Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

CASUALTIES OF WAR (Brian De Palma/USA 1989)


"This ain't the army, Sarge."

Casualties Of War (Die Verdammten des Krieges) ~ USA 1989
Directed By: Brian De Palma

Tay Nguyen, November 1966. Der erst vor wenigen Wochen in Vietnam eingetroffene Private Eriksson (Michael J. Fox) wird Zeuge, wie sein Sergeant Meserve (Sean Penn) und drei seiner Untergebenen (Don Harvey, John C. Reilly, John Leguizamo) ganz gezielt das Bauernmädchen Oanh (Thuy Thu Lee) entführen und vergewaltigen. Als sie im Zuge eines Gefechts zu strategischem Ballast wird, lässt Meserve sie ermorden. Als noch bedrückender denn das eigentliche Verbrechen empfindet Eriksson seine mangelnde Zivilcourage. Anstatt dem Mädchen zu helfen und sich aktiv einzumischen, konnte er nur hilflos danebenstehen. Um wenigstens die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, macht Eriksson schließlich Meldung bei der Kommandatur.

Basierend auf dem authentischen "Hill-192-Zwischenfall", der 1969 für internationale Furore sorgte, nachdem der Journalist Daniel Lang eine Story darüber im 'New Yorker' veröffentlicht hatte, inszenierte De Palma diesen aufwühlenden, teilweise nur schwer zu ertragenden Kriegsfilm. Dabei bildet "Casualties Of War" bereits die zweite Spielfilmabhandlung zum Thema, die erste ist Michael Verhoevens "o.k." von 1970, die sich die zugrundeliegenden Ereignisse in einer Mischung aus journalistischer Akkuratesse und künstlerischer Verfremdung im bayrischen Wald zutragen ließ und im selben Jahr für einen Skandal bei der Berlinale und schließlich deren vorzeitigen Abbruch sorgte. De Palmas Version fällt im Vergleich dazu natürlich wesentlich glatter und konsumierbarer aus, bleibt als Beispiel gleichsam geschickter wie hemmungsloser inszenatorischer Gefühlsmanipulation jedoch umso stärker im Gedächtnis des Zuschauers haften. Die Szenen, die Oanhs Leidensweg beschreiben, sind von bis heute kaum mehr erreichter Intensität, was wahrwscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass sich das Ungeheuerliche hier ausnahmsweise nicht wie gewohnt in einem unabhängig produzierten oder sleazigen Undergroundfilm zuträgt, sondern in einem starbesetzten Hochglanz-Studiofilm, mit dem jungen Michael J. Fox als prononciert universellem Rezeptionsagenten. Hinzu kommt Ennio Morricones tragischer Score, der von der Panflöte bis hin zu Himmelschorälen alle Register pathetischer Filmmusik auf das Grandioseste zieht.
Anders als die aus derselben umfangreichen Kriegsfilmgeneration stammenden "Platoon" oder "Full Metal Jacket", die, womöglich zurückzuführen auf den hohen Wiedererkennungswert einzelner Szenen oder auch auf formal Triviales wie ihre treibende Songauswahl, eine gewisse allgemeine "kultische" Betrachtungsebene erreicht haben, ist "Casualties Of War" nach wie vor ein Film, den man sich phasenweise höchst ungern anschaut. Weil er zugleich unendlich traurig ist und sein Publikum darüberhinaus ohnmächtig und sprachlos zurücklässt. Desweiteren zeigt er die losgelöste Entmenschlichung junger amerikanischer Männer auf scheinbar realitätsfremdem Terrain auf eine so eingängige Weise wie kaum ein anderer Genrtefilm. Allein darin liegt, bei aller berechtigten Kritik an seinen Establishment-Wurzeln und seiner politischen Undifferenziertheit, sein hohes Verdienst.

9/10

Brian De Palma Vietnamkrieg Vergewaltigung Daniel Lang Transgression Kidnapping


Foto

THE LONGEST DAY (Ken Annakin, Andrew Marton, Bernhard Wicki/USA 1962)


"Wounds my heart with a monotonous languor."

The Longest Day (Der längste Tag) ~ USA 1962
Directed By: Ken Annakin/Andrew Marton/Bernhard Wicki

Ungeachtet der miesen Wetterlage starten die Alliierten am 6. Juni 1944 die Invasion in der Normandie und überrumpeln den Generalstab der Wehrmacht, der aufgrund seines Hochmut und seiner schlechten Organisation den Angreifern nur wenig entgegenzusetzen hat.

Ganz Darryl F. Zanucks Baby, sorgte dieses ehrgeizige, monumentale Projekt nicht nur für eine künstlerische Rehabilitierung des einstigen Tycoons, sondern beförderte ihn zudem zurück auf den Chefsessel bei Fox. "The Longest Day" zeichnet sich vor allem durch seinen unbedingten Willen zur Akkuratesse aus. Dieser sorgt zwar manches Mal dafür, dass "The Longest Day" einen semidokumentarischen Anstrich erhält, der ihn weg vom pathetischen Hollywood-Spektakel und hin zur authentizitätsbesessenen Geschichtsstunde rückt, dem ansonsten stets fesselnden Film tut dies jedoch keinen Abbruch. Ein weiteres großes Verdienst besteht noch in der beispiellosen Art seiner Kopilierung. Drei internationale (dabei jedoch recht unbedarfte, Zanuck und seinen Kommandos unterstehende) Regisseure waren für die nahezu gleichberechtigt nebeneinander stehenden Handlungsstränge verantwortlich und inszenierten mit jeweils landesentsprechender Besetzung und in der hauseigenen Sprache. Überhaupt war "The Longest Day" um 61/62 'the film to be in', was dazu führte, dass nicht nur die meisten hauseigenen Stars der Fox im Film zu sehen sind - darunter auch die vom "Cleopatra"-Set freigestellten Richard Burton und Roddy MacDowall -, sondern auch eine stattliche Anzahl deutscher, britischer und französischer Prominenz. Kaum eine Einstellung, in der nicht irgendein bekanntes Gesicht zu erhaschen wäre - was eine wirklich glaubhafte Realitätsanbindung letzten Endes natürlich völlig unmöglich macht. Dennoch ist und bleibt "The Longest Day" zumindest aus der historischen Perspektive der wichtigste Spielfilm über die alliierte Invasion.

9/10

Ken Annaki Andrew Marton Bernhard Wicki Historie period piece WWII Frankreich D-Day Militär Nationalsozialismus Rommel Cornelius Ryan


Foto

JACOB'S LADDER (Adrian Lyne/USA 1990)


"According to this, you're already dead."

Jacob's Ladder ~ USA 1990
Directed By: Adrian Lyne

Der Vietnamveteran und Postangestellte Jacob Singer (Tim Robbins) wird urplötzlich Zeuge mysteriöser Vorgänge und Visionen. Dämonische Gestalten scheinen ihn zu verfolgen und auch Personen aus seinem alltäglichen Umfeld wie seine Freundin Jessy (Elizabeth Peña) in ihr höllisches Spiel zu integrieren. Damit nicht genug, durchleben auch andere Männer aus Jacobs ehemaligem Platoon ähnliche Halluzinationen. Der Plan einer Sammelklage misslingt jedoch, da man offensichtlich von höchster Regierungsstelle den gesamten Kriegseinsatz der Männer zu verschleiern sucht. Zudem scheinen missliebige Zeugen kurzerhand ausgeschaltet zu werden. Was steckt wirklich hinter alldem?

Film als Agonie und Todestraum: Am Ende fügt sich alles, und ob Jacob und seine Kameraden an diesem diesigen, blutig endenden Tag in Da Nang wirklich nur miesen Shit geraucht haben oder doch zu unfreiwilligen Versuchskaninchen für aggressionsschürendes LSD geworden sind, wie es Jacobs herbeiphantasierter Botschafter Michael (Matt Craven) berichtet, behält der Film zu guter Letzt für sich. Es spielt auch überhaupt keine Rolle. Hier geht es um einen unter dem bereits herabsausenden Fallbeil ausgetragenen, finalen inneren Konflikt; Blitzlichter, letzte erotische Wunschträume, stream of consciousness. Das Ganze dargeboten mithilfe eines klar umrissenen, bildlichen Bibelkontexts um den Erzvater Jakob und die Himmelsleiter. Letzten Endes dreht sich "Jacob's Ladder" als ergreifender Antikriegsfilm mit gehobenem Verstörungspotenzial in der Tradition von "Johnny Got His Gun" ums Loslassen, um den überfälligen Übergang ins Jenseits, der nach den bösen Erfahrungen der letzten Tage erst wieder in Urvertauen umschlagen und bewerkstelligt werden muss. Eindeutige logische Scriptpatzer wie der, dass der 1971 versterbende Jacob im Zuge seiner Todesvision eine Party besucht, auf der erst drei Jahre später veröffentlichte Songs gespielt werden, muss man da wohl oder übel großzügig nachsehen. Auch wenn sie die Sinnsuche dieses ansonsten brillanten Films unnötig erschweren.

9/10

Adrian Lyne Vietnamkrieg period piece Drogen Militär New York Veteran Verschwörung


Foto

ALATRISTE (Augustín Díaz Yanes/E 2006)


Zitat entfällt.

Alatriste ~ E 2006
Directed By: Augustín Díaz Yanes

Der spanische Recke Alatriste (Viggo Mortensen) verdingt sich zwischen seinen Kriegseinsätzen für Phillip IV (Simon Cohen) in Flandern und anderswo als Söldner, der zuweilen auch für "inoffizielle" Missionen seitens des Königshauses missbraucht werden soll, meist jedoch die ihn umgebenden Ränke durchschaut. Ansobnsten scheint ihm ein Schutzengel hold zu sein, er überlebt diverse Intrigen, Verrat und Mordversuche, eine scheiternde Liebe und bewahrt seinen Ziehsohn Íñigo (Unax Ugalde) vor allerlei Unbill.

Basierend auf einer fünfbändigen Romanreihe um einen fiktiven Kriegshelden im 17. Jahrhundert präsentiert sich "Alatriste" als ebenso kostspieliges wie ambitioniertes Werk, das zugleich jedoch eindrucksvoll aufzeigt, dass und warum Hollywood von historisch gefärbten Abenteuern bereits traditionell deutlich mehr versteht. Formal gibt sich Yanes' Film weithin tadellos. Die Kostüme, Requisiten und set pieces sind von erlesener Authentizität, die Anbindung an reale geschichtliche Ereignisse offenbar geschickt verflochten. Hinzu kommen diverse Verweise an die zeitgenössische Malerei- und Kunstgeschichte; die Schlachten und Degenduelle werden alten Stichen gleich inszeniert. Leider zerfällt der recht lange "Alatriste" jedoch allzu häufig ins Episodenhafte. In abgehackter Windeseile prescht er durch einundzwanzig Jahre erzählter Zeit, versucht, neben dem Titelhelden noch diverse Nebencharaktere profund zu machen und scheitert letztlich an seinem unerfüllbaren Selbstanspruch. Bei aller Ästhetik und all seinen schönen Momenten wirkt der Film am Ende inkohärent und inkonsistent, als allzu desinteressiert an seinem Figureninventar und seinen vorgestellten Ereignissen. Gelegentlich aufkeimendes Pathos wirkt aufgesetzt und fehl am Platze und Mortensen, der offensichtlich engagiert wurde, um eine gewisses internationales Interesse zu evozieren, zuweilen unterfordert und gelangweilt. So gereicht es dem vor vorschüssigem Potenzial überschäumenden "Alatriste" leider nur zu einem durchschnittlichen Filmerlebnis.

6/10

Augustín Díaz Yanes period piece Spanien Achtzigjähriger Krieg Belgien Barock


Foto

MIRACLE AT ST. ANNA (Spike Lee/USA, I 2008)


"Defend yourself."

Miracle At St. Anna (Buffalo Soldiers '44 - Das Wunder von St. Anna) ~ USA/I 2008
Directed By: Spike Lee

New York, 1983: Urplötzlich zieht der Postangestellte Hector Negron (Laz Alonso) eine Luger und erschießt einen vor seinem Schalter stehenden Kunden (Sergio Albelli). Danach verstummt er zur Gänze. In Negrons Wohnung findet sich derweil der verschollen geglaubte Kopf einer florentinischen Statue an. Ein wackerer junger Reporter (Joseph Gordon-Levitt) entlockt dem mittlerweile einsitzenden Mörder schließlich die Wahrheit über seine Tat und das Kunstrelikt: Rückblende Toscana, Italien 1944: Vier versprengte G.I.s (Alonso, Derek Luke, Michael Ealy, Omar Benson Miller) der 92. Infanteriedivision finden sich nach einem Gefecht gegen die Wehrmacht abgeschnitten von ihren Vorgesetzten und versprengt in der Provinz wieder. Der körperlich hünenhafte, aber geistig etwas einfache Private Train nimmt aus einer zerstörten Kirche den kleinen, desorientierten Angelo (Matteo Sciabordi) und den Statuenkopf mit. In einem Gebirgsdorf finden die Männer und der Junge schließlich vorübergehenden Unterschlupf, derweil sich einheimische Partisanen und Deutsche heftige Gefechte liefern. Als schließlich die G.I.s auf die Partisanen treffen, wird die Situation brenzlig, denn einer von ihnen ist ein Verräter...

Coppola hat's getan, Kubrick hat's getan, De Palma hat's getan, Spielberg hat's getan, Mallick hat's getan, Eastwood hat's getan, bei Scorsese steht's noch aus - früher oder später muss wohl jeder in den letzten drei bis vier Jahrzehnten aktive, große amerikanische Filmregisseur seinen persönlichen Kriegsfilm vorlegen. Spike Lee fand das passende Sujet für jenes Epos in James McBrides Roman "Miracle At St. Anna", der um die Erlebnisse einiger Männer der 92. Infanteriedivision kreist, einem ausschließlich aus Afro-Amerikanern bestehenden, im Ersten und Zweiten Weltkrieg eingesetzten Regiment. Im Gedenken an die originären 'Buffalo Soldiers' des 19. Jahrhunderts trugen die Männer als Emblem einen Büffelaufnäher auf der Jackenschulter. Buch und Film entspinnen nun ein äußerst komplexes Handlungsgeflecht, das sich allzu wüster Stereotypisierung enthält, wenn auch nicht ganz ohne sie auskommt. Sämtliche der vorkommenden Personengruppen werden nochmals mehr oder weniger behutsam intradifferenziert: Bei den US-Soldaten gibt es den unfähigen weißen Offizier (D.B. Sweeney) sowie Konfliktpotential bezüglich der Umwerbung der einheimischen Schönen Renata (Valentina Cervi); die Provinzitaliener bestehen gleichsam aus Partisanen, Faschisten und apolitischen Dorfbewohnern, die Deutschen verfügen über die böse SS und die gutherzigen Landser, die anno 44 längst keinen Bock mehr auf den Waffendienst hatten. Über allem steht jedoch der kleine Angelo, ein als Zeuge eines Massenmordes durch die SS schwer traumatisiertes, zugleich jedoch spirituell angehauchtes Kind, das seinen Retter Train, dem "Schokladenriesen", ersteinmal prüfend über die Wange leckt. Dass die Aufopferung der vier Männer für den Jungen von schicksalhafter Vorzeichnung geprägt ist, wird Hector rund vierzig Jahre später erfahren, als es an ihm ist, gerettet zu werden. "Miracle At St. Anna" steht in der Tradition klassischer Kriegsdramen wie "The Seventh Cross", "The Search" oder "The Mortal Storm" und erweist sich bei aller berechtigten Kritik an seinem nicht immer klischeefreien Ablauf (speziell das beinahe grenzsurrealistische Ende mitsamt Abspann ist sicherlich nicht unproblematisch) als insgesamt noch ebenso aufwühlend und fesselnd wie seine großen Vorbilder. Dass die allgemeine Rezeption Lees ehrgeizigem Film mit solchem Zaudern begegnet, kann ich nicht recht begreifen.

8/10

Spike Lee James McBride WWII Italien Freundschaft Kinder Nationalsozialismus Historie period piece Rassismus Toskana


Foto

NEW KIDS TURBO (Steffen Haars, Flip Van der Kuil/NL 2010)


"Godverdomme."

New Kids Turbo ~ NL 2010
Directed By: Steffen Haars/Flip Van der Kuil

Der blonde Vokuhilaträger und Mantafahrer Richard (Huub Smit), stolzer Einwohner des beschaulichen Städtchens Maaskantje, staunt nicht schlecht, als er und seine Kumpels im Zuge der Wirtschaftskrise aus ihren Jobs gefeuert werden und künftig von der Stütze leben sollen. Aber warum nicht - Geld kriegen ohne dafür was tun zu müssen ist doch geil. Nur dumm, dass die Penunze nach ein paar Bier- und Chipseinkäufen schon aufgebraucht ist. Eine harsche Attacke auf den zuständigen Beamten bringt die Jungs auch nicht weiter, im Gegenteil: Jetzt gibt's gar nichts mehr vom Staat, stattdessen kassiert man Handy, Auto, Strom - und somit jedwede Existenzgrundlage. Unterstützt von einem TV-Dokumentationsteam und der öffentlichen Meinung hilft da nurmehr anarchische Gegenwehr: Man klaut, was man braucht. Das lässt sich das holländische Verteidigungsministerium jedoch nicht gefallen; das entfesselte Maaskantje wird zum geplanten Ziel eines Raketenangriffs, dem jedoch das Nachbarstädtchen Schijndel zum Opfer fällt. Kurzerhand besorgen die New Kids sich ein ganzes Arsenal Wehrmachtswaffen aus dem Zweite Weltkrieg und treten den Kampf gegen die Regierungstruppen an.

Von meinem lieben Freund Oliver Nöding, seit Jüngstem erklärter Fan des vorliegenden Epos, fand ich mich gestern mit der notwendigen Behutsamkeit in den höchst bizarren Mikrokosmos der "New Kids" eingeführt, die bis dato weitestgehend an mir vorüberoszilliert waren, vornehmlich wohl, weil mir das reichlich obsolete Erscheinungsbild des Quintetts stets suspekt erschien. "Für Manta-Witze", so in etwa mein durch rein optische Eindrücke evozierter Gedankengang, "ist die Zeit doch wohl längst abgelaufen". Weit gefehlt: Diese fünf Herren (wobei, die New Kids als "Herren" zu titulieren käme einer unverschämten Beleidung eines jeden echten Herrn gleich), waschechte Repräsentanten des westeuropäischen Bildungs-Sub-Sub-Prekariats, markieren tatsächlich so etwas wie einen bärbeißigen Kommentar zur Ellbogenökonomie unserer Zeit. Mithilfe ihrer weitestgehend ausgehöhlten Verstandesblitze reagieren die New Kids auf die urplötzlich anberaumte monetäre Bevormundung des Staates und nehmen sich einfach so, was sie brauchen - ohne zu fragen und mit Fressepolieren. Die sozialkritisch-satirische Dimension dieses pseudopolitischen Existenzstatements ist sicherlich prinzipiell unangreifbar - im Gegensatz möglicherweise zu den garantiert grellen, geschmacklosen und zu geiferndem Gröhlen geeigneten Parawitzen, die das Ganze flankieren und die böse Zungen als "eigentlich doch vollkommen unnötig" verdammen mögen. Niemand in unserer schönen neuen Kapitalismuswelt, am Allerwenigsten die ohnehin Schutzlosen wie kleine Kinder, Schwangere, Behinderte und ethnische Randgruppen, ist sicher vor dem scharf verschossenen Denunzierungsfeuer von Haars und Van der Kuil. Stattdessen eröffnen sie dem allseits beliebten Reservoir politischer Unkorrektheit sogar ganz neue Welten und versäumen es dabei nicht, bei aller rezeptorischen Übersteuerung zum Nachdenken anzuregen.

8/10

New Kids Niederlande Flip Van der Kuil Groteske Satire Steffen Haars


Foto

LAWRENCE OF ARABIA (David Lean/UK 1962)


"My fear is my concern."

Lawrence Of Arabia (Lawrence von Arabien) ~ UK 1962
Directed By: David Lean

Der während des Ersten Weltkriegs in Kairo stationierte britische Leftenent T.E. Lawrence (Peter O'Toole) erhält den Auftrag, auf der arabischen Halbinsel den Beduinenscheich Faisal (Alec Guinness) aufzusuchen und ihn im Kampf gegen die Türken zu beraten. Bei Faisal angelangt, fasst Lawrence den eigenmächtigen Plan, mit fünfzig von Faisals Männern, darunter der mutige Sherif Ben Ali (Omar Sharif) die als unüberwindbar geltende Wüste Nefud zu durchqueren und die türkische Küstenfeste Akaba von der unbewachten Landseite her anzugreifen. Nachdem das Unmögliche gelungen ist und die britische Kommandatur in Kairo informiert wurde, soll Lawrence mit den geeinten arabischen Stämmen einen Guerillakrieg gegen die türkischen Besatzer führen. Seine Gefangennahme und Folter durch einen feindlichen Bey (José Ferrer) hinterlässt tiefe psychische Narben bei ihm, deren Auswirkungen in einer blutigen Racheaktion gegen eine türkische Garnison kulminieren. Die Einnahme von Damaskus markiert Lawrences letzte große Militäraktion, bevor er nach England zurückkehrt.

Nicht der schönste von Leans Monumentalfilmen, das ist und bleibt für mich "Dr. Zhivago", dafür jedoch sein ausgewogenster und in Bezug auf die Darstellung eines Charakters wahrscheinlich sorgfältigster. In kaum einem anderen Werk dieser Prägung wird das gattungsinhärente Missverhältnis zwischen komplexer Persönlichkeitszeichnung und bedingungslosen Schauwerten so kompromisslos ausgehebelt. Im Laufe des Films findet sich die all over England rückblickend frenetisch gefeierte Person des T.E. Lawrence nach und nach ihres mythischen Sockels entledigt und sein Wesen parallel dazu dergestalt heruntergeschält, dass am Ende ein nunmehr befremdlicher, gebrochener Mensch zurückbleibt, der seiner historisch übermächtigen Reputation kaum mehr gerecht werden kann. Nach diversen zuvor als unmöglich eingestuften Aktionen muss der sich auch selbst immens verklärende Mann sich eingestehen, dass er nicht nur keineswegs allmächtig ist, sondern dass er darüberhinaus an seinen inneren und den von außen an ihn herangetragenen Ansprüchen zu zerbrechen droht. Als sich der gewaltige, an ihn gerichtete Erwartungsdruck nach der Einnahme von Damaskus, die die Unmöglichkeit einer langfristigen Einigung der teils seit Generationen verfehdeten arabischen Stammesfürsten transparent macht, in Wohlgefallen auflöst, ist auch Lawrences "Intervention" in Arabien beendet. Von jetzt an finden sich die weiteren Konflikte zwischen Besatzern und landesstämmischer Bevölkerung vornehmlich auf dem Papier ausgetragen und er selbst sich als in diesem Teil der Welt nicht weiter von Belang.
Eines T.E. Lawrence' Entwicklungsgeschichte lässt sich kaum ohne eine gewaltige Visualisierung der ihn begleitenden Ereignisse schildern und für ebendiese Gratwanderung war David Lean fraglos der beste Mann zur Zeit. Wenngleich sein Produzent Sam Spiegel das gewaltige Werk zeitweilig um bis zu runden vierzig Minuten heruntergekürzt hatte, fand sich "Lawrence" knappe drei Jahrzehnte nach seiner Uraufführung dank des eifrigen Restaurators Robert Harris in einer der integralen Fassung zumindest sehr nahe kommenden Version wieder, die man nunmehr umweglos genießen kann. In dieser vollendeten Form taugt "Lawrence" vorzüglich dazu, einem jeden die Phrase von 'filmischer Pracht' nahezubringen, ohne sich in ausufernden verbalen Blumigkeiten zu versteigen. Danach fällt einem dann erstmal gar nichts mehr ein.
Watch it, be amazed and weep gently.

10*/10

David Lean WWI Arabien Naher Osten Wüste Biopic Kolonialismus Best Picture Syrien


Foto

CAST A GIANT SHADOW (Melville Shavelson/USA 1966)


"I'm so damn tired of being proud of you."

Cast A Giant Shadow (Der Schatten des Giganten) ~ USA 1966
Directed By: Melville Shavelson

1946 kommt der während des Zweiten Weltkrieges an der Invasion der Alliierten beteiligte US-Offizier David Marcus (Kirk Douglas) als Militärberater nach Palästina. Für den jüdischstämmigen Kriegshelden zählt seine ethnische Identität nicht viel - außerdem empfindet er die planlose militärische Situation der Israelis vor Ort als katastrophal. Dennoch schafft er es aller Widerstände zum Trotze, die politischen Splittergruppen zu einen und eine gewisse Kampfausbildung zum Standard zu machen. Schließlich wird er der erste General des neuen Staates Israel und leistet wichtige Schützenhilfe bei der Befreiung Jerusalems.

Anders als der thematisch anverwandte, jedoch deutlich ambitionierter wirkende "Exodus" sieht sich "Cast A Giant Shadow" als reines Action- und Starvehikel, dessen politische Botschaft irgendwo im Explosionsrauch verweht. Von ernstzunehmender politischer Vehemenz kann aber ohnehin kaum die Rede sein. In einigen Rückblenden wird David Marcus bereits als kerniger amerikanischer Held mit klarer Vision gezeichnet sowie als ein Mann, der seine private Erfüllung vornehmlich in der Kriegsführung findet. Seine Frau (Angie Dickinson) wähnt sich daheim vernachlässigt, derweil Marcus amourösen Fremdabenteuern im Wechsel mit dem kombattanten Clinch auf der anderen Seite des Globus nicht abgeneigt ist.
Für den wie immer siegesgewiss grinsenden Kirk Douglas war der Film sowohl Herzensangelegenheit als auch überschwängliche Star-Auto-PR. In Gastrollen treten Frank Sinatra, Yul Brynner und John Wayne auf, der sich als mit seiner Performance als dickschädliger General Randolph inoffiziell für Douglas' vorjährige Appearance im Wayne-Vehikel "In Harm's Way" revanchierte. Später traten beide Akteure dann nochmal in gleichberechtigten Parts in Burt Kennedys "The War Wagon" auf. Senta Berger als Marcus' israelische Geliebte lässt angesichts der sie umgebenden Starpower sehr selbstbewusst durchscheinen, welch atemberaubende Schönheit sie ist. Ansonsten ist "Cast A Giant Shadow" allerdings nicht vieler weiterer Worte wert. Man kann ihn wohl gleichermaßen als abenteuerlichen Kriegsfilm vor historisch nicht ganz alltäglichem Hintergrund schätzen oder ihn als imperialistische Männerfantasie verdammen. Beides geht, nichts muss. Ich mag ja solche bunten Breitwand-Trivialismen, "aber des wissen's eh" (in memoriam Kasi).

7/10

Naher Osten Israel Nahost-Konflikt period piece Historie Biopic WWII Ethnics Kolonialismus


Foto

SAVING PRIVATE RYAN (Steven Spielberg/USA 1998)


"Fubar."

Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan) ~ USA 1998
Directed By: Steven Spielberg

Juni 1944: Just nach der unter großen Verlusten bewältigten Invasion am Omaha Beach erhält Captain John Miller (Tom Hanks) den Spezialauftrag, einen Private names Ryan (Matt Damon) ausfindig zu machen und umgehend nach Hause zu schicken. Ryans drei Brüder sind allesamt im Kampf gefallen und die Kommandatur möchte der Mutter weiteres Leid ersparen. Zusammen mit sieben Männern, darunter ein Hals über Kopf als Dolmetscher eingesetzter Corporal (Jeremy Davies) ohne jegliche Kampferfahrung, zieht Miller Richtung Inland, um Ryan aufzutreiben...

Als Regisseur leistet Spielberg erneut Vorzügliches, Inszenierung und historisch-moralischer Anspruch entfernen sich im Falle "Saving Private Ryan" jedoch soweit voneinander wie bei keiner anderen seiner Arbeiten. Als narrative Klammer präsentiert der Film und eine vor bleichem Sonnenlicht wehenden US-Flagge, und endet mit dem gealterten James Ryan (Harrison Young), der in der Gegenwart vor Millers Soldatengrab salutiert. Mit dieser singulären Geste rechtfertigt der Film, möglicherweise auch unbewusst, nicht nur die globalschichtlich praktizierte Interventionspolitik der USA, sondern zugleich ihren noch immer unverhohlenen Selbstanspruch als Weltpolizei.
Die Diskrepanzschere klafft ausgerechnet hier, am Ende des Films, am Weitesten auseinander; zum Abschluss eines infolge seiner mitreißenden Actionszenen, die mit ihrem Realitätsanspruch Vergleichbares aus jedem anderen Kriegsfilm mühelos in den Schatten stellenden Werks. Die Inszenierung der Invasion vom 6. Juni, die einen ganzen Küstenabschnitt vor der Normandie in Blut taucht, ist, das weiß man, von denkwürdiger Intensität, Giovanni Ribisis Bauchschuss-Sterbeszene die einzige mir präsente Filmsequenz, bei der mir nachhaltig flau wird, die finale Schlacht um eine strategisch wichtige Brücke schließlich lässt berühmte Stadtschlachtszenen wie die in Kubricks "Full Metal Jacket" und Vilsmaiers "Stalingrad" förmlich 'alt' aussehen.
Dennoch: Am Ende ist und bleibt "Saving Private Ryan" ganz in den üblichen, hergebrachten Bahnen des dramaturgisierten Kriegsfilms stecken und ist damt nicht besser oder schlechter als zig andere sogenannte "Antikriegsfilme" aus Hollywod. Seine Sache macht er soweit also gut, aber die unmögliche Prolog-/Epilog-Zwangsjacke gräbt ihm unnötigerweise eine Menge Wasser ab.

7/10

Steven Spielberg WWII D-Day period piece Historie Frankreich


Foto

SCHINDLER'S LIST (Steven Spielberg/USA 1993)


"Whoever saves one life, saves the world entire."

Schindler's List (Schindlers Liste) ~ USA 1993
Directed By: Steven Spielberg

Der profitgierige Lebemann Oskar Schindler (Liam Neeson) kommt im Zuge der Wehrmachtsinvasion nach Krakau, macht sich dort mittels allerlei Zuwendungen zum Lieblingskind der SS-Spitze und kauft ein altes Fabrikgelände auf, um eine Emaille-Fabrik daraus zu machen. Als Arbeitskräfte beschäftigt er ausschließlich Juden aus dem Ghetton und dem späteren Arbeitslager Plaszow. Bei der Auswahl unterstützt ihn tatkräftig sein Buchhalter Itzhak Stern (Ben Kingsley). Mit der Ankunft des mordlustigen SS-Offiziers Amon Göth (Ralph Fiennes) in Krakau wird aus Schindlers Bemühen um seine jüdischen Werkstätigen ein steter Kampf, der seinen Höhepunkt findet, als die "Endlösung" mehr und mehr Gestalt annimmt: Zusammen mit Stern erstellt Schindler eine Liste von etwa 1.100 Menschen, die er angeblich als Arbeiter in einer neuen Munitionsfabrik bei Brünnlitz benötigt und die er so vor dem sicheren Tod in Auschwitz bewahrt.

Mit dem neben Polanskis "The Pianist" beeindruckendsten Spielfilm über den eigentlich höchst dramaturgiefeindlichen Themenkomplex 'Holocaust' schuf Spielberg sich nicht nur selbst ein filmisches Denkmal, sondern zugleich ein kulturelles Jahrhundertwerk. Er wagte es, das Unaussprechliche in karge Bilder zu kleiden, die unbändige Kraft des nackten Überlebenswillens und der Hoffnung ebenso zu zeigen wie die unbarmherzigen, existenzfeindlichen Vernichtungsmechanismen der Nazis. Dabei ist "Schindler's List" vor allem die Geschichte eines allmählichen Gesinnungswandels und die des Duells zweier dickköpfiger, schachernder Individuen, das über Gaskammern und Schornsteine hinweg über 1.100 Existenzen entscheidet, eine im Prinzip ungeheure Perfidie in einer Zeit, die nurmehr Perfidie kannte. Über Schindlers Person mag man sich streiten, über jenen notorischen Opportunisten, Fremdgänger, Säufer und Kapitalisten, der aus dem Krieg Profit schlägt, sich als NSDAP-Mitglied bei den Braunhemden anbiedert und später seine Ehe zerbrechen lässt. Nicht jedoch über seine Taten: Aus dem Egozentriker wird nach und nach ein Altruist, der sein für ihn so bedeutsames Hab und Gut sowie sein gesamtes zuvor erwirtschaftetes Geld opfert, um seine Liste durchzuprügeln bei dem geisteskranken Amon Göth, einem Mensch gewordenen Nazi-Albtraum par excellence.
Spielberg kassiert noch immer viel Kritik für seinen Ansatz, den Holocaust in massentaugliches Entertainment gekleidet sowie Humor und Spannung als dramaturgische Mittel in einem Film solcher motivischen Färbung verwandt zu haben. Blödsinn. Ein Werk wie dieses benötigt Popularität, keine elitären Rezipientenkreise. Er sollte von jedem gesehen und erfahren werden, zum Pflichtprogramm in Schulen gehören, am besten gleich mehrfach. Nicht, weil es sich um die treffendste kulturelle Abhandlung über die Judenvernichtung gehört, sondern gerade wegen ihrer unumständlichen Konsumierbarkeit. Selbstverständlich wäre es ebenso angeraten, "Le Chagrin Et La Pitié", "Shoah" oder "Hotel Terminus" zu sehen, aber es darf bei diesem Thema nicht um werkimmanente Ansprüche gehen. Es braucht keinen besonderen Rezeptionsgewohnheiten oder Bildungsghintergründe, um "Schindler's List" zu fühlen und zu begreifen; er verfügt über die nötige Kraft, sich selbst verständig zu machen. Gerade das macht ihn so ungeheuer kostbar.

10/10

Steven Spielberg Holocaust WWII Polen Krakau Auschwitz Bonvivant Duell Madness Ethnics Thomas Keneally Best Picture





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare