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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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WRONG TURN 3: LEFT FOR DEAD (Declan O'Brien/USA, D 2009)


"Don't you ever trust a con."

Wrong Turn 3: Left For Dead ~ USA/D 2009
Directed By: Declan O'Brien

Zur Stillung seines unerschöpflichen kannibalischen Appetits hat sich der hinterwäldlerische Inzest-Mutant Three Fingers (Borislav Iliev), nachdem er bereits drei Rafter vorratskammertauglich aufbereitet hat, einen nächtens durch das Gebiet fahrenden Gefangenentransport auserwählt. Darin befindet sich unter anderem der Chicano-Schwerverbrecher Chavez (Tamer Hassan), mit dem nicht gut Kirschenessen ist. Nachdem Three Fingers den Wagen fahruntauglich gemacht hat, jagt er die Insassen durch die Wildnis und wird gleich noch saurer, als Chavez seinen Sohn (Borislav Petrov) enthauptet. Wachmann Nate (Tom Frederic) versuht derweil, einen halbwegs kühlen Kopf zu bewahren.

Im Vergleich zum unmittelbaren Vorgänger unbefriedigendes zweites DTV-Sequel, das infolge das permanenten Verbalgepöbles der idiotischen Knackis, mit dessen Hilfe die Erzählzeit deutlich überstrapaziert wird, nervt. Wie bei jüngeren DTV-Produktionen üblich, zog man für den Dreh nach Osteuropa, um die Herstellung noch kostensparender zu gestalten. Mit dem Geld ging jedoch vermutlich auch mancherlei kreative Ambition flöten: Anstelle wohlfeilen Gemetzels, wie es in einem Film dieser Kuleur wünschenswert wäre, tapern die Flüchtigen bei Dunkelheit im Kreis durch den Wald und lassen sich, dämlich wie sie sind, immer wieder durch die Attacken des Kannibalen überraschen. Seiten werden gewechselt, Allianzen geschlossen und wieder aufgebrochen und mit zunehmender Lauflänge die Geduld des Zuschauers arg überstrapaziert. Abgesehen vom halbwegs netten Schlussgag ein ziemlich lausiger Film, dessen paar launig ausgebrütete Effekte wie der mit dem gigantischen Eierschneider ihn noch so eben vor dem Totalausfall bewahren.

4/10

Declan OBrien Backwood Slasher Splatter Exploitation Sequel DTV Kannibalismus Appalachen undercover


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WRONG TURN 2: DEAD END (Joe Lynch/USA 2007)


"Birth defects? No shit."

Wrong Turn 2: Dead End ~ USA 2007
Directed By: Joe Lynch

Eine in den Wäldern West Virginias stattfindende Survival-TV-Show, in denen vier Paare ein einwöchiges Überlebenstraining exerzieren sollen, avanciert zu tödlichem Ernst, als eine Familie deformierter Hillbilly-Kannibalen Jagd auf die Teilnehmer macht und die meisten von ihnen aufs Übelste verhackstückt.

Spaß-Splatter wie er sein soll: Selbstzweckhaft, konzeptionell krank und lustvoll widerwärtig, mit einem stets breiten Fuß jenseits der Grenze des guten Geschmacks. Im ersten von mehreren DTV-Sequels zu Rob Schmidts bereits hübschem Original tritt Joe Lynch ordentlich aufs Gore-Pedal und lässt gleich zu Anfang keinen Zweifel daran, dass die nächsten neunzig Minuten keine Gefangenen machen werden. Die Mutanten, deren genetische Derangierung auf den Chemikalien-Ausfluss einer stillgelegten Papierfabrik zurückgeführt wird, zeigt Lynch als abstoßenden Menschenmüll, dessen Existenzwert noch weit hinter jenem der Backwood-Familien aus "TCM" oder "The Hills Have Eyes", die ja immerhin noch als wahnsinnig oder zumindest als Opfer eines ausbeuterischen Systems charakterisiert werden, anzusiedeln ist und dessen Porträtierung ihm 35 Jahre zuvor böse Faschismus-Vorwürfe eingebracht haben dürfte. Heutzutage aber lässt sich der schwarze Humor, dessen es wohl zwangsläufig bedarf um "Wrong Turn 2" in all seiner satten Blutwürstigkeit genießen zu können, recht problemlos aufbringen. Es geht hier schlichterdings darum, Menschen und Menschenähnliche sich auf möglichst spektakuläre Weise gegenseitig abschlachten und (unfreiwillige) Tabubrüche begehen zu sehen. In der antimoralischen Perfektion, die "Wrong Turn 2" diesbezüglich aufbringt, ist er fast schon beängstigend.

7/10

Joe Lynch Sequel DTV Splatter Slasher Backwood Exploitation Appalachen Virginia Kannibalismus


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LEPRECHAUN (Mark Jones/USA 1993)


"I need me gold!"

Leprechaun ~ USA 1993
Directed By: Mark Jones

Der alte Dan O'Grady (Shay Duffin) hat in Irland einen Leprechaun (Warwick Davis) überlistet und ihm dessen Sack voll Goldmünzen entwendet. Um den aggressiven Sagenzwerg zu bannen, sperrt O'Grady ihn im Keller seines Hauses in eine Holzkiste und beschwert diese mit einem vierblättrigen Kleeblatt - der einzige Weg, einen Leprechaun zu schwächen und in Schach zu halten. Doch diese Maßnahme nützt O'Grady nicht viel - er bekommt einen Schlaganfall und landet im Pflegeheim. Zehn Jahre später ziehen J.D. Reding (John Sanderford) und seine verwöhnte Tochter Tory (Jennifer Aniston) in O'Gradys Haus. Es dauert nicht lang, bis der Leprechaun befreit wird und umgehend nach seinem Schatz sucht - dabei wird jeder, der ihn aufzuhalten versucht oder mit dem Gold in Verbindung kommt, gnadenlos attackiert. Zusammen mit dem Anstreichertrio Nathan (Ken Olandt), Ozzie (Mark Holton) und Alex (Robert Gorman) bekämpft Tory den fiesen Leprechaun mit allen Mitteln.

Aus dem damaligen kleinen Fantasy-Slasher ist mittlerweile ein stattliches DTV-Franchise geworden, das bereits fünf Fortsetzungen, denen ich mich in den nächsten Tagen widmen werde, sowie ein momentan in der Produktion befindliches Prequel nach sich zog.
Die frühen Neunziger markierten eine etwas ratlose Periode angesichts der damals stagnierenden Horror- bzw. Slasher-Franchises, die in der Vordekade aus dem Boden gestampft worden waren und florierten: "Halloween", "TCM" und "A Nightmare On Elm Street) hatten gerade längere Auszeiten durchzustehen und wechselten teilweise die Rechte-Schirmherren, bei "Friday The 13th" war dies bereits geschehen und Jason Voorhees wurde auch onscreen zu seiner eigenen Essenz regradiert, "Phantasm", "Basket Case" oder "Hellraiser" verflachten zusehends und für Remakes oder Reboots war die Zeit aufgrund der Publikumsstruktur noch nicht reif. Effektorientierter Horror war nicht mehr recht en vogue und alternative Ideen mussten her. Eine davon schlug sich im "Leprechaun" nieder, einem unübersehbar als slasher comedy für ein halbwüchsiges Publikum konzipierten Fantasy-/Horrorstreifen, der sich mit seiner eher possierlichen Titelfigur im Fahrwasser von Filmen wie "Gremlins", "Critters", "The Gate" oder "The Monster Squad" bewegte: Die Helden und Widerstreiter des/der Monster(s) befinden sich im (teils jüngeren) Teenager-Alter und bieten sich somit auch als Identifikationsfiguren für eine gleichaltrige Rezipiemtenschaft an, die Atmosphäre bleibt stets abenteuerlich und vergleichsweise licht unter Verzicht auf tatsächlich grauen- oder gar albtraumhafte Szenarien. Das bedeutet zugleich, dass angesichts der stark veränderten Sehgewohnheiten nunmehr ein auf reine Evokation zielender Konsum dieses Films weitgehend ausgeschlossen ist und man sich ihm aus anderer Perspektive nähern muss. In seiner gestalterischen Ambition ist er nämlich durchaus ansehnlich, die Ideen um den Goldsack am Ende des Regenbogens, Leprechauns Schuhputz-Ambitionen oder auch um Mark Holton als etwas zurückgebliebenem Schelm und heimlichen Helden überzeugen. Ganz bestimmt kein Spätgewinner oder besonderer Wiederentdeckungskandidat aber für eine Genrechronologie von Wert.

6/10

Mark Jones Sage Leprechaun Slasher Kalifornien


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THE AMBULANCE (Larry Cohen/USA 1990)


"I assure you you'll be in perfect health when you die!"

The Ambulance ~ USA 1990
Directed By: Larry Cohen

Der bei Marvel Comics angestellte Zeichner Josh Baker (Eric Roberts) interessiert sich für eine junge Dame, die ihm in jeder Mittagspause auf der 5th Avenue über den Weg läuft. Als er eines Tages den Mut findet, Cheryl (Janine Turner) anzusprechen, währt die Kennenlernfreude nicht lang: Cheryl klappt auf der Straße zusammen und wird kurz darauf von ein paar Sanitätern in einen Krankenwagen älteren Baujahrs geladen und abtransportiert. Als Josh sie am Abend in der Unfallklinik besuchen will, hat dort niemand Cheryl gesehen - sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Der alternde Lieutenant Spencer (James Earl Jones), an den Josh sich daraufhin wendet, hält seine Story von dem mysteriösen Krankenwagen für höchst fadenscheinig - und doch verschwindet bald auch Cheryls Mitbewohnerin (Jill Gatsby), die, wie Josh erfährt, wie Cheryl Diabetikerin ist. Zusammen mit der emsigen Polizistin Sandra (Megan Gallagher) und dem Senior-Journalisten Elias (Red Buttons) kommt Josh bald darauf einem illegal praktizierenden Chirurgen (Eric Braeden) auf die Spur, der mit einer landesweit operierenden Organisation für menschliche Versuchsobjekte zusammenarbeitet. Und dieser lässt sich nicht gern in die Karten schauen...

Einer von Larry Cohens Ausflügen in den Suspense, der vor allem hitchcockschen Erzählstrukturen immens viel verdankt: Ein unbescholtener, großstädtischer Angestellter kommt einem grenzfantastischen Komplott auf die Spur, wird von offizieller Stelle für unzurechnungsfähig erklärt und muss daraufhin auf eigene Faust gegen die Übeltäter ermitteln. Anders als beim Altmeister gibt es hier jedoch keine landesfeindlichen Spionageaktivitäten, Saboteure oder Verräter, sondern, und da wird die Brücke zum von Cohen stets kultivierten B-Movie-Kosmos geschlagen, einen wahnsinnigen Arzt, mit sadistischen Neigungen, der an seinen unfreiwilligen Patienten medizinische Experimente mit nur allzu bereitwillig akzeptierter Todesfolge praktiziert. "The Ambulance" ist daher auch in erster Linie eine schwarze Komödie, deren Besetzung durch die Bank lustvoll überagiert: Eric Roberts mit verbrecherischem Vokuhila-Schnitt praktizierte derzeit offenbar eine großzügig unterfütterte Kokain-Therapie, James Earl Jones karikiert seine Rolle buchstäblich bis zum letzten Atemzug und der alte Red Buttons ist einfach nur putzig - wobei er das ja eigentlich immer schon war. Der legendäre Marvel-Wizard Stan Lee hat einen bezaubernden Auftritt als er selbst mit deutlich mehr Text als in seinen jüngeren Cameos, der damaligen Comicnerds das Feuchte in die Augen getrieben haben wird; ebenso wie die Einblicke in Marvels Zeichenetage, die von Werken von Frank Miller (Joshs Cheryl-Zeichnung) und Gene Colan (Dr. Strong) gesäumt ist und offenbar einen Ausdruck von Cohens persönlicher Liebe zum Medium darstellt. Allein diesbezüglich lohnt "The Ambulance" bereits, wenngleich er auch sonst einen gleichermaßen unkonventionellen wie aufreizend lässig inszenierten Genrebeitrag bietet.

8/10

Larry Cohen New York mad scientist Marvel Kidnapping Medizin


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A STREETCAR NAMED DESIRE (Elia Kazan/USA 1951)


"The blind are leading the blind."

A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht) ~ USA 1951
Directed By: Elia Kazan

Die Southern Belle Blanche DuBois (Vivien Leigh) kommt während des Hochsommers zu ihrer Schwester Stella (Kim Hunter) nach New Orleans. Stellas Mann Stanley Kowalski (Marlon Brando), einen lauten, verschwitzenden Arbeiter, kennt Blanche noch nicht, ebensowenig wie das Milieu, in dem die beiden hausen: Das Einwandererviertel Elysian Fields, in dem alles etwas einfacher und lärmender zugeht als es die frühere Literaturlehrerin Blanche gewohnt ist. Mit Stanley trifft sie auf eine völlig diametrale Existenz und von Anfang an ist ihr Verhältnis von Spannungen und gegenseitiger Abgestoßenheit geprägt. Als herauskommt, dass Blanches jüngere Vergangenheit in keinster Weise zu ihrem hochmütigen Auftreten passt, ist die Katastrophe nicht mehr fern.

Eine völlig neurotische Frau auf der Flucht vor sich selbst benötigt zur Gesundung eine sensible Therapie - und trifft stattdessen auf den größten Proleten der Stadt. Tennessee Williams' klassisches Drama, ein in jeder Hinsicht umstürzlerisches Werk für Hollywoods silver age, ist noch heute von einer ungebrochenen Spannkraft und vermag sein transgressives Potenzial, das sich aus der systematisch-konfrontativen Zerstörung einer ohnehin fragilen Psyche ergibt, nach wie vor bravourös zu entfalten. Dem ist vor allem auch die von Elia Kazan geschaffene, filmische Atmosphäre zuträglich: Mit drei Ausnahmen genügt ihm das Haus der Kowalskis im New Orleans-Slum Elysian Fields als lokaler Dreh- und Angelpunkt; die schwülen Nächte von Louisiana, in denen die Gerüche von Schweiß, Triebhäftigkeit und billigem Bourbon die stickige Urbanität anreichern, rücken in greifbare Nähe. Vor dem Fenster ziehen abends Hot-Dog- und morgens Bananen-Verkäufer durchs Viertel und in der Nacht eine gespenstische, alte Mexikanerin, die 'flores por los muertos' anbietet - "Blumen für die Toten". Vor dieser Kulisse entwickelt sich Blanche DuBois' Reise in den Wahnsinn, die durch Stanleys schlussendlich in einer Vergewaltigung kulminierenden Grobhaftigkeit nochmals forciert wird. Die pathologisch-nymphomanische, minderjährige Jungen bevorzugende Frau, deren sexuelle Vorlieben bereits im stark aufgeladenen Spannungsfeld zwischen ihrer ständischen Herkunft und Erziehung stehen, hält der maskulinen, tierischen Gewalt Stanleys, der sie als arrogantes Püppchen zweifelhafter Natur verlacht, nicht Stand. Seinen endgültigen "Sieg" über Blanche feiert er in jener Nacht, als Stella zur Niederkunft im Krankenhaus liegt und sein Baby gebiert. Zuvor hat Blanches letzte Chance der Rückkehr in die akzeptierte Bürgerlichkeit in der Person von Stanleys Kumpel Mitch (Karl Malden) ihr den Rücken zugekehrt. Kurz darauf holt sie ein mobiler Hilfsdienst in die Anstalt. Blanche ist fort und in Elysian Fields geht alles wieder seinen gewohnten Gang: Arbeit, Poker, Bowling, Bier, und hier und da mal einen Klaps, wenn die Holde nicht spurt - sie kommt ja ohnehin stets zurück.

10/10

Elia Kazan based on play Tennessee Williams New Orleans Ehe Madness Vergewaltigung Sommer Nacht Südstaaten


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REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE (John Huston/USA 1967)


"You disgust me."

Reflections In A Golden Eye (Spiegelbild im goldenen Auge) ~ USA 1967
Directed By: John Huston

Im Südstaatenfort, an dem dem das Offizieresehepaar Pendleton lebt, stehen diverse Gemüter kurz vor der Explosion: Major Pendleton (Marlon Brando) ist von seiner ihn betrügenden Frau Leonora (Elizabeth Taylor) angewidert, weniger, weil sie ihn hintergeht, sondern weil er als aufrechter Soldat nicht zu seiner Homosexualität stehen kann. Heimlich verguckt er sich in den zugleich als Pferdepfleger tätigen Private Williams (Robert Forster), der jedoch keinerlei Interesse an Pemdleton, dafür umso mehr an Leonora zeigt. Diese trifft sich derweil mit Colonel Langdon (Brian Keith) und nutzt die gemeinsamen allmorgendlichen Ausritte zu regelmäßigen Techtelmechteln, eidieweil ihr ihr Gatte im Bett nicht zur Verfügung steht. Langdons Frau leidet seit dem Tod ihrer kleinen Tochter unter schweren Neurosen, bei deren Bewältigung ihr nicht ihr Mann, sondern das exzentrische, philippinische Hausfaktotum Anacleto (Zorro David) hilft. Als Pendleton Williams dabei erwischt, wie er Leonora nachstellt, kommt es zur Katastrophe.

"Reflections In A Golden Eye" wäre auch im literarischen Werk Tennessee Williams' sehr gut aufgehoben: alter Südstaatenfilz im standesdünkelnden Militärmilieu, höchst pathologische Geschlechteridentitäten, schadhafte Ehebeziehungen, Selbsttäuschung und unterdrückte Homosexualität. Aus dieser hübschen Ansammlung von Neurotikern ist lediglich der unter seinen Nachbarn als vollkommen verschroben geltende Philippino Anacleto in der Lage, dem ihn umgebenden Milieu die kalte Schulter zu zeigen, indem er als einziger zu seiner Persönlichkeit steht und sich nicht wie sämtliche anderen in Vorspiegelungen falscher Tatsachen ergeht. Das übrige Figureninventar krankt wahlweise an seinen unerfüllbaren Selbstansprüchen oder an der Unfähigkeit, überhaupt zu erkennen, dass es ihm keinesfalls gut geht.
Huston glückte mit seinem Film eine pechschwarze, vor einfallsreicher Symbolik strotzende Allegorie bezüglich des US-Militärs, das Pflichtprogramm in jeder Offizierausbildung sein sollte. Passend zum Titel spielte der Meister nach "Moulin Rouge" und "Moby Dick" neuerlich mit der nachträglichen Kolorierung und tauchte seine Bilder diesmal in einen goldbraunen, bronzenen Farbeimer, der das herbstliche Untergangsgemüt von "Reflections In A Golden Eye" umso wirksamer unterstreicht.

9/10

John Huston Carson McCullers Südstaaten Militär Homosexualität Ehe Madness


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FREUD (John Huston/USA 1962)


"If you're guilty, the entire world must be."

Freud ~ USA 1962
Directed By: John Huston

Mit rund dreißig Jahren beginnt der von seinen Fachkollegen stets stirnrunzelnd als Phantast beäugte Neurologe Sigmund Freud (Montgomery Clift), sich für die Hypnose als Diagnostikinstrument zur Erkennung hysterischer Störungen zu interessieren. Als er Cecile Koertner (Susannah York), die schwer neurotische Patientin seines Mentors Breuer (Larry Parks) kennenlernt und ihre Behandlung übernimmt, erhält und entwickelt Freud grundlegende Erkenntnisse betreffs später noch genauer umrissener Paradigmen: Er stößt auf den Ödipuskomplex, die drei psychischen Instanzen Es, Ich und Überich sowie Eros und Thanatos, postuliert die gewaltige, verdrängende Kraft von frühkindlicher Sexualität und Unterbewusstsein und erkennt schließlich den ungeheuren Wert von Gesprächs- und Konfrontationstherapie. Die Zeit ist jedoch noch nicht reif für derlei Umstößlerisches.

Ein stillerer Vertreter aus Hustons Filmographie, dessen allgemein anerkannte wissenschaftliche Verwertung als dramatisiertes Veranschaulichungsmaterial für einige grundlegende Thesen Freuds seine filmhistorische unverständlicherweise deutlich übersteigt. Möglicherweise hängt dies mit der Produktion zusammen, die bei der Universal unter keinem guten Stern stand: Sartres Script wurde als zu umfangreich abgelehnt und ad acta gelegt; Monty Clift, der trotz immer noch formidabler Leistung bereits sichtbar schwer gezeichnet war von Alkohol und Depression und dessen tieftrauriger Ausdruck letztlich doch alles andere überlagert, kam mit Hustons dominantem Auftreten am Set nicht zurecht und es folgten unschöne Klagen seitens der Produktion versus Clift und Gegenklagen seinerseits. Bis heute wird "Freud", etwa betreffs des Heimkinomarkts, stiefmütterlich behandelt, ganz so, als sei das Studio noch immer nicht über die unerfreuliche Entstehungsgeschichte des Films hinweg. Dabei ist er bei aller biographischer Phantasterei ziemlich toll geraten; getragen von einer hochseriösen, fast dokumentarisch anmutenden Erzählstruktur und sowohl für Laien als auch Fortgeschrittene in Bezug auf Freuds Postulate hochinteressant. Das sorgfältige Produktionsdesign wirkt niemals pompös oder gar selbstzweckhaft und steht der schattenhaften, kammerspielartigen Kommunikation nie im Wege. Hierfür sorgen speziell die ausführlichen, spannenden Dialogszenen zwischen Clift und York sowie die grandios gestalteten Traumsequenzen.

9/10

Sigmund Freud Psychiatrie period piece Biopic Wien Jean-Paul Sartre


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MADAME CURIE (Mervyn LeRoy/USA 1943)


"No true scientist can have anything to do with women."

Madame Curie ~ USA 1943
Directed By: Mervyn LeRoy

Die polnische Studentin Marie Sklodovska (Greer Garson) studiert Physik an der Sorbonne. Schon sehr bald entpuppt sie sich als außerordentlich talentierte und zielstrebige Wissenschaftlerin. Bald nachdem sie den Kollegen Doktor Pierre Curie (Walter Pidgeon) kennenlernt, wird aus Mademoiselle Sklodovska Madame Curie. Gemeinsam forscht das Ehepaar nach dem radioaktiven Element Radium, das sie durch ein immens zeitaufwendiges Kristallisationsverfahren aus Pechblende gewinnen. Ein tödlicher Verkehrsunfall Pierres reißt das glückliche Paar auseinander, doch Marie gewinnt die Kraft, allein weiterzumachen und wird zu einer vielbeachteten Persönlichkeit ihrer Profession.

Nach dem Kriegsdrama "Mrs. Miniver" wurde das darin vielgepriesene Filmehepaar Greer Garson und Walter Pidgeon neuerlich vereint, um nach diversen Geistesgrößen der jüngeren Vergangenheit auch der späteren großen Radiologin Marie Curie eine Filmbiographie widmen zu können. Insgesamt acht Kooperationen gab es zwischen den beiden, wenngleich die Popularität anderer zeitgenössischer "Traumpaare" wie Hepburn/Tracy, Bogart/Bacall oder Ladd/Lake deutlich größer und nachhaltiger wirkte. Nachdem der anfängliche Regisseur Albert Lewin bereits vor Drehbeginn vom Studio gefeuert worden war, übernahm Mervyn LeRoy. Ein besinnlicher, beschaulicher und atmosphärisch völlig ausgeglichener Film war das Resultat, der sich anders als die vergleichsweise hastiger erzählt wirkenden Dieterle-Filme alle Zeit der Welt nimmt, um seinen Figuren Dreidimensionalität zu verleihen. Besonders Greer Garson überzeugt durch ihre ruhige, nie überspannte Interpretation der Titelfigur. Als die sich perfekt gestaltende Familienidylle am Ende - die letzten 28 Lebensjahre Curies werden nur noch in einer Szene kurz gestriffen - durch den Unfalltod Pierre Curies kurzfristig in nervenaufreibendes Drama wandelt, wirkt dies wie eine heftige dramaturgische Zäsur, die jedoch fraglos bewusst in dieser Form stattfindet, um das Gesamtwerk nicht zu verwässern.

8/10

Mervyn LeRoy Albert Lewin Paris Frankreich Biopic Ehe Familie Historie


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DR. EHRLICH'S MAGIC BULLET (William Dieterle/USA 1940)


"There is no shame attached to the recognition of error."

Dr. Ehrlich's Magic Bullet (Paul Ehrlich - Ein Leben für die Forschung) ~ USA 1940
Directed By: William Dieterle

Der Arzt Dr. Paul Ehrlich (Edward G. Robinson) empfindet es als zutiefst frustrierend, Infektionskrankheiten machtlos gegenüberzustehen. Durch seine Färbeversuche, die schließlich Krankheitserreger unter dem Mikroskop sicht- und damit diagnostizierbar machen, wird Dr. Robert Koch (Albert Bassermann) auf Ehrlich aufmerksam, der von da an unter Kochs Ägide an dessen Institut forscht. Zusammen mit seinem Kollegen und Freund Von Behring (Otto Kruger) vollbringt Ehrlich hernach bahnbrechende Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakteriologie und entdeckt schließlich Immunsera und Impfstoffe gegen Tuberkulose, Diphterie, Typhus und sogar gegen die Syphilis.

Wenngleich Edward G. Robinson hinter dichtem Bart und unter blonder Perücke kaum mehr zu erkennen ist - "Dr. Ehrlich's Magic Bullet" - der Titel bezieht sich auf eine von Ehrlich selbst liebevoll als solche bezeichnete "Zauberkugel", einen auf chemischer Basis entwickelten Antikörper, der im Zuge der 'Seitenkettentheorie' als Vorläufer der späteren Immunologie Popularität erlangen sollte - passt ganz wunderbar zu "Louis Pasteur" und "Émile Zola" und vermutlich auch den diversen anderen Filmbiographien Dieterles, derer ich gegenwärtig leider (noch) nicht habhaft bin. Das Motiv des überzeugten Widerstreiters gegen verkrustete Traditionen auf ideeller Basis findet sich auch hierin wieder: Ehrlich bekommt es immer wieder mit etablierten Zeitgenossen zu tun, die seine Fortschritte ablehnen oder ihm gar Scharlatanerie unterstellen, nur, um am Ende doch Recht zu behalten. Sein härtestes Duell hat Ehrlich schließlich gegen seinen Freund Von Behring auszutragen, der sich zeitweilig von ihm abwendet, weil er seine Seitenkettentheorie ablehnt und vor allem Ehrlichs Medikament gegen die Syphilis - das Serum "606" - ablehnt, nur um später zugeben zu müssen, wie falsch er selbst gelegen hat. Große Momente, in altehrwürdigem Kino.

8/10

William Dieterle Biopic period piece Historie John Huston Freundschaft


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THE LIFE OF EMILE ZOLA (William Dieterle/USA 1937)


"Books? I don't read books!"

The Life Of Emile Zola (Das Leben des Emile Zola) ~ USA 1937
Directed By: William Dieterle

Der systemkritische Schriftsteller Émile Zola (Paul Muni) lebt zusammen mit seinem Freund Paul Cezanne (Vladimir Sokoloff) ein kärgliches Künstlerleben unter den Dächern von Paris. Als er eines Tages das Straßenmädchen Nana (Erin O'Brien-Moore) kennenlernt und sie zur Protagonistin eines Romans macht, schießt seine Popularität kometengleich in die Höhe. Wenngleich "Nana" als anrüchiges Werk gilt, will es doch jeder lesen. Für Zola beginnt damit ein Leben im Wohlstand, seine Bücher verkaufen sich blendend und ihm geht es ebenso. Bis Cezanne ihm gegenüber anmerkt, dass sein "altes Feuer" nicht mehr lodere und dass echte literarische Ambitionen seinerseits Mangelware geworden seien. Da kommt Zola die Anfrage einer Offiziersgattin (Gale Sondergaard), den Fall ihres Mannes publik zu machen, gerade recht: Captain Dreyfus (Joseph Schildkraut) soll geheime Informationen an die Preußen weitergegeben haben, ist dafür unschuldig verurteilt und auf die Teufelsinsel verbannt worden. Die Admiralität benötigte lediglich einen raschen Sündenbock und will nun den Skandal, den die Aufdeckung eines Justizirrtums mit sich brächte, um jeden Preis vermeiden. Trotz mannigfaltiger Anfeindungen gibt Zola den Fall Dreyfus nicht auf.

Nach "The Story Of Louis Pasteur" folgte in kurzem Abstand diese zweite große Filmbiographie eines Pariser Vordenkers des vorvergangenen Jahrhunderts; diesmal allerdings sich nicht drehend um einen Naturwissenschaftler, sondern um einen führenden Literaten des Naturalismus. Wie Pasteur bekommt es auch Zola mit dem Filz und der Engstirnigkeit seiner Zeitgenossen zu tun, die als Bewahrer des Althergebrachten der Natur der Sache gemäß zu erbitterten Widersachern avancieren. Beide Filme propagieren liberales Gedankengut, Freigeistigkeit und den Mut, etablierte Strukturen aufzubrechen. Darstellerische Geschenke für Paul Muni, der in beiden Rollen brilliert und dem ganz vortreffliche Reden und Plädoyers in den Mund gelegt werden. Zolas Vita zeichnet sich insbesondere durch seine letzten Lebensjahre aus, in denen seine politjournalistische Aktivität ihren Höhepunkt erreichte: Mit dem auf der Titelseite der Tageszeitung "L'Aurore" veröffentlichten, offenen Brief "J'accuse...!", der die Drahtzieher hinter der Dreyfus-Affäre sowie die blindlings affirmative Haltung des Volkes öffentlich anprangerte und zugleich explizit die zu erwartende Attacke auf den Verfasser in Kauf nahm, setzte Zola sich bewusst einer unbequemen Position aus. Er wurde hernach wegen erleumdung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, der er durch ein einjähriges Exil in England entging. Dreyfus wurde später vollständig rehabilitiert. Ein dank- und fruchtbarer Filmstoff, wie sich erweist, und für Liebhaber von Biopics ein unverzichtbarer dazu.

8/10

William Dieterle period piece Biopic Paris Frankreich Bohème Best Picture Courtroom





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Funxton

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