Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

SOMETHING WICKED THIS WAY COMES (Jack Clayton/USA 1983)


"Come visit me, sir, if you wish to improve your education."

Something Wicked This Way Comes (Das Böse kommt auf leisen Sohlen) ~ USA 1983
Directed By: Jack Clayton


Die beiden dreizehnjährigen Freunde Will Halloway (Vidal Peterson) und Jim Nightshade (Shawn Carson) registrieren mit Spannung, dass "Dark's Pandemonium Shadow Show", der herbstliche Jahrmarkt, auf dem Weg in ihr Städtchen Green Town ist. Allerdings umgibt eine mysteriöse Spannung gleich die Ankunft des Showgeschäfts. Will und Jim finden bald heraus, dass Mr. Dark (Jonathan Pryce) und sein Adlatus Mr. Cooger (Bruce M. Fischer) nichts Geringeres als zwei dämonische Wesen auf Seelenfang sind, um ihren Jahrmarkt mit neuen "Attraktionen" aufpeppen zu können. Nachdem bereits die ersten Stadtbewohner, gelockt mit der Erfüllung ihrer Herzenswünsche, in Darks Menagerie Einzu gehalten haben, will der Finsterling sich auch Wills an einer alten Schuld knackenden Vater (Jason Robards) unter den Nagel reißen, doch die Jungs lassen das nicht so ohne Weiteres zu.

Basierend auf seinem eigenen Roman, jener ein Bestandteil seiner "Green-Town-Trilogy", verfasste Ray Bradbury höchstpersönlich das Script für dieses hierzulande leider nahezu völlig unbekannte, dunkle Filmmärchen. Das - sofern überhaupt ein passender Terminus - Problematische an der Geschichte um einen dämonischen Seelenfänger, sein gruseliges Etablissement und zwei heldenhafte Halbwüchsige, die ihn aufhalten, liegt ganz einfach darin, dass Schauergeschichten für Kinder in den letzten Jahrzehnten der Behütungspädagogik zunehmend verpönt waren und sind. Insbesondere Claytons (überraschenderweise von Walt Disney produzierte) filmische Umsetzung lässt ganz willkürlich offen, welche Alterseignung man mitbringen sollte, um "Something Wicked" zur Gänze genießen zu können. Für Kinder inhaltlich zu unwegsam, für Erwachsene emotional zu naiv - und damit ein Kandidat der berühmten "Weder-Fisch-noch-Fleisch"-Kategorie - sofern man vergessen hat, wie kindliche Begeisterung funktioniert wenigstens. Tatsächlich ist der Film (dessen formvollendeter Titel auf einem "Macbeth"-Zitat basiert, welches Mr. Halloway, belesener Bibliothekar, angesichts seiner ersten Begegnung mit Mr. Dark skandiert) ein lohnenswertes Wagnis, so man bereit ist, sich auf die magische Mixtur dieses Experiments zwischen emotionaler Naivität und scharfer Intellektualität einzulassen. Satisfaction guaranteed!

8/10

Jack Clayton Ray Bradbury Carnival Freundschaft Kinder


Foto

VALERIE A TYDEN DIVU (Jaromil Jireš/ČSSR 1970)


Zitat entfällt.

Valerie A Týden Divu (Valerie - Eine Woche voller Wunder) ~ ČSSR 1970
Directed By: Jaromil Jireš


Im frühen 19. Jahrhundert: Valerie (Jaroslava Schallerová), ein Mädchen aus der Provinz, bekommt ihre erste Menstruation und die Welt steht plötzlich Kopf: Schein und Sein sind nicht mehr unterscheidbar, Vampire und lüsterne Kirchendiener tauchen auf, Valerie selbst wird der Hexerei bezichtigt und landet auf dem Scheiterhaufen, ihre erste große Liebe (Petr Kopriva) scheint zugleich ihr eigener Bruder zu sein und selbst über ihre bislang sicher geglaubte eigene Herkunft legen sich Schleier der Ungewissheit.

"Valerie" als nur kurz nach dem Prager Frühling entstandenes Spätwerk der tschechoslowakischen New Wave repräsentiert ein leuchtendes Beispiel für das Aufbruchspotenzial der Kunst in einer von Repression gebeutelten Kultur und bereits als solches unbedingt sehenswert. Weibliche Sexualität ist das Thema der bereits in den dreißiger Jahren erschienen surrealistischen Romans von Vítězslav Nezval. Jener bekleidet eine wichtige Vorreiterfunktion innerhalb einer kunstübergreifenden, poetischen Bewegung, die junge Frauen, ihre Geschlechtsreife und ihre ersten Lustempfindungen parallelisiert beziehungsweise mit klassischen Horror- und Schauermotiven kombiniert. Besonders im Film gibt es dafür mittlerweile zahlreiche Beispiele, die von Tourneurs "Cat People" (und natürlich nicht minder Schraders Remake) über Blackburns "Lemora" bis hin zu Jordans "Company Of Wolves" reichen, wobei letzterer, wie ich jüngst lernen durfte, sogar indirekt von "Valerie" beeinflusst ist.
Von Jireš' Film darf man keine stringente Narration erwarten, der Film ist inhaltlich und visuell von reinen Assoziationsketten bestimmt. Seine Bilder bleiben dabei stets zurückhaltend und taktvoll, so dass der Vorwurf ästhetischer Grenzüberschreitung hier erst gar nicht greifen konnte. "Valerie" ist dazu bestimmt, sich haltlos in ihn fallen und die Ratio für eine und eine Viertelstunde brach liegen zu lassen, auf dass man sich ausschließlich an der zwischen romantischer Zartheit und sanfter Beunruhigung oszillierenden Atmosphäre des Films delektiere.

8/10

Sexualitaet period piece Traum Avantgarde Surrealismus Vitezslav Nezval Jaromil Jires


Foto

ALICE IN WONDERLAND (Tim Burton/USA 2010)


"Off with their heads!"

Alice in Wonderland (Alice im Wunderland) ~ USA 2010
Directed By: Tim Burton


Die junge, selbstbewusste Halbwaise Alice Kingsley (Mia Wasikowska) flieht nach einem öffentlichen Heiratsantrag durch den unangenehm verschrobenen Aristokratensohn Hamish Ascott (Leo Bill) in den Garten und in einen Kaninchenbau, an dessen Ende sie alle Figuren aus ihren Kindheitsträumen wiederentdeckt. Sie wird dort, im "Wunderland", schon sehnsüchtig erwartet, denn es gilt, die böse Rote Königin (Helena Bonham Carter) zu vetreiben, bzw. ihren Drachen, den Jabberwocky, zu erschlagen. Erst nach einigem Zögern sieht sich Alice dieser Aufgabe gewachsen und findet dadurch die Kraft, auch ihre Probleme im Diesseits zu regeln.

Weniger eine um Exaktheit bemühte Carroll-Verfilmung denn eine Fortsetzung seiner "Alice"-Geschichten. Die Protagonistin leidet offensichtlich an einer Art Teilamnesie, als sie im Film nach ihrer überstürzten Flucht aus dem Gartenpavillon ohne sich dessen bewusst zu sein bereits zum wiederholten Male das Wunderland betritt. Dessen Bewohner identifizieren sie indes nämlich noch vorsichtig als ihr - nunmehr gereiftes - alter ego (und analog dazu als jenes kleine bzw. jüngere Mädchen als das sie einst hier ihre Abenteuer erlebte), sind sich ihrer allerdings, aufgrund ihrer Erwachsenwerdung, zu Anfang nicht ganz sicher.
Diese Mehrdimensionalität zeigt Wirkung: Anders als in den Geschichten üblich geht es hier weniger um die grenzenlose Macht der Imagination als um eine junge Dame an der Schwelle zu unbeirrter Emanzipation, die ihre Kraft zur künftigen Mündigkeit aus der sich bei Burton mitnichten als Traumland präsentierenden Parallelwelt zieht. Jenes Wunderland derweil zeigt sich bei aller wiederum bemühten Gestaltungs- und Detailfreude, wie schon das viktorianische London in "Sweeney Todd", als komplett durchdigitalisiertes Rechner-Shangri-La, in dem konsequenterweise jedes sichtbare organische Körperteil wie ein Fremdkörper erscheint. Für mich ist das nichts; ich kann zwar Arbeit und Aufwand dahinter respektieren, mag es aber deutlich lieber, wenn ein Film atmet und nicht unter glitzernder Plastikfolie erstickt wird. Darum sehe ich mir auch grundsätzlich keine dieser neuen Fantasy-Literaturadaptionen von "Narnia" bis hassenichgesehn an. Selbst, da Burtons inszenatorische Kraft den Film nicht nur "rettet", sondern ganz klar über das durchschnittliche Biedermeierkino hinaushievt, hoffe ich insgeheim doch sehr, dass er den mit "Alice In Wonderland" eingeschlagenen stilistischen Weg nicht weiterverfolgt.

7/10

Parabel Lewis Carroll Maerchen Tim Burton Disney England 3-D Coming of Age Kinder period piece


Foto

BIG FISH (Tim Burton/USA 2003)


"I've always been thirsty."

Big Fish ~ USA 2003
Directed By: Tim Burton


Der Journalist Will Bloom (Billy Crudup) steht seinem exaltierten Vater Edward (Albert Finney) eher kritisch gegenüber und vermutet hinter all den phantastischen Anekdoten und Geschichten, mit denen sein während Wills Kindheit häufig außer Haus befindlicher alter Herr seine Biographie einzukleiden pflegt, nicht mehr als ein gigantisches Lügenkonstrukt. Tatsächlich unterstellt Will seinem Dad eher mangelnde Bereitschaft zur Familienpflege und sogar das eine oder andere außereheliche Abenteuer. Als der junge Mann angesichts der Todgeweihtheit des Vaters in dessen Vergangenheit herumzustpchern beginnt, warten einige Überraschungen auf ihn.

Das etwas andere Biopic. Weg von all dem Geäffe und hinein in die Innereien des Lebens stiftete Burton diese wundervolle, vielschichtige Vater-Sohn-Geschichte, von ihm mit seiner gewohnten Fabulierfreude adaptiert und zu einer seiner schönsten Arbeiten geformt. "Big Fish" präsentiert sich als eine umfassende Ode an die Imagination, daran, dass man Menschen manche ihrer Träume lassen sollte und dass sie sich, zu ihrem Lebensende hin, rückblickend manchmal weniger durch das definieren, was sie geleistet und getan, denn durch das Bild, das ihre Freunde und Bekannten sich zeitlebens von ihnen zurechtkonstruiert haben.
Selbstredend neigen wie man weiß speziell ältere Menschen gern zur unverhältnismäßigen Ausschmückung ihrer Lebensabenteuer; die Aufgabe der jüngeren sei dabei jedoch nicht nicht, sie zu hinterfragen, sondern sie im Gegenteil willfährig aufzusaugen und ihrem Kopf weiterzuspinnen.
Neben Tarsems ebenfalls wunderschönem "The Fall", für mich übrigens eine Art Zwillingsfilm von "Big Fish", das ultimative Kinostück über die visionäre Kraft von Bettkantengeschichten.

9/10

Erwachsenenmaerchen Biopic Alabama Suedstaaten Tim Burton Riese Zwerg Zirkus Carnival Werwolf Hexen


Foto

SLEEPY HOLLOW (Tim Burton/USA 1999)


"I stand up for sense and justice."

Sleepy Hollow ~ USA 1999
Directed By: Tim Burton


Der jüngst geschlagene, erste Unabhängigkeitskrieg wirft noch seine Schatten, als der zugleich aufklärerische und exzentrische New Yorker Constable Ichabod Crane (Johnny Depp) in das von holländischen Emigranten bewohnte Provinznestlein Sleepy Hollow beordert wird, um dort eine Serie mysteriöser Enthauptungen aufzuklären. Crane, der selbst ein dunkles Kindheitsgeheimnis mit sich herumträgt, und dem Blut und Geister im wahrsten Sinne des Wortes spinneeklig sind, entdeckt, dass er zwar seine persönliche Raison speziell bezüglich des Übernatürlichen etwas überdenken muss, behält aber in dem Punkte recht, dass der Anstifter der Bluttaten ein Mensch aus Fleisch und Blut ist.

Auch wenn im Prolog eigentlich nicht von einem herandämmernden, neuen Millenium, sondern korrekterweise von einem Centennium die Rede sein müsste (unterstellen wir Walkers Script angesichts des Entstehungsjahrgangs des Films einen ganz bewussten Schlenker), findet Burton hier glücklicherweise wieder zur Großmeisterlichkeit zurück, in dieser wunderhübschen kleinen Hommage an die alten Filme von Hammer und Anglo-Amalgamated, in der zwar ungewohnt viel Blut spritzt, jenes aber in dieser beruhigen irrealen, typisch leuchtend-hellroten Färbung, wie man sie noch aus Fishers "Curse Of Frankenstein" und "Horror Of Dracula" kennt. Als Hauptmotivation für dieses so witzige wie finstere Spukgerüst wählte man die klassische Irving-Story um den tatsächlich existenten Ichabod Crane und den kopflosen Geisterreiter eines hessischen Söldners, amerikanisches Kulturgut, von Burton uneingeschränkt prachtvoll adaptiert. Mittlerweile ganz selbstverständlich verwandte visuelle Stilmittel wie spezielle Farbfilter, die dem Bild einen blassen "vintage look" verschaffen, kommen hier bereits recht früh zum Einsatz und verfehlen ihre Wirkung nicht. Der vor wabernden Nebeln, knorrigem Geäst und anderen Schauerelementen nur so strotzende "Sleepy Hollow" besitzt viel von der Atmosphäre zeitgenössischer Stiche und ist infolge dessen ein treffliches Beispiel dafür, mit welcher Detailliebe und Sorgfalt Burton und seine Mannschaft (besonders die bravouröse Kostümistin Colleen Atwood sollte in diesem Zusammenhang Erwähnung finden) zu Werke gehen. Johnny Depp indes schraubt hier wiederum ganz entschieden an seinem persönlichen Mythos herum, als zugleich romantischer, linkischer und tuckiger Antiheld, dem allerlei Missgeschicke zustoßen, der allenthalben in Ohnmacht fällt und aus Angst vor einer Spinne auf einen Stuhl steigt und den Kragen vor den Mund zieht. Natürlich triumphiert er am Ende als Mann des Guten und des Geistes (allerdings nicht ohne die maßgebliche Hilfe seiner zwei neuen Freunde (Christina Ricci, Marc Pickering)). Glorios!

9/10

period piece Splatter Hommage Tim Burton


Foto

EDWARD SCISSORHANDS (Tim Burton/USA 1990)


"Blending is the secret."

Edward Scissorhands (Edward mit den Scherenhänden) ~ USA 1990
Directed By: Tim Burton


Der Kunstmensch Edward (Johnny Dep), der anstelle richtiger Hände Scheren besitzt, kommt aufgrund der Initiative der Avon-Vertreterin Peg Boggs (Dianne Wiest) eines Tages vom Schloss seines verstorbenen Erfinders (Vincent Price), auf dem er jahrelang gehaust hat, in das Haus der Familie Boggs und damit in eine biedere Vorstadtnachbarschaft. Die Hausfrauen der Gegend machen sich allesamt Edwards Talente zu präziser Schnittarbeit mit seinen Scherenhänden zu eigen - zunächst als Gärtner, dann als Hunde- und schließlich als Damencoiffeur. Als eine seiner Anhängerinnen (Kathy Baker) Edward ein eindeutiges Angebot, weiß der Naivling nicht standesgemäß darauf zu reagieren - der Anfang einer Kette unglücklicher Ereignisse.

Tim Burton dürfte einer der wenigen Filmemacher in Hollywood sein, die sich allein durch ihre ihnen grundeigene Signatur, zu der sich bei Burton freilich liebenswerte Infantilie, Märchenhaftigkeit, überzogen-grelle Horrormomente, gotisches Ambiente, LSD-Phantasien und Psychedelia vermischen, eine seltene künstlerische Autarkie erarbeitet haben. Mit einem kaum wechselnden Mitarbeiterstab bereichert er die Filmwelt nun schon seit über zwei Dekaden mit seinen verrückten kleinen Phantastik-Mären, die mal eindeutig, mal zaghafter das von Burton selbst gesetzte Anspruchsmarke erreichen; in jedem Fall aber immer sehenswert oder zumindest diskutabel sind.
Leider habe ich "Beetlejuice" gerade (noch) nicht verfügbar, "Pee-Wee's Big Adventure" erachte ich für halbwegs vernachlässigbar, meine Eindrücke zu "Batman" findet sich in meinen Aufzeichnungen bereits an anderer Stelle. Los also mit "Edward Scissorhands", Burtons ganz persönlicher "Frankenstein"-Variation, die vor allem die Bigotterie amerikanischer suburbs trefflich auskundschaftet und persifliert und damit vor allem in den ersten zwei Dritteln immens komisch gestimmt ist. Die Tragik des vordergründig beliebten, hinterrücks jedoch belächelten und wegen seiner Andersartigkeit gefürchteten Kunstmenschen wird erst im dunkel-traurigen letzten Akt gänzlich ausgespielt, in dem es dann auch kaum mehr zur vorherigen Gelöstheit gereicht. Dass die aufgebrachten Vorstädter ihm nicht sein Schloss unter der Nase anzünden, verdankt Edward allein der Beherztheit seiner großen Liebe Kim (Winona Ryder). Burtons diverse Charakteristika sind hier schon fast zur Gänze zugänglich: Das tiefe Grauen bonbonfarbener Idyllen und, analog dazu, die romantische Melancholie seiner mit dem Tode flirtenden Protagonisten. Dazu Danny Elfmans von hellen Chören getragene Bombastmusik und fertig ist das wunderhübsche Gruselsoufflé, das ja dem bereits in den ersten Karrierejahren, respektive nach "21 Jump Street", ein erstaunliches Händchen für seine Rollenauswahl (er konnte immerhin mit 27 Jahren bereits auf Zusammenarbeiten mit Wes Craven, Oliver Stone und John Waters zurückblicken) beweisenden Johnny Depp ein paar seiner frühesten Meriten eintragen konnte. Und bereits hier heißt es ganz eindeutig: Love it - or leave it.

8/10

Tim Burton Frankenstein Schnee


Foto

VALHALLA RISING (Nicolas Winding Refn/UK, DK 2009)


"Where does he come from?" - "Hell."

Valhalla Rising ~ UK/DK 2009
Directed By: Nicolas Winding Refn


Das graue Mittelalter: Ein namenloser, stummer, allenthalben von apokalyptischen Visionen heimgesuchter Krieger (Mads Mikkelsen) dient einem Wikingerstamm als eine Art Gladiator, der, beheimatet in einem Käfig und stets an der Leine gehalten, sämtliche Zweikämpfe mit gnadenloser Gewalt für sich entscheidet. Nur einen kleinen Jungen (Maarten Stevenson), der ihn pflegt und versorgt, lässt er nahe an sich heran. Eines Tages befreit sich der Krieger, zieht durchs Land und trifft auf eine Gruppe christianisierter Normannen, die im Namen Gottes jeden Heiden dahinschlachten und mit denen zusammen er ins Heilige Land aufbricht. Die Schiffahrt führt durch endlose Nebel und endet schließlich dort, wo später einmal Amerika sein wird. Ein lebensfeindliches Umfeld mitsamt Tod und Verderben wartet auf die Männer.

Ich habe das Gewitter nicht erwartet, es kam von selbst zu mir.
Wenn Winding Refn, wie neulich noch in einem Interview gelesen, behauptet, er lebe durchweg gesund und habe mit Rauschmitteln jedweder Art nichts am Hut, dann halte ich das wahlweise für ein Zeugnis von Paranoia oder schlicht für Kokettiererei. Ein Film wie "Valhalla Rising" entsteht nicht einfach so, aus einer in jener Hinsicht unbefleckten Mentalität heraus, davon bin ich felsenfest überzeugt. Emsiges Studium von naheliegenden Vorbildern und schließlich eine tiefe, spirituelle Meditation, jeweils unterstützt von Bewusstseinserweiterndem, dürften die primären Inspirationsquellen für dieses sperrige, surrealistische und schwer fassbare Kunstwerk sein. Wollen mal sehen, was ich da alles an stilistischen, inhaltlichen und atmosphärischen Referenzen ausmachen konnte: Milius, Coppola, Jodorowsky, Mallick, Kubrick, und, wenn man noch die Malerei hinzuziehen mag, Bosch, Bruegel, Friedrich stecken da drin. Entsprechend eklektizistisch, wild und interpretationsoffen das Resultat, entsprechend groß schon jetzt die Vorfreude auf eine neuerliche Betrachtung. Ob es da um eine kritische Reflexion des Christentums und seines Hangs zur infektiösen Verbreitung geht, um das historische Scheitern monotheistischer Religion oder um einen neuerlichen (Anti-)Messias, der durch sein Opfer den späteren amerikanischen Ureinwohnwern noch 500 weitere Jahre Autokratie verschafft, habe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht raus. Hugh. Aus. To be continued.

9/10

Nicolas Winding Refn Surrealismus Parabel Wikinger Mittelalter


Foto

BATMAN (Leslie H. Martinson/USA 1966)


"Some days, you just can't git rid of a bomb."

Batman (Batman hält die Welt in Atem) ~ USA 1966
Directed By: Leslie H. Martinson

Die vier Supergangster Pinguin (Burgess Meredith), Joker (Cesar Romero), Riddler (Frank Gorshin) und Catwoman (Lee Meriwether) kidnappen den Nautikforscher Commodore Schmidlapp (Reginald Denny) und reißen sich dessen Erfindung unter den Nagel: Den Dehydrator, eine Maschine, mit der man jedem Lebewesen sämtliche Flüssigkeit entziehen und es in ein Häuflein bunten Staubes verwandeln kann - natürlich nur, solange Bedarf herrscht, danach kann das Opfer auch wieder rehydriert werden. Batman (Adam West) und Robin (Burt Ward) haben alle Hände voll zu tun, dem Kleeblatt des Bösen einen Strich durch die Rechnung zu machen.

"Batman" war damals Teil eines Fox-Werbefeldzugs, der die Serie auch in Übersee populär machen und dort Abnehmer auftun sollte. Der Kinofilm entstand zwischen der ersten und der zweiten Staffel der Reihe und unterschied sich nur insofern von ihr, als dass es eine andere (sehr schicke) Titelsequenz gab und etwas mehr Patte zur Verfügung stand, mit der man unter anderem den "Bat-Copter" und ein "Bat-Boot" kreierte. Ansonsten blühte der Blödsinn weiter vor sich hin.
"Batman" '66 ist ein zweischneidiges Schwert: Für den heutigen Liebhaber der Comics und ihres atmosphärischen Kerns ist diese Variation indiskutabel und erscheint zuweilen wie eine Tortur; andererseits ist sie ein unbedingter Wegbereiter für die Slapstick-Grotesken von Mel Brooks und der ZAZ-Truppe sowie ein maßgeblicher Repräsentant der bonbonfarbenen Sixties-Popkultur, die den Dunklen Ritter eben damals nach allen Regeln der Kunst vergewaltigt hat. Ergo geht es mir, in dessen meiner Brust, ach, genau diese zwei widerstreitenden Seelen wohnen, dabei trotz wiederholter Betrachtung regelmäßig so, dass ich zunächst nie weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Erfreulicherweise gewinnt zumeist der Nonsensfreund und tobt sich hundert Minuten lang aus, derweil der Batfan sich in den dunklen Schattenbereichen meines Geistes zur Verfügung hält.
Heilige Diversifikation!

6/10

Leslie H. Martinson Batman Comic Superhelden Slapstick Groteske DC


Foto

THE IMAGINARIUM OF DOCTOR PARNASSUS (Terry Gilliam/UK, CAN, F 2009)


"Voilà!"

The Imaginarium Of Doctor Parnassus (Das Kabinett des Doktor Parnassus) ~ UK/CAN/F 2009
Directed By: Terry Gilliam


Der unsterbliche Dr. Parnassus (Christopher Plummer) fährt mit seinem in einem Pferdewagen befindlichen Zauberspiegel durch London. Parnassus hat die Fähigkeit, sich in Trance zu versetzen und dabei die tiefsten Wunschvorstellungen der Menschen wahr werden zu lassen. Seine Lebensspanne und Kräfte verdankt Parnassus fortwährenden Wettgeschäften mit dem sinistren Mr. Nick (Tom Waits). Dabei leben Parnassus und seine Mitreisenden, Tochter Valentina (Lily Cole), Percy (Verne Troyer) und Anton (Andrew Garfield) fortwährend am Existenzminimum entlang, weil niemand mehr bereit scheint, an Geschichten und Fantasie zu glauben. Als das Quartett auf den angeblich unter Amnesie leidenden Toni (Heath Ledger) trifft, scheint sich eine Besserung einzustellen - bis sich zeigt, wer Toni wirklich ist.

Zusammen mit Charles McKeown, dessen Mitarbeit bereits "Brazil" und "The Adventures Of Baron Munchhausen" ins Leben hievte, ersann Gilliam seinen neuesten Streich, einen auf den ersten Blick nur schwer fassbaren Einblick in die Allmacht und Allgegenwart der Imagination. Gewohnt majestätisch bebildert, finden sich inmitten dieser stark existenzialistisch geprägten Mär sowohl Bruchstücke des alten Python-Humors als auch aus modernen Gangstergeschichten wieder. Wie der selige "Munchhausen" ist "Parnassus" bemüht, die Physik auszuhebeln und als nichtig zu erklären, wirkt schwer drogeninfiziert und von einer Art erzählerischen Kraft, die, ganz dem Credo der Geschichte gemäß, für gegenwärtige Zuschauer, die sich an 3D-Effekten und Computer-Monstren berauschen, kaum mehr gemacht scheint. Ich muss zugeben, dass ich Gilliams Film bei aller grundsätzlichen Sympathie teils selbst als sperrig und ihm schwer zu folgen empfunden habe; bei kurzem Nachgrübeln aber erinnerte ich mich, dass es mir mehr oder weniger mit jedem von Gilliams Filmen nach der Erstbetrachtung so ging; später wurden sie dann - mit Ausnahme von "The Brothers Grimm" - allesamt zu Lieblingsstücken. Ob es in diesem Falle genauso sein wird, das kann ich luziderweise noch nicht sagen, halte es aber für ein gutes Omen, dass ich schon jetzt wieder eine latente Lust auf einen erneuten Besuch im Imaginarium verspüre.

8/10

London Terry Gilliam Satan Zwerg


Foto

THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (Martin Scorsese/USA 1988)


"It is accomplished!"

The Last Temptation Of Christ (Die letzte Versuchung Christi) ~ USA 1988
Directed By: Martin Scorsese


Jesus von Nazareth (Willem Dafoe) weiß tief in seinem Inneren längst, dass er Gottes Botschafter auf Erden ist, er zweifelt jedoch und wehrt sich mit aller Macht gegen seinen himmlischen Auftrag. Als er schließlich doch seinen Weg gemacht hat und von Pilatus gekreuzigt auf den Tod wartet, sucht Satan ihn ein letztes Mal zu verführen, indem er ihm die Erfüllung seines sehnlichsten Wunschtraums verheißt: Eine Existenz als einfacher Zimmermann mit Familie.

Scorsese und Paul Schrader, von dem abermals das Script zu diesem von langer Hand geplanten und bereits verloren geglaubten Wunschprojekt des Regisseurs stammt, gelten beide stets als hochmotiviert, wenn es um katechistische Diskurse und Fragen geht - umso naheliegender ihr Engagement bezüglich der Adaption von Kazantzakis' Roman. Der hier vorgestellte Christus ist weit entfernt von seinen bislang im Film geführten, bald ätherischen Interpretationen durch Hunter oder von Sydow; ein großer Zweifler ist er, durch und durch menschlich, voller Fehler und Ängste. Die Dualität zwischen dem Botschafter von Gottes Gnaden und dabei nach wie vor irdischen Wesen interessiere ihn, verkündete Kazantzakis. Sein Jesus droht sich in der höchst irdischen Liebe zu einer Frau (Barbara Hershey) zu verlieren, baut Holzkreuze für die römischen Besatzer, um Gott gegen sich aufzubringen, schreit seinen inneren und äußeren Schmerz ungeniert hinaus in die Welt und ist auch sonst höchst gefährdet, in seiner Mission zu scheitern. Dass er am Ende doch noch über all diese seine Schwächen triumphiert, macht ihn selbstverständlich umso göttlicher und achtenswerter. Entsprechend kurzsichtig, blamabel und überflüssig die zahlreichen Proteste diverser Erzkleriker, die einen Kinoeinsatz des Films seinerzeit zu verhindern suchten.
Der Stein des Anstoßes ist erwartungsgemäß sehenswert und neben Rays ganz schönem "King Of Kings" wohl immer noch der einzige mir geläufige, respektable Versuch einer filmischen Christus-Biographie. Wohltuend gewürzt mit ein wenig mutigem Eklektizismus (der Score etwa stammt von Peter Gabriel und ist zeitweise starg popbeeinflusst) und natürlich getragen von phantastischen Schauspielern ist mir dieser Ansatz jedenfalls hundertmal lieber als ein solch grausig-zermürbender wie im Falle "The Greatest Story Ever Told".

8/10

period piece Biopic Jesus Christus Paul Schrader Historie Bibel Martin Scorsese Skandalfilm





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare