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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE TALK OF THE TOWN (George Stevens/USA 1942)


"I like people who think in terms of ideal conditions. They're the dreamers, poets, tragic figures in this world, but interesting."

The Talk Of The Town (Zeuge der Anklage) ~ USA 1942
Directed By: George Stevens

Sweetbrook, Massachusetts: Der sozialpolitisch engagierte Arbeiter Leopold Dilg (Cary Grant) wird zum Opfer eines Komplotts. Er soll die örtliche Textilfabrik niedergebrannt und das Leben eines Mitarbeiters auf dem Gewissen haben. Um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, flieht Dilg und versteckt sich im Dachboden des Landhauses von Nora Shelley (Jean Arthur), in das sich just zur selben Zeit der berühmte Rechtsgelehrte Professor Lightcap (Ronald Colman) eingemietet hat. Die drei so unterschiedlichen Individuen lernen sich bald besser kennen und werden gute Freunde, bis Leopold, der sich bislang als Gärtner Joseph verkauft hat, seine wahre Identität preisgeben muss. Auf den ehern rechtsverhafteten Professor wartet nun die Entscheidung für oder gegen seine langjährige Überzeugung.

Eine große Menge an Stoff steckt drin in George Stevens' schnippischer Komödie, die im Grunde gleichsam eine etwas komplexere Capra-Geschichte darstellt. Die ernsten Topoi der Korruption und der willkürlich verhängten Todesstrafe bieten die Basis für eine Dreiecks-Romanze nebst philosophischen Grundsatzdiskussionen darüber, wie blasse Akademiker überhaupt Überlegungen über das existenzielle Fragen anzustellen vermögen, wenn sie sich doch stets vom wahren Leben fernhalten. Welche Berechtigung haben graumelierte, bärtige Habilitierte, moralische Maximen aufzustellen und zu verteidigen, wenn sie doch stets vom humanistischen Idealfall ausgehen? Cary Grant als unschuldig Vorverurteilter, der angesichts seiner sich mit dem Professor abtauschenden Wortgefechte neuen Lebensmut und Vertrauen in die Institutionen fasst und seinen vormailgen Sarkasmus wie beiläufig fallen lässt, präsentiert sich als ebensolch ein Gewinn wie Colman als steifer Rechtsphilosoph, der die kleinen Dinge des Lebens nicht vermisst, weil er sie nie kennen gelernt hat und wechselseitig von Leopold Dilg ins Sonnenlicht gestoßen wird. Jean Arthur ist ohnehin wie immer ersatzlos.

9/10

George Stevens Kleinstadt Massachusetts Freundschaft


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INSIDE LLEWYN DAVIS (Joel Coen, Ethan Coen/USA, UK, F 2013)


"Folk singer with a cat. You queer?"

Inside Llewyn Davis ~ USA/UK/F 2013
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen

New York, Winter 1961: Der arrogante, aber überdurchschnittlich talentierte Folk-Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac) lebt in den Tag. Von seinen spärlich bezahlten Auftritten kann er gerade das Nötigste bezahlen, er übernachtet abwechselnd bei Freunden oder Gönnern und träumt vom Durchbruch, den er beim populären Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham) in Chicago wittert. Die Reise dorthin wird zu einem bizarren Ausflug ins eigene Selbst und nach seiner Rückkehr verändert sich nichts.

Eine elliptische Reise zurück zum Ausgangspunkt illustriert "Inside Llewyn Davis", nach "O Brother, Where Art Thou?" der zweite Film der Coens, der sich mit einer originär-amerikanischen Musikader des letzten Jahrhunderts befasst und der wie sein "Vorgänger" eine seltsame Reise mit unzweideutigen Anklängen an Homers "Odyssee" in sein Muster einwebt. Zumindest die Titelfigur allerdings bildet einen diametralen Gegensatz zu dem schlichten, pomadierten Provinzhelden Ulysses McGill: Llewyn Davis ist New Yorker durch und durch, sein Vater war Arbeiter auf See und auch der Filius hat sich dereinst als ein solcher versucht. Der Kern seines Herzens jedoch schlägt allein für seine Musik, wobei er als Solokünstler nach dem Suizid seines vormaligen Partners das eher erfolglose Dasein eines Herumtreibers führt. Abseits von seinen Auftritten ist Davis zudem ein ziemlich zynischer Hund: Über wohlhabende Fans von der Upper East Side macht er sich insgeheim lustig, er verweigert sich jeder Verantwortung, pöbelt auch schonmal gegen Kollegen und lässt zig Chancen, etwas Verpfuschtes wieder gutzumachen, verstreichen. Zum Freund möchte man so einen nur bedingt. Am Ende, bevor er dann gerechterweise eins auf die Mütze bekommt und der narrative Kreis sich schließt, rezitieren die Coens, womöglich jedoch unbewusst, Kaufmans "The Wanderers": Ein neues Zeitalter dämmert, als ein junger Nachwuchsmusiker im Gaslight Cafe im Village auftritt und leise Revolution mit Gitarre und Mundharmonika macht: Bob Dylan.

8/10

Coen Bros. New York Musik Reise Chicago period piece Heroin


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00 SCHNEIDER - IM WENDEKREIS DER EIDECHSE (Helge Schneider/D 2013)


"Zigaretten sind dat Beste."

00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse ~ BRD 2013
Directed By: Helge Schneider

Kommissar Roy "00" Schneider (Helge Schneider) arbeitet als Allround-Polizist bei der Mülheimer Police. Nachdem er unerwarteten Besuch seiner nebulösen Tante Tyree (Tyree Glenn) aus Amerika erhält, die gern viel isst und Helges Roys Hemd waschen will, hört er, dass der gefährliche Verbrecher Jean-Claude Pillemann (Rocko Scamoni), genannt "die Eidechse", aus seinem Gefängnis in Marseille entkommen ist. Pillemann raucht sehr viel und kann im Verteidigungsfall eine strinkende Substanz auf seine Opfer spucken. Auch andere kriminelle Elemente machen dem Kommissar das Leben schwer, zum Beispiel ein kindlicher Bankräuber (Henry Wulf). Dann läuft ihm sein Hund Zorro (Zorro) weg. Doch er taucht bald wieder auf. Dann kann der Kommissar den Amok laufenden Pillemann dingfest machen und in den verdienten Urlaub gehen.

Gewohnte Irrsinns-Qualität des Mülheimer Urgesteins. Trotz des verfänglichen Titels kein Sequel des nunmehr auch schon bald zwanzig Jahre alten, großen Meisterwerks "00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter", das konnte und hätte "Wendekreis" auch gar nicht werden können oder sein wollen. Viele der eigentlich unverzichtbaren Mitstreiter sind dahin: Helmut Körschgen, Andreas Kunze, Charly Weiss, Werner Abrolat. Was ist ein 00 Schneider eigentlich ohne die? Überhaupt sind kaum mehr alte Mitstreiter zu finden: Peter Thoms noch, Sergej Gleitmann und Carlos Boes. Viel mehr is nich, dafür kommen eine Menge Jazz-Musiker aufs Tapet. Stilistisch geht Schneider konsequent den mit "Praxis Dr. Hasenbein" und "Jazzclub - Der frühe Vogel fängt den Wurm" eingeschlagenen Weg weiter, in denen sich zu der alles überlagernden Absurdität bereits altersmelancholische Untertöne mischten, Beschwörungen unschuldigerer Tage zwischen Nierentisch und Corbusier-Kugelsessel, die sich mit der multimedialen Überladenheit der Moderne nicht mehr vertragen wollen. Die filmische Metaebene zielt diesmal auf den nicht nachlassenden Hommage-Wahn aus der Ecke Tarantino, Rodriguez und Konsorten ab, denen Schneider nicht zuletzt deshalb eine zwischen kollegial und höhnisch pendelnde Nase dreht, indem er auch mal was in Alméria filmt. Von einer Anbiederung an gewohnte Schemata oder gar antipierte Publikumsfraktionen ist er freilich wieder so weit entfernt wie eh und je, wenn er sich auch hier und da die gewohnten paar Insider-Selbstzitate bezüglich seiner alten Hörspiele leistet.
Sei's drum, wie alle (filmischen) Werke dieses großen Komödianten wird auch dieses sich seinen Platz erobern und hoffentlich einen liebevoll breitgetretenen Zitatfundus hergeben.

8/10

Helge Schneider Groteske Surrealismus Satire Ruhrpott Hund


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DISTURBED (Charles Winkler/USA 1990)


"I'm fine."

Disturbed (Tödliche Visionen) ~ USA 1990
Directed By: Charles Winkler

Da seine Psychiatrie-Klinik mit forensischem Schwerpunkt eher klamm läuft, freut sich Dr. Russell (Malcolm McDowell) erstmal über jeden Neuzugang, so auch über die aggressive Borderlinerin Sandy (Pamela Gidley). Doch, was niemand ahnt: auch der nach außen hin saubere Russell selbst leidet unter einer schweren Störung; er neigt nämlich dazu, attraktive Insassinnen seines Instituts zu betäuben und zu vergewaltigen. Als er dies auch bei Sandy versucht, unterläuft ihm ein folgenschwerer Fehler. Mit Unterstützung des Langzeitpatienten Michael Kahn (Geoffrey Lewis) versucht er hernach, Sandys Leiche zu entsorgen, doch verschwindet diese spurlos, derweil Russell selbst bald glaubt, Gespenster zu sehen.

Psychiatrie-Komödien als Spätnachhall des sich ungebrochener Popularität erfreuenden "One Flew Over The Cuckoo's Nest" erfreuten sich in den endenden Achtzigern einer kurzen Blüte: "The Dream Team" oder "Crazy People" illustrierten mit jeweils prominenter Besetzung die alte Weisheit, derzufolge die gesamte Welt verrückt ist, die Klappsmühlen-Patienten die einzigen sind, die dies erkannt haben und somit gewissermaßen die besseren Gesellschaftsmitglieder. Ein unbekannterer Vertreter dieser kurzen Phase ist Irwin-Sohn Charles Winklers besonders schwarzhumoriger "Disturbed", in dem der ohnehin stets grandiose Malcolm McDowell einmal mehr demonstriert, dass er für die Rolle des verwackelten Soziopathen prädestiniert ist. Tatsächlich sind mir mit Ausnahme von "A Clockwork Orange" und "Caligola" keine famoseren Leistungen von ihm im Gedächtnis und das will angesichts seiner eigentlich vielen Meriten schon manches heißen. Wie in einem alten Hammer-Thriller wird er hierin von der nachtragenden Tochter eines früheren Opfers (Kim McGuire) sukzessive in den Wahnsinn getrieben, im Zuge einer wohlfeil vorbereiteten und einstudierten Selbstjustiz-Rache. Diese ist zwar uneingeschränkt vorhersehbar und im Grunde wenig originell apostrophiert, das schmälert jedoch nicht das Vergnügen an dem witzigen Treiben in Russells Klinikum, in dem unter anderem auch Irwin Keyes, Adam Rifkin, Clint Howard und Deep Roy einsitzen, die man sich ja eigentlich sowieso allesamt und immerdar als Kernpsychos wünscht, optimalst, wie in "Disturbed", unter einem Dach!
Somit: vergnüglich!

7/10

Charles Winkler Psychiatrie Rache Madness


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DAS HERZ VON ST. PAULI (Eugen York/BRD 1957)


"Das is mir schiet-egal!"

Das Herz von St. Pauli ~ BRD 1957
Directed By: Eugen York

Jonny Jensens (Hans Albers) spärlich besuchte, aber urige Eventpinte, 'Das Herz von St. Pauli', droht unter der hohen Steuerschuld in die Pleite zu gehen. Da vermittelt Jensens Sohn Hein (Hansjörg Felmy) dem alten Käpt'n eine Partnerschaft mit dem zwielichtigen Halbweltler Jabowski (Gert Fröbe). Dieser buttert einige Tausender in die Sanierung des Ladens, macht schlüpfrige Attraktiönchen als Publikumsmagneten und nutzt Jensens Rumkeller als Umschlagsplatz für seine krummen Geschäfte, derweil Jensen selbst als rührende Volkslieder schmetternder Tattergreis verheizt wird. Als Jabowski die erst siebzehnjährige Helga (Karin Faber) auftreten lässt und begrapscht, steht Ärger ins Haus...

Fast noch ein bisschen schöner als Albers' vorhergehender Pauli-Film "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" nimmt sich Eugen Yorks Krimödie aus. Albers ist hierin das letzte Mal in seiner ollen Paraderolle als tüchtiger Seebär im Trockendock zu bewundern, merklich steifer werdend, aber doch noch immer der Alte. Seine Anschreigefechte mit dem cholerischen Fröbe, der hier unbewusst bereits Vorübungen für die Rolle des Auric Goldfinger exerziert, sind pures Nachkriegs-Schauspielgold, das durch Nebendarsteller wie Werner Peters noch zusätzlich aufgewertet wird. Zudem markiert "Das Herz von St. Pauli" einen noch vergleichsweise zaghaften, aber doch recht wichtigen Schritt in später folgende Exploitationgefilde des Deutschen Kinos: Nicht nur ein Paar blanker Busen stolzierten durch diesen "Film, wie ihn sich das Publikum wünscht" (Verleihwerbung), auch Karin Faber zeigt in einer beiläufigen Szene elementare Teile ihres "Balkons" (Fröbe). Da werden einige der etwas biedereren Zuschauer, die mit Albers noch goldenen Kniep und Knapp anno Kautaback assoziierten, seinerzeit ähnlich aufgestöhnt haben, wie die gute Frau "Ich bin nicht prüde, aber DAS geht zu weit" Pingel (Elly Burgmer) in Jensens Etablissement.

7/10

Eugen York St. Pauli Kiez Hamburg Familie Vater & Sohn


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A NIGHT AT THE ROXBURY (John Fortenberry/USA 1998)


"Idiots! Morons!"

A Night At The Roxbury ~ USA 1998
Directed By: John Fortenberry

Die zwei infantilen Brüder Steve (Will Ferrell) und Doug Butabi (Chris Kattan) finden ihr größtes Vergnügen darin, die schmierigsten Clubs von L.A. aufzusuchen, in denen sich haarfixierte B-Prominenz herumtreibt und unsäglich-angegammelter Euro-Dance läuft. Dabei haben sie in jeder Beziehung ihre eigene Masche entwickelt: Bescheuerte Rituale vom unkoordinierten Discotanz bis hin zu den immer gleichen Anmachersprüchen, mit denen sie längst gewohnt sind, auf taube Tussi-Ohren zu stoßen. Ihr Vater Kamehl (Dan Hedaya), jemenitischer Kunstblumen-Verkäufer, verzweifelt fast an ihnen und ihrer Debilität, doch als Steve und Doug den Club-Unternehmer Benny Zadir (Chazz Palminteri) kennenlernen, und ihm ihre genialischen Ideen für neue Event-Gastronomien unterbreiten, zeigt sich ein Silberstreif. Zuvor jedoch kommt es zum großen Streit zwischen den Jungs und einer Beinahe-Heirat, die es unbedingt zu verhindern gilt.

In späteren Lieblingsfilmen wie "Step Brothers" definierte Will Ferrell sie erst richtig, die Rolle des schlichten Kindgemüts im Erwachsenenkörper, wie sie wahrscheinlich weltweit einzig sein gleichermaßen treudoofes und doch von humoristischem Genie aufblitzendes Antlitz widerzuspiegeln vermag. "A Night At The Roxbury", in dem er zusammen mit seinem nicht ganz so witzigen Partner Kattan ein bereits aus "Saturday Night Live"-Sketchen bekanntes Prolo-Duo für die Leinwand belebte, liegen jedoch entscheidende Wurzeln. Noch wesentlich braver, geschmackssicherer und weniger anarchisch als später bei Todd Phillips oder Adam McKay ist Ferrell hier unter seiner idiotischen Mittelscheitel-Frisur ein eher putziges Kerlchen, das eher zu Schmunzeleien denn zu wahren Lachkaskaden anregt. Personelles Highlight des Films ist tatsächlich Dan Hedaya, in dem, "Blood Simple" oder "Commando" ließen es schon lange erahnen, ein heimlicher godfather of comedy steckt. Am Schönsten wird es immer, wenn er sich gekonnt maßlos über seine schwachsinnigen, natürlich durch eigenes Erziehungsversagen so entarteten Jungs aufregt oder, mit permanenter Geschäftsorientierung im Kopf, versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, etwa bei Steves Halb-Hochzeit. Davon hätte "A Night At The Roxbury" mehr vertragen können. So bleibt er eher eine, wenn auch eklatante, Leitersprosse für Will Ferrell.

6/10

John Fortenberry Disco New York Brüder Groteske Satire Amy Heckerling Will Ferrell Musik


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AUF DER REEPERBAHN NACHTS UM HALB EINS (Wolfgang Liebeneiner/BRD 1954)


"Oh. Jetzt wird's frivol."

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ~ BRD 1954
Directed By: Wolfgang Liebeneiner

Nach acht Jahren in der Ferne kommt der alte Seebär Hannes Wedderkamp (Hans Albers) zurück nach St. Pauli, um sich dort endgültig häuslich niederzulassen. Er ahnt nicht, dass Anni (Helga Franck) nur die Ziehtochter seines besten Freundes Pitter Breuer (Heinz Rühmann) ist und in Wahrheit sein eigenes Kind. Also konzentriert er sich ganz darauf, Pitters traditionelle Kneipe, das "Hippodrom", wieder auf Vordermann zu bringen. Als Pitter jedoch das Gefühl bekommt, Anni und Hannes sind sich etwas zu intim zugetan, platzt er mit der Wahrheit heraus. Und das ist nicht das einzige Problem: Ein paar Kleinkriminelle wollen die Ladung eines versenkten Marine-U-Boots bergen, dessen Lage nur Hannes und Pitter bekannt ist...

Auf der Suche nach potenten Nachfolge-Prestige-Projekten zu Käutners unsterblicher Reeperbahnade "Große Freiheit Nr. 7" kam man irgendwann auf den cleveren Trichter, dass Hans Albers sich am Besten an der Hamburger Waterkant machte, mit Quetschkommödchen, speckiger Schiebermütze, Pfeifchen und lallendem Sang. Exakt zehn Jahre nach besagtem Großerfolg inszenierte Wolfgang Liebeneiner unter besonderer Prononcierung von Lokalkolorit, Wirtschaftswunder und neuem Heimatstolz also diese Quasi-Fortsetzung, in der Hans Albers exakt denselben Typen noch einmal zu spielen hatte, allerdings unter anderem Nachnamen und leicht veränderter Biographie. Das Titellied allerdings darf auch hier nicht fehlen. Ein bisschen Kriminalogie kam noch mit herein - die große Kolportage, die Olsens fünfzehn Jahre jüngeres Remake auszeichnet, blieb bei Albers jedoch wohlweislich aus. Während sich darin tatsächlich Vater und Tochter ineinander verlieben, um unter Eröffnung der Wahrheit etwas verdattert dreinzuschauen (was andererseits auch zu Curd Jürgens' Image des geflissentlich überdatierten Playboys passt), bleibt es hier bei einer eher eifersüchtigen Vermutung; der Protagonist ist kein Ex-Knacki, Rühmann kein Reincke und auch miese Jugend-Schlägerbanden gehören noch nicht zum guten Ton in einem sauberen deutschen Kinofarbfilm. Das alles heißt jedoch nicht, dass der Pauli-Film-Chronist auf den Liebeneiner verzichten dürfte: "Wer noch niemals in lauschiger Nacht einen Reeperbahn-Bummel gemacht, is' ein armer Wicht, denn er kennt dich nicht - mein St. Pauli, St. Pauli bei Nacht..."

7/10

Wolfgang Liebeneiner St. Pauli Hamburg Kiez Seefahrt Freundschaft


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CHEAP THRILLS (E.L. Katz/USA 2013)


"200."

Cheap Thrills ~ USA 2013
Directed By: E.L. Katz

Für Familienvater Craig (Pat Healey), erfolgloser Autor und Automechaniker aus Existenznot ist es ein ausnehmend beschissener Tag: Er findet eine finale Räumungsandrohung an der Tür und sein Chef (Eric Neil Gutierrez) schmeißt ihn kurzerhand raus. Beim Depri-Bier in der Kneipe trifft er seinen alten High-School-Kumpel Vince (Ethan Embry), der sich deutlich mehr über das Wiedersehen freut als umgekehrt. Und zwei Tische weiter sitzt das Pärchen Colin (David Koechner) und Violet (Sara Paxton), das mit großen Geldscheinen und Koks nur so um sich wirft. Colin macht sich eine Freude daraus, die beiden klammen Männer mit seinem scheinbar unbegrenzten Geldvorrat zu immer gröberen Streichen anzustiften, die vom Wettsaufen über Ohrfeigen bis hin zu einem saftigen Schlag in die Fresse reichen. Zu Haus bei Colin und Violet, bei edlem Whiskey und noch mehr Koks werden Colins Vorschläge analog zur Höhe des gebotenen Geldes schließlich zunehmend entwürdigend und geschmacklos, bis sie gar blutige Züge annehmen...

Wenn selbst die abartigste Gameshow noch nicht entwürdigend genug ist, dann, so berichtet uns Katz' böse Sozialsatire, in der sich nebenbei Healey und Paxton aus Wests "Innkeepers" unter deutlich günstigeren Vorzeichen wiederbegegnen, kann sich die reiche Dekadenz immer noch ein paar arme Schlucker vor dem Existenzaus nach Hause holen, mit großen Scheinen winken und dabei zusehen, wie treue Ehemänner, Familienväter und vermeintlich integre Gesellschaftsmitglieder weit über die persönlichen Grenzen und noch weiter hinaus bis ins ethische Niemandsland driften. Die Idee ist im Prinzip so neu nicht, das alte Manhunt-Subgenre und/oder scharfe Mediensatiren wie Toelles "Millionenspiel" haben sie bereits mehrfach aufgegriffen, kultiviert und variiert. Dennoch lotet Katz neue Grenzen aus, indem er einerseits die Initiatoren und Konsumenten des perversen Spiels unmittelbar als personifizierte Albträume dekadenter Gelangweiltheit denunziert (David Koechner wird man künftig selbst als Champ Kind nicht mehr ohne eine gewisse, grundfeste Antipathie genießen können), deren Reichtum aus letztlich unerheblicher Quelle stammt und seine Teilnehmer von anfänglichen Sympathieträgern zu korrupten Arschlöchern macht. Ein ziemlich schäbiges Weltbild setzt sich da am Ende zusammen, eines jedoch, das tief drinnen vermutlich näher an der globalen Psychorealität liegt als jenes aus 99 Prozent aller übrigen Tinseltown-Komödien.

7/10

E.L. Katz Transgression Satire Los Angeles Alkohol Drogen Kokain Nacht


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MALIZIA (Salvatore Samperi/I 1973)


Zitat entfällt.

Malizia ~ I 1973
Directed By: Salvatore Samperi

Unmittelbar nach dem Tode seiner Ehefrau stellt sich die junge Angela (Laura Antonelli) als neues Hausmädchen bei dem wohlhabenden sizilianischen Patrizier Don Ignazio (Turi Ferro) vor. Die ebenso treusorgende wie schöne Frau zieht nicht nur Ignazios ganze Sympathie auf sich, sondern auch die seiner drei Söhne. Besonders der Mittlere, Nino (Alessandro Momo), verguckt sich in Angela und projiziert seine sexuellen Wünsche auf sie. Als Ignazio Anstalten macht, Angela alsseine neue Frau zu nehmen, beginnt Nino ein perfides Spiel.

Eine ganz vorzügliche Komödie, nicht zuletzt durch Vittorio Storaros ausgesucht edle Photographie vielleicht eine der schönsten ihres Jahrzehnts. Samperi nimmt für seine Dekonstruktion klassischer sexueller Rollenverständnisse ausgerechnet den altehrwürdigen sizilianischen Geldadel aufs Korn, den bei allem Sinn fürs Geschäft doch immens konservativ verblendeten Patriarchen, selbst noch immer unter der matriarchalischen Fuchtel seiner altehrwürdigen Mama (Lilla Brignone) stehend, dessen Gottesfurcht mitunter groteske Züge annimmt. Seine drei kecken Söhne haben es da leichter. Besonders Nino, hormonell bedingt just in aphrodisierter Blüte stehend und sein dicker, rothaariger Kumpel Porcello (superwitzig: Stefano Amato), hecheln allem hinterher, was keinen Schniepel hat. Dass Samperi allerspätestens zum Ende hin alle falsche Scham ablegt und seine Geschichte zu einem ebenso konsequenten wie wahrscheinlichen Abschluss bringt, zeichnet "Malizia" besonders aus und macht nochmal deutlich, dass ein solcher Film ausschließlich in Europa entstehen konnte.
Allerdings: So gepflegt 'skandalös' das Werk in seiner Finalisierung auch anmutet, dürfte es doch nur unter ebendieser Geschlechterverteilung anerkennenswert sein. Ich gehe jede Wette ein, dass "Malizia" unter umgekehrten Vorzeichen wahlweise nie entstanden oder ansonsten längst als machistischer Lolita-Schund ad acta gelegt wäre. Doch sind dies letztlich müßige Gedankenspiele; einen anderen "Malizia" würde ich auch gar nicht haben wollen.

9/10

Salvatore Samperi Familie Sizilien Coming of Age Teenager Vater & Sohn


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LA VÉNUS À LA FOURRURE (Roman Polanski/F, PL 2013)


Zitat entfällt.

La Vénus À La Fourrure (Venus im Pelz) ~ F/PL 2013
Directed By: Roman Polanski

Nach einem ermüdenden Vorsprechen voller dilettantischer Augenblicke freut sich Stückeautor Thomas (Mathieu Amalric) auf einen geruhsamen Feierabend. Doch da schneit aus Wind und Wetter eine weitere Bewerberin herein, die etwas vulgär erscheinende Vanda (Emmanuelle Seigner), die Thomas überrumpelt und ihn zu einer doch noch anzuberaumenden Audienz nötigt. Höchst überrascht von ihren darstellerischen Qualitäten lässt sich Thomas, dessen aktuelles Drama eine stark persönlich gefärbte Adaption der Sacher-Masoch-Novelle "Venus im Pelz" ist, in die gemeinsame Lesung fallen. Ohne es recht zu bemerken, verwandelt er sich mehr und mehr in Severin von Kusiemski, den Protagonisten des Stücks, der in der zunehmend die Situation bestimmenden Vanda seine lang herbeigesehnte Herrin findet.

Nach "Carnage" 'reduziert' sich Polanski inszenatorisch noch weiter; auf zwei Personen und einen einzigen, schrankenlosen Raum. Weniger Sozialsatire (wenngleich auch davon noch ein Funken vorhanden ist) denn Vivisektion zeitgenössischer Gender-Bilder sowie die Auslotung einer privat-sexuellen Untiefe ist diesmal das Thema, ähnlich wie schon "Bitter Moon", zu dem ich bereits keine innige, ja, vielleicht gar von allen Polanski-Filmen (einschließlich "Pirates" wohlgemerkt) die unpersönlichste pflege. Womöglich ist es so: wenn Polanski beginnt, seinem Figureninventar dessen sexuellen Nöte und Bedürfnisse zu entlocken, ist er für mich am uninteressantesten, von dem erfrischend-anarchischen "Che?", der das Ganze auf ein absurd-flockiges Level hievte, vielleicht einmal abgesehen. Amalric, wohl nicht von ungefähr von einer auffälligen physiognomischen Ähnlichkeit mit dem jungen Polanski geprägt, steht als der femininen Übermacht ausgelieferter Gummimann, der seine intellektuelle Überheblichkeit am Ende mit der Lächerlichmachung vor sich selbst bezahlt, in der Tradition klassischer Polanski-Figuren wie George aus "Cul-De-Sac" oder Trelkovsky in "Le Locataire", die ja jeweils auch am Ende ihres Filmweges als traurige Kapitulierer in Frauenschminke dazustehen hatten.
Innerhalb Polanskis Œuvre ist "La Vénus" ergo ein mit Leitmotiven gespickter Anknüpfpunkt vollster Existenzberechtigung und sowieso Pflichtprogramm für jeden Connaisseur. Das heißt jedoch nicht, dass man ihn wirklich lieben müsste.

7/10

Roman Polanski based on play Theater Paris Leopold von Sacher-Masoch Groteske Satire





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Funxton

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