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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CONTAGION (Steven Soderbergh/USA, AE 2011)


"We want forsythia!"

Contagion ~ USA/AE 2011
Directed By: Steven Soderbergh

In Hong Kong bricht ein Virus aus, das die Infizierten binnen weniger Tage schwächt und tötet. Die amerikanische Firmenangestellte und Familienmutter Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) schleppt die Krankheit in den USA ein und sorgt dort als Überträgerin für eine sich rasend schnell ausbreitende Epidemie. Sowohl das Gesundheitsministerium als auch der Seuchenschutz haben fortan massig zu tun. Der skrupellose Internet-Blogger Alan Krumwiede (Jude Law) nutzt die sich ausbreitende, allgemeine Panik derweil ganz bequem zu Popularitätszwecken.

Deutlich hellsichtiger als etwa der vergleichbare "Outbreak" macht sich Soderbergh daran, die hypothetische Frage nach den Folgen einer die Weltbevölkerung unvorbereitet heimsuchenden Pandemie zu stellen. Im bereits traditionsverhafteten Erzählmodus paralleler Handlungsstränge berichtet er von eifrig und mutig rotierenden Wissenschaftlern und Ärzten in den USA und in Hong Kong, stellt einen ängstlichen, wenngleich immunen Familienvater (Matt Damon) vor, dessen Gattin (Paltrow) zugleich die Urwirtin des Seuchenvirus ist, beschreibt das Panikpotential, die Verzweiflung und Unsicherheiten der Bevölkerung, eruiert Versorgungsengpässe und macht die beängstigende Entdeckung, dass die neuen Informationsmedien nicht nur als Segen, sondern gleichermaßen als Fluch fungieren können, wenn sie nur jemand entsprechend missbraucht.
"Contagion" bietet spannendes, gutes Entertainment, wenngleich kein Film, der Originalitätspreise verdient hat oder der seinem daueraktiven Regisseur einen speziellen Höhepunkt bescheren könnte. Für einen regnerischen Sonntagabend aber erstklassig geeignet.

7/10

Steven Soderbergh Virus Ensemblefilm Atlanta Hong Kong Chicago Internet


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LES SPÉCIALISTES (Patrice Leconte/F 1985)


Zitat entfällt.

Les Spécialistes (Die Spezialisten) ~ F 1985
Directed By: Patrice Leconte

Wie zufällig treffen mitten auf einer gebirgigen Serpentine zwei Gefangenentransporte aufeinander: Der eine eskortiert den Bruchkönig Carella (Gérard Lanvin), der andere den mysteriösen Brandon (Bernard Giradeau). Wegen einer vorgeblichen Panne aneinandergekettet, nötigt Brandon Carella zur Flucht und überredet ihn bald darauf, mit ihm zusammen ein Casino an der Côte D'Azur auszunehmen. Carella schwant langsam die Wahrheit: Bei Brandon handelt es sich in Wirklichkeit um einen Undercover-Polizisten, der für einen inoffiziellen Auftrag, bei dem es darum geht, den Mafia-Handlanger Mazetti (Bertie Cortez) auszuschalten, Carellas Künste benötigt. Jener weigert sich jedoch gleichfalls, anschließend wieder in den Knast zurückzukehren, geschweige denn, die stattliche Beute wieder zurückzugeben...

Endlich ist auch diese damals bei uns im Kino sehr erfolgreiche, actionreiche Heist-Perle aus den Achtzigern auf DVD erhältlich. Leconte inszeniert mit urtypisch französischer Gelassenheit und stellt schweißtreibende Szenen neben eine sorgfältige Figurenausarbeitung. Das ungleiche Buddy-Duo wird noch um eine schöne, planerisch anfänglich nicht berücksichtigte Helferin (Christine Jean) ergänzt, und fertig ist alles für einen minutiös auszuarbeitenden Bruch, den Carella und Brandon mit aller gebotenen Kühl- und Kühnheit durchführen. Dass die Geschichte des Films trotz einiger Bemühungen um narrative Akkuratesse noch immer diverse Logiklöcher enthält, verzeiht man ihr angesichts der sonstigen Pros, die Lecontes Regie so mit sich bringt, großmütig. Am Ende stehen dann ein Showdown, der dem aus Irvins kurz darauf entstandenen Arnie-Vehikel "Raw Deal" nicht unähnlich ist, sowie eine neue beste Freundschaft, der man von Herzen alles Gute wünscht.
Klassisches französisches Genrekino.

8/10

Patrice Leconte Heist Casino Frankreich


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RED STATE (Kevin Smith/USA 2011)


"Even the Nazis think this guy is nuckin' futs."

Red State ~ USA 2011
Directed By: Kevin Smith

Die drei auf ein Sexabenteuer versessenen Teenager Travis (Michael Angarano), Jarod (Kyle Gallner) und Billy-Ray (Nicholas Braun) geraten in die Fänge des größenwahnsinnigen Sektierers Abin Cooper (Michael Parks) und seiner Familie. Cooper, ein berüchtigter Hassprediger, zieht gegen jedwede sexuelle und soziale Alternativentwürfe zu Felde, verdammt Homosexuelle und Promiske und propagiert ganz offen deren Ermordung im Namen Gottes. Als bekannt wird, dass die Jugendlichen von ihm gefangen gehalten werden, rückt die State Police unter Führung von Agent Keenan (John Goodman) an - mit der ausdrücklichen Absegnung, jeden Verdächtigen zu erschießen. Ein furchtbares Blutbad ist die Folge.

Nach anfänglichem Widerwillen meinerseits, der vor allem durch die etwas ungeschickte Einführung der drei unsympathischen teenage boys evoziert wurde, nahm mich Smiths jüngster Streich irgendwann doch noch für sich ein. Dafür verantwortlich waren wohl primär die wie immer beeindruckenden Parks und Goodman sowie die kompromisslose Härte, mit der der betont gegen weltliches und geistliches Autoritätsgehabe aufbegehrende Film zu Werke geht. Nichts und niemand ist hier davor sicher, gefressen zu werden und es gibt irgendwo garantiert immer noch einen verrückteren Bastard als den zuletzt vorgestellten. Man merkt "Red State" ebenso wie seinen zuletzt getexteten Comics überdeutlich an, dass der den Halluzinogenen in letzter Zeit ja auch ganz öffentlich zugetane Smith kaum mehr etwas mit seinen füheren, netten bis bissigen Love- und Coming-of-Age-Stories zu tun haben will. Alles scheint sich mehr und mehr auf den Kopf zu stellen in seinem Universum und selbst sein früherer, penetranter Hang zur Christentumspropaganda wandelt sich zu einer stark ironisierten Anti-Haltung. Ganz kurz fühlte ich mich an den von mir leidenschaftlich gehassten "Dogma" erinnert, als plötzlich die Trompeten von Jericho zu erklingen scheinen, doch auch dieses Symbol bricht Smith schon in der nächsten Szene wieder wohlfeil auf ein äußerst weltliches Maß herunter. Die letzte Einstellung mit ihrer schlichten finalen Konsequenz ist dann sogar veritables Gold wert.

7/10

Kevin Smith Bigotterie Kirche Groteske Satire Kalifornien Schwarze Komödie


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THE LOST (Chris Sivertson/USA 2006)


"I'm losin' patience here."

The Lost ~ USA 2006
Directed By: Chris Sivertson

Der geisteskranke Ray Pye (Marc Senter) attackiert im Beisein seiner Freunde Jennifer (Shay Astar) und Tim (Alex Frost) mit einer Schusswaffe völlig ungeplant zwei campende Mädchen im Wald, ermordet eines davon und verletzt das andere so schwer, dass es nach vierjährigem Koma ebenfalls stirbt. Für den seinerzeit ermittelnden Beamten Schilling (Michael Bowen) liegt der Fall nach wie vor sonnenklar - nur, dass Ray damals nicht verhaftet werden konnte, weil die Belastungszeugen fehlten. Noch immer versucht Schilling nun, Ray dingfest zu machen, bevor er ein weiteres Verbrechen begehen kann, doch dieser verhält sich für seine Verhältnisse ruhig. Bis zu dem Tag, als sowohl seine Liebschaft Katherine (Robin Sidney) als auch seine Freundin Jennifer ihm unabhängig voneinander den Laufpass geben. Ein furchtbarer Amoklauf ist die Folge.

"The Lost" war 2006 die erste Adaption eines Jack-Ketchum-Romans und beschließt nun ironischerweise meine mit dem explosiven "The Woman" begonnene Retrospektive von Ketchum-Aufbereitungen. Wie die anderen vier Filme möchte ich auch diesen als praktisch nahtlose atmosphärische Transponierung des kaputten Amerikabilds Ketchums in die Zelluloidwelt bezeichnen; einen so unbequemen wie mutigen Ausflug in einen pathologischen Geist, begleitet von nicht minder extravaganten Nebenerscheinungen im mittelbaren sozialen Umfeld des Protagonisten. In dieser oberflächlich beschaulichen Kleinstadt mit ihren Motels und Drive-Ins ist so manches faul, da ist der wahnsinnige Ray Pye nur die Spitze des Eisbergs; ja, vielleicht sogar ein längst überfälliger Katalysator, als er am Ende sein letztes festes Schräublein einbüßt und alles niedermacht, was sich ihm in den stark bekoksten Weg stellt. Eine überaus innovative filmische Narration, ein furioser Hauptdarsteller, die toll ausbalancierte Song-Kompilation und veredelnde Auftritte der Genre-Legenden Dee Wallace und Ed Lauter machen schließlich "The Lost" zu einer durchweg sehenswerten Ketchum-Adaption.
Get Lost! (man verzeihe mir diese zugegebenermaßen dämliche, aber zwanghafte Paraphrase)

8/10

Chris Sivertson Jack Ketchum Massenmord Amok Madness Lucky McKee Independent


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DI YI LEI XING WEI XIAN (Tsui Hark/Hong Kong 1980)


Zitat entfällt.

Di Yi Lei Xing Wei Xian (Söldner kennen keine Gnade) ~ HK 1980
Directed By: Tsui Hark

Pearl (Chi Lin Chen), die emotional schwer gestörte, kleine Schwester des Polizisten Tan (Lo Lieh), ertappt die drei nerdigen Schüler Paul (Albert Au), Lung (San Lung Tin) und Ko (Law Che Biu) bei einer üblen Unfallgeschichte mitsamt Fahrerflucht und mischt sich danach auf zunehmend aufdringliche Art in die einstmals so behüteten Existenzen des Trios ein. Wechselseitiges Getrieze ist die Folge für alle Beteiligten. Der Bogen wird jedoch endgültig überspannt, als sich die seltsame Clique in die Geschäfte einiger waffenschmuggelnder Vietnam-Veteranen einmischt und einen Haufen japanischer Barschecks an sich bringt. Das lassen sich die brutalen Gangster nicht gefallen und es geht den Teens schwer ans Leder...

Tsui Harks dritter Film ist ein mit Worten nur schwer zusammenfassbares Höllenfeuerwerk, das sich, einem wilde Kapriolen vollführenden, eitlen Rodeogaul gleich, oftmals zu überschlagen droht, eigentlich jedoch stets Fasson und Form wahrt. Eine wüste Montage, unfassbare Gewalttätigkeiten, die die merkwürdige Mischung aus Teenagerdrama und hartem Gangsterfilm wie beiläufig eskortieren und eine garantiert nie vorhersehbare Storyentwicklung bleiben als die vorrangigen Impressionsfixpunkte im Kopf. Alles geschieht mit absoluter, dabei fast choreographiert wirkender Rasanz. Der sich anfänglich einstellende Eindruck des Anrüchig-Billigen, den der unter anderem aus Soundbits von "Dawn Of The Dead" und Jean Michel Jarres "Oxygène 4" zusammengefrickelte Score hinterlässt, wird ganz schnell wieder verdrängt durch die Vergegenwärtigung des unheimlichen Post-Aufwands, der bei der Fertigstellung des Films ganz offenbar vonnöten war. Alles andere als ein leichter Genuss, wie ich zunächst dachte, aber durchaus lohnenswert selbst für seltene Gäste im Fernostkino wie meinereiner.

8/10

Hong Kong Tsui Hark Teenager


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PANIC IN THE STREETS (Elia Kazan/USA 1950)


"Apologies to your mother, that's the second mistake she made."

Panic In The Streets (Unter Geheimbefehl) ~ USA 1950
Directed By: Elia Kazan

Bei der Obduktion eines infolge einer betrügerischen Pokerpartie getöteten Schiffsarbeiters (Lewis Charles) findet man heraus, dass selbiger unter einer aggressiven Form der Lungenpest litt und kurz darauf sowieso das Zeitliche gesegnet hätte. Dem Gesundheitsbeamten Clint Reed (Richard Widmark) und dem Polizisten Tom Warren (Paul Douglas) bleiben nur Stunden, um die mit dem Toten in Kontakt getretenen Personen, darunter vorrangig dessen Mörder, ausfindig zu machen, bevor eine Massenpanik oder gar eine Pandemie entsteht und mögliche Infizierte die Seuche ins ganze Land tragen.

Für "Panic In The Streets" verwebte Elia Kazan den klassischen film noir mit Elementen des SciFi- und Katastrophenfilms und baute mithilfe des MacGuffin um das tödliche Pestvirus eine typische Gangsterstory aus dem Rotlichtmilieu zu einer national bedeutsamen Affäre aus. Richard Widmark war hier unmittelbar nach "Night And The City" in einer fast schon als glorios einzuordnenden Heldenrolle zu bewundern. Als idealistischer Kleinfamilienvater, der im Laufe der Geschichte erfährt, dass sich ein weiteres Kind ankündigt und eminent wichtige Arbeit für einen Hungerlohn tut, gibt er ein liebenswertes buddy team mit dem knarzigen Paul Douglas ab. Auf der Gegenseite gibt es Jack Palance (damals noch als Walter Jack Palance kreditiert) in seinem Kinodebüt und dazu den stets sehenswerten Zero Mostel. Besonders Palance, dessen infolge schwerer Operationsnarben ohnehin kantige Gesichtszüge in Verbindung mit seiner merkwürdig ungeschlachten Statur und Gestik stets höchst einprägsam waren, ist als gieriger Kleingangster Blackie geradezu furchterregend. Erst aus der Parallelmontage der rast- und ratlosen, nach jedem Strohhalm greifenden Gesetzeshüter auf der einen und den einem Phantom nachjagenden Ganoven auf der anderen Seite bezieht "Panic In The Streets" sein hohes Maß an extensiver Spannung.

8/10

Elia Kazan New Orleans Pest Virus film noir


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NIGHT AND THE CITY (Jules Dassin/UK 1950)


"Harry is an artist without an art."

Night And The City (Die Ratte von Soho) ~ UK 1950
Directed By: Jules Dassin

Der Kleingauner, Nepper und Schlepper Harry Fabian (Richard Widmark) ist ein schmales Licht in der Londoner Unterwelt. Ständig verschuldet, von den meisten belächelt, nur von seiner gutmütigen Freundin Mary (Gene Tierney) heiß geliebt, befindet er sich meist auf der Flucht vor irgendwelchen brutalen Gläubigern. Als er bei einem Freistil-Veranstaltung zufällig der früheren Ringerlegende Gregorius (Stanislaus Zbyszko) und dessen Mündel Nikolas (Ken Richmond) begegnet, hat Harry mal wieder eine zündende Idee, die ihn leben lassen wird "wie Gott in Frankreich": Er plustert sich zum Konkurrenten des in seinen Kreisen gefürchteten Ringkampf-Veranstalters Kristo (Herbert Lom) auf, zugleich Gregorius' Sohn. Den naiven Alten und seinen Schüler ködert Harry mit dem Versprechen, ausschließlich Kämpfe im klassischen griechich-römischen Stil zu präsentieren. Schon bald jedoch bricht er die Abmachung und engagiert den brutalen Freistilkämpfer "Henker" (Mike Mazurki), der in Harrys Trainingskeller eine Katastrophe herbeiführt. Harrys Ende ist nunmehr beschlossene Sache, denn der rachedurstige Kristo setzt ein Kopfgeld auf ihn aus...

Großes Meisterwerk aus der originären Ära des Film Noir, wenngleich ausnahmsweise nicht in Kalifornien entstanden, sondern in London und damit zugleich eine Bereicherung für den klassischen britischen Gangsterfilm. Dassin entwirft ein ebenso lyrisches wie mitreißendes Porträt der Londoner Halbwelt zwischen Schmutz und Neonreklamen, zeigt die Diskrepanz zwischen Lebensrealität und großen Hoffnungen; den ewigen Drang danach, auszubrechen und irgendwo eine bessere Existenz zu beginnen, wenngleich die so gern verleugneten Wurzeln und letzten Endes auch die Determinante des Schicksals nur hier und nirgendwo anders liegen. Richard Widmark, der besonders in jungen Jahren ein ausgesprochen unsympathisches Gesicht aufsetzen konnte und daher in seinen ersten Filmen zumeist wahlweise als diabolischer Bösewicht ("Kiss Of Death") oder als Westentaschen-Gangster ("Pickup On South Street") besetzt wurde, liefert hier die definitive Charakterisierung des zum Tode verurteilten Verlorenen, an denen sich eine ganze Latte späterer, analoger Figuren zu messen haben wird. Widmark meistert die Gratwanderung der Evokation gegensätzlicher Emotionspole perfekt, weiß man doch nie, ob man diesen Harry Fabian bemitleiden, mit ihm fühlen, oder ihn wegen seiner idiotischen, impulsiven Aktionen, die selbst vor schlimmsten Auswirkungen nicht Halt machen, verabscheuen soll. Am Ende hilft einem einmal mehr die engelsgleiche Gene Tierney bei der Entscheidungsfindung.

10/10

London Unterwelt Kiez Ringkampf Jules Dassin film noir


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IL MULINO DELLE DONNE PIETRA (Giorgio Ferroni/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Il Mulino Delle Donne Pietra (Die Mühle der versteinerten Frauen) ~ I/F 1960
Directed By: Giorgio Ferroni

Irgendwann um die vorletzte Jahrhundertwende kommt der Student Hans von Arnim (Pierre Brice) auf die abgelegene Windmühle des Bildhauers Professor Gregorius Wahl (Herbert Böhme), um eine Abhandlung über dessen Lebenswerk zu schreiben. Professor Wahl unterrichtet zugleich selbst an der Kunstakademie und bewirtschaftet aus Tradition seine alte Mühle, in der er eine makabre Drehbühne voll mit Skulpturen gefolterter und hingerichteter Frauenfiguren vorführt. Als Hans sowohl Professor Wahls Tochter Elfie (Scilla Gabel) als auch den ebenfalls in der Mühle lebenden Dr. Bohlem (Wolfgang Preiss) kennenlernt, überschlagen sich die Ereignisse. Nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht und späteren Aussprache stirbt die an einer seltenen Krankheit leidende Elfie in seinen Armen. Der sich Vorwürfe machende Hans irrt durch die Straßen und weiß später nicht mehr, ob ihm seine Einbildung nur Streiche gespielt hat: Elfie jedenfalls ist mitnichten tot und Professor Wahl und Dr. Bohlem bescheinigen ihm Anflüge von Irrsinn. Doch wer war dann die rothaarige, gefesselte Frau in der Mühle? Und warum ist ein paar Tage später Hansens Verlobte Liselotte (Dany Carrel) spurlos verschwunden?

Ein höchst atmosphärischer Gruselfilm guter alter Schule, noch ganz ohne die späteren typischen Exploitationelemente der Gattung auskommend und sich allein auf seine beklemmenden Bilder und deren Wirkung verlassend. Augenscheinlich manch Unpassendes kommt zusammen in Ferronis Film; die italienisch-französische Produktion, die holländischen Provinzdrehorte, die aus unterschiedlichen Ländern stammende Besetzung. Schließlich gibt es die sich auf sehr geschickte Weise erst nach und nach entblätternde Geschichte, die nach einigen scheinbar unerklärlichen Wendungen ihre Schlüssigkeit demonstriert: Hinter seinen mysteriösen Erlebnissen binnen einer Nacht und eines Tages, die Hans wahlweise als Medikamentenrausch oder als körpereigene Halluzination interpretieren muss, die eine nicht vorhandene Leiche in einer Gruft sowie eine offenbar eingebildete Aussprache beinhalten, verbirgt sich eine ganz nüchterne, vielfach bekannte Auflösung: Professor Wahls Tochter Elfie verfällt immer wieder in todesähnliche Starrzustände und kann nur durch das Blut anderer junger Mädchen wiederbelebt werden. Nach einer solchen Prozedur wächst Wahls Drehkabinett jeweils immer wieder um eine neue Skulptur. Damit entkräftet sich zwar die herrlich mystische Atmosphäre der nebelverhangenen, herbstlichen Grachtenlandschaft etwas und die Geschehnisse erscheinen plötzlich alles andere als verschwurbelt - man erinnere sich nur an den bloß ein Jahr älteren "Les Yeux Sans Visage" - was diesem ausgesprochen schönen Film jedoch keinen Schaden zufügt.
"Il Mulino Delle Donne Pietra" hätte, dessen bin ich mir sicher, auch einen Mario Bava stolz auf sich gemacht.

8/10

Giorgio Ferroni Mad Scientist period piece Niederlande Fin de Siècle Serienmord


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DAS NETZ (Manfred Purzer/BRD 1975)


"Soll das etwa 'Nein' heißen?"

Das Netz ~ BRD 1975
Directed By: Manfred Purzer

Eine in Rom tätige, deutsche Prostituierte (Andrea Rau) wird ermordet - woraufhin sich der für das populistische Wochenblatt 'Questatore' tätige Klatschjournalist Emilio Bossi (Klaus Kinski) an die Zeugin Christa Sonntag (Elke Sommer) schmeißt und von ihr exklusiv alle Hinweise auf den Täter einfordert, ganz zum Unwillen des aufrechten Ermittlers Canonica (Heinz Bennent). Bei dem Mörder handelt es sich um niemand geringeren als den einsamen, lebensfrustrierten Literaten Aurelio Morelli (Mel Ferrer), der über den Misserfolg seines letzten Buches wahnsinnig geworden ist und bereits zwei Mädchen auf dem Gewissen hatte. Mit Absegnung seines Chefs lässt sich Bossi gegen fürstliches Entgelt Morellis Memoiren schreiben und liefern, um sie in seinem Journal veröffentlichen zu können. Durch sein egoistisches Vorgehen bringt Bossi jedoch erneut ein Mädchen (Susanne Uhlen) in tödliche Gefahr.

Eine seltsame, wenngleich als gelungen zu erachtende Mixtur aus deutschem Autorenkino und italienischem Krimi-Sleaze haben wir hier, vorzüglich besetzt und von seinen jeweils denkwürdig aufspielenden Darstellern getragen. Kinski und Ferrer, die leider nur wenige gemeinsame Szenen haben, balancieren die Geschichte zwischen sich wie zwei Magnetpole eine Stecknadel; auf der einen Seite der alternde, besonnen auftretende Hollywood-Star, dessen psychische Untiefen sich nur ganz sachte, den Schichten einer Zwiebel gleich, entblättern; auf der anderen das wieder einmal berserkernde deutsche Schauspielgenie, permanent rauchend und sich die oberen Schneidezähne befeuchtend rast er mit seinem roten Cabrio wie ein Irrer durch Rom, um seine neuesten Intrigen zu verknoten. Purzer scheint sich dabei, im Gegensatz zu einem Werner Herzog etwa, gezielt zu weigern, Kinskis Egomanie ein Forum zu bieten - sein Charakter ist bloß ein kleiner, schmieriger Hund, der am Ende mit seinen gemeinen Spielen auch noch durchkommt. Allerdings zuckt man regelrecht zusammen, als er von Bennent einmal ein paar Ohrfeigen kassiert und diesen daraufhin nicht gleich völlig zur Schnecke macht. Dazu passt der illustre Name Manfred Purzers, der in erster Linie als Autor zwischen allen Stühlen tätig war und selbst nur vier Filme inszeniert hat (von denen "Das Netz" der erste ist). Wie Purzers Gesamtschaffen lässt sich auch dieser spezielle Film bestenfalls sehr widerborstig in irgendwelche Schablonen pressen.

7/10

Manfred Purzer Hans Habe Rom Journalismus Serienmord


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SEE NO EVIL (Richard Fleischer/UK 1971)


"Help!"

See No Evil (Stiefel, die den Tod bedeuten) ~ UK 1971
Directed By: Richard Fleischer

Einige Wochen nach einem schweren Reitunfall, bei dem sie ihr Augenlicht verloren hat, kehrt die junge Sarah (Mia Farrow) in das Landhaus ihres Onkels (Robin Bailey) und ihrer Tante (Dorothy Allison), der Rextons, zurück. Ihre soweit erfolgreichen Bemühungen, sich in der noch ungewohnten, ewigen Dunkelheit zurechtzufinden, nützen Sarah nichts, als sie nach einem Besuch bei ihrem Nachbarn Steve (Norman Eshling) ins Haus der Rextons zurückkehrt und sich dort nurmehr die Leichen der Familienmitglieder befinden, ermordet von einem unbekannten Psychopathen. Erst am nächsten Tag wird Sarah die schreckliche Wahrheit bewusst, doch der Mörder hat ein Armkettchen am Tatort verloren, das er nun wiederhaben möchte.

"See No Evil" hätte ein Meisterwerk werden können, hätte das Script nur den Mut besessen, sich auf den zu Beginn so erfolgreich geschürten suspense zu verlassen. Durch die geradezu vortreffliche Inszenierung der räumlichen Hermetik des Landhauses, das wie eine Art Sicherheitsventil für die sich noch schlecht in ihrer Behinderung zurechtfindende Sarah fungiert, evoziert Fleischer eine unglaubliche Spannung. Echte Terrormomente kommen zustande, wenn er die blinde Frau unwissend durch das nurmehr von Toten bevölkerte Haus schleichen lässt, zunächst nur zögerliche Spuren der Gewalttat wie zerbrochenes Glas oder besagtes Kettchen am Bildrand präsentiert, um dann nach und nach wie beiläufig die dreieinhalb Leichen [der Gärtner (Brian Rawlinson) stirbt mit Verzögerung] mit in die sich erweiternde Perspektive zu nehmen. Dann begeht die Narration jedoch irgendwann den unverzeihlichen Fehler, die Geschichte nach draußen zu verlegen, Action in Form eines blinden Pferdegalopps zu demonstrieren und eine Gruppe Zigeuner einzuführen, die das Grundmotiv - das Duell blinde Frau vs. Psychkiller - zwischenzeitlich recht stark verwässern. Deswegen versagt der Film nicht etwa oder würde gar schlecht; nur kann die anfänglich angeheizte Prämisse nicht durchgehalten werden, was sehr schade ist. Dennoch ein toller Film, einer von Fleischers besten, wie ich finde.

8/10

Richard Fleischer England Blindheit Serienmord





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

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