Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

SERPICO (Sidney Lumet/USA, I 1973)


"The system's corrupt."

Serpico ~ USA/I 1973
Directed By: Sidney Lumet


Kaum dass der New Yorker Officer Frank Serpico (Al Pacino) seinen Dienst antritt, wird er mit der allgegenwärtigen Korruption in der städtischen Polizeietage konfrontiert. Serpico enthält sich wie selbstverständlich jeder versuchten Bestechung und nimmt keinerlei Geld an, wodurch er jedoch zunächst den Argwohn und dann den unverblümten Hass seiner Kollegen auf sich zieht. Diverse Versetzungen in andere Reviere machen es ihm nicht leichter, im Gegenteil. Je einflussreicher die Abteilung, desto höher die gezahlten Summen. Bald geht Serpico mit seinen Erfahrungen an die Öffentlichkeit und muss fortan um sein Leben fürchten.

Der erste Film aus Lumets großem Zyklus über die New Yorker Gesetzesmächtigen und ihre zutiefst verfaulten Eingeweide. "Serpico" basiert auf der wahren Geschichte eines Idealisten, dessen Mut zur Ehrlichkeit ihm irgendwann so sehr zugesetzt hat, dass er fast sein Leben lassen musste und schlussendlich emigriert ist. Eine bodenlos wütende Systemkritik und der unbedingte Wille zum Realismus zeichnen den Film aus und verleihen ihm exakt jenes naturalistische Ausrufezeichen, das vielen Studiowerken dieser Phase zuteil ist. Al Pacinos Anlegung seiner Rolle erwies sich nachträglich als ikonographisch, besonders innerhalb der italoamerikanischen Gemeinde - Beispiele für Epigonen sind rasch gefunden; so hatte etwa Tony Manero in "Saturday Night Fever" ein "Serpico"-Poster in seinem Zimmer, derweil Sylvester Stallone gar eine äußere Komplettmetamorphose für "Nighthawks" durchlief.
Dino De Laurentiis hat "Serpico" korproduziert und verliehen, eine Relation, die angesichts des Resultats auf den ersten Blick ein wenig schräg anmutet, jedoch Methode hat - zumal es einen der ersten Versuche des Italieners markiert, seine Fühler Richtung Hollywood auszustrecken. Damals war noch vieles möglich.

10/10

Sidney Lumet New York


Foto

THE OFFENCE (Sidney Lumet/UK 1973)


"My... God."

The Offence (Sein Leben in meiner Gewalt) ~ UK 1973
Directed By: Sidney Lumet

Detective Johnson (Sean Connery), englischer Provinzpolizist, ist durch mehrere schreckliche Diensterlebnisse schwer traumatisiert. Als er glaubt, in der Person des aufgegriffenen Familienvaters Kenneth Baxter (Ian Bannen) eines seit längerem gesuchten Kindervergewaltigers habhaft geworden zu sein, versucht er diesem in einem nicht genehmigten Verhör ein Geständnis zu entlocken. Johnson lässt sich jedoch über Gebühr provozieren und prügelt Baxter zu Tode. Die angrenzende Untersuchung demonstriert Johnsons desolaten psychischen Zustand und zeigt, dass er schon seit längerem hätte suspendiert werden müssen.

Kammerspielartiges Polizistenpsychogramm, dass den verzweifelt gegen sein Bond-Image anspielenden Connery in einer unglaublich intensiven Performance zeigt, die jeden ihm schlechte Schauspielqualitäten anheim stellenden, einsichtigen Hobbykritiker mundtot machen sollte. Lumet inszeniert ein wild waberndes Gebräu aus Rück- und Vorausblenden, deren Sinn und Wirkung sich zur Gänze erst spät offenbaren und die das sich zu Beginn wie selbstverständlich einstellende Heldenbild des Protagonisten zunächst ansägen, um es dann vollständig zu demontieren. Die Schuldfrage bezüglich des gefassten, mutmaßlichen Verbrechers wird vom Film bewusst nicht beantwortet, es geht auch gar nicht um sie, sondern einzig um die in jedem Falle erschütternde Behandlung, die ihm im Polizeigewahrsam zuteil wird. Johnson, der zu Beginn als einer der typischen Callahan-Epigonen der frühen Siebziger eingeführt wird, entblättert sich nur zögerlich vor dem vorsätzlich irritierten Zuschauer. Am Ende stehen Desolation, Isolation, nachgewiesene Soziopathie und besonders die schlimme Gewissheit, dass kein Systemrepräsentant vor durchgebrannten Sicherungen gefeit ist.

9/10

Sidney Lumet England Verhör


Foto

THE GREAT ESCAPE (John Sturges/USA 1963)


"What do they call a mole in Scotland?" - "A mole."

The Great Escape (Gesprengte Ketten) ~ USA 1963
Directed By: John Sturges


Süddeutschland, 1944: Um sie in schöner Übersicht zu halten, werden die aufgrund ihrer unentwegten Ausbruchsversuche berüchtigsten alliierten Kriegsgefangenen in ein speziell für sie errichtetes, von dem systemkritischen Luftwaffenoffizier von Luger (Hans Messemer) geleitetes Lager übersandt. Natürlich nutzen die Gefangenen den Vorteil ihrer Situation und planen einen Massenflucht, der in erster Linie dazu dienen soll, eine möglichst große Teile des Staatspersonals in Anspruch nehmende "zweite Front" im Landesinneren aufzubauen. Trotz diverser Rückschläge gelingt rund siebzig Ausbrechern die Flucht, doch am Ende kommen nur drei von ihnen tatsächlich durch.

"The Great Escape" dürfte der positivst gestimmte mir bekannte Kriegsfilm sein. Weder verwendet er, wie es sonst üblich ist, viel Zeit darauf, die Nazis als dämonischen Überfeind zu denunzieren, noch hält er sich mit missmutigen Situationsschilderungen der an Leib und Seele geschundenen POWs auf. Tatsächlich propagiert die Geschichte eher den Wert ungebrochener Kampfesnatur im Angesicht von Unterdrückung und Ungerechtigkeit und liefert dabei einen auf den ersten Blick der Situation unangemessen fröhlich erscheinenden Abenteuerfilm für Männer. Selbst die wenigen im Film vorkommenden Deutschen werden nicht durch die Bank unsympathisch gezeichnet: Oberst von Luger etwa ist der geborene Offizier, zudem von adligem Geblüt - den Hitlergruß vollzieht er nur äußerst widerwillig und die "Kollegen" von Gestapo und SS empfindet er offenkundig als lästiges Diktaturgeschmeiß, dem jede echte Soldatenehre vollkommen abhold ist. Eine Art Stauffenberg ohne Kamikazeallüren. Die Gefangenen derweil präsentieren sich als durch die Bank liebenswerter Haufen ganzer Kerle, von denen man jeden einzelnen bereitwillig zum Wochenendsumtrunk mit in seine Stammkneipe nähme. Kein einziger Verräter darunter, kein Opportunist. Jeder passt auf jeden auf, ein Hohelied auf Kamerad- und Freundschaft.
Trotz seiner imposanten Spielzeit bewerkstelligt es der hell und farbenfroh bebilderte und von der flotten Marschmusik Elmer Bernsteins getragene Film, nicht eine Sekunde durchzuhängen - eine phantastische Regieleiustung von Sturges und ein Musterexempel für die Schaffung einer dichten, von konstanter Spannung getragenen Atmosphäre. Und wenn Steve McQueen dann am Ende einmal mehr lausbübisch grinsend in seine Einzelzelle im Bunker zurückkehrt, den Baseballhandschuh in der Hand, und kurz darauf das vertraute "plick-plack" zu vernehmen ist, während der traurig dreinblickende Gefreite vor der Kerkertür die Hacken klatscht, dann kann man gewiss sein, eines der hoffnungsvollsten Happy-Ends des Kriegsfilms mitnehmen zu dürfen. Perfekt.

10/10

John Sturges POW Nationalsozialismus Widerstand WWII


Foto

FACES (John Cassavetes/USA 1968)


"Why am I a son of a bitch?" - "Because you get to me."

Faces (Gesichter) ~ USA 1968
Directed By: John Cassavetes


Versicherungsboss Richard Forst (John Marley) fühlt sich sexuell unausgeglichen - seine Frau Maria (Lynn Carlin) schläft trotz diverser Bemühungen seinerseits nicht mehr mit ihm. Frustriert lädt er sich in Marias Beisein eines Abends telefonisch bei der Hure Jeannie (Gena Rowlands) ein. Maria zieht darauf mit ihren Freundinnen um die Häuser und nimmt sich den jungen Stelzbock Chet (Seymour Cassel) mit nach Hause. Während Richard am nächsten Morgen befriedigt zu Maria zurückkehrt und die Welt wieder in den Fugen glaubt, endet das Techtelmechtel seiner Frau in einem Selbstmordversuch mit Schlaftabletten, dessen Erfolg Chet nur knapp verhindern kann.

Die titelgebenden Gesichter stehen im Fokus von John Cassavetes' zweitem unabhängig entstandenen Film, einem in grob gekörntem Schwarzweiß photographierten Fünfakter, der eine vierzehnjährige Ehe als hoffnungslos verlogene, an der Ich-Bezogenheit des Mannes und dem inneren Rückzug der Frau gescheiterte Institution offenlegt. Erst ein explosiv-offensiver Ausbruch, von Richard großspurig ("I want a divorce!") eingeleitet und dabei doch unbewusst bloß als kindische Protestaktion und zwölfstündiges Intermezzo geplant, sorgt dafür, dass die Karten auf den Tisch kommen.
"Faces" handelt von der Befreiung aus klebrigem Alltagsfilz, die einen Moment lang schmerzhaft sein kann und vielleicht noch einen gewaltigen Kater nach sich zieht, die am Ende aber die persönliche Weiterentwicklung gewährleistet. Bezeichnend, dass Maria mit zerzaustem Haar, von Tränen verlaufenem Make-up und nachdem sie symbolisch die letzten paar Gefängnisjahre ihrer Ehe ausgekotzt hat, wesentlich schöner und natürlicher aussieht denn als Richards Hausweib. Sie hat es geschafft, eine Entwicklung, wie ihre ältere, verzweifelte und psychisch kranke Freundin Florence Dorothy Gulliver) sie durchgemacht und vorgelebt hat, in letzter Sekunde abzuwenden. Wie das von Maria sind die Gesichter sämtlicher Beteiligten fast permanent in bildfüllenden Close-ups zu sehen, in all ihrer Schönheit, in all ihrer Hässlichkeit. Leben, hautnah, schonungslos.

9/10

Ehe John Cassavetes Independent


Foto

GUESS WHO'S COMING TO DINNER (Stanley Kramer/USA 1967)


"When the hell are we gonna get some dinner?"

Guess Who's Coming to Dinner (Rat' mal, wer zum Essen kommt) ~ USA 1967
Directed By: Stanley Kramer


Die von Hawaii nach San Francisco heimkehrende Joey Drayton (Katharine Houghton) eröffnet ihren Eltern Christina (Katharine Hepburn) und Matt (Spencer Tracy), dass sie sich Hals über Kopf verlobt hat - mit einem überaus respektablen Mann (Sidney Poitier), nur dass dieser ein Farbiger ist. Obwohl sich Matt Drayton als Zeitungsverleger für DEN liberalen Meinungsmacher der Stadt hält, ist er von der Nachricht seiner Tochter mehr vor den Kopf gestoßen als er zugeben will.

"You've got to give a little..."
Kramers gezwungenermaßen letzter Film mit dem todkranken Spencer Tracy und ergo auch der letzte Film des schönsten Traumpaars der Filmgeschichte - Tracy und Hepburn - ist was fürs Herz, allerdings nicht ohne die dem Regisseur gemäßen sozialkritischen Implikationen. "Guess Who's Coming To Dinner" ist über die Jahre ein durchweg schöner Ensemblefilm geblieben, dennoch stört daran nach über vierzig Jahren noch immer Manches, wenn auch zum Glück bloß geflissentlich und beiläufig. Und damit meine ich weniger den unentwegten Gebrauch des Terminus "negro".
Es ist ja so, dass jede Gesellschaft in der Regel immer die Filme bekommt, nach denen sie verlangt, bzw. die sie verdient - das Gesetz des unterhaltungskulturellen Echos. Nur kann "Guess Who's Coming To Dinner" bei aller Ehrbarkeit und Brillanz in der Dialogführung selbst nicht verhehlen, eine durchweg weiße Perspektive einzunehmen, und eine stark seniorenverhaftete noch dazu. Etwas mehr Selbstsicherheit und Selbstverständnis wären beim Aufgreifen des Themas "Alltagsrassismus" mithin wünschenswert gewesen. Dass die Resolution des Films gewissermaßen lange Zeit in den Regionen der Utopie verblieb, zeigte etwa Spike Lee in seinem 24 Jahre jüngeren "Jungle Fever", in dem die Romanze eines gemischtfhäutigen Paars wegen der Ressentiments ihres sozialen Umfeldes frontal vor die Wand gefahren wird.
Man sollte daher die eigentliche Brisanz von Kramers Film nicht darin begreifen, dass hier die prinzipielle Selbstverständlichkeit eines Liebespaars unterschiedlicher Hautfarbe in den Fokus gerät (der große Altersunterschied wäre dem Impetus des Films gemäß eigentlich mindestens genauso diskutabel), sondern darin, dass ein alter, sich stets auf der Seite der Gerechten glaubender Mann trotz seiner selbstveräußerten Liberalität und Lebensweisheit erst über einen gewaltigen Wall der hinter seiner Fassade noch immer akut vorhandenen Vorurteile springen muss. Wie Tracy diesen Zweifler an seinem eigenen Lebensabend spielt, und, obwohl er um den nahenden Tod weiß, in seiner Rolle als Matt Drayton ständig davon spricht, noch ein hohes Alter zu erreichen, und dabei von einer ihn ganz offensichtlich tatsächlich umsorgenden Katharine Hepburn, die permanent Tränen in den Augen hat und ihr typisches Kopfzittern nicht verhehlt, das ist der echte tear jerker dieses seinem Wesen nach ehrlichen, tatsächlich großen und wichtigen Films.

9/10

Stanley Kramer Rassismus Ehe


Foto

IT'S A MAD MAD MAD MAD WORLD (Stanley Kramer/USA 1963)


"Oh Russell, I feel sick."

It's A Mad Mad Mad Mad World (Eine total, total verrückte Welt) ~ USA 1963
Directed By: Stanley Kramer


Nachdem eine buntgemischte Gruppe Reisender in den kalifornischen Bergen einen halsbrecherischen Autounfall miterlebt hat, erfahren sie von dem sterbenden Fahrer (Jimmy Durante), dass dieser 350.000 Dollar in einem Küstenpark versteckt hat. Gierig machen sich alle Hals über Kopf auf die Socken, um jeweils als Erster an die Moneten zu kommen - der Beginn einer turbulenten Schatzsuche.

Stanley Kramer ist vordergründig moderater, im Subtilen betrachtet jedoch ziemlich bösartiger Nestbeschmutzer des damaligen 'American Way'. In "It's A Mad Mad Mad Mad World" karikiert er die grenzenlose Geldgier der Bourgeoisie und zeigt satirisch die Irrwege auf, die vormals ehrbare amerikanische Bürger einzuschlagen bereit sind, solange nur genug dabei für sie herausspringt. Dass sich ausgerechnet Spencer Tracy, Kramers großer, weiser Held aus seinen letzten beiden Filmen, am Ende als das zum Äußersten getriezte, unmoralische Kopfende des sabbernden Pöbels erweist, ist noch ein zusätzlicher Seitenhieb gegen 'the Beautiful'. In diesem Film gibt es keine Helden mehr, er braucht auch gar keine. Denn im Angesicht materieller Vorteile, so Kramers bitteres Fazit, ist sich jeder selbst der Nächste.
Dass ausgerechnet diese temporeiche, eine beinahe unüberschaubare Anzahl von Gastauftritten diverser Gattungsexperten verzeichnende Komödie eine so monumentale Spielzeit veranschlagt, und, ganz gemäß dem hollywoodschen Credo bei Überlängenfilmen, sogar eine Intermission beinhaltet grenzt fast an einen weiteren Faustschlag Kramers und veräußert "Mad World" als Experimentalfilm. Großes, überspanntes Unterhaltungskino.

8/10

Stanley Kramer Farce Groteske Satire Geld


Foto

WHEN YOU'RE STRANGE (Tom DiCillo/USA 2009)


"I'm the lizard king - I can do anything!"

When You're Strange ~ USA 2009
Directed By: Tom DiCillo


Die vierundfünfzig Monate währende Geschichte der kalifornischen Rockband The Doors, die mit dem drogen- und alkoholinduzierten Tod des siebenudzwanzigjährigen Sängers Jim Morrison ihr vorhersehbares Ende fand.

Ungewöhnlich an DiCillos Doors-Doku ist die Art der Präsentation: Mit einem Off-Kommentar von Johnny Depp unterlegt präsentiert DiCillo eine kompetente Montage, die jedoch ausschließlich Archivaufnahmen erhält. Das verwendete Bildmaterial enthält dabei tatsächlich viel bisher Ungesehenes, darunter aus bislang verschlossen gewähnten Truhen gehobene Schätze, deren Verwendung "When You're Strange" jedoch zum unfreiwilligen Bastard macht: Der langjährige Doors-Anhänger findet an Informationsgehalt nichts Neues und muss sich zwangsläufig an einer Melange aus Altbekanntem und Ungesehenem delektieren, "Einsteigern" indes mag DiCillos Stil ein wenig verschroben anmuten - es klafft eine unübersehbare Divergenz zwischen Anspruch und Umsetzung. Auch der Einfall, die gesellschaftspolitische Entwicklung inner- und außerhalb der Grenzen der USA mit der Bandbiographie zu verquicken, ist so revolutionär nicht...
Ich persönlich hätte mir das Ganze eine halbe Stunde länger und angereichert mit Interviews mit Manzarek, Densmore und Krieger gewünscht, die das ewige Mysterium Morrison vielleicht ein klein wenig illuminierten. Dennoch ist "When You're Strange" ein starker Film geworden, dem ich mich bestimmt nicht zum letzten Male hingegeben habe.

8/10

Band Musik Tom DiCillo Biopic


Foto

ANVIL! THE STORY OF ANVIL (Sacha Gervasi/USA 2008)


"At least there was a tour for it to go wrong on."

Anvil! The Story Of Anvil ~ USA 2008
Directed By: Sacha Gervasi


Die von den beiden Gründungsmitgliedern und Busenfreunden Lips Kudlow und Robb Reiner am Leben erhaltene kanadische Metalband Anvil konnte im Gegensatz zu ihren Mitstreitern von vor dreißig Jahren nie den ihnen zustehenden Erfolg verzeichnen. Anvil-Fan Gervasi begleitet die Band etwa zwei Jahre lang auf einer katastrophalen Europa-Tour und bei den Aufnahmen ihres Albums "This Is Thirteen".

Eine Legende, die keine ist.
Das Schön(st)e an Rockmusikdokus ist ja, dass sie zwei elementare Gegenwartskunstformen miteinander verbinden und damit in den meisten Fällen etwas schaffen, das Anhänger beider Medien beglückt. Wenn, wie im Falle "Anvil!", noch ein zutiefst menschliches, tragikomisch-existenzielles Element hinzukommt, fällt das Resultat im Optimalfall umso sehenswerter aus. Ich muss zugeben, dass ich als mediokrer, mitteleuropäischer Metalfan der Spätachtziger und Frühneunziger mit für meine jungen Jahre recht umfangreichem Vinylarchiv nicht eine Platte von Anvil besessen habe. Nach dem Genuss des Films schäme ich mich etwas dafür, obwohl die Gründe, wie die für die mangelnde Popularität der Band in ihrer Gesamtheit, etwas im Schummrigen liegen und näherer Beschäftigung bedürfen. Offenbar waren ein mieses bzw. nicht vorhandenes Mamnagement, Plattenveröffentlichungen im Independent-Sektor und aus jugendlicher Naivität heraus getroffene, karrieristische Fehlentscheidungen etwa zu gleichen Teilen dafür verantwortlich.
Gervasi präsentiert uns zwei liebenswert-knuffige, alternde Underdogs, die unbeirrt einem unerfüllbaren Lebenstraum hinterherhecheln (wobei man den latenten Eindruck erhält, dass Reiner die ganze Kiste nurmehr durchzieht, um seinem alten Freund Kudlow eine faustdicke Depression zu ersparen) und dafür nach Kräften schuften. Ihre emotionale Entwicklung scheint irgendwo in den frühen Zwanzigern stehengeblieben zu sein; umso authentischer das Auftreten der beiden. Der Tru-Metal-Fan wird ein Tränchen im Knopfloch verstecken, der Freund guter Dokumentationen hingegen bekommt ein Pamphlet der Hoffnung kredenzt. Wenn das nichts ist.

9/10

Sacha Gervasi Band Musik Biopic


Foto

WHERE THE BUFFALO ROAM (Art Linson/USA 1980)


"As your ex-attorney, I advise you to leave this plane."

Where The Buffalo Roam (Blast - Wo die Büffel röhren) ~ USA 1980
Directed By: Art Linson


Der unkonventionell zu Werke gehende Journalist Hunter S. Thompson (Bill Murray) arbeitet für das Underground-Magazin 'Blast', das er in schöner Unregelmäßigkeit mit Kolumnen über den amerikanischen Albtraum beliefert. Als sein Freund, der Anwalt Lazlo, für einige Zeit wegen Gerichtsbeleidigung ins Gefängnis muss, befasst sich Thompson in erster Linie mit Traktaten über dessen "Verschwinden". Just während Thompson über den 72er Super-Bowl zu berichten hat, taucht Lazlo wieder auf und unterbreitet ihm seine Pläne für die baldige Schaffung einer Hippie-Enklave zwischen den USA und Mexiko, für die allerdings Waffengewalt vonnöten sei. Als das FBI anrückt, verschwindet Lazlo wieder. Das nächste Mal treffen sich die beiden während Nixons 73er-Wahlkampagne.

Der schillernde Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson bereicherte die US-Kulturgeschichte des letzten Jahrhunderts um eine ihrer wichtigsten Gestalten. Ein großer Misanthrop, der freimütig behauptete, dass ein Land, dass Menschen wie ihn benötigte, um es zu kritisieren, am besten von der Landkarte getilgt gehörte. Im Gegensatz zu Terry Gilliams großartiger Romanadaption "Fear And Loathing In Las Vegas" ist der wesentlich früher entstandene "Where The Buffalo Roam" nicht allzu bekannt, wohl auch, weil ihm die grelle Antihelden-Verehrung Gilliams abgeht und er stattdessen offenkundig und ausschließlich ein Publikum beliefert, das mit Thompson und seinen Marotten vertraut ist. Im Prinzip müssten die beiden Filme daher folgerichtig in umgekehrter Reihenfolge angeschaut werden. Gemessen an den an der Irrsinnsgrenze entlang taumelnden Depp und besonders Del Toro aus "Fear And Loathing" präsentieren Murray und Boyle eine vergleichsweise gediegene Vorstellung. Der Exzess greift hier noch nicht - bzw. hat er nicht den Mut dazu. Dennoch ist "Where The Buffalo Roam" unbedingtes Pflichtprogramm für jeden Thompson-Apologeten. Die neu erschienene DVD enthält nebenbei einen etwa fünfzigminütigen Bericht des englischen Thompson-Illustrators Ralph Steadman, der Thompson 1980 auf einer Reise von Arizona nach L.A. begleitet und der alleine schon die Anschaffung des Silberlings lohnt.

8/10

Farce Hunter S. Thompson Groteske Drogen Freundschaft Alkohol Journalismus Americana Satire Beat Generation


Foto

FUNNY PEOPLE (Judd Apatow/USA 2009)


"Do the MerMan!"

Funny People (Wie das Leben so spielt) ~ USA 2009
Directed By: Judd Apatow


Der supererfolgreiche Komiker George Simmons (Adam Sandler) erfährt, dass er an fortgeschrittener Leukämie leidet und beschließt, die ihm verbleibende Zeit mit Wichtigerem zu verbringen als dem Dreh flacher Komödien und der einsamen Abschottung in seiner Villa. Er beginnt wieder als Stand-Up-Comedian aufzutreten und lernt den finanzschwachen Nachwuchskomiker Ira Wright (Seth Rogen) kennen, der sich von George als Gaglieferant und Hauslakai engagieren lässt. Als George erfährt, dass ein ihm verschriebenes, neuartiges Medikament den Krebs besiegt hat, ist es mit seiner persönlichen New-Age-Philosophie auch schon wieder vorbei - ganz zum Missfallen von Ira, der sich unterdessen mit George angefreundet hat.

Ich mag die Arbeiten von Judd Apatow. Man möchte ihn fast als Großmeister der Monumentalkomödie bezeichnen, da es keine seiner bislang drei Regiearbeiten unter zwei Stunden Laufzeit macht - für dieses Genre eine ungewöhnliche Messlatte. Dennoch schafft es Apatow spielend, sein Publikum weder zu ermüden noch zu überreizen. Seine Gags stammen eher aus dem Schmunzelsektor und sind deshalb auch in einer solch quantitativ geballten Form noch immer deliziös. Hinzu kommt, dass die Themen seiner Filme eher klassischen Dramastoff stellen als zu merkbefreitem Spott hinzureißen; er nimmt seine Figuren ernst, katapultiert sie in ausweglos scheinende Situationen und lässt sie mit hintergründigem, didaktischem Ernst und lebensgestählt wieder daraus hervorsteigen.
Ich wusste vorher nicht viel über "Funny People", nur, dass Sandler (dessen Zusammenarbeit mit Apatow unabhängig von allen Befürchtungen für mich Pflichtprogramm war) einen Todkranken spielen sollte - eine Vorstellung, die mir alles andere als behagte und glücklicherweise schon nach der Hälfte des Films wieder ausgeräumt wird. Dessen letztendlicher Gesamteindruck verschaffte mir jedenfalls erneute Gewissheit darüber, dass Apatow so kluge wie entspannte Werke sowie, zumindest bislang, solche ohne Durchhänger kreiert und dass ich mich auf das nächste wieder reinen Gewissens freuen darf.

8/10

Krebs Judd Apatow Stand-up-Comedy





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare