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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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DELLAMORTE DELLAMORE (Michele Soavi/I, F, D 1994)


"I'd give my life to be dead."

Dellamorte Dellamore ~ I/F/D 1994
Directed By: Michele Soavi


Francesco Dellamorte (Rupert Everett) ist der Friedhofswärter von Buffalora, einem pittoresken norditalienischen Städtchen. Zusammen mit seinem debilen Gärtner Gnaghi (François Hadji-Lazaro) trägt er Sorge dafür, dass Grabsteine, Totenacker und Gebeinehaus stets tadellos in Schuss bleiben, doch damit nicht genug - auf diesem Friedhof, über dessen Tor groß der Schriftzug 'Resurrectus' prangt, pflegen die Toten nämlich spätestens sieben Tage nach ihrer Bestattung als Zombies wiederzukehren, was eine neuerliche Entsorgung nötig macht - nach der Zerstörung des Gehirns, versteht sich. Als Francesco sich in eine schöne, namenlose Witwe (Anna Falchi) verliebt, bekommt sein Leben eine seltsame Wendung...

Die Erkenntnis, dass wir letzten Endes alle bloß in unserer höchstpersönlichen Schneekugel leben, die von Zeit zu Zeit mal ordentlich durchgeschüttelt wird, muss so niederschmetternd nicht sein. Mit "Dellamorte Dellamore" gelang Michele Soavi jedenfalls einer der seltsamsten und schönsten Horrorfilme des letzten Jahrzehnts. Fragen an den Film zu stellen ist völlig redundant, denn in schönster Konventionsmissachtung kettet der Regisseur magische Bilder von immenser lyrischer Kraft aneinander, deren Bedeutung sich jedoch, einer Asssoziationskette gleich, höchstens kurzfristig und bestenfalls als Gedankenhauch niederschlägt: Film als Traum. Physikalische Gesetze oder gar solche der Logik haben hier keinerlei Bedeutung; Soavis Film steht ohnehin viel deutlicher in der Tradition von Buñuels Spätwerk und natürlich Giraults "La Soupe Aux Choux" als in der Romeros oder gar Soavis eigener Landsleute Fulci oder meinetwegen Lamberto Bava und Argento.
"Dellamorte Dellamore", dessen bezaubernder Titel bereits hinreichend über die ewige existenzielle Dualität von Tod und Liebe plaudert, lapidar als 'Zombiefilm' zu bezeichnen, käme ergo fast einer Majestätsbeleidigung gleich. Andererseits liegt hier in der Tat der große Ausnahme-Zombiefilm vor, einer, den man guten Gewissens selbst baskenmützenbewährten, selbsternannten Kunstliebhabern im Programmkino vorführen könnte.

9/10

Italien Zombies Surealismus Michele Soavi Splatter


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SOMETHING WICKED THIS WAY COMES (Jack Clayton/USA 1983)


"Come visit me, sir, if you wish to improve your education."

Something Wicked This Way Comes (Das Böse kommt auf leisen Sohlen) ~ USA 1983
Directed By: Jack Clayton


Die beiden dreizehnjährigen Freunde Will Halloway (Vidal Peterson) und Jim Nightshade (Shawn Carson) registrieren mit Spannung, dass "Dark's Pandemonium Shadow Show", der herbstliche Jahrmarkt, auf dem Weg in ihr Städtchen Green Town ist. Allerdings umgibt eine mysteriöse Spannung gleich die Ankunft des Showgeschäfts. Will und Jim finden bald heraus, dass Mr. Dark (Jonathan Pryce) und sein Adlatus Mr. Cooger (Bruce M. Fischer) nichts Geringeres als zwei dämonische Wesen auf Seelenfang sind, um ihren Jahrmarkt mit neuen "Attraktionen" aufpeppen zu können. Nachdem bereits die ersten Stadtbewohner, gelockt mit der Erfüllung ihrer Herzenswünsche, in Darks Menagerie Einzu gehalten haben, will der Finsterling sich auch Wills an einer alten Schuld knackenden Vater (Jason Robards) unter den Nagel reißen, doch die Jungs lassen das nicht so ohne Weiteres zu.

Basierend auf seinem eigenen Roman, jener ein Bestandteil seiner "Green-Town-Trilogy", verfasste Ray Bradbury höchstpersönlich das Script für dieses hierzulande leider nahezu völlig unbekannte, dunkle Filmmärchen. Das - sofern überhaupt ein passender Terminus - Problematische an der Geschichte um einen dämonischen Seelenfänger, sein gruseliges Etablissement und zwei heldenhafte Halbwüchsige, die ihn aufhalten, liegt ganz einfach darin, dass Schauergeschichten für Kinder in den letzten Jahrzehnten der Behütungspädagogik zunehmend verpönt waren und sind. Insbesondere Claytons (überraschenderweise von Walt Disney produzierte) filmische Umsetzung lässt ganz willkürlich offen, welche Alterseignung man mitbringen sollte, um "Something Wicked" zur Gänze genießen zu können. Für Kinder inhaltlich zu unwegsam, für Erwachsene emotional zu naiv - und damit ein Kandidat der berühmten "Weder-Fisch-noch-Fleisch"-Kategorie - sofern man vergessen hat, wie kindliche Begeisterung funktioniert wenigstens. Tatsächlich ist der Film (dessen formvollendeter Titel auf einem "Macbeth"-Zitat basiert, welches Mr. Halloway, belesener Bibliothekar, angesichts seiner ersten Begegnung mit Mr. Dark skandiert) ein lohnenswertes Wagnis, so man bereit ist, sich auf die magische Mixtur dieses Experiments zwischen emotionaler Naivität und scharfer Intellektualität einzulassen. Satisfaction guaranteed!

8/10

Jack Clayton Ray Bradbury Carnival Freundschaft Kinder


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VALERIE A TYDEN DIVU (Jaromil Jireš/ČSSR 1970)


Zitat entfällt.

Valerie A Týden Divu (Valerie - Eine Woche voller Wunder) ~ ČSSR 1970
Directed By: Jaromil Jireš


Im frühen 19. Jahrhundert: Valerie (Jaroslava Schallerová), ein Mädchen aus der Provinz, bekommt ihre erste Menstruation und die Welt steht plötzlich Kopf: Schein und Sein sind nicht mehr unterscheidbar, Vampire und lüsterne Kirchendiener tauchen auf, Valerie selbst wird der Hexerei bezichtigt und landet auf dem Scheiterhaufen, ihre erste große Liebe (Petr Kopriva) scheint zugleich ihr eigener Bruder zu sein und selbst über ihre bislang sicher geglaubte eigene Herkunft legen sich Schleier der Ungewissheit.

"Valerie" als nur kurz nach dem Prager Frühling entstandenes Spätwerk der tschechoslowakischen New Wave repräsentiert ein leuchtendes Beispiel für das Aufbruchspotenzial der Kunst in einer von Repression gebeutelten Kultur und bereits als solches unbedingt sehenswert. Weibliche Sexualität ist das Thema der bereits in den dreißiger Jahren erschienen surrealistischen Romans von Vítězslav Nezval. Jener bekleidet eine wichtige Vorreiterfunktion innerhalb einer kunstübergreifenden, poetischen Bewegung, die junge Frauen, ihre Geschlechtsreife und ihre ersten Lustempfindungen parallelisiert beziehungsweise mit klassischen Horror- und Schauermotiven kombiniert. Besonders im Film gibt es dafür mittlerweile zahlreiche Beispiele, die von Tourneurs "Cat People" (und natürlich nicht minder Schraders Remake) über Blackburns "Lemora" bis hin zu Jordans "Company Of Wolves" reichen, wobei letzterer, wie ich jüngst lernen durfte, sogar indirekt von "Valerie" beeinflusst ist.
Von Jireš' Film darf man keine stringente Narration erwarten, der Film ist inhaltlich und visuell von reinen Assoziationsketten bestimmt. Seine Bilder bleiben dabei stets zurückhaltend und taktvoll, so dass der Vorwurf ästhetischer Grenzüberschreitung hier erst gar nicht greifen konnte. "Valerie" ist dazu bestimmt, sich haltlos in ihn fallen und die Ratio für eine und eine Viertelstunde brach liegen zu lassen, auf dass man sich ausschließlich an der zwischen romantischer Zartheit und sanfter Beunruhigung oszillierenden Atmosphäre des Films delektiere.

8/10

Sexualitaet period piece Traum Avantgarde Surrealismus Vitezslav Nezval Jaromil Jires


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ALICE IN WONDERLAND (Tim Burton/USA 2010)


"Off with their heads!"

Alice in Wonderland (Alice im Wunderland) ~ USA 2010
Directed By: Tim Burton


Die junge, selbstbewusste Halbwaise Alice Kingsley (Mia Wasikowska) flieht nach einem öffentlichen Heiratsantrag durch den unangenehm verschrobenen Aristokratensohn Hamish Ascott (Leo Bill) in den Garten und in einen Kaninchenbau, an dessen Ende sie alle Figuren aus ihren Kindheitsträumen wiederentdeckt. Sie wird dort, im "Wunderland", schon sehnsüchtig erwartet, denn es gilt, die böse Rote Königin (Helena Bonham Carter) zu vetreiben, bzw. ihren Drachen, den Jabberwocky, zu erschlagen. Erst nach einigem Zögern sieht sich Alice dieser Aufgabe gewachsen und findet dadurch die Kraft, auch ihre Probleme im Diesseits zu regeln.

Weniger eine um Exaktheit bemühte Carroll-Verfilmung denn eine Fortsetzung seiner "Alice"-Geschichten. Die Protagonistin leidet offensichtlich an einer Art Teilamnesie, als sie im Film nach ihrer überstürzten Flucht aus dem Gartenpavillon ohne sich dessen bewusst zu sein bereits zum wiederholten Male das Wunderland betritt. Dessen Bewohner identifizieren sie indes nämlich noch vorsichtig als ihr - nunmehr gereiftes - alter ego (und analog dazu als jenes kleine bzw. jüngere Mädchen als das sie einst hier ihre Abenteuer erlebte), sind sich ihrer allerdings, aufgrund ihrer Erwachsenwerdung, zu Anfang nicht ganz sicher.
Diese Mehrdimensionalität zeigt Wirkung: Anders als in den Geschichten üblich geht es hier weniger um die grenzenlose Macht der Imagination als um eine junge Dame an der Schwelle zu unbeirrter Emanzipation, die ihre Kraft zur künftigen Mündigkeit aus der sich bei Burton mitnichten als Traumland präsentierenden Parallelwelt zieht. Jenes Wunderland derweil zeigt sich bei aller wiederum bemühten Gestaltungs- und Detailfreude, wie schon das viktorianische London in "Sweeney Todd", als komplett durchdigitalisiertes Rechner-Shangri-La, in dem konsequenterweise jedes sichtbare organische Körperteil wie ein Fremdkörper erscheint. Für mich ist das nichts; ich kann zwar Arbeit und Aufwand dahinter respektieren, mag es aber deutlich lieber, wenn ein Film atmet und nicht unter glitzernder Plastikfolie erstickt wird. Darum sehe ich mir auch grundsätzlich keine dieser neuen Fantasy-Literaturadaptionen von "Narnia" bis hassenichgesehn an. Selbst, da Burtons inszenatorische Kraft den Film nicht nur "rettet", sondern ganz klar über das durchschnittliche Biedermeierkino hinaushievt, hoffe ich insgeheim doch sehr, dass er den mit "Alice In Wonderland" eingeschlagenen stilistischen Weg nicht weiterverfolgt.

7/10

Parabel Lewis Carroll Maerchen Tim Burton Disney England 3-D Coming of Age Kinder period piece


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SLEEPY HOLLOW (Tim Burton/USA 1999)


"I stand up for sense and justice."

Sleepy Hollow ~ USA 1999
Directed By: Tim Burton


Der jüngst geschlagene, erste Unabhängigkeitskrieg wirft noch seine Schatten, als der zugleich aufklärerische und exzentrische New Yorker Constable Ichabod Crane (Johnny Depp) in das von holländischen Emigranten bewohnte Provinznestlein Sleepy Hollow beordert wird, um dort eine Serie mysteriöser Enthauptungen aufzuklären. Crane, der selbst ein dunkles Kindheitsgeheimnis mit sich herumträgt, und dem Blut und Geister im wahrsten Sinne des Wortes spinneeklig sind, entdeckt, dass er zwar seine persönliche Raison speziell bezüglich des Übernatürlichen etwas überdenken muss, behält aber in dem Punkte recht, dass der Anstifter der Bluttaten ein Mensch aus Fleisch und Blut ist.

Auch wenn im Prolog eigentlich nicht von einem herandämmernden, neuen Millenium, sondern korrekterweise von einem Centennium die Rede sein müsste (unterstellen wir Walkers Script angesichts des Entstehungsjahrgangs des Films einen ganz bewussten Schlenker), findet Burton hier glücklicherweise wieder zur Großmeisterlichkeit zurück, in dieser wunderhübschen kleinen Hommage an die alten Filme von Hammer und Anglo-Amalgamated, in der zwar ungewohnt viel Blut spritzt, jenes aber in dieser beruhigen irrealen, typisch leuchtend-hellroten Färbung, wie man sie noch aus Fishers "Curse Of Frankenstein" und "Horror Of Dracula" kennt. Als Hauptmotivation für dieses so witzige wie finstere Spukgerüst wählte man die klassische Irving-Story um den tatsächlich existenten Ichabod Crane und den kopflosen Geisterreiter eines hessischen Söldners, amerikanisches Kulturgut, von Burton uneingeschränkt prachtvoll adaptiert. Mittlerweile ganz selbstverständlich verwandte visuelle Stilmittel wie spezielle Farbfilter, die dem Bild einen blassen "vintage look" verschaffen, kommen hier bereits recht früh zum Einsatz und verfehlen ihre Wirkung nicht. Der vor wabernden Nebeln, knorrigem Geäst und anderen Schauerelementen nur so strotzende "Sleepy Hollow" besitzt viel von der Atmosphäre zeitgenössischer Stiche und ist infolge dessen ein treffliches Beispiel dafür, mit welcher Detailliebe und Sorgfalt Burton und seine Mannschaft (besonders die bravouröse Kostümistin Colleen Atwood sollte in diesem Zusammenhang Erwähnung finden) zu Werke gehen. Johnny Depp indes schraubt hier wiederum ganz entschieden an seinem persönlichen Mythos herum, als zugleich romantischer, linkischer und tuckiger Antiheld, dem allerlei Missgeschicke zustoßen, der allenthalben in Ohnmacht fällt und aus Angst vor einer Spinne auf einen Stuhl steigt und den Kragen vor den Mund zieht. Natürlich triumphiert er am Ende als Mann des Guten und des Geistes (allerdings nicht ohne die maßgebliche Hilfe seiner zwei neuen Freunde (Christina Ricci, Marc Pickering)). Glorios!

9/10

period piece Splatter Hommage Tim Burton


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KUNDUN (Martin Scorsese/USA 1997)


"They have taken away our silence."

Kundun ~ USA 1997
Directed by. Martin Scorsese


Tibet, 1937: Ein Gesandter (Tenzin Lodoe) findet in Tenzin Gyatsho (Tenzin Yeshi Paichang), dem jüngsten Sohn einer Bauernfamilie, die 14. Inkanation des Dalai Lama. Die Präsentation einiger Besitztümer seines Vorgängers, die der Kleine als die eigenen erkennt, beweist: Dies ist der wiedergeborene Kundun. Der Junge geht nach Lhasa, wo er in den Lehren Buddhas unterwiesen wird. Als Erwachsener (Tenzin Thuthob Tsarong) muss sich der Dalai Lama mit Mao (Robert Lin) herumschlagen, der Tibet kurzerhand mit Gewalt annektiert und ihn zur Landesflucht zwingt.

Wer mich kennt, weiß nur zu gut, dass ich mit jedweder Form von religiöser Spiritualität meine liebe Not habe und es mir schwer fällt, mich auf entsprechende Diskurse einzulassen. Nicht anders geht es mir mit "Kundun", den ich, neben der Tatsache, dass er eben unerlässlicher Bestandteil einer Scorsese-Werkschau ist, dennoch aus zwei Gründen als sehenswert erachte: Zum einen erinnert er mich in diversen strukturellen Aspekten an Bertoluccis wunderbaren "The Last Emperor", zum anderen umreißt er eindrucksvoll die nach wie vor existente, ungeheure politische Problematik des unfreien Tibet. Mit der Unterstützung von Philip Glass' hypnotischem Score bemüht sich Scorsese um eine spirituell gründende Transzendenz, in die ich jedoch nicht einzutauchen vermag. Was ich hingegen gern und als profitabel aus "Kundun" mitnehme, sind seine kunstvolle, anschmiegsame Photographie sowie die Option zu zwei Stunden besinnlichem, entspannenden Kino.
Ansonsten gehen mir Heilsbringergeschichten, besonders, wenn sie sich als so ernst, seriös und ambitioniert versteht wie die vorliegende und perspektivische Schlenker wie "The Last Temptation" aussparen, nach wie vor gelinde gesagt am Arsch vorbei.

6/10

Historie Tibet China Dalai Lama Biopic Martin Scorsese


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AFTER HOURS (Martin Scorsese/USA 1985)


"I don't know what came over me." - "Lack of discipline." - "Possibly."

After Hours ~ USA 1985
Directed By: Martin Scorsese


Der mit seinem Leben unzufriedene New Yorker Programmierer Paul Hacket (Griffin Dunne) lernt nach einem gewöhnlichen Arbeitstag in einem Diner die attraktive Marcy (Rosanna Arquette) kennen, erhält von ihr die Nummer ihres WG-Apartements in Uptown Manhattan (das sie mit ihrer Künstlerfreundin Kiki (Linda Fiorentino) bewohnt) und ruft nur kurze Zeit später bei ihr an, um möglichst noch in derselben Stunde ein Rendezvous zu bekommen. Eine folgenschwere Entscheidung, denn Soho erweist sich als bizarrer Hort verrückt gewordener Nachteulen, die keinen Spaß verstehen.

Best to be seen by double mit dem im selben Jahr erschienen "Into The Night", einem meiner Lieblingsfilme nebenbei. Zwei in ihrer ganz individuellen Weise recht eigenwillige Insomnie-Komödien, wobei der sich für "After Hours" erstmals bei Michael Ballhaus' Brillanz als dp bedienende Scorsese sich noch weniger als sein Kollege John Landis um Oberflächen und Narrativik schert und stattdessen ein reines Panoptikum des Irrsinns aufbietet, das bei aller Absurdität und grotesken Komik tieftraurig ist und nicht zuletzt Scorseses eigene Seelenlage widerspiegelt, nachdem sein erster Versuch, die Kazantzakis-Verfilmung "The Last Temptation Of Christ" zu stemmen, brutal gescheitert war. Griffin Dunne, der das Projekt mehr oder weniger eingestielt hatte, gibt an, sich zwischenzeitlich auch um Tim Burton als Regisseur bemüht zu haben, was vermutlich ebenfalls nicht die schlechteste Wahl gewesen wäre, zumindest in Relation zu dem abgründigen Humor des Stücks. Das, was Paul Hacket hier des Nachts in den Bohème-Kreisen Manhattans passiert, wirkt im Gegensatz zu Ed Okins L.A.-Erlebnissen zumindest halbwegs geerdet; erscheint deswegen aber auch um einiges weniger märchenhaft. Eine gerüttelt Maß Kafka steckt hierin; der von anonymen Antagonisten verfolgte Unschuldige, der in die unaufhaltsamen Zahnräder der Verfolgung gerät. Dabei träumt Paul durchaus von der Freiheit, immerhin liest er Henry Miller - für einen EDV-Experten sicherlich keine eben typische Lektüre. Doch schon das Öffnen und Schließen der Pforten seiner Firma weist wesentlich mehr Elemente von Orwell und Bradbury auf. Paul ist nur ein Atom innerhalb des allumfassenden, repressiven Gefüges, umso verlorener sein Strampeln.
Einer der interessantesten, wenn auch sperrigsten und weniger zugänglichen Filme des Regisseurs.

9/10

Bohème Insomnie Martin Scorsese Subkultur Nacht New York


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TRIANGLE (Christopher Smith/UK, AU 2009)


"You're schizo!"

Triangle ~ UK/AU 2009
Directed By: Christopher Smith


Jess (Melissa George), überforderte Mutter eines kleinen autistischen Sohnes (Joshua McIvor), lässt sich von einem Bekannten (Michael Dorman) zu einem Segeltörn auf seiner Yacht 'Triangle' einladen, bei dem noch vier weitere Teilnehmer dabei sind. Während der anfangs sonnigen Fahrt gibt es eine urplötzliche Flaute, ein gewaltiges Unwetter zieht auf und die Triangle kentert. Eine der Mitfahrerinnen (Emma Lung) wird unbrettbar über Bord gespült. Nach einiger Zeit wird in der Ferne ein großer Oceanliner sichtbar, von dem man sich Rettung verspricht. Als die fünf Schiffbrüchigen diesen betreten, scheint er, mit Ausnahme einer im Hintergrund umherhuschenden Person menschenleer. Bloß warum hat Jess das untrügliche Gefühl, das alles schonmal erlebt zu haben?

Ein ganz nettes Verwirrspiel, das durchaus manche positive Aspekte in sich vereint, in mancherlei, vor allem logischer Hinsicht, aber auch sehr inkonsequent verfährt. Letzten Endes geht es darum, dass die bedauernswerte Jess in einer Zeitschleife gefangen ist, wie man sie aus "Groundhog Day" und "12:01" kennt. Allerdings ist unsere Protagonistin nur begrenzt, respektive zeitweilig in der Lage, ihre Situation zu durchschauen und aktiv zu beeinflussen, kann daher keinen Ausweg finden und bleibt somit hoffnungslose Gefangene ihres Zeittraumas. Möglicherweise ist sie auch selbst Autistin oder irgendwie andeweitig in psychische Mitleidenschaft gezogen und erlebt dieselben Ereignisse immer wieder bloß in ihrem Geiste. Entsprechende Hinweise darauf könnten aus dem narrativen Schema heraus gedeutet werden.
Dann allerdings werfen sich rasch ein paar evidente Fragen auf: Da Jess ein Opfer der Unendlichkeit geworden ist, dürften nicht mehr die physischen Relikte von vorherigen Ereignissen sichtbar sein (ein ausgesprochen dummer Fehler, den der Film auch noch mehrfach begeht); zudem sind die, zweifelsohne ausschließlich aus Gründen der Publikums-Irreführung eingeflochtenen Unregelmäßigkeiten in Jess' Verhalten, innerhalb des Realitätsgefüges des Films als kaum mehr denn blanker Blödsinn zu erachten. Smith verrennt sich selbst in seinem Bemühen, gleich mehrere verschiedene Jesses zur selben Zeit in Aktion treten zu zu lassen (was physikalisch betrachtet ohnehin als no go gilt) und lässt seinen ansonsten durchaus interessanten inhaltlichen Ansatz damit frontal vor die Wand rennen. Dass "Triangle" trotzdem recht spannend sowie von erlesener Form ist und seine mysteriöse Storyprämisse bis zu einem gewissen Gradmaß auch ordentlich ausfüllt, möchte ich allerdings nicht unerwähnt wissen. Sicherlich sehenswert für Freunde guter Unterhaltung, für ambitionierte Logiker oder Relativitätstheoretiker indes vermutlich eine veritable Tortur.

7/10

Zeitschleife Ozean Christopher Smith Seenot


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IN THE ELECTRIC MIST (Bertrand Tavernier/USA, F 2009)


"You been drunk a long time. Pretty soon all the trees and alligators will be talking to you."

In The Electric Mist ~ USA/F 2009
Directed By: Bertrand Tavernier


Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones), trockener Alkoholiker, Experte für Fischerei im Bayou und außerdem noch bodenständiger, durch fast nichts aus der Ruhe zu bringender Polizist in Louisiana, wird in einem Fall um Prostituiertenmord nicht nur mit dem ihn umgebenden, bedrohlich schwelenden Sumpf aus Korruption und Kriminalität konfrontiert, sondern auch mit seiner eigenen Vergangenheit.

Auch wenn Tommy Lee Jones als knorriger Südstaatenermittler in jüngerer Zeit alles andere als eine Seltenheit darstellt und sich die eine oder andere böse Zunge fragen mag, ob er denn überhaupt noch jemals eine andere Rolle geben wird - "In The Electric Mist", dessen Titel sich ein wenig nach dem eines betagten Gary-Numan-Songs anhört, markiert zumindest nach meiner Einschätzung einen der Höhepunkte des vorverganenen Filmjahres. Der Film strahlt von der ersten bis zur letzten Einstellung eine knochentrockene Poesie und Gelassenheit aus und scheint selbst durch innere beziehungsweise inhaltliche Stürme nicht aus der Ruhe gebracht werden zu können. Alles wird zu einem großen, diesig-schwülen Amalgam - das Land, seine Menschen (selbst die unsympathischeren, hier gespielt von John Goodman und Ned Beatty), Robicheaux, seine liebenswerte Familie (Mary Steenburgen, Alana Locke) und in vorderster Front seine durch einen unfreiwilligen Acidtrip induzierten Illusionen vom Sezessionskrieg, dessen Auswirkungen das Areal bis heute in ihren unausweichlichen Klauen halten sowie seinem künftigen "Berater", dem Konföderiertengeneral Hood (Levon Helm), der freilich nur in Robicheaux' Geist lustwandelt. Es muss wohl Taverniers europäisch gefärbte, lässige Arbeitsweise sein, die "In The Electric Mist" so gleichermaßen mysteriös wie entspannt dastehen und ihn andererseits für das lokale Publikum eher unverständlich, um nicht zu sagen: ungeliebt werden lässt. Ich für meinen Teil hätte gern mehr davon. Viel mehr.

9/10

Sumpf New Orleans Bertrand Tavernier Louisiana Film im Film Suedstaaten


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NIGHTBREED (Clive Barker/USA 1990)


"It's Shangri-La on dope. We love it."

Nightbreed (Cabal - Die Brut der Nacht) ~ USA 1990
Directed By: Clive Barker


Der junge Aaron Boone (Craig Sheffer) wird von Visionen der angeblich unter einem Provinzfriedhof liegenden Stadt Midian heimgesucht, in der Dämonen hausen sollen. Boone kann nicht ahnen, dass sein Therapeut Dr. Decker (David Cronenberg) zugleich ein gesuchter Serienkiller ist, der ganze Familien abschlachtet und davon besessen ist, dem Menschen seine strukturelle Reinheit wiederzugeben. Nachdem Boone Midian tatsächlich ausfindig gemacht hat, sorgt Decker dafür, dass sein Patient von Polizeikugeln durchsiebt wird. Doch Boone erwacht zu neuem Leben und wird nun von den Bewohnern Midians, einer illustren Mutantenschar mit teils unheimlichen Fähigkeiten, akzeptiert. Doch Decker und eine ganz Polizeikohorte sind Boone und seiner neuen Familie bereits auf den Fersen.

In bester Tradition von Tod Brownings' "Freaks" und dem Marvel-Comic "X-Men", allerdings versetzt mit dem überbordenden Visualismus seines Autors, steht der ziemlich wunderbare "Nightbreed". Craig Sheffer alias Aaron Boone wird hier nach seinem Initiationsritus, der freilich auch seinen gewaltsamen Tod beinhaltet, zu 'Cabal', einem auserwählten Messias, Anwalt und Rebellenführer der Unterwelt, der den Negierten und Ausgestoßenen, die allerdings nicht nur stolz genug sind, ihre Isolation zu akzeptieren, sondern sie auch zu wählen und zu leben, ein Stück vergessener Freiheit wiederverschafft. Die finstere, mit manchmal eher unschönen Bildern kokettierende Monsterromantik Barkers, die dem, was landläufig wohl als "unästhetisch" bezeichnet würde, recht nahe kommt, ist wohl tatsächlich nicht für jedermann gemacht, dürfte aber allen wahren Anhängern Barkers viel Freude bereiten. In seinen immer auch geflissentlich bis stark erotisch konnotierten Phantasien verarbeitete der Brite seine eigene Homophilie und feierte ein unerkanntes, frühes Coming out.
Die Sympathie für seine physiologischen Outsider, unter denen sich auch ein sehr ungleich aussehendes homosexuelles Pärchen befindet, ist geprägt von leidenschaftlicher Abgestoßenheit und einer gleichermaßen großen Faszination, das von Barker entworfene Filmuniversum, in dem ausgerechnet David Cronenberg als sorgsam gekleideter Psychologe die ganze Dämonie des etablierten Humanbürgers repräsentiert, von ungeheurer Sogkraft.
Gehört großflächig wiederentdeckt.

8/10

David Cronenberg Serienmord Mutant Monster





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Funxton

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