärischen Sujet-Qualitäten ging Anthony Mann für "T-Men" zu Werke. Unterhaltungsfilme, die zur damaligen Zeit Exekutiv-Organisation wie das FBI oder in diesem Falle das Schatzamt zum Thema hatten, stellten zugleich allerdings auch immer ein Stück PR-Arbeit für die entsprechende Institution dar. Im Prolog von "T-Men" hält der echte Schatzbeamte Elmer Lincoln Irey eine trockene Einführungsrede über die unnachgiebige, heroische Arbeit seiner Kollegen, derweil sich der Film im weiteren Verlauf narrativ an den regelmäßigen Kommentaren eines Off-Sprechers (Reed Hadley) entlanghangelt. Manns versierte Regie im Verbund mit der brillanten Kameraarbeit des großartigen John Alton machen jene verbalen Orientierungspunkte vollkommen überflüssig und lassen sie retrospektiv hoffnungslos naiv erscheinen. Unter dem kunsthistorischen Aspekt, dass sie zur Repräsentanz der Werksoriginalität eben unentbehrlich sind, lassen sie sich jedoch ertragen. Es bleibt aber eine unabdingbare Tatsache, dass "T-Men" ohne jene Einspieler, die ihn ungerechterweise zu einer partiellen Werbeplattform für den US-Polizeiapparat machen, als wichtiges, ja, visionäres Werk mit wesentlich höherem Popularitätsgrad Bestand hätte.

8/10

Anthony Mann film noir Detroit Los Angeles Falschgeld undercover


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THE RECKLESS MOMENT (Max Ophüls/USA 1949)


"When you're seventeen today, you know what the score is."

The Reckless Moment (Schweigegeld für Liebesbriefe) ~ USA 1949
Directed By: Max Ophüls

Um ihrer minderjährigen Tochter Bea (Geraldine Brooks) einen kompromittierenden Skandal zu ersparen, lässt sich die Hausfrau Lucia Harper (Joan Bennett) auf eine niederträchtige Erpressung ein. Bea hatte ihren deutlich älteren Freund (Shepperd Strudwick), den windigen Kunsthändler Ted Darby, im nächtlichen Streit niedergeschlagen, woraufhin dieser auf einen Anker gefallen und gestorben ist. Lucia hat daraufhin die Leiche des Mannes verschwinden lassen. Nun sind jedoch zwei Gauner, Donnelly (James Mason) und Nagel (Roy Roberts) in den Besitz kompromittierender Liebesbriefe gekommen, die eine Verbindung zwischen Bea und Darby nachweisen. Donnelly verlangt 5000 Dollar von Lucia für die Briefe, doch diese Summe ist für sie schwer aufzutreiben. Als Donnelly sein Opfer und dessen Familie besser kennenlernt, wandelt sich seine Gier in einen regelrechten Beschützerinstinkt, der zum konflikt mit seinem Partner führt...

Exzellent komponiertes Noir-Drama von Ophüls, eine Art "Brief Encounter" im Kriminalgewand, das sich trotz seiner potenziell rührseligen Geschichte allerdings jedes vorgebliche Pathos versagt und durch seine immens konzentrierte Struktur bis zum Ende fesselt.
Vom 'Stockholm-Syndrom' haben die Meisten ja schon gehört, dabei verlieben sich Kidnapper und Geisel ineinander. Doch es gibt offenbar noch exotischere Spielarten kriminell konnotierter Opfer-Täter-Beziehungen: In "The Reckless Moment" erwächst eine (unerfüllte) Liebesbeziehung zwischen Erpresser und Erpresster, die sich aus beiderseitiger Einsamkeit speist. Lucias Ehemann ist unentwegt auf Geschäftsreise und lässt seine Familie sogar zu Weihnachten allein; Donnelly ist mit seiner Schattenexistenz als Verbrecher längst unzufrieden und sehnt sich nach Heim und Geborgenheit. Dass sich diese zwei losen Menschen ausgerechnet unter solch widrigen Umständen begegnen müssen, mutet besonders gegen Ende, als sie sich näherkommen und der Zuschauer mit ihnen die moralischen Schranken ihrer eingekesselten Existenzen hinter sich gelassen hat, regelrecht unfair an, ändert jedoch natürlich nichts an der grundsätzlichen Liebenswürdigkeit und vollkommenen Schönheit dieses Films.

9/10

Max Ophüls Kalifornien Erpressung Familie amour fou


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SPRING BREAKERS (Harmony Korine/USA 2012)


"Bikinis and big booties - that's what it's all about."

Spring Breakers ~ USA 2012
Directed By: Harmony Korine

Vier Freundinnen (Ashley Benson, Selena Gomez, Vanessa Hudgens, Rachel Korine) wollen dem sie umgebenden College- und Kleinstadtmief Richtung Spring Break entfliehen. Um sich finanziell auszustaffieren, rauben sie zunächst ein Diner aus und starten dann nach Florida, wo ihre Party-Exzesse sie bald hinter schwedische Gardinen führen. Der örtliche Dealer Alien (James Franco) hinterlegt ihre Kaution, erwartet dafür im Gegenzug aber körperliche Gefälligkeiten. Für die sensible Faith (Gomez) der Anlass, wieder nach Hause zu fahren. Die anderen drei lassen sich in Aliens Gangsteruniversum entführen, für zwei von ihnen verwandelt sich seine Rivalität gegen den Konkurrenten Archie (Gucci Mane) in einen blutigen Feldzug.

Harmony Korine, das muss man wissen, ist der Autor der Larry Clark-Filme "Kids" und "Ken Park". Diese Kenntnis erlaubt einen etwas differenzierteren Blick auf "Spring Breakers", einen Film, der sich natürlich nicht in jener Oberflächlichkeit erschöpft, die er in einer Mischung aus Faszinosum und moralinsaurer Protesthaltung porträtiert. Zunächst einmal sieht er toll aus: Schöne junge Menschen mit wenig Textilien am Leib geben sich der bonbonfarbenen Verlotterung in Form von Alkohol, Drogen, Sex und beschissener Musik hin, neonglitzernde Objekte in sternklarer Sommernacht, ein edles weißes Piano vor Bilderbuchküstendämmerung. Und dazwischen unser personell schrumpfendes Mädchenquartett. Deprimiert von der Determination ihres bourgeoisen Lebens stecken sie ihre Nasen in prall gefüllte Eimer mit Koks und Whiskey, wundern sich, dass es infolge dessen einen Kater oder sogar ernstzunehmenden Ärger gibt und holen sich zwischendurch die Absolution bei ihren Familien, indem sie diese via Fernsprecher schlicht anlügen. Als dann der amerikanische Schwiegersohnalbtraum Alien auf der Bildfläche erscheint, geht es endgültig bergab Richtung Moralsumpf. Ab jetzt sind scharfe Knarren im Spiel, Drogen, Gruppensex und Straßenkrieg.
In dem Bewusstsein um Harmony Korines Weltbild kann von ethischer Neutralität natürlich nicht die Rede sein. Der Mann ist mittlerweile 40 und kommt immer noch nicht los von der verworfenen Jugend, wie sie, im Grunde unverantwortlich für sich selbst, Dinge tut, die unvernünftig sind. Ausgerechnet die im Film als gottesfürchtig porträtierte Selena Gomez, die die Kinderzimmerwände von Milliarden Mädchen im Grundschulalter ziert, schafft als erste den "Absprung". Auf einmal steht sie im Billard-Café, wird von Farbigen (!) angestarrt und begrapscht. Da kullern plötzlich die Kleinmädchen-Tränchen, man will "weg hier" und nichts wie ab nach Haus, zur Oma. Bei der nächsten Ausfallnummer ist immerhin eine Kugel im Oberarm verantwortlich. Sowas tut weh und das muss ja nun doch nicht sein. Harmony Korine hat Mitleid mit seinen Schäfchen, aber sein Voyeurismus ist mindestens ebenso unverhohlen und wirkt beinahe schon wie ein selbsttherapeutischer Hilferuf. Ich glaube ganz ernsthaft, dass der Mann ein bis zwei Probleme hat. Nichtsdestotrotz habe ich mir "Spring Breakers" gern angeschaut. Er glänzt so schön.

6/10

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TO KILL A MOCKINGBIRD (Robert Mulligan/USA 1962)


"Miss Jean Louise, stand up. Your father's passing."

To Kill A Mockingbird (Wer die Nachtigall stört) ~ USA 1962
Directed By: Robert Mulligan

Die kleine Jean Louise (Mary Badham), genannt 'Scout' und ihr Bruder Jeremy (Philip Alford), genannt 'Jem', wachsen während der Depressionsjahre in Maycomb, Alabama als Kinder des verwitweten Anwalts Atticus Finch (Gregory Peck) auf. Trotz der schwierigen Situation verleben die beiden mit ihrem Freund Dill (John Megna) schöne Kleinstadtsommer, die allerdings gleichermaßen von dunklen Schatten geprägt sind: So verteidigt ihr Vater den farbigen, der Vergewaltigung an einer Weißen (Collin Wilcox Paxton) angeklagten Tom Robinson (Brock Peters), der die gesamte Landbevölkerung gegen sich hat. Atticus ist der einzige Weiße, der ihm rechtschaffen zur Seite steht. Ihm gegenüber positioniert sich in vorderster Front der Farmer Bob Ewell (James Anderson), Vater des Opfers. Die Kinder nehmen außerdem mit ebenso respektvollem wie wohligem Grusel wahr, dass in ihrer Nachbarschaft der angeblich verrückte Boo Radley (Robert Duvall) lebt, der von seiner Familie versteckt gehalten wird und sich nie bei Tageslicht zeigt.

Wie Harper Lees wunderbarer Roman so ist auch dessen Adaption ein Manifest des Humanismus, eine erquickliche Lektion über Menschlichkeit und Würde in Zeiten allgegenwärtiger Unruhe und Angst. Mit Atticus Finch, neben Kapitän Ahab in Hustons "Moby Dick", seiner Lebensrolle, hat Gregory Peck einen der großen amerikanischen Helden kreiert: Einen pazifistischen Intellektuellen, einen weisen, Rechtschaffenheit und Philanthropie als Existenzprinzipien verfolgenden Anwalt im Kampf für das ewig Gute, dazu einen liebevollen Familienvater, der den Wogen des Lebens mit trotziger Gelassenheit entgegentritt und diese zumeist glorreich meistert. Verlorene Schlachten nimmt er zum Anlass, selbst Besserung zu geloben.
Berichtet wird "To Kill A Mockingbird" allerdings aus ausschließlich kindlicher Perspektive; aus der Sicht Scouts und ihres Bruders Jem, die dem ehernen Vorbild ihres Vaters nacheifern und dereinst, auch infolge seiner vorbildlichen Erziehung, ebensolche Alltagshelden werden dürften wie er. Dass diese so wunderbar lebensweise Geschichte zudem in einen formalen Rahmen gesetzt wurde, dem man kein anderes denn das Attribut der Meisterlichkeit zukommen lassen kann, ergänzt das Gesamtbild bis hin zur Perfektion.
In all seiner bedingungslosen Weisheit, Couragiertheit, Menschen- und Lebensliebe ein magischer Film, der weit über seinen eigenen medialen Horizont hinausreicht und den man gewissen Menschen als bildendes Pflichtprogramm verpflichtend angedeihen lassen möchte. Auf dass sie sich dann bessern mögen.

10*/10

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GUN CRAZY (Joseph H. Lewis/USA 1950)


"Let's finish it the way we started it: on the level."

Gun Crazy (Gefährliche Leidenschaft) ~ USA 1950
Directed By: Joseph H. Lewis

Der seit frühester Kindheit in Feuerwaffen vernarrte, bezüglich ihrer tödlichen Wirkung jedoch traumatisierte Bart (John Dall) weiß als Erwachsener nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen. Da lernt er auf dem Rummelplatz die Schießartistin Annie (Peggy Cummins) kennen. Die beiden verlieben sich vom Fleck weg ineinander, touren noch eine Zeitlang mit dem Zirkus umher und setzen sich dann ab. Es dauert nicht lang, bis sie in die Kriminalität abrutschen: Raubüberfälle auf Banken und Firmen gehören bald zu ihrer Alltagsroutine. Als Annie erstmals Menschen erschießt, forciert das FBI die Suche nach dem flüchtigen Paar. Ihre Flucht führt sie in jenes wilde Gelände, in dem Bart einst seine Jugend verbracht hat.

Natürlich liegen Faszination und Sympathie in dieser modernen Outlaw-Ballade beim Antihelden-Pärchen Bart und Annie, besonders bei letzterer. Dafür bürgt schon die von Anbeginn etwas abseitige, diametrale Zeichnung des (mögicherweise homosexuellen) Jugenfreund-Paares Barts, des Deputy Boston (Harry Lewis) und es Zeitungsredakteurs Allister (Nedrick Young). Deren moralische Rechtschaffenheit ist von nahezu ekelhafter Sterilität und wirkt angesichts der Klemme, in der sich ihr sogenannter "Freund" später befindet, wie ein Hochverrat am Leben selbst.
Noch psychologischer die Ambiguität der Charaktere Barts und annies: Während Bart, seit er als Vierjähriger mit dem Luftgewehr ein Küken erschossen hat, keine Schusswaffe mehr auf Lebewesen richten kann, bezieht Annie nicht nur aus der phallischen Form von Pistolen sexuellen Lustgewinn, sondern insbesondere aus deren lebensvernichtendem Einsatz. Trotz des ersten Eindrucks ergänzen die beiden sich also nicht unbedingt perfekt: Ihr delinquentes Potenzial eint sie, die Toleranz- und Akzeptanzschwellen jedoch sind völlig disparater Natur. Das sich daraus ergende Spannungsverhältnis bestimmt die ungebrochene Aktualität von "Gun Crazy".
Ein ikonischer Genrefilm; vorzugsweise im Verbund mit Rays "They Live By Night" sehenswert, der ironischerweise Dalls "Rope"-Kollaborateur Farley Granger in der Rolle des sich den Weg freischießenden Heißsporn aufbietet.

9/10

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MIDNIGHT LACE (David Miller/USA 1960)


"There's nothing wrong about money that having it can't cure."

Midnight Lace (Mitternachtsspitzen) ~ USA 1960
Directed By: David Miller

Die in London mit dem konzernchef Anthony Preston (Rex Harrison) noch jung verheiratete Amerikanerin Kit Preston (Doris Day) bekommt es mit der Angst, als ihr im Londoner Nebel eine Stimme verheißt, dass sie sie Kenne und sie bald sterben müsse. Diese Drohung setzt sich in Form obszöner Anrufe im Appartment der Prestons fort. Doch niemand glaubt Kit: Der ermittelnde Inspektor (John Williams) hält sie für eine überspannte, vernachlässigte Ehefrau, die wieder mehr von ihrem Mann haben möchte und selbst Kits ansonsten sehr verständige Tante Bea (Myrna Loy) hängt insgeheim dieser Theorie an.

Suspense-Thriller im Hitchcock-Gefolge, der zur Untermauerung seiner Wurzeln sogar diverse Darstellerveteranen des Meisters bemüht: Die Protagonistin, John Gavin, Antony Dawson und John Williams, wobei letztere sich nach "Dial M For Murder" sogar ein neuerliches Stelldichein in fast identischen Rollen gestatten, hat man allesamt in den letzten Jahren bei Hitch gesehen. Die sonstige Epigonenhaftigkeit erschöpft sich allerdings in innovativ gewählten Kameraperspektiven; das Script hat einige logische Löcher und übersieht bei all seinen falsch gelegten Fährten, dass diese am Ende bitteschön auch sämtlichst vernäht gehörten. Der der gesamten Geschichte zugrunde liegende Meisterplan, ein möglichst hohes Maß an Verdachtskonfusion beim Publikum durch die Einführung einer ganzen Handvoll zwielichtiger Gestalten zu erzeugen, überläuft sich irgendwann selbst, wie sich auch die Auflösung recht früh als erwartbar zeigt. Es bleiben Momente klassisch-aparter Spannung und die unerwartet bravouröse Leistung der Hauptdarstellerin Doris Day, die die Gratwanderung zwischen Panik, Hysterie und Selbstzweifel spürbar transparent werden lässt.

7/10

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