Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

THE STONE KILLER (Michael Winner/USA, I 1973)


"What hit him?" - "A complete state of death."

The Stone Killer (Ein Mann geht über Leichen) ~ USA/I 1973
Directed By: Michael Winner


Nachdem er wegen seiner rüden Methoden von New York nach L.A. strafversetzt wurde, kommt Lieutenant Torrey (Charles Bronson) einer großangelegten Mafiaaktion auf die Spur: Der aus Sizilien stammende Pate Don Vescari plant, mithilfe eines eigens für diesen Auftrag trainierten, ausschließlich aus Vietnam-Veteranen bestehenden Killer-Kommandos sämtliche seiner Konkurrenten aus dem Weg zu räumen und damit eine seit über vierzig Jahren schwelende Vendetta endlich in die Tat umzusetzen.

Nicht das erste und nicht das beste Werk der langjährigen Kollaboration Winner/Bronson, dennoch aber ein sehr passabler Genrebeitrag, der sich mit flottem Score (Roy Budd), einigen Derbheiten und emsigen Schnitzereien an der Ikonisierung von Bronsons hell illuminierter Rächerfigur ziemlich nahtlos in den zeitgenössischen Action- und Polizeifilm einreiht. Mit Martin Balsam als großem, wörtlich unfassbaren Antagonisten steht Bronson ein Gegner von Format gegenüber; leider jedoch kommt es zu keinem direkten Duell zwischen den beiden. Ferner dürfte dies einer der wenigen, wenn nicht der einzige Bronson-Film sein, in dem Charley am Ende vor dem Geschick und der Übermacht des organisierten Verbrechens kapitulieren muss und nur zweiter Gewinner bleibt. Das ist angesichts der späteren Karriere des Bestrafers von beinahe schon göttlichen Gnaden ein wenig unbefriedigend, angesichts des ansonsten unterhaltsamen Resultats inklusive flotter Verfolgungsjagd jedoch verschmerzbar.

6/10

Mafia Los Angeles New York Michael Winner


Foto

GIVE 'EM HELL, MALONE (Russell Mulcahy/USA 2009)


"Suck my Sinatra!"

Give 'Em Hell, Malone ~ USA 2009
Directed By: Russell Mulcahy


Der beinharte Privatdetektiv Malone (Thomas Jane) gelangt in den Besitz eines Köfferchens, das die Gemüter der hiesigen Unterwelt erhitzt - allen voran das des Zuhälters Whitmore (Gregory Harrison), der ein Trio teils vollkommen verrückter Killer (Ving Rhames, Doug Hutchison, Chris Yen) hinter Malone herschickt, um selbst an den Koffer und seinen rätselhaften Inhalt zu gelangen. Und dann ist da noh die schöne, aber verlogene Evelyn (Elsa Pataky)...

So ganz ins Reine gekommen bin ich mit Mulcahys neuem Film nicht. "Give 'Em Hell, Malone" biedert sich unverhohlen an beim Zuschauer und scheint förmlich aus jeder Pore danach zu lechzen: "Find mich cool! Find mich cool!" Eine solche Art der Evokation ist mir in der Regel kreuzunsympathisch - wenn sich dazu noch ein ganz gezielt abgekupfertes "Sin City"-Flair gesellt, zugleich unverhohlen zu "Last Man Standing" herübergeschielt wird und die diversen Dreißiger-Jahre-Anklänge innerhalb eines ansonsten gegenwärtigen settings, die man nichtmal als Spleen der Hauptfigur abtun kann, weil sie gleich mehrere Personen im Film pflegen, letztlich völlig sinnfrei bleiben und ganz offensichtlich nur einem schicken hardboiled-Flair geschuldet sind, dann wandelt sich meine besagte Antipathie zumeist in somatische Übelkeitsanfälle. Der Witz jedoch ist: "Give 'Em Hell, Malone" kriegt irgendwie noch ganz haarscharf seine Kurve, meistert die scheinbare Unmöglichkeit, in seiner nervensägenden Attitüde doch noch ganz witzig zu sein und seine absolut durchgekauten Mechanismen noch halbwegs genusstauglich an den Mann zu bringen.
Speziell den Kritikern meines sturköpfig praktizierten Punktesystems sei hiermit versichert: Die Kardinalfrage, ob ein Film zu was auch immer tauglich ist, stellt sich mir persönlich weniger in der abschließenden numerischen Einordnung, sondern darin, ob ich nach vollzogener Beschau das Gefühl habe, mir ihn irgendwann nochmal ansehen zu können. Das war hier der Fall. Auch wenn das Diskussionsobjekt mitsamt all seiner Digitalfilter und shutter pics eigentlich gar nicht sooo doll ist.

6/10

neo noir Russell Mulcahy femme fatale


Foto

RED ROCK WEST (John Dahl/USA 1993)


"You're a lucky guy, ain't ya?"

Red Rock West ~ USA 1993
Directed By: John Dahl


Der Texaner und Ex-Marine Michael (Nicolas Cage) kommt auf der Suche nach Arbeit nach Wyoming, wo aus seiner geplanten Anstellung als Ölfeld-Arbeiter wegen seines kaputten Knies nichts wird. Seine Weiterfahrt endet fürs Erste in Red Rock, in dem ihn der örtliche Sheriff Brown (J.T. Walsh) mit dem Auftragskiller Lyle (Dennis Hopper) verwechselt, der, zufällig ebenfalls aus Texas stammend, sich für dieselbe Zeit angekündigt hat. Lyle soll Browns gierige und frivole Ehefrau Suzanne (Lara Flynn Boyle) aus dem Weg räumen. Als der das Verwechslungsspiel mitspielende Michael bei Suzanne auftaucht und ihr von den Plänen ihes Mannes berichtet, will diese Michael wiederum engagieren, um Brown zu töten. Als der echte Lyle in Red Rock auftaucht, ist das Chaos perfekt.

Mit "Red Rock West" brachte John Dahl vier Jahre nach "Kill Me Again" seinen zweiten neo noir auf den Weg, ein wiederum staubiges Verliererdrama, in dem sich, abgesehen von der Ergänzung um den gehörnten Ehemann, dieselbe Personenkonstellation tummelt wie im Erstling: Der moralisch halbwegs gefestigte, aber völlig abgebrannte Losertyp, der einer ebenso schönen wie geldgeilen Opportunistin verfällt sowie der grenzwahnsinnige Killer, der ebenfalls hinter der versteckten Penunze her jagt, sind gute alte Bekannte.
Dass drei bzw. vier solcher Charaktere nebst einem gottverlassen erscheinenden Schauplatz im wasserarmen Mittelwesten ausreichen, um eine recht böszungige Krimistory einzustielen, bewiesen neben Dahl noch eine Menge weiterer aus der unabhängigen Szene emorsteigende Filmemacher in den insbesondere frühen und mittleren neunziger Jahren. Allerdings darf man diesem Regisseur und Autor wohl zugestehen, eine gewisse Perfektion in seinem selbst auferlegten Metier erreicht zu haben. Schöner, sehenswerter Film - immer noch.

8/10

film noir neo noir Profikiller John Dahl femme fatale Amour fou


Foto

KILL ME AGAIN (John Dahl/USA 1989)


"You don't look like a loser to me, Mr. Andrews."

Kill Me Again ~ USA 1989
Directed By: John Dahl


Privatdetektiv Jack Andrews (Val Kilmer) erhält einen seltsamen Auftrag: Er soll die attraktive Fay Forrester (Joanne Whalley) zum Schein umbringen und ihr eine neue Identität verschaffen. Natürlich würde er selbst bei geschickter Inszenierung des "Verbrechens" als "Täter" nicht in Frage kommen. Der Plan scheint anfänglich zu funktionieren, doch die Dame hat sich abgeseilt, ohne Andrews die zweite Hälfte seiner Gage zukommen zu lassen. Außerdem wird die Polizei doch auf ihn aufmerksam. Bald erfährt Andrews auch die Wahrheit über Fay: Diese hatte zuvor mit ihrem Brutalofreund Vince (Michael Madsen) einen Mafiaboss überfallen und um eine riesige Geldsumme erleichtert. Fay hatte es jedoch vorgezogen, das Geld für sich zu behalten und Vince mit Beule am Hinterkopf in der Wüste zurückgelassen. Als Andrew Fay in Vegas wiederfindet, sieht es brenzlig für die beiden aus: Vince, die Polizei und die Mafia sind ihnen auf den Fersen.

Dahls Regieeinstand gibt gleich die typische Richtung des Regisseurs vor: Staubige Neo-Noir-Dramen nebst übervorteilender Dame und der ewigen großen Überschrift 'Crime doesn't pay!' Seine nächsten Arbeiten werden sich ganz ähnlich gestalten und sind insbesondere für Genrefreunde allesamt ganz vergnüglich anzuschauen.
"Kill Me Again" allerdings fehlt es, obschon er sicher ein gelungener Debütfilm ist, noch etwas an der Souveränität eines erfahrenen Regisseurs. Alles wirkt zuweilen etwas zwanghaft und doppelt und dreifach abgesichert, gerade so, als ob Dahl penibel versucht habe, jeden Stolperstein zu vermeiden und gerade deshalb dann doch manches Mal ins Wanken gerät. Einige Fügungen innerhalb der Story können kaum verhehlen, ziemlich unglücklich arrangiert worden zu sein - darunter der dramaturgische Einsatz von Andrews' Kumpel Alan, der von Anfang an als große Schwachstelle des Detektivs installiert wird und diese Position dann auch bis zu seinem eigenen bösen Ende in gut absehbarer Weise bekleidet.
Anno 89, als es noch nicht Usus war, den klassischen film noir wie er sich in den Vierzigern und Fünfzigern gerierte, zu reanimieren, war "Kill Me Again" sicher noch etwas Besonderes; heute, nach über zwei Jahrzehnten angesetzter Patina, geht er als immer noch brauchbarer, aber kaum revolutionärer Film seiner Wege.

6/10

Reno film noir neo noir Las Vegas Amour fou John Dahl femme fatale


Foto

RED RIDING: 1974/1980/1983 (Julian Jarrold, James Marsh, Anan Tucker/UK 2009)


"To the North - where we can do what we like."

Red Riding: 1974/1980/1983 ~ UK 2009
Directed By: Julian Jarrold/James Marsh/Anan Tucker


West Yorkshire im Norden Englands. Hinter pittoresk-grauer Industriekulisse ereignet sich in einer über neunjährigen Zeitspanne Ungeheuerliches: Kinder werden ermordet, vergewaltigt und verstümmelt aufgefunden, die Polizei und das gesamte Rechtssystem sind durch und durch korrupt, unliebsame oder gar aufbegehrende Mitwisser und Schnüffler werden beseitigt und statt der wahren Täter hilflose Sündenböcke eingesperrt, ein böser Immobilienhai (Sean Bean) zieht im Hintergrund die Fäden, derweil noch ein Serienmörder (Joseph Mawle) Prostituierte abschlachtet und die Rechtschaffenen, wie der Journalist Dunford (Andrew Garfield), der von außerhalb herbestellte Ermittler Hunter (Paddy Considine) oder der kleine Anwalt Piggott (Mark Addy) rein gar nichts mehr zu bestellen haben.

Gleich drei Regisseure verfilmten mittels formal recht differenter Ansätze das eigentlich unbedingt kinotaugliche "Red Riding Quartet" des Autors David Peace für den britischen Channel 4, wobei "1977", der zweite Teil des Zyklus, zu Lasten des strengen Dreijahres-Rhythmus der Vorlage ausgespart wurde. Die Romane sind mir leider nicht bekannt, so dass ich nicht beurteilen kann, wie schmerzlich das fehlende Segment letzten Endes vermisst werden muss. Immerhin bleibt auch den nunmehr zur Trilogie geschrumpften Filmen dank des glücklicherweise immens pedantischen Scriptautors Tony Grisoni ihre Stimmigkeit ohne Einbußen erhalten.
"Red Riding" beginnt am Vorabend der langjährigen politischen Herrschaft der Tories unter Margaret Thatcher und weist sogleich den mentalen Weg der folgenden Dekade. Sean Bean gibt dafür stellvertretend gleich in "1974" einen wunderbar kompakten Abriss der Zeitzeichen, wobei West Yorkshire im Zuge einer wohldurchdachten Offerte seines durchtriebenen Bauunternehmers Dawson zum Opfer eines großkapitalistischen Albtraums wird, in dem niemand, der Ethik, Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung als Lebensmaximen schätzt, mehr etwas verloren hat, so er nicht in Bälde sein Leben zu verlieren trachtet. Es scheint fast, als habe sich eine satanische Bruderschaft sämtlicher sozialer Schlüsselpositionen und Trägerposten bemächtigt und treibe nun ihre zwischen abartiger Perversion und Machthunger pendelnden Ränkespiele im beschaulichen Nordosten des Landes. Von 'Todesschwadronen' innerhalb der Polizei ist gleich zu Beginn die Rede, und was zunächst wie ein überzogenes Wortgeplänkel anmutet, erweist sich schon bald als grausame Realität, in der Einschüchterung, Folter und Mord gesetzlich legitimierte Werkzeuge geworden sind. Peace bzw. sein Adept Grisoni liefern dabei Stoff für ein insgesamt fünfstündiges Mammutwerk in drei Aufzügen und mit jeweils wechselnden Protagonisten und Beziehungsgeflechten. Dabei bleibt die Spannungsschraube permanent streng angezogen und zum Durchatmen so gut wie keine Zeit, zumal die fotschreitenden Enthüllungen und Eröffnungen immer neue (wenn auch mitunter bereits recht früh erahnbare) Unfassbarkeiten zutage fördern. Wenigstens gönnt man den Zuschauern zumindest ein kleines Fünkchen Gerechtigkeit am Ende dieser allumfassenden Mär der Finsternis. Zumindest in den USA scheint "Red Riding" mit ein paar Kopien im Kino gelaufen zu sein - ein wahres Verbrechen an der Kunst, dass dem hier nicht so ist.

9/10

James Marsh Journalismus Serienmord Anan Tucker Thatcherismus TV-Film Julian Jarrold England


Foto

HEAT (Michael Mann/ USA 1995)


"I don't know how to do anything else." - "Neither do I."

Heat ~ USA 1995
Directed By: Michael Mann


Lt. Vincent Hanna (Al Pacino) vom LAPD gilt als besonders verbissener Ermittler, worunter auch seine Ehe - bereits die dritte - stark zu leiden hat. Als er auf den Profiräuber Neil McCauley (Robert De Niro), Kopf einer straff organisierten Gang, aufmerksam wird, enspinnt sich zwischen den beiden sehr ähnlichen Männern ein Duell, dessen tosende Auswirkungen die Stadt bis in ihre Grundfesten erschüttern.

"Police & thieves in the streets..." falsettierte Junior Murvin in seinem berühmten, von Lee "Scratch" Perry produzierten Reggae-Dub-Klassiker von 1976 und lieferte damit eine eigentlich großartige, textliche Vorlage für Michael Manns opus magnum. Schade, dass das Stück im fertigen Film gar nicht zum Einsatz kommt, es hätte einen zentralen Platz verdient gehabt.
Dieses Remake seines eigenen, sechs Jahre älteren Fernsehfilms "L.A. Takeover" demonstriert wiederum Manns große Könnerschaft: Nicht nur, dass er sich rühmen konnte, die beiden italoamerikanischen Schauspiel-Giganten Pacino und De Niro gemeinsam auf die Leinwand gebracht zu haben, bleibt von "Heat" rückblickend vor allem seine allseitige Perfektion, das minutiöse Vermeiden von schwachen Momenten, ganz so, als sei es darum gegangen, ultimatives Kino zu erschaffen. Dabei steht der Titel des Films im Kontrast zu seinem Wesen. Das wäre nämlich besser mit "Cool" tituliert worden.
Was an "Heat" so gefällt, ist sein blindes Vertrauen in Bilder und Stimmungen; Worte, Dialoge, Verbales erscheinen fast unwichtig angesichts seiner alles überwältigenden Visualität. Auch hängt der Film noch deutlich an der Vordekade und führt vor Augen, dass Mann eigentlich ein ewiges Kind der Achtziger ist. Und was das Duell Pacino - De Niro anbelangt? Entscheidet nach meinem Dafürhalten klar zweiterer für sich. Nicht nur, dass McCauley durch seinen lauernden, schweigsamen und fast durchweg besonnenen, klar an klassischen Melville-Gestalten orientierter Charakter als klar Überlegener der Rivalen dasteht, geht mir Pacinos luzides, offensiv-bekokstes Gestikulieren und Fingergeschnippe zuweilen schon fast auf den Zeiger. Wenn, das Ende ist ja bekannt, in einer besseren Welt stets der Cop als Gewinner aus dem ewigen Spiel Gut gegen Böse hervorgehen muss, dann hätte ich mir zumindest dieses eine Mal eine schlechte herbeigewünscht. Wenn McCauley, die schöne Amy Brenneman an seiner Seite, am Ende doch noch die scharfe Kehre zugunsten seiner dummen Rache macht, rutscht mir jedesmal wieder das Herz in die Hose. Dieser... Idiot.

9/10

Los Angeles Michael Mann Remake Heist Duell


Foto

MANHUNTER (Michael Mann/USA 1986)


"Dream much... Will?"

Manhunter (Blutmond) ~ USA 1986
Directed By: Michael Mann


Um einen Serienmörder (Tom Noonan) zu fassen, der jeweils bei Vollmond ganze Familien abschlachtet und bereits zweimal zugeschlagen hat, reaktiviert der FBI-Beamte Jack Crawford (Dennis Farina) seinen ehemaligen Profiler Will Graham (William Petersen), der sich, nachdem ihn die Festsetzung des früheren Ziels Dr. Hannibal Lecktor (Brian Cox) beinahe Verstand und Leben gekostet hätte, im Ruhestand befindet. Graham nimmt zwecks Verhinderung weiterer Morde an und sieht sich erneut mit einem so brillanten wie gestörten Geist konfrontiert, der zudem in geheimem Informationsaustausch mit Grahams altem Widersacher Dr. Lecktor steht.

"Manhunter" gehört unbedingt in die Phalanx der repräsentativen Filme seines Jahrzehnts; von ästhetischer Warte aus betrachtet erzählt er mehr über seine Zeit und deren mentale Begleiterscheinungen als die meisten anderen um ihn herum entstandenen Kinostücke. Im Nachhinein wurde Manns Inszenierungsstil häufig als "kalt", "statisch" und "unnahbar" bezeichnet, was das Wesen seines Films freilich nur sehr unzureichend wiedergibt. Tatsächlich erreicht der Regisseur etwas, was seinen Zunftgenossen nur höchst selten gelingt: Die perfekte Fusion aus Oberfläche und Substanz nämlich, oder, metaphysisch-geschwollen formuliert, aus Materie und Geist. Um sein kriminalistisches Talent der Empathie voll zur Geltung zu bringen, muss Graham sich, und darin liegt zugleich die große Gefahr für ihn, völlig von sich selbst lösen und zunächst in eine gewaltige psychische Leere eintauchen. Dieser Prozess wird von Manns dp Dante Spinotti (der kurioserweise auch für die atmosphärisch ganz anders geartete Zweitverfilmung zuständig war) in brillante, in Verbindung mit den sphärischen Klängen unvergessliche Bilder gefasst. Der Film scheint angefüllt mit harten Formen und scharfen Kanten, die Innenarchitektur der von Dollarhyde entvölkerten, bereits für den Wiederverkauf renovierten Häuser wirkt stets genauso tot wie ihre vormaligen Bewohner. Eine schrecklich-logische, existenzielle Ordnung wohnt alldem inne, der Graham wiederum fast um seiner selbst Willen auf die Spur kommt. Dazwischen wirken Szenen wie etwa jene tolle mit Joan Allen und dem betäubten Tiger wiederum unglaublich vital.
All das ergibt ein in seiner Gesamtheit gleichsam morbides und auf seine ganz spezielle Weise bezaubernd schönes Werk von höchster Kunstfertigkeit.

10/10

Profiling Michael Mann Madness Hannibal Lecter Serienmord FBI Thomas Harris


Foto

28 DAYS LATER (Danny Boyle/UK 2002)


"OK, Jim. I've got some bad news..."

28 Days Later ~ UK 2002
Directed By: Danny Boyle


28 Tage nachdem eine Gruppe Ökoterroristen unfreiwillig für die Verbreitung eines von Wissenschaftlern gezüchteten "Wut-Virus" gesorgt hat, erwacht der junge Londoner Jim (Cillian Murphy) aus einem Unfallkoma. Zunächst verwirrt über die scheinbar entvölkerte Großstadt trifft er bald auf die ersten Infizierten, die sich in einem Stadium hirnloser Raserei befinden sowie die beiden Flüchtlinge Selena (Naomie Harris) und Mark (Noah Huntley). Nachdem auch Mark dem Virus zum Opfer gefallen ist, schließen sich Jim und Selena mit dem freundlichen Frank (Brendan Gleeson) und seiner Tochter Hannah (Megan Burns) zusammen, um nach Manchester zu fahren, von wo aus ein Dauersignal per Funk abgestrahlt wird. An dessen Quelle angekommen erwartet sie keinesfalls die versprochene Rettung.

Stark von Romero und dessen "Dead"-Zyklus sowie von seinem "The Crazies" und Gilliams "Twelve Monkeys" inspirierte Überarbeitung des Zombiefilms. Diverse Motive daraus werden, neben dem Überbau der hochansteckenden Seuche und der daraus resultierenden Quarantänemaßnahmen wieder aufgegriffen und/oder offen zitiert: Das Belagerungsthema, die seltsame Mischung aus Freiheit und Isolation der Überlebenden im Angesicht der hinweggerafften Menschheit, ihr situativ rationalisiertes Plünderungsverhalten, Militarismus als Versuch der Zivilisationswahrung. Danny Boyle findet mit der Unterstüzung seines Autors Alex Garland (dessen Roman "The Beach" Boyle zuvor verfilmt hatte) zu seiner alten Form zurück, lässt wieder die Finger vom epischen Scope und arbeitet diesmal ganz reduziert mit DV, was ihm teilweise ausnehmend beeindruckende Bilder ermöglicht und den Film als originäres Genreprodukt durch den seltsam artifiziellen Look sogar für naserümpfende Arthouse-Apologeten goutierbar macht. Tatsächlich handelt es sich wohl um seinen mit Abstand besten Film seit "Trainspotting", da, obgleich Boyle mittlerweile eine klare, spezifische Handschrift als auteur entwickelt hat, es ihm hier zugleich gelingt, sich von sich selbst zu emanzipieren. Ein Genrefilm, dazu einen wie erwähnt relativ gering budgetierten und von einer solch begnadeten visuellen Inspiriertheit zehrenden, hätte anno 02 sicherlich nicht unbedingt jeder von Danny Boyle erwartet.

8/10

Apokalypse England Danny Boyle Splatter Virus London Zombies Alex Garland


Foto

BLOWN AWAY (Stephen Hopkins/USA 1994)


"Who are you?" - "I'm the kite rescuer."

Blown Away (Explosiv) ~ USA 1994
Directed By: Stephen Hopkins


Ausgerechnet als der Bostoner Bombenentschärfer Jimmy Dove (Jeff Bridges) sich aus Liebe zu seiner neuen Frau (Suzy Amis) von seinem Beruf verabschieden will, holt ihn seine Vergangenheit ein in der Person des aus dem Gefängnis geflohenen Terroristen Ryan Gaerity (Tommy Lee Jones). Jimmy, der eigentlich Liam McGivney heißt, und Gaerity waren einst befreundete Mitglieder der IRA und haben diverse Anschläge verübt bis Gaerity von Jimmy verraten wurde und in einem nordirischen Gefängnis landete. Für diesen Umstand will sich der Sprengstoffprofi nun ausgiebig rächen.

"Blown Away", der mit dem damals kurzzeitig schicken IRA-Thema und dem auf den nordamerikanischen Kontinent ausgeweiteten Nordirland-Konflikt hantiert, präsentiert sich als handwerklich vorzügliche Regiearbeit, die dem neuen Genretenor 'Geschwindigkeit' noch nicht zu folgen bereit ist, sondern ihre Geschichte vermittels einer eher als 'klassisch' zu bezeichnenden Dramaturgie erzählt. Die politischen Züge der Story bleiben allerdings bloße Behauptung und tief in der Bedeutungslosigkeit stecken, derweil die Pyroeffekte und vor allem ihre Affektsteuerung das eigentliche Herz von "Blown Away" darstellen: Dem Titel gemäß geht es nämlich primär um die voyeuristische Faszination von Explosionen und Feuer; die Zerstörung von Gaeritys Vertsteck, einem Tankerwrack, etwa, wird auf der Leinwand dermaßen zelebriert, als ginge es darum, einen multiplen Orgasmus zu visualisieren. Dass der Film dann ein klassisches U2-Stück ("I Still Haven't Found What I'm Looking For") zu einem Leitmotiv ernennt - es symbolisiert Gaeritys in den Wahn abgeglittenen Rachewunsch und seine jahrelange Abgeschnittenheit vom Weltgeschehen - ist insbesondere für Band-Enthusiasten wie mich ein geradezu brillanter Einfall.
Auch daher: "Blown Away" lohnt die Wiederentdeckung.

8/10

Terrorismus IRA Stephen Hopkins Boston Nordirland


Foto

BASIC INSTINCT (Paul Verhoeven/USA 1992)


"Games are fun."

Basic Instinct ~ USA 1992
Directed By: Paul Verhoeven


Detective Nick Curran (Michael Douglas) soll den Fall eines während des Koitus mittels eines Eispickels ermordeten Rockstars (Bill Cable) untersuchen. Alles deutet auf Catherine Tramell (Sharon Stone), Kriminal-Romancieuse und Freundin des Toten, als Täterin hin. Wie sich noch zusätzlich herausstellt begleiten das Leben der eiskalten Blondine eine Kette seltsamer Analogien zwischen ihren Büchern und ihrer Biographie. Als Curran eine Affäre mit Catherine beginnt, begibt er sich auf dünnstes Eis...

Der wegen ein paar Nacktszenen damals als Semiporno gehandelte (und vornehmlich aus diesem Grunde unrechtmäßig erfolgreiche) "Basic Instinct" kann mit dem Abstand der Jahre nicht verleugnen, kaum mehr als heiße Luft zu produzieren. Besonders im Vergleich zu den beiden voreangegangenen Schätzchen "RoboCop" und "Total Recall" erweist sich dieser laue Erotikthriller, der immerhin filmhistorisch von vordergründigem Interesse ist als einer jener Filme, die als Auslöser eines ganzen Erdrutsches von Epigonen und Plagiaten dastehen, als herb enttäuschendes Durchschnittsfabrikat. Verglichen mit dem deutlich intelligenteren "De Vierde Man", der bereits Jahre zuvor eine ganz ähnliche Richtung einschlug und zum Thema Suspense deutlich mehr zu sagen wusste, verzichtet das Script des Trivialschreibers Eszterhas sogar noch auf das geringste Quentchen Irrealis - vermutlich, um sein Publikum nicht durch drohende Überforderung zu vergrätzen. Das einzige, was neben Michael Douglas' wie immer solider Leistung an diesem Versuch, an Hitchcocks Thron zu kratzen, auch rückblickend noch zur Gänze zu überzeugen vermag, ist die Musik von Jerry Goldsmith.
Als merkwürdig leeres Hochglanzprodukt der orientierungslosen Frühneunziger nach wie vor faszinierend, als Verhoeven-Film jedoch in dessen unterem Schaffenssegment.

6/10

Madness femme fatale neo noir Literatur Paul Verhoeven San Francisco Joe Eszterhas Amour fou Serienmord





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare