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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE NIGHT OF THE GENERALS (Anatole Litvak/UK, F 1967)


"Murder is the occupation of Generals."

The Night Of The Generals (Die Nacht der Generale) ~ UK/F 1967
Directed By: Anatole Litvak

Warschau, 1942: Major Grau (Omar Sharif) von der Abwehr will den bestialischen Mord an einer Prostituierten aufklären, den augenscheinlich ein Wehrmachtsgeneral begangen hat. Drei Verdächtige kommen als Täter in Frage: Der paraphil veranlagte von Seidlitz-Graber (Charles Gray), der hintergründige Kahlenberg (Donald Pleasence) und der eben eingetroffene Kriegsheld Tanz (Peter O'Toole). Als Grau zu bohren anfängt, wird er just befördert und nach Paris abkommandiert, wo zwei Jahre später, kurz vor der Verschwörung vom 20. Juli, wiederum alle drei Generäle anwesend sind und wiederum eine Prostituierte getötet wird. Als Grau den Täter ermittelt, wird er von diesem erschossen. Rund zwanzig Jahre später macht sich Inspector Monard (Philippe Noiret), einst bei der Résistance und Dympathisant von Grau auf, den Fall seines ermordeten Freundes zu einem runden Abschluss zu bringen. Die Spur führt nach Hamburg, wo soeben eine Hafendirne erstochen wurde...

Whodunit, Naziploitation, Kitsch, Kriegsfilm, Synopse der Stauffenberg-Verschwörung: "The Night Of The Generals" will Vieles sein, und das Schönste: Er leistet alles von dem, was er sich vornimmt, seinem bravourösen Regisseur Litvak sei Dank. Höchst aufwändig und mit größter Sorgfalt an Originalschauplätzen hergestellt, nutzt Litvak die stattliche Erzählzeit für den Entwurf eines dichten Narrationsnetzwerks mit diversen gleichberechtigt agierenden Pro- und Antagonisten, wiederum verkörpert von einem grandiosen Darstellerensemble höchsten Ranges. An der Spitze des illustren Figurenmosaiks steht natürlich Peter O'Toole mit einer dankbaren Performance als dem Wahnsinn verfallener Herrenmenschen-Soldat. Über seine militärischen Pflichten hinaus Richtung NSDAP-Spitze zu katzbuckeln pflegend und dabei bereits oberflächlich ein Neurosen-Inventar (angesichts dessen Reichhaltigkeit jeder Analytiker feuchte Hände bekäme) bietend, beweist O'Toole nach "Lawrence Of Arabia" erneut, dass er nicht nur zu den großen Exzentrikern, sondern auch zu den großen Könnern der Filmschauspielwelt zählt. Doch auch Pleasence als dem Steinhäger zugetaner Verschwörer und besonders im Kino gern zelebrierten, antinazistischen Wehrmachtsoffizier ist mehr als eine Bank. Ganz kurz gibt sich Christopher Plummer als Rommel die Ehre und wie immer ist ein inspirierendes Vergnügen, "Langstreckenläufer" Tom Courtenay, der eigentlich die geheime Hauptrolle spielt, dessen Name es angesichts all der Leinwandstars jedoch sicherlich an internationaler Zugkraft vermissen ließ, zuzuschauen. Splendid.

8/10

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THE WESTERNER (William Wyler/USA 1940)


"I'm as much an attorney as you are a judge!"

The Westerner (In die Falle gelockt) ~ USA 1940
Directed By: William Wyler

Vinegarroon, Texas in den 1880ern. Der umherziehende Abenteurer Cole Harden (Gary Cooper) trifft auf den diktatorisch agierenden "Hanging Judge" Roy Bean (Walter Brennan), der ihn sogleich wegen Pferdediebstahls anklagt und hängen will. Glücklicherweise kann Harden den Fall rasch zu seinen Gunsten aufklären und begeht hernach eine höchst seltsame Freundschaft mit dem zum Größenwahn neigenden Richter. Als dieser sich als weniger verlässlich herausstellt als Harden ihm zugetraut hätte und sich als verlängerter Arm der örtlichen Viehzüchter entpuppt, lässt sich Harden zum Hilfssheriff ernennen und stellt Bean eine Falle.

Roy Bean und sein zum Gerichtssaal umfungierter Saloon zählen zu den großen Mythen des Wilden Westens und wie es ebenjene Mythen im Allgemeinen so an sich haben, nahm sich irgendwann Hollywood ihrer an und machte einen schönen, historisch höchst unakkuraten Film daraus. Dass "The Westerner" weniger durch Authentiztitätstreue denn durch seine schöne Atmosphäre und die Beschreibung einer höchst eigenwilligen Freundschaft glänzt, gehört zum Wesen der Gattung. Die Beziehung zwischen Bean und Harden wurde von Filmhistorikern nicht selten als eine latent homoerotische erörtert, worin durchaus ein Funken Wahrheit zu finden ist. Auch wenn jeweils beide sich zu für sie nur schwer zu erobernden Damen [Bean verehrt die Sängerin Lily Langtry (Lilian Bond), während Harden der aufrechten Farmerstochter Jane (Doris Davenport) nachsteigt, die ihn schließlich sesshaft werden lässt] hingezogen fühlen, können sie einen undefinierbaren, magischen Draht zueinander, der ihr aufkeimendes Vater-Sohn-Verhältnis umso mehr erschwert, nicht leugnen. Am Ende, Brennan hat eine der schönsten Sterbeszenen im ganzen Western-Genre, ebnet Harden ihm seinen Weg ins Jenseits auf eine fast schon als zärtlich zu bezeichnende Weise. Überhaupt Walter Brennan: Sonst gern als zahnloser, väterlicher best friend von John Wayne und James Stewart besetzt, kann dieser bei allen großen Filmemachern stets gern gesehene Gast einmal zeigen, was wirklich in ihm steckte. Suff, Freundschaft, Verrat, Tod. Das Leben eben.

9/10

William Wyler Texas Cattle War Roy Bean


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NIGHTMARE (Romano Scavolini/USA 1981)


"George Tatum isn't dangerous!"

Nightmare ~ USA 1981
Directed By: Romano Scavolini

George Tatum (Baird Stafford), der als Kind (Scott Praetorius) seine Eltern (William Kirksey, Christina Keefe) bei einem abseitigen Liebesakt beobachtet und sie danach als Reaktion seiner Hilflosigkeit mit einer Axt erschlagen hat, sitzt in der geschlossenen Psychiatrie, wo ihn nunmehr die Albträume der Vergangenheit quälen. Während sein Verhaltenstherapeut (Bill Milling) ihn für fähig genug hält, Freigänge anzutreten, ahnt er nicht, dass George insgeheim zugleich ein neuartiges Medikament zugeführt wurde, das seine Psychose oberflächlich beseitigt, zugleich jedoch Georges tief verwurzelte Aggressionen intensiviert. Als George in Freiheit ist, begibt er sich nach einem ihn nur noch mehr verstörenden Streifzug über die 42. Straße nach Florida, wo sein kleiner, ebenfalls mit seltsamen Verhaltensweisen bestückter Sohn C.J. (C.J. Cooke) und dessen Mutter (Sharon Smith) mit ihrer neuen Familie in jenem Haus wohnt, in dem sich schon damals die erste Bluttat zugetragen hat.

"Nightmare", auch bekannt (respektive berüchtigt) als "Nightmare In A Damaged Brain", legte gemeinsam mit William Lustigs "Maniac" einen unverbrauchten Ansatz des sich gerade höchster Beliebtheit erfreuenden Slasherfilm-Genres vor: Die pathologische Perspektive auf das mörderische Innenleben des Killers. Während Lustig jedoch vieles an Interpretationpotenzial dem Zuschauer überließ und seinen Protagonisten Frank Zito mit zumeist nüchternen, bald dokumentarischen Bildern durch das herbstliche Manhattan verfolgte, orientiert sich Scavolini eher an der Konzeption von Carpenters "Halloween", als dessen Plagiat man "Nightmare" böswilligerweise durchaus bezeichnen könnte. Die inhaltlichen Strukturen beider Filme ähneln sich recht stark, wobei Scavolini den eleganten Perfektionismus des überwältigenden Vorbildes bewusst außen vor lässt und stattdessen ungewaschenes, rohes Underground-Kino mit Hang zur Exploitation feilbietet. Dennoch, und das ist das eigentlich Bemerkenswerte an dem in Deutschland nach wie vor beschlagnahmten "Nightmare", vermeidet der Film die in dieser Gattung höchst gefährlichen Untiefen der Selbstzweckhaftigkeit. Trotz seiner drei, vier sehr blutigen Momente ergibt sich die längst legendäre Reputation des Films somit wiederum eher aus der protestgeschwängerten Hilflosigkeit, mit der ihm die Zensoren und Jugendschützer einst fast zwangsläufig begegnen mussten. Es dürfte dem damaligen Publikum recht schwer gefallen sein, sich mit einem so nachhaltig gestörten (und dabei derart intensiv porträtierten) Protagonisten zu arrangieren. Verständliche Wahrnehmung, unverhältnismäßige Reaktion. Man kennt das zur Genüge.

6/10

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BUDDY BUDDY (Billy Wilder/USA 1981)


"Up yours, buster!"

Buddy Buddy ~ USA 1981
Directed By: Billy Wilder

Nachdem er für die Mafia bereits zwei Kronzeugen im Falle eines Immobilienskandals erledigt hat, sollte der dritte ein Kinderspiel sein. Denkt zumindest Profikiller Trabucco (Walter Matthau), der in einem Hotel in Riverside gegenüber vom Gerichtsgebäude eincheckt, um den letzten Denunzianten, Rudy 'Disco' Gambola (Fil Formicola) in aller Ruhe aufs Korn nehmen zu können. Doch ausgerechnet im Zimmer neben ihm quartiert sich der liebeskranke Victor Clooney (Jack Lemmon) ein. Von seiner Frau Celia (Paula Prentiss) verlassen, dauert es nicht lange, bis Clooney den ersten (misslingenden) Suizidversuch unternimmt. Trabucco, der sich durch den Tropf von nebenan empfindlich gestört fühlt, überlegt sich diverse Methoden, denselben loszuwerden - vergeblich. Clooney ist schlimmer als Kraftkleber.

Wilders letzter Film ist das Remake des von Francis Veber geschriebenen "L'Emmerdeur", in dem Lino Ventura und Jacques Brel die Hauptrollen besetzten und den ich dringendst mal wieder schauen muss. Wie in den meisten Fällen, in denen Hollywood hiesig erfolgreich gelaufene Überseefilme für die eigenen Breitengerade neu verfilmte (im Falle Veber ging diese Masche, mit einiger Eigenbeteiligung zudem, sogar in Serie), hält die Zweitadaption des Stoffes dem Original nicht stand. In diesem speziellen Falle ist das um so tragischer, da es sich um den letzten Film des großen Billy Wilder handelt, der für das Projekt nochmal das einst von ihm "kreierte" Dream Team Matthau/Lemmon gewinnen konnte. Neben der Tatsache, dass der Film für viele andere Regisseure ein Adelsprädikat darstellte, stellen "Buddy Buddy" als Wilder-Werk mehrere Faktoren ein Beinchen: Nicht nur, dass es sich um eine dieser arroganten US-Variationen bewährter Stoffe handelt, ist Wilders eleganter Humor 1981 nicht mehr zeitgemäß, wenngleich er verzweifelt versucht, gegen den bedauernswerten Anachronismus seines Stils anzukämpfen. Zehn bis fünfzehn Jahre früher wäre "Buddy Buddy" perfekt aufgehoben gewesen, so wirkt er auf charmante Art und weise obsolet. Wilder wäre nicht wilder, wenn er diese Signale nicht erkannt hätte. So kämpft sein Film nicht nur gegen die Windmühlen der Überkommenheit an, sondern auch gegen eine gepflegte Unmotiviertheit. Als Endpunkt eines brillanten Lebenswerks ist "Buddy Buddy" dennoch hinreichend glänzend, wenn es gewissermaßen auch beruhigt, dass sich Wilder danach selbst das Gnadenbrot verordnet hat. Irrwitzige Höhepunkte des Films sind die Auftritte Klaus Kinskis als Sexologe Dr. Zuckerbrot, der in der Originalfassung ein gnadenlos teutonisch dialektiertes Englisch spricht, in der deutschen Fassung jedoch, was noch sehr viel absurder - und lustiger - wirkt, von F.G. Beckhaus synchronisiert, wild umhersächselt: "Im Folle einor frühzeitschn Äjakülation dengense an wos ganz Prösaisches, züm Beischpl die Nomen dor Sieben Zwärsche äus Schnewitschn."

7/10

Billy Wilder Kalifornien Psychiatrie Suizid Profikiller Francis Veber Remake


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SERGEANT RUTLEDGE (John Ford/USA 1960)


"Lady, you don't know how hard I'm trying to stay alive."

Sergeant Rutledge (Der schwarze Sergeant) ~ USA 1960
Directed By: John Ford

Der farbige Kavallerie-Sergeant Brax Rutledge (Woody Strode) vom berühmten 9. Kavallerie-Regiment, einer der "Buffalo-Soldier"-Abteilungen, steht vor Gericht. Er wird angeklagt, seinen Vorgesetzten ermordet und dessen Tochter (Toby Michaels) brutal vergewaltigt und ermordet zu haben. Durch einen Fluchtversuch hat Rutledge sich noch zusätzlich verdächtig gemacht. Doch Rutledges Freund und Lieutenant Cantrell (Jeffrey Hunter) glaubt, die Wahrheit zu kennen. Er steht zu ihm und verteidigt ihn vor Gericht gegen den rassistischen Ankläger (Carleton Young) und gegen den zu einem Schauprozess zu verkommen drohenden Verhandlungsablauf.

1960 war das antirassistische, liberale Gedankengut nicht nur in Hollywood, sondern gar im ureigenen amerikanischen Filmgenre des Western angekommen und dessen Großmeister bemächtigte sich des Themas, um ein weiteres formvollendetes Spätwerk zu schaffen. Woody Strode, der soeben im Begriff war, zum wahrscheinlich ersten dunkelhäutigen Genrestar Hollywoods aufzusteigen, setzte sich mit dem Porträt des Sergeant Rutledge selbst ein ewiges Denkmal. Strodes würdevolles, fast hochherrschaftliches Antlitz erweist sich als geradezu geschaffen dafür, die Bürde und den Stolz von Generationen von Geknechteten in sich widerzuspiegeln und einen faktisch aussichtslosen Kampf um "weiße" Gerechtigkeit zu führen. Ford macht Leid und Unterdrückung der ersten farbigen Soldaten regelrecht erfahrbar: Kaum der Sklaverei entkommen, galt es nach jedem Strohhalm es zu greifen und trotzdem einen zuverlässigen Job zu tun. Dass ein perfekter Kommisskopf wie Sergeant Rutledge dafür auch noch bestraft werden soll, ist selbst in der wohlfeil geordneten Welt eines alten Filmpiraten wie John Ford unverzeihlich. Insofern glaubt man ihm, der in "Sergeant Rutledge" dennoch mit Rassismen nicht spart (Zielobjekte andersfarbiger Aggression sind dafür die Indianer, denen Ford ja fast immer mit einigem Misstrauen zu begegnen pflegte). Diese durchaus kritikwürdige Ambivalenz ändert jedoch nichts daran, dass "Sergeant Rutledge" einer von Fords schönsten Filmen ist, dem bis heute leider nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die ihm eigentlich gebührte.

9/10

John Ford Courtroom Kavallerie Militär Rassismus


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HOBO WITH A SHOTGUN (Jason Eisener/CA 2011)


"Welcome to Fucktown!"

Hobo With A Shotgun ~ CA 2011
Directed By: Jason Eisener

Ein Landstreicher (Rutger Hauer), dessen größter Traum darin besteht, einen Rasenmäher zu erwerben um dann ein Miniunternehmen damit zu starten, landet in einer von totaler Anarchie beherrschten Kleinstadt. Hier hat der verrückte Gangsterboss Drake (Brian Downey) das Sagen, der mit seinen nicht minder durchgedrehten Söhnen (Gregory Smith, Nick Bateman) sowie dem kompletten Polizeiapparat als Helfershelfer die Stadt in einem Sumpf aus Blut und Gewalt taucht. Der Landstreicher sieht sich dieses Übel ein paar Stunden lang mit zunehmend besorgtem Blick an, bis er auf die Prostituierte Abby (Molly Dunsworth) trifft, die seinen Beschützerinstinkt weckt. Von nun an ist eine kurzum erworbene Remington-Schrotflinte des Landstreichers ständige Begleiterin - und er macht reichlich Gebrauch von ihr.

Nach "Machete" der zweite auf einem Fake-Trailer des "Grindhouse"-Projekts von Rodriguez und Tarantino basierende Langfilmadaption. Qualitativ tun sich beide Werke nicht viel, allerdings kann man Eisener wohl bescheinigen, etwas mehr Mut zur Konsequenz aufgebracht zu haben. Sein Film benötigt jedenfalls keine großen Stars oder eine große Werbemaschinerie, um seine liebenswerte Wirksamkeit zu belegen und zu pflegen. Stattdessen verlässt sich "Hobo With A Shotgun" ganz auf das Konglomerieren und Neukompilieren beliebter Vorbilder aus dem Exploitation- und Genrefach. Wenn die Titelsequenz mit Michael Holms ja so trügerischem Hauptthema aus "Hexen bis aufs Blut gequält" losgeht, dann ahnt man schon, dass einem in der Folge eher kein neues Glücksbärchi-Abenteuer ins Haus steht. Später gibt es dann sogar noch Michel Colombiers "L'Alpagueur"-Thema zu hören. Mehr als taugliche Inspirationsquellen sind das. Jason Eisener wird in der Vorbereitungsphase sicher auch den einen oder anderen Troma-Film geschaut haben. Nicht allein, dass seine Stadt auch Tromaville heißen könnte, da in ihr, wie anno dazumal, Müll und Menschenmüll kaum mehr trennbar sind; formt sich der komplette Film ein wenig nach "The Toxic Avenger", dessen Figureninventar, zumindest auf der bösen Seite, ein ganz ähnliches Charakterpotenzial bereithielt. Jedenfalls: Es geht ordentlich zur Sache in "Hobo", bewusst undezent, dabei aber stets hinreichend sympathisch.

8/10

Jason Eisener Exploitation Hommage Splatter


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DIARY OF A MADMAN (Reginald Le Borg/USA 1963)


"You're mine, judge."

Diary Of A Madman (Tagebuch eines Mörders) ~ USA 1963
Directed By: Reginald Le Borg

Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Der allseits beliebte und gutmütige Richter Simon Cordier (Vincent Price) will die Motive des zum Tode verurteilten Serienmörders Girot (Harvey Stephens) in Erfahrung bringen und besucht ihn daher in seiner Zelle. Girot eröffnet Cordier, seine Morde unter dem Einfluss eines formlosen, bösen Wesens, des 'Horla' begangen zu haben und geht dann auf den Richter los, der sich zur Wehr setzen und Girot töten kann. Nun ist der herrenlose Horla ständiger Begleiter Richter Cordiers und zwingt auch ihn, der selbst mit den Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen hat, bald, Böses zu tun.

Nach der berühmten Kurzgeschichte "Der Horla" von Guy de Maupassant entstanden, zeigt Le Borgs Film Vincent Price in einer seiner ikonisch(st)en Rollen. Die Diversität dieses einerseits so liebenswerten Menschen mit seiner herrlich beruhigenden Stimme und dem Dämonischen, das er bei jedem Bedarf herauszukehren wusste - Attribute eines großen Schauspielers eben - kamen selten besser zum Tragen als in Prices Part als Richter Simon Cordier. So gehört der nicht permanent straff inszenierte Film auch ganz Price, der mit Ausnahme von Prolog und Epilog in nahezu jeder Szene präsent ist. Zu der Schauermotivik ist zu sagen, dass Maupassants Horla eine gänzlich ungewohnte Kreatur des Grauens darstellt, eine körperlose, für den Menschen unsichtbare Entität, deren reinster Boshaftigkeit geschuldetes Wesen sie veranlasst, Böses zu tun. Die Quelle reinen Verbrechens. Am Ende stellt sich dann nochmal die Frage, ob der Horla tatsächlich existierte oder lediglich der Einbildung eines wahnsinnig Gewordenen entsprang. Der bei Gogol entliehene Filmtitel lässt ja eher Zweiteres vermuten. Aber wir, die Zeugen von Richter Cordiers Unheil, wissen es besser...

7/10

Reginald Le Borg Guy de Maupassant Fin de Siècle Frankreich Bohéme period piece


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TAKE HER, SHE'S MINE (Henry Koster/USA 1963)


"Shall be."

Take Her, She's Mine (In Liebe eine 1) ~ USA 1963
Directed By: Henry Koster

Das sexuelle Erwachen seiner knapp zwanzigjährigen Tochter Molly (Sandra Dee) wird für den braven Anwalt, Familienvater und Vorsitzenden des örtlichen Erziehungsausschusses, Frank Michaelson (James Stewart) zu einem mittleren Albtraum. Hinter jeder Ecke, in jeder Nische vermutet er die Perversionen des aufkeimenden Jahrzehnts. Zu allem Übel nimmt Molly auch noch mit allerlei Liberalöen an Sit-Ins und Happenings teil, demonstriert gegen die Atombombe und gegen die Zensur der Werke von Henry Miller. Als Frank mit jedem Versuch, seine Tochter Sitte und Anstand zu lehren, selbst in diverse Fettnäpfchen tritt, gibt er sich irgendwann der Situation geschlagen.

Mittlere und nach meinem Empfinden witzigste und schönste der Koster-Johnson-Stewart-Familienkomödien-Trilogie. Jimmy Stewart nimmt sich und seinen damaligen Populaitätsgrad in einem Maße auf die Schippe, wie man es von ihm ansonsten so gut wie gar nicht kennt und tritt in seiner Rolle als Frank Michaelson nur sonnenbebrillt in der Öffentlichkeit, weil ihn jedermann mit "irgendeinem Filmstar" verwechselt. Gar glorios die Finalszene, in der Stewart kostümiert wie ein Jahr zuvor als Trapper Linus Rawlings in "How The West Was Won" ein Kostümfest besucht und sich seine Bekleidung nach und nach in Wohlgefallen auflöst. Das hat selbstparodistische Klasse. Ansonsten mag man von dieser zugegebenermaßen leicht angeschimmelten Art des Humors halten, was man will - als Generationenkonfliktsporträt, das die Zeichen der Zeit nicht nur erkennt und analysiert, sondern zudem sehr hellsichtig und zukunftsweisend interpretiert, ist "Take Her, She's Mine" bei aller bourgeoisen Anbiederung immer noch rundum sympathisch und gelungen.

8/10

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EVERYTHING MUST GO (Dan Rush/USA 2010)


"You need to put up some curtains, so you don't have to look at your future."

Everything Must Go (Alles muss raus) ~ USA 2010
Directed By: Dan Rush

Nick Halsey (Will Ferrell) wird am gleichen Tag aus seiner gut bezahlten Stellung gefeuert und von seiner Frau vor die Tür gesetzt. Als Alkoholiker, der er nunmal ist, resigniert er zunächst angesichts dieses persönlichen Debakels und setzt sich mittellos zu seinem Kram in den heimischen Vorgarten, um sich dort rund um die Uhr volllaufen zu lassen. Erst ein einsamer Junge (Christopher Jordan Wallace) und eine gegenüber eingezogene neue Nachbarin (Rebecca Hall) lassen ihn neuen Lebensmut schöpfen.

"Loslassen lernen" heißt die goldene, fazitäre Regel in jeder Therapie für Angehörige von Alkohol- und Drogenabhängigen. Dass ebendiese Maxime auch für den primär Betroffenen von einigem Wert sein kann, lehrt Dan Rushs hoffnungsvolleCronik eines angekündigt am Leben Scheiternden. Zwar ist Nick Halsey nicht unbedingt jemand, der jedwede persönliche Krise mit dem Griff zur Pulle beantwortet, aber ein einmaliger Ausrutscher zieht dennoch, wie es bei Süchtigen üblich ist, einen neuen Langzeitbesuch im Sumpf nach sich. Damit ist Nick Halsey die eigentlich höchst unkomische Konterkarierung von Will Ferrells sieben Jahre zuvor unterwegs Befindlichem, unheilbar postpubertärem Frank "The Tank" Ricard, der in "Old School" die existenzielle Konsequenz zog, dass ein Erwachsenwerden, oder eben ein "Loslassen" von liebgewonnenen, ungesunden Gewohnheiten einen nicht unbedingt glücklicher machen muss. Irgendwann, früher oder später, ist eine finale Absage an die eine oder andere im Leben aber meist doch Tagesordnung, sonst geht man halt vor die Hunde. Diese Maßregel mag wenig sympathisch, geschweige denn libertinär sein, ist in unserer Maß- und Haudraufgesellschaft aber leider ein unliebsames Obligatorium, soviel erkennt, mit einigem Bedauern, auch "Everything Must Go" Als Nick Halsey später von ein paar weiteren Hiobsbotschaften nochmals in den Staub seiner Lebenstrümmer getreten wird und dann wehmütig an seinem Minimart vorbeiläuft, ohne hineinzugehen und sich die üblichen zwei Sechserpacks zu besorgen, zeugt von größtmöglicher Stärke und lässt sich durchaus als großer Silberstreif am Horizont begreifen, auch wenn Rush uns am Ende, Hand in Hand mit seinem Protagonisten in eine gehörig ungesicherte Zukunft entlässt.
Dass Ferrell indes den Mut aufgebracht hat, mal nicht den Spinner zu geben, der seine große Mittlebenskrise nur als Ausflucht für einen neuerlichen, infantilen Regress nutzt, macht staunen. Das heißt aber nicht, dass ich ihn demnächst nicht doch gern wieder in alter Form sähe. Aber "Casa De Mi Padre" ist ja schon unterwegs.

8/10

Dan Rush Arizona Sucht Vorort Alkohol Will Ferrell


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THE BIG TRAIL (Raoul Walsh/USA 1930)


"When you stop fighting, that's death!"

The Big Trail (Der große Treck) ~ USA 1930
Directed By: Raoul Walsh

Der Trapper Breck Coleman (John Wayne) ist hinter ein paar Pelzdieben her, die ihm seine Wolfsfelle gestohlen und seinen Partner umgebracht haben. Als er sich anheuern lässt, einen Siedlertreck von Missouri aus über den Oregon Trail nach Westen als Scout zu begleiten, ahnt er noch nicht, dass ausgerechnet einer der Verbrecher (Tyrone Power Sr.) Treckführer ist. Sein latenter Verdacht bestätigt sich jedoch später und neben all den gefährlichen Naturgewalten und Widrigkeiten, die den Pionieren ihren Weg Richtung Pazifik erschweren, hat Coleman sich bald gegen ein ganzes Trio von Halunken zu erwehren.

Hollywoods erster großer Tonwestern, ein Meilenstein des Genres und zudem mit seiner neuartigen Technik ein elementares Stück Filmgeschichte. Bei "The Big Trail" handelte es sich nämlich um eines der wenigen Werke, die im Fox-Grandeur-Verfahren hergestellt wurden, einem der ersten 70mm-Leinwandformate. Die seinerzeit mangelhafte technische Ausstattung der Lichtfilmtheater, die zur Präsentation der Grandeur-Version eines speziellen Projektionsgerätes bedurft hätten, dessen Anschaffung faktisch jedoch viel zu teuer gewesen wäre, verhinderte weitere 70mm-Filme, bis die Fox 1953 mit CinemaScope ein ähnliches, technisch jedoch weitaus praktikableres Breitwand-Verfahren präsentieren konnte. In weiser Voraussicht ließ produzent Winfried Sheehan von Raoul Walsh parallel eine herkömmliche 35mm-Fassung drehen, und dies zusätzlich in vier verschiedenen Sprachversionen mit jeweils landeseigenen Schauspielern. Man muss natürlich die restaurierte 70mm-Version sehen, die mit all ihrer Pracht und Tiefenschärfe wirkt wie ein gut 30 Jahre jüngerer Film. Wahnsinn.
Das schwere, unbewegliche Equipment tut "The Big Trail" wider Erwarten sehr wohl: Der Film ist voll von wunderschön komponierten Tableaus, von Totalen und Halbtotalen, die von einer zumeist statisch präparierten Kamera unter Verwendung nur ganz weniger Schwenks aufgenommen wurden und immer wieder durchbrochen werden von erläuternden Schrifttafeln, ein Relikt der soeben im Sterben begriffenen Stummfilmzeit. Letztlich bestimmt allein der Schnitt Dramaturgie und Tempo; eine sowohl technisch als auch künstlerisch vollends beeindruckende Pionierleistung betreffs des Einsatzes von widescreen angles.
Motivisch nimmt Walshs Film eine Menge von dem vorweg, was das Genre in den nächsten vier Dekaden bewegen sollte: Grenzausweitung, weiße Landannektierung, unzerbrechlicher Pioniergeist im Angesicht von Romantik und Tod, die persönliche Rache eines frontierman. Außerdem zeigt er einen mit knapp 23 Jahren kaum vorstellbar jungen John Wayne in seiner ersten kreditierten Rolle, als Protagonist zudem. Insofern ist "The Big Trail" von einer derart explosiven Initialkraft, dass man mit Fug und Recht annehmen kann, dass das Kino sich ohne sie wahrscheinlich völlig anders entwickelt hätte.

9/10





Filmtagebuch von...

Funxton

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