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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE WOLFMAN (Joe Johnston/USA, UK 2010)


"Darkness comes for you."

The Wolfman ~ USA/UK 2010
Directed By: Joe Johnston


Der gefeierte Bühnenakteur Lawrence Talbot (Benicio Del Toro) wird in den 1890ern während einer Europatournee von Gwen Conliffe (Emily Blunt), der Freundin seines Bruders Ben (Simon Merrells) angehalten, auf das Familienschloss bei Blackmoor zu kommen; Ben sei unter mysteriösen Umständen von einem wilden Tier angefallen und zerfleischt worden. Nach anfänglichem Zögern reist Lawrence zum Hort seiner Väter und sieht sich nicht nur einer Horde abergläubischer Dörfler gegenüber, sondern auch seinem abgeschottet lebenden Vater Sir John (Anthony Hopkins). Als Lawrence des Nachts Zeuge wird, wie eine wilde Bestie über ein angrenzendes Ziegeunerlager herfällt und auch ihn verletzt, ist die Gewissheit unumstürzlich: Ben und nun auch Larry wurden zu Opfern eines Werwolfs. Allerdings hat Larry die Attacke überlebt...

Bin sehr angenehm überrascht von diesem neuerlichen Studioversuch, einen Relaunch der klassischen Universal-Grusler zu wagen. Nachdem Coppola mit "Dracula" und Brannagh mit "Frankenstein" für Columbia bzw. TriStar die Modernisierung des Gotikhorrors erfolgreich bis brauchbar eingeleitet hatten, kam noch Mike Nichols mit "Wolf" um die Ecke, der von Landis und Dante abgesehen ersten ernstzunehmenden Mainstream-Modernisierung des Werwolf-Mythos, die sich allerdings von einer in fast jeder Hinsicht eher verhaltenen Hausfrauen-Seite präsentierte. Zumindest hab ich ihn so in Erinnerung. Sollte vielleicht mal aufgefrischt werden. Die Universal selbst jedenfalls brachte schließlich mit Stephen Sommers als Heerführer "Die Mumie" samt diverser Fortsetzungen und Ableger sowie "Van Helsing", die aus dem nebligen Spukambiente jeweils eine alberne Geisterbahnfahrt machten, auf Kurs.
Dass ausgerechnet der ansonsten für linientreues Familienentertainment stehende Joe Johnston nun ein solch lyrisches und zugleich deftiges "Wolf Man"-Remake herleiten würde, das zudem mit einer ungesunden Vorgeschichte um diverse Verschiebungen und Umschnitte aufwartet, war sicherlich kaum zu erwarten. Umso erfreulicher das fertige Produkt, eine mit finsterem, altgriechischem Pathos aufwartende Vater-Sohn-Fabel samt ödipalen Konflikten, einer monochrom wabernden, aber unaufdringlich generierten CGI-Nebelwelt, in der das ländliche viktorianische England aussieht wie ein knorriger Vorhof zur Hölle, dem trotz "Underworld" ansehnlichsten Filmwerwolf seit "The Howling" und diversen herben Effekten. Außerdem gefällt die ergänzende Bemühung "realer Mythen" wie etwa die der Person des authentischen Yard-Inspetors Abberline, der bekanntermaßen auch die Whitechapel-Morde untersuchte. Am Positivsten zu vermerken an "The Wolfman" jedoch ist, dass der Film sich und seine Geschichte endlich mal wieder gnadenlos ernst nimmt und keinen Raum lässt für dünne Auflockerungsscherze. Zudem gemahnen Rick Bakers Verwandlungskünste (und nicht nur diese!) an seine eigenen, awardgekrönten für "An American Werewolf In London". Schön!

8/10

Monster Joe Johnston period piece Remake Werwolf D.C. Vater & Sohn


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THE BIG LEBOWSKI (Joel Coen/USA 1998)


"Shomer fucking shabbos!"

The Big Lebowski ~ USA 1998
Directed By: Joel Coen


Los Angeles, 1991. Jeff Lebowski (Jeff Bridges), genannt "Dude", sieht sich einer verhängnisvollen Verwechslung ausgesetzt: Ein paar dämliche Ganoven halten ihn für seinen reichen Namensvetter Jeffrey Lebowski (David Huddleston), dessen leichtlebige Frau Bunny (Tara Reid) selbigem allerhand Kummer bereitet. Dabei würde der Dude doch so gern seine kostbare Zeit darauf beschränken, White Russians zu trinken, hier und da einen Spliff zu verknusen und mit seinen Kumpels Walter (John Goodman) und Donni (Steve Buscemi) zum Bowling zu gehen. Doch die Welt ist ungerecht und der Dude gerät mitten hinein in eine anstrengende Detektivgeschichte, die sich durch den Übereifer des cholerischen Vietnamveteranen Walter nur noch verkompliziert.

Noch eine weitere, prachtvolle Bildmoritat aus dem Hause Coen und mir, wie ja vielen anderen auch, eine ihrer liebsten. "The Big Lebowski", eine Americana für den weltoffenen Späthippie und Hänger, kartographiert das reale Slackertum und schleudert der (nichtamerikanischen) Welt einen lustvoll abgefressenen Mittelfinger entgegen. Von Beschleunigung und Geschwindigkeit hält der Film, wie wie es ohnehin von den Coens gewohnt sind, überhaupt gar nichts; er präsentiert uns im Gegenteil dazu sogar, wie man im Tuckertempo jedes Rennen gewinnt und begnügt sich darüberhinaus nur mit dem Allerhöchsten, bezogen auf jedes einzelne Partikel. Am Schönsten wird es stets, wenn der Dude sich, wieder einmal ausgeknockt, in einem seiner verrückten Bowlingträume wiederfindet, in denen wahlweise viele bunte Sterne, Saddam Hussein, Wikingerwalküren oder Peter Stormare als überdimensional bescherter Kastrator aufkreuzen. Als ob dies nicht genügte, verfügt "The Big Lebowski" über die ultimative Detektivfilmszene: Einer seiner wenigen Geistesblitze ereilt den Dude, als der Pornokönig Jackie Treehorn (Ben Gazzara) in seinem komfortablen Wohnzimmer irgendwas auf den Telefonblock kritzelt, dass es dann anhand der Abdrücke abzupauschen gilt. Was dann dabei herauskommt, ist einer der größten Lacher nicht nur im Coen-Universum, sondern im Universum überhaupt.

10/10

Groteske Farce Golfkriege Freundschaft film noir Vietnamkrieg period piece Americana Los Angeles Coen Bros. Bowling neo noir


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BARTON FINK (Joel Coen/USA, UK 1991)


"I sure do forget myself sometimes."

Barton Fink ~ USA/UK 1991
Directed By: Joel Coen


Der Theaterautor Barton Fink (John Turturro) wird über das Filmstudio 'Capitol Pictures' von New York nach Hollywood abgeworben. Sein erster Auftrag besteht darin, einen Catcher-Film zu scripten. Einquartiert in ein marodes Belle-Epoque-Hotel, in dem sich infolge der unerträglich schwülen, kalifornischen Hitze die Tapeten von der Wand schälen, steht Barton urplötzlich vor dem kreativen Nichts. Keine Idee, die zu Papier gebracht werden könnte und dazu schleichende Einsamkeit und Depression. Einzig sein fideler Nahbar Charlie Meadows (John Goodman) baut ihn mit seinen Kurzbesuchen etwas auf und auch Audrey (Judy Davis), die Mätresse des versoffenen Autors W.P. Mayhew (John Mahoney), scheint ihm wohlgesonnen. Als eine gemeinsame Nacht mit Audrey in einem entsetzlichen, vor allem jedoch für Barton unerklärlichen Blutbad endet, scheint die Spirale des Wahnsinns sich noch weiter zu beschleunigen...

Ein epochaler Film, dessen wahre Größe ich glaube ich trotz rund dreißigmaliger Betrachtung immer noch nicht ganz zu fassen bekommen habe. Möglicherweise kommt mir die ultimative Erleuchtung ja dereinst auf meinem Sterbebett - da gehört sie angesichts des nekrophagen Humors von "Barton Fink" vermutlich ohnedies hin. Wie die Coens hier virtuos mit Symbolismen, Metaphern und dem echten Unfassbaren hantieren, das sollte man nicht bloß, das MUSS man gesehen haben. Jede Einstellung, jeder einzelne Augenblick, ist sein Gewicht in Gold wert. Eine technische und formale Sorgfalt, die dem allumfassenden Perfektionismus eines Stanley Kubrick ohne Weiteres das Wasser reicht, schleift dieses apokalyptische Kammerspiel endgültig zu einer formvollendeten Kinoplastik. Die Eindrücke brennen sich in Aug und Ohr, seien es der aus seinem Kellerloch kommende Steve Buscemi, Bartons Zimmertür, die beim Öffnen und Schließen ein Geräusch fabriziert wie das Schiebeportal zu einem Schlachthof; der schwitzende John Goodman und sein eiterndes Ohr, Michael Lerner beim Füßeküssen und später in seinem viel zu engen Uniformkostüm; der brennende, meilenlang scheinende Hotelkorridor. Und natürlich das kleine Bild von der Frau am Stand, Symbol für Hoffnung, Träume, Erlösung, Freiheit, das zum Sich-Verlieren einlädt. Oder geht es am Ende doch bloß um eine an Herzinfarkt eingehende Möwe? Entscheiden Sie selbst, aber, um Himmels Willen, entscheiden Sie!

10*/10

period piece Hollywood Film im Film Serienmord Groteske Coen Bros.


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BEVERLY HILLS COP (Martin Brest/USA 1984)


"Police! Move and I'll kill you!"

Beverly Hills Cop ~ USA 1984
Directed By: Martin Brest


Axel Foley (Eddie Murphy) ist Police Detective in Detroit - wo seine unkonventionelle, aber erfolgreiche Arbeitsweise mit zwei zugedrückten Augen toleriert wird. Als eines Abends sein Kinfheitsfreund Mikey Tandino (James Russo) bei ihm auftaucht und nach einer durchzechten Nacht von zwei Killern (Jonathan Banks, Michael Champion) vor Axels Apartment hingerichtet wird, nimmt dieser kurzerhand Urlaub und reist nach Beverly Hills, von woher die Mörder mutmaßlich stammen. Es dauert nicht lange, und Axel wird fündig: Der homosexuelle Kunstmäzen und Kokainschmuggler Victor Maitland (Steven Berkoff), Mikeys frühere Arbeitgeber, steckt hinter dem Schlamassel. Für den Tausendsassa Axel gilt es nun bloß noch, die hiesigen Kollegen für sich zu gewinnen, doch die sind linientreuer als deutsches Bier.

Überlebensgroßes Entertainment, das noch wirklich witzig und gescheit war, freilich im Gegensatz zu dem ganzen unsäglichen, strunzdummen "Bad Boys"-Scheiß, der rund zehn Jahre später jeden Charme vermissen ließ, rein zufällig jedoch aus demselben Produzentenstall stammt. Große Errungenschaften lassen sich eben nur schwerlich imitieren.
"Beverly Hills Cop" war in vielerlei Hinsicht ein Initiationsfilm: Er überführte den mit wenigen Ausnahmen bislang als "strictly for adults" behandelten Copfilm in familientaugliche Sphären, ohne gewisse Grundmotive zu verraten, verschaffte dem SNL-Star Eddie Murphy seine größte Erfolgsplattform im Kino, kreierte damit den ersten schwarzen Megastar im Film und firmierte langen Jahre unter den Top Ten der kommerziell erfolgreichsten Filme. Bis heute charakterisiert er seine Entstehungszeit nicht nur, er prägt sie entscheidend mit. Die noch stark von Disco infizierten Popbeats von Harold Faltermeyer und den ganzen analog musizierenden Bands auf dem Soundtrack (der den puren Song als wesentlichen, stilistischen Gesamtbestandteil als eines der ersten Nicht-Musicals seit "Easy Rider" mitdefiniert), der abgewetzte Kleidungs- und Lebensstil als kontrapunktiver, proletarischer Gegenentwurf zu dem langsam aufkeimenden Yuppie-Ideal hipper Großstädter. Damit einhergehend natürlich auch eine latente Homophobie, die sich allerdings weitaus weniger angsterfüllt gestaltet als es der Begriff impliziert. Jeder "Paradiesvogel" in Beverly Hills ist zugleich nötigenfalls auch eine Triene: Das Galeriefaktotum Serge (Bronson Pinchot), der berühmte Bananenkellner (Damon Wayans) und schließlich der Oberbösewicht und sein Oberkiller, wobei sich der homosexuelle Gestus je nach gesellschaftlicher Stellung wahlweise moderat äußert. Das ist zwar entlarvend für den Film und seine Zeitmentalität, aber ebenso grundehrlich.
Formidabel schließlich die zwei monumental inszenierten Actionszenen, wie es sich gehört eine zu Beginn und eine zum Showdown. Wohltemperiert, geerdet und damit ohne so blasiert zu wirken, wie es heute Usus ist, sind sie entscheidend für das gesamte Tempomaß des Films. Eine prachtvolle Verfolgungsjagd und ein angemessen harter Shoot-out - Herz, was willst du mehr. Maßgeblicher, gediegener, besser kann Mainstreamkino kaum sein.

10/10

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RISING SUN (Philip Kaufman/USA 1993)


"Business is war."

Rising Sun (Die Wiege der Sonne) ~ USA 1993
Directed By: Philip Kaufman


Während der Fusionsverhandlungen zwischen einer kalifornischen und einer japanischen Microchipgiganten in L.A., die mit der Einweihung eines gigantischen Bürogebäudes des Nakatomi-Konzerns zusammenfallen, wird eine leichtlebige US-Schönheit (Tatjana Patitz) ermordet. Die Ermittlungen werden an den wegen Bestechungsverdachts geächteten Cop Web Smith (Wesley Snipes) und den japanophilen John Connor (Sean Connery) übergeben. Smith und Connor decken eine Industrieverschwörung auf, bei der sie selbst als Strohmänner fungieren sollten.

Die Romane von Michael Crichton markieren in der Majorität so wunderbare wie erzreaktionäre Zeitzeugnisse für die irrationalen Ängste des amerikanischen WASP-Mannes um die 40. In "Jurassic Park" ging es um die Furcht vor den unabsehbaren Auswirkungen von Gen-Manipulationen, in "Disclosure" um die maskuline Phobie betreffs weiblicher Emanzipationsanstrengungen, um nur zwei populäre, etwa zeitgleich fürs Studiokino adaptierte Beispiele zu nennen. "Rising Sun" beziffert die Panik vor der Wirtschaftsmacht Japan, die quasi durch die Hintertür die amerikanische Industrie lahmlegen und übernehmen sollte. Zwar revidiert der Ausgangspunkt der Story schlussendlich insofern den inhaltlichen Kontext, als dass sich die Urheber des delikaten Mordfalls "nur" als die gierigen Handlanger der Firmenbosse entpuppen, der umfassende Grundgedanke der Story bleibt jedoch auch nach dem Film- bzw. Romangenuss omnipräsent.
Es ist stets ein Glück für verfilmte Trivialliteratur, wenn ein geistreicher Regisseur hinter dem Projekt steht; in diesem Falle der von mir sehr geschätzte, aus dem New-Hollywood-Dunstkreis stammende, seine vordergründig populistischen Themen in der Regel mit einer nur schwer greifbaren Süffisanz und Humorkonnexion behandelnde Philip Kaufman. Dass ein Mann, der sich unmittelbar vorher an Milan Kundera und Henry Miller verlustiert hat, nun für eine Crichton-Adaption zuständig ist, spricht Bände. Und tatsächlich bestärkt sich nach und nach der Eindruck, dass die Rollenklischees, die "Rising Sun" durch die Bank bedient, bloß bewusst grobe Überzeichnungen sind: Der in Kampftechniken bewährte, afroamerikanische Machobulle hier, der weise (und weißbärtige) Papa-Gaijin-Schlumpf, der sich asiatischer gibt als Konfuzius und am Ende doch bloß so viel Japan repräsentiert wie die Form seiner Augen, der lebenslustige, sich den Verlockungen des Westens hingebende Yakuza (Cary-Hiroyuki Tagawa), der miese US-Bulle am anderen Spektrumsende (Harvey Keitel), der altehrwürdige japanische Großmogul (Mako), der kriecherische amerikanische Geldsack (Kevin Anderson), der korrupte Politiker (Ray Wise), der schleimige Reporter (Steve Buscemi). Alles drin, alles dran. Wenn man "Rising Sun" als das begreift, was er - zumindest in seiner klugen Filmgenesis - tatsächlich ist, nämlich als bitterböse Satire auf das bedingungslose, amerikanisch-imperialistische Abzielen auf allumfassende Kulturassimilierung, dann ist er hochinteressant. Als vordergründiger Wirtschaftsthriller erreicht er leider nur gehobenes Mittelmaß.

7/10

Philip Kaufman Michael Crichton Verschwoerung Los Angeles


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ARLINGTON ROAD (Mark Pellington/USA 1999)


"Boom."

Arlington Road ~ USA 1999
Directed By: Mark Pellington


Michael Faraday (Jeff Bridges), Professor für amerikanische Geschichte an der Washingtoner Uni, Terrorismus-Experte und Witwer mit zehnjährigem Sohn (Spencer Treat Clark) findet seinen Neuen Nachbarn Oliver Lang (Tim Robbins) und dessen Familie zunächst durchaus sympathisch, bis das Ungeheuerliche für ihn Gestalt annimmt: Lang, der in Wirklichkeit William Fenimore heißt, ist ein Terrorist, der bereits mehrere verheerende Bombenanschläge zu verantworten hat und jetzt etwas in der Hauptstadt plant.

Ganz spannender Paranoia-Thriller, der natürlich dann am besten ist, wenn er sich als Vexierspiel für Michael Faradays angegriffene Psyche verkauft und das blinde Umhertaumeln zwischen Gewiss- und Unsicherheit illustriert, mittels dessen der Gute seine Verdachtsmomente verfolgt. Als dann irgendwann klar ist, in welche Richtung der Hase läuft, wird "Arlington Road" bis zur wiederum überraschenden Klimax zum konventionellen, jedoch stets unterhaltsamen Genrefilm.
Der aus dem Videoclip-Segment kommende Pellington kann dabei kaum verhehlen, dass er als Regisseur ein oberflächlicher Arbeiter ist, der zwar über die nötige fachliche Kompetenz verfügt, jedoch weder so tief in die zugrunde liegende Geschichte eintauchen kann, das sie wirklich greifbar wird, noch dass er vermutlich jemals einen echte eigene Signatur als Filmemacher entwickeln wird. Das Meiste verdankt er seinen exzellenten Hauptdarstellern, speziell einem selten diabolischen Tim Robbins.

7/10

Terrorismus Washington D.C. Mark Pellington Vorort


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THE INDIAN RUNNER (Sean Penn/USA 1991)


"The bigger they come, the harder they fall."

The Indian Runner ~ USA 1991
Directed By: Sean Penn


Nebraska, frühe Siebziger: Während Joe Roberts (David Morse) sich als Polizist einen Namen gemacht hat, der nur ein einziges Mal strauchelt, nämlich, nachdem er einen Verfolgten (James Intveld) in Notwehr erschießen muss, führt sein aus Vietnam heimgekehrter Bruder Frank (Viggo Mortensen) das Leben eines Outlaw. Zwar gibt Joe sich alle Mühe ihn zu unterstützen und seine immer wieder hervorsprießenden dunklen Seiten im Zaum zu halten, doch bleibt er darin langfristig erfolglos.

Es gibt nicht viele Filme, die auf einem Song basieren - "The Indian Runner", Sean Penns erste Regiearbeit, markiert genau eine solche Rarität. Er adaptiert den Text von Bruce Springsteens "Highway Patrolman", formuliert ihn aus und ergänzt ihn um einige zusätzliche inhaltliche Details, die als neues Gesamtkunstwerk durchaus das Wohlwollen des Boss evozieren dürften. Der Geist des Stückes bleibt ja durchweg erhalten; die Staubigkeit des Mittelwestens, die Angst vorm Versagen, die Verzweiflung darüber, dass sich der kleine Bruder trotz aller Bemühungen nicht zur Vernunft bringen lässt. Ein wenig "East Of Eden" steckt darin; die alte Mär von den beiden Brüdern, von denen der eine des Vaters Augapfel ist und der andere, jüngere, der unverstandene Rebell. Ein recht bedeutsamer Stoff für ein Regiedebüt, doch Penn bekommt die Sache tadellos in den Griff und präsentiert sogleich eine Arbeit nach Maß, mit einer rührenden (tatsächlich der einzigen respektvollen) Altersrolle für Charles Bronson und aufsehenerregenden Gast-Appearances von Dennis Hopper und Guillermo del Toro. Aus seinen Vorbildern macht Penn keinen Hehl - und widmet den Film verstorbenen Mentoren und Großtätern: John Cassavetes und Hal Ashby.

8/10

Sean Penn period piece Familie Nebraska


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THE LAST DETAIL (Hal Ashby/USA 1973)


"We got all night, kid."

The Last Detail (Das letzte Kommando) ~ USA 1973
Directed By: Hal Ashby


Die zwei Navy-Soldaten Buddusky (Jack Nicholson) und Mulhall (Otis Young) bekommen den Auftrag, ihren jüngeren, wegen einer Nichtigkeit zu acht Jahren Miltärgefängnis verurteilten Kameraden Meadows (Randy Quaid) zum Knast zu eskortieren. Die fünftägige Reise nach Norden führt durch mehrere Großstädte und lässt die Männer nachhaltig an der ethischen Richtigkeit ihrer Aufgabe zweifeln.

"The Last Detail" legt den märchenhaften Impetus von "Harold And Maude" ziemlich harsch ad acta. Seine Soldaten sind zwar Menschen, und Zweifler noch darüberhinaus; doch sie führen am Ende pflichtbewusst ihren Auftrag durch, wie es die Admiralität von ihnen erwartet und unterscheiden sich damit, obwohl wir, das Publikum vielleicht kurzzeitig anderes erhofft hätten, nicht vom Gros ihrer Zunft. Ganz unabhängig davon, dass sie auf der Reise für ihren sympathischen Häftling, der nie die Gelegenheit hatte, erwachsen zu werden, den sie durch und durch verstehen begreifen, zu Lehrern und Ersatzvätern gar avancieren, obsiegt am Schluss doch die Autorität. Diese Weltsicht ist eine wesentlich schwärzere als sie Ashbys Vorgängerfilm transportierte, wahrscheinlich aber auch - leider -, eine wesentlich realistischere.

9/10

Hal Ashby Bordell New Hollywood Militaer Road Movie Freundschaft


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HAROLD AND MAUDE (Hal Ashby/USA 1971)


"Go and love some more!"

Harold And Maude ~ USA 1971
Directed By: Hal Ashby


Den reichen, jungen Harold Chasen (Bud Cort) als "todessehnsüchtig" zu bezeichnen ginge zu weit; seine Faszination vom Endgültigen beschränkt sich auf lustige Suizidinszenierungen, Beerdigungstourismus und heimliche Observierungen von Arbeiten mit der Abrissbirne. Harolds übermächtige Mutter (Vivian Pickles) übernimmt vermeintlich das Denken für ihn, doch kann auch sie nicht verhindern, dass ihr Filius sämtliche Heiratskandidatinnen in Rekordzeit aus dem Hause ekelt und aus seinem schicken Jaguar Coupé einen Leichenwagen bastelt. Als Harold auf einer Beerdigung die knapp achtzigjährige KZ-Überlebende Maude (Ruth Gordon) kennenlernt, erhält er ein paar Lebenslektionen, die diesen Namen ausnahmsweise einmal wirklich verdienen.

Geplättet vom "Easy Rider" - Erfolg ging auch die Studiokonkurrenz Wagnisse ein, die vorher und auch heute undenkbar wären. "Harold And Maude" reckt seinen großen, symbolischen Mittelfinger allem entgegen, was in der abendländischen Gesellschaft unter 'konventionell' firmiert. Diese Geschichte um Gerontophilie (die ja tatsächlich gar keine ist; Harold verliebt sich doch bloß in diese viermal so alte Frau, weil sie die erste weibliche Person in seinem Leben darstellt, die sich als wirklich liebenswert erweist) und den Widerstand gegen jedwede Form von repressiver Autorität ist mehr punk als jeder folgende Film der Dekade; hat er es doch gar nicht nötig, seine Anarchie als körperliche Tätlichkeit zu vermitteln. O.-Ton Maude: "Ich habe es nicht mehr nötig, die Menschen anzugreifen. Heute umarme ich sie." Diese charmante, intelligente Frau, die den Tod in seiner schlimmsten Variante kennengelernt hat, ist das diametrale Gegenteil von verbittert und plädiert für alles, was zählt: Uneingeschränkte Selbstbestimmung, Rebellion gegen die Obrigkeit, das unbedingte Hinwegsetzen über verfilzte Moralvorstellungen; schließlich die unerlässliche, pure Freude am Sein, am Moment. Und Ashbys Film? Der formuliert seinen kategorischen Imperativ so unmissverständlich, unüberhörbar, aufrichtig und wahrhaftig wie kein zweiter: LEBE!

10/10

Hal Ashby New Hollywood Paraphilie


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SHUTTER ISLAND (Martin Scorsese/USA 2010)


"You're a rat in a maze."

Shutter Island ~ USA 2010
Directed By: Martin Scorsese


1954 kommt der US-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) mit seinem neuen Kollegen Chuck (Mark Ruffalo) nach Shutter Island, einer kleinen Insel, auf der sich Ashecliffe, ein Sanatorium für kriminelle Geisteskranke befindet. Eine Insassin namens Rachel Solando, die hier ist, weil sie angeblich ihre drei Kinder ertränkt hat, soll aus ihrem Zimmer entflohen sein und sich nun irgendwo auf der Insel versteckt halten. Während Teddy und Chuck nach Rachel suchen, mehren sich Hinweise, dass auf der Insel etwas nicht stimmt: Wer ist der obskure Dr. Naehring (Max von Sydow)? Und was ist mit dem anscheinend unaffindbaren Patienten Nr. 67? Könnte es sich bei diesem tatsächlich um Andrew Laeddis (Elias Koteas) handeln, jenen Mann, der als pyromanisch veranlagter Hausmeister das Leben von Teddys Frau (Michelle Williams) auf dem Gewissen hat?

Es ist gut, über "Shutter Island" inhaltlich so wenig als möglich zu wissen, erst dann erschließt sich einem die ganze Wucht und das ganze Drama dieses von Scorsese wiederum formidabel inszenierten Films. Nach dem ersten Sehen darf ich mich als nachhaltig überwältigt bezeichnen von der unermüdlichen Kunstfertigkeit, mit der der Altmeister dieses neuerliche Meisterstück zu Wege gebracht hat. Vieles ist mir gleich in Auge und Ohr gefallen, jenes Oszillieren zwischen der Illustration der Vergangenheit und dem Einsatz modernster technischer Mittel etwa, die so nur ein Filmemacher hinbekommt, der beides selbst erlebt hat und mit beidem virtuos zu hantieren weiß, oder der exzellente, die mysteriöse Atmosphäre von "Shutter Island" entscheidend mittragende und -gestaltende Score von Robbie Robertson.
Reisen in zur Abseitigkeit neigende Psychen im Film finde ich prinzipiell hochinteressant, besonders, wenn sie auf so unangekündigte und subtile Weise praktiziert werden wie hier. Ich mochte im Gegensatz zu vielen anderen, die ihn bloß für ein billiges, im Establishment verankertes Oscarvehikel halten, auch Howards "A Beautiful Mind" sehr, an den mich "Shutter Island" am Ende stark erinnert hat. Die Finalisierung als Duell zwischen konservativer und offener Psychiatriepraxis mit ungesundem Ausgang setzt schließlich einen grandiosen Schlusspunkt. Ein toller, sogar ein überragender Film!

9/10

period piece Martin Scorsese Psychiatrie Dennis Lehane





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