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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CRÓNICAS (Sebastián Cordero/MEX, EC 2004)


Zitat entfällt.

Crónicas ~ MEX/EC 2004
Directed By: Sebastián Cordero

Der TV-Sensations-Journalist Manolo Bonilla (John Leguizamo) ist mit seinem Team (Leonor Watling, José María Yazpik) für einen in Miami ansässigen Latino-Sender in Ecuador unterwegs. Hier treibt seit Längerem ein Kindermörder sein Unwesen, der bereits Dutzende von Opfern auf dem Gewissen hat. Eine zufällige Spur ergibt sich, als der Bibel-Vertreter Vinicio Cepeda (Damián Alcázar) einen kleinen Jungen anfährt, dessen Zwillingsbruder bereits von dem "Monster von Babahoyo" ermordet wurde. Als der verzweifelte Vater (Henry Layana) der toten Jungen Vinicio auf offener Straße verbrennen will, landen beide Männer im Gefängnis. Manolo springt für Vinicio in die Bresche und verkauft ihn zunächst als unschuldiges Opfer unglücklicher Umstände. Doch ein weiteres Gespräch weckt in Manolo einen schrecklichen Verdacht: Vinicio selbst scheint der gesuchte Kindermörder zu sein, verfügt er doch über höchst brisante Informationen bezüglich des Falles. Bevor Manolo die Sache mit seinem Anchorman (Alfred Molina) klären kann, wird der bereits fertiggestellte Bericht gesendet; Vinicio kann unbehelligt abtauchen und seinem blutigen Geschäft weiter nachgehen.

Die Schuldigkeit des arroganten Journalisten: Weil "Don Manolo", wie ihn seine lateinamerikanischen Fans ehrerbietig rufen, eine flotte Story wittert, die ihn einmal mehr als Anwalt der Unterdrückten ausweisen wird, macht er sich mitschuldig im Falle des Monsters. Dass Vinicio Cepeda (dessen Figur augenscheinlich ihr verschleiertes, authentisches Vorbild in dem kolumbianischen Kindermörder Pedro Alonso Lopéz hat) der gesuchte Killer ist, daran lässt der Film keinen Zweifel: Gleich zu Beginn wird er beim Epilog eines seiner furchtbaren Verbrechen gezeigt. Es geht "Crónicas" also ganz eindeutig nicht um die Entlarvung des Täters, sondern darum, dass allein die Sensationsgeilheit des prominenten Fernsehmachers und vor allem dessen weigerung, sich zu seinem Fehler zu bekennen, Cepedas Flucht ermöglicht und ihn weitere Bluttaten begehen lassen wird.
"Crónicas" verzichtet auf eine allzu scharfe Umreißung des Gebotenen und legt Wert darauf, das "Monster von Babahoyo" trotz seiner irrsinnigen Aktionen als Mensch zu porträtieren, was Damián Alcázar, der seinen Part großartig ausfüllt, nebenbei vortrefflich gelingt. Vinicio Cepeda wird nie als Ungeheuer dargestellt oder auch nur als bedrohlich denunziert: hier ist ein gottesfürchtiger, etwas einfacher Mann, der seine Familie liebt, eine freundliche, gar unterwürfige Art an den Tag legt und seine Lügenkonstrukte offenbar selbst glaubt. Kein Haarmann, kein Kürten, kein Hannibal Lecter - nur ein verwirrter Mensch mit todbringenden Neigungen. In den Szenen mit Alcázar entwickelt "Crónicas" eine Kraft, die ihm sonst leider abgeht. Daran, dass der Film, der unter produktionstechnischer Beteiligung der renommierten mexikanischen Filmemacher Alfonso Cuarón und Guillermo del Toro entstand, einst als Prestigeobjekt für das lateinmamerikanische Kino gedacht war, bleiben am Ende wenig Zweifel. Mit John Leguizamo und Alfred Molina konnten zwei berühmte Ethno-Gesichter verpflichtet werden. "Crónicas" wurde bei der Academy als Beitrag für den besten internationalen Film eingereicht und er schlägt bei all seiner Medienschelte und vor allem angesichts seines grauenvollen Topos einen allzu gemächlichen Ton an.
Im Rahmen des Serienkiller-Films sicher ein interessanter Exkurs, mehr jedoch kaum.

6/10

Sebastián Cordero Serienmord Ecuador Alfonso Cuarón Guillermo del Toro Fernsehen Unfall Madness


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WAG THE DOG (Barry Levinson/USA 1997)


"A good plan today is better than a perfect plan tomorrow."

Wag The Dog ~ USA 1997
Directed By: Barry Levinson

Als nur zwei Wochen vor den Wahlen bekannt wird, dass der amtierende US-Präsident eine minderjährige Schülerin auf Besuch im Weißen Haus verführt hat, wird Connie Brean (Robert De Niro), Vertuschungsspezialist allererster Güte, hinzugezogen. Mithilfe des Hollywood-Produzenten Stanley Motss (Dustin Hoffman) inszeniert Brean kurzerhand einen Krieg gegen Albanien, um die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit von dem Skandal abzulenken. Trotz diverser Unwägbarkeiten geht der Plan letzten Endes voll auf, nur dass Motss schließlich seine geheime Verschwörerrolle nicht mehr spielen mag...

Nach der Lewinsky-Affäre um Bill Clinton gab es gleich einen ganzen Schwung von Politsatiren, die mehr oder weniger scharf die Öffentlichkeitsarbeit des Weißen Hauses und die Beeinflussbarkeit der medialen Objektivität ins Kreuzfeuer nahmen. "Wag The Dog" dürfte darunter wohl den vordersten Platz einnehmen, denn hierin wird die PR-Maschinerie des obersten Landesvertreters mitsamt ihrer Manipulations- und Verschleierungsmöglichkeiten gnadenlos mit einer praktisch allmächtigen Verbrecherorganisation gleichgesetzt. Dass Robert De Niro den freundlich auftretenden Medienberater Connie Brean personifiziert, ist dabei kein Zufall. Der in Gangsterrollen versierte Mime trägt hier zwar keine Maßanzüge und wirkt mit seinem buschigen Bart eher wie ein liebenswerter Kauz; wie groß tatsächlich sein Machtradius, zu welcher Eiseskälte er fähig ist und dass jede seiner zunächst ironisch wirkenden Todesdrohungen gegen aufmüpfige Mitwisser höchst ernst gemeint ist, wird spätestens gegen Ende des Films auf kompromisslose Weise verdeutlicht. Gegen Brean haben selbst CIA, FBI und Militär keine Chance, er ist der Mann am längsten Hebel der Staatsräson. Wie "Wag The Dog" seinen Spagat zwischen Komik und durchaus ernst gemeinter Regierungsschelte vollzieht, seine schneidige Scriptarbeit, das macht ihn zu einer der brillantesten und nachhaltigsten Arbeiten Levinsons. Ein wenig Kritik darf und muss der unbeständigen, teils unentschlossenen Inszenierung gelten, die sich mitunter nicht recht entscheiden kann, ob sie eher einem modisch-hektischen Pseudoreportage-Stil oder doch klassischer Erzählkunst zugetan sein möchte. Anhand dessen ließe sich mutmaßen, ob ein anderer Regisseur noch mehr aus dem Stoff hätte herausholen mögen.

8/10

Barry Levinson Satire Hollywood Politik Fernsehen


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I NEVER PROMISED YOU A ROSE GARDEN (Anthony Page/USA 1977)


"I like it here, outside."

I Never Promised You A Rose Garden (Ich hab' dir nie einen Rosengarten versprochen) ~ USA 1977
Directed By: Anthony Page

In den vierziger Jahren wird die erst sechzehnjährige Deborah Blake (Kathleen Quinlan) in die geschlossene Psychiatrie für Frauen überwiesen. Ihre etwas unbeholfene Diagnose lautet auf Schizophrenie. Deborah zieht sich häufig in die von ihr selbst kreierte, archaische Phantasiewelt "Yr" zurück, in der man sogar eine ganz private Sprache spricht. Sie verliert häufig ihr Zeitempfinden, neigt zu heftigen, emotionalen Ausbrüchen und irrationalen Angstzuständen sowie Selbstverstümmelungen. Mit der sensiblen, intensiven Hilfe der Therapeutin Dr. Fried (Bibi Andersson) gelingt es Deborah nach drei Jahren, ihre Psychose langsam in den Griff zu bekommen.

Eine beeindruckend-faszinierende Produktion aus dem mit solch vermeintlich sperrigen Stoffen eher selten assoziierten Hause Corman und zugleich sicherlich einer der eminentesten Filmbeiträge zum Thema Psychiatrie. In ihrem gleichnamigen, teil-autobiographischem Roman schilderte die Autorin Joanne Greenberg unter dem Pseudonym 'Hannah Green'. Ihre von den Ärzten als solche bezeichnete Schizophrenie bildete dem Vernehmen nach ein Konglomerat aus psychotischen Episoden, Depressionen und einer Borderline-Störung. Halluzinationen und der Verlust zeitlich geordneter Wahrnehmung kennzeichnen ihr Krankheitsbild, derweil das schlecht geschulte Pflegepersonal, allen voran der unbeholfene Hobbs (Reni Santoni), mit den Patientinnen häufig nach eigenem, oftmals sehr willkürlichen Gutdünken verfahren.
Page gelingt es, dem Rezipienten die sich oftmals abrupt vollziehenden Sprünge zwischen irrealis und Außenwahrnehmung durch seine empathische Darstellung von Deborahs Leiden begreiflich zu machen, hinzu kommt Kathleen Quinlans bravouröse Darstellung der jungen Frau und ihrer Krankheitssymptome. Die Finanzierung des zuvor allseits als heikel angesehenen Projekts gelang infolge des enormen Erfolges von "One Flew Over The Cuckoo's Nest", wobei Pages Film im Gegensatz zu dem von Forman auf eine allzu kritische, metaphorische Darstellung psychiatrischer Bestrebungen als sozial-medizinisches Instrument der Entmündigung verzichtet, um sich stattdessen eben intensiver auf die Person Deborahs sowie die inneren und äußeren Bemühungen betreffs ihrer Genesung konzentrieren zu können.

8/10

Anthony Page Roger Corman Joanne Greenberg Psychiatrie Madness Freundschaft


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IL ROSSETTO (Damiano Damiani/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Il Rossetto (Unschuld im Kreuzverhör) ~ I/F 1960
Directed By: Damiano Damiani

Die vierzehnjährige Silvana (Laura Vivaldi) ist heimlich in ihren Nachbarn Gino Luciani (Pierre Brice) verliebt, eine Tagelöhner und Klinkenputzer. Als in ihrem Haus eine als "leichtes Mädchen" bekannte Frau ermordet wird, fällt Gino spontan in den Verdächtigenkreis. Er jedoch behauptet, die Tote überhaupt nicht gekannt zu haben. Als Silvana ihm eröffnet, dass sie ihn am Tattag aus der Tür der Ermordeten habe kommen sehen, wird Gino jedoch nervös und schiebt dies auf Silvanas Einbildung. Von un an widmet er dem Mädchen mehr Zeit als beiden guttut und schließlich landet Gino als Hauptverdächtiger bei Commissario Fioresi (Pietro Germi). Dessen Verhör zieht eine Schlammschlacht nach sich, die vor allem die urplötzlich im Mittelpunkt des polizeilichen und öffentlichen Interesses stehende Silvana übel mitnimmt.

Ein Kriminalfall und wie er sämtliche Beteiligten und Unbeteiligten auf das Nachhaltigste involviert - für einen veritablen Vertreter des Neorealismus ist Damianis Frühwerk mit seinem wunderbar passgenauen Originaltitel ("Der Lippenstift") dann allerdings doch eine minimale Spur zu kolportagehaft geraten. Dabei liegt gerade darin der besondere Reiz des Films, nämlich Lokalkolorit und triviale Dramaturgie zu kreuzen, um daraus einen ebenso formal durchkomponierten wie sezierenden Genrefilm zu machen. Pierre Brice darf als schmieriger Filou noch große, man mchte bald konstatieren "ungewohnte" schauspielerische Qualitäten demonstrieren, wie es ihm in den Folgejahren nicht zuletzt durch seine immer normierteren elf "Winnetou"-Einsätze leider kaum mehr möglich war. Der eigentliche Star des Films dürfte jedoch Laura Vivaldi sein, die durch ihre berückende Darstellung eines emotional hoffnungslos überforderten, fragilen Mädchens im Angesicht selbstgerechter Maskulinität, die gleich aus mehrerlei Richtungen auf sie einprasselt, zu zerbrechen droht.

8/10

Damiano Damiani Rom Coming of age


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THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (Nunnally Johnson/USA 1956)


"If you're going to be slick, be slick in the city."

The Man In The Grey Flannel Suit (Der Mann im grauen Flanell) ~ USA 1956
Directed By: Nunnally Johnson

Für den Ehemann und Familienvater Tom Rath (Gregory Peck) ergeben sich gleich mehrere Probleme: Seine Frau Betsy (Jennifer Jones) wirft ihm vor, nach seinem Kriegseinsatz nicht mehr den früheren Biss zu besitzen und sich allzu schnell mit dem Mindesten zufrieden zu geben. Als sich Tom die Chance bietet, bei einem großen New Yorker Fernsehsender als PR-Berater anzufangen, wird er zudem mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Als alliierter Offizier hatte er zu Kriegszeiten in Rom ein Techtelmechtel mit einer Italienerin (Maria Montagne), aus dem, wie er von einem ihm zufällig wiederbegegneten Kameraden erfährt, ein mittlerweile zehnjähriger Sohn hervorgegangen ist, der in Armut aufwächst. Hinzu kommt, dass Toms Besitzrecht betreffs des von seiner verstorbenen Mutter geerbten Hauses von deren früherem Faktotum (Joseph Sweeney) angefochten wird. Kann Toms Ehe dieser elementaren Dreifach-Krise standhalten?

Nach einem ehedem berühmten Roman des Autors Sloan Wilson entstand dieses Prestige-Projekt der Fox, das in mehrerlei Hinsicht Erinnerungen an "The Best Years Of Our Lives" wachruft und nicht zuletzt diesbezüglich ganz bestimmt für den Gewinn vieler Preise konzipiert wurde. Zumindest die Academy jedoch zeigte sich verhalten und Johnsons Film, eine seiner wenigen Regiearbeiten, ist heute kaum mehr als eine Studio-Fußnote, wie so häufig zu Unrecht. Mag "The Man In The Gray Flannel Suit" auch nicht ganz die ausgestellte Famboyanz der Werke eines Douglas Sirk besitzen - als klassisches Drama mit all den dazugehörigen Attributen präsentiert er sich als tadelloses Kinostück, das in seiner existenzialistischen Tragweite oben genanntem Filmemacher durchaus Paroli zu bieten vermag. Mag Gregory Peck in der Rolle des leidenden Versagers, der an sich und seinem Leben einige Scharten auszuwetzen hat, auch fehlbesetzt sein: Den notwendigen Glamour bringt er recht mühelos in sein Porträt jenes amerikanischen Allerweltsmannes mit ein, wenngleich man stets felsengfest der Überzeugung bleibt, dass er am Ende wieder Oberwasser gewinnen wird. Der Titel bezieht sich natürlich in denkbar anonymster Form auf Tom Rath als Repräsentanten seiner Generation: kriegstraumatisiert, geheimnisumwittert, neuen Gesellschaftsfacetten wie Feminismus und Karrierismus noch nicht gewachsen. Ein Kerl, der wiederum kämpfen muss, um in jener ungewohnten Welt bestehen zu können. Interessanter in diesem Zusammenhang fast noch die Nebenfiguren: Fredric March als herzkranker Senderchef, der irgendwann seinen beruflichen Aufstieg vor seine Familie geschoben hat und Lee J. Cobb in einer ausnahmsweise rundum liebenswerten Rolle als ruraler Richter, dem Tom Rath am Ende viel zu verdanken hat.

8/10

Ehe Familie WWII Veteran New York Connecticut Rom Nunnally Johnson


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NIGHTCRAWLER (Dan Gilroy/USA 2014)


"A friend is a gift you give yourself."

Nightcrawler ~ USA 2014
Directed By: Dan Gilroy

Er scheint aus dem Nichts zu kommen, aber hier ist er nun: Louis Bloom (Jake Gyllenhaal), arbeitslos, moralisch flexibel, zu diversen Schandtaten bereit, um über die Runden zu kommen. Als er zufällig den Nightcrawler Joe Loder (Bill Paxton) bei der Arbeit beobachtet, weiß Louis: so was kann er nicht nur, das muss er selbst machen. Als Nightcrawler gilt es, möglichst aufregendes Filmmaterial aus möglichst kurzer Distanz an den meistbietenden TV-Sender zu veräußern, auf dass dieser einen möglichst reißerischen Aufmacher für seine Morgennachrichten bringen kann. Mit einer kleinen Kamera und einem Funkscanner ausgestattet macht sich Louis auf den Weg um Verletzte, Sterbende und Kriminelle auf seine Linse zu bannen, ohne das geringste Bisschen Pietät oder gar Respekt dabei zu empfinden. Als sein Mitarbeiter, der Tagelöhner Rick (Riz Ahmed), hinter Louis' aalglatte Fassade blickt, wird er ihm gefährlich. Anders als die alternde Redakteurin Nina (Rene Russo), die Louis mehr und mehr in seinen Bann schlägt.

Eine vergleichsweise offen interpretierbare Satire über den modernen Berufsaufsteiger und seine Methodenvielfalt. Louis Bloom ist eine Art westküstlicher Gordon Gekko der Nacht, ein gewissenloser Opportunist, der jede sich ihm bietende Chance zu seinem Vorteil zu nutzen bereit ist und seinen Weg sogar noch weitaus unbeirrbarer geht als seine bereits ungenießbaren Berufsgenossen. Sein kaltes Lächeln legt Louis Bloom nie ab, ebenso wenig wie seine Fassung und sein stets beherrschtes, höfliches Erscheinen. Hinter seiner Stirn jedoch verbergen sich rückhaltloses Kalkül und unbezwingbarer Aufstiegswille. Wer oder was Louis Bloom vorher war, lässt "Nightcrawler" ganz gezielt offen; er tritt als weitestgehende tabula rasa auf, von der man eingangs lediglich erfährt, dass er auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, um einen schnellen Dollar zu machen. Seine "Bestimmung" folgt jedoch auf dem Fuße: Die Option, aus dem Leid Anderer, auch um deren komplette Entmenschlichung Willen, unter dem Deckmantel der öffentlichen Informationspflicht Kapital zu schlagen.
Dabei verharrt Gilroys Fokus nicht allein auf Louis Bloom; letzten Endes ist auch er nur ein Zahnrädchen in einer massenmedial überfütterten Welt, in der die schlechtesten Nachrichten im Sinne ihres Verkaufspotenzials stets die besten sind. All die Angestellten und Bürger, die zum allmorgendlichen Müsli die neuesten Schreckensmeldungen ihrer Metropolis verlangen, um dann auf der Arbeit bloß fruchtbaren Gesprächsstoff auspressen zu können, sind es, die Figuren wie Nina Romina und Louis Bloom erst ermöglichen. Nicht die sind die Amoralischen, wir, ihre bereitwillig zahlende Kundschaft, sind es.

8/10

Dan Gilroy Los Angeles Madness Fernsehen Satire Nacht


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THE STORY OF RUTH (Henry Koster/USA 1960)


"Where are His blessings?" - "You are one of them."

The Story Of Ruth (Das Buch Ruth) ~ USA 1960
Directed By: Henry Koster

Um 1000 v. Chr.: Die moabitische Priesterin Ruth (Elana Eden) ist im strengen Glauben an den Gott Kemosch erzogen worden, dem regelmäßig kleine Mädchen geopfert werden und der den reichen Führungsriege im Lande als Götzenbild dient. Als Ruth den Judäer Mahlon (Tom Tryon) kennenlernt, der ihr von seinem christlichen Gott berichtet, beginnt sie an Kemosch zu zweifeln und stört schließlich die Opferung der von ihr schwesterlich geliebten Tebah (Daphne Einhorn). Daraufhin wird Mahlon zur Arbeit im Steinbruch verdonnert und Ruth zur Besinnung ihrer selbst ins Gefängnis gesteckt. Nach ihrer Entlassung sorgt sie für Mahlons Flucht, doch der Unglückliche wird tödlich verwundet. Zusammen mit Mahlons Mutter Naomi (Peggy Wood) erreicht Ruth schließlich Judäa, wo sie den Grundbesitzer Boaz (Stuart Whitman) kennenlernt, der die Moabiter hasst. Nun ist es an Ruth, einen anderen Menschen zur Besinnung zu bringen und zur Toleranz zu erziehen, über viele Hindernisse hinweg.

Sieben Jahre nach "The Robe" noch ein koster'scher Bibelschinken für die diesbezüglich spezialisierte Fox, diesmal alttestamentarisch gewichtet, jedoch nicht weniger bunt, breit und pathetisch als das Vorbild. Populärere Stars bleiben in "The Story Of Ruth" Mangelware; den bekanntesten Namen stellt bezeichnenderweise Stuart Whitman und die Titelrolle spielt die zuvor gänzlich uneschriebene, israelische Bühnenaktrice Elana Eden, die dem Filmgeschäft danach ganz schnell wieder den Rücken kehrte.
Wie die meisten hollywood'schen Bibel-Adaptionen ist auch "The Story Of Ruth" unglaublich campy und geradezu perfid in seiner vordergründigen Anpreisung des Christentums: Die wesentlich buntere, interessantere weil verruchtere Gottheit wohnt nämlich jenseits des Jordan, in Moab, wo das Gold glänzt, der Prunk prunkt und alte, glatzköpfige Männer junge Mädchen für ihr Vergnügen züchten. Wie langweilig und spießig muten dagegen die Judäaer an, die sich mit kargen, staubigen Ähren begnügen müssen, ihre Nachbarn in Verruf bringen und im Grunde doch kaum minder abergläubisch und blutrünstig sind als ihr Nachbarvolk, nur, dass hier alles unter dem Deckmäntelchen bescheidener Sittsamkeit gärt.
Dabei sind auch die Judäer am Glücklichsten, wenn sie einen Sündenbock steinigen können oder Feste mit Wein, folkloristischem Tanz und willigen Mädchen feiern können. Ob Koster sich jener ambivalenten Dimension seines Films bewusst war, weiß ich nicht. Falls ja, gebührt ihm allerhöchstes Lob. falls nicht, bewies er zumindest unterschwellig ein bravouröses Gespür für die Ausstellung krankhafter Bigotterie.

7/10

Henry Koster Bibel Israel Camp period piece


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SLEEPERS (Barry Levinson/USA 1996)


"Hell's Kitchen. It is the lost and found of shit."

Sleepers ~ USA 1996
Directed By: Barry Levinson

Im Sommer 1967 verursachen vier jugendliche Freunde aus Hell's Kitchen, Lorenzo (Joe Perrino), Michael (Brad Renfro), John (Geoffrey Wigdor) und Tommy (Jonathan Tucker) aus kriminellem Leichtsinn heraus einen schweren Unfall: Ein von ihnen gestohlener Hot-Dog-Wagen zerquetscht beinahe einen unbeteiligten Passanten. Es folgt ein rund anderthalbjähriger Jugendarrest im Wilkinson-Gefängnis, der das Leben der Jungen nachhaltig verändert: Die Wächter um den sadistischen Nokes (Kevin Bacon) prügeln, foltern, missbrauchen, vergewaltigen die Freunde, die aus Scham über das Erlebte nie zu sprechen wagen. Rund 15 Jahre später begegnen John (Ron Eldard) und Tommy (Billy Crudup) Nokes zufällig in einer Kneipe und erschießen ihn. Michael (Brad Pitt), nunmehr Staatsanwalt, sieht in dem Mord die Möglichkeit, seine lange schwelende Rache an der Wachmannschaft von Wilkinson in die Wege zu leiten. Zusammen mit Lorenzo (Jason Patric) fasst er einen komplexen Plan, wie John und Tommy freikommen und die alte Rechnung beglichen werden kann.

Nach dem doch sehr sleaze-affinen "Disclosure" machte sich Levinson an ein wesentlich ernsteres und brisanteres Thema: Den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlen im Staatsgewahrsam. Basierend auf einem Buch von Lorenzo Carcaterra, der ebenjene im Film wiedergegebene Ereignisse, oder zumindest Teile davon, höchstselbst erlebt haben will.
Als ich "Sleepers" damals erstmalig im Kino sah, fand ich ihn ärgerlich bis mäßig, weil hier offensichtlich einer probierte, Scorsese seine Dömäne streitig zu machen, und das auch noch mit Unterstützung seines (damaligen) Hausstars Robert De Niro. Besonders das erste Viertel des Films, dass mit teils humorig-liebevoll-nostalgischem, teils sozialkritischem Blick die typische Jugend jener vier New Yorker Jungs in den Spätsechzigern abbildet, wirkt mit seiner weichen Unterlage zeitgenössischer Songs wie der zigste Abzug einer x-mal betrachteten Fotografie. Doch auch was dem folgt, kann nicht eben als innovativ bezeichnet werden: Psychische Sollbruchstellen, die nie aufgearbeitet wurden, ein komplexer Racheplan, ein Priester, der mit seinem Glauben und Gewissen hadert, weil er einen - moralisch gerechtfertigten - Meineid leisten soll. Die Figuren stammen durchweg aus der Kiste der Kintopp-Stereotypen, vom alternden Revier-Paten (Vittorio Gassman) über den prügelnden Familienvater (Bruno Kirby) und den fetten Kioskbetreiber (Frank Medrano), bis hin zum versoffenen Anwalt (Dustin Hoffman) und besagtem, väterlichen Pfarrer (De Niro). Und natürlich darf und muss einer der vier miesen Knastwärter (Terry Kinney) auch echte Reue zeigen. Vielfache Gelegenheit für eine mehr als beachtliche Starbesetzung, ihr gewohnt patentes Können zu demonstrieren, was auch für die tadellose Formseite von "Sleepers" gilt, die unter anderem einen tränentreibenden John-Williams-Score vorschützt.
Heuer gefällt mir "Sleepers" etwas besser, weil ich mich mittlerweile im Stande sehe, sein doch sehr kalkülbedachtes Wesen zugunsten seiner fraglos vorhandenen Qualitäten weitgehend abstrahieren zu können. Das macht sein allzu emsiges Bestreben, vor allem feuilleton- und zuschauergerechtes Kino herzustellen, jedoch nicht unbelassen. Dass damit sein tatsächlich schlimmes, ja, furchtbares Sujet zu einem schicken Hochglanzfilm "umgearbeitet" wird, hinterlässt bei mir nach wie vor einen schalen Beigeschmack.

6/10

Barry Levinson New York Freundschaft Sexueller Missbrauch Rache Courtroom Jugendarrest Gefängnis


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DISCLOSURE (Barry Levinson/USA 1994)


"Back then, they were keen on you - now they're keen on your job."

Disclosure (Enthüllung) ~ USA 1994
Directed By: Barry Levinson

Der bei einem Computerkonzern beschäftigte Familienvater Tom Sanders (Michael Douglas) wird zum Opfer einer firmeninternen Intrige, deren Ziel es ist, ihn wegen Inkompetenz vor die Tür setzen zu können. Der umständlich inszenierte Plan beginnt mit dem Versuch, Tom durch die neue Führungskraft Meredith Johnson (Demi Moore), zugleich eine frühere Geliebte Toms, diffamiere zu lassen. Die spitze Lady versucht Tom zu verführen, was dieser jedoch noch gerade abbremsen kann, bevor es zum Koitus kommt. Am nächsten Morgen hat er eine Beschwerde wegen sexueller Nötigung am Arbeitsplatz auf dem Tisch, kann sich jedoch mithilfe der Anwältin Catherine Alvarez (Roma Maffia) erfolgreich aus der Sache herauswinden. Doch der Tom daraufhin neu offerierte Arbeitsvertrag hat einen bösen Widerhaken...

Edeltrash, der nach zwanzig Jahren ein ebenso unterhaltsames wie belustigendes Zeitdokument abgibt. Weniger der große Aufhänger und -reger von Roman und Film, die Gender-Problematik um sexuelle Unflätigkeiten am Arbeitsplatz, welche ja stets ein Symbol des Machtgefälles darstellt und in der Regel von Mann an Frau verübt wird, zu diametralisieren, macht "Disclosure" retrospektiv bezeichnend, sondern seine höchst reaktionäre Angst vor einer omnipräsenten Technokratisierung. Damals noch neue, hippe Begriffe wie 'Cyberspace', 'Virtual Reality', 'Internet', 'E-Mail' und 'Mobiltelefon' spielen enorme Rollen bei der wechselseitigen Ausspionierung und bezogen auf anonyme Stichwortlieferanten. Die Welt von "Disclosure" ist an Konservativismus kaum mehr zu überbieten: Das wohlsituierte, obermittelständische Familienbild erweist sich als ebenso etabliert wie die klar definierten Rollenbilder von Mann und Frau im sozialen Gefüge und am Arbeitsplatz. Das häusliche Frauchen Mrs. Tom Sanders (Caroline Goodall, offenbar bewusst entfärbt) etwa ist zwar juristisch gebildete Akademikerin, aber brav und treu und selbst in schärfsten Krisensituationen tapfere Flankiererin ihres schlingernden Gatten; selbstbestimmte Frauen wie Meredith Johnson derweil sind neurotische, erfolgsgeile Schlampen, die es angesichts ihres halbseidenen Aufstigsgebahrens an ihren Platz zu verweisen gilt. Das eigentliche Spiel spielen sowieso weißhaarige Managertypen wie der von Donald Sutherland lustvoll karikierte Bob Garvin, der trotz aller Übervorteilungsspielchen am Ende dort bleibt, wo er ist: an der Spitze.
Dass "Disclosure" vor losen Enden und Logiklöchern nur so strotzt, verzeiht man ihm angesichts seiner naiven, beim besten Willen nicht ernstzunehmenden Establishment-Hofierung fast blind. Außerdem gibt es zwei wunderbar komische Szenen, die mit zum Witzigsten des Dekadenkinos zählen (Sanders' Albtraum von Bob Garvin und ihm im Fahrstuhl und wie er später im Zuge seiner Privatspionage im "Four Seasons" vor einer Putzfrau erschrickt. Super!)
Ein Film, ebenso doof wie amüsant.

5/10

Barry Levinson Cyberspace Mobbing Verschwörung femme fatale Seattle Michael Crichton


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DÉSIRÉE (Henry Koster/USA 1954)


"Don't worry, no one's going to pull up my skirts and look!"

Désirée ~ USA 1954
Directed By: Henry Koster

1794 erscheinen der junge Korse Napoleon Bonaparte (Marlon Brando) und sein Bruder Joseph (Cameron Mitchell), wo sie die Schneiderfamilie Clary kennenlernen. Deren jüngste Tochter Désirée (Jean Simmons) verliebt sich heftig in den ebenso exzentrischen wie zielstrebigen Napoleon, der sich anschikt, die Ideale der Revolution in ganz Europa zu verbreiten. Nachdem Napoleon nach Paris abgereist ist und lange nichts von sich hören lässt, reist Désirée im besorgt nach. Zu ihrem Entsetzen muss sie vor Ort feststellen, dass Napoleon mittlerweile seine Hand bereits der gesellschaftlich etablierten Josephine de Beauharnais (Merle Oberon) angetragen hat. Während Napoleons Aufstieg unaufhaltsam voranschreitet, finde Désirée Trost in den Armen des Hofmarschalls Bernadotte (Michael Rennie). Doch Napoleons Liebe zu der einst aus strategischen Gründen Verschmähten versiegt nie ganz. Désirée findet jedoch ihr Glück an der Seite ihres Mannes, der als gewählter König von Schweden schließlich zu einem der Todfeinde und Besieger Napoleons avanciert. Sein endgültiges Exil auf St. Helena tritt Napoleon erst an, nachdem Désirée ein letztes Mal mit ihm zusammentrifft.

Ein edler Schmachtfetzen, der nach "The Robe" neuerlich Henry Kosters Kunst im Umgang mit dem noch jungen CinemaScope-Format demonstriert. Neben den exquisiten Kostümen und Interieurs gestalten sich somit vor allem Bildgestaltung und Kadrage als veritabler Augenschmaus. Im betonten Verzicht darauf, eine Napoleon-Biographie oder gar ein Schlachtengemälde zu präsentieren, weichen sowohl der stets aus verdunkelten Augen linsende Brando als auch jedwede eventuelle Form gewaltigen Aktionismus' aus der Dramaturgie des Films, der seinem Titel gemäß tatsächlich um eine Charakterstudie seiner liebenswerten Titelfigur bemüht bleibt. Wenngleich die rund 21 erzählte Jahre umfassende Geschichte um Désirée Clary eng mit Aufstieg und Fall des sich selbst krönenden Imperators verwoben ist, tritt dieser trotz unentwegter Omnipräsenz ("Désirée" lässt keinen Zweifel daran, dass dieser kleine Mann und sein gigantisches Ego die gesamte Ära in außerodentlichem Maße prägen) gewissermaßen in den personellen Hintergrund. Gerade dieser bewusste Verzicht auf eine Exponierung seiner Person verleihen "Désirée" eine für den hollywoodschen Kostümfilm jener Jahre ungewohnte Zurückhaltung und Intimität. Umso höher ist er, mancher Klischeefalle zum Trotz, als eigenständiges Stück Kino ein- und wertzuschätzen.

8/10

Henry Koster period piece Historie Napoleon amour fou Ehe Frankreich Paris Schweden Stockholm Familie Adel Marseille Biopic





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